VwGH Ra 2015/20/0142

VwGHRa 2015/20/014223.2.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des O N alias U N, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Juni 2015, Zl. W144 2107571-1/3E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG, den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AsylG 2005 §5;
BFA-VG 2014 §21 Abs3;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litb;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AsylG 2005 §5;
BFA-VG 2014 §21 Abs3;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat im angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 17. September 2015, E 1262/2015-11, die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erhobenen Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, das Bundesverwaltungsgericht habe weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch seien ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würden.

In der nun vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - zitiert wird das hg. Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0113 bis 0120 - zur Auslegung der Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 und zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen muss, abgewichen.

Es stelle sich zudem die Rechtsfrage, ob bei einem komplexen Krankheitsbild wie jenem des Revisionswerbers - mittelgradige depressive Episode, Hepatitis B sowie ein massives Sekundärglaukom, Suizidalität - ohne Vorliegen einer individuellen Zusicherung des Zielstaates zur Aufnahme in die Grundversorgung und Gewährleistung medizinischer Behandlung von einer drohenden Verletzung des Art. 3 EMRK auszugehen sei.

In diesem Zusammenhang stelle sich weiters die Rechtsfrage, ob im Falle von Bulgarien, "wo der UNHCR sich dezidiert gegen die Überstellung vulnerabler Personen ausgesprochen" habe, nicht erweiterte Ermittlungspflichten bestanden hätten, denen das Bundesverwaltungsgericht nicht nachgekommen sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber jedoch keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits geklärt, dass die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK zu berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das im Dublin-System vorgesehene Selbsteintrittsrecht auszuüben haben (vgl. den Beschluss vom 21. August 2014, Ra 2014/18/0003, mwN) sowie die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 widerlegbar ist (vgl. insbesondere das in der Revision zitierte hg. Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0113 bis 0120).

Dabei ist die Frage, ob ein Staat als "sicher" angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage (vgl. den hg. Beschluss vom 16. Dezember 2014, Ra 2014/19/0007).

Das Bundesverwaltungsgericht stellte unter Heranziehung von Länderfeststellungen und UNHCR-Berichten zur Lage in Bulgarien fest, dass die in Unterkünften der Agentur für Flüchtlinge (SAR) untergebrachten "Dublin-Rückkehrer" ein Recht auf dieselben Hilfe- /Dienstleistungen hätten, die auch anderen Asylwerbern zustünden. Sie hätten Anspruch auf Unterbringung und Versorgung während des gesamten Asylverfahrens; das umfasse Unterkunft, Verpflegung, soziale Unterstützung, Krankenversorgung und psychologische Hilfe. Die Asylwerber hätten "in Theorie und Praxis Zugang zu derselben Krankenversorgung wie bulgarische Staatsbürger". Aufgrund der bulgarischen Rechtslage und Vollzugspraxis könnten keine systematischen Verletzungen von in der EMRK festgeschriebenen Rechten erkannt werden.

Soweit sich die Revision in diesem Zusammenhang gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet, ist ihr entgegenzuhalten, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vorliegen würde, wenn das Bundesverwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. den Beschluss vom 10. September 2015, Ra 2015/09/0066). Dies hat jedoch der Revisionswerber mit seinem Vorbringen nicht aufgezeigt.

Zur behaupteten fehlenden Aktualität der im angefochtenen Erkenntnis herangezogenen Länderberichte legt die Revision nicht dar, welche anderen Feststellungen zu einer günstigeren Entscheidung für den Revisionswerber hätten führen könnten (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 2. September 2015, Ra 2015/19/0178).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaats gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom 11. November 2015, Ra 2015/20/0196, mwN).

Ausgehend vom Vorbringen des Revisionswerbers, er leide an einer mittelgradigen depressiven Episode, Hepatitis B sowie einem massiven Sekundärglaukom links, sowie den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur medizinischen Versorgungslage in Bulgarien, zeigt die Revision - vor dem Hintergrund der oben dargestellten Leitlinien - nicht auf, dass die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich mit der gesundheitlichen Situation des Revisionswerbers im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung auseinandergesetzt hat, es lägen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen würden, unzutreffend wäre. Im Übrigen legt der Revisionswerber auch nicht dar, welche Art von Spezialbehandlung er konkret benötigen würde, die in Bulgarien nicht gewährleistet wäre.

Wenn die Revision ihre Zulässigkeit schließlich damit begründet, dass das vorliegende Erkenntnis gegen die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht (zitiert wird das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018) verstoße, übersieht der Revisionswerber, dass für Beschwerden im Zulassungsverfahren die Sonderbestimmung des § 21 Abs. 3 BFA-VG (bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt: idF vor dem FrÄG 2015) zur Anwendung gelangt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0025). Demnach ist einer Beschwerde im Zulassungsverfahren stattzugeben, wenn sich der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft erweist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Eine Abweichung von der Rechtsprechung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt somit nicht vor (vgl. den hg. Beschluss vom 8. September 2015, Ra 2014/18/0157 bis 0159).

Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 23. Februar 2016

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