Normen
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4;
62010CJ0411 N. S. VORAB;
62011CJ0004 Puid VORAB;
62012CJ0394 Abdullahi VORAB;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AsylG 2005 §5;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art3;
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Die revisionswerbenden Parteien, ein Ehepaar aus dem Iran, beantragten am 12. Juni 2013 internationalen Schutz. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Erkenntnis wurden ihre Anträge gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und es wurde ausgesprochen, dass Italien nach näher bezeichneten Bestimmungen der Dublin-Verordnung zur Prüfung der Anträge zuständig sei. Gleichzeitig ordnete das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien an und stellte fest, dass diese nach Italien rechtmäßig sei. Gleichzeitig sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
2. Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit wörtlich vorbringt:
"Die Frage, ob Italien ein sicherer Dublinstaat ist, ist seit Jahrzehnten asylrechtlich und tagespolitisch umstritten. Eine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage fehlt wegen dessen Nichtanrufbarkeit in den letzten Jahren. Der Verfassungsgerichtshof behandelte zuletzt keine Dublin Italien Beschwerden mehr.
Aber in folgenden aktuell beim EGMR anhängigen Italien Dublinasylverfahren der Gerichtshof den Beschwerdeführern zu folgenden Rule 39 Italien-Fällen (...) die aufschiebende Wirkung gewährt hat und wird daher beantragt, das Ergebnis dieser Verfahren abzuwarten, da sich ergeben wird, dass die (revisionswerbenden Parteien) in Italien in eine ausweglose Lage geraten werden und die Beschwerdeführer in Italien einem realen Risiko unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt wären und die Abschiebung der Beschwerdeführer einer Verletzung von Art. 3 EMRK und des Grundrechts aus Art. 4 EU-GrRCH und damit eine Verletzung des primären Unionsrechts führen würde.
Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts ist die Revision gegen die anzufechtende Entscheidung zulässig, da sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt."
3. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, ist, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGG die Revision auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4. Mit dem Vorbringen, es gebe noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob Italien als "sicherer Dublinstaat" angesehen werden kann, zeigt die Revision keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf:
4.1. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde bereits geklärt, dass die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig macht. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung ausüben.
In ständiger hg. Rechtsprechung wird auch erkannt, dass mit § 5 Abs. 3 AsylG 2005 eine "Beweisregel" geschaffen wurde, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig macht, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" in dem nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung ist jedoch unter näher bezeichneten Voraussetzungen widerlegbar (vgl. VwGH vom 23. Jänner 2007, 2006/01/0949, und diesem Erkenntnis folgend etwa VwGH vom 12. Dezember 2007, 2006/19/1022, vom 26. Mai 2009, 2006/20/0237, vom 10. Dezember 2009, 2008/19/0809, vom 19. Mai 2010, 2008/23/0413, vom 21. Juni 2010, 2008/19/0163, u.a.).
Auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seiner Judikatur dargelegt, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in einem Kontext entworfen worden sei, der die Annahme zulasse, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte beachten. Dementsprechend gelte die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK stehe. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass eine ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar sei. Wenn daher ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH vom 21. Dezember 2011, N.S. u.a., C-411/10 , C-493/10 , sowie darauf Bezug nehmend EuGH vom 14. November 2013, Puid, C-4/11 , und vom 10. Dezember 2013, Abdullahi, C-394/12 ).
4.2. Ausgehend davon ist im Einzelfall zu beurteilen, ob die Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen - zuständigen - Mitgliedstaat der Europäischen Union zulässig ist. Dabei ist die Frage, ob dieser Staat als "sicher" angesehen werden kann, vorrangig eine Tatsachenfrage, die nicht vom Verwaltungsgerichtshof zu lösen ist. Die Beurteilung, ob die festgestellten Mängel im Zielstaat die Sicherheitsvermutung widerlegen und einer Überstellung des Asylwerbers unter Bedachtnahme auf die EMRK und die GRC entgegenstehen, ist hingegen eine - unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG - revisible Rechtsfrage.
4.3. Nach dem bisher Gesagten liegt bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu vor, wie die Sicherheitsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 auszulegen ist und unter welchen Voraussetzungen Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen muss. Die Revision zeigt nicht auf, dass darüber hinausgehend Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, von der die Lösung des vorliegenden Falles abhängen würde.
5. Wenn die Revision überdies geltend macht, dass die Überstellung der revisionswerbenden Parteien nach Italien eine Verletzung des Art. 3 EMRK bzw. von Art. 4 GRC begründen würde, behauptet sie implizit, dass das BVwG mit seiner Entscheidung von der geschilderten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie unterlässt es aber, in der Zulassungsbegründung auch nur ansatzweise zu konkretisieren, weshalb die Abweichung von der hg. Rechtsprechung vorliegen soll. Schon deshalb erfüllt die Revision das Erfordernis des § 28 Abs. 3 VwGG, gesondert die Gründe für ihre Zulässigkeit nach Art. 133 Abs. 4 B-VG anzuführen, nicht (vgl. zur Maßgeblichkeit des Vorbringens in der Zulassungsbegründung etwa VwGH vom 18. Juni 2014, Ra 2014/01/0033 bis 00037).
6. Ungeachtet dessen übersieht der Verwaltungsgerichtshof nicht, dass das BVwG mit seiner Feststellung, auch die Zweitrevisionswerberin habe "während ihres Aufenthalts in Österreich keine Krankenbehandlung in Anspruch genommen" eine aktenkundige ärztliche Bestätigung des Bezirkskrankenhauses K über eine ambulante Untersuchung der Zweitrevisionswerberin ("Diagnose:
schwere depressive Episode aufgrund einer akuten Belastungsstörung (...), die weiterhin eine fachärztliche Betreuung benötigt") außer Acht gelassen hat. Das BVwG hat aber unbestritten festgestellt, dass Österreich medizinische Informationen betreffend Vulnerable vor Dublin-Überstellung an Italien übermittelt und die italienischen Behörden - ungeachtet bestehender Probleme in der Versorgung der Asylwerber - geeignete medizinische Maßnahmen treffen, wenn das überstellende Land eine Vulnerabilität der betreffenden Person meldet. Selbst unter Berücksichtigung der Erkrankung der Zweitrevisionswerberin vermag die Revision daher nicht darzulegen, dass ihre Überstellung nach Italien zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch Österreich führen würde (vgl dazu etwa EGMR vom 18. Juni 2013, Mohammed Abubeker bzw. Nasib Halimi gegen Österreich und Italien, Nr. 73874/11 und Nr. 53852/11). Damit zeigt die Revision auch nicht auf, dass die angefochtene Entscheidung im Ergebnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.
7. Aus diesen Gründen war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 21. August 2014
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