VwGH 2006/20/0237

VwGH2006/20/023726.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Juni 2006, Zl. 301.144-C2/E1-VII/19/06, betreffend § 41 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (mitbeteiligte Partei: R), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §41 Abs3;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §41 Abs3;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, nach seinen Angaben Staatsangehöriger der Russischen Föderation orthodoxen Glaubens und tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 16. März 2006 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag internationalen Schutz.

Eine vom Bundesasylamt eingeholte EURODAC-Abfrage ergab, dass der Mitbeteiligte am 1. Jänner 2006 in der Slowakei bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Bei seiner Einvernahme am 6. April 2006 gab der Mitbeteiligte an, er könne auf keinen Fall in die Slowakei zurück. Es gebe in der Slowakei Leute, die etwas gegen Leute hätten, die in Tschetschenien nicht gekämpft hätten; er habe nicht gekämpft. Was er mit "Leuten" meine, darüber könne er nicht sprechen. Er sei dort in Gefahr wie zu Hause. Gefragt nach einem konkreten Vorfall in der Slowakei erklärte er, er habe mit einem Tschetschenen in Österreich telefoniert; dieser habe ihm gesagt, ihm könnte in der Slowakei etwas passieren, falls ihn diese Leute, womit er Kämpfer meine, dort finden. Er sei in der Slowakei vom Islam zum Christentum konvertiert; die Leute, die gekämpft hätten, würden ihn deswegen foltern. Konkrete Vorfälle habe es in der Slowakei keine gegeben; man habe ihm dies erzählt. Da er von der Richtigkeit dieser Erzählungen überzeugt gewesen sei, habe er die Slowakei verlassen. Er habe in der Slowakei einen negativen Bescheid erhalten, obwohl es keine Einvernahme gegeben habe. Es gebe dort keine Chance für ihn.

Das Bundesasylamt wies - nach Durchführung von Konsultationen mit den zuständigen slowakischen Behörden - mit Bescheid vom 9. Mai 2006 den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz "gemäß Artikel 16/1/c" der Dublin-Verordnung die Slowakei zuständig sei, und wies den Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 dorthin aus; demzufolge sei auch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Slowakei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig. Begründend führte das Bundesasylamt aus, die Identität des Mitbeteiligten stehe nicht fest. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Mitbeteiligte in der Slowakei systematischen Misshandlungen oder Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder diese zu erwarten hätte. Aus den Angaben des Mitbeteiligten seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass der Beschwerdeführer konkret Gefahr liefe, in der Slowakei Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Auch könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund der Tatsache, dass in der Slowakei nur eine geringe Anzahl von tschetschenischen Antragstellern Asyl erhalten würde, nicht sicher sei. Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, bei dem in keiner Weise substantiierten und völlig vagen Vorbringen des Mitbeteiligten handle es sich lediglich um Angaben und Befürchtungen, die weder be- noch widerlegbar seien. Diese Angaben seien nicht geeignet, die Sicherheit der Slowakei in Zweifel zu ziehen. Sein Vorbringen bezüglich der Kämpfer aus Tschetschenien könne er nur auf allgemeine und vage Überlieferungen und Erzählungen stützen. Es treffe daher die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 zu.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 statt und behob den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos. Das Bundesasylamt habe weder überprüft, ob der Mitbeteiligte Tschetschene sei, noch aus welchen Gründen er "Tschetschenien" verlassen habe müssen. Die Durchführung oder Wiederholung einer weiteren Einvernahme sei in diesem Fall unvermeidlich, weil das Bundesasylamt keine Ermittlungen getroffen habe, ob der Mitbeteiligte tatsächlich ein Tschetschene aus der Russischen Föderation sei bzw. ob er als Tschetschene, der in seiner Heimat nicht gekämpft habe, in der Slowakei von anderen Tschetschenen der Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 5 Abs. 3 AsylG 2005 lautet:

"Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."

Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Jänner 2007, Zl. 2006/01/0949, Stellung genommen. Auf dessen Begründung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Demnach hat - außer bei Vorliegen "offenkundiger" Gründe - der Asylwerber besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu ist es erforderlich, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist. Hat der Asylwerber derartige Gründe glaubhaft gemacht, sind die Asylbehörden gehalten, allenfalls erforderliche weitere Erhebungen auch von Amts wegen durchzuführen, um die Prognose, der Asylwerber werde bei Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat der realen Gefahr ("real risk") einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein, erstellen zu können.

Der Mitbeteiligte schilderte lediglich, ihm sei erzählt worden, dass Leute, die "gekämpft" hätten, ihn verfolgen würden, weil er nicht "gekämpft" habe und weil er zum Christentum konvertiert sei. Konkrete Vorfälle konnte er nicht nennen. Auch in der Berufung wurde insoweit lediglich das erstinstanzliche Vorbringen wiederholt. Dass slowakische Behörden ihn vor einer - als möglich befürchteten - Verfolgung durch andere Tschetschenen nicht schützen könnten oder nicht schützen wollten, geht schon aus diesem Vorbringen nicht hervor und ist auch nicht offenkundig. Das Vorbringen des Mitbeteiligten ist daher nicht ausreichend konkret, die Sicherheitsvermutung die Slowakei betreffend in Frage zu stellen. Die von der belangten Behörde aufgetragenen ergänzenden Ermittlungen dazu, ob der Mitbeteiligte tatsächlich Tschetschene sei, sowie zur Sicherheit in der Slowakei waren daher nicht erforderlich.

Da der angefochtene Bescheid keine anderen Gründe aufzeigt, aus denen die Behebung der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 gerechtfertigt gewesen wäre, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 26. Mai 2009

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