BVwG W264 2167083-1

BVwGW264 2167083-119.7.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W264.2167083.1.00

 

Spruch:

W264 2167083-1/25E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Robert Bitsche, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.7.2017, 1094729604/151771423, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste im November 2015 unrechtsmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbefragung des BF wurde unter Beiziehung eines Dolmetsch für die Sprache Dari durchgeführt.

 

2. Am 29.3.2017 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Es war ein Dolmetsch für die Sprache Dari anwesend.

 

Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen und Generalien befragt. Er gab auf Befragen an, bisher die Wahrheit gesagt zu haben.

 

3. Der BF legte dem BFA folgende Dokumente vor:

 

* Bestätigung über freiwillige Arbeit in der Gemeinde XXXX

 

* Empfehlungsschreiben der XXXX

 

* Sozialbericht der Caritas-Unterbringung

 

* Unterstützungsprognose der Logopädin XXXX

 

* Deutschkursbestätigungen

 

* Fotos über die freiwillige Tätigkeit und sportliche Betätigung des BF

 

4. Mit dem nunmehr bekämpften oben im Spruch näher bezeichneten Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

 

5. Hiergegen brachte der BF mit Schriftsatz vom 31.7.2017 das Rechtsmittel der Beschwerde ein und wird auf den Inhalt dieser verwiesen.

 

6. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Fremdakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langte dieser am 9.8.2017 ein.

 

7. Am 1.8.2018 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an welcher der BF und seine Rechtsvertreterin, Mitarbeiterin des Rechtsanwaltes Mag. Bitsche, teilnahmen und welcher ein Dolmetsch für die Sprache Dari beigezogen wurde.

 

Der BF wurde eingangs über seine Mitwirkungspflicht und sein Aussageverweigerungsrecht sowie darüber, dass es nur um Fluchtgründe die ausschließlichen Bezug auf Afghanistan haben, belehrt und dazu befragt.

 

(Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll):

 

"RV verweist auf die OZ12, E-Mail vom 13.07.2018 und die darin befindlichen Zertifikate und Integrationsunterlagen und legt vor, ein Empfehlungsschreiben vom 28.07.2018, Familie XXXX , ein Empfehlungsschreiben von Herrn XXXX XXXX , eine Arbeitsbestätigung über ehrenamtliche Arbeit vom 25.07.2018, ein Empfehlungsschreiben von Frau XXXX , eine Unterstützungserklärung von Spielern und Funktionären des ASV XXXX und gibt der BF auf

 

Nachfrage auf einen ÖFB-Spielerpass an, dass er selbst nicht aktiv spielt, jedoch sein Bruder, XXXX , und der BF im Verein Tätigkeiten rund um den Sportplatz ausübt. Weiters wird vorgelegt ein Empfehlungsschreiben vom 18.07.2018, Fotos vom zweitägigen Wanderausflug auf den Schneeberg/Rax und über Freiwilligenarbeit auf dem Friedhof. Weiters wird vorgelegt eine Anfrage betreffend zukünftige Arbeitsanstellung an das Hotel XXXX , vom 24.07.2018, und gibt die Vertreterin zur Auskunft, dass die Hoteldirektorin derzeit auf Urlaub weilt und eine Rückmeldung noch nicht erfolgt ist.

 

BF wird aufgefordert den Namen, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Religionsbekenntnis und die Heimatprovinz auf ein Blatt Papier zu schreiben und wird dies als Beilage ./B zur Verhandlungsschrift genommen.

 

Der BF gibt auf doÜ an, dass er aus Kabul Stadt stammt.

 

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre Eltern und wie heißen die?

 

BF: Sie leben im Iran, Teheran. Mein Vater heißt XXXX , meine Mutter heißt XXXX (Beilage./C)

 

R: Haben Sie Geschwister?

 

BF: Ja, ein Bruder von mir lebt in Mistelbach, die Schwestern sind verheiratet, eine lebt in der Türkei, eine in Belgien, zwei Schwestern leben im Iran.

 

R: Haben Sie Kontakt zu Ihren Schwestern?

 

BF: Ja, mit denen in der Türkei und in Belgien habe ich Kontakt.

 

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu den Eltern und über welches Medium?

 

BF: Sehr unterschiedlich, einmal pro Monat, manchmal zweimal pro Monat. Wenn Sie Zeit haben, rufen die Eltern mich an. Zuletzt zirka vor einem Monat.

 

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre, Onkel, Tanten und wie heißen die?

 

BF: Onkel vs ist verstorben, die Kinder leben in Deutschland. Onkel ms ist auch verstorben, die Kinder leben in Österreich und Deutschland. Die Tanten sind verstorben, wo die Kinder leben, weiß ich nicht. Tante vs, habe ich eine, lebt in der Türkei.

 

R: Die in Österreich lebenden Verwandten heißen?

 

BF: Eine Cousine lebt in Österreich, namens XXXX ( Beilage./D und ./E), sie lebt in Linz. Ich habe Kontakt zu ihr.

 

R: Unterstützt sie Sie mental, finanziell, wirtschaftlich?

 

BF: Nein, manchmal ladet sie mich ein, manchmal ich sie. Es war noch nie so, dass sie für mich eine Stütze gewesen wäre, wie ein Elternteil wie so etwas noch nie passiert ist.

 

Manchmal fragt sie mich "Was brauchst du? Was willst du?" Ich sage, ich brauche nichts.

 

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu dieser und über welches Medium?

 

BF: Gestern.

 

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich eine Schule besucht? Wie lange?

 

BF döÜ: In Afghanistan habe ich eine Schule fertiggemacht. Es war 12 Jahre Gymnasium.

 

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich Berufserfahrung erlangt? Wieviele Jahre?

 

BF doÜ: Ja, als Taxifahrer. Mit Taxi kann man nicht so gut verdienen. Ich habe gewechselt auf größeres Taxi und dann auf Bus. Ich war auch Schuster. Zuerst 3 Jahre ich habe als Schuster gearbeitet, dann 2 Jahre Taxifahrer, dann Busfahrer.

 

Die R fordert BF auf, nun in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit Ihres Fluchtberichts.

 

Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.

 

BF führt aus wie folgt:

 

Ich war mit meinem Bruder XXXX (der in Österreich ist) mit dem Bus unterwegs. Wir wurden von ein paar Kriminellen gestoppt, unser Geld wurde uns weggenommen. Ich wurde mit einer Pistole mehrmals im Kopfbereich geschlagen. Die Spuren kann man noch immer sehen, ich war beim Arzt und es wurde mit sechs Stichen genäht.

 

Nach der Behandlung beim Arzt ging ich zu Polizei. Die haben mir gesagt, dass ich mit der Polizei mitmachen soll, dass ich kooperieren soll, sodass sie diese Leute erwischen können. Am nächsten Tag wurden die Kriminellen verhaftet, aber gegen Schmiergeld waren sie gleich wieder auf freiem Fuß. Wir haben uns in Gefahr gefühlt, dass wir wieder von denen angegriffen werden können. Sie waren sehr gefährlich Leute. Deswegen haben wir das Land verlassen.

 

Wir sind dann in den Iran.

 

R: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

 

BF: Das wars.

 

R: Wohin waren Sie mit Ihrem Bruder XXXX mit dem Bus unterwegs?

 

BF: Nach der Arbeit waren wir unterwegs nach Hause. Und die Kriminellen haben uns ca. 200 m von unserem Haus entfernt gestoppt.

 

R: Haben Sie diese Menschen, die Sie ca. 200 m von ihrem Haus entfernt gestoppt haben vorher jemals gesehen?

 

BF: Nein.

 

R: Waren die Gesichter dieser Menschen erkennbar?

 

BF: Die Gesichter waren zu erkennen, sie hatten einen Schal um den Hals. Auf Befragen wie der Schal aussah: In Kabul tragen viele solchen.

 

R: Welche Farbe? Haben die alle den gleichen Schal getragen?

 

BF: Ich habe nur diesen Menschen gesehen, der bei mir war und mich geschlagen hat. Von den anderen habe ich nichts bemerkt.

 

R: Und beschreiben Sie mir jetzt den Schal?

 

BF: Die sind aus Baumwolle, kosten ca. 30 bis 40 Afghani und werden von allen getragen und sind gegen Staub.

 

R: Welche Farbe hatte der Schal?

 

BF doÜ: Schwarze Farbe.

 

R: Was haben diese kriminellen Menschen gesagt, als sie Sie gestoppt haben?

 

BF: Einer ist vorne gestanden, ich musste stoppen und er kam direkt zu mir und sagte: "Alles raus. Handy, Geld, alles was Sie dabei haben rausnehmen". Er war mit einer Pistole bewaffnet, wir konnten dagegen nichts machen.

 

R: Hatten Sie als Busfahrer keine Waffe mit?

 

BF: nein. Keine Waffe. Auf Befragen: auch kein Messer.

 

R: Hatten Sie heute eine Waffe oder ein Messer mit?

 

BF doÜ: Heute? Nein! Auch sonst nicht. Ich kenne auch keinen in Österreich, der Messer trägt. Ich habe denen alle Sachen gegeben:

mein Geld und mein Handy. Ich hatte nur diese mit. Es war ca. 14.000 Afghani.

 

R: Warum wissen Sie warum es 14.000 waren?

 

BF doÜ: Diese Leute arbeiten immer so: machen Stopp und schauen in die Taschen.

 

Frage wird wiederholt und übersetzt.

 

BF: Ich habe Studenten transportiert und sie haben monatlich bezahlt und an dem Tag haben sie das Geld bezahlt und es waren 12 Leute von denen ich 12.000 hatte und den Rest hatte ich an dem Tag eingenommen.

 

R: Haben diese Männer auch von Ihrem Bruder Geld weggenommen?

 

BF: Nein.

 

R: Warum mussten Sie genäht werden?

 

BF: Weil ich mit der Pistole geschlagen wurde.

 

R: Beschreiben Sie mir wie das war: als er Sie mit der Pistole schlug wie war das als er dann weg war mit der Wunde?

 

BF: Er hat mich geschlagen, ich habe es am Hemd gesehen, es war Blut da [BF streift sich mit der rechten Hand über die linke Oberkörperseite, ausgehend vom Hals bis Mitte des Thorax]

 

R: Sind Sie bewusstlos geworden?

 

BF doÜ: Nein, aber ein bisschen Kopfschmerzen.

 

R: Wieviele Männer waren es?

 

R: Ich habe zwei Personen selber gesehen, aber vielleicht waren noch zwei Personen in der Nähe, damit sich die von mir gesehenen Personen sicher fühlen.

 

R: Wurde Ihr Bruder auch geschlagen?

 

BF: Nein. Er ist laut geworden und ein Krimineller zog die Waffe und dann ist mein Bruder ruhig geblieben.

 

R: Welche Waffen trugen die beiden Männer, die Sie gesehen haben, bei sich?

 

BF: Einer hatte ein Messer, der zweite eine Pistole.

 

R: Sonst noch Waffen?

 

BF doÜ: Nein, nix.

 

R: Von wo nach wo sind Sie gefahren, als das passiert war, als die Männer Sie aufhielten?

 

BF: Wir waren von Makrojan nach Kotesangi unterwegs. Wir haben in Kotesangi gelebt.

 

R: Warum schlug Sie dieser Mann? Sie haben ihm doch eh das Geld gegeben?

 

BF: Am Anfang hatte ich Widerstand geleistet, ich wollte ihm nicht das Geld hergeben.

 

R: Warum haben Sie es dann doch getan?

 

BF: Er hat eine Pistole rausgenommen. Hätte ich ihm nichts gegeben, hätte er mich umgebracht.

 

Als ich ihm gesagt habe, dass ich ihm mein Geld und Handy nicht geben möchte, hat er mich mit der Pistole im Kopfbereich geschlagen.

 

R: Denken Sie jetzt zurück, als Sie mit Ihrem Bruder im Bus unterwegs waren. Wie genau war die Anhaltung?

 

BF: Die Passagiere haben den Bus verlassen, wir waren dann unterwegs nach Hause. Ich und mein Bruder. Und sie haben uns plötzlich gestoppt. Normalerweise oder fast immer, wenn wir mit dem Bus unterwegs waren, haben wir Musik gehört.

 

R: Und weiter?

 

BF: Und dann ist dieser Vorfall passiert.

 

R: Möchten Sie mir noch etwas genauer schildern wie dieser Vorfall passiert ist?

 

BF: Was soll ich noch sagen?

 

R: Denken Sie noch oft an diesen Vorfall zurück?

 

BF: Ja, fast immer. Manchmal, wenn ich dran denken soll, bekomme ich Kopfschmerzen.

 

R: Haben Sie jetzt Kopfschmerzen, wenn Sie daran denken?

 

BF: Nein, nein, jetzt nicht. Manchmal, wenn ich dran denke.

 

R: Reden Sie mit Ihrem Bruder noch manchmal über diesen Vorfall? BF:

Nein.

 

R: War dieser Vorfall der Grund, warum Sie Afghanistan verlassen haben?

 

BF: Ja.

 

R: Und warum war das der Grund?

 

BF: Ich glaube, dass die Leute für die Freilassung viel Geld gezahlt haben.

 

Wir haben Angst gehabt, dass sie uns finden und bestrafen können.

 

Es ist eine kriminelle Bande, sie haben es mehrmals getan.

 

R: Woher wissen Sie, dass die das mehrmals getan haben?

 

BF: Vor ein paar Tagen wurde ein Nachbar von denselben Männern mit einem Messer gestochen.

 

R: Wer sagt Ihnen, dass es dieselben Männer waren?

 

BF: uns wurde erzählt, dass die Leute auch in gleicher Art und Weise angegriffen wurden.

 

R: Aber Sie haben jetzt keine Beweise, dass es wirklich die gleichen Leute waren?

 

BF: Nein, wir haben es nur gehört. Dort funktioniert es, dass jede Ortschaft unter Kontrolle einer bestimmten Gruppe ist. Auf Befragen gebe ich an, die Gruppe die meinen Ort kontrollierte, hatte keinen bestimmten Namen.

 

R: Wie ist der Name des Anführers?

 

BF: Er ist bekannt unter "Cousin von XXXX ".

 

[Anm: XXXX ist phonetisch wahrgenommen; im Nachfolgenden auch als " XXXX " bezeichnet]

 

R: Wer ist XXXX ?

 

BF: Er ist ein mächtiger großer Mensch in Afghanistan, ich weiß nicht ob er ein Parlamentarier ist oder nicht.

 

R: Haben Sie diesen Mann, der sie gestoppt und bedroht hat, vorher jemals gesehen?

 

BF: Nicht gesehen, aber von ihm gehört.

 

R: Was haben Sie von ihm gehört?

 

BF: Dass sie Kriminelle sind, den Menschen Geld abnehmen, dass sie Diebe sind. Befragt ob ich gehört habe, ob die schon jemanden umgebracht haben: Das habe ich nicht gehört.

 

R: Haben Sie das schon vorher gehört oder erst nachdem der Vorfall passiert ist?

 

BF: Nachher. Ich habe das telefonisch von meinem Bruder XXXX gehört. XXXX lebte damals auch in Kabul, heute lebt er im Iran.

 

Befragt nach dem Erwägen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gebe ich an: Wir haben schon ein Problem mit diesen Männern gehabt und sie können uns überall verfolgen.

 

R: Warum sind Sie dann nicht auch in den Iran gegangen?

 

BF: Ich bin in den Iran gegangen, aber die mögen Afghanen dort nicht.

 

R: Beschreiben Sie mir bitte was dann war, nachdem Sie das Geld diesem Mann gegeben haben?

 

BF: Wir sind nach Hause gefahren und ich wurde zu einem Arzt gebracht.

 

Nach der Behandlung bin ich nach Hause gegangen und am nächsten Tag zur Polizei.

 

R: Sind Sie also mit dem Bus nachhause gefahren und dann erst zu einem Arzt?

 

BF: Den Bus habe ich am Ort des Vorfalls zurückgelassen und bin zu

Fuß nach Hause gegangen. Befragt warum ich den Bus nicht mitnahm:

Ich habe geblutet und mich sehr schlecht gefühlt.

 

Mein Bruder konnte damals nicht Busfahren.

 

R: Haben Sie den Bus später wieder bekommen?

 

BF: Ja.

 

R: Hatten Sie keine Angst, dass die den Bus auch stehlen?

 

BF: Den Schlüssel habe ich mitgenommen.

 

R: Wissen Sie noch das Datum des Vorfalls?

 

BF: Ende 9. Monat 2015.

 

R: Wann sind Sie ausgereist aus Afghanistan?

 

BF: Im Oktober 2015, 10. Monat. Ob 1. oder 2. Oktober, das weiß ich nicht.

 

R: Was hat die Polizei gesagt als Sie dort hingekommen sind um die Anzeige zu erstatten?

 

BF: Ich habe zuerst erzählt was alles passiert ist. Die Polizei hat gesagt, dass ich mitmachen soll und helfen soll, dass die Polizei sie erwischen kann. Sie waren den Polizisten schon bekannt.

 

Befragt nach dem Namen der Männer: ich weiß die Namen nicht. Aber wie gesagt, die sind unter "Gruppe vom Cousin von XXXX " bekannt.

 

R: Wie erklären Sie sich das, dass die Polizei zunächst Ihre Mitwirkung einforderte und dann die Männer doch wieder frei ließ?

 

BF: Die Polizei dachte, dass wir Angst bekommen und eine Kooperation ablehnen werden.

 

R: Woher wissen Sie, dass diese Männer die Polizei bestochen haben?

 

BF: Deswegen, weil wenn die Polizei jemand erwischt, bleibt er wegen einer Kleinigkeit drei, vier Monate in Haft. In dem Fall habe ich der Polizei eine Arztbestätigung vorgelegt, es ist also ein großer Vorfall passiert. Trotzdem waren die auf freiem Fuß. Deswegen glaube ich, dass die an die Polizei viel bezahlt haben.

 

R: Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht oder gibt es noch etwas von dem Sie sagen: Das war auch ein Grund, warum ich Afghanistan verlassen musste? BF: Das wars.

 

RV an den BF:

 

RV: Woher wissen Sie, dass die Leute freigelassen wurden? BF: Ich habe die Leute noch einmal gesehen.

 

RV: Und wo?

 

BF: In der Nähe der Uni in Kabul.

 

RV: Glauben Sie, dass die Leute in der Lage sind andere Personen umzubringen, wenn man der Forderung nicht nachkommt?

 

BF: Ja, natürlich. Sie haben Waffen: Pistole, Messer und wird auch von einer großen Persönlichkeit unterstützt.

 

RV: Wissen diese Leute, dass Sie sie bei der Polizei angezeigt haben?

 

BF: Ja. Ich gehe davon aus, dass sie das von der Polizei wissen und deshalb die Polizei von denen Geld verlangt hat.

 

RV: Haben diese Leute je nach Ihnen oder Ihrem Bruder gesucht? BF:

Ja.

 

RV: Woher wissen Sie das?

 

BF: Mein Bruder XXXX sagte das.

 

RV: Woher weiß Ihr Bruder das?

 

BF: In der Nähe unseres Hauses gibt es Geschäfte. Mein Bruder XXXX ist mit den Verkäufern befreundet und wusste es von denen.

 

RV: Glauben Sie, dass der Cousin von XXXX es erfahren würde, wenn Sie zurück nach Afghanistan müssten?

 

BF: Ja, sie haben eigene Männer dort. Sie werden es schnell herausfinden, dass wir dort sind.

 

RV: Würde Ihnen die Polizei helfen?

 

BF: Nein. Wenn die Polizei kein Schmiergeld bekommt, macht die Polizei nicht das was sie machen soll. Die Polizei dort hilft niemanden, nur, wenn man Schmiergeld bezahlt.

 

R: Warum sind Sie dann trotzdem zur Polizei gegangen, wenn die eh niemandem hilft? BF: Die Polizei hat gesehen, dass ich eine Arztbestätigung vorgelegt habe.

 

Frage wird wiederholt.

 

BF: Es gibt viele Leute dort, die keine Hilfe der Polizei bekommen haben. Die Polizei hilft nur denen, die an die Polizei Geld gezahlt haben.

 

Wenn man zB einen Führerschein haben will, muss man 10.000 Schmiergeld zahlen. Sonst bekommt man ihn nicht.

 

RV: Wurde Ihre Familie nachdem Sie ausgereist sind, ebenfalls bedroht?

 

BF: Ja. Direkt nicht, aber die Familie hat mitbekommen, dass diese Band uns sucht. Mit "uns" meine ich mich und meinen Bruder XXXX . Das ist beides sein Vorname.

 

RV: Gibt es noch andere Probleme, die Sie hätten, wenn Sie nach Kabul zurückkehren müssten?

 

BF doÜ: Die Sicherheitslage hat sich drastisch verschlechtert. Fast täglich Selbstmordattentate. Das ist das größte Problem.

 

R: Meinen Sie damit das ist Ihr "größtes Problem"?

 

BF: Mein Problem ist das oben Geschilderte. Ich meine die Sicherheitslage ist zusätzlich ein Problem.

 

RV: Wissen Sie oder haben Sie gehört, wie es Menschen geht, die keine Familie haben in Afghanistan und zurück müssen?

 

BF: Das kann man nicht mehr "ein Leben" nennen.

 

R. Wem in Afghanistan würden Sie erzählen, dass Sie wieder da sind, wenn Sie zurück nach

 

Afghanistan müssten? Wem würden Sie sagen "Hallo ich bin wieder da! Das ist meine Adresse"

 

BF: Ich gehe nicht zurück.

 

R: Das war nicht die Frage. Beantworten Sie die Frage.

 

BF: Ich gehe nicht zurück, wenn ich zurückkehren muss komme ich ums Leben. Ich habe hier Freunde gefunden.

 

R: Es geht um das AsylG. Das gibt genau vor, was ist ein Asylgrund, was nicht. Deshalb sprechen Sie hier. Es steht eine Rückkehrentscheidung im Raum.

 

R. Wem in Afghanistan würden Sie also erzählen, dass Sie wieder da sind, wenn Sie zurück nach Afghanistan müssten?

 

BF: Ich habe niemanden dort. Wen soll ich davon informieren?

 

R: Also würden Sie niemandem dort sagen, dass sie wieder in Afghanistan sind?

 

BF: Ich habe dort keine Familie oder Freunde, die mich unterstützen könnten oder die ich informieren sollte.

 

R: Kennen Sie Menschen aus Afghanistan, die in Österreich waren und zurückgekehrt sind nach Afghanistan?

 

BF: Ich habe solche bei Youtube gesehen, aber persönlich nicht.

 

R: Was machen die auf Youtube?

 

BF: Ich habe gesehen, dass jemand zurück gegangen ist nach Afghanistan und sich das Leben nahm.

 

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

 

BF: Nein.

 

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

 

BF: Nein.

 

R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig? BF: Nein

 

R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft?

 

BF: Nein.

 

R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden Sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht?

 

BF: Nein. Wenn ich nicht will, dass mir jemand schadet, warum soll ich jemandem schaden?

 

R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht? BF: Nein. Mit der Polizei nur insofern, dass sie mir bei dem oben geschilderten Vorfall nicht geholfen haben.

 

R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

 

BF: Nein.

 

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?

 

BF: Nein. Die Bewohner von Kabul sind die besten Bewohner von ganz Afghanistan.

 

Waren Sie schon einmal in Herat oder Mazar-e Sharif?

 

BF doÜ: In Mazar-e Sharif schon. In Herat nicht. Wir haben in Mazar-e Sharif jedes Jahr ein Fest (Pilgerfest). Ich war manchmal dort, es braucht nämlich viel Zeit. Ich kenne in Mazar-e Sharif einen Verwandten, weitschichtig verwandt. Er heißt XXXX . Er lebt noch, aber vielleicht ist er ganz alt geworden, ich weiß nicht genau, vielleicht 70 der 78.

 

Ich will nicht dorthin gehen. Mit "dorthin" meine ich Mazar-e Sharif.

 

R: Das war nicht die Frage.

 

BF: Er mag mich nicht.

 

R: Wen meinen Sie damit?

 

BF: XXXX .

 

R: Warum mag er Sie nicht?

 

BF [macht eine abschätzende Mundbewegung]: Wenn er nicht mein Freund ist und wir uns nicht treffen, warum soll er mich mögen?

 

R: Haben Sie mit ihm in Afghanistan zu tun gehabt?

 

BF: Ich war damals klein, ich erinnere mich nicht.

 

R: Was ist er zu Ihnen?

 

BF: Er ist ein älterer Mensch. Deshalb sagen wir zu ihm "Onkel".

 

R: Was ist er wirklich zu Ihnen?

 

BF: Keine Verwandtschaft, ich weiß es nicht. Wir sagen zu ihm Onkel. Vielleicht von der mütterlichen Seite, vielleicht von der väterlichen Seite.

 

R: Als Sie auf Pilgerreise waren, haben Sie den XXXX besucht? BF:

Nein.

 

R: Wo haben Sie dann gewohnt?

 

BF: Man kann in einem Hotel bleiben für eine Nacht oder zwei Nächte. Es war ein Hotel, den Namen weiß ich nicht. Ein großes Gebäude.

 

R: Warum ist Ihnen XXXX erinnerlich?

 

BF: Sie haben gefragt.

 

R: Ich habe Sie heute zu Beginn gefragt: "In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre, Onkel, Tanten und wie heißen die?" Warum haben Sie XXXX da nicht erwähnt? BF: Sie haben über Verwandtschaft und Familie gefragt, aber der ist kein Verwandter. Der ist weitschichtig.

 

R: Sie haben 12 Jahre Gymnasium besucht. Sie können unmöglich den Verwandtschaftsgrad nicht wissen.

 

BF doÜ: Wenn eine Sache jemandem nicht wichtig, wie kann er das dann wissen.

 

Ist in Afghanistan irgendeinmal irgendein Mensch zu Ihnen gekommen und hat sie bedroht oder verfolgt?

 

BF: Nein.

 

R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten? BF: Ich habe Angst vor den Männern, die uns angegriffen haben. Sie werden mich 100%ig finden.

 

R: Haben Sie heute alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht? BF: Ja.

 

R: Haben Sie den D heute immer gut verstanden?

 

BF doÜ: Ja ich habe alles verstanden.

 

D lobt die Deutschkenntnisse des BF.

 

BF: Man muss immer Kontakt haben. Man muss sprechen."

 

8. Vorgelegt wurden folgende Unterlagen:

 

* Unterstützungserklärung der Familie XXXX

 

* Unterstützungserklärung des XXXX

 

* Arbeitsbestätigung über ehrenamtliche Mitarbeit der XXXX

 

* Empfehlungsschreiben der XXXX

 

* Unterstützungserklärung des Fußballklubs ASV XXXX

 

* Unterstützungserklärung des XXXX

 

* Fotos über freiwillige Arbeit des BF am Friedhof

 

* Fotos über einen Wanderausflug auf den Schneeberg/Rax

 

* Email des Boutiquehotel XXXX vom 24.7.2018

 

9. Mit Email vom 13.7.2018 wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

 

* ÖSD-Zertifikate A1 bis B2

 

* Deutschkursbestätigungen

 

* Bestätigungen über Pflichtschulabschlusskurs

 

* Sozialberichte der Caritas

 

* Empfehlungsschreiben

 

* Fotographien

 

* Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten

 

* Bewilligung über Übungsfahrten für den Führerschein B

 

10. Die Rechtsvertretung gab in der Verhandlung des Bruders am 30.8.2018 eine schriftliche Stellungnahme vom 27.8.2018 ab, worin zur Blutrache ausgeführt wird, zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage, ein Fehlen sozialer / familiärer Anknüpfungspunkte vorgebracht wird, auf das Gutachten Stahlmann vom 28.3.2018 eingegangen wird und ein Kalenderblatt mit Anschlägen in Kabul mitgesendet wird. Darin wird handschriftlich nach der Einvernahme des XXXX von der Rechtsvertreterin anstelle "Regierungstätigkeit des Neffen von XXXX " "Regierungstätigkeit von Abdul Raol XXXX , dessen Neffe Anführer der Gruppe ist" ersetzt und durch handschriftliche Ergänzung im Schriftsatz behauptet, der BF wäre Blutrache ausgesetzt bzw gehöre der "Sozialen Gruppe der Personen, welche durch die Gruppierung des Neffen von XXXX verfolgt werden", an. Handschriftlich wurde auch im Satz auf Seite 5 des Schriftsatzes "... dass auch bereits ein Nachbar der Beschwerdeführer durch die Gruppierung getötet wurde" ersetzt, sodass der Satz nun lautet: "... dass auch bereits der Sohn eines Nachbarn der Beschwerdeführer durch die Gruppierung getötet wurde".

 

11. Mit Email vom 12.9.2018 langten Unterlagen des BF ein, nämlich:

 

* Email der Firma Fuß&Schuh XXXX betreffend Schnuppertag

 

12. Mit Email vom 22.11.2018 langten Unterlagen des BF ein, nämlich:

 

* Zeugnis über die Abschlusssprüfung aus Berufsorientierung vom 19.9.2018

 

* Fotos über die Ausbildung und Alltagsgestaltung

 

13. Mit Email vom 17.1.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

 

* Bestätigung der VHS über Pflichtschulabschluss

 

14. Mit Email vom 7.6.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

 

* Fotos der Zeugnisüberreichung des Pflichtschulabschlusses

 

* Zeugnis des Pflichtschulabschlusses

 

* Vereinbarung mit der Gemeinde XXXX über freiwillige Arbeit

 

15. Mit Email vom 7.6.2019 langten weitere Unterlagen des BF ein, nämlich:

 

* Empfehlungsschreiben der XXXX

 

* ZMR-Auszüge

 

* Sozialversicherungsauszug

 

* Zeitungsartikel über den Pflichtschulabschluss

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente, aufgrund der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte der belangten Behörde, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

 

1.1. Feststellungen zum BF und zu den Fluchtgründen:

 

1.1.1. Der BF ist afghanischer Staatangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung. Der BF stammt aus Kabul in Afghanistan. Er ist am XXXX geboren.

 

1.1.2. Der BF ist verheiratet und Vater eines Kindes. Diese sind bei den Eltern des BF aufhaltig. Die Eltern und zwei Schwestern des BF leben im Iran. Der BF verfügt über einen Bruder und eine Cousine in Österreich.

 

1.1.3. Seine Muttersprache ist Dari und er hat in Afghanistan Schulbildung im Umfang unbekannten Ausmaßes erreicht. In Afghanistan konnte der BF Berufserfahrung als Taxifahrer erlangen. Der BF ist in Österreich ehrenamtlich tätig und besucht kann auf einen in Österreich erlangten Pflichtschulabschluss verweisen.

 

1.1.4. Er reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im November 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1.5. Der BF leidet an keinen Krankheiten.

 

1.1.6. Der BF spricht deutsch.

 

1.1.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten.

 

1.1.8. Dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat Afghanistan gedroht hat bzw nach seiner Rückkehr droht, kann nicht festgestellt werden.

 

1.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret dem BF als Angehöriger seiner Volksgruppe sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des BF sowie der Glaubensrichtung des BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

1.1.10. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret der BF aufgrund der Tatsache, dass sich zuletzt in Europa aufgehalten hat, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

1.1.11. Dem BF droht im Falle der Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.

 

1.2. Feststellungen zur Rückkehrmöglichkeit des BF:

 

1.2.1. Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

 

Die Herkunftsprovinz des BF ist Kabul. In Anbetracht der UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 ist die Hauptstadt Kabul als Ort für die Wiederansiedelung außer Acht zu lassen. Aus den letzten KI (Kurzinformationen) zur Aktualisierung des Länderberichts vom 4.6.2019 und 26.3.2019 kommt hervor: Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

 

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019).

 

Im Falle der Rückkehr dorthin droht dem BF ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.

 

1.2.2. Der BF kann sich in Afghanistan in Balkh in Mazar-e Sharif ansiedeln.

 

Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.

 

1.2.3. Der BF kann sich bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.

 

Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass der BF Herat von Österreich aus gefahrlos über den Fluchtweg erreichen kann.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsort Kabul oder in die Fluchtalternativen Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine für ihn als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Fall einer Rückkehr kann damit nicht festgestellt werden.

 

1.3. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

 

(basierend auf dem Länderbericht der Staatendokumentation sowie auf den

 

untenstehend angeführten weiteren Quellen):

 

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 29.06.2018 Fassung der Aktualisierung idF 4.6.2019:

 

Der Inhalt dieser Kurzinformation wurde mit 4.6.2019 in das LIB Afghanistan übernommen (Relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage).

 

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM

 

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

 

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

 

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

 

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

 

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

 

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

 

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

 

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

 

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

 

Anschläge in Kabul-Stadt

 

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

 

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

 

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

 

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

 

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

 

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

 

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

 

[...]

 

Rückkehr

 

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

 

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl

 

Anschläge in Kabul-Stadt

 

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

 

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

 

Überflutungen und Dürre

 

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

 

Friedensgespräche

 

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

 

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

 

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

 

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

 

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan

 

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

 

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

 

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

 

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

 

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

 

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

[...]

 

Zivile Opfer

 

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

 

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

 

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

 

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

 

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban

 

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

 

[...]

 

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

 

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

 

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

 

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans.

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan. im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman. an Nangarhar im Südosten. an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar. Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen. Tadschiken. Hazara. Usbeken. Turkmenen. Belutschen. Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an. dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten. Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

 

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

 

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

 

Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage:

 

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Herat:

 

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat:

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

 

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018). ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region.

 

Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 4.3.2018).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018). Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen in Balkh

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Ethische Minderheiten:

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

 

Tadschiken

 

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln. namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien. etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel käboli (aus Kabul). heräti (aus Herat). mazäri (aus Mazar-e Scharif). panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name täjik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Der Hauptführer der "Nordallianz". einer politisch-militärischen Koalition. ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung. sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike. da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud. war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).

 

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Auszug aus dem Staatendossier AfPAK Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur

 

Tadschiken

 

In historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Das konnte ihr Siedlungsgebiet oder ihre Herkunftsregion sein. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pandschscher) oder badakhshi (aus Badachschan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Dann bezeichnete der Name tajik (Tadschike) sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Analog standen die Namen aymaq und elat für persischsprachige halbnomadische Stammesgruppen, ebenfalls sunnitischer Konfession. Persischsprecher konnten auch nach ihrer ethnischen Herkunft zusammengefasst und bezeichnet werden, zum Beispiel als hazara, arab (Araber) oder baloch (siehe unten). Diese Namen sind mit den beschriebenen Bedeutungen heute noch üblich. Das Dari-Persische ist ein Merkmal, das alle diese und andere Gruppen vereint. Trotzdem gab es keinen übergreifenden Namen, mit dem all diese Gruppen nach dem Kriterium der Sprache zusammengefasst worden wären. Das Wort parsiwan ‚Persischsprecher', das noch vor 20 oder 30 Jahren viel häufiger zu hören war als heute, könnte als ein solcher übergreifender Gruppenname angesehen werden. Tatsächlich wurde dieser Name aber nie auf alle Sprecher des Dari-Persischen angewandt. Heute wird der Terminus tajik ‚Tadschike' als eine Kategorie offeriert, unter der fast alle Dari/Persisch-Sprecher Afghanistans zusammengefasst werden. Vor dem Bürgerkrieg wurde dieser Name als Selbstbezeichnung fast nur von Dari-Sprechern in einigen Berggegenden in Nordost-Afghanistan verwendet. Heute benutzen ihn als Selbstbezeichnung auch Dari-Sprecher in Kabul, Mazar-i Scharif oder Ghazni. Mehr noch: Staatliche Behörden verwenden den Name Tadschike in Bezug auf Dari-Sprecher auch in vielen anderen Gegenden. Nur die Dari-sprachigen Bewohner von Herat scheinen noch einige Schwierigkeiten zu haben, sich selbst als Tadschiken anzusehen; aber wenn es darum geht, ihre ethnische Zugehörigkeit in offiziellen Dokumenten festzulegen wie zum Beispiel bei der Beantragung eines Personalausweises, dann lassen sie sich doch darauf ein, als Tadschike zu gelten. Schließlich kennt die verfassungsgemäße Nomenklatur der ethnischen Gruppen keinen Eintrag herati. Gleichermaßen werden andere Dari-sprachige Gruppen wie Aymaq, Araber oder Dari-sprachige Belutschen in Nord-Afghanistan, ja sogar die Sprecher von Pamirsprachen in der Provinz Badachschan heutzutage offiziell oft als Tadschiken registriert. In den ethnisch dominierten politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart erscheint eine Gruppe offensichtlich politisch umso einflussreicher, je mehr Angehörige sie aufweisen kann. Deshalb erfährt die ethnische Bezeichnung Tadschike heute eine politische Favorisierung. Wegen der politisch motivierten Inklusion vieler anderer Gruppen lassen sich die Tadschiken als eine ethnische Gruppe in Status Nascendi ansehen. Es scheint, dass die schiitischen Hazara die einzige Dari-sprachige Gruppe darstellen, auf die der Name Tadschike nicht anwendbar ist.

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

 

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5 .2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5 .2018).

 

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

 

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9 .2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

 

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

Sicherheitsbehörden

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

 

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF:

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).

 

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

 

Reformen der ANDSF:

 

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).

 

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung (SIGAR 30.4.2018a; vgl. NATO 21.7.2017).

 

Geheimdienstliche Tätigkeiten:

 

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus (USDOD 6.2017). Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach (USDOD 6.2017). Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 20.4.2018). Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANA- und ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich (TD 24.7.2017).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP):

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).

 

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).

 

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).

 

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA):

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte (USDOD 6.2017). Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 20.4.2018).

 

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen (SIGAR 30.4.2018b). Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% (SIGAR 30.4.2018a).

 

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen (RSIS 1.6.2007; vgl. JCISFA 3.2011). Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (JCISFA 3.2011).

 

Resolute Support Mission (RS):

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekräter Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll (NATO o.D.). Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes usw. (SIGAR 30.4.2018a).

 

Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO o.D.). Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AJ 16.5.2018). Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF (TD 24.7.2017).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs) (UN GASC 27.2.2018). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen (IOM/DTM 26.3.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya (IOM 8.5.2018; vgl. IOM/DTM 26.3.2018). Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (USAID 30.4.2018).

 

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 20.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (UN OCHA 12.2017).

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5 .2018).

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden (USDOS 20.4.2018).

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.4.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018, UN OCHA 21.1.2018).

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an (UN OCHA 27.5.2018; vgl. UN OCHA 20.5.2018).

 

Flüchtlinge in Afghanistan:

 

Die afghanischen Gesetze sehen keine Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor und es existiert kein staatliches System zum Schutz von Flüchtlingen aus anderen Ländern (USDOS 20.4.2018).

 

In Afghanistan leben pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Waziristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind.

 

42.262 dieser Flüchtlinge sind in der Provinz Khost registriert: Das Gulan-Flüchtlingslager in Khost beherbergt 13.167 pakistanische Flüchtlinge und der Rest lebt in anderen Distrikten der Provinz Khost. In der Provinz Paktika wurden 2016 35.949 pakistanische Flüchtlinge registriert (UNHCR 4.2018; vgl. UNHCR 6.6.2018). In den Provinzen Khost und Paktika wurden ca. 76.925 pakistanische Flüchtlinge aus Nord-Waziristan registriert und verifiziert. In den urbanen Zentren leben ungefähr 505 Asylwerber, die auf die Verabschiedung eines Asylgesetzes warten. Ihre lokale Integration ist aus rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und anderen Gründen derzeit unmöglich; auch bleiben die Umsiedlungsmöglichkeiten eingeschränkt (UNHCR 4.2018).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

 

Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit, sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5 .2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5 .2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).

 

Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von "Alter im Jahr der Beantragung", z. B. "17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 5 .2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5 .2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).

 

Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).

 

Internationale Flughäfen in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Internationaler Flughafen Herat

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet. die nach Afghanistan zurückgekehrt sind. nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen. die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben. als auch nicht-registrierte Personen. die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind. sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015. um 24% erhöht. und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz. die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig. als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA Staatendokumentation; vgl. AAN 19.5.2017). Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA

 

Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten (BFA Staatendokumentation 4.2018; IOM 6.2012). Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 18.4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM- Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung (BFA Staatendokumentation; vgl. IOM 25.1.2018). In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM Belgium o. D.). IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 25.1.2018). ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IRARA o. D., IOM 25.1.2018). AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. FB o.D.). Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an (BFA Staatendokumentation 4.2018). Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein.

Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt (BFA Staatendokumentation 4.2018). Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl UNHCR 13.12.2017).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) - alle Leistungen sind kostenfrei (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Info Migrants 2.1.2018). Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018). Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Landinfo 19.9.2017). Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Afghanische Flüchtlinge in Pakistan

 

Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis wurden der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan) bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghan/innen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).

 

Risikogruppen

 

UNHCR-"Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016" - zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016:

 

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

 

Auszug aus einer Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016:

 

Die vom UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan (Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016) besagen:

 

Quelle:

 

 

http://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/04/AFG_042016.pdf

 

Wie von UNHCR in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 festgestellt, ist es erforderlich, dass die internationalen Schutzbedürfnisse afghanischer Asylsuchender auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Antragstellers geprüft werden und bei der Innerstaatlichen Fluchtalternative ist in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung erforderlich. Eine innerstaatliche Fluchtalternative muss laut UNHCR für jeden einzelnen Antragsteller relevant und zumutbar sein. Bei der Relevanzprüfung handelt es sich um eine grundlegende Bewertung der Urheberschaft des Schadens und der Feststellung zur Frage, ob im Neuansiedlungsgebiet das Risiko fortbesteht.

 

Die Prüfung, ob eine interne Schutzalternative gegeben ist, erfordert eine Prüfung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative. Eine interne Schutzalternative ist nur dann relevant, wenn das für diesen Zweck vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und legal erreichbar ist, und wenn die betreffende Person in diesem Gebiet nicht einem weiteren Risiko von Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ausgesetzt ist. Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

Wenn Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die vom Staat oder seinen Akteuren ausgeht, so gilt die Vermutung, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative für Gebiete unter staatlicher Kontrolle nicht relevant ist. Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen.

 

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.

 

Bei Personen wie Frauen und Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben, und Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten, die aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen mit Verfolgungshandlungscharakter Schaden befürchten, muss die Unterstützung derartiger Bräuche und Normen durch große Teile der Gesellschaft und durch mächtige konservative Elemente auf allen Ebenen des Staates als Faktor berücksichtigt werden, der der Relevanz einer internen Schutzalternative entgegensteht.

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden.

 

Insbesondere die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, stellen relevante Erwägungen dar, welche bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

 

Auszug aus den UNHCR-RICHTLINIEN ZUR BEURTEILUNG DES INTERNEN SCHUTZBEDARFS VON ASYLSUCHENDEN AUS AFGHANISTAN vom 30.08.2018

 

Seite 110

 

Against this background, UNHCR considers that a proposed IFA/IRA is reasonable only where the individual has access to (i) shelter, (ii) essential services such as sanitation, health care and education; and (iii) livelihood opportunities or proven and sustainable support to enable access to an adequate standard of living. Moreover, UNHCR considers an IFA/IRA as reasonable only where the individual has access to a support network of members of his or her (extended) family or members of his or her larger ethnic community in the area of prospective relocation, who have been assessed to be willing and able to provide genuine support to the applicant in practice.

 

UNHCR considers that the only exception to the requirement of external support are single ablebodied men and married couples of working age without identified specific vulnerabilities as described above. In certain circumstances, such persons may be able to subsist without family and community support in urban and semi-urban areas that have the necessary infrastructure and livelihood opportunities to meet the basic necessities of life and that are under effective Government control.

 

Übersetzung:

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Ansicht, dass eine vorgeschlagene IFA / IRA nur sinnvoll ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkünften, (ii) grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung hat; und (iii) Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder bewährte und nachhaltige Unterstützung, um Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Darüber hinaus hält UNHCR eine IFA / IRA nur für sinnvoll, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im Bereich der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

 

UNHCR ist der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, die keine spezifischen Schwachstellen wie oben beschrieben aufweisen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügen, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken, und die einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegen.

 

...

 

Seite 114

 

c) Conclusion on the Availability of an IFA/IRA in Kabul

 

UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an IFA/IRA is generally not available in the city.

 

c) Schlussfolgerung zur Verfügbarkeit einer IFA / IRA in Kabul

 

UNHCR ist der Ansicht, dass angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation in Kabul eine IFA / IRA in der Stadt in der Regel nicht verfügbar ist.

 

Zur Dürre:

 

Auszug und Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018 (im Folgenden "ABSD Dürre"), und der Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanistan, Folge von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 - im Folgenden "Accord Dürre":

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (ABSD Dürre, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Accord Dürre S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (ABSD Dürre, S. 11).

 

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Accord Dürre, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Accord Dürre, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Accord Dürre, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Accord Dürre, S. 17ff).

 

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Accord Dürre, S. 15f).

 

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Diese leben am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (ABSD Dürre, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Accord Dürre, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Accord Dürre, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (ABSD Dürre, S. 10).

 

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (ABSD Dürre, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Accord Dürre, S. 3; ABSD Dürre, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (ABSD Dürre, S. 1).

 

Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31:

 

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag.

 

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden.

 

Auszug von Länderinformationen aus EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 (im Folgenden "EASO Leitlinien 2018"):

 

Zur Erreichbarkeit von Mazar-e-Sharif (Seite 102-103): Der Flughafen von Mazar-e-Sharif liegt 9 Km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Straßen zwischen dem Flughafen und der Stadt gelten als während des Tages generell als sicher. Es bestehen keine rechtlichen oder verwaltungstechnischen Hindernisse für die Reise innerhalb von Afghanistan, dies umfasst auch die Stadt Mazar-e-Sharif. Es bestehen keine Hindernisse oder Erfordernisse für die Zulassung von afghanischen Staatsbürgern in irgendeinem Teil des Landes, dies umfasst auch die Stadt Mazar-e-Sharif.

 

Zur allgemeinen Lage in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif und Kabul (Seiten 104 bis 105):

 

 

 

 

 

 

Auszug aus dem Dossier der Staatendokumentation

 

"AfPak Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur" (7.2016):

 

Das Paschtunwali ist ein gesellschaftlicher, kultureller und gesetzesähnliche Kodex, der die Lebensführung, den Charakter und die Ordnung der Paschtunen Größtenteils regelt, leitet und ausgleicht. Als Paschtunwali wird das Gewohnheitsrecht bezeichnet, das die geistige Lebenseinstellung, die allen Paschtunen gemeinsam ist, widerspiegelt und für die Paschtunen schon seit grauer Vorzeit gilt. Auch wenn das Paschtunwali nicht das staatliche Recht darstellt, behandelt es alle Sitten, Traditionen, das gesamte Erbe, Gewohnheitsrecht, Brauchtum und die gesellschaftlichen Beziehungen und bildet so das System der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen des Stammes vollständig ab.

 

Somit ist es im täglichen Leben allen immer präsent. Das Paschtunwali gilt für jeden, der in einem Siedlungsgebiet der Paschtunen lebt.

 

Ein wesentlicher Kodex des Paschtunwali ist Melmastiya (Gastfreundschaft): Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Paschtunwali. Melmastiya bedeutet allen Besuchern Gastfreundschaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zum BF und zu seinen Fluchtgründen gründen auf Folgendem:

 

2.1. Die unter II.1.1.1. getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers basieren auf seinen über das gesamte Verfahren gleichbleibend erstatteten Angaben.

 

2.2. Die unter II.1.1.2. getroffene Feststellung zum Familienstand, zur Vaterschaft und zur Verwandtschaft fußt auf seinen über das Verfahren gleichbleibend gemachten Angaben. Die Feststellung zum in Österreich aufhaltigen Bruder gründet darauf, dass dessen Beschwerdeverfahren ebenso in der Gerichtsabteilung W264 behandelt wurde.

 

2.3. Die unter II.1.1.3. getroffene Feststellung zu seiner Muttersprache fußt darauf, dass der BF diese vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Verständigung nutzte. Die Feststellung zur Schulbildung und zur Berufserfahrung war zu treffen, da der BF dahingehend über das gesamte Verfahren gleichbleibende Angaben machte. Das Ausmaß des Umfangs seiner in Afghanistan erlangten Schulbildung kann in Ermangelung von in Afghanistan ausgestellten Schulbesuchsbestätigungen und / oder Schulzeugnissen nicht festgestellt werden. Die Feststellung zur in Österreich erlangten Schulbildung und Weiterbildung gründet auf den vorgelegten Beweismitteln.

 

2.4. Die unter II.1.1.4. getroffene Feststellung basiert auf dem Inhalt des vorgelegten Fremdaktes.

 

2.5. Die unter II.1.1.5. getroffene Feststellung zum Gesundheitszustand basiert auf seiner Angabe vor dem Bundesverwaltungsgericht "nein, ganz gesund" und wurden nach der Verhandlung anderslautende Beweismittel nicht vorgelegt.

 

2.6. Die unter II.1.1.6. getroffene Feststellung zu den Deutschkenntnissen des BF gründet auf den vorgelegten Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen und konnte sich der BF in der Verhandlung in deutscher Sprache sehr gut verständigen.

 

2.7. Die unter II.1.1.7. getroffene Feststellung fußt auf der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

 

2.8. Die unter II.1.1.9. getroffene Feststellung gründet darauf, dass der BF der zweitgrößten Ethnie Afghanistans angehört und sich zum sunnitischen Glauben bekennt. Im Herkunftsstaat des BF bekennen sich etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung zum laut Verfassung als Staatsreligion geltenden Islam. Von den 99,7% der muslimischen Afghanen sind zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Die Feststellung war zu treffen, da Anderslautendes weder aus dem Länderbericht der Staatendokumentation, noch aus den Dokumenten des UNHCR, noch aus den notorischen Amtswissen ableitbar ist und auch die Höchstgerichte nicht anderslautend judizieren.

 

2.9. Die unter II.1.1.10. getroffene Feststellung fußt darauf, dass Anderslautendes weder dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation, noch aus den Dokumenten des UNHCR, noch der höchstgerichtlichen Judikatur zu entnehmen ist. Es ist auch aus dem notorischen Amtswissen nicht ableitbar, dass alleine ein Aufenthalt in Europa bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde (vgl. hierzu auch die Ausführungen im Erkenntnis des BVwG vom 7.11.2016, W169 2007031-1, Pkt. I.8.); die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

2.10. Die unter II.1.1.11. getroffene Feststellung gründet auf folgenden Erwägungen: Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat geboren, lebte sein gesamtes bisheriges Leben in Afghanistan und ist zumindest einer dort von der Verfassung anerkannten Sprachen (Dari) mächtig. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, welche nach den Paschtunen die zweitgrößte Ethnie sind. Der BF wurde in Afghanistan sozialisiert, geschult und kann nunmehr auch auf Deutschkenntnisse verweisen. Er hat bloß seit November 2016 Zeit in einem westlichen Land verbracht.

 

Dem BF droht nicht eine Verfolgungsgefahr aufgrund westlicher Gesinnung (westernized man): Soweit man eine Veränderung als "Verwestlichung" werten kann, ist anzuführen, dass aus weder aus den Länderberichten, noch aus den notorischen Amtswissen ableitbar ist, dass alleine ein Aufenthalt in Europa und eine westliche Geisteshaltung bei Männern bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würden (vgl. hierzu auch die Ausführungen in BVwG 7.11.2016, W169 2007031-1, Pkt. I.8.); die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Zudem hat er selbst nicht vorgebracht, dass er deswegen verfolgt werden würde. Diese Einzelfallprüfung ergab somit, dass der BF nicht etwa als westernized man im Falle einer Rückführung in Afghanistan verfolgt wird.

 

2.11. Die unter II.1.2.1. getroffene Feststellung zur Herkunftsprovinz gründet auf der über das gesamte Verfahren gleichbleibend erstatteten Angabe des BF. Die Feststellung zu der Provinz an sich gründet auf dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation und ist im Hinblick auf die Angaben darin dem BF eine Rückkehr dorthin im aktuellen Zeitpunkt nicht zumutbar.

 

2.12. Die unter II.1.2.2. getroffene Feststellung zur innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und zu deren Erreichbarkeit gründet auf dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation.

 

2.13. Die unter II.1.2.2. und II.1.2.3. getroffenen Feststellungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative Herat und zu deren Erreichbarkeit über den jeweils vorhandenen Internationalen Flughafen gründet auf dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation.

 

2.14. Die von Österreich aus über den Luftweg gefahrlos erreichbaren Orte Mazar-e Sharif oder Herat wären dem BF als innerstaatliche Fluchtalternative aus folgenden Gründen zumutbar: Die Ehefrau und das Kind des BF sind laut Angabe des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht bei den Eltern des BF und sind die Eltern laut seinen Angaben im Iran - was auch der Bruder des BF ( XXXX ) vorbrachte -, sodass diese beiden von den Eltern des BF Unterkunft und Verpflegung erhalten. Somit wird der BF nach seiner Rückkehr nicht für diese beide sorgen müssen. Dass er von Österreich aus für seine Ehefrau und das Kind gesorgt hätte, brachte der BF im Verfahren nicht vor. Damit ist der männliche BF als alleinstehender gesunder junger Mann ohne Sorgepflichten anzusehen, welcher sein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen durch Zurückgreifen auf seine Bildung und auf seine in Afghanistan erworbene Berufserfahrung, sichern kann.

 

Dass der BF nicht auch weitere Angehörige seiner Verwandtschaft in Afghanistan aufweist, kann nicht ausgeschlossen werden. Dies ist auf die Quellen des Länderberichts zurückzuführen: diesen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Für den Fall, dass der BF bei der Wiederansiedelung keine Unterstützung durch in Afghanistan vorhandene weitere Angehörige seiner Verwandtschaft erhält, ist zu sagen, dass er allenfalls auf die Unterstützung der Mitglieder seiner Volksgruppe und / oder seiner Religionsgemeinschaft zurückgreifen kann. Aus dem Umstand, dass im Gebiet der innerstaatliche Fluchtalternative Mitglieder derselben Volksgruppe leben, kann nicht für sich genommen geschlossen werden, dass die betroffene Person von einer Unterstützung dieser Gemeinschaft profitieren könnte. Vielmehr setzt eine solche Unterstützung voraus, dass die betroffene Person bereits über zuvor bestehende Beziehungen zu einzelnen Mitgliedern dieser Gemeinschaft verfügt.

 

Unter Hinweis auf den "Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31" ist festzuhalten, dass derzeit der Zugang zum Arbeitsmarkt in Afghanistan angespannt und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig, ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird.

 

Die einzige Ausnahme vom sohin generell gültigen Grundsatz, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur dort angenommen werden kann, wo die betroffenen Personen Zugang zu einem unterstützungsfähigen und -willigen Netzwerk verfügen, stellen laut UNHCR alleinstehende Männer im arbeitsfähigen Alter - ein solcher ist der BF - dar, bei denen keine besonderen Vulnerabilitäten (Alter, Geschlecht, Gesundheit, Behinderungen, Familien- und Beziehungssituation) festgestellt werden konnten. Nur unter bestimmten Umständen könnten diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten, die über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügen, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken, und die der staatlichen Kontrolle unterliegen, leben (vgl UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S. 110). Der im Jänner XXXX geborene männliche BF ist im erwerbsfähigen Alter, leidet nicht an einer Krankheit und ist ohne Sorgepflichten. Er weist keine besondere Vulnerabilität auf. Es ist im gegenständlichen Fall im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich ist, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (VwGH vom 23.1.2018 2018/18/0001; VwGH vom 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; VwGH vom 8.9.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Unter Hinweis auf den EASO-Bericht "Country Guidance Afghanistan" aus Juni 2018 ist zu sagen, dass auch dem nach alleinstehende Männer in den größeren Städten in der Regel zumutbare und vernünftige Fluchtalternativen vorfinden (S. 30, 106). Die in diesem EASO-Bericht zur innerstaatlichen Fluchtalternative dargetanen Befürchtungen treffen auf den BF nicht zu: er ist in Afghanistan geboren, hat bis zu seiner Ausreise nach Europa in Afghanistan gelebt, verfügt als Tadschike über das Netzwerk der zweitgrößten Ethnie und hat für den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund eine in Afghanistan erlangte Schulbildung sowie eine in Afghanistan erworbene Berufserfahrung.

 

Für den Fall, dass weder allenfalls in Afghanistan befindliche Verwandte, noch die Mitglieder seiner Volksgruppe und / oder seiner Religionsgemeinschaft willens sind, ihm bei der Wiederansiedelung ein Netzwerk zu bilden, so ist zu sagen, dass BF sich auf auch auf die Gastfreundschaft Melmastiya aus dem Paschtunwali berufen wird können. Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Paschtunwali, dem Kodex der Paschtunen. Dem Dossier der Staatendokumentation "AfPak Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur" (7.2016) zufolge bedeutet die Gastfreundschaft des Paschtunwali Melmastiya, allen Besuchern Gastfreundschaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird. Die Paschtunen sind mit 40% der Bevölkerung Afghanistans die Mehrheitsethnie und leben auch in den innerstaatlichen Fluchtalternativen Herat und Mazar-e Sharif, sodass der BF trotz einer von den Paschtunen verschiedenen Volksgruppenzugehörigkeit sich auf die Gastfreundschaft des Paschtunwali berufen wird können.

 

Überdies stehen dem BF die Rückkehrprogramme der Regierung und / oder der vor Ort internationalen Organisationen für die Wiederansiedelung zur Verfügung.

 

Daher wird den BF im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK) drohen. Der BF wird in der Lage sein, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können und nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

Zur Versorgungslage und allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Mazar-e Sharif und Herat ist im Hinblick auf die Länderfeststellungen und unter Berücksichtigung des sonstigen ins Verfahren eingebrachten Berichtsmaterials Folgendes auszuführen:

 

Es wird von der erkennenden Richterin keineswegs verkannt, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist und dass Personen, die sich ohne jegliche familiäre oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte, Fachausbildung oder finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch Dritte in den beiden genannten Städten ansiedeln, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein werden.

 

Allerdings ist aus den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten ableitbar, dass die Stadt Mazar-e Sharif sich wirtschaftlich gut entwickelt. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Auch hinsichtlich Herat ist aus den Länderberichten ableitbar, dass es sich um eine relativ entwickelte Provinz Afghanistans handelt, in der im Harirud-Tal Baumwolle, Obst sowie Ölsaat angebaut werden und in der Safran produziert werden soll, was wiederum zu Arbeitsplätzen führen soll, und dass die Wirtschaftslage vergleichsweise gut ist.

 

Soweit die aktuellen Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 darauf hinweisen, dass die Provinzen Herat und Balkh von Dürre betroffen waren, ist auf die Ausführungen in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre und von ACCORD zu dem Thema "Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif", a-10743, zu verweisen: Darin werden als Folgen der Dürre eine deutlich geringere Getreideernte und Landflucht in Afghanistan genannt, was für die Betroffenen teilweise prekäre Lebensbedingungen zur Folge hat. Allerdings wird auch von zahlreichen internationalen Hilfsprogrammen für die vor der Dürre geflohene Bevölkerung, v.a. in der Provinz Herat, berichtet und schließlich ausgeführt, dass die Getreidepreise trotz geringerer Ernten auf Grund guter Ernten in Pakistan und im Iran im Mai 2018 nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegen würden.

 

Vor diesem Hintergrund wird zwar keineswegs verkannt, dass die Folgen der Dürre in v.a. der Provinz Herat, aber auch in der Provinz Balkh und die damit verbundene "Landflucht" der betroffenen Bevölkerung negative Auswirkungen auf die Versorgungslage in den Städten Mazar-e Sharif und Herat nach sich zieht. In einer Gesamtbetrachtung ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in diesen Städten nicht als zumindest grundlegend gesichert anzusehen wäre.

 

2.15. Die unter II.1.1.8. getroffene Feststellung, dass dem BF eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention in seinem Herkunftsstaat Afghanistan nicht droht, fußt auf Folgendem:

 

Auf Nachfrage verneinte der BF aus Gründen der Religion, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe in Afghanistan verfolgt und / oder bedroht worden zu sein. Er ist laut seinen Angaben in Afghanistan nie in Haft und auch nie bei einer Partei gewesen. Er gab weiters an, dort nie Probleme mit Gerichten, Polizei oder Behörden gehabt zu haben. Er gab an, dass er in Afghanistan nicht vorbestraft ist und auch nicht mit Strafanzeige gesucht wird.

 

In Zusammenschau des vom BF persönlich Vorgetragenen vor dem Bundesverwaltungsgericht mit den Angaben des BF im bisherigen Verfahren ist Folgendes auszuführen:

 

Der BF schilderte vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er gemeinsam mit seinem Bruder in einem Bus "von ein paar Kriminellen gestoppt" worden sei und ihnen Geld abgenommen worden sei. Er sei mit einer Pistole mehrmals im Kopfbereich geschlagen worden und habe daraufhin den Arzt aufgesucht. Dies habe er zur Anzeige gebracht, doch die Polizei habe "die Kriminellen verhaftet", aber gegen Schmiergeld freigelassen (Verhandlungsprotokoll S. 6).

 

Der BF trug dies - farblos - vor und sprach "von Kriminellen", obwohl er von der erkennenden Richterin aufgefordert wurde "Wenn ich Sie nach Personen frage oder Sie von sich aus von Personen erzählen, dann möchte ich, dass Sie mir den Namen dieser Person auch sofort nennen. Haben Sie das verstanden?" und gab er an: "Ja" (Verhandlungsprotokoll S. 4). Dem BF war somit bewusst, dass er Namen nennen sollte, wenn ihm solche bekannt waren. Dennoch sprach er von den Personen des Überfalls von "Kriminellen". Er gab später in der Verhandlung an, diese wären "den Polizisten schon bekannt" gewesen (Verhandlungsprotokoll S. 11) und explizit befragt nach dem Namen der Männer gab er an, dass diese unter "Gruppe von Cousin von XXXX " bekannt wären. Der Cousin von XXXX würde herausfinden, wenn er zurück nach Afghanistan müsste, so der BF (Verhandlungsschrift S. 12) und diese Männer können ihn überall verfolgen (Verhandlungsschrift S. 10). Er gab allerdings auf die Frage, wem er von seiner Rückkehr erzählen würde, an, dass er dort niemanden habe, den er davon informieren sollte (Verhandlungsprotokoll S. 14).

 

Der BF selbst sprach von den Personen des als Fluchtgrund vorgetragenen Überfalls als "Kriminelle" ("dass Sie Kriminelle sind, den Menschen Geld abnehmen, dass sie Diebe sind" und gab er an, bislang nicht gehört zu haben, dass diese bislang schon jemanden getötet hätten; Verhandlungsschrift S. 10).

 

Dass es sich bei diesen Personen um Angehörige von regierungsfeindlichen Kräften - etwa Taliban - gehandelt hätte, brachte der BF weder vor der belangten Behörde ("einige Personen"; Niederschrift des BFA S. 5), noch vor dem Bundesverwaltungsgericht ("Kriminelle") vor. Auch sein um fast neun Jahre jüngerer Bruder XXXX (W264 2167085-1) sprach in dessen Gerichtsverhandlung vor der erkennenden Richterin am 30.8.2018 von "Männern" (Verhandlungsschrift vom 30.8.2018, S. 5) und vor dem BFA bezeichnete er diese in der Niederschrift auf S. 5 als "Diebe".

 

Der BF schilderte die Bekleidung der Personen so, dass sie einen Schal um den Hals trugen, wie in viele in Kabul tragen (Verhandlungsschrift S. 7). Die Konversation mit diesen Personen schilderte er so, dass diese ihn aufforderten "Alles raus. Handy, Geld, alles was Sie dabei haben, rausnehmen" (Verhandlungsschrift S. 7). Die Schilderung des Tathergangs (von Kriminellen gestoppt, Geld weggenommen, mit einer Pistole geschlagen) ist jene eines Raubüberfalls, bei welchem die Täter die Absicht verfolgten, sich eine kriminelle Einnahme zu verschaffen. Diesem Überfall lagen somit kriminelle Motive zu Grunde.

 

Dieser Überfall ist - bei Wahrunterstellung - ein nach dem Strafrecht zu ahnender Tatbestand, jedoch ist dieser nicht asylrelevant. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; VwGH 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.

 

Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist.

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.3.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der VwGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

 

Eine auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung kann keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich entscheidend auch darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (vgl. VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059).

 

Der BF brachte zunächst vor, die Polizei habe ihm im Zuge seiner Anzeigenerstattung gesagt, er solle "mit der Polizei mitmachen, [dass ich] kooperieren [soll], sodass sie diese Leute erwischen können" (Verhandlungsprotokoll S. 6) und später gab er an, die Polizei helfe nur "wenn man Schmiergeld bezahlt" (Verhandlungsprotokoll S. 13). Damit widerlegt sich der BF selbst und ist nicht plausibel, weshalb er sich zunächst nach dem Überfall an die Polizei gewendet hat, wo er doch die Auffassung vertritt, diese helfe nur gegen Schmiergeld.

 

Der BF beschädigte seine Glaubwürdigkeit insbesondere damit, dass er - trotz Aufforderung in Ruhe, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen", nichts weg zu lassen und "ganz konkret und mit Details" zu erzählen, nicht in der freien Erzählung, sondern erst auf gezielte Nachfrage der Rechtsvertreterin angab, dass "diese Leute" nach ihm und seinem Bruder gesucht hätten. Dies gab er an, nachdem ihn die Rechtsvertreterin fragte "wissen diese Leute, dass Sie sie bei der Polizei angezeigt haben?" (Verhandlungsschrift S. 12).

 

Für die erkennende Richterin ist mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht in Einklang zu bringen und daher nicht plausibel, weshalb der BF eine gegen seine Person gerichtete Gefährdung durch ihm nicht wohlgesonnene Menschen (von ihm als "Kriminelle" bezeichnet) in Form von Suche nach dem BF erst auf Nachfrage seiner Rechtsanwältin von sich gibt und nicht bereits Minuten zuvor in der freien Erzählung berichtet. Nachdem er sein Fluchtvorbringen frei erzählte, wurde er seitens der erkennenden Richterin befragt "Denken Sie noch oft an diesen Vorfall zurück?" und gab er an "ja, fast immer. Manchmal, wenn ich dran denken soll, bekomme ich Kopfschmerzen" (Verhandlungsprotokoll S. 9), aber es fiel ihm in diesem Zusammenhang nicht ein, zu berichten, dass ihn diese Personen nach dem Überfall gesucht hätten. Zu bemerken ist an dieser Stelle auch, dass der Bruder des BF ( XXXX ) in seiner Verhandlung am 30.8.2018 eine - bei Wahrunterstellung - von diesen den Überfall ausgeübten Personen nach ihm und seinem Bruder stattgefundene Suche nicht vorbrachte und ist in diesem Zusammenhang auch hinzuweisen, dass das Gericht bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht nur auf den Wortlaut einer Aussage beschränkt ist, sondern ihm frei steht, in dem Zusammenhang auch aus anderen Verfahrensergebnissen und auch aus dem Vorbringen und Handeln der in der Verhandlung auftretenden Personen Rückschlüsse zu ziehen (vgl OGH 24.1.1980, 8Ob528/79). Ein solches "anderes Verfahrensergebnis" ist die oben erwähnte vom Bruder XXXX unterlassene Erwähnung der Suche durch diese Personen, sodass diese unterlassene Erwähnung in Zusammenschau mit den Angaben des BF zu der Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens zu beachten ist.

 

Aus Sicht der erkennenden Richterin hätte sich der BF - bei Wahrunterstellung - spätestens in diesem Befragungszeitpunkt erinnern können, dass "diese Leute" nach ihm gesucht hätten und somit hätte ein gegen ihn persönlich gerichtetes Suchen durch diese Personen ins Gedächtnis zurückkehren müssen.

 

Von einer Person mit einem solchen Schulbildungsgrad wie es der BF von sich angibt (Grundschule von 1996 bis 2008 in Kabul; Niederschrift über die Erstbefragung S. 1) und welche in Österreich einen Pflichtschulabschluss erlangt hat, kann in Zusammenschau damit, dass es sich beim Gesuchtwerden durch Personen - welche man selbst aufgrund eines von diesen herbeigeführten Überfalls als "Kriminelle" bezeichnet - um ein lebenseinschneidenes negatives Szenario handelt (bei Wahrunterstellung) erwartet werden, dass er sich daran erinnert und sich daran nicht erst auf gezieltes Nachfragen der Rechtsanwältin erinnert und bloß einsilbig mit "ja" darauf antwortet und die Rechtsanwältin nachstoßen muss mit der Frage "woher wissen Sie das?" (Verhandlungsprotokoll S. 12).

 

In Zusammenschau damit, dass der BF den Vorfall in freier Erzählung trotz Aufforderung mit Details und konkret auszuführen, sich Zeit zu lassen, nichts weg zu lassen, im Stile einer Inhaltsangabe vortrug und auf konkrete Nachfrage "Möchten Sie mir noch etwas genauer schildern, wie der Vorfall passiert ist?" (Verhandlungsprotokoll S. 9), die Gegenfrage stellte "Was soll ich noch sagen?", ergibt sich, dass der BF sich einer konstruierten Fluchtgeschichte bediente. Er trug emotionslos vor und ließ bei der Erzählung aus, etwa zu berichten, welche Gefühlslage dieser Überfall in ihm hervorrief. Auf die Aufforderung "Denken Sie jetzt zurück, als Sie mit Ihrem Bruder im Bus unterwegs waren. Wie genau war die Anhaltung?" (Verhandlungsprotokoll S. 9), verblieb er beim Stil einer Inhaltsangabe. ("[...] Wir waren dann unterwegs nach Hause. Ich und mein Bruder. Und sie haben uns plötzlich gestoppt. Normalerweise oder fast immer, wenn wir mit dem Bus unterwegs waren, haben wir Musik gehört" (Verhandlungsprotokoll S. 9).

 

Dass er sich einer nicht erlebten Fluchtgeschichte bedient, ergibt sich auch daraus, dass er vor der belangten Behörde am 29.3.2017 berichtete "als ich auf dem Heimweg war, haben einige Personen mir den Weg versperrt. Sie waren bewaffnet mit Messer und anderen Waffen" (Niederschrift des BFA S. 5). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er auf konkrete Frage der Richterin "Wieviele Männer waren es" an, bloß "zwei Personen" gesehen zu haben und mutmaßte "aber vielleicht waren noch zwei Personen in der Nähe, damit sich die von mir gesehenen Personen sicher fühlen" (Verhandlungsprotokoll S. 8). In der freien Erzählung sprach er noch von "ein paar Kriminellen" (Verhanldungsschrift S. 6).

 

Einige" bedeutet eine unbestimmte Anzahl und verwendet man dieses Pronomen um eine Mehrzahl auszudrücken. Die vor dem BFA und in der freien Erzählung vor dem Gericht verwendete Angabe "einige" lässt sich nicht mit seiner späteren auf konkrete Nachfrage gemachten Angabe "zwei Männer" und "vielleicht noch zwei Personen in der Nähe" in Einklang bringen.

 

Dass die vorgetragene Fluchtgeschichte sich im Leben des BF nicht zugetragen hat, ergibt sich auch daraus, dass der BF zwar in der freien Erzählung vorbrachte, mit einer Pistole mehrmals auf den Kopf geschlagen worden zu sein (Verhandlungsschrift S. 6), jedoch in der freien Erzählung gänzlich außen vor ließ, dass er am Anfang Widerstand geleistet habe und das Geld nicht hergeben habe wollen. Dies gab er erst auf die Nachfrage "Warum schlug Sie dieser Mann? Sie haben ihm doch eh das Geld gegeben?" an (Verhandlungsschrift S. 9).

 

Insgesamt ergibt sich, dass der BF einen Überfall überhaupt nicht glaubhaft machen konnte, da er sein Fluchtvorbringen nicht in sich stimmig vortrug und weil er den Eindruck hinterließ, diesen Überfall nicht erlebt zu haben. Sein Fluchtvorbringen ist daher nicht glaubhaft.

 

Zu dem Abstellen auf die allgemeine Lebenserfahrung ist zu sagen, dass es dem Verwaltungsgericht laut Judikatur nicht verwehrt ist, im Rahmen der freien Beweiswürdigung iSd gemäß § 17 VwGVG anzuwendenden § 45 Abs 2 AVG auch die allgemeinen Lebenserfahrungen zu verwerten (VwGH 16.3.1978, 2715/77, 747/78). Im Asylverfahren kommt es (auch) auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze ankommt. Die Bildung von solchen Erfahrungssätzen ist aber nicht nur zu Gunsten des Asylwerbers möglich, sondern können diese auch gegen ein Asylvorbringen sprechen.

 

Zu dem BF ist zu erwähnen, dass es sich beim am XXXX geborenen BF im Zeitpunkt der Erlebnisse in seinem Herkunftsstaat und zum Zeitpunkt der Erstbefragung im November 2015 nicht um einen Minderjährigen handelte, weshalb die Dichte seines Vorbringens mit "normalen" Maßstäben gemessen werden kann (vgl. VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150 mwN).

 

Für die erkennende Richterin ergibt sich nach der Durchführung der Verhandlung, dass der BF sein Fluchtvorbringen auf eine nicht selbst erlebte bzw sich nicht zugetragene Fluchtgeschichte stützt. Das Gericht ist bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht nur auf den Wortlaut einer Aussage beschränkt, sondern steht es dem Gericht frei, in dem Zusammenhang auch aus anderen Verfahrensergebnissen und auch aus dem Vorbringen und Handeln der in der Verhandlung auftretenden Personen Rückschlüsse zu ziehen (vgl OGH 24.1.1980, 8Ob528/79). Er wurde von der Richterin während der Aussage intensiv beobachtet, wobei Gefühlsregungen des BF nicht wahrnehmbar waren und seine Ausdrucksweise und seine Emotionalität in der gesamten Verhandlung gleichbleibend wahrgenommen werden konnten: ob er von seiner Fluchtgeschichte berichtete oder ob er von seinem bisherigen Leben in Österreich berichtete.

 

Es kommt zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zu. Es besteht von Amts wegen nicht die Pflicht, mangelhafte und bereits als objektiv unglaubhaft einzustufende Angaben durch weitere Erhebungen zu überprüfen. Aus oben Dargetanem resultierend kann eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Dieser Überfall - bei Wahrunterstellung - ist aufgrund der Schilderung des BF kriminellen Dritten zuzurechnen und nicht etwas regierungsfeindlichen Kräften. Diesen Dritten wäre es unmöglich, den BF in einer der Fluchtalternativen Mazar-e Sharif oder Herat aufzuspüren, da es in Afghanistan kein Meldewesen gibt und der BF auf Nachfrage angab, nach seiner Rückkehr niemandem davon zu informieren, sodass es auszuschließen ist, dass ihm nicht wohlgesonnene Menschen von seiner Rückkehr erfahren würden. Dass diese Gruppe einer regierungsfeindlichen Gruppe zurechenbar ist und / oder etwa den Taliban, wurde vom BF nicht vorgebracht. Es ist daher auszuschließen, dass der BF im Falle der Rückkehr von den Taliban verfolgt wird und ist auszuschließen, dass der BF der "sozialen Gruppe der Talibangegner, die von dieser Terrorgruppe aktiv gesucht werden" angehört.

 

Infolge dessen, dass die Angaben des BF somit als unglaubhaft einzustufen sind, bedurfte es nicht Erhebungen zur Situation von Personen, denen Taliban eine gegen sie gerichtete Gesinnung unterstellen, um zu erheben, wie es dem BF ergehen wird nach seiner Rückkehr.

 

Mit dem Vorbringen des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht "Die Sicherheitslage hat sich drastisch verschlechtert" (Verhandlungsprotokoll S. 13) führt der BF die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan ins Treffen. Aus dieser lässt sich keine drohende konkret gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgung ableiten. Selbst wenn der BF in seiner Person eine oder mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien (siehe unter II.1.3.) erfüllen würde, führt dies nicht per se zu einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung. Vielmehr erfordern die gegenständlichen UNHCR-Richtlinien eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt eine konkrete auf seine Person bezogene Verfolgung im Verfahren glaubhaft machen konnte.

 

Zum Vorbringen, der BF gehöre zur "Sozialen Gruppe der Personen, welche durch die Gruppierung des Neffen von XXXX verfolgt werden", ist festzuhalten, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht werden konnte. Der Vollständigkeit halber ist zu sagen, dass die Länderberichte zur "sozialen Gruppe" nicht näher ausführen. Die GFK enthält keine Legaldefinition der "sozialen Gruppe" und existiert auch in den - nicht abschließend aufgezählten - Risikoprofilen des UNHCR keine solche und ist laut den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 das Schutzbedürfnis auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung der besonderen Umstände eines Antragstellers zu prüfen. Nach Ansicht des UNHCR ist der Ausdruck "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" nämlich "entwicklungsabhängig zu verstehen, offen für die vielfältigen und sich wandelnden Erscheinungsformen von Gruppen in verschiedenen Gesellschaften und abhängig von den Entwicklungen im Bereich der internationalen Menschenrechtsnormen" (UNHCR Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 2: "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" (2002), Abs 3).

 

Der VwGH judizierte in seiner Entscheidung vom 29.6.2015, Ra 2015/01/0067: "Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (Hinweis auf VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN)."

 

Da der BF zu keinem Zeitpunkt eine konkrete auf seine Person bezogene Verfolgung im Verfahren glaubhaft machen konnte, ist er auch nicht einer "Sozialen Gruppe der Personen, welche durch die Gruppierung des Neffen von XXXX verfolgt werden" zurechenbar und ist daher auch nicht zu befürchten, dass der BF von XXXX / XXXX oder dessen Verwandten (Cousin, Neffen) verfolgt wird.

 

Es kommt im Asylverfahren - um die in einem solchen Verfahren oft schwierigen Beweisfragen zu klären - wie oben bereits erörtert, auch auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze an. Die Bildung von solchen Erfahrungssätzen ist aber nicht nur zu Gunsten des Asylwerbers möglich, sondern sie können auch gegen ein Asylvorbringen sprechen. Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens - niederschriftlichen Einvernahmen - unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

 

Die Negativfeststellung zu einer asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat war mangels Glaubwürdigkeit der vom BF vorgebrachten Fluchtgründe zu treffen.

 

Die getroffene Negativfeststellung basiert auch darauf, dass der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht jeweils verneinte, wegen seiner Volksgruppe und / oder Religionszugehörigkeit in Afghanistan verfolgt worden zu sein. Generell ist dazu auszuführen, dass der zu der zweitgrößten Ethnie zählende BF als Sunnit Angehöriger des von der Verfassung als Staatsreligion vorgesehenen Islam ist. Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind laut Länderbericht Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten - sodass sie zu der größten Glaubensgemeinschaft Afghanistans zählen.

 

Von den 34,1 Millionen Menschen in Afghanistan sind 30% der tadschikischen Volksgruppe zugehörig, welche nach der Mehrheitsethnie Paschtunen (40%) die zweitgrößte Gemeinschaft ist. Herat betreffend nennt der Länderbericht hinsichtlich Bevölkerung bereits an zweiter Stelle die Volksgruppe der Tadschiken. Die Tadschiken sind die zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan laut Länderbericht.

 

Für Tadschiken und / oder Sunniten bestehende Verfolgungsgründe können - siehe unter II.2.8. zu den Feststellungen unter II.1.1.9.) mit Verweis auf die Länderfeststellungen - auch amtswegig nicht festgestellt werden.

 

In einer Gesamtschau ist davon auszugehen, dass dem BF keine Verfolgung in seinem Herkunftsstaat gedroht hat und auch bei einer Rückkehr keine Verfolgung drohen wird.

 

Die Negativfeststellung einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine für ihn als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Fall einer Rückkehr ergibt sich aus den oben angeführten Quellen (siehe unter II.1.3.). Auf das Wesentliche zusammengefasst geht daraus hervor, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in eine der innerstaatlichen Fluchtalternativen Mazar-e Sharif und Herat in den Provinzen Balkh und Herat möglich ist und wäre dies in Zusammenschau mit seinen persönlichen Umständen zumutbar (siehe oben unter II.2.12. bis II.2.14. zu den Feststellungen II.1.2.2. und II.1.2.3.). Insbesondere maßgebend sind dabei, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist und die dortige Landessprache Dari spricht.

 

Die unter II.1.3. getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat basieren auf dem Länderbericht der Staatendokumentation, welcher wiederum auf den darin abgedruckten Quellen basiert und an dessen Aussagenkraft seitens des Gerichts kein Zweifel gehegt wird. Dieser auszugsweise zitierte Länderbericht wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Ein Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation ist ein COI-Dokument, das beruhend auf den Bedürfnissen in Verfahren des Asyl- und Fremdenwesens (RD, EASt, ASt, BVwG) mittels Recherche von vorhandenen, vertrauenswürdigen und vorrangig öffentlichen Informationen gemäß den Standards der Staatendokumentation erstellt wird. Die Länderfeststellungen stützen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen. Die Länderfeststellungen ergeben ein einzelfallunabhängiges schlüssiges Gesamtbild zur Situation in Afghanistan.

 

Gegenständlich wird der Länderbericht in der aktuellen Fassung herangezogen, da laut Judikatur des VwGH immer die aktuellsten Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung heranzuziehen sind. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen im Länderbericht und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen im Länderbericht besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Gericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums die Beurteilung des gegenwärtigen Situationsfalls relevant nicht wesentlich geändert haben.

 

Der Länderbericht als Erkenntnisquelle erscheint dem Gericht schlüssig und nachvollziehbar.

 

Es werden neben dem Länderbericht weiters die unter II.1.3. genannten Dokumente der Staatendokumentation und des UNHCR als Primat herangezogen.

 

Das in der handschriftlich ergänzten Stellungnahme erwähnte Gutachten von Frau Stahlmann und die Bezugnahme in dieser handschriftlich ergänzten Stellungnahme auf Thomas Ruttig anbelangend ist festzuhalten: Frau Stahlmann ist Mitglied der International Max Planck Research School on Retaliation Mediation und Punishment und u.a. Gutachterin für britische Gerichte zu Afghanistan in Asylrechtsfällen. Herr Thomas Ruttig ist Mitbegründer und Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer nicht gewinnorientierten Forschungsstelle mit Büro in Kabul, welches sich seit Jahrzehnten mit Afghanistan beschäftigt und hat dieser seit 1983 insgesamt mehr als zwölf Jahre dort gelebt. Er hat einen Abschluss in Asienwissenschaften (Afghanistik), spricht die beiden Hauptlandessprachen und war in verschiedenen Funktionen in Afghanistan tätig, u.a. für die UNO und als Stellvertreter des EU-Sondergesandten. Die von diesen beiden Personen verfassten Artikel bzw. Referate basieren auf hoher Fachkompetenz, widersprechen einander in wesentlichen Punkten nicht und sind schlüssig und nachvollziehbar.

 

Zu dem Gutachten der Frau Friederike Stahlmann vom 28.3.2018 im Verfahren vor dem VG Wiesbaden, Zahl 7 K 1757/16.WI.A, wird festgehalten, dass eine tiefgehende Recherche der Autorin hinsichtlich der Begebenheiten in Afghanistan ersichtlich ist. Jedoch basiert er in bestimmten Abschnitten auf subjektiven Einschätzungen, welche die Expertin auf ihre Ausbildung und beruflichen Erfahrungen zurückführt. Ihre Einschätzungen weichen in gewissen Punkten von Beurteilungen (höchst-) gerichtlicher nationaler Rechtsprechung sowie Länderinformationen nationaler bzw. europäischer Asylbehörden ab und ist zu beachten, dass dieses Gutachten in einem Gerichtsverfahren, welchem ein vom gegenständlichen Fall verschiedener Einzelfall zu Grunde lag, erstellt wurde.

 

In diesem Gutachten wird eine subjektive Quellenauswahl und Quelleninterpretation vorgenommen und werden von regionalen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Situation in Afghanistan landesweit gezogen. Die Gutachterin trifft zur Sicherheitslage in Afghanistan teilweise nur sehr allgemein gehaltene Aussagen, die im Übrigen einer rechtlichen Beurteilung gleichkommen, und lässt dabei vor allem regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen vollkommen außer Acht. Insbesondere weist das Gutachten von Stahlmann nicht denselben Beweiswert für das erkennende Gericht auf, wie länderkundliche Informationen (z.B. Länderinformationsblatt, UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2019, EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, und vermag daher die auf objektiven und für jedermann nachvollziehbaren Quellen beruhenden Länderinformationen nicht zu entkräften.

 

Weder oben genanntes Gutachten, noch die von Frau Stahlmann und Herrn Ruttig stammenden Artikel veranlassen die erkennende Richterin, an den dieser Entscheidung zugrundegelegten Quellen zu zweifeln und davon abzugehen, diese als Feststellungen zum Herkunftsstaat der Entscheidung zu Grunde zu legen.

 

Bereits oben wurde zu dem Vorbringen des BF "Die Sicherheitslage hat sich drastisch verschlechtert" (Verhandlungsprotokoll S. 13) ausgeführt und ist nun auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen:

Der VwGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass in dem Umstande, dass im Herkunftsland eines Asylwerbers Unruhen herrschen, für sich allein noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention liegt (vgl statt vieler etwa VwGH 30.9.1997, 97/01/0755) und betrifft dies nicht nur den BF, sondern auch andere Menschen in seinem Herkunftsstaat - unabhängig von Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung.

 

Rechtliche Beurteilung:

 

Gegenständlich sind das VwGVG und gemäß § 17 VwGVG die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005, samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht [ ].

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurden samt dem zugehörigen Fremdakt des BFA dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und langte am 6.3.2018 ein.

 

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung der nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG nunmehr zuständigen Einzelrichterin.

 

Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde. So wurde dem BF insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme vor dem BFA - jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt und wurden in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage schlüssig, klar und übersichtlich zusammengefasst.

 

Die gegenständliche Entscheidung fußt auf dem Länderbericht vom 29.6.2018 in der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung.

 

Zum Beschwerdevorbringen:

 

Das Vorbringen in der Beschwerde und die Ausführungen der BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht waren nicht geeignet, das bisherige Vorbringen des BF zum Zweck der Erlangung eines internationalen Schutzes zu unterstützen.

 

Ad Spruchpunkt A) -

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheids:

 

Soweit das vom BF behauptete Fluchtvorbringen nicht festgestellt werden konnte, ist Folgendes festzuhalten: Bescheinigungsmittel über die Identität und / oder die Fluchtgründe wurden nicht vorgelegt und auch mit der Beschwerde und / oder der handschriftlich ergänzten Stellungnahme und den übermittelten Emails nicht in das Verfahren eingebracht.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Gemäß § 3 Abs 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag betreffend Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative

 

(§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund iSd § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Ebenso liegen die Voraussetzungen bei Staatenlosen, die sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; VwGH 21.9.2000, 2000/20/0286).

 

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, welche sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt.

 

Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).

 

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 ua). Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um im obigen Sinne eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Eine allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zum Dartun von selbst Erlebtem nicht genügen.

 

Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 5.11.1992, 92/01/0792; 9.3.1999, 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Art. 1 Abschnitt A Z 2) haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die beststehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 16.6.1994, 94/19/0183).

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; VwGH 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; VwGH 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318;

 

VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates - kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 1.6.1994, 94/18/0263; 1.2.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - in diesem Fall wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2002, 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 8.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 8.9.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.1.1999, 98/20/0399; VwGH 3.5.2000, 99/01/0359).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in dem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist: Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Eine aktuelle und konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung aus Konventionsgründen vermochte der BF mit dem Vorbringen zu Afghanistan nicht darzutun. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.

 

Es ergaben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der BF aufgrund generalisierender Merkmale, etwa als Zugehöriger zu seiner Religionsgemeinschaft oder zu seiner Volksgruppe aktuell alleine deswegen in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre, zumal er eine bisher stattgefundene Verfolgung seiner Person wegen der Religions- und / oder Volksgruppenzugehörigkeit verneinte. Er ist laut eigenen Angaben niemals von einer Person verfolgt und / oder bedroht worden, wurde in Afghanistan auch nicht von der Polizei gesucht und / oder inhaftiert und hatte nie Probleme mit Gerichten, der Polizei und / oder Behörden gehabt. Das Ermittlungsverfahren hat auch ergeben, dass der BF weder aus Gründen der Rasse oder politischen Gesinnung verfolgt, noch in Afghanistan nie Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig war.

 

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich - wie bereits in der Beweiswürdigung näher ausgeführt - für den BF eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten:

 

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.3.1995, 94/20/0798;

VwGH 17.6.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.5.1996, 95/20/0161;

VwGH 30.4.1997, 95/01/0529; VwGH 8.9.1999, 98/01/0614).

 

Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist. Der BF verfügt über eine in Afghanistan erlangte Schulbildung sowie über dort erlangte Arbeitserfahrung, sodass er auf der Suche nach einer Tätigkeit, welche ihm ein solches Einkommen verschafft, dass er über eine Existenzgrundlage verfügt, einen Wettbewerbsvorteil hat gegenüber solchen Arbeitsuchenden, welche der hohen Analphabetenrate Afghanistans angehören.

 

Aus den oben in der Beweiswürdigung dargetanen Erwägungen waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist laut stRspr des VwGH im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls konkret und nachvollziehbar festzustellen, ob dem BF im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art 3 ERMK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, welche dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die persönliche Situation des Beschwerdeführers (Gesundheitszustand, Arbeitsfähigkeit und Arbeitserfahrung, Schulbildung, im Herkunftsstaat ausgeübte Tätigkeiten, Vorhandensein familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, allgemeine Sicherheitslage und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat sowie Erreichbarkeit des Herkunftsstaats bzw. Herkunftsort) ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0323 mHa VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0039 mwN).

 

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs 3 und 6 AsylG ist der Asylantrag bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 und § 57 Abs. 11 Z 3 AsylG) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Asylantrag auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 8.6.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; VwGH 25.1.2001, 2000/20/0438; VwGH 30.5.2001, 97/21/0560).

 

§ 8 AsylG beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs 1 AsylG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; VwGH 8.6.2000, 99/20/0203; VwGH 17.9.2008, 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs 1 AsylG die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen

 

(vgl. VwGH 08.6.2000, 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.2.2001, 98/21/0427;

 

VwGH 20.6.2002, 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 2.5.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, 30240/96; 6.2.2001, Bensaid, 44599/98; vgl. auch VwGH 21.8.2001, 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse

 

(zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 2. 5.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich;

vgl. VwGH 21. 8.2001, 2000/01/0443; VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453;

VwGH 9.7.2002, 2001/01/0164;

 

VwGH 16.7.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.9.2004, 2001/21/0137).

 

Das BVwG hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat

 

Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Der VwGH hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass ein Asylwerber das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; VwGH 17.7.1997, 97/18/0336). Diese Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann

 

(VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG nicht gegeben sind:

 

Dass der BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

 

Selbst wenn im Herkunftsstaat die Todesstrafe als gesetzliche Strafsanktion für besonders schwere Straftaten vorgesehen ist, so hat sich auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens kein reales Risiko ergeben, dass der BF im Herkunftsstaat einer dem 6. ZP zur EMRK bzw. dem 13. ZP zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen werden würde. Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

 

Der Herkunftsort des BF ist Kabul-Stadt. In Anbetracht der UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 wurde jedoch die Hauptstadt Kabul als alternativer Orte für die Wiederansiedelung außer Acht gelassen und wurden als innerstaatliche Fluchtalternativen Mazar-e Sharif und Herat geprüft:

 

Der BF kann von Österreich aus Mazar-e Sharif gefahrlos auf dem Luftweg über den internationalen Flughafen Mazar-e Sharif erreichen. Laut aktuellem Länderbericht ist Mazar-e Sharif, Hauptstadt der Provinz Balkh, ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Provinz Balkh ist laut aktuellem Länderbericht nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten Aufständischer zu verzeichnen.

 

Dem BF ist als weiterer Ort für die Wiederansiedelung die innerstaatliche Fluchtalternative Herat möglich. Herat kann von Österreich aus gefahrlos auf dem Luftweg über den internationalen Flughafen Herat erreicht werden. Herat ist trotz militärischer Operationen und Angriffen von Regierungsfeinden eine relativ entwickelte und relativ friedliche Provinz im Westen des Landes, wo unter anderem Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden und wo auch Angehörige der Volksgruppe des BF leben. Herat zählt laut aktuellem Länderbericht zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein.

 

Der BF verfügt über eine in Afghanistan (einem von islamischen Werten geprägten Land) erworbene Schulausbildung und Arbeitserfahrung. Er ist ein arbeitsfähiger gesunder Mann mit in Afghanistan erlangter Berufserfahrung und ist bei ihm die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorauszusetzen. Wie oben dargestellt kann davon ausgegangen werden, dass der BF durch seine Schulbildung sowie durch Unterstützung vor Ort durch seine Angehörigen bzw durch Volksgruppenangehörige, Angehörige seiner Volksgruppe, Angehörige seiner Religionsgemeinschaft, durch die Berufung auf die Gastfreundschaft des Paschtunwali und / oder durch Programme für Rückkehrer Fuß fassen wird und für sein persönliches Fortkommen sorgen wird können.

 

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben des BF und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen der Staatendokumentation und des UNHCR (siehe oben) keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für den BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die Betroffenen einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.2.2001, 98/21/0427; VwGH 20.6.2002, 2002/18/0028; vgl. dazu auch Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.6.2010, BVerwG 10 C 10.09).

 

Wie der EGMR in seinem Urteil vom 20.7.2010, N. vs. Schweden, 23505/09, Rz 52, ausgeführt hat, stellt sich die Lage in Afghanistan trotz der verfügbaren Berichte über ernste Menschenrechtsverletzungen jedenfalls nicht so dar, dass gleichsam jede Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, sondern es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob auf Grund der persönlichen Situation des Betroffenen die Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Auch wenn in Afghanistan die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass es dem BF unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, nach einem - wenn auch anfangs nur vorläufigen - Wohnraum zu suchen und sich etwa mit seiner bisherigen Berufserfahrung ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften und / oder mit Hilfe eines sozialen Netzwerks seiner Familie in Afghanistan, mit Hilfe des Netzwerkes aus Volksgruppenangehörigen oder mit Hilfe der Programme für Rückkehrer vor Ort eine Arbeitsstelle zu finden.

 

Es besteht die Möglichkeit, sich an in der Hauptstadt Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden, wenngleich nicht verkannt wird, dass von diesen Einrichtungen individuelle Unterstützungsleistungen meist nur in sehr eingeschränktem Ausmaß gewährt werden können. Jedoch besteht die Möglichkeit, eine Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, um zumindest für die Zeit gleich nach der Rückkehr eine Unterstützung zu haben.

 

Dem BF bleibt überdies die Möglichkeit sich seinen Lebensunterhalt allenfalls mit Hilfstätigkeiten zu finanzieren und so sein Fortkommen zu sichern.

 

Auf Grund der eben dargelegten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat erübrigt sich eine weitere Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §§ 8 Abs 3a AsylG oder § 9 Abs 2 leg.cit. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in Rechten nach Art 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

 

Weder droht dem BF im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. bis VI. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung):

 

Das Verfahren wird bezüglich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides nach

 

§ 10 AsylG geführt.

 

Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG in der geltenden Fassung ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn

 

1. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Abs 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht;

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel;

 

oder

 

3. der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der BF befindet sich erst seit November 2015 im Bundesgebiet, und ist sein Aufenthalt nicht geduldet. Der BF ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch nicht Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs 1 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

§ 9 Abs 2 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

§ 9 Abs 3 BFA-VG normiert wie folgt:

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. VfGH und VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland).

 

Der BF hat als Angehörige im Bundesgebiet eine Cousine in Linz, zu welcher er am Tag vor der Verhandlung Kontakt hatte. Die Frage "R:

Unterstützt sie Sie mental, finanziell, wirtschaftlich?" verneinte er und gab an, "Es war noch nie so, dass sie für mich eine Stütze gewesen wäre, wie ein Elternteil wie so etwas noch nie passiert ist" und weiters, dass er auf ihre Fragen ob er etwas brauche, etwas wolle, immer verneine. Damit brachte der BF zum Ausdruck, dass es zwischen ihm und dieser Cousine kein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis gibt.

 

Den Bruder des BF anbelangend ist zu sagen, dass dessen Beschwerde gegen den die Rückkehrentscheidung aussprechenden Bescheid des BFA - ebenso in der Gerichtsabteilung W264 - mit Erkenntnis vom 18.7.2019 als unbegründet abgewiesen wurde.

 

Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland).

 

Der BF hält sich erst seit November 2015 in Österreich auf und hat sein bisherigers Leben in einem mit islamischen Werten geprägten Land zugebracht. Er ist im afghanischen Famlienverband aufgewachsen und mit der afghanischen Kultur und den Gepflogenheiten vertraut. Der BF erfuhr in Afghanistan eine Schulbildung und erlangte dort auch Berufserfahrung. Zudem gehört er einer der in Afghanistan verbreiteten Volksgruppe an und kann sich in einer in der Islamischen Republik Afgahnistan verbreiteten Sprache verständigen. Der BF ist muslimischen Glaubens und damit ein Angehöriger des in Afghanistan als Staatsreligion geltenden Islams.

 

In Österreich lebt der BF nunmehr nicht mehr von der Grundversorgung, dies erschließt sich auf der Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem am 19.7.2019. Der BF geht ehrenamtlicher Tätigkeit nach, erwarb den Pflichtschulabschluss und absolviert eine Ausbildung an der Schule für Pflegeassistenz und Sozialbetreuungsberufe in XXXX . Er war in Österreich auch sehr bemüht, eine Anstellung zu finden, wie die von der Rechtsvertretung vorgelegten - per Email eingebrachten - Beweismittel zeigen und seine Angabe vor dem Gericht "ich nehme jeden Job" auch verdeutlichte. Er spricht die deutsche Sprache auf dem Niveau B2 (zuletzt vorgelegtes ÖSD-Zertifikat). Laut höchstgerichtlicher Judikatur ist nicht einmal der Umstand, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert wäre, ein über das übliche Maß hinausgehendes lntegrationsmerkmal, welchem im Rahmen einer Interessensabwägung gem. Art 8 Abs 1 EMRK nur untergeordnete Bedeutung zukäme (VwGH 6.11.2009, 2008/18/0720; VwGH 25.2.2010, 2010/18/0029; vgl. aber auch zur Unbeachtlichkeit hoher Integration nach dreijährigem Aufenthalt VfGH U 485/2012- 15 vom 12.06.2013).

 

Insgesamt liegt im Fall des BF dennoch kein überdurschnittliches Maß an Integration vor. Er hält Kontakte zu Österreichern - was durch die vorgelegten Fotos und Unterstützungserklärungen bewiesen ist.

 

Die Dauer des Aufenthalts des BF wird dadurch relativiert, dass er bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war und musste dies dem Beschwerdeführer bei Setzung seiner Integrationsschritte bewusst gewesen sein.

 

Der VwGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 10.4.2019, Ra 2019/18/0049; 25.4.2018, Ra 2018/18/0187; VwGH 6.9.2017, Ra 2017/20/0209; VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072; VwGH 20.6.2017, Ra 2017/22/0037, jeweils mwN).

 

Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine seit November 2015 erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes seit November 2015 von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. etwa VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0191, mwN).

 

Im gegenständlichen Fall liegt jedoch eine derart "außergewöhnliche Konstellation" an Integrationsmerkmalen nicht vor. Der BF hält sich seit November 2015 im Bundesgebiet auf. Selbst unter Berücksichtigung der - der Art. 8 EMRK-Abwägung zugrunde gelegten - Integrationsbemühungen des BF besteht allein dadurch noch keine derartige Verdichtung seiner persönlichen Interessen, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden kann und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl. insbesondere VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078). Daran vermögen auch seine Ambitionen und die vorgelegten Bewerbungsunterlagen nichts zu ändern.

 

Der VwGH hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN).

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.5.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art 8 EMRK thematisiert.

 

Es ist davon auszugehen, dass im Fall des BF kein relevanter Grad an Integration im Bundesgebiet erreicht worden ist, zumal die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene BF einen Großteil seines Lebens im afghanischen Familienverband und im Vergleich dazu die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet als relativ kurz zu bezeichnen ist, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal der BF eine Landessprache von Afghanistan spricht.

 

Der BF ist laut am 19.7.2019 vorgenommener Einsichtnahme in das Strafregister unbescholten. Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.7.2002, Zl. 2002/18/0112; vgl. auch VwGH 19.4.2012, 2011/18/0253).

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 8.4.2008 (Nr 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; selbst dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und bereits zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und seine Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung - welchem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt - in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Der BF ist nach dem Ergebnis des Verfahrens gesund und sind seine Gesundheit betreffend keine Belege vorgelegt worden, welche dies in Abrede stellen würde. Es liegt aufgrund der Lebenssituation des BF im Falle der Verbringung in den Herkunftsstaat mangels außerordentlicher Integration keine Verletzung des Art 8 EMRK vor.

 

Gemäß § 46 Abs 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint;

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind;

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen;

 

oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr 6 oder das Protokoll Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

Nach § 50 Abs 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs 2 FPG ab Rechtskraft des Bescheides 14 Tage, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist im Spruchpunkt VI. zu Recht eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt worden.

 

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen war dem BF nicht zu erteilen. Im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung aus den in § 57 AsylG angeführten Gründen hätten schließen lassen. Ferner sind auch keine Umstände bekannt, welchen zufolge gegenständlich von einem Anwendungsfall des

 

§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG gesprochen werden könnte.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. bis VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Ad Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen vor. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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