VwGH Ra 2015/21/0191

VwGHRa 2015/21/019128.1.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, in der Revisionssache des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. September 2015, Zl. W159 1434238-2/12E, betreffend Erklärung einer Rückkehrentscheidung als unzulässig und Erteilung eines Aufenthaltstitels (mitbeteiligte Partei: A A in V, vertreten durch Mag. Philipp Tschernitz, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Waaggasse 18/2), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §54;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §58 Abs2;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
AsylG 2005 §54;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §58 Abs2;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 5. April 1996 geborene Mitbeteiligte, ein aus Tschetschenien stammender Staatsangehöriger der russischen Föderation, gelangte am 8. Jänner 2013 als unbegleiteter Minderjähriger nach Österreich und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 18. März 2013 vollinhaltlich ab und wies den Mitbeteiligten gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die russische Föderation aus. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verwies mit Erkenntnis vom 8. September 2014 das Verfahren hinsichtlich des letztgenannten Spruchpunktes zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurück und bestätigte im Übrigen den erwähnten Bescheid vom 18. März 2013.

Mit dem angefochtenen, über Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14. Oktober 2014, womit jenem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt worden war, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, ergangenen Erkenntnis vom 24. September 2015 erklärte das BVwG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6. August 2015, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig und erteilte diesem gemäß den §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung Plus". Es sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Begründend ging das BVwG davon aus, der Mitbeteiligte habe ab 15. Februar 2013 im Haushalt seiner Tante A. gelebt, die nach ihrer Flucht im Jahr 2003 zunächst "anerkannter Flüchtling" gewesen, mittlerweile aber österreichische Staatsbürgerin sei und mit der er schon von Tschetschenien aus telefonisch Kontakt gehabt habe. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Villach vom 15. April 2013 sei A. - ihn betreffend - die Obsorge, Pflege, Erziehung und Vermögensverwaltung übertragen worden. Nach seiner Volljährigkeit sei der Mitbeteiligte im Familienverband seiner Tante, seines Onkels und deren Kinder, die zu ihm wie Geschwister seien, verblieben. Onkel und Tante hätten ihn finanziell unterstützt. Er verbringe auch seine Freizeit teilweise im genannten Familienverband. Der Mitbeteiligte spreche sehr gut Deutsch. Er habe zuletzt die erste Klasse einer näher bezeichneten HTL absolviert, wobei ihm - trotz einer negativen Note in Englisch - das Aufsteigen in den zweiten Jahrgang ohne Nachtragsprüfung ermöglicht worden sei. In seiner Freizeit sei der Mitbeteiligte auch sportlich aktiv (Fußball, Ringen), er sei Mitglied im Verein Demokratischer Tschetschenen in Österreich, wo er in der Jugendbetreuung tätig werde. Er habe zahlreiche österreichische Freunde und sei unbescholten.

In seiner rechtlichen Beurteilung nahm das BVwG eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber den persönlichen Interessen des Mitbeteiligten an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK vor und gelangte zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung unter Berücksichtigung der dargestellten Integration, insbesondere der intensiven persönlichen und familiären Bindungen des Mitbeteiligten zu österreichischen Staatsbürgern sowie seiner Berufsausbildung im Rahmen des Schulbesuches, unverhältnismäßig wäre. Da die maßgeblichen Umstände nicht bloß vorübergehend zu bejahen seien, erweise sich eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat auf Dauer als unzulässig. Damit lägen auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 beim Mitbeteiligten vor, der auf Grundlage seines erfolgreichen Schulbesuches auch die Erfordernisse von Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfülle.

Den gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erfolgten Ausspruch, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, begründete das BVwG damit, dass sein Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Weder weiche die Entscheidung von der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer solchen Rechtsprechung.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des BFA, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.

Die Revision erweist sich als unzulässig:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (ua.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

In der diesbezüglichen Begründung wird in der Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, nach der "einer unter fünfjährigen Aufenthaltsdauer keine maßgebende Bedeutung im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführenden Interessenabwägung zukomm(e)", sowie weiters geltend gemacht, auch die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus des Mitbeteiligten während der Zeit des Entstehens des Privat- und Familienlebens - und damit insgesamt die zentralen zu seinen Lasten gehenden Faktoren - wären zu Unrecht im Rahmen der Interessenabwägung unberücksichtigt geblieben.

Den Ausführungen des BFA zu der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung ist zu entgegnen, dass die einzelfallbezogene Beurteilung, ob ein Eingriff iSd Art. 8 EMRK zulässig oder unzulässig ist, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht revisibel ist, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (siehe etwa die hg. Beschlüsse vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062, sowie vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0154, jeweils unter Hinweis auf den grundlegenden Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033).

Das vom BVwG nach dem persönlich gewonnenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung erzielte Ergebnis ist auf Grund der vom Mitbeteiligten nach seiner Einreise als unbegleiteter Minderjähriger erzielten familiären, privaten und schulischen Integration auch unter Berücksichtigung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa dessen Erkenntnis vom 20. Februar 2014, U 2496/2013) sowie der gegen den Mitbeteiligten sprechenden Gesichtspunkte nicht unvertretbar.

Entgegen der in der Revision zum Ausdruck kommenden Auffassung kann auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058, sowie - zu einem knapp vierjährigen Aufenthalt - das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Juni 2014, U 145/2014).

In der Revision wurde insgesamt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. Jänner 2016

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