AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W247.2213685.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.11.2022 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, idgF., iVm §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 4 und 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl Nr. 100/2005, idgF., § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., sowie §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 55 Abs. 1 bis Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe, sowie dem muslimischen Glauben zugehörig.
I. Verfahrensgang:
1. Der BF reiste zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens am 04.08.2004, mit seiner Ehefrau in das österreichische Bundesgebiet ein, wobei sie an ebendiesem Tag jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellten. Zu diesem wurde der BF am 06.08.2004 vor dem ehemaligen Bundesasylamt im Beisein eines ihm einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er verfolgt worden sei und sein Bruder, sowie 2 seiner Kameraden seit dem Jahr 2001 verschollen seien. Der BF habe seinen Bruder gesucht und habe der BF seinen Bruder aus dem Gefängnis XXXX , wo er hingebracht worden sein soll, zurückgekauft. Der BF wisse nicht, wo sein Bruder sei. Er habe schon früher seine Heimat verlassen wollen, jedoch nicht das erforderliche Geld gehabt. Weil der BF in Russland zu Unrecht inhaftiert worden sei, habe er schon lange sein Land verlassen wollen. In Haft sei der BF im Jahr 2001 misshandelt und verhört worden. Dem BF sei eine Spritze verabreicht worden, am Bauch habe er noch einen Punkt und sei sein Gewebe dort noch immer verdickt. Als der BF vom Richter freigesprochen worden sei, habe der Richter zum BF gesagt, er solle sofort wegfahren, denn er könne dem BF nicht mehr helfen. Unmittelbar vor seiner Ausreise sei, außer seiner Verhaftung, nichts passiert. Nach seiner Entlassung sei der BF immer zu Hause gewesen und habe er das Dorf aus Angst nicht verlassen. Dann sei nichts mehr passiert. Der BF habe sich abwechselnd bei seinen Verwandten in XXXX aufgehalten. Um nicht zu sterben, sei der BF ausgereist. Bei einer Rückkehr nach Russland befürchte der BF das, was mit seinem Bruder passiert sei. Er würde verschollen sein. An einem anderen Ort in Russland könnte der BF nicht leben. Sie hätten ihn verhört und misshandelt. Alle Verwandten des BF hätten gesagt, er solle ins Ausland fahren.
2. Nach Abmeldung des BF aus der Grundversorgung am 30.11.2004, weil dieser unbekannt verzogen sei, wurde mit Aktenvermerk vom 16.12.2004 das Asylverfahren des BF gemäß § 30 AsylG eingestellt, weil in Ermangelung der Bekanntgabe einer Abgabestelle die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts nicht erfolgen könne.
3. Am 18.11.2004 stellten der BF und seine Ehefrau jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland, weshalb der BF, seine Ehefrau und die am 12.01.2005 in Deutschland geborene Tochter am 27.04.2005 nach Österreich rücküberstellt wurden.
4. Am 15.06.2005 wurde der BF vor dem ehemaligen Bundesasylamt im Beisein eines ihm einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen befragt vorbrache, dass es in Tschetschenien keinen Platz für ihn gebe. Der BF werde von den tschetschenischen Behörden gesucht, weil er im ersten Krieg geholfen habe. Die Behörden, Banditen, sowie Milizen würden alle Geld machen und würden Menschen ins Gefängnis stecken wollen. Sie würden Auszeichnungen erhalten. Konkret suche der BF nach seinem Bruder und sei der BF festgenommen worden. Er sei verhaftet sowie 1 Jahr und 8 Monate lang festgenommen worden. Danach sei der BF freigelassen worden. Er habe einen guten Richter gehabt, doch die tschetschenischen Banditen, die Behörden, die an der Macht seien, würden den BF suchen. Wer ihn konkret suchen würde wisse der BF nicht. Der tschetschenische Staatsanwalt habe gesagt, dass die Freilassung nichts bedeute und der BF Probleme bekommen würde. Im Falle seiner Abschiebung würde der BF gezwungen eine Waffe in die Hand zu nehmen und sich zu verteidigen, dann könnte er sterben. Der BF habe erst so spät die Flucht ergriffen, weil er kein Geld gehabt habe. Der BF sei aus der Haft im Herkunftsstaat freigelassen worden, weil es keine Beweise gegen ihn gegeben habe. Die Banditen würden ihn trotzdem haben wollen.
5. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 17.06.2005, Zl. XXXX , wurde dem Asylantrag des BF vom 04.08.2004 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG 1997 zulässig ist. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
6. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des ehemaligen UBAS vom 19.12.2006, Zl. XXXX , stattgegeben und dem BF gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wurde festgestellt, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
7. Mit Urteil des LG XXXX vom 12.12.2017, Zl. XXXX , wurde der BF wegen § 15 StGB § 105 Abs. 1 StGB und § 99 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, die unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.
8. Am 27.03.2018 wurde der BF festgenommen und anschließend in Untersuchungshaft genommen.
9. Am 17.07.2018 wurde der BF im Rahmen seines Aberkennungsverfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF zusammenfassend an, bis dato die Wahrheit gesagt zu haben. Als der BF nach Österreich gekommen sei, seien seine Schwester und sein Schwager schon hier gewesen. Der Schwager des BF, XXXX , habe dem BF damals geraten im Asylverfahren anzugeben, dass er im Heimatland an Demonstrationen teilgenommen habe. Der Schwager des BF habe von seinen Problemen gewusst. 3 Jahre lang habe der BF auf den Asylbescheid gewartet, zuerst sei negativ beschieden worden, dann sei dieser neuerlich vernommen worden, wo er die Wahrheit gesagt habe. Der BF habe dann auch gleich Asyl bekommen. Es sei um seine Arbeit als Leibwächter für XXXX gegangen. In Österreich habe der BF viel gearbeitet.
In Tschetschenien würden noch die Schwester des BF, welche verheiratet sei, sowie Onkel und Tanten väterlicherseits sowie Cousins und Cousinen leben. Der BF habe auch eine Eigentumswohnung in Tschetschenien gehabt, welche ihm weggenommen worden sei. Diese habe seinem Bruder gehört und sei in XXXX gewesen. Seine Schwester habe 4 Kinder und würden seine Tanten in XXXX leben. In seinem Geburtsort XXXX würden 4 Onkel und eine Tante wohnen. Der BF habe bis zu seiner Verhaftung zu seinen Familienangehörigen mehrmals im Monat telefonischen Kontakt gehabt, auch über WhatsApp. Er sei mit XXXX seit 2004 verheiratet. Geheiratet hätten sie im Dorf XXXX im Bezirk XXXX , wo Verwandte mütterlicherseits leben würden. Die Ehefrau des BF lebe in der XXXX , dort habe der BF eine Gemeindewohnung auf seinen Namen. Zuletzt hätten sie Probleme gehabt, weshalb sie getrennt gelebt und der BF woanders gemeldet gewesen sei. Seit Juli 2017 würden sie getrennt leben, seitdem der BF in Haft sei, komme ihn seine Ehefrau 2 Mal pro Woche besuchen.
In Tschetschenien habe sich die Lage verbessert. Wenn man arbeiten wolle, finde man ein Auskommen. Vorausgesetzt man habe keine Probleme mit den Behörden. Die Mutter und der Bruder des BF würden in Österreich in einer gemeinsamen Wohnung in XXXX leben. Bevor der BF verhaftet worden sei, habe er mit ihnen täglich Kontakt gehabt. Die Mutter des BF sei oft beim BF und seinen Geschwistern. Der BF habe mit seiner Ehefrau 4 Kinder, XXXX sei XXXX Jahre alt, XXXX sei XXXX Jahre alt, XXXX sei XXXX Jahre alt und XXXX sei etwa XXXX alt. Seine Kinder würden bei seiner Ehefrau leben. Die Probleme mit seiner Ehefrau würden mit seinen Problemen mit der tschetschenischen Regierung zusammenhängen. Nach tschetschenischem Recht sei es so, dass, wenn sie geschieden seien, die Familie nicht zur Rechenschaft der Taten des BF gezogen werden könne. Um seine Familie vor den tschetschenischen Behörden zu schützen, sei der BF aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Er habe auch seinen Angehörigen in Tschetschenien gesagt, dass sie geschieden seien. XXXX , mit welchem der BF aufgewachsen sei, habe immer wieder versucht mit dem BF Kontakt aufzunehmen, obwohl der BF seine Nummer gewechselt habe. Der BF habe einen Anruf bekommen, dass jemand Probleme mit seinem Schwager habe, dann sei der BF im November 2015 für 3-4 Tage in XXXX gewesen. In seinem Konventionsreisepass sei ein Stempel vom Flughafen in XXXX . Dort habe sich der BF mit XXXX getroffen und seien sie mit seinem Flugzeug nach Tschetschenien geflogen. Sie hätten über die Probleme mit dem Schwager des BF gesprochen, XXXX habe vom BF Informationen über seinen Schwager gewollt. Die Schwester des BF sei von seinem Schwager geschieden und würden deren Kinder bei der Schwester des BF leben. XXXX habe Informationen über den Aufenthaltsort des Schwagers des BF gewollt.
Der BF habe in Österreich immer am Bau, bei verschiedenen Firmen gearbeitet. Nachdem der BF den Status erhalten habe, habe er zunächst ein Jahr lang Sozialhilfe bezogen, dann habe er immer am Bau gearbeitet. Der letzte Arbeitgeber des BF sei die Fa. XXXX gewesen, dort habe der BF etwa 18 Monate lang gearbeitet. Der BF verfüge in XXXX über ein umfangreiches familiäres Netzwerk. Bevor der BF nach XXXX geflogen sei, habe er bei der russischen Botschaft in XXXX einen Reisepass beantragt und auch ausgestellt bekommen. Der BF habe keine Probleme in der Russischen Föderation. Sein Reisepass habe sich zuletzt in seiner Wohnung befunden, wo dieser jetzt sei, wisse der BF nicht. Seine letzte Meldeadresse sei in der XXXX gewesen, wo der BF zwei Monate vor seiner Verhaftung gewohnt habe. Im Herkunftsstaat sei der BF lediglich einmal im Jahr 2017 gewesen, als er nach XXXX geflogen sei. 2016 sei er mit seiner Ehefrau und den Kindern für 2-3 Wochen in der Ukraine gewesen, wobei er sich mit seinem Konventionsreisepass ausgewiesen habe. Angehörige aus Tschetschenien seien in die Ukraine gekommen, damit sie sich dort treffen könnten. Der BF stehe lediglich mit seinen Verwandten im Heimatstaat regelmäßig in Kontakt. Er habe eine Sprachprüfung auf Sprachniveau B1 erfolgreich abgelegt. 2014 habe der BF die Staatsbürgerschaft beantragt. Wegen einer Anzeige, die damals gegen den BF erfolgt sei, habe die Landesregierung gesagt, der BF solle in einem Jahr wiederkommen. Danach habe der BF die geschilderten Probleme mit seinem Schwager gehabt, deshalb habe er damals nicht noch einmal angesucht. Sobald in Russland eine andere Regierung an die Macht komme, wolle der BF dorthin zurückkehren. Seine Verwandten würden alle in Tschetschenien leben. Auf Vorhalt der Ausstellung eines russischen Reisepasses, seiner Rückreise in die Russische Föderation und der Aussage, dass er in Russland keine Probleme habe, gab der BF an, dass XXXX ganz Russland regiere.
Zu seiner ersten Verurteilung wolle der BF sagen, dass er sicherlich nicht verurteilt worden wäre, wenn er sich einen Anwalt genommen hätte, sondern freigesprochen worden wäre. Die Anzeige bzgl. des SMG wäre dann auch nicht zustande gekommen, wäre der BF im Dezember 2017 zu einer unbedingten Haftstrafe verurteilt worden, weil er dann im Gefängnis gesessen wäre. Der BF habe XXXX die falsche Adresse seines Schwagers gegeben. Um danach in Sicherheit zu sein, habe der BF sich vom österreichischen Staat beraten lassen beim Suchtmittelhandel, damit er im Gefängnis in Sicherheit leben könne und seine Familie geschützt sei.
Zu seinen ursprünglichen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er wie in seinem Asylverfahren geschildert, 1 Jahr und 8 Monate lang festgehalten worden sei. Dann sei der BF freigelassen worden und habe die Möglichkeit genutzt, um Russland zu verlassen. Nach dem BF werde zwar nicht gefahndet, aber wolle er in den Herkunftsstaat nicht zurück. Im Falle einer Abschiebung würde die tschetschenische Regierung den BF am Flughafen abholen und müsste dieser nach Russland reisen. 2017 habe der BF aus Russland unbeschadet zurückkehren können, weil die Tschetschenen etwas von ihm gebraucht hätten. Befragt dazu, inwieweit eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in sein Privat- und Familienleben eingreifen würde, führte der BF aus, dass seine Ehefrau und seine Kinder in Österreich leben würden. Der BF werde Österreich niemals vergessen, dass es ihm geholfen habe, als er Hilfe notwendig gehabt habe. Er habe hier seine Familie gegründet und würde gerne in seine Heimat zurück, aber momentan sei es nicht möglich.
Nach Rückübersetzung stellte der BF folgendes richtig: Mit XXXX sei der BF nicht aufgewachsen, sondern kenne der BF diesen lediglich aus seiner Jugend und sei er 2017 nach XXXX gereist (S. 4). Die damals in der Russischen Föderation betroffenen Probleme hätten natürlich den Schwager, nicht den Bruder betroffen (S. 5). XXXX kontrolliere ganz Russland, nicht regiere (S. 7).
Der BF wolle ergänzen, dass er, wenn sich ihm die Möglichkeit biete, gerne in sein Heimatland zurückkehren würde.
10. Mit Urteil des LG XXXX vom 03.10.2018, Zl. XXXX , wurde der BF wegen §§ 28 Abs. 1 2. Fall, 28 Abs. 2 SMG; §§ 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG; §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB; § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG und § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Mit Urteil des OLG XXXX vom 12.04.2019, Zl. XXXX , wurde den dagegen erhobenen Berufungen und der dagegen erhobenen Beschwerde nicht Folge gegeben.
11.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 20.12.2018 wurde dem BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß „§ 7 Abs. 1 Z 2 und § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG“ aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung seiner Person gemäß § 46 AsylG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 6 Jahren erlassen (Spruchpunkt VII.).
11.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten, zu seiner Situation im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation, seinem Privat- und Familienleben in Österreich, zur Lage in seinem Herkunftsstaat und stellte fest, der BF in Österreich mehrmals strafgerichtlich verurteilt worden sei. Die belangte Behörde führte beweiswürdigend zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten aus, dass der BF –wenig nachvollziehbar - angegeben habe, sich im Zuge seiner kriminellen Karriere absichtlich vom österreichischen Staat bei Straftaten betreten habe lassen, um vor den russischen Behörden in Sicherheit zu sein. Eine bestehende Furcht vor Verfolgung sei allein deshalb nicht nachvollziehbar, weil der BF in seiner Einvernahme ebenfalls angegeben habe, sich durch die russische Botschaft einen russischen Reisepass ausstellen habe lassen und innerhalb der Russischen Föderation keine Probleme zu haben.
11.3. Rechtlich wurde von der belangten Behörde lediglich ausgeführt, es ergäbe sich aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG vorliegen würden. Wie beweiswürdigend dargelegt sei der BF im Bundesgebiet schon mehrmals wegen Vergehen bzw. Verbrechen verurteilt worden und stelle dieser eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Dem BF sei es als jungen und arbeitsfähigen Mann zumutbar in der Russischen Föderation zu arbeiten und ergäbe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des BF keine Gefährdung für diesen, weshalb für den Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach „Pakistan“ eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 nicht erkannt werden könne. Die Ehefrau und die Kinder des BF würden zwar in Österreich leben, doch bestehe bereits seit Juni 2017 keine gemeinsame Meldeadresse und sei daher nicht von einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt auszugehen. Gegen eine Rückkehrentscheidung spreche, dass der BF sich seit 2004 im Bundesgebiet befinde. Demgegenüber sei er jedoch illegal in das Bundesgebiet eingereist und sei sein Antrag auf internationalen Schutz ursprünglich rechtskräftig negativ entschieden worden. Der BF sei in Österreich mehrmals straffällig geworden und lebe von seiner Ehefrau, sowie den gemeinsamen Kindern getrennt. Sonstige Integrationsbemühungen seien nicht erkennbar gewesen und würden diese den mehrmaligen Verurteilungen des BF diametral entgegenstehen. Seine Volksgruppe lebe im Heimatland des BF und sei er in der Russischen Föderation geboren, aufgewachsen und habe seine Sozialisation erfahren. Der BF beherrsche eine Sprache seines Herkunftsstaates als Muttersprache, weshalb sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung insgesamt als zulässig erweise. Auch die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat sei zulässig und sei das befristete 6-jährige Einreiseverbot geboten.
12.1. Mit Schriftsatz vom 22.01.2019, eingebracht am 23.01.2019, wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid des BFA, zugestellt am 31.12.2018, in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Begründend wurde beschwerdeseitig im Wesentlichen ausgeführt, dass der wenige Stunden dauernde Aufenthalt des BF in der Russischen Föderation nicht automatisch bedeute, dass dem BF im Herkunftsstaat keine Gefahr drohe. Der BF habe in seiner Einvernahme (S. 9) angegeben, die Tschetschenen hätten „etwas von ihm gebraucht“. Der belangten Behörde sei der Vorwurf zu machen, dass sie unterlassen hätten nachzufragen, was die Tschetschenen vom BF gebraucht hätten. Auch habe die belangte Behörde ihre Anleitungspflicht verletzt. Sie hätte durch Nachfragen den Sachverhalt ermitteln müssen. Vielmehr sei es so, dass die tschetschenische und die russische Regierung vom BF Auskunft gewollt hätten, wo sich sein Schwager XXXX befinde. Der BF habe eine falsche Adresse angegeben, um Russland lebend verlassen zu können. Der belangten Behörde sei in diesem Punkt vorzuwerfen, dass sie den Sachverhalt nicht ermittelt habe. Hinzu komme, dass durch die falsche Angabe der Adresse die russische bzw. tschetschenische Regierung dem BF massive Probleme bereite. Fest stehe, dass der BF weiterhin massive Probleme im Heimatland habe. Seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung sei unzulässig, da diese eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle 6 oder 13 zur Konvention bedeute. Der BF befinde sich seit 14 Jahren durchgehend im Bundesgebiet und habe hier seine engsten Familienangehörigen. Der BF habe einen Großteil seines Lebens im Bundesgebiet verbracht. Seine Gattin, seine Kinder, seine Mutter und seine Schwester würden in Österreich leben. Der BF sei der deutschen Sprache mächtig und würde bei einer Rückkehr in sein Heimatland in eine persönliche und finanzielle ausweglose Lage kommen, weshalb in casu weiterhin die Voraussetzungen für subsidiären Schutz gegeben seien. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen zum Familienleben des BF im Bundesgebiet getroffen und habe es unterlassen die Gattin, sowie die Kinder des BF niederschriftlich einzuvernehmen. Dazu wäre die belangte Behörde jedoch verpflichtet gewesen, um die Identität des Familienlebens festzustellen. Es seien ebenfalls keine Feststellungen dahingehend getroffen worden, welche Auswirkungen eine Abschiebung des BF in sein Heimatland für seine Kinder habe. Beantragt wurde die Einvernahme des BF, seiner Mutter, seiner Schwester, seines Bruders, seiner Gattin und seiner 3 Töchter.
12.2. Der BF habe 3 leibliche Kinder im Bundesgebiet. Seine Gattin, seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder würden ebenfalls in Österreich leben. Der Bruder des BF, XXXX geb. am XXXX , sei seit mehreren Jahren verschollen. Der BF vermute, dass die russische bzw. tschetschenische Führung für sein Verschwinden verantwortlich sei. Der BF sei der deutschen Sprache hervorragend mächtig und verfüge über die Deutschprüfung auf Sprachniveau B1. Bis zu seiner Verhaftung sei der BF einer geregelten Beschäftigung nachgegangen und leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Multitraumatisierung. Hierzu wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie beantragt.
12.3. Darüber hinaus sei der BF Mitglied des Roten Kreuzes und habe sogar die Deutschprüfung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfolgreich bestanden. Der BF sei am 27.11.2018 vom LVT als Beschuldigter einvernommen worden, wobei die Beschuldigtenvernehmung mit der Beschwerde vorgelegt wurde. Aus dieser ergäbe sich sinngemäß die Begründung des Aufenthalts des BF in Russland. Betreffend die Erlassung des Einreiseverbotes werde nicht verkannt, dass die gegenständliche Verurteilung eine massive Verurteilung darstelle, doch sei der BF im Bundesgebiet sehr lange aufhältig und habe dieser enge familiäre Kontakte. Der belangten Behörde sei eine unrichtige Interessenabwägung vorzuwerfen. Zwar liege bei der gegenständlichen Verurteilung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor, doch drohe dem BF im Falle einer Abschiebung im Herkunftsstaat Folter und unmenschliche Behandlung durch die russischen bzw. tschetschenischen Behörden.
12.4. In der Beschwerde wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den angefochtenen Bescheid beheben und dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz gewähren; 2.) den angefochtenen Bescheid beheben und dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; 3.) in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und feststellen, dass die Abschiebung nach Russland auf Dauer unzulässig sei; 4.) in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückverweisen; 5.) eine mündliche Verhandlung anberaumen.
13. Die Beschwerdevorlage vom 24.01.2019 und der Verwaltungsakt langten am 28.01.2019 beim BVwG ein.
14. Mit Urkundenvorlage vom 27.07.2020 wurden zwei Gehaltsabrechnungen des BF, nämlich für Mai und Juni 2020, vorgelegt.
15. Mit Schriftsatz vom 20.10.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Beweismittelliste zur Lage in der Russischen Föderation mit Stand 10.10.2022, insbesondere Länderinformationsblatt, Version 9, letzte Änderung: 10.10.2022) und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde dem BF die Ladung für die mündliche Verhandlung am 04.11.2022 vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.
16. Am 02.11.2022 legte die XXXX Vollmacht im gegenständlichen Verfahren.
17. Mit Schriftsatz vom 03.11.2022 stellte die XXXX einen Antrag auf Zeugenbefragung der Ehefrau sowie der Tochter des BF zum Nachweis des Bestehens eines schutzwürdigen Familienlebens in Österreich. Die Ehefrau des BF gehe mit diesem regelmäßig zu Demonstrationen in XXXX gegen XXXX und XXXX und könne auch zur aktuellen Gefahr einer Verfolgung des BF in Russland aussagen. Der BF lebe mit seiner Ehefrau und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt.
18. Am 03.11.2022 lösten XXXX Rechtsanwälte das Vollmachtsverhältnis zum BF mit sofortiger Wirkung auf.
19. Mit Dokumentenvorlage vom 03.11.2022 wurde für den BF ein Versicherungsdatenauszug vom 31.10.2022, ein ÖSD Zertifikat auf Sprachniveau B1 vom 30.01.2013, ein Prüfungszeugnis (Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung) vom 19.06.2013 und eine Einstellungszusage vom 19.10.2022 vorgelegt.
20. Am 04.11.2022 fand vor dem BVwG unter der Beiziehung eines Dolmetschers für die tschetschenische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt:
Die Niederschrift lautet auszugsweise:
„Befragung des BF:
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Russischen Föderation (RF) an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise zuletzt aufgehalten haben.
BF: Ich heiße XXXX , ich bin am XXXX geboren im Dorf XXXX in XXXX . Ich habe die tschetschenische Staatsbürgerschaft gehabt, es wird hier festschrieben, dass ich die russische Staatsbürgerschaft habe, ich weiß es nicht. Ich denke ich bin staatsbürgerschaftslos. Mein Geburtsort ist XXXX .
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Ich bin Tschetschene.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?
BF: Ja, ich bin sunnitischer Moslem.
RI: Legen Sie bitte Ihren Konventionsreisepass vor.
BF: Mein Pass ist schon abgelaufen.
RI: Haben Sie ihn da?
BF: Ich muss meine Frau fragen. Der Pass ist zu Hause.
RI: Legen Sie mir bitte binnen 10 Tagen eine Kopie des Konventionspasses inkl. allen Ein- und Ausreisestempeln vor.
RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Russischen Föderation, welche Ihre Identität zweifelsfrei beweisen?
BF: Nein.
RI: Besaßen Sie jemals einen russischen Reisepass?
BF: Ich hatte einen Reisepass, aber als ich unterwegs war, habe ich ihn verloren.
RI: Wann haben Sie ihn denn verloren?
BF: Als ich inhaftiert wurde, habe ich ihn gehabt, aber danach als ich rauskam, habe ich ihn gesucht und er war nicht auffindbar. Meine Frau hat auch gesagt, sie hätte gesucht, aber auch nicht gefunden.
RI: Wann haben Sie sich den russischen Reisepass ausstellen lassen?
BF: An die Daten kann ich mich nicht erinnern. Vor ca. 4 Jahren oder vor 4,5 Jahren. Ich habe Probleme mir Daten zu merken.
RI: Aber Sie haben sich den russischen Reisepass ausstellen lasse, als Sie schon in Österreich waren?
BF: Ja, ich habe ein Problem gehabt, deshalb habe ich mir diesen Pass ausstellen lassen.
RI: Besitzen Sie derzeit einen gültigen russischen Reisepass?
BF: Nein.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 17.07.2018 auf Seite 5 des Protokolls angegeben, dass Sie vor Ihrer Reise nach XXXX in 2017 bei der russischen Botschaft in XXXX einen russischen Auslandsreisepass beantragt und ausgestellt bekommen haben. Was war der Grund, dass Sie sich diesen russischen Reisepass haben ausstellen lassen?
BF: Ich wurde von der Regierung XXXX gerufen, nach Tschetschenien zu kommen. Sie haben immer wieder gesagt, kommst du her, es passiert dir nichts, haben sie versprochen. Ich habe gesagt, ich habe keine Dokumente. Sie sagten mir, ich soll hingehen und mir den Pass ausstellen lassen. Sie haben gesagt, lass dir einen Pass ausstellen und komm her.
RI: Sie haben vorhin von einem Problem gesprochen. Was war das konkrete Problem, warum Sie den Pass ausstellen haben lassen?
BF: Es war das Problem, ich wurde hin gerufen, wegen meinem Schwager, der hier in Österreich lebt. Er ist verheiratet mit meiner Schwester.
RI: Was war der Grund?
BF: Er heißt XXXX , er ist nun der Exmann von meiner Schwester.
RI: Was war es für ein Problem mit dem Schwager?
BF: XXXX hat im Internet die Mutter und den XXXX im Internet sehr geschimpft. Er hat nicht von politischen Dingen gesprochen, sondern er hat sie geschimpft. Sie wollten ihn erreichen, und das konnten sie nicht schaffen. Dann haben sie erfahren, dass er mein Schwager ist und mich haben sie gefunden. Das war der Grund. Sie haben mich in Tschetschenien gesucht. Durch meine Tante haben sie erfahren meine Telefonnummer hier. Dann wurde ich kontaktiert. Dann wurde ich aufgefordert nach Tschetschenien zu kommen.
RI: Sind Sie dann mit dem russischen Reisepass nach Tschetschenien gereist?
BF: Dann bin ich gereist, in die Slowakei. Von der Slowakei bin ich nach XXXX geflogen und dann nach XXXX .
RI: Wann hat diese Reise stattgefunden?
BF: Ich kann mich nicht an Daten erinnern. Ich kann es ungefähr sagen, es war ca. 2017.
RI: Wie lange waren Sie dann in der RF?
BF: 3 Tage war ich in Tschetschenien. In XXXX lebt meine Cousine. Sie arbeitet im Handel. Dort habe ich ca. 1 Woche verbracht und dann bin ich von dort nach Tschechien geflogen. So bin ich zurückgekommen.
RI: Wie konnten Sie das Problem mit Ihrem Schwager in Tschetschenien lösen?
BF: Als ich nach Tschetschenien kam, traf mich der Cousin von XXXX . Ich habe ihn nicht gekannt, aber mir wurde gesagt, dass er es ist.
RI: Was wurde mit ihm besprochen?
BF: Er hat mir gesagt, weil XXXX mein Schwager ist, bin ich in Kontakt mit ihm, ich kann wissen wo er ist und ich soll ihnen sagen, wo er sich befindet. Das ist alles was sie von mir verlangen. Sie wollten nur von mir wissen, wo XXXX ist.
RI: Haben Sie ihnen gesagt, wo XXXX ist?
BF: Ich habe es nicht gewusst, ich wusste nur, dass er in Österreich ist. Genau wo er ist, wusste ich nicht.
RI: Aber diese Frage nach dem Aufenthaltsort Ihres Schwagers XXXX , diese Frage hätte man Ihnen auch am Telefon stellen können. Warum hat man Sie da extra dafür nach Tschetschenien geholt?
BF: Sie haben ihn gesucht. Sie haben einen namens XXXX umgebracht. Und sie wollten den Schwager genauso umbringen, aber sie konnten ihn nicht finden. Sie wollten mit mir genauer besprechen, was ich machen soll. Sie haben mich gebeten, dass ich ihn kontrolliere, wenn er von der Wohnung unterwegs ist und zu Terminen geht.
RI: Sind Sie bei diesem Aufenthalt in Tschetschenin auch misshandelt oder verhört worden?
BF: Nein, dieses Mal wurde mir versprochen, dass alles in Ordnung bleibt. Ich habe Wachmänner bei mir gehabt und es wurde mir ein Flugzeug bestellt. Von XXXX wurde ich nach Tschetschenien in einem Privatflugzeug gebracht.
RI: Was ist bei diesem Gespräch rausgekommen? Haben Sie den Aufenthaltsort verraten? Was war das Ergebnis dieser Reise?
BF: Wenn ich XXXX ausspioniere, haben sie mir Freiheit versprochen, wenn ich nach Tschetschenien zurückkomme.
RI: Hatten Sie vor nach Tschetschenien zurückzukommen?
BF: Ja, wenn die Regierung Putin, die Okkupationsregierung weg wäre, dann würde ich zurück nach Tschetschenien gehen.
RI: Haben Sie jetzt den XXXX Leuten irgendwelche Informationen liefern können oder war Ihre Reise für die XXXX Leute ergebnislos?
BF: In diesem Moment hatte ich keine Information, ich habe gesagt, ich mache es so, wie sie es verlangt haben.
RI: Haben Sie dann, wie Sie zurück waren, die Überwachungstätigkeiten Ihres Schwagers durchgeführt oder nicht?
BF: Nein, ich habe diese Überwachung nicht gemacht. Warum sollte ich das machen? Ich habe natürlich gewusst wo er ist, weil wir waren in Kontakt. Er hat seine Kinder besucht, aber überwacht habe ich ihn nicht.
RI: Haben Sie später noch irgendetwas von den XXXX Leuten gehört?
BF: Ja, sie haben mich immer wieder angerufen. Sie haben Kontakt mit mir gehalten. Sie haben mir immer gesagt, dass ich ihnen sagen soll, wo er ist. Sie haben sogar zwei Männer hierhergeschickt. Mit Waffen haben sie zwei Männer geschickt. Meine Aufgabe war nur zu zeigen wo der Mann ist und wer er ist.
RI: Was haben Sie dann gemacht, wie die zwei Herren vor Ihnen gestanden sind?
BF: Die zwei Männer haben mich getroffen und ich habe ihnen falsche Informationen geliefert. Ich habe in der XXXX gelebt. Sie haben auch mich ausspioniert gehabt. Sie haben gewusst wo ich wohne und haben bei mir angeläutet. Ich habe ihnen eine Polizeistelle, dort wo ich wohne gezeigt, und habe gesagt, er wird hier überwacht, er wohnt hier im Polizeihaus und ist dort geschützt.
RI: Damit haben sich die zwei Männer mit Ihrer Aussage zufrieden gegeben?
BF: Nein, zufrieden sind sie nicht gebliebene. Aber die zwei Männer waren nicht die, die angerufen haben. Die Anrufe kamen von Tschetschenien. Sie haben mich nach ein paar Tagen kontaktiert und mich gefragt, ich soll ihnen helfen.
RI: Was haben die zwei Männer daraufhin gemacht? Was ist passiert?
BF: Mehr konnte ich ihnen nicht sagen. Sie haben von mir nichts verlangt und haben sich vielleicht selber auf die Suche gemacht. Von mir haben sie nichts gehört.
RI: Haben Sie von diesen zwei Männer wieder etwas gehört?
BF: In der Zeit danach habe ich nichts von ihnen gehört. Aber damals habe ich versucht, sie auszuspionieren. Sie haben gut Deutsch gesprochen. Ich habe nachgefragt, wie sie heißen und die Telefonnummer, von der sie mich angerufen haben, habe ich der Polizei auch weitergeleitet.
RI: Die zwei Männer haben Sie auch angerufen?
BF: Nicht die zwei, sondern das war wieder eine tschetschenische Nummer.
RI: Die zwei bewaffneten Männer, die vor der Tür gestanden sind, was haben diese noch gemacht? Haben Sie von denen noch etwas gehört oder gesehen?
BF: Die zwei Männer haben mich nicht angerufen, aber ich habe sie gesucht und versucht herausfinden, wer diese sind.
RI: Ist es Ihnen gelungen?
BF: Ich wurde immer wieder von Tschetschenien angerufen und mir wurde gesagt, dieses Mädchen muss nach Hause gebracht werden. Ich habe gefragt, und sie meinten diesen XXXX .
RI: Haben Sie diese zwei Männer, die vor Ihrer Tür gestanden sind, gesehen oder haben sich diese bei Ihnen wieder gemeldet?
BF: Sie sind nicht mehr gekommen. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen. Hier von der Polizei wurden sie aufgesucht, von der Polizei wurden mir verschiedene Fotos gezeigt.
RI: Stand Ihr Schwager jemals unter Polizeischutz?
BF: Ja, damals war er auch unter Polizeischutz. Jetzt hat er den Namen geändert und ist auch unter Polizeischutz und ist total versteckt.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie aufgrund Ihres Schwagers von XXXX Leuten in Österreich ausfindig gemacht wurden, in die RF eingeladen wurden, dort sogar von einem Privatflieger von XXXX nach Tschetschenien gebracht wurden, dort befragt wurden und dass zwei bewaffnete Leute später sogar nach Österreich geschickt wurde, um Ihren Schwager ausfindig zu machen. Warum sollte ein derartiger Aufwand betrieben werden, von tschetschenischer Seite, um Ihren Schwager ausfindig zu machen? Welche exponierte Stellung hat Ihr Schwager inne, um einen derartigen Aufwand zu rechtfertigen, zumal Sie angegeben haben, dass er im Internet lediglich über die XXXX Familie geschimpft hatte?
BF: Ja, wie ich gesagt habe, das war so und was er getan hat, war, dass er geschimpft hat. Er hat in schlechter Art über die Mutter von XXXX geschimpft. Er hat gesagt, dass dessen Mutter mit Putin zusammen war. Aus diesem Grund wurde ein anderer Tschetschene umgebracht, dieser heißt XXXX .
RI: Sind Sie nach Ihrer Reise 2017 zu der Sie von XXXX Leuten eingeladen worden sind, wieder einmal in der RF gewesen oder nicht?
BF: Nein, ich habe erstens keine Dokumente und zweitens keinen Wunsch hinzugehen.
RI: Wann sind Sie das letzte Mal von XXXX Leuten kontaktiert worden?
BF: Genau kann ich es nicht sagen, aber ich glaube 2017 Ende des Jahres, so kann ich es schätzen. Ich weiß es nicht. Seit ich inhaftiert war, danach sind sie nicht mit mir in Kontakt gekommen. Aber sie haben, wie mir meine Tante mitgeteilt hat, meine Tante besucht und gefragt, warum ich nicht mit ihnen in Kontakt komme und haben meine Tante aufgefordert, ich solle Kontakt aufnehmen.
RI: Wann war der Besuch bei der Tante durch die XXXX Leute?
BF: Es war ungefähr vor einem Monat. Dann hat meine Tante ihnen damals gesagt, ich habe wegen ihnen große Probleme mit der Polizei bekommen. Sie hat auch gesagt, dass sie mit mir nicht mehr in Kontakt ist, obwohl ich mit meiner Tante in Kontakt bin. Die XXXX Leute sind wie sie sind, sie nutzen alle aus, die sie ausnutzen können.
RI: Haben Sie noch die gleiche Telefonnummer wie 2017?
BF: Nein, ich habe zwei Handys an die Polizei abgegeben gehabt mit 2 Sim Karten drinnen, diese habe ich nicht zurückbekommen.
RI: Leben Sie noch an der gleichen Adresse wie 2017?
BF: Ja.
RI: Welche Sprachen sprechen Sie?
BF: Tschetschenisch, bisschen Deutsch und Russisch.
RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie begonnen und abgeschlossen. Welche Berufsausbildung haben sie begonnen und abgeschlossen und welchen Berufstätigkeiten sind Sie nachgegangen. Ich meine, sowohl im Herkunftsstaat, wie im Bundesgebiet. Ich ersuche um eine möglichst chronologische Auslistung Ihrer Berufstätigkeiten.
BF: Die Daten kann ich nicht genau sagen, wann ich in die Schule gegangen bin. Ich habe 6 Klassen Schule besucht. Die Schule habe ich nicht abgeschlossen. Zur Zeiten von Itschkeria habe ich zwei Jahre bei XXXX gearbeitet, als Leibwächter gearbeitet. Danach habe ich am Flughafen für XXXX auch so etwas gemacht, ca. 3 Jahre lang. Er wurde vor 5 Jahren oder so in der Türkei getötet. Danach war Krieg. Dann bin ich mit XXXX in den Krieg gegangen. Das war der zweite Tschetschenienkrieg. Im zweiten Tschetschenien Krieg waren wir Elitearmee, XXXX war Leiter dieser Elitearmee.
RI: Was haben Sie im zweiten Tschetschenienkrieg getan?
BF: Bis 2004 war ich im Krieg als Soldat aktiv. Dann war mein Bruder verschollen, er ist noch immer verschollen. Ich habe nichts über ihn gehört. Dann bin ich auf die Suche nach meinem Bruder gegangen. Ich habe nach meinem Bruder gesucht. Auf diesem Weg wurde ich mehrmals festgehalten, dann wieder freigelassen.
RI: Was haben Sie im ersten Tschetschenienkrieg gemacht?
BF: Ich habe als Soldat im ersten Tschetschenienkrieg unter XXXX gekämpft. Im zweiten Krieg war ich bis 2004 tätig und habe dann meinen Bruder gesucht. Im zweiten Krieg war ich auch verletzt. Ich wurde dann in Deutschland operiert.
RI: Wann wurden Sie verletzt im zweiten Tschetschenienkrieg?
BF: Ich kann mich an keine Daten erinnern. Es war vielleicht 2003.
RI: Nach 2004, haben Sie dann nochmals als Soldat gekämpft?
BF: Nein. Danach bin ich nach Österreich gekommen. Ich war inhaftiert in Tschetschenien. Ich wurde verhaftet zuerst für 5 Jahre, dann habe ich Beschwerde eingelegt und wurde freigesprochen.
RI: Weswegen sind Sie für 5 Jahre verurteilt worden?
BF: Als ich festgenommen wurde, wurde ich nur Tage lang geschlagen. Mir wurden vorgelegt, irgendwelche Dokumente, Beschuldigungen. Dann habe ich endlich eine Unterschrieben. Ich hatte keine Zeugen gehabt und konnte nichts beweisen.
RI: Deswegen sind Sie verurteilt worden? Was war die Tat die man Ihnen vorgeworfen hat?
BF: Mir wurde Raub vorgeworfen. Es wurde mir vorgeworfen, dass ich LKW´s ausgeraubt habe, von der russischen Armee. Dort im Gericht war einer, der in diesem Auto gewesen ist, der hat bezeugt, dass ich nicht auf diese Person passe, wegen Größe etc. Diese Person, die den LKW ausgeräumt hat, hat den gleichen Namen wie ich gehabt, also den Familiennamen.
RI: Wie lange sind Sie dann festgehalten worden und wann sind Sie wieder freigekommen?
BF: Ein Jahr und 8 Monate ca.
RI: Wann sind Sie freigesprochen worden?
BF: Ich wurde festgenommen 2004, dann bin ich ein Jahr und 8 Monate in Haft gesessen. Dann gab es eine Gerichtsverhandlung, da wurde ich freigesprochen. Nachher musste ich auch noch 10 Tage in Haft bleiben, dann wurde ich freigelassen. Sie mussten mir Geld zahlen, wegen der ungerechtfertigten Haft. Sie wollten mir nicht das Geld zahlen, deswegen musste ich noch weiter in Haft bleiben.
RI: VORHALTUNG: Sie haben gerade angegeben, im Jahr 2004 in der RF festgenommen worden zu sein und dann ein Jahr und 8 Monate in Haft gesessen zu sein. Wie sollen diese Angaben mit dem Umstand übereinstimmen, dass Sie am 04.08.2004 in Österreich Ihren Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben? Das passt von der Zeitfolge her nicht.
BF: Wahrscheinlich erinnere ich mich nicht richtig. Das war dann wohl 2004, als ich freigelassen worden bin. Vielleicht wird meine Frau es besser wissen, wenn Sie sie fragen.
RI: Haben Sie irgendwann eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF: Nein. In Österreich habe ich nur B1 Deutschkurs und den Führerschein gemacht.
RI: Haben Sie im Herkunftsstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen?
BF: Ich habe dort in Tschetschenien an der Uni studiert. Ich habe die Uni besucht.
RI: Was haben Sie in Tschetschenien studiert und bis wann?
BF: Es ist die Erdöl Uni. Ich habe damals als Security gearbeitet und nebenbei studiert. Ich habe auch ein Zeugnis gehabt, aber ich habe die Uni nicht abgeschlossen.
RI: Sie haben vorhin angegeben, Ihre Schule nicht abgeschlossen zu haben, die Sie 6 Jahre besucht haben. Wie können Sie ohne Schulabschluss an einer Universität studieren?
BF: Ich weiß es nicht. Dass ich so aktiv im Krieg teilgenommen habe und so ordentlich. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das Recht zu studieren bekommen.
RI: Welchen Berufstätigkeiten sind Sie nachgegangen? Im Herkunftsstaat und in Österreich.
BF: In Tschetschenien war ich immer Security und hier bin ich Zimmermann.
RI: Wann sind Sie das erste Mal nach Österreich gereist und seit wann befinden Sie sich durchgehend in Österreich?
BF: Ich bin, glaube ich, schon 18 oder 17 Jahre hier in Österreich.
RI: Sind Sie durchgehend in Österreich oder sind Sie wieder ausgereist?
BF: Ich war in Deutschland. Mein erstes Kind kam in Deutschland auf die Welt.
RI: Wie lange waren Sie in Deutschland?
BF: Ein halbes Jahr.
RI: Wann war das?
BF: Ich glaube ungefähr 2005.
RI: Haben Sie in Deutschland einen Asylantrag gestellt?
BF: Ja, habe ich versucht, aber sie haben gesagt, sobald das Kind auf die Welt kommt, werden wir nach Österreich zurückgeschickt.
RI: Mit welchen Verwandten sind Sie zeitgleich nach Österreich gekommen?
BF: Mit meiner Frau.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der RF und in welcher Stadt? Bitte zählen Sie diese mit Namen, Geburtsdatum und Wohnort auf?
BF: Meine Verwandten väterlicherseits leben in XXXX , aber die Geburtsdaten weiß ich nicht. Von der Mutterseite leben meine Verwandten in XXXX .
RI: Zählen Sie mir alle Verwandten väterlicherseits in XXXX mit Namen auf.
BF: Onkel XXXX , er ist gestorben. Dann war mein Vater XXXX , auch er ist gestorben. Dann mein Onkel XXXX , dieser lebt noch. XXXX (alle Onkel haben den Nachnamen XXXX ) und drei Tante habe ich, XXXX .
RI: Was ist mit den Verwandten mütterlicherseits in XXXX ?
BF: Die Familie meiner Mutter hatte den Familiennamen XXXX , meine Mutter heißt XXXX . Wie die Tanten mit Familiennamen heißen, weiß ich nicht. Tante XXXX und Tante XXXX .
RI: Haben Sie noch Verwandte im Herkunftsstaat?
BF: Nein.
RI: Was ist mit Ihrer Schwester und deren 4 Kinder?
BF: Jetzt glaube ich sogar sie hat 5.
RI: Wie hießt Ihre Schwester?
BF: XXXX . Sie ist 3 Jahre jünger als ich.
RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren im Herkunftsstaat lebenden Verwandten? Wenn ja, wie oft?
BF: Ich bin in Kontakt nur mit meiner Tante XXXX und mit Schwester XXXX , ca. ein Mal in drei Monaten.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu XXXX ?
BF: Ich bin nicht so stabil mit XXXX auch. Vielleicht einmal in der Woche. Kurz frage ich wie es geht.
RI: Wovon leben ihre im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten?
BF: Ich kann nichts sagen über die Anderen. XXXX und ihr Sohn beziehen Pension.
RI: Verfügen Ihre im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten über Vermögenswerte im Herkunftsstaat (Auto, Haus, Eigentumswohnung, Grundstück,…)?
BF: Ich weiß nicht, was die Familie besitzt. Wir haben ein Grundstück, das ist von väterlicherseits geblieben. Das wird nicht verkauft. Dieses Grundstück muss behalten werden, das darf man nicht verkaufen.
RI: Wer verwaltet dieses Grundstück?
BF: Das Grundstück weiß ich nicht, wer es verwaltet. Wir hatten auch zwei Wohnungen in XXXX , aber dann wurde das Haus während des Kriegs zerstört. Wie wir es zurückwollten, sagte die Regierung, dass wir nichts bekommen, weil mein Bruder gegen die Regierung gekämpft hat.
RI: Auf dem Grundstück, das Sie erwähnt haben. Ist da ein Haus drauf?
BF: Nein, ein Haus gibt es dort nicht. Ich glaube das Grundstück verwaltet mein Onkel.
RI: Leben diese im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten noch immer am gleichen Wohnort, wie zu der Zeit, als Sie ausgereist sind?
BF: Ja, im Dorf, sie leben dort, wo sie gewohnt haben.
RI: Sind diese im Herkunftsstaat lebenden Verwandten seit Ihrer Ausreise von den Behörden des Herkunftsstaates jemals behelligt worden?
BF: Ja, ein Cousin und noch ein weiterer Verwandter sind getötet worden. Dieses Gebiet wieder immer so beobachtet.
RI: Wann sind denn Ihr Cousin und der weitere Verwandte getötet worden?
BF: Ca. 2008 oder 2009, ich weiß es nicht.
RI: Weiß man, durch wen Sie getötet worden sind?
BF: Ja, XXXX Armee.
RI: War das im Zuge von Kriegshandlungen?
BF: Ja, sie haben sie umgebracht, weil sie gegen XXXX sind.
RI: Verfügen Sie über Verwandte, welche außerhalb der Russischen Föderation leben? Nennen Sie mir bitte Namen, Geburtsdaten und den Wohnort dieser Verwandten?
BF: Nein.
RI: Verfügen Sie über Verwandte im Bundesgebiet? Wenn ja, welche? Bitte zählen Sie alle mit Namen, Geburtsdatum und Wohnort auf.
BF: XXXX , meine ältere Schwester, ca. XXXX Jahre. Mein Bruder XXXX er ist 5 Jahre jünger. Ich habe auch eine Cousine in Deutschland. Sie heißt XXXX , sie ist in meinem Alter. In Österreich war meine Mutter, sie ist aber schon gestorben. Sie ist 2020 verstorben.
RI: Wo ist sie begraben?
BF: In Tschetschenien.
RI: Sind Sie zum Begräbnis Ihrer Mutter gegangen?
BF: Nein, wir waren nicht.
RI: Wer war beim Begräbnis Ihrer Mutter?
BF: Begraben haben die Verwandten in Tschetschenien meine Mutter. Wir haben einer Firma Geld bezahlt und sie haben sie nach Tschetschenien überstellt.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben noch in Österreich? Nennen Sie Namen und Geburtsdaten bitte.
BF: Meine Frau XXXX geboren, meine Tochter XXXX geboren XXXX geboren, XXXX geboren, Sohn XXXX ist am XXXX geboren.
RI: Sind das alle Verwandten in Österreich?
BF: Ja.
RI: Wann sind Ihre Mutter und Ihr Bruder nach Österreich gekommen und was war der Grund für deren Einreise in das Bundesgebiet?
BF: Der Grund warum ich meinen Bruder hierhergebracht habe war, er wurde von XXXX Leute geschlagen und festgehalten. Danach habe ich ihn hergebracht.
RI: Wann war das?
BF: Leider kann ich mich nicht daran erinnern?
RI: Wie viele Jahre ist dies her?
BF: Ich glaube ca. 8 oder 9 Jahre.
RI: Und Ihre Mutter?
BF: Die Mutter ist dann alleine geblieben ohne Unterstützung, weil wir weg waren. Ich habe sie hergeholt, gegen ihren Willen, weil sie wollte nicht her. Sie hatte niemanden, der sich um sie kümmert. Nach ca. 6 Monaten, als ich den Bruder hergeholt habe, ist sie auch gekommen.
RI: Wie ist der Aufenthaltsstatus Ihrer im Bundesgebiet lebenden Verwandten?
BF: Meine Schwester hat die Staatsbürgerschaft. Mein Bruder hat Asyl, Konventionspass. Ich sitze da mit Problemen. Meine Frau und die Kinder haben auch die Konventionspässe.
RI: Mit welchen Ihrer in Österreich aufhältigen Verwandten leben Sie zurzeit in einem gemeinsamen Haushalt und seit wann?
BF: Ich lebe mit meiner Frau zusammen. Einige Zeit waren wir geschieden. In dieser Zeit habe ich bei meinem Bruder und so gelebt. Dann sind wir wieder zusammengekommen.
RI: Von wann bis wann waren Sie geschieden?
BF: Das müssen Sie meine Frau fragen, ich kann mich nicht erinnern.
RI: Leben Sie zurzeit mit Ihrer Frau und mit den Kindern zusammen?
BF: Ja.
RI: Haben Sie mit diesem Verwandten auch vor Ihrer Haftstrafe in Österreich in einem Haushalt zusammengelebt?
BF: Ja.
RI: Wann ist Ihr leiblicher Vater gestorben und wie?
BF: Ich kann mich leider nicht genau erinnern. Ca. 2002 oder 2003, ich war damals in Haft.
RI: Woran ist er gestorben?
BF: Ich wurde nicht genau darüber informiert. Es war ihm alles zu viel. Ein Sohn wurde getötet und ich war in Haft. Es war ihm alles zu viel. Er ist plötzlich gestorben.
RI: Eines natürlichen Todes?
BF: Mir wurde das nicht gesagt. Wenn ich nach Hause gehe und mich genauer informiere, würde ich es genau wissen.
RI: Wovon leben Ihre in Österreich aufhältigen Verwandten?
BF: Meine Schwester arbeitet im Jugendamt. Mein Bruder macht Deutschkurse und geht manchmal mit mir arbeiten, in XXXX überall wo ich bin auf der Baustelle. In einem Moscheeverein ist der Bruder, dort hilft er freiwillig, er ist dort Imam, in der XXXX .
RI: Wovon leben Ihre in Österreich aufhältigen Verwandten? Wovon leben Ihre Gattin und Ihre Kinder?
BF: Meine Gattin arbeitet im Geschäft H&M, sie ist glaube ich Verkäuferin. Ich arbeite auf der Baustelle. Jetzt seit 2, 3 Wochen bin ich arbeitslos. Ich habe eine Einstellungsbestätigung, dass diese Firma mich wiederaufnehmen wird, wenn sie wieder anfangen.
RI: Verfügen Ihre in Österreich aufhältigen Verwandten noch über Vermögenswerte im Herkunftsstaat, z.B.: Eigentumswohnung, Haus, Grundstücke, Auto, etc.?
BF: Nein, nicht dass ich wüsste.
RI: Verfügen Sie noch über Vermögenswerte im Herkunftsstaat, z.B. Eigentumswohnung, Haus, Grundstücke, Auto, etc.?
BF: Ich weiß es nicht. Ich habe einmal ein Grundstück damals bekommen, aber ich habe keine Ahnung davon, ob es annulliert ist, oder ob es noch immer auf meinem Namen steht. Das habe ich noch von der Itschkeria Regierung bekommen.
RI: Haben Sie sich nicht über Ihre Tante informiert, ob es dieses Grundstück noch gibt?
BF: Die Tante habe ich nicht gefragt. Wenn die Leute wissen, dass dieses Grundstück aus Zeiten von Itschkeria stammt, wird es mir weggenommen. Ich gehe davon aus, dass ich dieses Grundstück nicht mehr habe.
RI: Wann haben Sie Ihre Gattin XXXX , geb. am XXXX , geheiratet?
BF: Ich habe sie geheiratet, als ich vom Gefängnis freigekommen bin, das wird 2004 gewesen sein.
RI: Haben Sie auch standesamtlich oder nur traditionell geheiratet?
BF: Standesamtlich haben wir es auch gemacht. Wir wollten weggreisen, da brauchten wir normale Dokumente.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem BFA am 17.07.2018 auf Seite 3 des Prot. angegeben bereits seit Juli 2017 von XXXX und Ihren Kindern getrennt zu leben, d.h. also schon vor Antritt Ihrer Haftstrafe. Was war der genaue Grund der Trennung?
BF: Ganz genau wollte ich es nicht erzählen, ich geniere mich darüber. Es war wegen der XXXX Geschichte. Es war, als die XXXX Leute den Schwager gesucht haben.
RI: Warum hat dies mit Ihrer Ehetrennung zu tun?
BF: Es ist so, nach unserer Tradition, wenn wir eine Familie sind, gehört es, dass ich weiß, wo ihr Bruder ist, aber, wenn ich mit ihr getrennt bin, kann ich sagen, ich weiß es nicht, er ist nicht mein Angehöriger. Das war mein Gedanke. Sie können von mir nichts verlangen.
RI: Gibt es noch einen anderen Grund für die Trennung Ihrer Frau?
BF: Nein.
RI: VORHALTUNG: Aus einer aktuellen KPA Anfrage, gehen zwei Einträge hervor, von Gewalt in der Privatsphäre in der Tatörtlichkeit der Wohnung. Ist Ihnen das bekannt?
BF: Ja, der Streit war deswegen. Deswegen habe ich gesagt, dass ich mich schäme es zu erzählen.
RI: Was ist vorgefallen?
BF: Ich kann mich daran nicht erinnern. Wir haben einmal nur diesen Streit gehabt. Ich kann mich nicht erinnern, was das war.
RI: VORHALTUNG: Aus diesen Eintragungen im KPA geht eine fortgesetzte Gewaltausübung in der Privatsphäre hervor, wobei der letzte Vorfall am 30.07.2021 stattgefunden haben soll. Was sagen Sie dazu?
BF: Jetzt fällt mir was ein. Es war ja in der Wohnung. Wir haben nur wörtlich gestritten. Es war kein ernster Streit, aber meine Frau war böse auf mich und ist aus der Wohnung gegangen zu einer Nachbarin und dann habe ich telefonisch angerufen und habe mit ihr gesprochen, aber geschimpft. Die Tochter, die bei mir zu Hause in der Wohnung war, hat die Polizei angerufen. Es war die Polizei da und hat auch meine Frau mit ihnen gesprochen und hat gesagt, es ist nichts passiert. Dann ist die Polizei wieder weggegangen.
RI: Ist es auch zu einer Körperverletzung gekommen?
BF: Nein. Dann habe ich für eine Woche Betretungsverbot bekommen.
RI: Wann haben Sie dieses Betretungsverbot bekommen?
BF: Daran kann ich mich nicht erinnern, fragen Sie meine Frau.
RI: Ist es schon länger her?
BF: Ich kann mich nicht genau erinnern, vielleicht ein Jahr oder eineinhalb Jahre.
RI: Ihre Kinder leben in einem gemeinsamen Haushalt mit Ihnen und Ihrer Gattin?
BF: Ja.
RI: Sind alle Ihre Kinder die gemeinsamen Kinder von Ihnen und Ihrer Gattin?
BF: Ja.
RI: Welchem Beruf bzw. welcher Schul- oder Ausbildung gehen Ihre Kinder zur Zeit nach?
BF: Iman geht in die HAK im XXXX , Richtung: Buchhaltung, welche Schulklasse weiß ich nicht. XXXX geht in die HTL XXXX , Richtung XXXX , die Klasse weiß ich nicht. XXXX geht in den Kindergarten.
RI an RV: Bitte legen Sie binnen 10 Tagen Kopien des letzten Jahreszeugnisses vor und eine Bestätigung des Kindergartens.
RI: Haben Sie seit der erstmaligen Einreise in Österreich im Jahr 2004 auch in einem anderen Land gelebt bzw. in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union?
BF: Nein, ich war nicht in anderen Ländern. Durch die Slowakei bin ich nur durchgefahren. Zuerst war ich in Österreich, dann bin ich nach Deutschland gegangen.
RI: VORHALTUNG: Sie haben vor dem Bundesasylamt am 15.06.2005, befragt nach Ihren Fluchtgründen, noch angegeben, nie aktiv an Kampfhandlungen gegen das russische Militär oder gegen russische Soldaten beteiligt gewesen zu sein. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 19.12.2006 vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat haben Sie sehr wohl angegeben im ersten Tschetschenienkrieg aktiv gekämpft und im zweiten Tschetschenienkrieg Kämpfer aktiv unterstützt zu haben. Außerdem berichteten Sie erstmals von Ihrer Leibwächtertätigkeit für XXXX zwischen 1996 bis 1999. Heute haben Sie sogar angegeben, auch im zweiten Tschetschenienkrieg als Soldat gekämpft zu haben. Wieso haben sich Ihre Angaben zu Ihren seinerzeitigen Fluchtgründen im Zuerkennungsverfahren und danach derart geändert bzw. inhaltlich gesteigert?
BF: Ja, als ich herkam das erste Mal, war schon mein Schwager und meine Schwester schon in Österreich. Er hat mir geraten, ich darf nicht hier sagen, dass ich im Krieg beteiligt war, das ist nicht gut oder gefährlich. Ich habe ihm zugehört, ich habe gedacht, dass er ein normaler Mensch ist und ich habe ihm zugehört. Ich habe deshalb nicht gesagt, dass ich im Krieg war. Dann nach drei Jahren, war ein neues Interview bei mir, dann habe ich darüber erzählt und gesagt, dass ich im Krieg war. Der Richter hat mich gefragt, ob ich das mit etwas bezeugen kann, dass ich im Krieg war. Ich habe gesagt ja, das kann ich bestätigen. Hier ist von XXXX ein Cousin von ihm hier, namens XXXX . XXXX habe ich zu meinem Interview mitgenommen. Er wurde als Zeuge dann eingeladen. Der Richter hat ihn gefragt, ob er das bestätigen kann und XXXX hat dies bejaht. XXXX hat diese ganze Geschichte über mich und meinem Bruder erzählt gehabt, in seinem Interview. Der Richter, der die Verhandlung geführt hat, hat diese Geschichte gewusst. Obwohl XXXX das selber erzählt hat, hat er zu mir gesagt, dass ich das nicht erzählen soll, dass ich im Krieg war und an Demos teilgenommen hatte. Der Richter hat alles über mich gewusst, das sich in Haft gesessen bin und mein Bruder getötet worden ist. Er hat mir gleich im Saal Asyl zuerkannt.
RI: Waren Sie oder Ihre Familie im Herkunftsstaat jemals politisch aktiv?
BF: Ja. Es war für mich schwer, die ganze Geschichte zu schildern, zu erklären wie das war.
RI wiederholt die Frage.
BF: Immer war meine Meinung zu meinem Land zu stehen und ich war gegen die Okkupanten die zu uns gekommen waren, ich war immer dagegen.
RI: Inwieweit waren Sie im Herkunftsstaat politisch aktiv?
BF: Ich weiß nicht, wie es erklären soll. Ich habe immer für mein Land gekämpft. Für Itschkeria. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich habe als Security gearbeitet. Ich habe mich um die Ordnung gekümmert. Ich habe für Itschkeria gekämpft. Ich habe freiwillig ausgeholfen, was zu machen war.
RI: Sind Sie oder Ihre hier lebenden Verwandten seit Ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat politisch aktiv gewesen? Wenn ja, wann sind Sie das erste Mal politisch im Bundesgebiet in Erscheinung getreten?
BF: Ja, meine Schwester war auch sehr politisch aktiv und hat an allen Demos teilgenommen. Wenn ich Bilder von dieser Zeit anschaue.
RI wiederholt die Frage.
BF: Ich gehe hier immer zu Demonstrationen, das letzte Mal war in der XXXX . Meine Frau war auch mit mir dort. Sie wird sich an das Datum erinnern können. Ich weiß es nicht.
RI: Wann sind Sie das erste Mal in Erscheinung getreten im Bundesgebiet?
BF: Seit ich ausgereist bin, aus Tschetschenien, war ich immer bei Demos dabei. Bei jeder Frage, wenn es um Tschetschenien geht, war ich dabei.
RI: Wann sind Sie das erste Mal in Erscheinung getreten? Wan haben Sie das erste Mal teilgenommen an Demos?
BF: Das erste Mal war ich bei einer Demo in Deutschland. In XXXX waren Tschetschenen zusammengekommen. Ich kann mich nicht erinnern, wann das erste Mal war. Ich gehe immer. Mein Bruder ist in der Moschee Imam, er schickt mir immer SMS und dann gehe ich mit.
RI: VORHALTUNG: Sie haben im Rahmen eines am 03.11.2022 übermittelten beschwerdeseitigen Schriftsatzes - neben dem erfolgten Antrag auf Zeugenbefragung - angemerkt, dass Sie und Ihre Frau regelmäßig zu Demonstrationen in Österreich gehen würden und Sie daher bei Rückkehr einer Bedrohung ausgesetzt wären. Selbiges haben Sie auch heute behauptet. Seit wann nehmen Sie an den besagten Demonstrationen teil und wofür oder wogegen haben Sie da genau demonstriert?
BF: Immer haben wir demonstriert für die Freiheit von Tschetschenien. Letztes Mal waren wir zusammen, Ukrainer, Syrier und Tschetschenen.
RI: Wogegen haben Sie hier demonstriert?
BF: Gegen Putin und für Freiheit.
RI: Sind Sie nur Teilnehmer an diesen Demonstrationen gewesen oder sind Sie auch organisatorisch tätig gewesen?
BF: Organisatorisch nicht. Wenn ich zu Demos gehe, verstecke ich mein Gesicht immer.
RI: Wie regelmäßig fanden diese Demonstrationen statt und wo und an wie vielen Demonstrationen haben Sie persönlich teilgenommen?
BF: Es waren 7 bis 8 Mal habe ich teilgenommen. Es gibt eine Seite im Internet, eine Aktivistin ist dort, sie heißt Rosa. Meine Frau ist auf Facebook oder so mit ihr befreundet.
RI: Gibt es Aufnahme, Filme oder Mitschnitte auf denen Sie bei der Teilnahme an diesen Demonstrationen mit Bild und Namen zweifelsfrei erkennbar sind? Wenn ja, legen Sie diese bitte vor.
BF: Derzeit habe ich das nicht. Was wir angeschaut haben, dort war ich nicht zu sehen. Die Kamera ist nicht bis zu mir gekommen. Dort waren viele Leute die gefilmt haben und Korrespondenten. Ich werde auch etwas finden können, wo ich darauf zu sehen bin.
RI: Sind Sie mit Bild und Namen auf der Demonstration erkennbar oder nur als Vermummter in einer Masse?
BF: Ich bin dort nicht so, ich bin nur in der Masse zusehen.
RI: Sind Sie auch unter eigenem Bild und Namen im Internet politisch aktiv? Wenn ja, wo und wann?
BF: Nein, nirgends bin ich. Auf WhatsApp auch nur manchmal. Ich bin nirgends mit Namen oder Bild gemeldet.
RI: Sind Sie aufgrund Ihrer Demonstrationsteilnahmen in XXXX jemals persönlich bedroht, misshandelt oder verfolgt worden?
BF: Nein, in XXXX nicht, da ist Ordnung, da ist Polizei. Hier wurde ich nicht misshandelt oder bedroht.
RI: Sie haben vorhin angegeben in XXXX an Demos teilgenommen zu haben. Sind Sie aufgrund dieser Demoteilnahmen jemals persönlich bedroht, verfolgt oder misshandelt worden?
BF: Ich bin nirgends gemeldet. Ich bin nur in XXXX , da verfolgt mich niemand, da ist Polizei, da sind Gesetze, da ist Ordnung. Ich bin auch nicht misshandelt worden. Ich bin im Internet auch nirgends gemeldet. Außer in Österreich war ich nirgends.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation?
BF: Ich fürchte von der Regierung Putins und der Regierung XXXX , wenn ich zurückkehre.
RI: Was befürchten Sie konkret?
BF: Wenn ich zurückkehre zu XXXX , nach Tschetschenien, ich muss XXXX dienen und ihn als Gott annehmen oder ich muss wieder in den Wald gehen und mich verstecken.
RI: Warum sollten Sie heute - 18 Jahre nach Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation - noch von irgendjemanden im Herkunftsstaat gesucht werden?
BF: Derzeit, in dieser Zeit ist es besonders gefährlich, wegen dem Krieg in der Ukraine. Dadurch ist die Situation von XXXX unsicher geworden. Jetzt sucht er besonders die Leute, die ihm feindlich gesinnt sind. Wenn das nicht so wäre, wer würde nicht wollen, nach Hause zu gehen? Ich konnte dort auch leben und arbeiten, genauso wie hier. Wenn es dort möglich wäre.
RI: Haben Sie im Herkunftsstaat Ihren Wehrdienst absolviert?
BF: Nein, seit ich 14 Jahr alt bin, bin ich schon in den Krieg gegangen.
RI: Haben Sie irgendeinen Nachweis, dass Sie als Person bei Rückkehr nach Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt wären?
BF: Was für Belege kann ich haben, wie soll ich das von dort bekommen. Alle meine Freunde kämpfen jetzt in der Ukraine gegen XXXX und kämpfen im Krieg.
RI: Könnten Sie in einem anderen Teil der Russischen Föderation leben?
BF: Nein, wenn ich irgendwie rauskomme dort. Es gibt so viele Beispiele, wenn ich dort bin und sie das erfahren, dass ich dort bin, wird XXXX mich auf seine Seite ziehen wollen. Es gibt so viele Beispiele.
RI: Sie wurden im Bundesgebiet bereits straffällig und sind strafrechtlich verurteilt worden. Wie oft bzw. wie lange haben Sie sich Österreich in Strafhaft befunden?
BF: Ich war 1 Mal in Haft und zwei Mal wurde ich verurteilt.
RI: Wissen Sie noch, welchen Taten diesen strafrechtlichen Verurteilungen jeweils zu Grunde liegen?
BF: Ja.
RI: Womit hat Ihre kriminelle Laufbahn begonnen und was war der Grund für die ersten Straftaten? Etwa Langeweile, finanzielle Not, zerrüttete Familienverhältnisse, schlechter Umgang oder anderes? Können Sie mir erklären, wie es bei Ihnen soweit gekommen ist?
BF: Ich war in einer Beziehung mit einer Ukrainerin. Dann haben wir einen Streit gehabt. Ich habe sie nicht geschlagen gehabt, wir hatten nur Streit. Sie hat mich aber angezeigt. Dadurch wurde ich verurteilt.
RI: Wann waren Sie in dieser Beziehung mit der Ukrainerin?
BF: Es soll 2018 oder 2019 gewesen sein.
RI: Wie stehen Sie heute zu diesen Straftaten im Bundesgebiet?
BF: Ich bereue es sehr. Ich wurde für 6 Monate auf Bewährung verurteilt. Die Strafe ist schon abgelaufen.
RI: Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie mit einer Ukrainerin 2018 oder 2019 eine Beziehung gehabt hätten und Sie wegen eines Streifalls von dieser angezeigt worden wären und danach verurteilt worden sind. Die zwei Verurteilungen, die aus dem Strafregisterauszug hervorgehen, stammen vom 12.12.2017 und vom 03.10.2018. Welche Verurteilung meinen Sie jetzt?
BF: Ich habe nur 2 Verurteilungen gehabt, das soll aber dann 2017 gewesen sein.
RI: VORHALTUNG: Aus dem Strafregister der Republik Österreich geht hervor, dass 2 strafrechtliche Verurteilung zu Ihrer Person eingetragen sind wegen Delikten, die etwa gegen das Eigentum aber auch die persönliche Freiheit Dritter gerichtet sind, aber auch wegen Delikten nach dem Suchtmittelgesetz oder dem unbefugten Gebrauch oder Besitz von Waffen und Sie haben zuletzt eine mehrjährige Freiheitsstrafe ausgefasst. Wie gedenken Sie ernsthaft diesen Teufelskreis ihres im Bundesgebiet bisher zu Schau getragenen hochkriminellen Verhaltens künftig zu durchbrechen?
BF: Damals, ich war kokainsüchtig, ich war krank. Aber jetzt nicht mehr. Ich kann mich daran nicht erinnern, was ich damals genau gemacht.
RI: Sie verfügen im Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte in den Personen des Bruders, der Schwester, der Gattin und Ihrer Kinder? Sind sie der einzige in der Familie, der bislang mit dem Gesetz im Bundesgebiet in Konflikt geraten ist oder sind auch andere Mitglieder Ihrer Familie bereits im Bundesgebiet strafrechtlich verurteilt worden?
BF: Nein, niemand. Nur seit ich so süchtig geworden war, habe ich das gemacht. Als ich schon das genommen habe, habe ich das unbewusst gemacht.
RI: Was sagen Ihre Geschwister oder Ihre Gattin und die Kinder zu Ihrem bisherigen kriminellen Verhalten im Bundesgebiet?
BF: Ich selber bereue es sehr, es ist mir sehr peinlich. Das gehört sich nicht. Meine Verwandten waren sehr enttäuscht und traurig darüber.
RI: VORHALTUNG: Sie sind zwischen Dezember 2017 und Oktober 2018, also binnen weniger als einem Jahr, in Österreich insgesamt zweimal strafrechtlich verurteilt worden und haben von 29.03.2018 bis 26.03.2021 das Haftübel verspürt. Begründen Sie mir bitte glaubhaft und nachvollziehbar, wieso Sie im Bundesgebiet nicht wieder in das bisherige kriminelle Verhaltensmuster zurückfallen werden?
BF: Es ist alles passiert, wegen meiner falschen Freunde. Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg. Wenn ich nicht auf dem richtigen Weg wäre, würde ich nicht arbeiten gehen. Ich habe meine falschen Freunde alle weggelassen und treibe Sport. RI: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaften bei Vereinen, Clubs,…)?
BF: Ich gehe in die Arbeit. Ich treibe Sport. Ich habe einen Freund, der Jude ist, er hat einen Sportclub. Ich gehe dorthin trainieren mit ihm zusammen. So verbringe ich mein Leben. Dann bin ich zu Hause mit meiner Familie. Ich bin zu Hause, gehe arbeiten und treibe Sport.
RI: Haben Sie österreichische Freunde?
BF: Ich habe Kollegen in der Arbeit, so 4 Leute. Stabil, Freunde habe ich nicht. Ich hatte einen Freund, der ist gestorben.
RI: VORHALTUNG: Laut aktuellen AJ-Webauszug haben Sie zuletzt von 24.05.2022 bis 07.10.2022 als Arbeiter im Bundesgebiet gearbeitet und Gehalt verdient, davor haben beispielsweise von 21.02.2022 bis 20.05.2022, von 02.11.2021 bis 17.12.2021 oder von 17.08.2021 bis 25.10.2021 oder von 29.07.2021 bis 13.08.2021 oder von 29.03.2021 bis 01.04.2021 als Arbeiter zwar wiederholt, aber immer nur für wenige Wochen oder Monate am Stück gearbeitet und dazwischen Arbeitslosengeld und Notstandshilfe im Bundesgebiet bezogen. Wie stellen Sie sich Ihre weitere Zukunft in Österreich vor und wieso gehen Sie momentan keiner Beschäftigung im Bundesgebiet nach?
BF: Notstand habe ich nie bezogen. Sonst ist es so gewesen. Auf der Baustelle gibt es instabile Arbeit.
RI: Waren Sie in Österreich bislang ehrenamtlich tätig?
BF: Das habe ich gemacht, als wir bei der Caritas gelebt haben, dort habe ich freiwillig geholfen, z.B. beim Renovieren etc. Ich weiß nicht, wo ich das machen kann, ich würde das gerne tun.
RI: Haben Sie in Österreich sonst eine Fort-, Aus- oder Weiterbildung betrieben? Wenn ja, welcher Art?
BF: Ich habe Deutschkurse, A1, A2 und B1 mehrmals gemacht, eine Ausbildung nicht. Aber ich bin so vergesslich, deshalb geht eine Ausbildung nicht. Auch den Führerschein habe ich gemacht und Deutschkurse B1.
RI: Im Rahmen einer Dokumentenvorlage vom 03.11.2022 haben Sie ein Sprachzertifikat auf dem Niveau B1 vorgelegt vom 30.01.2013, wie auch ein Prüfungszeugnis über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung vom 19.06.2013.
BF: Ja, ich habe die Kurse gemacht. Ich wollte die Staatsbürgerschaft erwerben und habe Kurse gemacht und die Prüfung bestanden. Ich habe mich bemüht und keine Strafe begangen. Dann durch diese XXXX Geschichte ist Vieles schiefgegangen und ich habe keine Staatsbürgerschaft erhalten.
RI (ohne Übersetzung): Was gefällt Ihnen an Österreich?
BF (ohne Übersetzung): Für mich gefällt österreichische Kultur und österreichische Wetter auch, das gleiche wie Tschetschenien.
RI (ohne Übersetzung): Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Was sind Ihre Hobbys?
BF (ohne Übersetzung): Meine Hobby Sport, in Freizeit immer Sport machen, mit Fahrrad.
RI (ohne Übersetzung): Was haben Sie vergangenes Wochenende gemacht?
BF (ohne Übersetzung): Ich habe gemacht zu Hause, Fliesen gemacht. War immer zu Hause.
RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?
BF: Ich war beim Arzt, ich habe Probleme mit dem Bauch. Ich hatte stechende Schmerzen gehabt und habe Antibiotika bekommen.
RI: Was waren das für Bauchschmerzen?
BF: Genau weiß ich nicht, aber der Arzt meinte, es ist eine Darmentzündung und der Arzt hat Antibiotika verschrieben.
RI: Nehmen Sie Medikamente?
BF: Nur Parkemed bei Kopfschmerzen und Antibiotikum.
RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?
BF: Bin ich nicht.
RI: Sind Sie arbeitsfähig?
BF: Ja, ich warte auf Arbeit.
RI: Welche Sprache sprechen Sie mit Ihrem Bruder und der Schwester, sowie Ihrer Gattin und Ihren Kindern in Österreich?
BF: Ich spreche meistens Tschetschenisch, mit den Kindern aber auch gemischt Deutsch.
RI an RV: Haben Sie Fragen an den BF?
RV: Was war genau Ihre Rolle im zweiten Tschetschenienkrieg?
BF: Ich war mit XXXX zusammen, wir waren die Elitegruppe, ca. 60 Leute. Ich war sehr eng zusammengebunden mit XXXX . Wir haben nicht Krieg geführt, sondern Tschetschenien nur verteidigt.
RI: Aber mit Waffengewalt nehme ich an?
BF: Ja.
RV: Wurden Sie 2017 von jemanden unter Druck gesetzt nach Tschetschenien zu reisen?
BF: Ja, ich wurde unter Druck gesetzt, sonst wäre ich nicht gefahren und hätten sie mir nicht versprochen meine Sicherheit, wäre ich auch nicht gefahren.
RV: Seit wann sind Sie nicht mehr süchtig und welche Therapien haben Sie gegen Ihre Drogensucht gemacht?
BF: Seit ich im Gefängnis war, bin ich nicht mehr süchtig. Ich habe Therapie gemacht, aber ohne Medikamente. Mir wurden Medikamente angeboten, aber ich habe sie nicht genommen. Die Ärztin sagte mir, ob ich das schaffe ohne Medikamente, das war schwer. Ich habe so viel geschwitzt damals, aber ich habe es ausgehalten, ohne Medikamente durchzukommen, aber die Therapie habe ich gemacht.
RV: Wann haben Sie das letzte Mal einen Drogentest gemacht?
BF: Vor einem Monat.
RV: Müssen Sie regelmäßig Drogentests machen?
BF: Nein, nicht immer. Es ist so ein Gesetz in Österreich, wenn jemand mit Drogen zu tun hatte, wenn er vom Gefängnis rauskommt ist er verpflichtet, ein Jahr lang alle zwei Monate einen Drogentest zu machen.
RV: Wie oft hatten Sie Kontakt zu Ihren Kindern während Sie in Haft waren?
BF: Ich habe stabile Kontakte gehabt, als ich in Haft war, mit meiner Familie. Als meine Mutter noch am Leben war, hat sie mich auch immer besucht, wenn Besuchstag war.
RI: Wie oft war das?
BF: Es ist nicht so, es kommt nicht jeder wann er will. Wir hatten bestimmte Besuchszeiten und diese Zeit war für meine Familie eingeteilt, wann wer kommen kann. Einmal war es der Bruder, einmal die Mutter und einmal die Frau mit Kinder. Bei jeder Besuchszeit hat mich jemand besucht.
RI: Wie viele Besuchstage gab es in der Woche?
BF: Das weiß ich nicht. Wenn Sie meine Frau fragen, wird sie es genau sagen.
RV: Was unternehmen Sie mit Ihren Kindern im Alltag?
BF: Wir spielen mit den Kindern. Ich begleite meinen kleinen Sohn in den Kindergarten und zurück. Ich bin sehr begeistert von ihm.
RV: Keine weiteren Fragen.
BF verlässt den Saal. Z betritt den Saal.
Die Verhandlung wird um 12:41 Uhr unterbrochen und um 12:46 Uhr fortgesetzt.
RI an RV: Sie haben mit 03.11.2022 schriftlich beantragt, dass sowohl die Gattin des BF und auch dessen Tochter zum Beweiszwecke eines aufrechten Familienlebens des BF im Bundesgebiet, sowie zu den erfolgten Demonstrationsteilnahmen im Bundesgebiet des Zeugen befragt werden. Ist aus Ihrer Sicht die Einvernahme beider Familienmitglieder zum selben Beweiszweck noch notwendig oder reicht es Ihnen die Ehegattin des BF, die als Zeugin befragt zu haben?
RV: Ich ziehe den Antrag hinsichtlich der Z2 zurück.
Befragung der Zeugin:
[…]
RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft und Ihren derzeitigen Aufenthaltsstatus in Österreich?
Z: Ich heiße XXXX , in der Stadt XXXX . Ich habe die russische Staatsbürgerschaft. Ich bin Asylberechtigte.
RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Russischen Föderation und in welcher Stadt? Zählen Sie bitte alle mit Namen und Geburtsdatum auf und sagen Sie mir bitte auch den jeweiligen Wohnort.
Z: Meine Mutter wohnt in XXXX und die Schwester auch. Meine Mutter heißt XXXX und meine Schwester XXXX , beide wohnen in XXXX . Ich habe auch Cousins und Cousinen, die wohnen in Tschetschenien, aber die wohnen im Dorf. Wir sind eine große Familie. Ich habe so ca. 15 bis 20 Cousin und Cousinen, die in verschiedenen Städten leben.
RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu Ihren in der Russischen Föderation aufhältigen Verwandten und wie treten Sie in Kontakt?
Z: Mit der Mutter und Schwester bin ich täglich in Kontakt. Mit den Cousins und Cousinen einmal in zwei bis drei Wochen.
RI: Wovon leben ihre im Herkunftsstaat aufhältigen Verwandten?
Z: Meine Schwester arbeitet in einem Restaurant als Köchin. Meine Mutter bekommt Pension.
RI: Verfügen Sie selbst im Herkunftsstaat über Vermögenswerte (Haus, Eigentumswohnung, Grundstück oder Fahrzeuge)?
Z: Nein.
RI: Wovon leben Sie, Ihr Gatte und Ihre Kinder im Bundesgebiet? Woher beziehen Sie Ihren Lebensunterhalt?
Z: Ich arbeite, ich bekomme meinen Lohn. Mein Mann hat bis jetzt auch gearbeitet. Ende November muss er wiedereingestellt sein.
RI: Was arbeiten Sie?
Z: Ich arbeite im Verkauf bei H&M.
RI: Seit wann haben Sie diesen Job?
Z: Ich habe früher bei TKMaxx auf der XXXX ein halbes Jahr gearbeitet. Seit ca. 1,5 Jahren arbeite ich bei H&M.
RI: Welche Summe Geldes steht Ihnen, Ihrem Gatten und Ihren Kindern pro Monat zur Verfügung um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Können Sie mir darüber einen Überblick geben?
Z: Ca. 3000 – 3300 Euro, alles zusammen (Einkünfte, Familienbeihilfe etc.). Meine Tochter Iman hat auch ein eigenes Einkommen, sie arbeitet bei der Aida Konditorei, immer samstags. Sie verdient auch ca. 400 Euro extra.
RI: Wovon haben im Zeitraum 29.03.2018 bis 26.03.2021, als Ihr Gatte in Haft war, gelebt?
Z: ich habe Mindestsicherung bekommen.
RI: Besteht mit Ihrem Gatten und den gemeinsamen Kindern derzeit ein gemeinsamer Haushalt? Wenn, ja seit wann und zu welchen Zeiten haben Sie getrennt gelebt?
Z: Ja, wir wohnen jetzt zusammen. Getrennt haben wir ca. 2016 bis 2018 gelebt.
RI: Das heißt seit Ihr Ehegatte aus der Haft zurückgekehrt ist, leben Sie wieder in einem gemeinsamen Haushalt?
Z: Ja.
RI: VORHALTUNG: Ihr Gatte, der BF, hat vor dem BFA am 17.07.2018 auf Seite 3 des Prot. angegeben bereits seit Juli 2017 von Ihnen, Fr. XXXX , und Ihren Kindern getrennt zu leben, d.h. also schon vor Antritt seiner Haftstrafe. Was war der genaue Grund der Trennung?
Z: Sowie ich gemerkt habe, hat er damals mit Drogen angefangen. Ich habe es aber nicht sofort erkannt. Es hat mit ihm etwas nicht gestimmt. Er hat verschiedene Zustände gehabt. Er hat auch eine andere Frau kennengelernt. Das war der Grund, warum wir uns getrennt haben.
RI: Wissen Sie, um welche andere Frau es gegangen ist?
Z: Ja.
RI: War es eine bekannte von Ihnen?
Z: Nein. Ich weiß, die Frau war aus der Ukraine.
RI: Hat es noch andere Gründe gegeben, dass Sie sich von Ihrem Mann getrennt haben?
Z: Nein.
RI: VORHALTUNG: Aus einer KPA Anfrage gehen zwei Einträge für Ihren Mann hervor. Ein Eintrag betrifft einen Fortgesetzte Gewaltausübung in der Privatsphäre. Als Tatörtlichkeit wird die Wohnung genannt? Gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und Ihren Ehegatten gegeben?
Z: Ja, wir haben ab und zu gestritten.
RI: Hat es gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben?
Z: Nein.
RI: Ihr Ehegatte hat zuvor berichtet, dass es eine Auseinandersetzung zwischen Ihnen beiden gegeben hat, bei der Ihre Tochter die Polizei gerufen hat.
Z: Ja, das war 2021 im Sommer. Wir haben uns gestritten und ich bin zu meiner Nachbarin gegangen, weil ich nicht mehr mit ihm diskutieren wollte. Er hat mich angerufen, dann haben wir weiter am Telefon uns gestritten. Meine Tochter bekam Angst und hat die Polizei angerufen.
RI: Gab es nur eine verbale Auseinandersetzung oder auch eine körperliche?
Z: Wir haben telefonisch gestritten und zu Hause.
RI: Aber körperliche Übergriffe hat es nicht gegeben?
Z: Nein, er hat nur das Handy nach mir geworfen.
RI: Ihr Ehegatte hat auch davon gesprochen, dass er ein einwöchiges Betretungsverbot in der Wohnung gehabt hat. War das bei diesem Streit?
Z: Ja, bei diesem.
RI: Hat es davor schon derartige Streits gegeben, die dazu geführt haben, dass Sie die Wohnung verlassen haben?
Z: Nein.
RI: Und was war der Grund für die Wiederherstellung des gemeinsamen Haushaltes?
Z: Er konnte zwei Wochen nicht kommen. Wir konnten uns nicht sehen. Wir haben aber telefoniert, wir haben es geklärt und wir haben uns beruhigt.
RI: ich meinte die Wiederherstellung nach der Trennung.
Z: Wir haben 4 Kinder. Das 4. Kind wurde 2018 geboren. Wir haben auch viel geredet, dass wir 4 Kinder haben, wir müssen unsere Familie zusammenhalten. Es kommen schlechte und gute Zeiten. Es passiert in jeder Familie etwas, aber wir sind zum Schluss gekommen, dass wir zusammenhalten müssen.
RI: Sie haben vorhin berichtet, dass sich Ihr Mann aufgrund seines damaligen Drogenkonsum verändert hat. Sie haben jetzt berichtet von einem Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung für Ihren Mann im letzten Jahr. Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt Angst vor Ihrem Mann gehabt?
Z: Nein, Angst hatte ich nie.
RI: VORHALTUNG: Im Rahmen eines am 03.11.2022 übermittelten beschwerdeseitigen Schriftsatzes wurde - neben dem Antrag auf die heutige Zeugenbefragung - zusätzlich angemerkt, dass Sie und Ihr Gatte, der BF, regelmäßig zu Demonstrationen in XXXX gehen würden und dieser daher bei Rückkehr einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Selbiges wurde auch heute vom BF nochmals behauptet. Seit wann nehmen Sie und seit wann nimmt Ihr Mann an den besagten Demonstrationen teil? Wogegen bzw. wofür haben Ihr Mann und Sie in Österreich demonstriert?
Z: Es gibt eine Webseite auf Instagram namens Kulturverein Itschkeria. Wir waren am 25.09. am Menschenrechteplatz. Ich habe die Werbung gesehen und wir sind dorthin gegangen. Die Demo war gegen den Krieg in der Ukraine und die Okkupation die in Tschetschenien passiert.
RI: War das die erste Demo zu der Sie mit Ihrem Mann gegangen sind?
Z: Ich war früher auch an verschiedenen Demos. Z.B: vor ein oder zwei Jahren war ich am 23.02. am Denkmal für den unbekannten russischen Soldaten, das war Demo zur Erinnerung an die Deportation der Tschetschenien nach Sibirien.
RI: War Ihr Mann auch dabei?
Z: Nein, er war damals im Gefängnis.
RI: Wie oft ist Ihr Mann bei den Demos, die Sie erwähnt haben, mitgegangen?
Z: Nachdem Gefängnis war er zwei bis drei Mal bei Demos dabei.
RI: Sind Sie und Ihr Mann nur Teilnehmer an diesen Demonstrationen oder ist einer von Ihnen auch organisatorisch tätig?
Z: Wir sind nur Teilnehmer.
RI: Wie regelmäßig finden diese Demonstrationen statt und wo und an wie vielen Demonstrationen haben Sie und an wie vielen Demonstrationen hat Ihr Mann persönlich teilgenommen?
Z: Es ist immer verschieden. Es kamen ab und zu Benachrichtigungen über WhatsApp von einer Freundin, die ist fast immer dabei. Auf Instagram, auf dieser Webseite sieht man auch die Termine für irgendwelche Demonstrationen.
RI: An welcher Demonstration hat Ihr Mann zuletzt teilgenommen? Nennen Sie bitte Datum, Zeit und Ort?
Z: Das war am 25.09. im 7. Bezirk am Menschenrechteplatz.
RI: Wie viele Leute haben teilgenommen?
Z: Es waren viele Menschen. Es waren alle Leute die gegen die russische Regierung sind.
RI: Gibt es Aufnahme, Filme oder Mitschnitte auf denen Ihr Mann bei der Teilnahme an diesen Demonstrationen mit Bild und Namen zweifelsfrei erkennbar sind?
Z: Wir verweigern, dass uns jemand filmt oder Fotos macht. Auf der letzten Demo haben wir auch Schutzmaske getragen. Aus Angst, dass uns jemand filmt. Ich habe Videoabschnitte auf meinem alten Handy wo ich mitgefilmt habe, aber nicht meinen Mann.
RI: Sind Ihr Mann und/oder Sie auch unter eigenem Bild und Namen im Internet politisch aktiv? Wenn ja, wo und wann?
Z: Nicht das ich wüsste, nein.
RI: Sind Sie oder Ihr Mann aufgrund Ihrer Demonstrationsteilnahmen in XXXX jemals persönlich bedroht, misshandelt oder verfolgt worden?
Z: Nein.
RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr ihres Mannes in die Russische Föderation?
Z: Das wird für ihn sehr schlimm. Besonders in der jetzigen Zeit, es ist jetzt Krieg. Alle tschetschenischen Männer wären verpflichtet in die Ukraine zu fahren und Krieg zu führen für Russland.
RI: Ich habe die Frage schon Ihren Mann gestellt, der konnte sich jedoch nicht erinnern. Können Sie mir sagen, in welche Schule und welche Klasse Ihre Kinder gehen?
Z: Iman geht in die HAK im XXXX in die 4. Klasse. XXXX in die 1. Klasse HTL XXXX . Tochter Aisha geht in die 8. Klasse Mittelschule in der XXXX und der jüngste geht in den Kindergarten.
RI an RV: Haben Sie noch Fragen an die Zeugin?
RV: hat sich das Verhalten Ihres Mannes seit der Inhaftierung verändert?
Z: Ja, auf jeden Fall.
RV: In welchem Sinn?
Z: In guter Richtung, in bessere Richtung.
RV: Können Sie das ein bisschen näher beschreiben?
Z: Ich weiß, dass er sich dafür schämt, was er gemacht hat. Er findet das auch schlecht, was er gemacht hat. Er ist ein guter Vater für die Kinder. Auch wenn wir eine schlechte Zeit hatten, er ist ein guter Ehemann. Er kümmert sich um die Kinder, wenn ich arbeite. Ich arbeite meistens bis 21 Uhr. Er macht etwas mit den Kindern zusammen.
RV: Wie oft hatten Sie und Ihre Kinder Kontakt mit Ihrem Ehemann, während er in Haft war?
Z: am Anfang habe ich versucht jede Woche zu ihm zu fahren. Danach war ich ca. drei Mal im Monat bei ihm. Er war am Anfang nicht in XXXX , sondern in XXXX . Das war ein bisschen schwer mit den Kindern. Dann war er in XXXX im Gefängnis.
RV: Wie würde sich Ihr Leben und das Leben Ihrer Kinder verändern, wenn er zurückkehren müsste?
Z: Es wäre sehr schwierig für uns. Auf der einen Seite finanziell und auf der anderen Seite, es sind 4 Kinder und ich müsste das alleine machen. Das wird sehr schwer für mich. Die Kinder würden ihn auch sehr vermissen.
RV: Keine weiteren Fragen.
Z verlässt den Saal und BF betritt den Saal.
Das Protokoll wird Ihnen rückübersetzt. Z bekommt die Protokollierung ihrer Befragung zur Durchsicht vorgelegt“.
18. Mit Schriftsatz vom 09.11.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF aktuelle Feststellungen zur Situation in seinem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt vom 09.11.2022, Version 10) und wurde Gelegenheit eingeräumt binnen einer Woche, hg einlangend, eine Stellungnahme dazu abzugeben.
21. Mit Dokumentenvorlage vom 14.11.2022 wurden Kopien des Konventionsreisepasses des BF, gültig von 03.09.2014 bis 02.09.2019, die Jahreszeugnisse des Schuljahres 2021/22 der 3 Kinder des BF, die Urkunde seines Sohnes als bester Schüler des Jahres 2021/22, Schulbesuchsbestätigungen der schulpflichtigen Kinder des BF und Besuchsbestätigung des Kindertagesheims für den letztgeborenen Sohn des BF.
22. Mit beschwerdeseitigem Schriftsatz vom 17.11.2022, nahm der BF über seinen rechtsfreundlichen Stellvertreter Stellung zu den am 09.11.2022 übermittelten Länderinformationen und brachte im Wesentlichen vor, dass der BF sich seit dem Jahr 2005 durchgehend in Österreich aufhalte und wiederholt immer wieder Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet nachgegangen sei. Er verfüge über eine aktuelle Einstellungszusage und würden seine Ehefrau und seine vier minderjährigen Kinder mit ihm im gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet leben. Der BF sei zweimal rechtskräftig verurteilt worden, seine Kernfamilie habe ihn auch in Haft regelmäßig besucht und führe der BF seit seiner Haftentlassung am 26.03.2021 ein ordentliches Leben. Da sich der BF seit seiner Inhaftierung im Jahr 2018 von seiner Drogenabhängigkeit gelöst habe, könne nach Ansicht der Rechtsvertretung davon ausgegangen werden, dass dieser auch in Zukunft nicht in das damalige kriminelle Verhaltensmuster zurückfallen werde. Anschließend wurde umfangreich Rechtsprechung zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung dargestellt und insbesondere ausgeführt, dass die Berücksichtigung des Kindeswohls in casu von großer Bedeutung sei. Der BF habe eine gute und innige Beziehung zu seinen minderjährigen Kindern, die ihn auch während seiner Inhaftierung besucht hätten.
Darüber hinaus befürchte der BF im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation, als Mann in einer guten physischen Verfassung auf der Seite der russischen Streitkräfte für den Ukraine-Krieg gegen seinen Willen eingezogen zu werden. Diesbezüglich wurden ergänzend Medienberichte auszugsweise zitiert. Der BF habe sowohl im ersten, als auch im zweiten Tschetschenienkrieg als Soldat teilgenommen und verfüge somit über eine große Erfahrung und spezielle militärische Kenntnisse. Der BF verurteile den Angriff Russlands auf die Ukraine zutiefst und lehne es ab an Kampfhandlungen und in weiterer Folge an völkerrechtswidrigen Handlungen im Ukraine- Krieg teilzunehmen. In einer Pressemitteilung des deutschen Bundesinnenministeriums vom 19.05.2022 werde russischen Deserteuren asylrechtlicher Schutz zugesichert. Der BF habe in beiden Tschetschenienkriegen aktiv als Soldat teilgenommen und verfüge daher über besondere militärische Kenntnisse. Es bestehe die reale Gefahr, dass er im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation zum Wehrdienst einberufen werde und in weiterer Folge unfreiwillig zu Kampfhandlungen im Ukraine-Krieg gezwungen werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des BF auf internationalen Schutz vom 04.08.2004, seiner Einvernahme im Zuerkennungsverfahren vor dem ehemaligen Bundesasylamt am 06.08.2004, sowie am 15.06.2005 und in der mündlichen Verhandlung vor dem ehemaligen UBAS am 19.12.2006, des Zuerkennungsbescheides des ehemaligen UBAS vom 19.12.2006, Zl. XXXX , der eingebrachten Beschwerde vom 23.01.2019 gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20.12.2018, der eingebrachten beschwerdeseitigen Stellungnahme vom 17.11.2022, der beschwerdeseitig vorgelegten Unterlagen, sowie der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, der Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem, dem AJ-Web, dem Strafregister der Republik Österreich und insbesondere des im Akt einliegenden Strafurteils, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Tschetschenen und dem muslimischen Glauben zugehörig. Seine Identität steht fest. Er spricht Tschetschenisch als Muttersprache und gut Russisch.
Der BF hat seine Ehefrau, XXXX , im Jahr 2004 geheiratet und hat mit ihr 4 gemeinsame Kinder, XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX und XXXX , geb. am XXXX . Die älteste Tochter des BF geht in die 4. Klasse einer HAK, sein ältester Sohn besucht die 1. Klasse einer HTL. Seine zweitälteste Tochter besucht die 4. Klasse einer Mittelschule und sein jüngster Sohn geht in den Kindergarten. Die Ehefrau des BF und seine Kinder leben im Bundesgebiet. Von 2016 bis 2018 hat der BF von seiner Ehefrau getrennt gelebt und bestand ab 09.09.2016 bis zur Inhaftierung des BF am 29.03.2018 kein gemeinsamer Haushalt. Von 24.04.2017 bis 23.06.2017 war der BF kurzzeitig an der Wohnadresse seiner Ehefrau und seiner Kinder neuerlich gemeldet. Seit seiner Haftentlassung am 26.03.2021 besteht mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern neuerlich ein gemeinsamer Haushalt. Die Ehefrau des BF und deren gemeinsame Kinder sind ebenfalls im Bundesgebiet asylberechtigt. Der BF spricht mit seiner Ehefrau Tschetschenisch, mit seinen Kindern spricht er Tschetschenisch und Deutsch.
Der BF wurde in XXXX einem Vorort von XXXX , geboren und ist ebendort aufgewachsen. Auch vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat lebte der BF zuletzt im Dorf XXXX .
Der BF reiste mit seiner Ehefrau spätestens am 04.08.2004 nach Österreich ein und stellte er, wie seine Ehefrau, an ebendiesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt spätestens im November 2004 reisten der BF und seine Ehefrau weiter nach Deutschland, wo sie am 13.11.2004 festgenommen wurden und am 18.11.2004 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Wegen ihres unbekannten Aufenthalts in Österreich wurden die Asylverfahren des BF und seiner Ehefrau mit Aktenvermerk vom 16.12.2004 eingestellt. Am 12.01.2005 kam die Tochter des BF und seiner Ehefrau in Deutschland zur Welt. Am 27.04.2005 wurden der BF, seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter nach Österreich rücküberstellt. Der BF ist seit seiner Rücküberstellung nach Österreich bis zum jetzigen Zeitpunkt im Bundesgebiet aufhältig und kam ihm mit Bescheid des ehemaligen UBAS vom 19.12.2006, XXXX , die Flüchtlingseigenschaft zu.
Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF glaubhaft einen asylrelevanten Sachverhalt verwirklicht hat. Dieser Entscheidung wurden die Feststellungen zugrunde gelegt, dass der BF sich bereits im Alter von 14 Jahren im Jahr 1994 den tschetschenischen Widerstandskämpfern, der Gruppe von XXXX , angeschlossen habe, weshalb XXXX , welcher nach Beendigung des ersten Tschetschenienkrieges 1996 und der Wahl XXXX zum Präsidenten im Jänner 1997 von diesem zum Vorsitzenden des tschetschenischen Sicherheitsrates ernannt worden sei und nun amtierender Präsident der tschetschenischen Republik XXXX sei, auf den BF aufmerksam geworden sei. 1996 sei der BF einer von 6 ständigen Leibwächtern XXXX geworden und sei dies bis 1999, bis nach Auflösung des tschetschenischen Sicherheitsrates, geblieben. Zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges 1999 habe der BF seine Leibwächtertätigkeit auf Anraten seines Vaters, welcher ihm gesagt habe, der BF solle zu Hause bleiben, weil er ohnedies bereits im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft habe, aufgegeben. Der BF sei in der Folge zu seinen Eltern in seinen Geburtsort zurückgekehrt, welcher wiederholt von Widerstandskämpfern als Stützpunkt genutzt worden sei und habe es ebendort immer wieder Säuberungen gegeben, im Rahmen welcher der BF auch mitgenommen worden sei. Der Bruder des BF sei im Jahr 2001 festgenommen worden und spurlos verschwunden. Bis zum heutigen Tag habe der BF keine Kenntnis über dessen Verbleib. Im Rahmen der Säuberungen sei der BF wiederholt mitgenommen worden, wobei diese noch nicht gezielt dem BF gegolten hätten. Im März 2003 sei der BF jedoch, als er sein XXXX bei der Polizei in XXXX registrieren habe lassen wollen, vom ehemaligen XXXX -Chef, welcher zufällig mit seinem Leibwächter ebendort anwesend gewesen sei, erkannt worden. Dieser sei ebenfalls aus dem Lager der ehemaligen Widerstandskämpfer gekommen, habe jedoch die Seiten gewechselt und sei nun an der Seite von XXXX gestanden, welcher die Präsidentschaftswahlen am 05.10.2003 gewonnen habe. Der BF sei als ehemaliger Widerstandskämpfer und Leibwächter XXXX identifiziert und auf der Stelle festgenommen worden. Der BF sei folglich gefoltert worden, damit er Informationen über XXXX und Namen von Widerstandskämpfern preisgebe. Unter Folter habe der BF Namen ihm bekannter Widerstandskämpfer aus seinem Dorf preisgegeben, doch habe man vom BF Namen aktueller Widerstandskämpfer gewollt. Der BF habe diverse Erklärungen unterschrieben, damit die Folterungen ein Ende hätten, wobei er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe, was genau er unterschrieben habe. Der BF sei darin diverser Straftaten bezichtigt worden, welche er nicht begangen habe, ua., dass er ein Terrorist sei und einen Raubüberfall begangen habe. Folglich sei der BF wegen des Raubüberfalls, welchen er nicht begangen habe, zu einer 5-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Urteil sei in der Folge behoben worden und das Verfahren zur neuerlichen Durchführung an die erste Instanz zurückverwiesen worden. Zwischenzeitig sei der BF in diversen Gefängnissen festgehalten und während seiner Anhaltung in Haft in XXXX an 4 Terminen beginnend vom 24.03.2002 bis 15.01.2003 vom internationalen Roten Kreuz besucht worden. Der BF sei daher bereits Ziel gezielter und konkret gegen seine Person gerichteten Übergriffen durch russische Behörden aufgrund seiner Vergangenheit als Leibwächter und als Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg gewesen. Der BF sei aufgrund seiner Vergangenheit und dem damit unterstellten Naheverhältnis zu anti-russischen tschetschenischen Kämpfern bereits mehrfach ins Blickfeld föderaler russischer Sicherheitskräfte geraten, weshalb dieser im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation weitere Verfolgungshandlungen zu befürchten habe.
Rechtlich wurde ausgeführt, der BF sei bereits gezielt Opfer von Übergriffen, Verhaftungen und Folter aufgrund des Umstandes gewesen, dass er im ersten Tschetschenienkrieg Widerstandskämpfer gewesen sei und insbesondere aufgrund des Umstands, dass er von 1996 bis 1999 einer der Leibwächter von XXXX , einem tschetschenischen Untergrundkämpfer, gewesen sei. Dem BF sei deshalb eine anti-russische Gesinnung unterstellt worden, was sich darin ausdrücke, dass der BF aufgrund der ihm unter Folter abgepressten Geständnisse letztlich einer strafgerichtlichen Verurteilung für eine Tat, welche er nicht begangen habe, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei. Der BF sei daher bereits massiv ins Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte geraten, weshalb diesem im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit weitere Verhaftungen drohen würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde nicht.
Der BF hat in der Russischen Föderation in seinem Heimatdorf 6 Klassen die Schule besucht, jedoch im Herkunftsstaat keine Berufsausbildung absolviert. Der BF hat in der Russischen Föderation im Sicherheitsbereich als Security Mitarbeiter gearbeitet.
Im Herkunftsstaat leben noch drei Onkel des BF vs., XXXX und drei Tanten des BF vs. XXXX und XXXX , welche allesamt im Heimatdorf des BF leben. Zwei Tanten des BF ms. leben ebenfalls in der Russischen Föderation, in XXXX . Die Schwester des BF, XXXX , ist verheiratet und lebt mit ihren 5 Kindern sowie ihrem Ehemann ebenfalls im Herkunftsstaat. Mit seiner Tante XXXX und seiner Schwester XXXX hat der BF regelmäßig Kontakt, wobei er mit seiner Schwester etwa alle 3 Monate und mit seiner Tante einmal pro Woche Kontakt hat. Seine Tante XXXX und deren Sohn beziehen im Herkunftsstaat eine Pension. Die Eltern des BF und ein Onkel sind bereits verstorben. Die Familie des BF vs. besitzt ein Grundstück, welches vom Onkel des BF verwaltet wird. Der BF war im Besitz eines Grundstücks in Tschetschenien, ob es noch in seinem Besitz ist, kann nicht festgestellt werden. Die Mutter und die Schwester seiner Ehefrau leben ebenfalls im Herkunftsstaat, in XXXX . Die Schwiegermutter des BF bezieht im Herkunftsstaat eine Pension, seine Schwägerin arbeitet als Köchin. Zu ihnen hat die Ehefrau des BF täglich Kontakt. Außerdem verfügt die Ehefrau des BF noch über 15-20 Cousins und Cousinen im Herkunftsstaat, zu welchen die Ehefrau des BF alle 2-3 Wochen Kontakt hat.
Im Jahr 2017 befand sich der BF für etwa 1 Woche in XXXX und zumindest 3 Tage in Tschetschenien.
Im Bundesgebiet war der BF zuletzt von 24.05.2022 bis 07.10.2022, von 21.02.2022 bis 20.05.2022, von 02.11.2021 bis 17.12.2021, von 17.08.2021 bis 25.10.2021, von 29.07.2021 bis 13.08.2021, von 29.03.2021 bis 01.04.2021, von 18.05.2021 bis 25.06.2021, von 18.01.2021 bis 19.03.2021, von 12.10.2020 bis 15.01.2021, von 27.07.2020 bis 11.09.2020, von 15.09.2020 bis 09.10.2020, von 11.05.2020 bis 17.07.2020 als Arbeiter angestellt. Davor war der BF im Jahr 2017 etwa 6 Monate lang als Arbeiter angestellt und 2 Monate lang geringfügig beschäftigt. Im Jahr 2016 war der BF etwa 7 ½ Monate lang als Arbeiter angestellt und im Jahr 2015 war der BF ca. 6 ½ Monate erwerbstätig. Im Jahr 2014 war der BF 9 Monate lang erwerbstätig, im Jahr 2013 etwa 10 Monate lang. Insgesamt war der BF im Bundesgebiet ab dem Jahr 2007 regelmäßig erwerbstätig, jedoch lediglich für mehrere Monate/Wochen, wobei er überwiegend in der Baubranche arbeitete. Zwischenzeitig bezog der BF immer wieder Arbeitslosengeld und zweimal Notstandshilfe. Auch derzeit bezieht der BF seit 08.10.2022 Arbeitslosengeld und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat am 30.01.2013 die ÖSD Sprachprüfung auf Sprachniveau B1 erfolgreich abgelegt, verfügt jedoch allenfalls über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Am 19.06.2013 hat der BF die Prüfung über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung, sowie der Geschichte Österreichs und des Landes XXXX gemäß § 10a des StbG bestanden. Der BF ist weder Mitglied in einem Verein, noch einer Organisation, noch hat er sonstige Aus-, Fort-, oder Weiterbildungen im Bundesgebiet absolviert und ist auch nicht ehrenamtlich tätig.
Der BF lebt derzeit mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen 4 Kindern in einem gemeinsamen Haushalt im Bundesgebiet. Die Ehefrau des BF ist ebenfalls berufstätig, sie arbeitet seit ca. 1 ½ Jahren in einem Modegeschäft als Verkäuferin. Zuvor hat sie ebenfalls ca. ein halbes Jahr bereits als Verkäuferin gearbeitet. Die älteste Tochter des BF arbeitet samstags geringfügig in einer Konditorei. In Österreich leben außerdem eine Schwester des BF, XXXX und ein Bruder, XXXX . Die Schwester des BF ist mittlerweile österreichische Staatsbürgerin und arbeitet beim Jugendamt. Sein Bruder verfügt über den Status eines Asylberechtigten im Bundesgebiet und arbeitet mit dem BF immer wieder auf Baustellen. Eine weitere Cousine des BF lebt in Deutschland. Die Mutter des BF ist im Jahr 2020 in Österreich verstorben und wurde nach Tschetschenien überstellt, wo sie begraben ist.
Im Jahr 2005 wurde beim BF eine posttraumatische Belastungsstörung nach Multitraumatisierung (Krieg, Folter) festgestellt. Zuletzt hatte der BF Probleme mit dem Bauch, es wurde eine Darmentzündung diagnostiziert, weshalb er Antibiotika eingenommen hat. Daraus ergeben sich per se keine aktuell schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankung, oder eine schwere psychische Störung, bei welcher eine Rückkehrentscheidung in den Herkunftsstaat eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirken würde. Der BF befindet sich nicht in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich straffällig, im Strafregister der Republik Österreich ist folgende Verurteilung ersichtlich:
01) LG XXXX vom 12.12.2017 RK 16.12.2017
§ 15 StGB § 105 (1) StGB
§ 99 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 01.10.2017
Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu LG XXXX RK 16.12.2017
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG XXXX vom 03.10.2018
02) LG XXXX vom 03.10.2018 RK 12.04.2019
§§ 28 (1) 2. Fall, 28 (2) SMG
§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (4) Z 3 SMG
§§ 127, 128 (1) Z 5 StGB
§ 50 (1) Z 2 WaffG
§ 50 (1) Z 1 WaffG
Datum der (letzten) Tat 27.03.2018
Freiheitsstrafe 4 Jahre 6 Monate
zu LG XXXX RK 12.04.2019
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 27.03.2021, bedingt, Probezeit 3 Jahre
LG XXXX vom 10.02.2021
Der letzten strafgerichtlichen Verurteilung des BF lag zugrunde, dass er ab Dezember 2017 bis 27. März 2018 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 109,8 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (66 Gramm reines Methamphetamin), 191,6 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (145 Gramm reines Cocain) sowie 900,5 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 12% THCA und 1% Delta-9-THC (119 Gramm reines THCA sowie 9,1 Gramm Delta-9-THC) mit dem Vorsatz besessen hat, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem der BF dieses im Keller seiner Wohnung verwahrte und zum Verkauf bereithielt.
Des Weiteren hat der BF im Dezember 2017 im Zusammenwirken mit zwei weiteren Mittätern fremde bewegliche Sachen, nämlich das zuerst genannte Suchtgift einem nicht festzustellenden Opfer mit dem Vorsatz sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem der BF das in einem Sack befindliche Suchtgift an sich nahm und weglief, wobei er den Diebstahl an einer Sache jedenfalls EUR 5.000, aber nicht EUR 300.000 übersteigenden Werts beging.
Darüber hinaus hat der BF vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 981 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (588,6 Gramm reines Methamphetamin) sowie zumindest 3 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (2,28 Gramm reines Cocain) Nachgenannten in wiederholten Angriffen überlassen und zwar, zwischen Juli 2017 bis 17.03.2018 einem Dritten zumindest 560 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60,- bis 65,- sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Dezember 2017 und 19.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 175 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60,- bis 65,- sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Jänner 2018 und 25.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 46 Gramm „Crystal Meth“ um einen Grammpreis von EUR 65,-, zwischen Dezember 2017 und März 2018 zwei weiteren Dritten zumindest 200 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 65,- und Mitte Jänner 2018 einem weiteren Dritten zumindest ein Gramm Kokain.
Im Übrigen hat der BF für etwa 9 Jahre lang unbefugt Schusswaffen der Kategorie B, nämlich eine Femaru, Mod 37, Kaliber 7,65 mm ohne waffenrechtliche Urkunde besessen und für etwas weniger als 1 Jahr verbotene Waffen, nämlich einen als Taschenlampe getarnten Schlagstock, 3 Wurfmesser und Munition unbefugt besessen.
Der BF hat sich somit des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel, des Vergehens des schweren Diebstahls, des Verbrechens des Suchtgifthandels und zweier Vergehen nach dem WaffG schuldig gemacht.
Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht als mildernd das teilweise Geständnis und die teilweise Sicherstellung des Suchtgifts (wiewohl dem nur marginales Gewicht zukommt) und als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit drei Vergehen, die Begehung während anhängigen Verfahrens und innerhalb offener Probezeit, der rasche Rückfall, die mehrfache Tatbegehung, der lange Tatzeitraum, der Umstand, dass die große Menge iSd § 28a Abs. 2 Z 3 SMG um das 4,8 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) überschritten wurde, die 2,35-fache Überschreitung der Übermenge iSd § 28a Abs. 4 Z 3 SMG (entspricht dem 59-fachen der Grenzmenge des § 28b SMG) und das Gewinnstreben des BF.
Der BF wurde am 27.03.2018 festgenommen und am 29.03.2018 in die JA XXXX verbracht. Anschließend wurde die Untersuchungshaft über den BF angeordnet. Nach seiner Verurteilung am 03.10.2018 befand sich der BF bis 26.03.2021 im Bundesgebiet in Strafhaft.
Am 30.07.2021 wurde gegen den BF ein 2-wöchiges Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung ausgesprochen.
Der BF ist persönlich unglaubwürdig.
1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert. Der BF unterliegt in der Russischen Föderation keiner aktuellen Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung seitens der Behörden oder privater Personen.
Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass der BF bei Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Der BF liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.3. Zur entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation
1.3.1. Die Lage im Herkunftsstaat des BF hat sich seit Zuerkennung des Status des Asylberechtigten maßgeblich und nachhaltig geändert.
1.3.2. Auszug aus dem Informationsblatt der Staatendokumentation aus dem COI-CMS vom 09.11.2022, Version 10;
„COVID-19-Situation
Letzte Änderung: 01.09.2022
In Teilen der Russischen Föderation bestehen aufgrund der Regionalisierung von COVID-19-Schutzmaßnahmen noch Einschränkungen (AA 5.8.2022; vgl. RAD 15.2.2021). Die Hygienemaßnahmen wurden großteils zurückgenommen (WKO 25.7.2022). Für öffentlich zugängliche Räume ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes empfohlen (AA 5.8.2022; vgl. RFE/RL 1.7.2022). In Einzelfällen bestehen noch Zugangsvoraussetzungen (mit QR-Code) für Restaurants oder Hotels (AA 5.8.2022). Es müssen keine verpflichtenden Temperaturmessungen oder COVID-Tests am Arbeitsplatz mehr durchgeführt werden. Auch die teilweise Fernarbeitspflicht ist beendet (WKO 25.7.2022).
Zu den Impfstoffen, welche in der Russischen Föderation entwickelt wurden und dort eingesetzt werden, zählen: Gam-COVID-Vac (Sputnik V), EpiVacCorona, Sputnik Light, EpiVacCorona-N, Covivac, Salnavac, Konwasel und Ad5-nCoV (CWRR o.D.b). Vollständig geimpft sind 89.423.801 Personen (CWRR 12.8.2022). COVID-Impfungen sind ab einem Alter von 12 Jahren möglich (RFE/RL 9.2.2022; vgl. CWRR o.D.a) und für russische Staatsbürger kostenlos (Iswestija 1.7.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger, die mit einem in Russland zugelassenen Impfstoff geimpft sind, sowie genesene russische Staatsbürger dürfen ohne PCR-Test und Quarantäne nach Russland einreisen. Impfnachweise dürfen max. 12 Monate alt sein und Genesungsnachweise max. 6 Monate (WKO 25.7.2022). Der europäische Impfnachweis wird nicht anerkannt (AA 5.8.2022).
Moskau:
In der Hauptstadt Moskau sowie im Moskauer Gebiet wurden die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Maske auf öffentlichen Plätzen sowie die Abstandsregelungen abgeschafft (Russland-Analysen 11.4.2022).
Tschetschenien:
In Tschetschenien wurden alle COVID-Beschränkungen aufgehoben (Ria.ru 11.3.2022).
Dagestan:
Das Tragen einer Maske wird empfohlen. An öffentlichen Orten gilt Maskenpflicht für Personen über 60 Jahren, chronisch Kranke und Ungeimpfte. Es wird empfohlen, die Teilnehmeranzahl bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen auf 500 Personen zu beschränken (KK 13.8.2022). Die Verpflichtung zur Durchführung einer Desinfektion besteht weiterhin (KK 7.6.2022). Insgesamt wurden in Dagestan bislang 1.576.793 Personen (50,19 % der Gesamtbevölkerung) geimpft (E-dag.ru 25.7.2022).
[…]
Politische Lage
Letzte Änderung: 06.10.2022
Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 1.10.2021a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. Economist 9.2.2022, UG 3.2022, FH o.D., Russland-Analysen 1.10.2021a). Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht in der Praxis die alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Dieser kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA 1.10.2021b). Der Staatspräsident ernennt (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Vorsitzenden der Regierung und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte sowie anderer Gerichtshöfe vor. Der Präsident ernennt nach Beratung mit dem Föderationsrat den Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte und entlässt sie. Darüber hinaus ernennt und entlässt er die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (RI 4.7.2020). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird für eine Amtszeit von 6 Jahren von den Bürgern direkt gewählt (RI 4.7.2020). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSZE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 28.2.2022). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSZE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 28.2.2022). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSZE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender sowie Stellvertreter des Staatsoberhaupts ist Michail Mischustin (AA 1.10.2021a).
Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 28.2.2022). Unter anderem erhält durch die jüngste Verfassungsreform das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten in Russland und international für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).
Der Einfluss des Zweikammerparlaments, bestehend aus der Staatsduma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus), ist beschränkt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Die Mitglieder des Föderationsrates werden normalerweise für eine Amtszeit von 6 Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses (Ukas) über die Verhängung des Ausnahmezustands und des Kriegszustands; Amtsenthebung des Präsidenten (RI 4.7.2020). Die 450 Mitglieder der Duma werden für eine Amtszeit von 5 Jahren direkt gewählt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSZE 25.6.2021; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Duma-Wahlen beruhen auf einem gemischten Wahlsystem. Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Laut der Zentralen Wahlkommission betrug die Wahlbeteiligung 52 % (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, Ria.ru 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):
Einiges Russland (Edinaja Rossija): 325 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)
Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)
sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)
Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)
Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)
2 Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an (Duma o.D.).
Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch-rechtspopulistisch ausgerichtet (SWP 14.10.2021; vgl. KAS 21.9.2021). Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS 21.9.2021).
Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der russischen Verfassung festgeschrieben. Der Status von Föderationssubjekten kann in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Art. 66 der Verfassung) (RI 4.7.2020). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 1.10.2021b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates. Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021). Im September 2021 fanden parallel zur Parlamentswahl regionale Wahlen statt. Die Bürger wählten Gouverneure von neun Subjekten sowie 39 Regionalparlamente (Russland-Analysen 1.10.2021b; vgl. Tass 20.9.2021).
Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt (AA 1.10.2021b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (EU-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Lugansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und unter Zeitdruck (Rat 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Lugansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/Tagesschau.de 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kremlin.ru 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).
Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (OHCHR 5.7.2022; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf diese Vorgänge verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, nämlich: Wirtschaftssanktionen; Aussetzung der Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie andere russische Beamte und Geschäftsleute; Sanktionen gegen Mitglieder der Staatsduma, gegen Putin, den Außenminister Sergej Lawrow, gegen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats und gegen weitere Personen (EU-Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022).
[…]
Tschetschenien
Letzte Änderung: 29.08.2022
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen (FR o.D.b). Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrov sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil dieser Personen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB 30.6.2021).
Kadyrov ist seit dem Jahr 2007 in Tschetschenien an der Macht (Dekoder 10.2.2022). Er kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) aufseiten der Unabhängigkeitsbefürworter. Im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wechselte Kadyrov die Seite (ORF 30.3.2022). In Tschetschenien gilt Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021, FH 28.2.2022, RFE/RL 3.2.2022, HRW 9.2.2022). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt (ÖB 30.6.2021). Kadyrov bekundet jedoch immer wieder seine absolute Treue gegenüber dem Kreml (ÖB 30.6.2021; vgl. SZ 3.3.2022). Beobachter stufen Tschetschenien zunehmend als Staat im Staat ein, in dem das Moskauer Gewaltmonopol vielfach unwirksam ist (Dekoder 10.2.2022). Kadyrov besetzt hohe Posten in Tschetschenien mit Familienmitgliedern (KK 15.3.2022). Das Republikoberhaupt ist für die Regierungsbildung zuständig. Die Regierung ist dem Republikoberhaupt gegenüber rechenschaftspflichtig (FR o.D.b). Premierminister Tschetscheniens ist Muslim Chučiev (KR 9.5.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022).
Die Gesetzgebung wird vom Parlament Tschetscheniens ausgeübt. Das Parlament besteht aus 41 Abgeordneten, welche mittels Verhältniswahl gewählt werden (FR o.D.b). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 96,13 % der Stimmen. Die Partei "Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit" errang 0,93 %, die Kommunistische Partei (KPRF) 0,75 %, Neue Leute 0,24 %, und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) gewann 0,11 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 94,42 % (Russland-Analysen 1.10.2021c; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Zeitgleich fand in Tschetschenien die Direktwahl des Republikoberhauptes statt (Ria.ru 21.9.2021; vgl. FR o.D.b). Dessen reguläre Amtszeit beträgt fünf Jahre (FR o.D.b). Kadyrov, welcher die Partei Einiges Russland präsentierte, gewann 99,7 % der Stimmen. Der Kandidat der Kommunistischen Partei errang 0,12 % und der Kandidat der Partei Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit 0,15 % (Ria.ru 21.9.2021). Vor allem im Nordkaukasus ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2022).
Tschetschenische Sicherheitskräfte gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Prekär ist auch die Lage von Regimekritikern und Oppositionspolitikern (AA 21.5.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrov unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021, ER 3.6.2022). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt. Kadyrov wird verdächtigt, die Ermordung von beispielsweise politischen Gegnern, welche im Exil leben, angeordnet zu haben (FH 28.2.2022). Kadyrov wurde von der Schweiz, Kanada, der EU und den USA mit Sanktionen belegt (KK 15.3.2022; vgl. OFAC 8.8.2022, EUR-Lex 25.7.2014).
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 01.09.2022
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 5.8.2022). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Metro, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 4.5.2022).
Für die Russische Föderation stellen Terrorismusbekämpfung und der Umgang mit extremistischen islamischen Gruppen (darunter Gruppen mit Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat (IS) sowie Kämpfer, die aus Syrien zurückkehren) eine Priorität dar (USDOS 16.12.2021). Seit November 2020 wurden wegen angeblicher Zugehörigkeit zu Hizb ut-Tahrir mindestens acht Personen verurteilt und mehrere Dutzend Personen festgenommen. Hizb ut-Tahrir ist eine islamistische Bewegung, welche gewaltlos ein Kalifat errichten will. Russland hat Hizb ut-Tahrir aufgrund von Terrorismusvorwürfen im Jahr 2003 verboten (HRW 13.1.2022). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2022), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 44. Rang von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf mittlerem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2022). Russland ist ein Mitglied des Globalen Forums zur Terrorismusbekämpfung (Global Counterterrorism Forum) (USDOS 16.12.2021; vgl. GCTF o.D.).
Am 24.2.2022 begann Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Rat 16.8.2022). In russischen Regionen nahe der Ukraine kam es in letzter Zeit zu mehreren Vorfällen, darunter größere Brände in Belgorod und bei einem Öldepot in Brjansk im April 2022 (Gov.uk 25.8.2022). In fünf russischen Regionen nahe der Ukraine (Rostow, Krasnodar, Saratow, Woronesch und Wolgograd) wurde der Notstand ausgerufen (AA 5.8.2022). In der russischen Region Kursk, welche an die Ukraine grenzt, werden mehrere grenzüberschreitende Artilleriebeschüsse von ukrainischer und russischer Seite sowie Sabotageakte gegen Infrastruktureinrichtungen gemeldet. Die Situation in Kursk wird zunehmend volatil (ACLED 18.8.2022). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (MT 8.6.2022). Stattdessen spricht Russland von einer 'Spezialoperation' in der Ukraine (Presse 11.8.2022). Die folgenden zwei Karten stellen sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 24.2.-12.8.2022 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (schwarz) und Explosionen/Ferngewalt (rot).
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Nordkaukasus
Letzte Änderung: 01.09.2022
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich dies nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB 30.6.2021; vgl. Gov.uk 25.8.2022, RUSI 30.7.2021). Im Allgemeinen ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus schwer einzuschätzen (ER 3.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat (ÖB 30.6.2021). Das Kaukasus-Emirat und außerdem der Kongress der Völker Itschkerijas und Dagestans gehören zu denjenigen Organisationen, welche von der Russischen Föderation als Terrororganisationen eingestuft werden (NAK o.D.a). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 insgesamt 12 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Vier dieser Personen wurden in Dagestan getötet, zwei in Karatschai-Tscherkessien, fünf in Kabardino-Balkarien und eine Person in Tschetschenien (KK 4.8.2022; vgl. KK 6.7.2022, KK 5.4.2022, KK 4.1.2022, KK 11.10.2021). Terroranschläge ziehen staatlicherseits u.a. kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 12.4.2022).
Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022) und gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen von sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Anti-Terror-Operationen durchgeführt (KK 10.7.2021). Tschetschenische Behörden wenden kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen regelmäßig an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 12.4.2022). In Tschetschenien gibt es eine Anti-Terrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Kadyrow ist (NAK o.D.c). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KK 15.11.2021).
In Dagestan sind bei Verhaftungen von Verdächtigen im Zuge der Terrorbekämpfung mitunter auch Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der instabilen sozioökonomischen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB 30.6.2021). In Dagestan nimmt der Widerstand immer mehr die Form von Sabotageakten und von Partisanen-Aktivitäten an (KK 18.5.2022). Es gibt in Dagestan eine Anti-Terrorismus-Kommission, welche vom Republikoberhaupt Melikow geleitet wird (NAK o.D.b).
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Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 21.04.2022
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2021). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020).
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2021). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs- und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto 'Schuldvermutung' im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Anwälte im Menschenrechtsbereich beklagen ungleiche Spielregeln in Gerichtsverfahren und steigenden Druck gegen die Anwälte selbst (ÖB Moskau 6.2021).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2021). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Weiters wurde mit der Verfassungsänderung, die am 4.7.2020 in Kraft trat, das Recht des Föderationsrats, Richter des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag des Präsidenten zu entlassen, verankert (ÖB Moskau 6.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.1.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 waren beim EGMR 13.650 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2020 wurde die Russische Föderation in 173 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 6.2021).
Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 hatte der Europarat Russlands Mitgliedschaft zunächst suspendiert. Russland gab kurz darauf seinen Austritt aus dem Europarat nach 26 Jahren Mitgliedschaft bekannt und kam damit einem Beschluss der übrigen Mitgliedsstaaten zuvor. Nach dem endgültigen Ausschluss Russlands aus dem Europarat hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) alle Verfahren gegen Russland vorerst ausgesetzt. Nach Angaben des Gerichts vom Jänner 2022 wurden 24 % der rund 70.000 beim EGMR anhängigen Verfahren von Russen und Russinnen angestrengt. Russland gehört nun nicht länger zu den Unterzeichnerstaaten der EMRK, und seine Bürger können sich nicht mehr an den EGMR wenden (ORF.at 17.3.2022).
Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an (AI 22.2.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.4.2020). Im Juli 2017 trat eine weitere neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der 'Absicht' angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann. Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 2.2.2021).
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Tschetschenien und Dagestan
Letzte Änderung: 02.03.2022
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetschenien und Dagestan. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition (EASO 9.2014).
Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [Anm. d. Staatendokumentation: für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält unter anderem auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten (EASO 9.2014). Die Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art 'alternative Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für die Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015). Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Somit herrscht in Tschetschenien ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellen Gewohnheitsrecht (Adat), einschließlich der Tradition der Blutrache, und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen (AA 2.2.2021). Somit bewegt sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechtssysteme einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia (EASO 9.2014). Die Einwohner Tschetscheniens sagen jedoch, dass das fundamentale Gesetz in Tschetschenien 'Ramsan sagt' lautet, was bedeutet, dass Kadyrows gesprochene Aussagen einflussreicher sind als die Rechtssysteme und ihnen möglicherweise sogar widersprechen (CSIS 1.2020).
Die Tradition der Blutrache hat sich im Nordkaukasus in den Clans zur Verteidigung von Ehre, Würde und Eigentum entwickelt. Dieser Brauch impliziert, dass Personen am Täter oder dessen Verwandten Rache für die Tötung eines ihrer eigenen Verwandten üben. Er kommt heutzutage noch vereinzelt vor. Die Blutrache ist durch gewisse traditionelle Regeln festgelegt und hat keine zeitliche Begrenzung (ÖB Moskau 6.2021). Nach wie vor gibt es Clans, die Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021).
In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Föderationssubjektes zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz gegenüber dem tschetschenischen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechten und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten sowie Friedensgerichten, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). So musste zum Beispiel im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in die föderalen Kompetenzen fällt (ÖB Moskau 6.2020). Ein neueres Beispiel betrifft die Familie eines ehemaligen Richters am Obersten Gerichtshof in Tschetschenien. Kadyrow hat die Familie zu 'Terroristen' erklärt, da die beiden Söhne als Verаntwortliche hinter einem regimekritischen Telegram-Kanal vermutet werden (Snob 10.2.2022).
Die föderalen Behörden haben nur begrenzte Möglichkeiten, politische Entscheidungen in Tschetschenien zu treffen, wo das tschetschenische Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow im Gegenzug für das Halten der Republik in der Russischen Föderation unkontrollierte Macht erlangt hat (FH 3.3.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht laut Aussagen von lokalen NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Es gibt ein Gesetz, welches die Verwandten von Terroristen verpflichtet für Schäden zu haften, die bei Angriffen entstanden sind. Menschenrechtsanwälte kritisieren dieses Gesetz als kollektive Bestrafung. Angehörige von Terroristen können auch aus Tschetschenien vertrieben werden (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken (ÖB Moskau 6.2021). Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 2.2.2021), hierzu gehören neben Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (ÖB Moskau 6.2021) auch Oppositionelle, Regimekritiker und Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten, Angehörige der LGBTI-Gemeinschaft und diejenigen, die sich mit Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. seinem Clan überworfen haben. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Elena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021). Dissens und Kritik werden in Tschetschenien weiterhin rücksichtslos unterdrückt (HRW 13.1.2022).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige werden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Auch in Dagestan hat sich der Rechtspluralismus – das Nebeneinander von russischem Recht, Gewohnheitsrecht (Adat) und Scharia-Recht – bis heute erhalten. Mit der Ausbreitung des Salafismus im traditionell sufistisch geprägten Dagestan in den 1990er Jahren nahm auch die Einrichtung von Scharia-Gerichten zu. Grund für die zunehmende und inzwischen weit verbreitete Akzeptanz des Scharia-Rechts war bzw. ist u.a. das dysfunktionale und korrupte staatliche Justizwesen, das in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt ist. Die verschiedenen Rechtssphären durchdringen sich durchaus: Staatliche Rechtsschutzorgane und Scharia-Gerichte agieren nicht losgelöst voneinander, sondern nehmen aufeinander Bezug. Auch die Blutrache wird im von traditionellen Clan-Strukturen geprägten Dagestan angewendet. Zwar geht die Regionalregierung dagegen vor, doch sind nicht alle Clans bereit, auf die Institution der Blutrache zu verzichten (AA 2.2.2021).
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Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 01.09.2022
Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist für Verbrechensbekämpfung zuständig. Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft Terrorismus und das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 12.4.2022). Koordiniert werden die Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee (USDOS 16.12.2021). Zivilbehörden halten im Allgemeinen eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Gegen Beamte, die missbräuchliche Handlungen setzen und in Korruption verwickelt sind, werden selten strafrechtliche Schritte unternommen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führt (USDOS 12.4.2022). Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 21.5.2021).
Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Polizei und der Untersuchungsbehörden (AA 21.5.2021). Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht (ÖB 30.6.2021).
Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für die Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Angeklagte und deren Rechtsvertreter müssen bei der Gerichtsverhandlung persönlich oder über einen Videolink anwesend sein (USDOS 12.4.2022).
Die Zivilbehörden auf nationaler Ebene üben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien aus. Diese sind nur dem Republikoberhaupt Kadyrow gegenüber rechenschaftspflichtig (USDOS 12.4.2022; vgl. ÖB 30.6.2021). Mit den sogenannten Kadyrowzy verfügt Kadyrow über eine persönliche Armee (FPRI 15.6.2022). Bei den Kadyrowzy handelt es sich formal um Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde, deren zahlenmäßige Stärke geheim ist. Russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten (Heise 9.7.2022). Die tschetschenische Sondereinheit der Kadyrowzy existierte bereits unter Kadyrows Vater, der sich im Tschetschenienkrieg ab 1999 auf die Seite Russlands gegen die Separatisten gestellt hatte und im Jahr 2004 getötet worden war. Seit der Machtübernahme Kadyrows im Jahr 2007 werden die Kadyrowzy von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Morde politischer Gegner sowie für Folter verantwortlich gemacht (Euronews 20.3.2022). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (Heise 9.7.2022). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 21.5.2021).
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Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 29.08.2022
Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis des Art. 21 der Verfassung verboten (RI 4.7.2020). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß § 117 Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von max. 3 Jahren oder Zwangsarbeit von max. 3 Jahren oder Freiheitsentzug von max. 3 Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person, kommt Folter zur Anwendung oder wird die Tat aus politischen, ideologischen, religiösen usw. Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge (RI 25.3.2022). Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der inneren Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB 30.6.2021). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Sicherheitsbeamte Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen (USDOS 12.4.2022). Folter und andere Misshandlungen in Haftanstalten sind weitverbreitet und werden selten geahndet (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter. Gemäß Berichten kommt es außerdem vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 12.4.2022). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 21.5.2021).
Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen. Diese richtet sich gegen Zivilisten, islamistische Aufständische, Bedienstete von Behörden usw. (FH 28.2.2022). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt (FH 28.2.2022).
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NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 21.04.2022
Der russische Staat wünscht sich, dass NGOs vor allem im sozialen Bereich tätig sind. Das Engagement in Bezug auf andere, politische Aktivitäten, wird mit Misstrauen betrachtet (BTI 2020). Somit geraten NGOs zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGO-Gesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register 'ausländischer Agenten' eingetragen, was mit verstärkten Berichts- und Kennzeichnungspflichten und bürokratischer Kontrolle der Tätigkeit der NGO einhergeht (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021, BTI 2020). Die Bezeichnung als 'Agent' provoziert unter der russischen Bevölkerung eine negative Konnotation mit den Tätigkeiten dieser NGOs im Sinne von Spionagetätigkeiten (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Organisationen, die sich nicht eintragen lassen, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst (ÖB Moskau 6.2020). Mit 1. März 2021 trat eine Verschärfung des Strafgesetzes in Kraft, wonach eine 'mutwillige Umgehung' der Verpflichtungen einer 'NGO, welche die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllt', mit Strafen von 300.000 Rubel (ca. 3.310 Euro) bis zu Haftstrafen von zwei bis fünf Jahren geahndet werden kann (ÖB Moskau 6.2021). Die international bekannte NGO Memorial ist aktuell mit Geldstrafen in Höhe von 6,1 Mio Rubel (ca. 68.000 Euro) wegen fehlender Kennzeichnungen u.a. auf Social-Media-Kanälen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AI 16.4.2020, HRW 13.1.2021). Ende Dezember 2021 hat das Oberste Gericht in Moskau entschieden, Memorial aufzulösen (Tagesschau.de 28.12.2021). Die Staatsanwaltschaft begründete ihre Schließungspläne mit mehrfachen Verstößen gegen das umstrittene Gesetz zu 'ausländischen Agenten' (Standard Online 25.11.2021). Das Oberste Gericht folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die NGO Memorial habe in ihren Publikationen auf den Hinweis verzichtet, dass sie als 'ausländischer Agent' eingestuft wird (Arte.tv 29.12.2021). Memorial wurde in der Vergangenheit aus denselben Gründen bereits mehrfach zu teils hohen Geldstrafen verurteilt (Standard Online 25.11.2021). Mit Ende 2020 waren beim Justizministerium 75 NGOs als ausländische Agenten registriert (FH 3.3.2021). Ende 2019 wurde zudem die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch natürliche Personen als 'ausländische Agenten' zu listen, sofern diese Medieninhalte von solchen verbreiten oder erarbeiten und dafür Geld erhalten (AA 2.2.2021; vgl. Standard Online 3.12.2019).
Um eine Alternative zu ausländischer Finanzierung russischer NGOs zu schaffen, werden seit 2017 sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben, größtenteils an NGOs mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung; in einigen Fällen erhielten auch als 'ausländische Agenten' deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen. Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung ist, dass die Empfänger sich im Gegenzug einer intensiven behördlichen Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit unterwerfen müssen (ÖB Moskau 6.2021). In einem Bereich hat der Staat Interesse an Zusammenarbeit und Beratung gezeigt, insbesondere in ländlichen Regionen: Wenn Aktivitäten auf Sozialpolitik ausgerichtet sind, nicht auf politisches Engagement (BTI 2020).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BTI 2020, FH 3.3.2021). Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde (ÖB Moskau 6.2021). Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor (ÖB Moskau 6.2021). Mit Ende 2020 gelten 29 ausländische NGOs als unerwünschte Organisationen, da sie die nationale Sicherheit gefährden würden. Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 3.3.2021). Russland verschärft im Zuge des Ukrainekriegs die Repression und schloss Anfang April 2022 15 ausländische NGOs. Betroffen sind neben Amnesty International und Human Rights Watch unter anderem alle politischen Stiftungen aus Deutschland. Zu den Gründen der Verbote wurde auf unbestimmte „Gesetzesverstöße“ verwiesen (FAZ 10.4.2022).
Die Gesetzeslage zu NGOs hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert, mit dem Ergebnis, dass derzeit unpolitische bzw. Pro-Regierungs-NGOs, die etwa im sozialen Bereich tätig sind, eher unterstützt werden und im Gegensatz dazu kritische NGOs, Medien und Einzelpersonen, vor allem jene, die sich öffentlich kritisch zu Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz und dergleichen äußern, mit Einschränkungen und Repression konfrontiert sind (ÖB Moskau 6.2021). In Dagestan können NGOs tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee zur Verhinderung von Folter' arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 2.2.2021). Gemeinnützige Stiftungen sind in Dagestan der am weitesten entwickelte Teil der Zivilgesellschaft. Dies sind die stärksten, stabilsten und zahlreichsten NGOs in der Republik und umfassen Stiftungen wie 'Hope and Pure Heart'. Diese Organisationen sind äußerst professionell, verfügen über gut entwickelte IT-Plattformen und verwenden eine gemeinsam nutzbare Datenbank aller Bedürftigen in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien. Die Zielgruppen ihrer Aktivitäten sind alleinerziehende Mütter, Waisen und Senioren, die alleine leben. Da sie sich nicht mit politischen und bürgerrechtlichen Themen befassen, passt ihre Tätigkeit in den aktuellen politischen Kontext und die konservative Wertebasis und wird von den Behörden nicht kontrolliert. Dagestan hat die am weitesten entwickelte, vielfältigste und unabhängigste Zivilgesellschaft der drei nordkaukasischen Republiken (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan). Dagestan unterliegt nicht der erhöhten staatlichen Kontrolle und dem Druck Tschetscheniens oder dem Konservativismus und der traditionellen Lebensweise Inguschetiens. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die sich aktiv für ihre zivilgesellschaftlichen Positionen einsetzen. Dagestan ist auch die erste Region, die die Umwelt aktiv auf die öffentliche Tagesordnung setzt. Aufgrund regelmäßiger Machtwechsel auf Republiks- und lokaler Ebene hat sich in Dagestan kein ausschließliches Zentrum gebildet, das Unterdrückung und Kontrolle über NGOs und Basisinitiativen ausüben würde (CSIS 1.2020).
Unbestrafte und nicht untersuchte, grobe Menschenrechtsverletzungen und Druck auf Menschenrechtsorganisationen haben die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien stark eingeschränkt. Trotzdem konnten viele lokale NGOs dem Druck standhalten und sich an die neuen Regeln anpassen. Die Popularität von gemeinnützigen Aktivitäten und sozialen Projekten zur Unterstützung von einkommensschwachen und schutzbedürftigen Gruppen wächst, ebenso die Anzahl sozialer Initiativen für Kinder und Jugendliche. Auch das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen wird de-stigmatisiert. Ein weiterer wichtiger positiver Trend ist, dass immer mehr junge Menschen an Freiwilligenarbeit interessiert sind. Die Reduzierung der Auslandsfinanzierung (nach Angaben des Justizministeriums erhalten derzeit nur 16 NGOs in Tschetschenien Geld aus dem Ausland) wird teilweise durch das Programm der Präsidentenzuschüsse kompensiert, von dem mehrere lokale NGOs profitieren. Insbesondere die Abteilungen für öffentliche Angelegenheiten und religiöse Organisationen arbeiten im Rahmen des Zuschussprogramms des Präsidenten eng zusammen (CSIS 1.2020).
Die NGO Memorial zählte Ende 2020 349 Menschen als politische (61) oder religiöse Gefangene (288). Darunter waren Teilnehmer der Moskauer Wahlproteste 2019, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte ethnischer Minderheiten (FH 3.3.2021).
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Ombudsperson
Letzte Änderung: 28.05.2021
Für die Russische Föderation gibt es wie für jedes der Föderationssubjekte einen Menschenrechtsbeauftragten [Ombudsperson]. Die Amtsinhaberin Tatjana Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. In ihrem Jahresbericht vom April 2020 gibt sie gleichwohl an, dass die meisten Beschwerden das Verhalten von Polizei und Justiz betreffen. Andere wichtige Beschwerdegründe waren die Nicht-Genehmigung von Versammlungen und – mit großem Abstand – die Behandlung von Häftlingen (AA 2.2.2021). Die Effektivität der regionalen Ombudspersonen variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 11.3.2020).
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Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung: 10.10.2022
Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst' werden alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen (RI 14.7.2022a). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB 30.6.2021). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung. Im Frühling 2022 wurden russlandweit 134.500 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen. Ein Jahr zuvor waren 134.650 Personen eingezogen worden (Spiegel 31.3.2022). Nach der derzeitigen Gesetzeslage muss eine Einberufung dem Einzuberufenden persönlich gegen Unterschrift übergeben werden. Seit 2018 gibt es einen Gesetzesentwurf, wonach die persönliche Übernahme durch die Absendung eines eingeschriebenen Briefes ersetzt werden soll (ÖB 17.5.2022).
Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 21.3.2022). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 18.8.2022). Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 wird ab 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Im Jahr 2021 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (SIPRI o.D.). Gemäß der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (RI 4.7.2020).
Neben dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen. Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB 30.6.2021). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. GS o.D.). Wie viele Zeit- bzw. Vertragssoldaten (Kontraktniki) es aktuell in Russland gibt, ist unklar. Für 2020 wurde deren Anzahl mit 400.000 angegeben. Damals plante man eine Aufstockung auf 500.000 Vertragssoldaten (BBC 14.4.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen fallengelassen (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022).
Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (v. a. staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2021). Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. USD 25 [ca. EUR 25] pro Monat, wohingegen Vertragssoldaten ca. USD 1.100 [ca. EUR 1.094] erhalten (MT 23.5.2022). Gemäß gesetzlichen Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen entsandt werden zu können (ISW 5.3.2022). Jedoch im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts oder einer Generalmobilmachung könnten Neueinberufene oder mobilisierte Reservisten sofort zum Einsatz kommen (ISW 5.3.2022; vgl. EUAA 5.4.2022).
Präsident Wladimir Putin verkündete mit 21.9.2022 eine Teilmobilmachung (RI 21.9.2022). Nach Angaben von Verteidigungsminister Schojgu werden im Rahmen der Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einberufen (RG 21.9.2022). Reservisten dürfen ihren Wohnort nicht mehr verlassen (Standard 22.9.2022; vgl. Kremlin.ru 14.7.2022). Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einberufenen Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden, Personen, welche rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022), und für Studierende (Kremlin.ru 24.9.2022). Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: Pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit bestimmten Beeinträchtigungen; kinderreiche Familien (mindestens vier Kinder unter 16); Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; pensionierte Veteranen, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; und Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumt Fehler bei der bisherigen Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke und Studierende (Kommersant 26.9.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung. Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung zehntausende Männer Russland verlassen haben (WP 28.9.2022).
Es existieren widersprüchliche Aussagen hinsichtlich der Anzahl der russischen Wehrpflichtigen, welche in der Ukraine an Kampfhandlungen teilnehmen (ÖB 17.5.2022; vgl. CPTI 5.2022). Die russische Regierung hat die Entsendung Wehrpflichtiger zu Kampfeinsätzen in der Ukraine geleugnet. Es standen Behauptungen im Raum, einige Wehrpflichtige seien durch Unterzeichnung von Militärverträgen zur Teilnahme an Kampfeinsätzen gezwungen worden. Der Kreml gab später den Einsatz Wehrpflichtiger zu (EUAA 5.4.2022). Gemäß Berichten werden Wehrpflichtige unter Druck gesetzt, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022). In Tschetschenien laufen Rekrutierungskampagnen für den Ukraine-Krieg, und das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow droht Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KK 17.7.2022). Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt die russische Söldner-Gruppe 'Wagner' (Deutschlandfunk 27.7.2022). Auch syrische Söldner wurden zur Unterstützung Russlands für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat 22.7.2022). Der Kriegs- und Ausnahmezustand wird durch präsidentiellen Erlass (Ukas) verhängt, was vom Föderationsrat bestätigt werden muss (RI 4.7.2020). Das Kriegsrecht wurde bislang nicht verhängt (Tass 21.9.2022).
Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 12.4.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen sich ausgeliefert fühlender Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein (AA 28.9.2022). Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008–2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, ist die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich gesunken. Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen dennoch von hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt oder geduldet (ÖB 30.6.2021). Gemäß einer Liste, welche der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) im September 2021 veröffentlichte, werden Personen, die auf Straftaten in der Armee aufmerksam machen, als 'ausländische Agenten' eingestuft (AI 29.3.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RI 25.3.2022). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).
Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB 30.6.2021).
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Wehrersatzdienst
Letzte Änderung: 09.11.2022
Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (RI 4.7.2020). Eine gesetzliche Grundlage stellt das Föderale Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' dar (RI 31.7.2020). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB 30.6.2021). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Kliniken oder Feuerwehr (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021). Jährlich wird eine Liste an Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, wo die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (Rostrud o.D.).
Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts sind beim Militärkommissariat spätestens 6 Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten (§ 11 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst'). Die Anträge werden laut § 10 von der Einberufungskommission geprüft (RI 31.7.2020). NGOs können die Gesamtanzahl von Anträgen auf Ableistung eines alternativen Zivildiensts nicht einschätzen (EBCO 21.3.2022). Anträge auf Ableistung des alternativen Zivildiensts werden regelmäßig abgelehnt (EUAA 5.4.2022; vgl. EBCO o.D.). Zeugen Jehovas sind von Ablehnungen ihrer Anträge betroffen (NL-MFA 4.2021). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden (§ 15 des Gesetzes 'Über den alternativen Zivildienst') (RI 31.7.2020). Mit Stand August 2022 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung 1.166 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst (Rostrud 1.8.2022). Die Verweigerung der Ableistung des Zivildiensts zieht gemäß § 328 des Strafgesetzbuches folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von max. RUB 80.000 [ca. EUR 1.320] oder in der Höhe von max. 6 Monatseinkommen oder max. 480 Stunden Zwangsarbeit oder Arrest von max. 6 Monaten (RI 25.3.2022; vgl. ÖB 30.6.2021).
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Desertion/Wehrdienstverweigerung
Letzte Änderung: 09.11.2022
Desertion:
Gemäß § 338 StGB (Strafgesetzbuch) bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der militärischen Einheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Militärdienst zu entgehen. Desertion wird laut § 338 mit einer Freiheitsstrafe von max. 7 Jahren geahndet. Wer zum ersten Mal desertiert ist, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge außergewöhnlicher Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie Desertion in einer Personengruppe werden mit einer Freiheitsstrafe von max. 10 Jahren geahndet (RI 25.3.2022). Am 24.9.2022 wurde § 338 StGB folgendermaßen ergänzt: Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen zieht eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren nach sich (RI 24.9.2022). In Bezug auf den Ukraine-Krieg vermeidet Russland den Begriff Krieg und spricht stattdessen von einer 'militärischen Spezialoperation' (RFE/RL 22.8.2022). Je länger eine Desertion zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint eine Bestrafung. Deserteure während des Zweiten Weltkriegs, welche sich zwischen 1962 und 1995 stellten, gingen in bestimmten Fällen straffrei aus. Hingegen wurden beispielsweise Soldaten, die 1995 bzw. 2008 desertierten, später von Gerichten gemäß § 338 StGB zu Haftstrafen von 2 bzw. 3 Jahren verurteilt. Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich. Begangen werden kann das Delikt der Desertion von Wehrdienstleistenden, Zeitsoldaten sowie von Reservisten. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des § 338 StGB dar (ÖB 17.3.2022). Gemäß § 10 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst' sind russische Staatsbürger jedoch verpflichtet, binnen 2 Wochen bei den Militärkommissariaten zu erscheinen, um sich aus der Wehrkartei streichen zu lassen, falls sie für mehr als 6 Monate aus der Russischen Föderation ausreisen, bzw. um sich nach der Einreise in die Russische Föderation registrieren zu lassen (RI 14.7.2022a). Gemäß dem Kodex über Verwaltungsübertretungen (§ 21.5) stellt die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen eine Verwaltungsübertretung dar und kann eine Verwarnung oder Geldstrafe von RUB 500 bis 3.000 [ca. EUR 9 bis 53] nach sich ziehen (RI 28.5.2022). Laut dem föderalen Gesetz 'Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' (§ 15) kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger vorübergehend eingeschränkt werden, falls sie zum Militär- oder Zivildienst einberufen wurden (bis zur Beendigung des Militär- oder Zivildienstes) (RI 14.7.2022b).
Bei einberufenen Reservisten ist Folgendes zu unterscheiden: Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß § 338 StGB vor (ÖB 17.3.2022).
Wehrdienstverweigerung:
Die Verweigerung der Einberufung zum Militärdienst zieht folgende Strafen nach sich (§ 328 StGB): Geldstrafen von max. RUB 200.000 [ca. EUR 3.431] oder in der Höhe von max. 18 Monatseinkommen oder max. zweijährige Zwangsarbeit oder Arrest von max. 6 Monaten oder Freiheitsentzug von max. 2 Jahren (RI 25.3.2022). § 337 StGB sieht u.a. Folgendes vor: Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. 10 Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von max. fünf Jahren bestraft. Wehrpflichtige oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen die militärische Einheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von 5-10 Jahren bestraft. Wer die Tat zum ersten Mal beging, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge außergewöhnlicher Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten gemäß diesem Paragrafen verantwortlich (RI 24.9.2022). Gemäß § 339 StGB wird die Verweigerung des Militärdiensts durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung oder Fälschung von Dokumenten usw.) folgendermaßen geahndet: Militärdienstbeschränkung von max. 1 Jahr oder Arrest von max. 6 Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von max. 1 Jahr. Dieselbe Tat (mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von max. 7 Jahren nach sich (RI 25.3.2022). Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder während Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von 5-10 Jahren nach sich (RI 24.9.2022). Gemäß § 51 des Strafgesetzbuches bedeutet Militärdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen (RI 25.3.2022). Wer während des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von 2-3 Jahren bestraft (§ 332 StGB). Wenn diese Taten mit schwerwiegenden Folgen verbunden waren, zieht dies eine Freiheitsstrafe von 3-10 Jahren nach sich (RI 24.9.2022).
Personen, die Militärdienst leisten, können keinen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen (Connection 24.3.2022). Gemäß russischen Menschenrechtsanwälten und Aktivisten lehnen es einige russische Truppen ab, an die Front in der Ukraine zurückzukehren (BBC 3.6.2022). Mehr als 100 Mitglieder der Nationalgarde wurden entlassen, da sie sich weigerten, in der Ukraine zu kämpfen (Guardian 27.5.2022). Die genaue Anzahl von Soldaten, welche den Kampf in der Ukraine verweigern, ist unklar (Connection 2.10.2022). Die Regierung veröffentlicht keine Zahlen (AA 28.9.2022).
Neu eingeführt wurde ins Strafgesetzbuch am 24.9.2022 ein Paragraf mit dem Titel 'Sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begeben' (RG 24.9.2022). Gemäß diesem neu eingeführten § 352 wird mit Freiheitsentzug von 3-10 Jahren bestraft, wer sich freiwillig in Kriegsgefangenschaft begibt. Wer diese Tat zum ersten Mal beging, kann sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn der Täter Maßnahmen für seine Befreiung ergriff, wenn er zu seiner Truppe oder Dienstort zurückkehrte und wenn er während der Kriegsgefangenschaft nicht andere Straftaten beging (RI 24.9.2022).
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Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 02.03.2022
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2022). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).
Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).
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Tschetschenien
Letzte Änderung: 02.03.2022
NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).
Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BAMF 11.2019).
2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Sexuelle Minderheiten] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Im März 2018 entschied das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, kein Strafverfahren in der Sache zu eröffnen. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht. Im März 2021 publizierte die Nowaja Gazeta die Aussagen eines tschetschenischen Polizisten, welcher Augenzeuge der Festnahmen und außergerichtlichen Tötungen war (ÖB Moskau 6.2021).
Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Schikanen, Strafverfahren und körperliche Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger werden weiterhin begangen (AI 7.4.2021). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020). [Bezüglich Morde bzw. Vorfälle gegen tschetschenische Kritiker in Europa und Russland siehe Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].
Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).
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Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein
Letzte Änderung: 02.03.2022
Die tschetschenische Führung unterdrückt weiterhin rücksichtslos jede Form von Dissens (HRW 13.1.2022). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2021). Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen bzw. mit deren Ideologie zu sympathisieren, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigung, Entführung, Misshandlung und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft) (ÖB Moskau 6.2021). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen, und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt (ÖB Moskau 6.2020). Es kommt vor, dass Personen, welchen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen können ihre Arbeitsstelle verlieren, Kinder können Schwierigkeiten bei der Aufnahme in die Schule haben, jugendliche und erwachsene Söhne können Schwierigkeiten mit den tschetschenischen Sicherheitsorganen bekommen (inkl. unrechtmäßiger Festnahmen, Prügel, etc.) (ÖB Moskau 6.2021). Weiters hat Ramsan Kadyrow im Jänner 2017 die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in 'die Irre geführt wurden' (Caucasian Knot 25.1.2017).
Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für alle Einwohner der Russischen Föderation, auch für jene des Nordkaukasus. Wird eine Person allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diese zu finden. Dies gilt nach Einschätzung von Experten auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie lebten, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Das tschetschenische Oberhaupt hat auch verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Vereinzelt sind Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt. Prominente Beispiele sind die Brüder Yamadayev, von denen einer in Moskau (2008) und ein anderer in Dubai (2009) getötet wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll, oder Umar Israilow, welcher 2009 in Wien ermordet wurde. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser im Einzelfall bestehenden Gefährdungslage wird allerdings auch dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Auch innerhalb Russlands werden immer wieder Fälle bekannt, in denen tschetschenische Sicherheitsorgane außerhalb der Republik tätig werden (ÖB Moskau 6.2021): Im September 2020 wurde Salman Tepsurkajew, Moderator des Kadyrow-kritischen Telegram-Kanals '1Adat', aus Gelendschik (Region Krasnodar) entführt und nach Tschetschenien gebracht, wo er gefoltert und öffentlich erniedrigt wurde (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Im Februar 2021 wurden zwei Personen von Polizisten aus Nischnij Nowgorod entführt, wohin sie mit Hilfe des LGBT-Netzwerks geflohen waren, und nach Tschetschenien gebracht, wo ihnen 'Zusammenarbeit mit illegalen bewaffneten Gruppen' vorgeworfen wird. Im Juni 2021 wurde die Tschetschenin Chalimat Taramowa, welche wegen häuslicher Gewalt und Drohungen aus Tschetschenien geflohen war, von Polizisten in einem Krisenzentrum für Frauen in Dagestan festgenommen und zurück nach Tschetschenien gebracht, wo sie den Familienangehörigen, vor welchen sie u.a. wegen ihrer sexuellen Orientierung geflohen war, übergeben wurde. Der Vater ist Berichten zufolge ein hochrangiger tschetschenischer Beamter (ÖB Moskau 6.2021).
Salafisten werden als aktive oder potenzielle Extremisten und Terroristen wahrgenommen. Die Verfolgung von Salafisten passiert zu einem großen Teil über außergesetzliche Mechanismen, vor allem in Tschetschenien, wo seit Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Vertretern eines 'nicht traditionellen Islam' stattfanden, der jedoch oft keine Verbindung zum terroristischen Untergrund hatte (Memorial 10.2020). Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Von tschetschenischen Sicherheitskräften werden Entführungen begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).
Nach dem terroristischen Anschlag auf Grosny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des 'Komitees gegen Folter', dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden sind (Standard.at 14.12.2014; vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015; vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramasan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über Behördenkorruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RL 18.5.2016). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grosny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grosny vom Dezember 2014. Für die Jahre 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018; vgl. US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021, HRW 13.1.2022, AI 7.4.2021).
Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Laut einer Analyse des Journalisten Vadim Dubow aus dem Jahr 2016 emigrierten die meisten Tschetschenen aus rein ökonomischen Gründen: Tschetschenien ist zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstreckt sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Dieser Analyse wird von anderen Experten widersprochen. Wirtschaftliche Gründe spielten demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, Tschetschenien zu verlassen. Andere Kommentatoren verweisen wiederum auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als Fremdkörper kritisierten Salafismus. Menschenrechtsaktivisten wiederum sehen in der Darstellung von Asylwerbern aus Tschetschenien als Wirtschaftsflüchtlinge eine Strategie des regionalen Oberhaupts Kadyrow (ÖB Moskau 6.2021). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020). Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben (Tagesschau.de 28.8.2019). Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen (HRW 13.1.2021).
Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Blogger wegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch' einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten (AI 16.4.2020). Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der in Europa lebende Blogger Tumso Abdurachmanow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen (Deutschlandfunk.de 11.3.2019; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mitte 2019 erklärte der Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments und enger Vertrauter von Ramsan Kadyrow, Magomed Daudov (auch bekannt als 'Lord'), dem Blogger die Blutfehde (BBC 27.2.2020), nachdem Abdurachmanow den verstorbenen Vater von Ramsan Kadyrow, Achmad Kadyrow, als Verräter bezeichnet hatte (RFE/RL 27.2.2020). Im Februar 2020 wurde Abdurachmanow in seiner Wohnung von einem mit einem Hammer bewaffneten Mann angegriffen. Er konnte den Angreifer abwehren und hat überlebt (BBC 27.2.2020; vgl. RFE/RL 27.2.2020). Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille aufgefunden (SZ 4.2.2020; vgl. Zeit.de 5.7.2020, ÖB Moskau 6.2021). Der aus Tschetschenien stammende Imran Aliew war als Blogger unter dem Namen 'Mansur Stary' bekannt (Caucasian Knot 28.5.2020). Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Caucasian Knot hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020). Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet (Kurier.at 23.7.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Der Mann, der sich Anzor aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen (Kurier.at 23.7.2020). Ein weiteres Beispiel ist der prominente Menschenrechtsaktivist und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, Ojub Titiew, der nach Protesten aus dem In- und Ausland inzwischen unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde. Er war wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes im März 2019 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er selbst und Familienangehörige haben nach Angaben von Memorial Tschetschenien verlassen (AA 2.2.2021).
Ein Sicherheitsrisiko für Russland stellt die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen. Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB informierte im Dezember 2019, dass ca. 5.500 russische Bürger sich im Ausland einer terroristischen Organisation angeschlossen und an Kriegshandlungen teilgenommen haben und dass gegenüber 4.000 in Russland eine Strafverfolgung eingeleitet wurde. Etwa 3.000 der insgesamt 5.000 Kämpfer stammten aus dem Nordkaukasus. Offiziellen russischen Vertretern zufolge kehren angesichts einer drohenden gerichtlichen Verfolgung in Russland nur wenige FTFs (foreign terrorist fighters) nach Russland zurück. Frauen und Kinder von FTFs, die keine Verbrechen begangen haben, werden von Russland zurückgeholt (v.a. Kinder), diese werden soweit möglich rehabilitiert und resozialisiert. Laut einem Bericht des Conflict Analysis & Prevention Center vom März 2020 wurde von den Tausenden Kämpfern, die aus dem Nordkaukasus nach Syrien oder in den Irak zogen, der Großteil getötet. In den letzten Jahren repatriiert Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen dieser Kämpfer zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder ist geplant. Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen. In Tschetschenien war es weiblichen Rückkehrern gestattet, nach Hause zurückzukehren. In Dagestan wurden Frauen – angesichts aktiver weiblicher Beteiligung im Aufstand - als Sicherheitsrisiko wahrgenommen und zu 7 – 7,5 Jahren Haft verurteilt, wobei die Haftstrafen aufgrund von Fürsorgepflichten für kleine Kinder aufgeschoben wurden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. Vor dem Verbot des sogenannten IS war die Rückkehr nach Russland einfacher (auch für Männer) und die Konsequenzen milder. Grundsätzlich werden betroffene Familienangehörige als Hochrisikogruppe betrachtet und befinden sich unter Aufsicht der Behörden. Formen der Diskriminierung sind etwa Verweigerung eines Kindergarten- oder Schulplatzes oder Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden (ÖB Moskau 6.2021).
Laut einem Experten für den Kaukasus kehren nur sehr wenige IS-Anhänger nach Russland zurück. Bei einer Rückkehr aus Gebieten, die unter Kontrolle des sogenannten IS stehen, werden sie strafrechtlich verfolgt. Nachdem der sogenannte IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen wurde, besteht die Möglichkeit, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus kann sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 6.2021).
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Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 21.04.2022
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 2.2.2021). Am 1. April 2020 wurde ein Gesetz aus dem Jahr 2019 geändert, das 'Falschinformationen' unter Strafe stellt. Die neuen Bestimmungen verbieten es, "wissentlich Falschinformationen über Ereignisse zu verbreiten, die eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der Bevölkerung darstellen, und/oder über Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Bevölkerung". Einzelpersonen drohen bis zu fünf Jahre Haft, wenn die Verbreitung der Information zu einer Körperverletzung oder zum Tod eines Menschen führt, für Medien sind hohe Geldstrafen vorgesehen. Auf Grundlage dieses Gesetzes wurden Hunderte Menschen in Verwaltungsverfahren zu Geldstrafen verurteilt, und gegen mindestens 37 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet. Bei den Betroffenen handelte es sich zumeist um zivilgesellschaftliche Aktivisten, Journalisten und Blogger. Gegen mindestens fünf Medienunternehmen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Zeitung Nowaja Gazeta und ihr Chefredakteur wurden im August und im September 2020 wegen Berichten über COVID-19 zu Geldstrafen verurteilt und angewiesen, die entsprechenden Artikel im Internet zu löschen (AI 7.4.2021). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Auch die 'Bedrohung der nationalen Sicherheit' dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes 'liken' oder 'retweeten' eines Beitrags, den die Behörden als 'extremistisch' einstufen, kann zu Strafen führen (AA 2.2.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim. Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter dieser Anti-Extremismus-Gesetzgebung verurteilt (ÖB Moskau 6.2021). Das oben erwähnte Gesetz zur 'Verbreitung von Falschnachrichten' sanktioniert die Verbreitung von 'fake news', die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von 'fake news' zur Pandemie strafbar (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Verbreitung von Falschinformationen über Covid-19 eingeleitet (HRW 13.1.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quarantäneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). 2021 traten neue Gesetzesänderungen in Kraft, die die freie Meinungsäußerung weiter einschränken. Eine Änderung könnte es den Behörden ermöglichen, ein Verfahren wegen Beleidigung ohne einen Kläger und ein Opfer einzuleiten. Durch andere Änderungen wurde die Definition des Straftatbestands der Verleumdung erweitert und eine Freiheitsstrafe als mögliche Strafe eingeführt (HRW 13.1.2022). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 2.2.2021; vgl. HRW 13.1.2022, FH 14.10.2020).
Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat Ende Februar 2022 verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Krieg“ zu nutzen (ZO 26.2.2022). Die staatlichen Zensoren bestehen auf dem Euphemismus einer "militärischen Spezialoperation" (BR 8.3.2022). Werden die verbotenen Worte dennoch benutzt, drohen den Medien die Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder hohe Geldstrafen (Tagesspiegel 3.3.2022). Bei der Verbreitung von "fake news" über die russischen Streitkräfte und allen, die öffentlich die Armee "verunglimpfen" drohen bis zu 15 Jahre Haft (BR 8.3.2022). Tausende Demonstranten, die sich gegen den Krieg in der Ukraine positionierten, wurden verhaftet, zum Teil nur deshalb, weil sie leere Schilder oder Schilder mit der wortwörtlichen Aufschrift "Zwei Wörter" gehalten haben (T-Online 15.3.2022).
Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle. Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Mittlerweile wurden Doschd und Echo Moskwy gesperrt (ZO 1.3.2022), die Nowaja Gazeta hat beschlossen bis Kriegsende weder online, noch auf Papier Texte zu veröffentlichen (BR 28.3.2022). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 6.2021; vgl. GIZ 1.2021a, FH 3.3.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 6.2021). Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 3.3.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 6.2021).
Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 6.2021). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.1.2021). Dieses Gesetz trat 2021 in Kraft (HRW 13.1.2022). Facebook und Instagram sind mittlerweile in Russland gesperrt. Russische Behörden haben die Facebook-Mutter Meta als „extremistische Organisation“ bezeichnet, nachdem diese in neuen Richtlinien Drohungen gegen Präsident Putin und Russland unter bestimmten Umständen zugelassen hat (Standard.at 15.3.2022). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020). 2021 trat ein weiteres Gesetz in Kraft, das Strafen für Hersteller vorsieht, die auf den in Russland verkauften Geräten keine bestimmte russische Software vorinstallieren. Auch verpflichten neue Bestimmungen beliebte ausländische Webseiten und Apps, Vertretungen in Russland zu eröffnen. Zu den Sanktionen bei Nichteinhaltung der Vorschriften gehören Geldstrafen, Werbeverbote und Sperrungen. Die Behörden verhängen weiterhin hohe Geldstrafen gegen Social-Media-Plattformen wegen Nichteinhaltung der Vorschriften. Auch verlangten die russischen Behörden 2021, dass YouTube Kanäle sperrt, die mit Nawalny-Gruppen verbunden sind, die als 'extremistisch' eingestuft wurden. Im August 2021 forderten sie Apple und Google auf, Nawalnys App aus ihren Stores zu entfernen. Die Unternehmen kamen der Aufforderung schließlich nach, aber Google stellte die App im Oktober wieder ein (HRW 13.1.2022).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals 'extremistischen Inhalt' veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 6.2021). Die Gesetze zu 'ausländischen Agenten' und 'unerwünschten Organisationen' wurden dazu genutzt, unabhängige NGOs zu verleumden, ihnen die Finanzmittel zu entziehen und ihre Mitglieder streng zu bestrafen. Nach weiteren drakonischen Gesetzesänderungen, die im Dezember 2020 in Kraft traten, können jetzt auch Mitarbeiter von NGOs, nicht registrierte Gruppen und Einzelpersonen als 'ausländische Agenten' eingestuft werden (AI 7.4.2021).
In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 1.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadsor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 3.3.2021).
In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten 'digitalen Raubtiere' der Pressefreiheit im Jahr 2020 - 'Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten'. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.3.2020).
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 21.04.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch lokale Behörden in der Praxis jedoch häufig eingeschränkt (US DOS 11.3.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021, FH 3.3.2021). Die Organisation ungenehmigter Protestveranstaltungen zieht regelmäßig die Verhaftung der Organisatoren und die Verhängung von Geld- oder mehrwöchigen administrativen Arreststrafen nach sich (AA 2.2.2021). Das Gesetz sieht harte Strafen für nicht genehmigte Proteste und andere Verstöße gegen das öffentliche Versammlungsrecht vor - bis zu 300.000 Rubel (ca. 4.000 Euro) für Einzelpersonen, 600.000 Rubel (8.000 Euro) für Veranstalter und eine Million Rubel (13.600 Euro) für Gruppen oder Unternehmen. Demonstranten mit mehreren Verstößen innerhalb von sechs Monaten können mit einer Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel (13.600 Euro) belegt oder für bis zu fünf Jahre inhaftiert werden (USDOS 11.3.2020). Ausnahmen wie die Demonstrationen gegen die Festnahme und Amtsenthebung eines Provinzgouverneurs in Chabarowsk, gegen die im Sommer 2020 lange nicht eingeschritten wurde, bestätigen diese Regel. Wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften zur Organisation oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Märschen oder auch Mahnwachen können strafrechtlich geahndet werden (bis zu drei Jahre Lagerhaft). Zudem kam es 2019/2020 zu Verurteilungen von Demonstranten wegen angeblicher Gewalt gegen Polizeibeamte, von denen einige nach öffentlichen Protesten und der Veröffentlichung von Videos aufgehoben wurden (AA 2.2.2021). Im Dezember 2020 verabschiedete die Duma zwei neue Gesetze, die Mahnwachen für Einzelpersonen verbieten und die Protestorganisatoren dazu auffordern, umfangreiche Unterlagen auszufüllen (FH 3.3.2021; vgl. AI 7.4.2021). Mit Verweis auf die Pandemie wurden die Auflagen für öffentliche Versammlungen und Mahnwachen von Einzelpersonen verschärft, in einigen Regionen wurden sie ganz verboten. Öffentliche Proteste umfassen in der Regel nur wenige Teilnehmer, finden aber ungeachtet aller Repressalien regelmäßig statt. Die Zahl der Einzelpersonen, die wegen einer Mahnwache festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden, steigt an (AI 7.4.2021).
Kundgebungen und Demonstrationen von oppositionellen Gruppen werden entweder nicht genehmigt oder müssen abseits zentraler Plätze stattfinden. Gleichzeitig zeigen die Behörden eine zunehmende Intoleranz gegenüber nicht genehmigten Demonstrationen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021). Im Sommer 2019 kam es in Moskau zu einer Reihe von - zum Teil nicht genehmigten - Protestaktionen mit bis zu 60.000 Teilnehmern, nachdem zahlreiche oppositionelle Kandidaten nicht zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament zugelassen worden waren. Mehr als tausend Personen wurden festgenommen, gegen einige wurde ein Strafverfahren eröffnet. Mehrere Angeklagte wurden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Personen, welche die Menschenrechtsorganisation Memorial zu politischen Gefangenen erklärt hat. Kreml-freundliche Gruppierungen hingegen berichten nicht über Probleme, entsprechende Genehmigungen der Moskauer Stadtverwaltung für Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 6.2021; vgl. ZO 2.8.2019).
In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen ihrer Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft, und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (US DOS 11.3.2020). Obwohl Gewerkschaftsrechte rechtlich geschützt sind, sind sie in der Praxis eingeschränkt. In führenden Branchen, einschließlich der Automobilherstellung, kam es zu Streiks und Protesten der Arbeiter, aber gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung und Repressalien sind weit verbreitet. Arbeitgeber ignorieren häufig Kollektivverhandlungsrechte. Der größte Gewerkschaftsverband arbeitet eng mit dem Kreml zusammen, obwohl in einigen Industriesektoren und Regionen unabhängige Gewerkschaften tätig sind (FH 3.3.2021).
Oppositionspolitiker und -aktivisten werden häufig mit fabrizierten Anklagen und anderen Formen administrativer Belästigung konfrontiert, die ihre Teilnahme am politischen Leben verhindern sollen. Alexej Nawalny wurde im August 2020 mit einem Nervengift vergiftet, als er Korruption und Kampagnen in Sibirien untersuchte. Später gab es Beweise dafür, dass der Anschlag vom Inlandsgeheimdienst FSB durchgeführt worden war. Nawalny musste nach Deutschland evakuiert werden, um zu verhindern, dass die Behörden in seine Behandlung eingreifen (FH 3.3.2021). Als Nawalny im Jänner 2021 in seine Heimat zurückkehrte, wurde er festgenommen (Standard.at 28.2.2021; vgl. HRW 13.1.2022), weil er während seiner Abwesenheit gegen Bewährungsauflagen aus einer früheren Verurteilung wegen Untreue verstoßen haben soll. Ein Gericht wandelte die frühere Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe um (Standard.at 28.2.2021). Die Verurteilung wurde international scharf kritisiert und wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als ungerechtfertigt angesehen (Standard.at 28.2.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Alexej Nawalny wurde zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt (Standard.at 28.2.2021). Nach der Duma-Wahl im September 2021 hat das Ermittlungskomitee ein neues Strafverfahren gegen Alexej Nawalny und Vertraute wegen Schaffung und Führung einer extremistischen Organisation eingeleitet. Weiteren Personen aus dem Umkreis Nawalnys wird eine Beteiligung an dieser Organisation vorgeworfen. Nawalny drohen damit nun weitere sechs bis zehn Jahre Haft. Das neue Verfahren erfasst potenziell einen sehr weiten Personenkreis. So können alle ehemaligen Mitstreiter Nawalnys nun auch wegen Beteiligung an einer extremistischen Organisation haftbar gemacht werden. Prinzipiell können die Ermittlungsbehörden den Vorwurf dann auch auf Teilnehmer von Protestdemonstrationen ausweiten (Standard.at 30.9.2021). Das neue Verfahren gegen Nawalny löste landesweite Proteste aus, die von den Behörden unterdrückt wurden. Die Behörden verboten aufgrund Extremismusvorwürfen drei Gruppen, die angeblich mit Nawalny in Zusammenhang stehen sollen (HRW 13.1.2022). Am 22. März 2022 wurde Nawalny zu neun Jahren Haft verurteilt, aufgrund der Vorwürfe des umfangreichen Betruges und Missachtung des Gerichts. Die Haft soll Nawalny in einem Hochsicherheitsgefängnis verbüßen. Zudem wurde er zu einer Zahlung von umgerechnet knapp 10.500 Euro verurteilt. Auch dieses Urteil gilt international als politisch motiviert und wird als Scheinverfahren bezeichnet (ORF.at 22.3.2022).
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Haftbedingungen
Letzte Änderung: 06.10.2022
Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der überwiegende Anteil der Inhaftierten ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 21.5.2021). Regelmäßig stattet das Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT; Europarat) der Russischen Föderation Besuche ab. Beim letzten Besuch (September/Oktober 2021) befasste sich das CPT vor allem mit der Lage von Personen im Polizeigewahrsam und in Strafanstalten, darunter Untersuchungshaftanstalten (SIZO), sowie mit der Lage von verurteilten männlichen und weiblichen Inhaftierten in Strafkolonien (ER 6.10.2021). Die Behörden gestatten Vertretern öffentlicher Aufsichtskommissionen, Gefängnisse regelmäßig zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Kommissionsmitglieder behördennahe Personen sowie Personen mit Erfahrung im Gesetzesvollzug sind. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Kommissionsmitglieder dürfen außerdem Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen sowie auch Sicherheitsbewertungen durchführen und psychiatrische Einrichtungen in Gefängnissen betreten (USDOS 12.4.2022).
Gefangene dürfen Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson für Menschenrechte einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Möglichkeit aber oft nicht genutzt. Aktivisten berichten, dass nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Folgen einer Beschwerde riskieren. Beschwerden, welche bei den Aufsichtskommissionen eingehen, konzentrieren sich häufig auf kleinere persönliche Anliegen (USDOS 12.4.2022).
Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er-Jahre langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Die Haftanstalten sind von schwerer Korruption, fehlenden Resozialisierungsmaßnahmen sowie mangelnder medizinischer Versorgung (beispielsweise bei HIV und Tuberkulose) betroffen (ÖB 30.6.2021). Regelmäßig kommt es zu Fällen von Folter (AI 29.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, HRW 13.1.2022) und anderen Misshandlungen in Haftanstalten, welche selten geahndet werden (AI 29.3.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in russischen Haftanstalten entsprechen häufig nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Inhaftierten erfolgt oft in Schlafsälen. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich und reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis hin zu solchen, die laut NGOs als 'Folterkolonien' berüchtigt sind. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 21.5.2021). Kritisiert werden die Bedingungen bei der Verbringung Inhaftierter in oft weit entfernte Strafkolonien. 2020 ist eine Gesetzesnovelle in Kraft getreten, gemäß welcher Inhaftierte in Russland ihre Haftstrafe in der Nähe ihres Wohnorts oder in der Nähe des Wohnorts ihrer Angehörigen verbüßen sollen (ÖB 30.6.2021).
Für Haftanstalten verantwortlich ist das Justizministerium. Mit Stand 1.5.2022 gab es in Russland insgesamt 468.237 Inhaftierte (einschließlich Untersuchungshaftanstalten). 24,6 % der Inhaftierten sind Untersuchungshäftlinge, 8,4 % der Inhaftierten sind weiblich, und 0,2 % der Inhaftierten sind minderjährig. In Summe gibt es 872 Haftanstalten, davon 204 Untersuchungshaftanstalten, 642 Strafkolonien, 8 Gefängnisse und 18 Jugendkolonien. Die offizielle Kapazität des Gefängnissystems beträgt 714.253 Haftinsassen. Die Auslastung betrug mit Stand 31.1.2021 67 %. Während die Gesamtanzahl der Inhaftierten im Jahr 2000 1.060.404 betrug, waren es im Jahr 2020 523.928 Inhaftierte (WPB o.D.). Es gibt Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern (AA 21.5.2021).
Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand' müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut den Moskauer Vertretern des 'Komitees gegen Folter' gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine anderen Speisevorschriften, seien sie religiöser oder sonstiger Art, beachtet. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als in den anderen Teilen Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien in der Regel als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an welchen die Sicherheitsbehörden kein besonderes 'sachfremdes' Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 21.5.2021).
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Todesstrafe
Letzte Änderung: 29.08.2022
Gemäß Art. 20 der Verfassung hat jeder Mensch das Recht auf Leben, jedoch ist für Kapitalverbrechen die Todesstrafe vorgesehen (RI 4.7.2020). Das Strafgesetzbuch (§ 44) zählt folgende Bestrafungsformen auf: Geldstrafe; Berufsverbot; Entziehung spezieller, militärischer Dienstgrade oder Entziehung von Ehrenrängen bzw. -titeln und staatlicher Auszeichnungen; Erziehungsarbeiten; Militärdienstbeschränkung; Freiheitsbeschränkung; Zwangsarbeit; Arrest; militärische Disziplinarhaft; zeitlich befristeter Freiheitsentzug; lebenslange Haftstrafe; Todesstrafe. Über Frauen, Minderjährige sowie Männer über 65 darf laut § 59 des Strafgesetzbuches nicht die Todesstrafe verhängt werden (RI 25.3.2022). Seit 1996, als Russland Mitglied des Europarats wurde, ist die Todesstrafe aufgrund eines Moratoriums ausgesetzt (AI 5.2022; vgl. CCDPW 27.3.2012). Die letzte Vollstreckung eines Todesurteils fand in den 1990er Jahren statt (Lenta 2.6.2022; vgl. AI 5.2022). Der russische Verfassungsgerichtshof hat 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland nicht verhängt werden darf. Man kann somit von einer De-facto-Abschaffung der Todesstrafe sprechen (AA 21.5.2021; vgl. ÖB 30.6.2021, OSZE 7.10.2021). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (ER 16.3.2022). Russland hat das 6. Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) über die Abschaffung der Todesstrafe zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert (ER 25.8.2022; vgl. AA 21.5.2021). Ab 16.9.2022 wird Russland keine Vertragspartei dieses Protokolls mehr sein (ER 25.8.2022). Weder unterzeichnet noch ratifiziert wurde von Russland das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OHCHR o.D.).
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Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 29.08.2022
In der Russischen Föderation herrscht laut gesetzlichen Vorgaben Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung. In einigen Fällen schränken die Behörden diese Rechte ein. Verschuldeten Personen kann die Ausreise verweigert werden. Auch Millionen Regierungsbedienstete sind von Ausreisebeschränkungen betroffen, darunter Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft, des Innen- und des Verteidigungsministeriums (USDOS 12.4.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 21.5.2021).
Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, wonach Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 21.5.2021). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung vor allem bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 28.2.2022). Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile der Russischen Föderation reisen (AA 21.5.2021). Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern, das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Aufenthalt in der Russischen Föderation zu (AA 21.5.2021; vgl. ÖB 30.6.2021, RI 4.7.2020). Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen. 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 21.5.2021).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021).
Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine setzte die EU Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie für andere russische Beamte und Geschäftsleute aus (Europäischer Rat 16.8.2022). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Mehrere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).
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Meldewesen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 8.2018; vgl. AA 2.2.2021, US DOS 11.3.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).
Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).
Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12.2011; vgl. ÖB Moskau 6.2021).
Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015; vgl. EASO 8.2018).
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Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation und Westeuropas
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Bevölkerung in Tschetschenien ist inzwischen laut offiziellen Zahlen auf 1,5 Millionen angewachsen. Gemäß Aussagen des Republiksoberhaupts Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2021). Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie zogen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation (EASO 8.2018). Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens, z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen), in der Region Rostow (über 11.000 Personen), in der Region Stawropol (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 93.000 Personen), in der Region Wolgograd (knapp 10.000 Personen) und in der Region Astrachan (über 7.000 Personen) (EASO 8.2018; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung die ethnische Zugehörigkeit nicht angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Region Wolgograd um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in Tschetschenien in die Stadt, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten „Wajnach-Kongress“ (eine Organisation, die oft auch als 'tschetschenische Diaspora' bezeichnet wird) veranstaltet werden, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Anzahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel Bewegungsfreiheit, bzw. Meldewesen] (EASO 8.2018). In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen (Telegraph 24.2.2016; vgl. EASO 8.2018). Diese kleinen Büros versuchen auch, den Handel zwischen den Regionen zu fördern. In ganz Russland gibt es ein Netz von 50 dieser offiziellen Vertretungen der tschetschenischen Republik. Obwohl es den Büros prinzipiell möglich wäre, Informationen zu einer bestimmten Person nach Grosny weiterzuleiten, können diese Vertretungen nicht als Knotenpunkt für das Sammeln von Informationen angesehen werden. Sie tätigen auch sonst keine weiteren, direkteren Aktionen. Obwohl die tschetschenischen Gemeinden in Russland Kadyrow teilweise behilflich bei der Ausübung von Druck auf hochrangige/bekannte Kritiker sind, scheint es keine Beweise zu geben, dass sie Informationen weitergeben (Galeotti 2019).
Laut einer Analyse der Jamestown Foundation soll die tschetschenische Diaspora in Europa rund 150.000 Personen umfassen, die tschetschenische Diaspora in Österreich zählt rund 35.000 Personen. Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon sind auch vereinzelte Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt geworden. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können (ÖB Moskau 6.2021). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates, misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gelten dessen Möglichkeiten zur Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften. Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht ausgeschlossen werden. Prominente Beispiele sind die Brüder Yamadayev, von denen einer in Moskau (2008) und ein anderer in Dubai (2009) getötet wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll, oder Umar Israilow, welcher 2009 in Wien ermordet wurde. Rezente Beispiele aus dem Jahr 2020 sind der Mord an Mamikhan Umarov alias Martin Beck (Anzor aus Wien), der Mord an Zelimkhan Khangoshvili in Berlin, der Mord an Imran Aliyev in Lille/Frankreich und der Angriff auf Tumso Abdurakhmanov in Gävle/Schweden (ÖB Moskau 6.2021) [vgl. dazu Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].
Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben. Dies gilt für alle Einwohner des Nordkaukasus. Wird jemand allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es für die Behörden möglich, diesen aufzufinden und zurück in den Nordkaukasus zu bringen. Dies gilt nach Einschätzung von Experten aber auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist (ÖB Moskau 6.2021). Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen (AA 2.2.2021). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Wege zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall auch schlüssig begründet sein muss (DIS 1.2015). Trotz der Rolle nationaler Datenbanken und Registrierungsgesetze, die eine Rückverfolgung von Personen ermöglichen, besteht für betroffene Personen ein gewisser Spielraum, Anonymität und Sicherheit in Russland zu finden, allerdings abhängig von den spezifischen Umständen. Die russischen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sind im Allgemeinen oft nicht bereit, als tschetschenische Vollstrecker aufzutreten, da sie oft skeptisch gegenüber Forderungen aus Grosny sind. Die föderalen Sicherheitsbehörden machen einen deutlichen Unterschied zwischen der Behandlung von Personen, die wegen Verbrechen in Tschetschenien gerichtlich verurteilt wurden, und von jenen, welchen nur vorgeworfen wird, Verbrechen begangen zu haben. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass ein Tschetschene, der von Tschetschenien aus verfolgt wird, anderswo in Russland aktiv misshandelt wird, wenn nicht bereits ein Gerichtsurteil ergangen ist oder andere Behörden - im Wesentlichen der Inlandsgeheimdienst FSB, Generalstaatsanwaltschaft, Untersuchungskommission - davon überzeugt sind, dass ein substanzielles politisches Fehlverhalten oder ein Fall von organisierter Kriminalität vorliegt (Galeotti 2019). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich aber häufig auch in russischen Großstädten vor Ramsan Kadyrow nicht sicher (AA 2.2.2021), da bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, auch in Moskau präsent sind (AA 2.2.2021; vgl. EASO 8.2018, New York Times 17.8.2017). Wie viele bewaffnete tschetschenische Kräfte es in Moskau gibt, ist schwer zu sagen. Jedenfalls ist immer wieder die Rede davon, dass Kadyrow tausend, wenn nicht sogar Tausende Loyalisten aufbringen kann, die fähig und bereit sind, gegen das Gesetz zu handeln. Dies scheint jedoch höchst fragwürdig. Es gibt auch weniger als hundert Beamte, die offiziell bei den tschetschenischen Sicherheitskräften akkreditiert sind und berechtigt sind, in Moskau zu operieren (Galeotti 2019).
Relative Anonymität und Sicherheit bieten russische Städte, die groß genug sind, um als Neuankömmling nicht aufzufallen, und die weniger stark polizeilich überwacht sind als beispielsweise Moskau und St. Petersburg. Moskau und St. Petersburg sind insofern 'gefährlicher', als sie tendenziell dichter kontrolliert werden, ihre Kommunikationsinfrastruktur moderner ist und die Behörden wachsamer sind. Viel schwieriger ist es, sich in Moskau versteckt zu halten, da hier zum Beispiel viele Dokumentenkontrollen durchgeführt werden, routinemäßig bei Benutzung der U-Bahn die Registrierungen von Mobiltelefonen überprüft und neue Gesichtserkennungssysteme erprobt werden, die mit Straßenkameras verbunden sind. In geringerem Maße gilt vieles davon auch für St. Petersburg (Galeotti 2019).
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Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 13.09.2022
Wirtschaft:
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu verschärften Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten in der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl und raffinierte Erdölerzeugnisse (Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022). Die wirtschaftliche Entwicklung ist durch die Sanktionen des Westens beeinträchtigt (WIIW o.D.). Die Sanktionen haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau.de 2.8.2022).
Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Diensts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 % gesunken (Reuters 12.8.2022; vgl. FAZ 28.7.2022). Die Inflation betrug im August 2022 15 % (Interfax 10.8.2022). Der Rubel wurde durch Maßnahmen der Zentralbank (Erhöhung der Zinssätze usw.) stabilisiert (FT 19.8.2022; vgl. WIIW o.D.). Der Finanzsektor wird von staatlich kontrollierten Banken beherrscht (HF o.D.).
Korruption ist weit verbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im Juni 2022 3,9 % (Rosstat o.D.; vgl. Tass 27.7.2022). Russland zählt zu den weltweit größten Weizenexporteuren (WZ 9.6.2022). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Exporte von Öl und Gas machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus (WKO 4.2022). Im Jahr 2022 ist der Ölpreis infolge der russischen Invasion in der Ukraine stark gestiegen (HB 7.7.2022). Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren und Agrarprodukte (WKO 4.2022). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022).
Die meisten Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-Pandemie sind Ende 2020 ausgelaufen (WKO 25.7.2022). Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren (ÖB 30.6.2021).
Grundversorgung:
Die Anzahl derjenigen Russen, welche in Armut leben, stieg gemäß der russischen Regierung zwischen dem vierten Quartal 2021 und dem ersten Quartal 2022 um 8,5 Millionen (ERev 3.7.2022). Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Russen unter der Armutsgrenze 11 % (Rosstat 27.4.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (v. a. Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a).
Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NP o.D.). Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 21.5.2021). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 7.2022).
Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 7.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (Ria.ru 27.6.2022). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 21.5.2021). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 15.172 [ca. EUR 251], für Kinder RUB 13.501 [ca. EUR 223] und für Pensionisten RUB 11.970 [ca. EUR 198] (Rosstat 22.6.2022). Der Mindestlohn beträgt seit 1.6.2022 RUB 15.279 [ca. EUR 251] und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 386] (Ria.ru 27.6.2022). Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen (AA 21.5.2021). Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit mehreren Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung wird vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20 % für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen verstärkt (AA 21.5.2021).
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Nordkaukasus
Letzte Änderung: 13.09.2022
Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Im Vergleich zu den meisten anderen Regionen Russlands weist der Nordkaukasus eine hohe Armutsrate (BP 3.9.2021) und eine sehr hohe Arbeitslosigkeit auf (ÖB 30.6.2021). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). Bei einer Sitzung der Regierungskommission zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 wurde ausgeführt, dass in etwa die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung der Region im informellen Sektor beschäftigt ist (Government.ru 15.6.2021). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022). Im Jahr 2020 zählten Dagestan, Tschetschenien sowie andere nordkaukasische Regionen zu denjenigen russischen Regionen mit dem niedrigsten Bruttoregionalprodukt (Statista 3.2022).
Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021). Dennoch ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 21.5.2021). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022). Die Reallöhne der tschetschenischen Bevölkerung sind im Jahr 2021 um beinahe 5 % gesunken. Am besten bezahlt werden Beamte und Mitarbeiter im Finanzbereich (KR 29.8.2022). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 14.565 [ca. EUR 241], für Kinder RUB 12.962 [ca. EUR 214] und für Pensionisten RUB 11.492 [ca. EUR 190] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022).
Dagestan zählt zu den von Armut betroffenen Regionen in Russland (Standard 21.5.2022). Es herrscht Unsicherheit bei der Lebensmittelversorgung (FPRI 15.6.2022). Die Preise für Lebensmittel steigen (KR 29.8.2022). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Dagestan für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 13.806 [ca. EUR 228], für Kinder RUB 12.649 [ca. EUR 209] und für Pensionisten RUB 10.893 [ca. EUR 180] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 14,7 % der Bevölkerung in Dagestan unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022). Dagestan wird in beträchtlichem Ausmaß subventioniert (FPRI 15.6.2022; vgl. MT 13.7.2022).
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Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 16.11.2021
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
Familien mit geringem Einkommen;
Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).
Mutterschaft
Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns - bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2020). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.2.2020b).
Mutterschaftskapital
Zu den wichtigen sozialen Unterstützungsleistungen zählt das Mutterschaftskapital (ÖB Moskau 6.2021). Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.4.2017). Es wurde eingeführt, um Eltern finanziell zu unterstützen und dadurch die Geburtenrate in Russland zu erhöhen. Die Einmalzahlung wird Familien (grundsätzlich der Mutter) für jedes (seit 2020 auch das erste) zur Welt gebrachte oder adoptierte Kind gewährt (2021: 483.881,83 Rubel (über 5.000 Euro) für das erste Kind, 639.431,83 Rubel (ca. 7.000 Euro) für das zweite und jedes weitere Kind) (ÖB Moskau 6.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.2.2020b).
Behinderung
Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2020). Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 2.2.2021). Die Höhe der monatlichen Invaliditätspension ist abhängig vom Invaliditätsgrad. Es gibt staatliche Einrichtungen für ältere und behinderte Menschen (Erwachsene und Kinder), innerhalb derer sie leben können und kostenlose medizinische Behandlung erhalten. Die staatlichen Sozialzentren und Unterkünfte des Ministeriums für Arbeit und Sozialen Schutz gibt es für Erwachsene und für Kinder (ÖB Moskau 6.2021).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).
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Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 16.11.2021
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 1.2021c; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 6.2021). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 1.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 6.2021). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2020). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt. Für Leistungen privater Krankenhäuser müssen die Kosten selbst getragen werden (ÖB Moskau 6.2021).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Vorsorge, Diagnose undambulante sowie stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.9.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 1.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 1.2021c; vgl. AA 2.2.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 6.2021).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken geleistet wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 6.2021).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 6.2021). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Auch Leistungen, die vom Staat für eine bestimmte Personengruppe, wie z.B. Personen mit Beeinträchtigungen, bestimmt wurden, sind gedeckt. Eine kostenfreie 24-Stunden-Versorgung steht allen Patienten im OMS-System zu (IOM 2020). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 6.2021). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 2.2.2021).
Durch jüngste Reformen und Gesetze erfolgte eine Minderung der Dominanz staatlicher Anbieter sozialer Dienstleistungen. Die Anzahl nicht-staatlicher Träger, wie z.B. NGOs, nimmt tendenziell zu, wobei in den einzelnen Regionen unterschiedliche Entwicklungen zu verzeichnen sind. So werden in einigen Regionen Sozialleistungen fast ausschließlich von staatlichen Trägern übernommen, in anderen agieren vermehrt auch nicht-staatliche Einrichtungen in diesem Bereich (ÖB Moskau 6.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 1.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung im Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 6.2021).
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Tschetschenien
Letzte Änderung: 10.06.2021
Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung, inklusive Notfall- und spezialisierter Gesundheitsversorgung, zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird die multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele vor nicht allzu langer Zeit erbaut wurden (DIS 1.2015).
Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, Schwangere und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos abgegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung), sind:
infektiöse und parasitäre Krankheiten
Tumore
endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten
Krankheiten des Nervensystems
Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde
Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes
Krankheiten des Kreislaufsystems
Krankheiten des Atmungssystems
Krankheiten des Verdauungssystems
Krankheiten des Urogenitalsystems
Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett
Krankheiten der Haut und der Unterhaut
Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes
Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen
Geburtsfehler und Chromosomenfehler
bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben
Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).
Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen, wie Minderjährigen, Studierenden, Arbeitern usw., und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenpflegern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015; vgl. GIZ 1.2021c, AA 2.2.2021). Es gibt dennoch medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes [von hier stammt Ramsan Kadyrow]. In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen günstiger (BDA CFS 31.3.2015).
In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Fachärzten arbeiten, welche aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges höher als in öffentlichen Institutionen, und zwar aufgrund von komfortableren Aufenthalten, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).
Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).
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Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien
Letzte Änderung: 10.06.2021
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'Achkhoy-Martan RCH' (regional central hospital), 'Vedenskaya RCH', 'Grozny RCH', 'Staro-Yurt RH' (regional hospital), 'Gudermessky RCH', 'Itum-Kalynskaya RCH', 'Kurchaloevskaja RCH', 'Nadterechnaye RCH', 'Znamenskaya RH', 'Goragorsky RH', 'Naurskaya RCH', 'Nozhai-Yurt RCH', 'Sunzhensk RCH', Urus-Martan RCH', 'Sharoy RH', 'Shatoïski RCH', 'Shali RCH', 'Chiri-Yurt RCH', 'Shelkovskaya RCH', 'Argun municipal hospital N° 1' und 'Gvardeyskaya RH' (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind:
'The Republican hospital of emergency care' (former Regional Central Clinic No. 9), 'Republican Centre of prevention and fight against AIDS', 'The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova', 'Republican Oncological Dispensary', 'Republican Centre of blood transfusion', 'National Centre for medical and psychological rehabilitation of children', 'The Republican Hospital', 'Republican Psychiatric Hospital', 'National Drug Dispensary', 'The Republican Hospital of War Veterans', 'Republican TB Dispensary', 'Clinic of pedodontics', 'National Centre for Preventive Medicine', 'Republican Centre for Infectious Diseases', 'Republican Endocrinology Dispensary', 'National Centre of purulent-septic surgery', 'The Republican dental clinic', 'Republican Dispensary of skin and venereal diseases', 'Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation', 'Psychiatric Hospital ‘Samashki’, 'Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’', 'Regional Paediatric Clinic', 'National Centre for Emergency Medicine', 'The Republican Scientific Medical Centre', 'Republican Office for forensic examination', 'National Rehabilitation Centre', 'Medical Centre of Research and Information', 'National Centre for Family Planning', 'Medical Commission for driving licenses' und 'National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’' (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind:
'Clinical Hospital N° 1 Grozny', 'Clinical Hospital for children N° 2 Grozny', 'Clinical Hospital N° 3 Grozny', 'Clinical Hospital N° 4 Grozny', 'Hospital N° 5 Grozny', 'Hospital N° 6 Grozny', 'Hospital N° 7 Grozny', 'Clinical Hospital N° 10 in Grozny', 'Maternity N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 1 in Grozny', 'Polyclinic N° 2 in Grozny', 'Polyclinic N° 3 in Grozny', 'Polyclinic N° 4 in Grozny', 'Polyclinic N° 5 in Grozny', 'Polyclinic N° 6 in Grozny', 'Polyclinic N° 7 in Grozny', 'Polyclinic N° 8 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 1', 'Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny', 'Paediatric polyclinic N° 5', 'Dental complex in Grozny', 'Dental Clinic N° 1 in Grozny', 'Paediatric Psycho-Neurological Centre', 'Dental Clinic N° 2 in Grozny' und 'Paediatric Dental Clinic of Grozny' (BDA CFS 31.3.2015).[…]
Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten, z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom PTBS/PTSD, Depressionen, etc.
Letzte Änderung: 10.06.2021
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 14483). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 14271), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 14483). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 14483).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24€). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Folgende häufig angefragte Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (v.a. auch in Tschetschenien):
Sertralin (BMA 12132, BMA 14483)
Escitalopran (BMA 12248, BMA 12977)
Paroxetin (BMA 12863, BMA 14483)
Citalopram (BMA 12977)
Fluoxetin (BMA 14483)
Quellen:
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
International SOS via MedCOI (3.4.2019): BMA 12248
International SOS via MedCOI (18.11.2019): BMA 12977
International SOS via MedCOI (12.2.2021): BMA 14483
International SOS via MedCOI (10.3.2020): BMA 12863
International SOS via MedCOI (25.2.2019): BMA 12132
International SOS via MedCOI (14.12.2020): BMA 14271
Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis / Tuberkulose
Letzte Änderung: 16.11.2021
Ein ernstes Problem bleibt die Bekämpfung von HIV/AIDS. Der Anteil der AIDS-Kranken an der Bevölkerung wächst in Russland schneller als im Rest der Welt. Bis zu 1,7% der Bevölkerung sind mit HIV infiziert. Bei den 35–39-Jährigen sind es sogar 3,2%. Die Zahl der Neuinfizierten steigt jährlich um mehr als 100.000. Die Krankheit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine 'Nationale Strategie der AIDS-Bekämpfung' soll die Verbreitung eindämmen. Da jedoch ein korrespondierender Umsetzungsplan fehlt, bleibt die Lage weiterhin außer Kontrolle. Die Kosten der Behandlung werden nur für russische Bürger übernommen. Infizierte Migranten werden nicht behandelt (AA 2.2.2021). HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels bestimmter antiretroviraler Medikamente generell behandelbar (BMA 13876). Dies gilt auch für Tschetschenien (BDA 6757).
Hepatitis ist in der Russischen Föderation generell behandelbar (BMA 12364).
Tuberkulose ist beispielsweise im Central Scientific Research Institute of Tuberculosis in Moskau behandelbar (BMA 13699). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik generell behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Tuberkulose-Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015). In Moskau beispielsweise werden auch die Kosten für die Behandlung der häufig vorkommenden Krankheit Tuberkulose vom Moskauer Forschungs- und Klinikzentrum für Tuberkulosebekämpfung übernommen. Jeder, auch Migranten oder Obdachlose, haben Zugang zu diesen kostenlosen Gesundheitsleistungen (ÖB Moskau 6.2021).
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Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Lebertransplantationen, Diabetes
Letzte Änderung: 10.06.2021
Nierenerkrankungen und (Hämo-)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation als auch in Tschetschenien behandelbar bzw. verfügbar (BMA 12506, BDA 31.3.2015). Auch Diabetes ist in der Russischen Föderation behandelbar (BMA 12353). Es werden in Russland auch prinzipiell Transplantationen durchgeführt, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberfunktionstests sind in der RF generell verfügbar, Lebertransplantationen sind in Moskau grundsätzlich verfügbar (AVA 14382). Krankenhäuser haben bestimmte Quoten bezüglich der Behandlungen von Personen (z.B. Lebertransplantation) aus anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (BDA 31.3.2015).
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Behandlungsmöglichkeiten: Drogenabhängigkeit
Letzte Änderung: 29.08.2022
In Moskau bieten öffentliche Einrichtungen psychiatrische Behandlungen sowie stationäre psychologische Betreuung für Drogenabhängige an. In Privateinrichtungen in Moskau besteht die Möglichkeit, Psychotherapien (beispielsweise kognitive Verhaltenstherapie) in Anspruch zu nehmen. Verfügbar sind in Moskau folgende Medikamente: Naloxon, Naltrexonhydrochlorid, Disulfiram und Nalmefen. Nicht verfügbar sind Substitol und Acamprosat (AVA 15556). Methadon, ein Medikament zur Behandlung von Drogensucht, ist in Russland offiziell verboten (NG 1.10.2021; vgl. AVA 15556, AAC 13.11.2020). Gemäß dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung unterzogen sich im Jahr 2019 in Russland 401.233 Personen einer Drogentherapie (UNODC o.D.). Der Föderale Dienst für Staatliche Statistik (Rosstat) beziffert die Anzahl derjenigen Drogenabhängigen, welche im Jahr 2020 in Heilanstalten und prophylaktischen Einrichtungen registriert waren, mit 212.400 (Rosstat 30.11.2021). Drogenabhängige Patienten, welche an einem Entzugsprogramm teilnehmen, müssen sich staatlich registrieren und werden nach Abschluss des Programms noch jahrelang überwacht (AAC 13.11.2020). Gerichtlich können Drogenabhängige zu einer Therapie verpflichtet werden (MFZ-GČ o.D.; vgl. AAC 13.11.2020).
Tschetschenien:
Öffentliche Einrichtungen bieten in Groznyj, der Hauptstadt Tschetscheniens, psychiatrische Behandlungen und stationäre psychologische Betreuung für Drogenabhängige an. Verfügbar sind in Groznyj die Medikamente Buprenorphin, Morphin sowie Naloxon. Nicht verfügbar ist Substitol. Morphin, Buprenorphin und Naloxon sind für gewöhnlich ausschließlich stationär erhältlich. Patienten, welchen diese Medikamente ambulant verschrieben werden, benötigen ein spezielles Rezept, um die besagten Medikamente in Apotheken zu erhalten (BMA 13939).
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Rückkehr
Letzte Änderung: 29.08.2022
Gemäß der Verfassung und gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (RI 4.7.2020; vgl. RI 14.7.2022, ÖB 4.4.2022). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente, wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2021; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2021).
Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Im Allgemeinen stehen Rückkehrer, insbesondere im Nordkaukasus, vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Auch gibt es bürokratische Schwierigkeiten, beispielsweise bei der Beschaffung von Dokumenten. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2021).
Nach Einschätzung eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2021). Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 21.5.2021).
[…]
Dokumente
Letzte Änderung: 29.08.2022
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie beispielsweise Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 21.5.2021). Das niederländische Außenministerium berichtet über manche gefälschte europäische Visa in echten russischen Reisepässen. In der Vergangenheit traten einerseits Fälle gefälschter Einreisestempel in echten russischen Reisepässen auf und andererseits echte russische Reisepässe, welche im Besitz anderer Personen waren (NL-MFA 4.2021).
Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 4.3.2021).
[…]“
1.3.3. Coronavirus disease (COVID-19) epidemiological update - WHO (World Health Organization) vom 13.01.2023, verweisend auf https://covid19.who.int/table
Nach aktuellem Stand zum Entscheidungszeitpunkt gibt es im ganzen Land 21.846.722 bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus und 394.309 Todesfälle.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben ausgeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts und der Einsicht in das strafgerichtliche Urteil des BF.
2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
2.3. Die Feststellungen zur Einreise des BF in das Bundesgebiet, zu seinem Asylzuerkennungsverfahren und dem diesen zugrundeliegenden Vorbringen, beruhen auf dem Verwaltungsakt des BF in seinem Zuerkennungsverfahren, insbesondere dem Zuerkennungsbescheid des ehemaligen UBAS vom 19.12.2006, Zl. XXXX , und der Einvernahme des BF vor dem ehemaligen Bundesasylamt am 06.08.2004, sowie am 15.06.2005.
2.4. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Volksgruppe, Herkunft, den Sprachkenntnissen, den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, sowie seiner Ausbildung gründen auf den in seinem Vorverfahren gemachten Angaben, sowie auf den in seiner Beschwerde und den in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gemachten Angaben. Diesbezüglich tätigte der BF widersprüchliche Angaben, zumal er bei seiner Erstbefragung am 06.08.2004 angab, nur 3 Jahre lang die Pflichtschule besucht zu haben, vor dem BVwG jedoch behauptete 6 Jahre die Schule besucht, jedoch keinen Abschluss zu haben (S. 11 des VH-Prot.). In neuerlichem Widerspruch dazu behauptete der BF jedoch die Erdöl Universität in Tschetschenien besucht, aber ebenfalls nicht abgeschlossen zu haben. Wie es dem BF möglich war ohne Schulabschluss an einer Universität zu studieren, konnte dieser vor dem BVwG nicht substantiiert erklären, gab er zu diesem Vorhalt nur an: „Ich weiß es nicht. Dass ich so aktiv im Krieg teilgenommen habe und so ordentlich. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe das Recht zu studieren bekommen“ (S. 13 des VH-Prot.), weshalb dieses Vorbringen den Feststellungen nicht zugrunde gelegt wurde. Hinsichtlich der Schulausbildung des BF wurde den Feststellungen das aktuellste Vorbringen des BF zu seinem Schulbesuch vor dem BVwG zugrunde gelegt.
Die Feststellungen zu seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern beruhen zudem auf aktuell eingeholten Auszügen aus dem zentralen Fremdenregister sowie dem ZMR und vorgelegten Schulbesuchsbestätigungen.
Aufgrund der Identifizierung der Person des BF in den abgeschlossenen Strafverfahren, steht seine Identität fest.
2.5. Die Feststellungen, wonach der BF im Herkunftsstaat über ein familiäres Netz verfügt, basieren ebenfalls auf den Angaben der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 14f des VH-Prot.).
Die Feststellung, wonach der BF im Jahr 2017 in den Herkunftsstaat zurückgekehrt ist und sich einen russischen Reisepass ausstellen hat lassen, ergibt sich aus seinen Angaben vor dem BFA (S. 4f des BFA-Prot.) und in der mündlichen Verhandlung (S. 5ff des VH-Prot.).
2.6. Die Feststellungen zu seinen beruflichen Tätigkeiten beruht auf den von ihm in der mündlichen Beschwerdeverhandlung getätigten Angaben (S. 18 des VH-Prot.) in Zusammenschau mit einem AJ-Web Auszug und der vorgelegten Einstellungszusage vom 19.10.2022, wonach der BF voraussichtlich Ende November, je nach Auftragslage neuerlich eingestellt wird.
2.7. Die Feststellungen zur Absolvierung der Sprachprüfung auf Sprachniveau B1 und der Prüfung über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs und des Landes Wien nach § 10a StbG beruhen auf den von den vom BF vorgelegten Zeugnissen. Dass er allerdings lediglich Grundkenntnisse in Deutsch aufweist, ergibt sich zudem aus dem Eindruck, den der verhandlungsleitende Richter in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnen hat, wobei sich der BF durchgehend einer Dolmetscherin bedient hat und bei einer Befragung in deutscher Sprache lediglich Grundkenntnisse präsentieren konnte, die auf Deutsch gestellten Fragen zwar verstehen, diese jedoch nicht in ganzen Sätzen und nur in sehr einfachen Worten bruchstückhaft beantworten konnte. Dass der BF weder vereinsmäßig, noch ehrenamtlich tätig ist, noch sonstige Aus- Fort- oder Weiterbildungen im Bundesgebiet absolviert hat, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben im Verfahren, sowie dem Umstand, dass beschwerdeseitig dazu keine Unterlagen vorgelegt wurden.
2.8. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF beruhen auf seinen vor dem BVwG getätigten Angaben (S. 28 des VH-Prot.) und den vorgelegten medizinischen Unterlagen, woraus sich die im Jahr 2005 diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung ergibt (Befund der psychosozialen Servicestelle vom 27.07.2005). Der BF hat diesbezüglich jedoch keine aktuellen medizinischen Unterlagen vorgelegt und in der mündlichen Verhandlung auch angegeben weder in ärztlicher, noch therapeutischer Behandlung zu sein, weshalb aus diesem Befund aus dem Jahr 2005 nichts zu gewinnen ist, wie im Übrigen auch das LG XXXX für den relevanten Zeitraum ab 2017 in seinem Urteil vom 03.10.2018 auf S. 6 unten schreibt. Die Arbeitsfähigkeit des BF beruht auf dem Umstand, dass der BF immer wieder, auch zuletzt, im Bundesgebiet erwerbstätig war und selbst ebenso angab arbeitsfähig sowie arbeitswillig zu sein (S. 28 des VH-Prot.).
Der Beweisantrag in der Beschwerde 22.01.2019 zur Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie ist abzuweisen, weil diesem weder ein Beweisthema zugrunde gelegt wurde, noch daraus entscheidungsrelevante Tatsachen zu erwarten waren, zumal der BF in der Verhandlung angab bis auf eine zuletzt erlittene Darmentzündung gesund zu sein und sich weder in therapeutischer, noch ärztlicher Behandlung zu befinden.
2.9. Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF fußen auf einem aktuellen Strafregisterauszug und der Einsicht in die im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteil. Die Feststellung zur Verbüßung der Haftstrafe des BF im Bundesgebiet fußt einerseits auf einem ZMR-Auszug und andererseits auf dem im Akt einliegenden Vollzugsinformation. Die Feststellungen zum verhängten Betretungsverbot ergeben sich aus den Angaben des BF und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung (S. 20, S. 34 des VH-Prot.), wobei sich dieser Vorfall auch aus einem KPA-Auszug ergibt, wonach es zu Gewalt in der Privatsphäre gekommen ist. Der BF und seine Ehefrau bestritten gewalttätige Auseinandersetzungen jedoch in der mündlichen Verhandlung, es habe lediglich verbale Streitereien gegeben und habe der BF ein Handy nach seiner Ehefrau geworfen. Die damals 16-jährige Tochter habe die Polizei gerufen, weil sie Angst bekommen habe. Anzumerken ist jedoch, dass die Erlassung eines Betretungsverbots gegen einen (potentiellen) Gefährder nur dann möglich ist, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass dieser einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde.
2.10. Primär ist festzuhalten, dass das BFA ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Dem Beschwerdeführer wurde ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, seine persönlichen Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat geltend zu machen und es kann daher nicht der belangten Behörde angelastet werden, wenn der Beschwerdeführer davon nicht mit Erfolg Gebrauch gemacht haben.
2.11. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
2.11.1. Die Feststellungen zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes über sein im Jahr 2004 initiiertes Asylverfahren, insbesondere aus der Einsicht in den Zuerkennungsbescheid des ehemaligen UBAS vom 19.12.2006, Zl. XXXX , der Einvernahme des BF vor dem ehemaligen Bundesasylamt am 06.08.2004, sowie am 15.06.2005 und der Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem ehemaligen UBAS am 19.12.2006, den im gegenständlichen Verfahren herangezogenen Länderberichten zur aktuellen Sicherheits- und Menschrechtslage in der Russischen Föderation, sowie den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.07.2018 und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 04.11.2022 im Zuge derer er zu seinen aktuellen Rückkehrbefürchtungen umfassend befragt wurde.
2.11.2. Anzumerken ist zunächst, dass der BF im Jahr 2006 Asyl erhalten hat, wobei seinem Zuerkennungsbescheid die Feststellungen zugrunde gelegt wurden, dass sich der BF bereits im Alter von 14 Jahren im Jahr 1994 den tschetschenischen Widerstandskämpfern, der Gruppe von XXXX , angeschlossen habe, weshalb XXXX , welcher nach Beendigung des ersten Tschetschenienkrieges 1996 und der Wahl XXXX zum Präsidenten im Jänner 1997 von diesem zum Vorsitzenden des tschetschenischen Sicherheitsrates ernannt worden und nun amtierender Präsident der tschetschenischen Republik XXXX sei, auf den BF aufmerksam geworden sei. 1996 sei der BF einer von 6 ständigen Leibwächtern XXXX geworden und sei dies bis 1999, bis nach Auflösung des tschetschenischen Sicherheitsrates, geblieben. Zu Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges 1999 habe der BF seine Leibwächtertätigkeit auf Anraten seines Vaters, welcher ihm gesagt habe, er solle zu Hause bleiben, weil er ohnedies bereits im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft habe, aufgegeben. Der BF sei in der Folge zu seinen Eltern in seinen Geburtsort zurückgekehrt, welcher wiederholt von Widerstandskämpfern als Stützpunkt genutzt worden sei und habe es ebendort immer wieder Säuberungen gegeben, im Rahmen welcher der BF mitgenommen worden sei. Der Bruder des BF sei im Jahr 2001 festgenommen worden und spurlos verschwunden. Bis zum heutigen Tag habe der BF keine Kenntnis über dessen Verbleib. Im Rahmen der Säuberungen sei der BF wiederholt mitgenommen worden, wobei diese noch nicht gezielt dem BF gegolten hätten. Im März 2003 sei der BF jedoch, als er sein Fahrzeug bei der Polizei in XXXX registrieren habe wollen, vom ehemaligen XXXX -Chef, welcher zufällig mit seinem Leibwächter ebendort anwesend gewesen sei, erkannt worden. Dieser sei ebenfalls aus dem Lager der ehemaligen Widerstandskämpfer gekommen, habe jedoch die Seiten gewechselt und sei nun an der Seite von XXXX gestanden, welcher die Präsidentschaftswahlen am 05.10.2003 gewonnen habe. Der BF sei als ehemaliger Widerstandskämpfer und Leibwächter von XXXX identifiziert und auf der Stelle festgenommen worden. Der BF sei folglich gefoltert worden, damit er Informationen über XXXX und Namen von Widerstandskämpfern preisgebe. Unter Folter habe der BF Namen ihm bekannter Widerstandskämpfer aus seinem Dorf preisgegeben, doch habe man vom BF Namen aktueller Widerstandskämpfer gewollt. Der BF habe diverse Erklärungen unterschrieben, damit die Folterungen ein Ende hätten, wobei er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe, was genau er unterschrieben habe. Der BF sei darin diverser Straftaten bezichtigt worden, welche er nicht begangen habe, ua., dass er ein Terrorist sei und einen Raubüberfall begangen habe. Folglich sei der BF wegen des Raubüberfalls, welchen er nicht begangen habe, zu einer 5-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Urteil sei in der Folge behoben worden und das Verfahren zur neuerlichen Durchführung an die erste Instanz zurückverwiesen worden. Zwischenzeitig sei der BF in diversen Gefängnissen festgehalten und während seiner Anhaltung in Haft in XXXX an 4 Terminen beginnend vom 24.03.2002 bis 15.01.2003 vom internationalen Roten Kreuz besucht worden. Der BF sei daher bereits Ziel gezielter und konkret gegen seine Person gerichteten Übergriffen durch russische Behörden aufgrund seiner Vergangenheit als Leibwächter und als Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg gewesen. Der BF sei aufgrund seiner Vergangenheit und dem damit unterstellten Naheverhältnis zu anti-russischen tschetschenischen Kämpfern bereits mehrfach ins Blickfeld föderaler russischer Sicherheitskräfte geraten, weshalb dieser im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation weitere Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.
2.11.3. Das BFA hat im angefochtenen Bescheid zwar im Ergebnis zutreffend aufgezeigt, dass im gegenständlichen Verfahren kein Hinweis auf eine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erkannt werden kann, doch hat es sich in keinster Weise mit den ursprünglichen Fluchtgründen des BF und seinen aktuellen Rückkehrbefürchtungen, sohin einer allenfalls noch vorliegenden Gefährdung seiner Person im Herkunftsstaat, befasst, weshalb dies in casu vom erkennenden Gericht nachgeholt und mit dem BF in einer mündlichen Beschwerdeverhandlung erörtert wurde.
2.11.3.1. Zu den ursprünglichen Fluchtgründen des BF ist zunächst festzuhalten, dass dieser vor dem ehemaligen Bundesasylamt am 06.08.2004 noch behauptet hat wegen seines verschollenen Bruders, welchen der BF gesucht habe, und der Festnahme, Misshandlung, Folter sowie Freilassung seiner eigenen Person geflohen zu sein. Der BF gab dabei an, von einem Richter freigesprochen worden zu sein (AS 23ff). Vor dem ehemaligen Bundesasylamt am 15.06.2005 behauptete der BF nie aktiv an Kampfhandlungen gegen das russische Militär oder gegen russische Soldaten beteiligt gewesen zu sein, jedoch gesucht zu werden, weil der BF im ersten Tschetschenienkrieg Leuten geholfen habe. Sein Bruder sei verschwunden, der BF habe nach ihm gesucht, sei verhaftet und für 1 Jahr sowie 8 Monate festgenommen worden, danach sei er freigelassen worden (AS 123ff). Erst nach erlassenem negativen Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes berichtete der BF vor dem ehemaligen UBAS in zweiter Instanz von seiner vermeintlichen Leibwächtertätigkeit für XXXX , seiner Kampftätigkeit im ersten Tschetschenienkrieg und seiner Unterstützungstätigkeit im zweiten Tschetschenienkrieg (AS 213ff). Der BF widersprach seinen Angaben im damaligen Verfahren daher gleich mehrfach und steigerte seine Fluchtgründe bereits in seinem Zuerkennungsverfahren mehrfach inhaltlich, weshalb dieses ehemalige Fluchtvorbringen bereits mit Unglaubhaftigkeit belastet ist und der BF gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen hat. Zu diesem Umstand in der mündlichen Verhandlung am 04.11.2022 befragt, führte der BF aus, dass ihm sein Schwager, welcher sich zu dieser Zeit mit der Schwester des BF bereits in Österreich befunden habe, damals geraten habe nicht zu erzählen, dass der BF im ersten Krieg gekämpft habe, worauf der BF gehört habe. Erst vor dem UBAS habe der BF erzählt im ersten Krieg gekämpft zu haben und Leibwächter von XXXX gewesen zu sein, wofür der BF einen Zeugen namhaft gemacht habe, welcher auch befragt worden sei und die Geschichte des BF bestätigt habe. Der BF habe damals sogleich im Saal Asyl erhalten.
Nunmehr führte der BF auch vor dem BVwG in neuerlicher inhaltlicher Steigerung aus, im zweiten Tschetschenienkrieg bis zum Jahr 2004 in einer Elitearmee gekämpft zu haben (S. 11 und S. 29 des VH-Prot.), weshalb insgesamt vor dem Hintergrund der zahlreichen erfolgten Steigerungen bereits das seinerzeitige Fluchtvorbringen des BF schwer mit Unglaubhaftigkeit belastet ist. Im Übrigen verstrickte sich der BF diesbezüglich vor dem BVwG auch mehrfach in zeitliche Widersprüche. Gab der BF zunächst an, im Jahr 2004 festgenommen und anschließend für 1 Jahr und 8 Monate in Haft gewesen zu sein, bevor er freigesprochen worden sei, obwohl der BF bereits am 04.08.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hat, vermeinte der BF auf Vorhalt dieses zeitlichen Widerspruchs durch den erkennenden Richter, dass er dann wohl 2004 freigelassen worden sein muss (S. 12 des VH-Prot.). Festzuhalten ist im Übrigen, dass der BF vor dem ehemaligen Bundesasylamt, sowohl am 06.08.2004 (AS 29), als auch am 15.06.2005 noch angab, von 04.03.2002 bis 2003 in Haft gewesen zu sein, ein genaues Datum wisse er nicht (AS 12). Wenngleich das erkennende Gericht nicht verkennt, dass der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung wiederholt darauf hingewiesen hat, Probleme mit der Erinnerung an zeitliche Daten zu haben, sprechen seine wiederholt widersprüchlichen zeitlichen Angaben in Zusammenschau mit den wiederholten inhaltlichen Steigerungen in seinem Fluchtvorbringen vielmehr für ein nicht durchdachtes Erzählkonstrukt, welches der BF nach Belieben abändert.
2.11.3.2. Die Vorfälle wegen derer dem BF Asyl gewährt wurde, ereigneten sich sohin allesamt während des – mittlerweile seit 13 Jahren beendeten – zweiten Tschetschenienkrieges. Die Sicherheits- und Menschenrechtslage hat sich seit der Asylgewährung des BF im Jahr 2006 wesentlich und nachhaltig verbessert.
Vor diesem Hintergrund ist eine Verfolgung des BF etwa 18 Jahre nach den ausreisekausalen Geschehnissen nicht vorstellbar, zumal, wie bereits dargelegt, schon zum damaligen Zuerkennungszeitpunkt kein kohärentes Fluchtvorbringen vorlag, wobei dennoch seinerzeit der Asylstatus gewährt wurde. Der BF ließ sich inzwischen auch einen russischen Auslandsreisepass ausstellen und kehrte im Jahr 2017 zumindest einmal für 10 Tage in die Russische Föderation zurück, wobei er sich 1 Woche in XXXX und 3 Tage in Tschetschenien aufhielt. Dieser Umstand allein spricht auch schon gegen eine tatsächlich und aktuell vorliegende asylrelevante Verfolgungsgefahr für den BF im Herkunftsstaat.
Aus den Länderberichten folgt, dass selbst Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kampfhandlungen, heute nicht mehr verfolgt werden. Der tschetschenische Machtapparat konzentriert sich inzwischen vielmehr auf öffentliche Kritiker von XXXX und islamistische Kämpfer und deren Angehörige. Der BF brachte mit Ausnahme seiner behaupteten Demonstrationsteilnahmen (dazu noch unten) in Österreich weder vor politisch aktiv zu sein bzw. gewesen zu sein, noch sich sonst (öffentlich) regimekritisch zu äußern. Selbst bei Wahrannahme einer Leibwächtertätigkeit für XXXX , was in casu - wie bereits ausgeführt -, aufgrund der widersprüchlichen und mehrfach gesteigerten Angaben des BF in seinem Zuerkennungsverfahren hg bereits bezweifelt wird, ist festzuhalten, dass XXXX bereits seit über 9 Jahren tot ist und es schlicht wenig plausibel ist, dass der BF aufgrund seiner (vermeintlichen) Leibwächtertätigkeit für XXXX in den späten 1990er Jahren nunmehr immer noch – mehr als 23 Jahre nach Beendigung seiner Leibwächtertätigkeit – aus diesem Grund im Herkunftsstaat einer Gefahr ausgesetzt wäre, zumal der BF auch bis zum Jahr 2004 in Tschetschenien gelebt hat und seine Leibwächtertätigkeit bereits 1999 beendet haben soll. Hinsichtlich der im Zuerkennungsverfahren vorgebrachten Festnahme und Verurteilung des BF im Herkunftsstaat vor seiner Flucht im Jahr 2004 ist im Übrigen auszuführen, dass diese bereits dadurch relativiert ist, dass der BF nach eigenen Angaben sehr wohl von der Berufungsinstanz freigesprochen worden ist. Dies ist auch im ursprünglichen Zuerkennungsbescheid vom 19.12.2006 so festgestellt, weshalb der BF aufgrund der seinerzeitigen Verurteilung im Herkunftsstaat bei seiner nunmehrigen Rückkehr auch nichts mehr zu befürchten hat. Weshalb gerade an der Person des BF ein derart nachhaltiges Interesse der Behörden seines Herkunftsstaates bestehen sollte, dass er aus diesen ursprünglichen (Flucht-) Gründen immer noch einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat unterliegen würde, vermochte der BF weder vor dem BFA, noch in der Beschwerde, noch vor dem BVwG darzulegen.
Zwar ergibt sich aus den Länderberichten nach wie vor, dass das Republikoberhaupt XXXX in Tschetschenien ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert hat und Vertreter russischer und internationaler NGOs von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, sowie einem Klima der Angst und Einschüchterung berichten, doch hat sich die Sicherheitslage, sowohl in Tschetschenien, als auch in Zentralrussland massiv verbessert (wenn der Nordkaukasus auch noch von dauerhafter Stabilität weit entfernt ist). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben. Seit gut zehn Jahren liegt das Epizentrum von Gewalt nicht mehr in Tschetschenien. Dort konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. Stand Russland 2011 noch an neunter Stelle im Global Terrorism Index hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land, rangierte es im Jahr 2016 dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Zudem hat sich die Lage von Tschetschenen in Zentralrussland gebessert, sodass auch nicht von einer generellen ethnischen Verfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe auszugehen ist (dazu noch unten). Die russischen/tschetschenischen Behörden würden ihren Fokus laut vorliegendem Berichtsmaterial nunmehr auf Anhänger des IS, sowie Personen, welche aktuell gegen die dortigen Sicherheitskräfte kämpfen, legen.
Beispielsweise zeigt die Hauptstadt XXXX wenige Anzeichen des jahrelangen Krieges miterlebt zu haben. Großflächige Kampfhandlungen sind lange vorbei, das Militär ist weniger präsent und die Stadt wurde wiederaufgebaut. Gleichwohl bleiben Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem.
Dass der BF nunmehr – mehr als 18 Jahre nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat – neuerlich einer gleichgelagerten Gefährdung ausgesetzt sein würde, kann demnach keinesfalls angenommen werden, zumal auch noch zahlreiche Familienangehörige des Beschwerdeführers unbehelligt im Herkunftsland leben und der BF selbst zumindest einmal im Jahr 2017 in den Herkunftsstaat zurückgekehrt ist. Weshalb gerade an seiner Person noch ein konkretes und nachhaltiges Interesse der Behörden bestehen sollte, vermochte der BF insgesamt während seines Asylaberkennungsverfahrens nicht darzulegen, zumal der BF hinsichtlich seiner ursprünglich für glaubhaft befundenen Fluchtgründe keinerlei Rückkehrbefürchtungen geltend machte. Die vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen im Zusammenhang mit dem Schwager des BF konnten keine Rückkehrgefährdung für den BF aufzeigen (s. dazu unten). Der Beschwerdeführer bekleidet auch keine besondere gesellschaftliche oder politische Stellung, welche ein allenfalls erhöhtes Interesse der Behörden seines Herkunftsstaates an seiner Person erklärbar erscheinen ließe.
Dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner seinerzeitigen Tätigkeiten in den beiden Tschetschenienkriegen, aufgrund seiner Leibwächtertätigkeit für XXXX und seiner Verurteilung im Falle einer Rückkehr einer gezielten Verfolgung durch die Behörden seines Heimatlandes unterliegen würde, kann demnach nicht (mehr) angenommen werden.
Der Vergleich der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation im angefochtenen Bescheid und nach den aktuellen Länderberichten ergibt zwar, dass Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe immer noch auf eine anti-kaukasische Stimmung treffen und Diskriminierungen ausgesetzt sein können, eine asylrelevante Gefährdung auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit, kann aber nicht mehr festgestellt werden. Auch diesbezüglich ist daher eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die nicht nur vorübergehend ist. Dass eine Wohnsitznahme außerhalb Tschetscheniens grundsätzlich möglich ist, geht bereits aus dem Faktum hervor, dass etwas 14.000 Tschetschenen alleine in Moskau, 11.000 allein in der Rostow Region und 12.000 in Stawropol leben.
2.11.3.3. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen in seinem Asylaberkennungsverfahren brachte der BF nunmehr gänzlich von seinem ursprünglichen Fluchtgründen verschiedene Gründe vor. Es wurde nicht substantiiert dargetan, warum dem BF nunmehr, 18 Jahre nach den vermeintlich fluchtauslösenden Vorfällen, Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat drohen sollte.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichts bestehen keine Anhaltspunkte für eine dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr drohende staatliche Verfolgung oder sonst maßgebliche individuelle oder generelle Gefährdung, wie folglich dargelegt. Der Beschwerdeführer brachte bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.07.2018 keine Rückkehrbefürchtungen vor, sondern gab vielmehr an, in den Herkunftsstaat zurückkehren zu wollen, sobald eine andere Regierung an der Macht sei (S. 7 des BFA-Prot.). Im Übrigen sei der BF im Jahr 2017 für einige Tage in den Herkunftsstaat zurückgereist, habe zuvor bei der russischen Botschaft einen Reisepass beantragt, welcher auch ausgestellt worden sei und mit welchem der BF über die Slowakei nach XXXX geflogen sei, von wo aus der BF mit einem Privatjet nach Tschetschenien geflogen sei. Festzuhalten ist, dass der BF vor dem BFA zunächst behauptete 2015 in XXXX gewesen zu sein (S. 4 des BFA-Prot.), anschließend jedoch widersprüchlich dazu vermeinte 2017 im Herkunftsstaat gewesen zu sein (S. 6, S. 8 des BFA-Prot.), wobei der BF nach erfolgter Rückübersetzung korrigierte, dass er natürlich 2017 nach XXXX gereist sei (S.10 des BFA-Prot.). Der BF gab vor dem BFA jedoch dezidiert an, keine Probleme in der Russischen Föderation gehabt zu haben (S. 5 des BFA-Prot.) und, dass im Herkunftsstaat nicht nach ihm gefahndet werde (S. 8 des BFA-Prot.). Konkret von der belangten Behörde zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, führte der BF aus, dass alle seine Verwandten in Tschetschenien leben würden. Auf Vorhalt seiner Reisepassausstellung und seiner Rückkehr in die Russische Föderation im Jahr 2017, brachte der BF lediglich unsubstantiiert vor, XXXX kontrolliere ganz Russland. Als Grund für seine Rückreise in den Herkunftsstaat gab der BF vor dem BFA an, dass es Probleme mit seinem Schwager gegeben habe und habe man Informationen vom BF über den Aufenthalt seines Schwagers gewollt, wobei der BF eine falsche Adresse angegeben habe (S. 5, S. 7 des BFA-Prot.). Unbeschadet habe der BF zurück nach Österreich reisen können, weil die Tschetschenen etwas vom BF gebraucht hätten (S. 8 des BFA-Prot.).
Im Beschwerdeschriftsatz wiederholte der BF zu seinen Rückkehrbefürchtungen lediglich seine unsubstantiierten Angaben, wonach die Tschetschenen „etwas von ihm gebraucht hätten“, wobei ausgeführt wurde, dass die belangte Behörde unterlassen habe nachzufragen, was diese vom BF gebraucht hätten. Die tschetschenische und die russische Regierung hätten vom BF wissen wollen, wo sich sein Schwager befinde und habe der BF eine falsche Adresse angegeben, um Russland lebend verlassen zu können. Aufgrund dieser Falschangabe würden dem BF massive Probleme im Herkunftsstaat drohen. Warum der Schwager des BF gesucht worden sei und was genau die Tschetschenen vom BF „gebraucht hätten“, wurde beschwerdeseitig neuerlich nicht näher ausgeführt oder in sonstiger Weise begründet.
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG führte der BF nun die Gründe für die Kontaktaufnahme und die Umstände seiner Heimreise näher aus. So gab der BF an, dass sein Schwager im Internet die Mutter und XXXX selbst beschimpft habe. Er habe nicht von politischen Dingen gesprochen, sondern diese einfach beschimpft. Den Schwager des BF konnten sie nicht erreichen und hätten sie den BF gefunden. Sie hätten den BF in Tschetschenien gesucht. Durch die Tante des BF hätten sie die Telefonnummer des BF erfahren und sei der BF dann aufgefordert worden nach Tschetschenien zu kommen. Der BF sei sodann in Anwesenheit von Wachmännern mit einem Privatjet nach Tschetschenien gereist, wo er den Cousin von XXXX getroffen habe und habe man vom BF wissen wollen, wo sich sein Schwager aufhalte. Dem BF sei Freiheit in Tschetschenien versprochen worden, wenn er seinen Schwager ausspioniere. Der BF gab vor dem BVwG an, er würde gerne nach Tschetschenien zurückkehren, wenn eine andere Regierung an der Macht sei. Er habe den XXXX -Leuten gesagt, dass er es so machen werde und habe anschließend noch eine Woche in XXXX bei seiner Cousine verbracht. Der BF habe seinen Schwager in Österreich jedoch entgegen seiner Versprechung nicht ausspioniert (S. 6ff des VH-Prot.).
Sofern beschwerdeseitig vor dem BVwG angemerkt wurde, dass der BF im Jahr 2017 unfreiwillig in die Russische Föderation gereist sei, weil man Druck auf ihn ausgeübt habe (S. 29 des VH-Prot.), vermochte die Beschwerdeseite damit nicht zu überzeugen, zumal die XXXX -Leute den BF realistischer Weise in Österreich nicht dazu zwingen hätten können, einen russischen Reisepass zu beantragen, in ein Flugzeug nach XXXX zu steigen und sich 3 Tage in Tschetschenien sowie 1 Woche in XXXX aufzuhalten (S. 7 des VH-Prot.), sondern hat der BF diese Schritte von sich aus selbst setzen müssen. Zudem brachte der BF, wie bereits oben dargelegt, vor, dass man ihm bei seiner Kooperation in Aussicht gestellt habe, problemlos nach Tschetschenien zurückkehren zu können. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts scheint der BF vielmehr eine Vereinbarung mit den XXXX -Leuten getroffen zu haben, als dass dem BF von diesen tatsächlich gedroht worden wäre. Im Übrigen hat der BF aufgrund der seinerzeit eingeräumten Kooperationsbereitschaft mit den XXXX -Leuten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr keine Repressionen von dieser Seite zu befürchten.
Wenn der BF in der mündlichen Verhandlung angibt, von zwei bewaffneten XXXX -Leuten in XXXX besucht worden zu sein, welche an seiner Tür geläutet und sich das Haus des Schwagers zeigen hätten lassen, auch wenn es sich nach Angaben des BF nicht um das tatsächliche Haus des Schwagers gehandelt habe, in welchem sich eine Polizeistation befinde und der BF bezüglich des Umstandes gelogen habe, dass sein Schwager von der Polizei geschützt werde (S. 8f des VH-Prot.), so hat der BF sein Vorbringen nunmehr vor dem BVwG neuerlich inhaltlich gesteigert, zumal der letzte Kontakt mit den XXXX -Leuten Ende des Jahres 2017 gewesen sein soll (S. 10 des VH-Prot.) und damit zeitlich vor seiner BFA-Einvernahme am 17.07.2018. Die Tatsache, dass der BF von dem Besuch der XXXX -Leute in XXXX bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde nichts zu berichten musste, belastet sein dbzgl. Vorbringen schwer mit Unglaubhaftigkeit und erweckt vielmehr den Eindruck der BF wolle seine Gefährdungssituation im Herkunftsstaat damit zusätzlich erhöht darstellen.
Im Übrigen hat der BF – selbst bei Wahrannahme dieses Vorbringens – damit neuerlich seine Kooperationsbereitschaft mit den XXXX -Leuten unter Beweis gestellt und ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit daher bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit keiner Verfolgung seiner Person durch XXXX -Leute zu rechnen. Dem BF ist darüber hinaus weder aus seiner Rückreise nach Tschetschenien, noch aus seinem Kontakt mit den XXXX -Leuten im Bundesgebiet (S. 9 des VH-Prot.) eine persönliche negative Konsequenz erwachsen und hat der BF seit Ende des Jahres 2017 keinen Kontakt mehr mit den XXXX -Leuten gehabt. Sofern der BF nunmehr vor dem BVwG angegeben hat, dass vor einem Monat XXXX -Leute bei seiner Tante aufgetaucht seien und diese gefragt hätten, warum der BF keinen Kontakt mehr zu ihnen aufnehme, wird zwar nicht verkannt, dass der BF behauptet hat eine neue Handynummer zu haben, weshalb die XXXX -Leute diese nicht kennen würden, doch gab der BF an, immer noch an derselben Adresse - wie im Jahr 2017 - zu leben, weshalb die XXXX -Leute jederzeit die Möglichkeit hätten, den BF neuerlich an seiner Wohnadresse aufzusuchen, wie bereits im Jahr 2017 (S. 10 des VH-Prot.). Der Umstand, dass die XXXX -Leute den BF nicht neuerlich an seiner Wohnadresse aufgesucht haben, spricht vielmehr gegen eine im Entscheidungszeitpunkt vorliegende Gefahr für BF durch XXXX -Leute.
Insgesamt drängt sich die Frage auf, warum die XXXX -Leute einen derartigen Aufwand betreiben sollten (Kontaktaufnahme mit dem BF, Einladung nach Tschetschenien, Organisierung eines Privatjets von XXXX nach Tschetschenien, Wachpersonal für den BF, Entsendung bewaffneter XXXX -Leute nach XXXX , neuerlicher Kontaktversuch bei der Tante des BF), um des Schwagers des BF Habhaft zu werden. Für das erkennende Gericht ist es auch schlicht unplausibel, weshalb der BF mit derartigem Aufwand nach Tschetschenien eingeladen worden und verbracht worden sei, lediglich um ihn nach dem Verbleib seines Schwagers zu befragen, zumal dies auch telefonisch mit dem BF geklärt hätte werden können. Auf Vorhalt dieses Umstandes durch den erkennenden Richter, vermochte der BF diesbezüglich auch keine substantiierte Erklärung darzutun, sondern gab lediglich an: „Ja, wie ich gesagt habe, das war so und was er getan hat, war, dass er geschimpft hat. Er hat in schlechter Art über die Mutter von XXXX geschimpft. Er hat gesagt, dass dessen Mutter mit Putin zusammen war. Aus diesem Grund wurde ein anderer Tschetschene umgebracht, dieser heißt XXXX Damit vermag der BF jedenfalls nicht zu überzeugen.
In einer Gesamtschau ergibt sich aus diesem verspäteten, mehrfach inhaltlich gesteigerten und unplausiblen Vorbringens des BF der Eindruck eines nicht durchdachten Erzählkonstruktes, welches der BF nach Belieben erweitert bzw. ergänzt hat, um seine Person als noch im Fokus der XXXX -Leute stehend darzustellen. Generell entkräftet dieses Vorbringen des BF vielmehr eine behauptete aktuelle Gefährdungslage seiner Person im Herkunftsstaat, zumal seine Rückkehr in die Russische Föderation im Jahr 2017 und seine problem- sowie konsequenzlose Kontaktaufnahme mit XXXX -Leuten in XXXX gegen eine aktuelle Gefährdungssituation des BF im Falle einer Rückkehr sprechen.
Vor dem BVwG ist der BF auch ausführlich zu seinen Rückkehrbefürchtungen gefragt worden, wobei der BF angab: „Ich fürchte von der Regierung XXXX und der Regierung XXXX , wenn ich zurückkehre“. Nach seinen konkreten Rückkehrbefürchtungen gefragt, führte der BF aus, wenn er nach Tschetschenien zurückkehre, müsse er XXXX dienen und ihn als Gott annehmen oder müsste er wieder in den Wald gehen und sich verstecken. Dazu befragt, warum der BF heute – mehr als 18 Jahre nach seiner Ausreise aus der Russischen Föderation - noch von irgendjemanden im Herkunftsstaat gesucht werden sollte, vermeinte der BF, dass es derzeit wegen des Krieges in der Ukraine besonders gefährlich sei. Die Situation von XXXX sei unsicher geworden und suche dieser besonders die Leute, die ihm feindlich gesinnt seien. Der BF fragte dabei rhetorisch, wer nicht nach Hause (Anm.: nach Tschetschenien) zurückkehren wollen würde, wenn dies nicht so wäre. Der BF könnte dort auch leben und arbeiten, genauso wie hier, wenn es dort möglich wäre. Der BF vermochte mit diesen Angaben keine substantiierten Rückkehrbefürchtungen darzulegen und ist seiner Befürchtung - zum Kampfeinsatz in die Ukraine geschickt zu werden - grundsätzlich entgegenzuhalten, dass der BF seinen Wehrdienst in der Russischen Föderation nachgefragt nicht absolviert hat. Der BF habe auch keine Beweise dafür, dass er als Person bei Rückkehr nach Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt wäre, alle seine Freunde würden jetzt in der Ukraine gegen XXXX und im Krieg kämpfen (S. 24 des VH-Prot.).
Mit 21.09.2022 wurde eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation verkündet. Nach Angaben von Verteidigungsminister XXXX werden im Rahmen der Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einberufen, welche ihren Wohnort nicht mehr verlassen dürfen. Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden, Personen, welche rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien. Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten und für Studierende. Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: Pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit bestimmten Beeinträchtigungen; kinderreiche Familien (mindestens vier Kinder unter 16); Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; pensionierte Veteranen, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; und Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen. Der Kreml räumt Fehler bei der bisherigen Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke und Studierende.
Nach Angaben des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hat er seinen Wehrdienst in der Russischen Föderation noch nicht abgeleistet, weshalb dieser nicht der Gruppe der Reservisten angehört. Nicht verkannt wird, dass es auch zu Fehlern bei der Umsetzung der Teilmobilmachung gekommen ist und auch Personen einberufen wurden, welche eigentlich von der Teilmobilisierung ausgenommen sind. Aus dem LIB ergibt sich jedoch keine systematische Missachtung der vorgesehenen Regelungen für die Umsetzung der Teilmobilisierung, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich dabei um einzelne Fälle handelt. Darüber hinaus ist neuerlich darauf hinzuweisen, dass der BF auch seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet hat.
Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes ’Über die Wehrpflicht und den Militärdienst’ werden alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen, weshalb der BF mit seinen 42 Jahren auch nicht mehr im wehrpflichtfähigen Alter ist. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr und legt der Präsident jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen, weshalb eine Einberufung des BF mit seinen 42 Jahren in Tschetschenien mehr als unwahrscheinlich erscheint.
Der BF wurde insgesamt hinreichend zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt und hat er jede Möglichkeit gehabt, sich dazu ausführlich zu äußern. Aktuelle, konkrete und hinreichend substantiierte Rückkehrbefürchtungen hat der BF jedoch nicht geltend gemacht. Der BF vermochte nicht konkret darzulegen, warum er davon ausgeht, in der Russischen Föderation einer Gefährdung ausgesetzt zu sein. Insgesamt spricht gegen eine Bedrohung des BF in seinem Herkunftsstaat aus Konventionsgründen zu Recht der Umstand, dass er sich einen russischen Reisepass ausstellen ließ und damit im Jahr 2017 in die Russische Föderation gereist ist, wobei er sich 3 Tage in Tschetschenien und 1 Woche in XXXX aufgehalten hat. Der BF ließ sich sohin zu Umgehung seiner durch den Konventionsreisepass beschränkten Reisemöglichkeit in den Herkunftsstaat einen russischen Auslandsreisepass ausstellen, um dennoch in den Herkunftsstaat zu reisen.
Aufgrund der dargelegten Umstände ergibt sich, dass eine aktuelle Gefahr einer Verfolgung des BF aus asylrelevanten Motiven nicht gegeben ist und auch darüber hinaus keine Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr zu prognostizieren ist.
2.11.3.4. Selbst unter Wahrannahme einer vom erkennenden Gericht nicht für glaubhaft befundenen, etwaigen aktuellen Verfolgungsgefahr für den BF in Tschetschenien ist zudem festzuhalten, dass es dem BF grundsätzlich offensteht und zumutbar ist, sich auch in einem anderen Teil der Russischen Föderation niederzulassen. Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes auch Tschetschenen - wie allen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen - zusteht. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandsreisepasses und nachweisbarer Wohnraum. Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt.
2.11.3.5. Beim volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen BF wurde im Jahr 2005 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, wobei der BF jedoch keine aktuelleren medizinischen Unterlegen dazu vorlegte. Im Übrigen gab er vor dem BVwG an, lediglich zuletzt eine Darmentzündung gehabt zu haben, welche antibiotisch behandelt worden sei. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass es sich dabei weder um schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen handelt, welche einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat im Wege stehen würden. Die medizinische Grundversorgung in der Russischen Föderation ist gegeben und kostenlos. Auch die Versorgung mit Medikamenten ist im Herkunftsstaat des BF gewährleistet. Psychische Erkrankungen sind sowohl in Tschetschenien, als auch den übrigen Landesteilen der Russischen Föderation behandelbar. Es stehen diverse Antidepressiva zur Verfügung und könnte der BF im Herkunftsstaat auch Psychotherapie in Anspruch nehmen, sollte er dies in Zukunft neuerlich benötigen.
Der BF verfügt über eine fundierte Schulausbildung im Herkunftsstaat und hat ebendort im Sicherheitsbereich gearbeitet, sowie im Bundesgebiet immer wieder in der Baubranche Gelegenheitsjobs ausgeführt. Der BF verfügt über ein großes familiäres Netz im Herkunftsstaat, welches ihm bei seiner Rückkehr zumindest in einer Anfangsphase eine Unterstützung sein könnte und ist er gesund und arbeitsfähig, weshalb er seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat selbst bestreiten könnte. So lebt eine Schwester, sowie mehrere Onkel und Tanten des BF Tschetschenien, wobei der BF vor allem mit seiner Tante und seiner Schwester in regelmäßigem Kontakt steht. Auch die Schwiegermutter des BF und seine Schwägerin leben in der Russischen Föderation, sie beziehen eine Pension bzw. sind erwerbstätig und hat die Ehefrau des BF zu diesen täglich Kontakt, weshalb über die Ehefrau des BF auch der Kontakt zur Schwiegermutter und zur Schwägerin des BF hergestellt werden könnte. Auch die Tante des BF mit welcher der BF in gutem Kontakt steht und deren Sohn beziehen eine Pension, weshalb die Familienangehörigen des BF diesen zumindest in einer Anfangsphase auch finanziell unterstützen könnten. Im Übrigen lebt eine Cousine des BF in XXXX , bei welcher der BF bereits im Jahr 2017 problemlos für eine Woche Unterkunft nehmen konnte, weshalb der BF jedenfalls vor Obdachlosigkeit bewahrt wäre. Ebenfalls könnten die im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen des BF diesen in der Russischen Föderation von Österreich aus finanziell unterstützen, zumal seine Ehefrau als Verkäuferin tätig ist, seine Schwester beim Jugendamt arbeitet, sein Bruder Gelegenheitsjobs auf Baustellen ausübt und seine älteste Tochter samstags in einer Konditorei arbeitet, weshalb die Familie des BF diesen nach Kräften aus Österreich finanziell unterstützen könnte.
Zudem stünde es dem BF offen, als russischer Staatsbürger auf Leistungen des dortigen Sozialsystems zurückzugreifen und zur Erleichterung einer Niederlassung im Herkunftsstaat Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF hat noch vielfach familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, zu welchen regelmäßig Kontakt besteht. Darüber hinaus verfügt die Familie des BF väterlicherseits noch über ein Grundstück, welches der Onkel des BF verwaltet. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit von seiner im Bundesgebiet lebenden Familie im Herkunftsstaat unterstützt zu werden, weshalb es dem arbeitsfähigen BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich ist, mit Unterstützung seiner Familie – vor allem in der Anfangsphase – im Herkunftsstaat wieder Fuß zu fassen, sich bald aufgrund eigener Erwerbstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zu sichern und in keine aussichtslose Lage geraten.
2.11.4. Insgesamt konnte der BF eine Gefährdungssituation bei Rückkehr nicht hinreichend substantiieren, welcher er im Falle der Rückkehr in exponierter Weise ausgesetzt wäre. Unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Berichtslage, sowie der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, Ausbildung, berufliche Tätigkeit, usw.) ergibt sich, dass eine Rückkehr des BF in die Russische Föderation möglich und zumutbar ist.
2.12. Zum Vorliegen eines Nachfluchtgrundes aufgrund politischer Betätigung des BF in Österreich:
Sofern der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht hat, in Österreich politisch aktiv zu sein und seit seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat im Bundesgebiet an Demonstrationen teilzunehmen, wenn es um Tschetschenien gehe, insbesondere gegen XXXX und für Freiheit, ist festzuhalten, dass der BF auf Nachfrage angab, an lediglich 7-8 Demonstrationen teilgenommen zu haben und nur mitgegangen zu sein. Der BF hat auch keine organisatorischen Tätigkeiten übernommen und an den Demonstrationen nur mit verhülltem Gesicht teilgenommen. Es gibt auch keine Aufnahmen, Mitschnitte oder Fotos auf denen der BF mit Bild oder Namen erkennbar ist und war der BF im Internet nie unter seinem Namen oder mit seinem Bild politisch aktiv. Der BF ist in Österreich auch nie wegen seiner Demonstrationsteilnahmen festgenommen, misshandelt oder verfolgt worden (S. 22ff des VH-Prot.). Die Frau des BF, welche in der mündlichen Verhandlung als Zeugin befragt wurde, gab ebenfalls an, dass sie Film- und Fotoaufnahmen aus Angst verweigern würden und zuletzt auch mit Schutzmasken mitgegangen seien, damit man sie nicht erkenne (s. 36 des VH-Prot.).
Insgesamt betrachtet, ist somit von keiner öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivität des BF im Bundesgebiet auszugehen, welche dazu geeignet ist, eine asylrelevante Verfolgung des BF im Herkunftsstaat nach sich zu ziehen.
Mangels Außenwirkung dieser behaupteten politischen Tätigkeit, sowie mangels exponierter Stellung des BF als (regimekritischer) politischer Aktivist in Österreich ist diese behauptete Tätigkeit nicht geeignet in casu einen Nachfluchtgrund substantiiert zu begründen bzw. glaubhaft zu machen.
2.13. Zu den Länderfeststellungen
2.13.1. Die zur Lage im der Russischen Föderation getroffenen Feststellungen basieren auf Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen und stellen angesichts des bereits Ausgeführten im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers dar. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht grundsätzlich kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.13.2. Aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich keine derartige Situation im Herkunftsland ableiten, wonach der BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage - ohne Hinzutreten individueller Faktoren - in der Russischen Föderation aktuell und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder, dass ihm im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
2.13.3. Es bleibt weiterhin festzuhalten, dass es sich bei der Russischen Föderation um einen Staat handelt, der zwar im Hinblick auf menschenrechtliche Standards Defizite aufweist, darüber hinaus aber nicht – etwa im Vergleich zu Krisenregionen wie Afghanistan, Irak, Somalia, Syrien u.v.a. - als Staat mit sich rasch ändernder Sicherheitslage auffällig wurde, sondern sich im Wesentlichen über die letzten Dekaden als relativ stabil erwiesen hat (vgl. dazu etwa VfGH vom 21.09.2017, Zl. E 1323/2017-24, VwGH vom 13.12.2016, Zl. 2016/20/0098).
2.13.4. Letztlich ist noch anzumerken, dass unter Zugrundelegung der vom Bundesamt getroffenen Feststellungen zur Grundversorgung in der Russischen Föderation auch kein Grund erkannt werden kann, wonach der gesunde, volljährige und arbeitsfähige BF, der über ausreichend fundierte Schulbildung, Arbeitserfahrung und zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfügt, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine ausweglose Situation geraten würde.
2.13.5. Es bleibt festzuhalten, dass die Russische Föderation am 24.02.2022 eine militärische Großoffensive auf die Ukraine begonnen hat, wobei die laufenden Kampfhandlungen jedenfalls auf das Staatsgebiet der Ukraine beschränkt sind. Eine bewaffnete Auseinandersetzung findet somit - im Unterschied zu den seinerzeitigen zwei Tschetschenienkriegen – nicht auf dem Territorium der Russischen Föderation statt. Inzwischen wurden bereits Sanktionspakete westlicher Staaten gegen die Russische Föderation auf den Weg gebracht, so hat die EU u.a. den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien (u.a. Technologien für die Ölveredelung, Mikroprozessoren, etc…) in die Russische Föderation untersagt. Insgesamt ist derzeit aus diesen Gründen auch keine Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage in der Russischen Föderation ersichtlich und auch nicht erkennbar, dass deshalb die Grundversorgung ebendort nicht mehr gewährleitet wäre.
2.13.6. Es liegen auch keine Hinweise dafür vor, dass Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe allein wegen eines langjährigen Aufenthaltes in Europa in der Russischen Föderation einer Verfolgung oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wären. Wie aus den Länderfeststellungen hervorgeht (siehe Länderfeststellungen zur Rückkehr), sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr in die Russischen Föderation allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Es besteht keine allgemeine Gefährdung für die körperliche Unversehrtheit von Rückkehrern in den Nordkaukasus. Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden.
2.13.7. Was die Ausbreitung des Corona Virus in der Russischen Föderation betrifft, ist festzuhalten, dass der BF an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten leidet, sondern gesund ist. Die absoluten Zahlen in der Russischen Föderation erweisen sich mit 21.846.722 Erkrankten als so hoch, wie in kaum einem anderen Land. Dennoch erweisen sich die Todesfälle, mit insgesamt 394.309 Toten als, verglichen mit anderen Ländern, verhältnismäßig gering. Sieht man die absolute Zahl der Erkrankten jedoch im Verhältnis zur Einwohnerzahl, zeigt sich die Zahl der Erkrankungen pro 100.000 Einwohner noch davon entfernt, ein für eine Schutzgewährung signifikantes Risiko aufzuzeigen, in der Russischen Föderation an einer Lungenkrankheit Covid-19 (mit schweren Verlauf) zu erkranken. Die Russische Föderation hat als eines der ersten Länder mit landesweiten Impfungen ihrer Bevölkerung begonnen und sind mittlerweile mehrere heimische Impfstoffe zugelassen, die für die Bevölkerung kostenlos zur Verfügung stehen. Darüber hinaus stehen diverse Medikamente zur Behandlung von Covid-19 zur Verfügung und erfolgt eine medizinische Covid-Versorgung für die Bevölkerung kostenlos. Anfang des Jahres war in der Russischen Föderation erneut ein starker Anstieg an Infektionen mit dem Corona Virus zu beobachten, der auf die Ausbreitung der „Omikron-Variante“ zurückzuführen war, wobei diese Entwicklung weltweit, auch in Österreich, zu beobachten war. Derzeit erweist sich die Zahl der Neuinfektionen in der Russischen Föderation auf niedrigem Niveau als stabil. Insgesamt ist, vor dem Hintergrund der umfangreich gegebenen medizinischen Covid-Versorgung in der Russischen Föderation, dieser Umstand nicht dazu geeignet ein für eine Schutzgewährung signifikantes Risiko aufzuzeigen, um jene geforderte Schwelle der Exzeptionalität der Umstände zu erreichen.
2.14. Zur persönlichen Unglaubwürdigkeit des BF:
Die wiederholt divergierenden Angaben des BF zwischen seinem Fluchtvorbringen im Zuerkennungsverfahren und im nunmehrigen Aberkennungsverfahren, die zeitlichen Widersprüche zu seiner Inhaftierung in Tschetschenien im Jahr 2004 und die mehrfach widersprüchlichen Angaben zu seinem Privatleben indizieren auch - wie im vorliegenden Fall - die fehlende persönliche Glaubwürdigkeit des BF. So machte der BF widersprüchliche Angaben zu seiner Schulausbildung, sowie seiner vermeintlichen Universitätsausbildung (Pkt. 2.4.) und machte unplausible Angaben zu den Trennungsgründen von seiner Ehefrau im Jahr 2017.
Der BF führte vor dem BVwG aus, die Gründe für die Trennung von seiner Ehefrau nicht ganz genau erzählen zu wollen, weil er sich geniere. Es sei wegen der XXXX Geschichte gewesen, als die XXXX -Leute seinen Schwager gesucht hätten. Auf Nachfrage des erkennenden Richters, was dies mit der Trennung von seiner Frau zu tun habe, gab der BF an: „Es ist so, nach unserer Tradition, wenn wir eine Familie sind, gehört es, dass ich weiß, wo ihr Bruder ist, aber, wenn ich mit ihr getrennt bin, kann ich sagen, ich weiß es nicht, er ist nicht mein Angehöriger. Das war mein Gedanke. Sie können von mir nichts verlangen“. Hingegen gab die Ehefrau des BF als Zeugin befragt in der mündlichen Verhandlung als Grund für die Trennung vom BF an, dass dieser damals mit Drogen angefangen habe, sie es aber nicht sofort erkannt habe. Mit dem BF habe etwas nicht gestimmt und habe er verschiedene Zustände gehabt. Der BF habe auch eine andere Frau kennengelernt und sei dies der einzige Grund für die Trennung gewesen. Nach den Angaben des BF und seiner Ehefrau gab es auch ein Betretungsverbot für die gemeinsame Wohnung und finden sich zwei Einträge von Gewalt in der Privatsphäre, fortgesetzte Gewaltausübung und Körperverletzung, im KPA-Auszug des BF, welche vom BF und seiner Ehefrau in der mündlichen Verhandlung jedoch heruntergespielt wurden. Es habe nur verbale Auseinandersetzungen gegeben und habe der BF einmal das Handy nach seiner Ehefrau geworfen. Offensichtlich für die Trennung von seiner Ehefrau war nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedoch die Drogenproblematik und das gewalttätige Verhalten des BF.
Unter Berücksichtigung des widersprüchlichen und unschlüssigen Vorbringens hinterlässt der BF in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich unglaubwürdigen Eindruck. Die evidente Bedeutung des persönlichen Eindrucks hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen betont (siehe etwa VwGH vom 24.06.1999, Zl .98/20/0435 bzw. VwGH vom 20.05.1999, Zl. 98/20/0505).
Aus diesen Gründen war der BF als persönlich unglaubwürdig zu beurteilen.
2.15. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.3. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zum Spruchteil A
3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.5.1. Der mit „Aberkennung des Status des Asylberechtigten“ übertitelte § 7 AsylG 2005 lautet, wir folgt:
„1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. | ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt; |
2. | einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder |
3. | der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat. |
(2) In den Fällen des § 27 Abs. 3 Z 1 bis 4 und bei Vorliegen konkreter Hinweise, dass ein in Art. 1 Abschnitt C Z 1, 2 oder 4 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführter Endigungsgrund eingetreten ist, ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist. Ein Verfahren gemäß Satz 1 ist, wenn es auf Grund des § 27 Abs. 3 Z 1 eingeleitet wurde, längstens binnen einem Monat nach Einlangen der Verständigung über den Eintritt der Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG, in den übrigen Fällen schnellstmöglich, längstens jedoch binnen einem Monat ab seiner Einleitung zu entscheiden, sofern bis zum Ablauf dieser Frist jeweils der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht. Eine Überschreitung der Frist gemäß Satz 2 steht einer späteren Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegen. Als Hinweise gemäß Satz 1 gelten insbesondere die Einreise des Asylberechtigten in seinen Herkunftsstaat oder die Beantragung und Ausfolgung eines Reisepasses seines Herkunftsstaates.
(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen.
(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.
(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.“
3.5.2. Da der Beschwerdeführer straffällig im Sinne des § 2 Abs. 3 AsylG 2005 geworden ist, schadet es gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nicht, dass die Aberkennung fallgegenständlich nicht innerhalb von fünf Jahren ab rechtskräftiger Zuerkennung des Status erfolgt ist.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, welcher vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angewendet wurde, ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.
Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention lautet:
"C. Dieses Abkommen wird auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie
1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder
2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder
3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz ihres neuen Heimatlandes genießt; oder
4. sich freiwillig in dem Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder
5. wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.
Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen;
6. staatenlos ist und die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.
Die Bestimmungen der Ziffer 6 sind jedoch auf die in Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels genannten Personen nicht anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr früheres Aufenthaltsland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen."
3.5.3. Für das erkennende Gericht ist nicht eindeutig ersichtlich, auf welchen Aberkennungsgrund sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid gestützt hat, zumal sie sich im Spruch auf „§ 7 Abs. 1 Z 2 und § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG“ bezieht, beweiswürdigend zur Aberkennung lediglich zu den Straftaten Bezug nimmt und kurz ausführt, der BF habe sich einen Russischen Reisepass ausstellen lassen und sei in den Herkunftsstaat zurückgekehrt. Die rechtliche Beurteilung zur Aberkennung umfasst lediglich 2 Seiten auf welchen die Aberkennungsgründe zur Konvention gemäß Art. 1 Abschnitt C dargestellt werden, es erfolgt jedoch keinerlei Subsumtion, sondern wird lediglich in einem Satz ausgeführt, dass der BF schon mehrmals im Bundesgebiet verurteilt worden ist und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.
Gegenständliche Entscheidung des erkennenden Gerichts wird darauf gestützt, dass sich die Umstände, aufgrund derer dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war, zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr bestehen und der BF es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Damit sind auch die früher bestehenden Voraussetzungen für eine Schutzgewährung nicht mehr gegeben. In der Russischen Föderation liegt aktuell keine Gefährdungslage für den Beschwerdeführer (mehr) vor und wird der Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (im Folgenden auch als „Wegfall der Umstände“-Klausel bezeichnet; vgl. VwGH vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059) bejaht.
Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels, dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K8).
Art 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK entspricht Art. 11 Abs. 1 lit e iVm Abs. 3 StatusRL, der zufolge ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling ist, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf einen Flüchtling, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, abzulehnen.
Die Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. e Status-RL aF, der der aktuellen Rechtslage entspricht, erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (EuGH 02.03.2010, Rs C-175/08 ua., Abdulla ua., Rz 76). Die Umstände müssen sich auf grundlegende, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK angeführte Fluchtgründe beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (VwGH vom 25.06.1997, 95/01/0326). Ein Flüchtling hört erst dann auf Flüchtling zu sein, wenn er wieder effektiven Schutz im Herkunftsstaat erlangen kann (vgl. Grahl-Madsen The Status of Refugees in International Law I [1965], 7, 405) bzw. ihm zugemutet werden kann, sich wieder dem Schutz dieses Staates zu unterstellen (Kälin, Grundriß des Asylverfahrens [1990], 162).
Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K9).
Ein in der Person des Flüchtlings gelegenes subjektives Element spielt auch insofern eine Rolle, zumal aus der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK enthaltenen Wortfolge "nicht mehr ablehnen kann" auch die Zumutbarkeit einer Rückkehr in das Herkunftsland ein entscheidendes Kriterium einer Aberkennung des Flüchtlingsstatus ist (vgl. Putzer/Rohrböck, aaO, Rz 146).
Um die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft zu bejahen, muss die Änderung der Umstände sowohl grundlegend als auch dauerhaft sein, zumal der Flüchtlingsschutz umfassende und dauerhafte Lösungen zum Ziel hat und Personen nicht unfreiwillig in Verhältnisse zurückkehren sollen, welche möglicherweise zu einer neuerlichen Flucht führen. Da eine voreilige oder unzureichende Begründung der Beendigungsklauseln ernsthafte Konsequenzen haben kann, ist es angebracht, die Klauseln restriktiv auszulegen. (vgl. UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ["Wegfall der Umstände"-Klauseln], Abs. 6 f).
Nach der Judikatur setzt Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 eine wesentliche nachhaltige Änderung der (für die Verfolgungsgefahr maßgeblichen) Umstände im Heimatstaat des Flüchtlings, einen Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und der Notwendigkeit der Schutzgewährung voraus.
Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH vom 22.4.1999, 98/20/0567; VwGH vom 25.3.1999, 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraumes wird auch der bloße "Haltungswandel" des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention zum Tragen kommen (VwGH vom 21.11.2002, 99/20/0171).
Der Wegfall der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich für die Anwendung von Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention. Ob die allgemeine wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat schlecht ist oder familiäre beziehungsweise emotionelle Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ist für den Eintritt der Ziffer 5 grundsätzlich irrelevant.
3.5.4. Für den gegenständlichen Fall bedeutet das Folgendes:
3.5.4.1. Dem BF wurde mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamts vom 19.12.2006 Asyl gewährt, weil er einerseits Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg gewesen sei und Unterstützungstätigkeiten im zweiten Tschetschenienkrieg ausgeführt habe. Der BF sei darüber hinaus von 1996 bis 1999 der Leibwächter von XXXX gewesen und sei der Bruder des BF im Jahr 2001 festgenommen worden und spurlos verschwunden. Folglich wurde auch der BF selbst festgenommen und etwa wegen eines nicht begangenen Raubüberfalls verurteilt, wobei der BF zweitinstanzlich freigesprochen worden und nach einem Jahr und 8 Monaten entlassen worden sei.
Wie bereits beweiswürdigend festgehalten, kam es seit dem Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers – wenn auch eine - nach wie vor - vielfach problematische Menschenrechtssituation im Herkunftsstaat des BF nicht verkannt wird – zu einer Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers. Es kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer - nach wie vor - mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gezielte staatliche Verfolgung drohen würde. Diesbezüglich ist nun, 13 Jahre nach Ende des Zweiten Tschetschenienkrieges (dazu, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf, s. VwGH vom 27.02.2006, 2002/20/0170), eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die nicht nur vorübergehend ist.
3.5.4.2. Wie in der Beweiswürdigung umfassend dargestellt, brachte der Beschwerdeführer im nunmehrigen Aberkennungsverfahren keinerlei konkreten Umstände glaubhaft vor, welche auf das Vorliegen einer noch aktuellen Gefährdung seiner Person im Herkunftsstaat schließen lassen. Nach seinen Rückkehrbefürchtungen ausführlich befragt, gab der BF eine Kontaktaufnahme mit XXXX Leuten wegen seines Schwagers und die Angst zum Kampfeinsatz in die Ukraine geschickt zu werden, an. Dieses Vorbringen wurde ausreichend beweiswürdigend gewürdigt und ist nicht dazu geeignet eine (nach wie vor) bestehende Verfolgungsgefahr des BF iSd GFK für den BF aufzuzeigen. Weitere Rückkehrbefürchtungen brachte der BF nicht hinreichend substantiiert vor.
3.5.4.3. Auch von Amts wegen konnten, wie dargelegt, keine Gründe dahingehend erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation zum aktuellen Zeitpunkt von russischen Behörden verfolgt bzw. einer sonstigen asylrelevanten Verfolgung in seinem Herkunftsstaat ausgesetzt sein wird. Hierbei ist auch auf die zwischenzeitig eingetretene Lageänderung hinzuweisen (siehe dazu insbesondere die Entscheidung des BVwG vom 18.12.2018, W112 1258438-2 sowie jene vom 6.9.2018, W236 2202290-1 (nachfolgende Beschwerdeablehnung, VfGH vom 25.02.2019, E 420/2019) und vom 07.03.2019, W125 1240799-3), wonach insbesondere seit 2011 keine Verfolgungen im Kontext der ersten beiden Tschetschenienkriege festzustellen waren.
3.5.4.4. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sind beim Beschwerdeführer daher aus dem Grund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt C Z 5 GFK gegeben und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher abzuweisen.
3.5.4.5. Da sich die Aberkennung des Status des Asylberechtigten insgesamt als rechtmäßig erweist, hat die belangte Behörde auch gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 zu Recht festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.
3.5.4.6. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.
3.6. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH vom 22.04.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören – der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH vom 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/0203; 08.06.2000, 99/20/0586; 21.09.2000, 99/20/0373; 25.01.2001, 2000/20/0367; 25.01.2001, 2000/20/0438; 25.01.2001, 2000/20/0480; 21.06.2001, 99/20/0460; 16.04.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun z.T. durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH vom 27.02.2001, 98/21/0427).
Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH vom 23.02.1995, Zahl 95/18/0049; vom 05.04.1995, Zahl 95/18/0530; vom 04.04.1997, Zahl 95/18/1127; vom 26.06.1997, Zahl 95/18/1291; vom 02.08.2000, Zahl 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH vom 30.09.1993, Zahl 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH vom 08.06.2000, Zahl 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH vom 14.10.1998, Zahl 98/01/0122; vom 25.01.2001, Zahl 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH vom 26.06.1997, Zahl 95/21/0294; vom 25.01.2001, Zahl 2000/20/0438; vom 30.05.2001, Zahl 97/21/0560).
Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH vom 23.09.2004, Zahl 2001/21/0137).
Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (vgl. EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (vgl. EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer derartigen Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.
3.6.1. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 fallgegenständlich nicht gegeben sind:
3.6.2. Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, vermochte der BF eine konkrete Verfolgungsgefahr in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation nicht (mehr) darzutun, weshalb auf Grund des konkreten Vorbringens der Beschwerdeführer auch keinerlei Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG erkannt werden kann.
3.6.3. Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat in seinen durch Art. 3 EMRK garantierten Rechten verletzt würde. Hierzu bleibt festzuhalten:
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich, Zahl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zahl 44599/98; vgl. auch VwGH vom 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH vom 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443; 13.11.2001, Zahl 2000/01/0453; 09.07.2002, Zahl 2001/01/0164; 16.07.2003, Zahl 2003/01/0059).
In diesem Kontext sei auch auf die ständige Rechtsprechung des EGMR sowie der Höchstgerichte verwiesen, etwa das Erkenntnis des VfGH vom 06.03.2008 zu B 2400/07-9, welches die Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK zusammenfasst. Der VwGH hat, unter Verweis auf die entsprechenden Urteile des EGMR, ausgeführt, dass sich aus diesen ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, im Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückgelegte Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH vom 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 mit Verweis auf EGMR 13.12.2016, 41738/10 Paposhvili gg Belgien). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. EGMR 02.05.1997, 30.240/96, D. gg. Vereinigtes Königreich). Aus dieser Judikaturlinie des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich beurteilbar (vgl. VwGH vom 12.12.2012, Zlen. 2012/18/0204 und 0205, mwN, VwGH vom 21.12.2013, 2011/23/0617).
Mit Erkenntnis vom 21.05.2019, Zl. Ro 2019/19/0006-3, wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofes bekräftigt, dass dieser an seiner Rechtsprechung festhalte, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG begründen kann.
3.6.4. Zunächst kann im Beschwerdefall nicht angenommen werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten „Schwelle“ des Art. 3 EMRK):
Der BF verfügt über fundierte Schulbildung im Herkunftsstaat und hat ebendort Arbeitserfahrung im Sicherheitsbereich gesammelt. Auch im Bundesgebiet hat der BF immer wieder Gelegenheitsjobs, überwiegend in der Baubranche, ausgeübt. Da der BF seinen Herkunftsstaat mit 24 Jahren verlassen hat und in Tschetschenien aufgewachsen ist, wo er auch die Schule besucht hat, spricht er sowohl die tschetschenische, als auch die russische Sprache. Aus diesen Gründen ist der BF mit den Gegebenheiten in der Russischen Föderation sehr gut vertraut. Es war dem BF auch durch Arbeit in seinem Herkunftsstaat und in Österreich möglich, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren und wurde nicht dargetan, warum dem BF dies nicht neuerlich im Herkunftsstaat möglich sein sollte. Der BF verfügt darüber hinaus über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation, welche erwerbstätig sind oder Pension beziehen, wobei der BF vor allem zu seiner Tante und seiner Schwester regelmäßig Kontakt hat, weshalb diese den BF bei einer Rückkehr auch unterstützen könnten. So war es dem BF bereits bei seiner Reise in die Russische Föderation im Jahr 2017 möglich eine Woche bei seiner Cousine in XXXX unterzukommen, weshalb der BF bei seiner Rückkehr jedenfalls vor Obdachlosigkeit bewahrt wäre. Im Übrigen gibt es noch ein Grundstück in der Familie des BF väterlicherseits, welches vom Onkel des BF verwaltet wird, auf welchem jedoch kein Haus steht, weshalb die Familie des BF im Herkunftsstaat auch über Vermögenswerte verfügt. Auch die Ehefrau des BF verfügt über zahlreiche Verwandte im Herkunftsstaat, wobei über die Ehefrau des BF auch der Kontakt zu diesen Verwandten hergestellt werden könnte. Der BF könnte außerdem von seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen (seiner Schwester, seinem Bruder und seiner Ehefrau) finanziell unterstützt werden, zumal diese allesamt erwerbstätig sind. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass der BF im Falle seiner Rückkehr jedenfalls auf familiäre Unterstützung zurückgreifen könnte, allenfalls könnte er durch seine Kernfamilie von Österreich aus unterstützt werden, weshalb er vor existentieller Notlage bewahrt wäre.
3.6.5. Beim Beschwerdeführer wurde im Jahr 2005 eine posttraumatische Belastungsstörung mit Multitraumatisierung diagnostiziert, wobei beschwerdeseitig keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden und der BF zuletzt selbst angab weder in therapeutischer, noch ärztlicher Behandlung zu sein, weshalb sich aus diesem Befund aus 2005 kein weiterer Mehrwert ergibt. Zuletzt litt der BF an einer Darmentzündung, welche antibiotisch behandelt wurde. Daraus ergeben sich jedoch noch keine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen des BF, welche ein Rückkehrhindernis in den Herkunftsstaat darstellen würden. Dass ihm im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden dringend benötigte ärztliche Versorgung oder Medikamente im Herkunftsstaat nicht zugänglich wären, brachte er zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vor und ist dies auch dem zitierten Länderdokumentationsmaterial nicht zu entnehmen. Ein kritischer Gesundheitszustand bzw. außergewöhnliche Verschlechterung als Rückkehrhindernisse wurden im Übrigen auch nicht hinreichend substantiiert vorgebracht. Insbesondere reichen die gesundheitlichen Probleme des BF und seine medizinische Behandlung nicht in die Sphäre des Art. 3 EMRK hinein und können diese auch problemlos in der Russischen Föderation behandelt bzw. durchgeführt werden. Im Herkunftsstaat des BF besteht sowohl die Möglichkeit Psychotherapie in Anspruch zu nehmen und stehen auch diverse Antidepressiva zur Verfügung, sollte eine solche Inanspruchnahme in Zukunft notwendig sein. Sollte der BF neuerlich rückfällig werden, ist auch die Behandlung von Drogensucht in der Russischen Föderation behandelbar. Es gibt diverse Therapieeinrichtungen und Substitutionsmedikamente, wobei der BF nicht behauptet hat, solche zu benötigen.
Aufgrund der in der Russischen Föderation gesicherten medizinischen Grundversorgung und der kostenlos zur Verfügung stehenden umfangreichen Covid-19 Versorgung der Bevölkerung, ist eine mögliche Infektion des BF mit Covid-19 auch nicht dazu geeignet ein für eine Schutzgewährung signifikantes Risiko aufzuzeigen, um jene geforderte Schwelle der Exzeptionalität der Umstände zu erreichen.
Zudem ist auf die vom Verwaltungsgerichtshof übernommene Rechtsprechung des EGMR zu verweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder das Recht hat, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29.02.2012, Zlen. 2010/21/0310 bis 0314, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich beurteilbar (vgl. VwGH 12.12.2012, Zlen. 2012/18/0204 und 0205, mwN, VwGH 21.12.2013, 2011/23/0617).
3.6.6. Weiters ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 FrG ergibt (vgl. etwa VwGH vom 30.1.2001, Zl. 2001/01/0021). Selbst wenn, vor dem Hintergrund dessen, der BF bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht beschwerliche Lebenssituation gelangen könnte, war aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden.
3.6.7. Vor dem Hintergrund der Feststellungen kann nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, im Herkunftsland Übergriffen von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein.
3.6.8. Schließlich kann auch nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung des BF für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.
3.6.9. Aufgrund der vorgenommenen Prüfung im Einzelfall (VfGH vom 13.09.2012, U370/2012) unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des BF, sowie unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH und VfGH und Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.
3.7. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
3.7.1. Der BF befindet sich seit August 2004 im Bundesgebiet, wobei ihm mit Bescheid vom 19.12.2006 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde. Sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.
3.7.2. Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.7.3. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr 60/1974 gilt."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.7.4. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, lässt sich das Bundesverwaltungsgericht von nachstehenden Erwägungen leiten:
Vom Prüfungsumfang des Begriffs des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Nach Art 9 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes haben die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, außer dies ist zum Wohle des Kindes notwendig. Gemäß § 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen. Art 7 BVG Kinderrechte enthält allerdings einen materiellen Gesetzesvorbehalt, der jenem des Art 8 Abs 2 EMRK aufs Wort gleicht: "Eine Beschränkung der in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Rechte und Ansprüche ist nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist." Es ist daher eine entsprechende Interessensabwägung vorzunehmen.
Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH vom 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH vom 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).
3.7.5. Im vorliegenden Fall fällt die gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes trotz des langjährigen Aufenthalts in Österreich zu Lasten des Beschwerdeführers aus:
3.7.5.1. Der BF lebt seit August 2004, sohin seit mehr als 18 Jahren, im österreichischen Bundesgebiet. In Österreich halten sich die Schwester, der Bruder und Ehefrau des BF, sowie seine 4 minderjährigen Kinder auf, wobei mit seiner Ehefrau und mit seinen 4 Kindern ein gemeinsamer Haushalt besteht. Ein schützenswertes Familienleben des BF im Bundesgebiet iSd Art. 8 EMRK liegt daher mit seiner Ehefrau und seinen 4 minderjährigen Kindern vor.
In der Vergangenheit waren die persönlichen Kontakte des BF zu seinen Familienangehörigen - bedingt durch seine verbüßte Haftstrafe und den fehlenden gemeinsamen Haushalt ab 2016 bis zu seiner Inhaftierung - jedoch bereits eingeschränkt.
3.7.5.2. Geht man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privat- und Familienleben des BF in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar:
Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 4. 10. 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9. 10. 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16. 6. 2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554).
In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).
Private Interessen am Verbleib im Bundesgebiet können facettenreich sein. Tendenziell ist eine (regelmäßige) Erwerbstätigkeit und vor allem die damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit ein wichtiger Aspekt. Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. 4. 2006, 2005/18/0560, dürfte mitentscheidend gewesen sein, dass der Beschwerdeführer seit fast fünf Jahren ununterbrochen, noch dazu beim selben Dienstgeber, legal beschäftigt war. Für die wirtschaftliche Integration ist nicht maßgeblich, ob es sich um eine qualifizierte Tätigkeit handelt. Hingegen erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Integration als stark gemindert, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH vom 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH vom 22.6.2006, 2006/21/0109; VwGH vom 5.7.2005, 2004/21/0124 u.a.).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der BF in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).
Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, 48321/99, Slivenko gg. Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als „Privatleben“ relevant sein.
3.7.5.3. Insbesondere ins Gewicht zu den Gunsten des BF fällt sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet, nämlich seit seiner Asylantragstellung im August 2004, sohin seit 18 Jahren. Seit 19.12.2006 verfügt der BF über den Status eines Asylberechtigten im Bundesgebiet, weshalb er seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist und sein Privat- und Familienleben auch nicht zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in welchem sich der BF seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Darüber hinaus lebt die gesamte Kernfamilie des BF in Österreich (seine vier minderjährigen Kinder, seine Ehefrau, seine Schwester und sein Bruder) und hat der BF die Deutschprüfung auf Sprachniveau B1 erfolgreich in Österreich abgelegt, verfügt er jedoch allenfalls über Grundkenntnisse der deutschen Sprache, wie sich in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat. Der BF hat im Übrigen die Prüfung über die Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung sowie der Geschichte Österreichs und des Landes Wien gemäß § 10a StbG absolviert und im Jahr 2013 um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht. Der BF war im Bundesgebiet regelmäßig, wenngleich immer nur für wenige Wochen/Monate, auf welche der Bezug von Arbeitslosengeld folgte, überwiegend in der Baubranche, erwerbstätig.
Zu seinen Lasten wirkt sich jedoch aus, dass der BF in Österreich zwischen seinen Erwerbstätigkeiten immer wieder Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen hat. Der BF ist auch derzeit nicht selbsterhaltungsfähig und hat in Österreich keine Berufsausbildung absolviert. Gerade vor dem Hintergrund seines langjährigen Aufenthalts, hätte der BF jede Möglichkeit gehabt, sich beruflich weiterzuentwickeln und nachhaltiger zu integrieren. Der BF hat diese lange Zeit für seine berufliche Integration nicht genutzt. Sonstige Aus-, Fort- oder Weiterbildungsbemühungen des BF im Bundesgebiet wurden beschwerdeseitig nicht behauptet. Auch ist der BF in Österreich in keinem Verein oder einer sonstigen Organisation Mitglied und hat die Zeit im Bundesgebiet auch nur mäßig für seine sprachliche Integration genutzt, zumal er vor dem BVwG lediglich Grundkenntnisse der deutschen Sprache präsentieren konnte.
3.7.5.4. Besonders ins Gewicht zu seinen Lasten fallen seine rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen, wobei insbesondere die zuletzt erfolgte Verurteilung wegen des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB und der Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG sowie nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG, hervorzuheben ist.
Dieser Verurteilung des BF lag zugrunde, dass dieser ab Dezember 2017 bis 27. März 2018 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 109,8 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (66 Gramm reines Methamphetamin), 191,6 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (145 Gramm reines Cocain) sowie 900,5 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 12% THCA und 1% Delta-9-THC (119 Gramm reines THCA sowie 9,1 Gramm Delta-9-THC) mit dem Vorsatz besessen hat, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem der BF dieses im Keller seiner Wohnung verwahrte und zum Verkauf bereithielt.
Des Weiteren hat der BF im Dezember 2017 im Zusammenwirken mit zwei weiteren Mittätern fremde bewegliche Sachen, nämlich das zuerst genannte Suchtgift einem nicht festzustellenden Opfer mit dem Vorsatz sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem der BF das in einem Sack befindliche Suchtgift an sich nahm und weglief, wobei er den Diebstahl an einer Sache jedenfalls EUR 5.000, aber nicht EUR 300.000 übersteigenden Werts beging.
Darüber hinaus hat der BF vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 981 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (588,6 Gramm reines Methamphetamin) sowie zumindest 3 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (2,28 Gramm reines Cocain) Nachgenannten in wiederholten Angriffen überlassen und zwar, zwischen Juli 2017 bis 17.03.2018 einem Dritten zumindest 560 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60,- bis 65,- sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Dezember 2017 und 19.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 175 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60 bis 65 sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Jänner 2018 und 25.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 46 Gramm „Crystal Meth“ um einen Grammpreis von EUR 65,-, zwischen Dezember 2017 und März 2018 zwei weiteren Dritten zumindest 200 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 65 und Mitte Jänner 2018 einem weiteren Dritten zumindest ein Gramm Kokain.
Im Übrigen hat der BF für etwa 9 Jahre lang unbefugt Schusswaffen der Kategorie B, nämlich eine Femaru, Mod 37, Kaliber 7,65 mm ohne waffenrechtliche Urkunde besessen und für etwas weniger als 1 Jahr verbotene Waffen, nämlich einen als Taschenlampe getarnten Schlagstock, 3 Wurfmesser und Munition unbefugt besessen.
Der BF hat mit der Begehung dieser Straftaten, vor allem der Aufbewahrung, sowie Bereithaltung zum Verkauf von enormen Mengen an Suchtgift in seinem Keller und der Begehung der zahlreichen, Suchtgiftüberlassungen von insgesamt großen Mengen die Trennung von seinen im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen bewusst in Kauf genommen.
3.7.5.5. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (VwGH vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0060-5 Rz 11). Der BF wurde am 26.03.2021 aus der Haft entlassen, der Wohlverhaltenszeitraum in Freiheit beträgt daher bis dato etwas mehr als 1 ¾ Jahre, was vor dem Hintergrund einer 4 ½-jährigen Freiheitsstrafe, noch kein ins Gewicht fallender Zeitraum ist. Im Übrigen wurde gegen den BF auch nach seiner Haftentlassung im Juli 2021 ein Betretungsverbot der gemeinsamen Wohnung ausgesprochen, in welchem der BF mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern lebt und ist dieser Vorfall im KPA vermerkt. Davon ausgehend, dass einem ausgesprochenen Betretungsverbot eine Gefährdungssituation vorausgeht, kann keinesfalls von einem Wohlverhalten des BF seit seiner Haftentlassung gesprochen werden.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden zwar regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl etwa VwGH vom 23.2.2017, Ra 2016/21/0340). Was den gegenständlichen Fall betrifft, ist einerseits festzuhalten, dass diese Rechtsprechungslinie nur Konstellationen betroffen hat, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH vom 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; VwGH vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; VwGH vom 31.8.2017, Ra 2017/21/0120; VwGH vom 5.10.2017, Ra 2017/21/0174; VwGH vom 10.9.2018, Ra 2018/19/0169-10).
Außerdem ist festzuhalten, dass die Judikatur des VwGH, wonach bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist, nur für die Frage maßgeblich ist, ob einem unrechtmäßig aufhältigen Fremden ein aus Art. 8 MRK ableitbares Aufenthaltsrecht zuzugestehen ist, und ist sie daher in Fällen, in dem es um eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen aufgrund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen dessen Straffälligkeit geht, schon von vornherein nicht einschlägig. Außerdem kommt diese Judikaturlinie, die sich in der Regel nur auf strafrechtlich unbescholtene Fremde bezieht, im Fall der Straffälligkeit eines Fremden nicht zum Tragen (vgl. VwGH vom 21.12.2021, Ra 2021/21/0294). Diese Judikaturlinie ist auf den BF daher nicht anzuwenden.
3.7.5.6. Hinsichtlich des „Aufenthaltsverfestigungstatbestands“ nach § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 ist folgendes festzuhalten:
§ 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG lautet: Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor.
Zur Aufhebung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 durch das FrÄG 2018 hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, dass sich § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt", erweist. Ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 sind die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 weiter beachtlich (vgl. VwGH vom 16.05.2019, Ra 2019/21/0121; VwGH vom 25.09.2018, Ra 2018/21/0152), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 bedarf (siehe VwGH vom 25.09.2018, Ra 2018/21/0152). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 allgemein unterstellt wurde, dass die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen hat und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden darf. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FrPolG 2005, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (vgl. VwGH vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung; VwGH vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel und 19.12.2019, Ra 2019/21/0238).
"Gemäß ihrem Einleitungssatz bezieht sich die Bestimmung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 idF FrÄG 2015 lediglich auf Drittstaatsangehörige, also auf Fremde, die nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind (§ 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 2 BFA-VG 2014). Demzufolge wird dann auch als einzige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die in den Fällen der Z 1 und 2 nicht erlassen werden darf, eine Rückkehrentscheidung angesprochen. Dessen ungeachtet kann es aber zur Vermeidung von sonst nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen nicht zweifelhaft sein, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 über seinen Wortlaut hinaus - entsprechend modifiziert verstanden - auch jenen Personenkreis umfasst, gegen den eine Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 oder ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FrPolG 2005 in Betracht käme (also EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige; vgl. E 9. November 2011, 2011/22/0264). § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 normiert demnach allgemein, wann trotz einer von einem Fremden ausgehenden Gefährdung eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinesfalls erlassen werden darf. In der Fassung des FrÄG 2015 stellt diese Bestimmung den - vorläufigen - Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die durch den Wechsel zwischen absolut und relativ gefassten Aufenthaltsverfestigungstatbeständen (relativ in dem Sinn, dass es ergänzend noch darauf ankommt, dass dem Fremden keine spezifischen Gefährdungen anzulasten sind) gekennzeichnet ist (vgl. VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0050).
3.7.5.6.1. Der BF hielt sich nach seiner Asylantragstellung im Jahr 2004, von November 2004 bis zu seiner Rücküberstellung am 27.04.2005 in Deutschland auf. Vor seiner ersten Verurteilung im Bundesgebiet Ende des Jahres 2017 war der BF daher dennoch bereits mehr als 10 Jahre rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhältig und kam ihm der Status des Asylberechtigten zu, weshalb dem BF ab 27.04.2015 (bis zu seiner ersten strafgerichtlichen Verurteilung) die österreichische Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 iVm § 11a Abs. 7 StbG verliehen hätte werden können und sohin der Tatbestand nach § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG idF. BGBl. I Nr. 70/2015 als gegeben anzusehen ist.
Eine Aufenthaltsbeendigung in Bezug auf den BF erweist sich gegenständlich sohin nur dann dem Grunde nach als zulässig, wenn eine außergewöhnliche Gefährdung iSd der oben zitierten Judikatur vorliegt.
Insgesamt bestehen in Hinblick auf die vom BF begangenen Straftaten und die Einsichtnahme in das im Akt einliegenden Strafurteil unbestritten erhebliche Zweifel an einer hinreichenden Verbundenheit des BF mit der hiesigen Werteordnung und den Grundsätzen eines demokratischen Rechtsstaates.
Der VwGH hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH vom 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554).
3.7.5.6.2. Zwar hat der BF kein Delikt nach § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FPG verwirklicht, doch kann in casu in dem vom BF gesetzten Verhalten eine mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigen Suchtmittelhandel, vergleichbare die öffentliche Sicherheit gefährdende strafbare Handlung angenommen werden. Der BF wurde ua. wegen der Verbrechen der Vorbereitung des Suchtgifthandels und Suchtgifthandel zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt, wobei hervorzuheben ist, dass der BF enorme Mengen an Suchtgift (109,8 Gramm „Crystal Meth“, 191,6 Gramm Kokain und 9005, Gramm Cannabiskraut) besessen, in seinem Keller aufbewahrt und zum Verkauf bereitgehalten hat. Das Delikt der Vorbereitung von Suchtgifthandel hat der BF aufgrund der großen Menge, nämlich in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, daher qualifiziert nach § 28 Abs. 2 SMG, begangen, weshalb die Freiheitsstrafdrohung nicht nur bis zu 3 Jahren (Abs. 1), sondern bis zu 5 Jahren betrug.
3.7.5.6.3. Das Verbrechen des Suchtgifthandels hat der BF ebenfalls aufgrund der großen überlassenen Menge (981 Gramm „Crystal Meth“ und zumindest 3 Gramm Kokain an verschiedene Personen in wiederholten Angriffen), nämlich in einer das 25-fachen der Grenzmenge übersteigenden Menge, qualifiziert nach § 28a Abs. 4 Z 3 SMG, begangen, wodurch die Freiheitsstrafdrohung nicht bis zu 5 Jahre (Abs. 1), sondern 1-15 Jahre betrug. Der BF hat daher, sowohl das Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel, als auch das Verbrechen des Suchtgifthandels qualifiziert begangen und führt auch das OLG XXXX als Berufungsgericht in ihrem Urteil vom 12.04.2019 aus, dass der BF hinsichtlich des Verbrechens des Suchtgifthandels das 59-fache der Grenzmenge des § 28b SMG überschritten habe und hinsichtlich des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel das 4,8 fache der Grenzmenge überschritten habe, was schuldaggravierend wirke, ebenso wie das Gewinnstreben des BF. Wieso die Schuld des BF gering sein soll und der soziale Störwert seiner Taten deutlich hinter jenem zurückbleibe, der typischerweise mit der Verwirklichung des zur Verurteilung gelangten Deliktes verbunden sei, bleibe nach Ansicht des OLG XXXX im Dunkeln. Von einer weitgehend geständigen Verantwortung, könne angesichts der leugnenden Einlassung des BF hinsichtlich des Verbrechens des Suchtgifthandels und des Umstandes, dass das Zugeständnis hinsichtlich der Fakten des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel und des Vergehens des Diebstahls den erfolgten Sicherstellungen des Suchtgiftes geschuldet war, die ein Leugnen aussichtlos gemacht hätte, keine Rede sein. Hervorgehoben wurde vom OLG XXXX darüber hinaus, dass angesichts der Tatbegehung während anhängigen Verfahrens (die erste strafgerichtliche Verurteilung des BF erfolgte am 12.12.2017) und innerhalb offener Probezeit manifestierenden völligen Ignoranz des BF gegenüber dieser staatlichen Reaktion zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe einer Verlängerung des Beobachtungszeitraums im genannten Verfahren geboten sei, um ein künftiges Wohlverhalten des BF sicherzustellen.
3.7.5.6.4. Dem Urteil des LG XXXX ist ebenfalls zu entnehmen, dass der BF hinsichtlich des Suchtgifthandels seine Verantwortung leugnete und versuchte seine Taten herunterzuspielen, wobei dies den Zeugenaussagen und den Telefonüberwachungen entgegenstand. Insgesamt übernahm der BF daher auch keine Verantwortung für seine Taten.
3.7.5.6.5. Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt Drogenhandel auch ein typischerweise schweres Verbrechen dar. Unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" iSv § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH vom 17.09.2019, Ra 2019/18/0358). Das Verbrechen des Suchtgifthandels verletzt auch besonders geschützte Rechtsgüter, nämlich die körperliche Integrität und das Vermögen Dritter.
3.7.5.6.6. Vor dem Hintergrund der enormen Mengen an besessenem und überlassenem Suchtgift, der darüber hinaus begangenen Straftaten (Diebstahl von Suchtgift an EUR 5.000,- übersteigenden Wertes, Besitz einer Schusswaffe ohne waffenrechtliche Urkunde für 9 Jahre, Besitz eines als Taschenlampe getarnten Schlagstocks, 3 Wurfmesser und Munition für etwas weniger als 1 Jahr), das hohe Strafmaß von 1-15 Jahren, der lange Tatzeitraum und der Verhängung einer Haftstrafe von 4 ½ Jahren zeugen in casu davon, dass das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor dem Hintergrund der Judikatur gegeben ist.
3.7.5.7. Der BF hat sich im Jahr 2017 zumindest für 10 Tage in der Russischen Föderation aufgehalten, wobei er 1 Woche in XXXX und 3 Tage in Tschetschenien verbracht hat. Der BF hat die ersten 24 Jahre seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, im Rahmen derer er ebendort aufgewachsen ist, die Schule besucht und seine Ehefrau kennengelernt hat. Der BF spricht die tschetschenische und russische Sprache, weshalb er mit den kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates gut vertraut ist. Außerdem verfügt der BF im Herkunftsstaat über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte. Es ist davon auszugehen, dass der volljährige und arbeitsfähige BF in der Lage sein wird, im Herkunftsstaat durch seine eigene Erwerbstätigkeit und die anfängliche Unterstützung seiner Familie das Auslangen zu finden, zumal seine in der Russischen Föderation befindlichen Verwandten erwerbstätig sind oder eine Pension beziehen und der BF vor allem zu seiner Tante und zu seiner Schwester im Herkunftsstaat regelmäßigen Kontakt pflegt. Auch die Ehefrau des BF verfügt über zahlreiche familiäre Kontakt im Herkunftsstaat. Im Übrigen ist der BF bereits zuvor während seines Aufenthalts in XXXX bei seiner Cousine untergekommen, weshalb er jedenfalls vor Obdachlosigkeit bewahrt wäre. Die Familie des BF väterlicherseits besitzt darüber hinaus auch ein Grundstück, welches vom Onkel des BF verwaltet wird, weshalb die Familie des BF auch über Vermögenswerte im Herkunftsstaat verfügt. Auch ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Verbringung in die Russische Föderation mit unzumutbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre bzw. ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass er bei Rückkehr in den Herkunftsstaat, in dem die Grundversorgung gesichert und auch Rückkehrern Sozialbeihilfen zukommen, in eine aussichtlose Lage geraten wird.
3.7.5.8. Die 4 im Bundesgebiet lebenden Kinder des BF sind 17 (am 12.01. wurde die älteste Tochter des BF 18 Jahre alt), 15, 13 und 3 (am 12.01. wurde der jüngste Sohn des BF 4 Jahre alt), wobei das Familienleben des BF mit seinen minderjährigen Kindern besonders bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist, zumal bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auch auf die wechselseitigen Beziehungen eines Elternteils und seines Kindes, sowie auf die im Entscheidungszeitpunkt konkret absehbaren zukünftigen Entwicklungen Bedacht zu nehmen ist (vgl. VwGH vom 24.09.2019, Ra 2019/20/0420).
Die Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung des BF auf das Kindeswohl stellt einen essentiellen Gesichtspunkt der gegenständlichen Entscheidung dar (vgl VfSlg 19.776/2013; VfGH vom 27.2.2018, E3775/2017 sowie VfSlg 19.362/2011; VfGH vom 25.2.2013, U2241/12; vom 19.6.2015, E426/2015; vom 9.6.2016, E2617/2015; vom 12.10.2016, E1349/2016; vom 14.3.2018, E3964/2017; vom 11.6.2018, E343/2018, E345/2018; vom 11.6.2018, E435/2018).
Zweifellos haben die Kinder des BF ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des Familienlebens, zumal ein gemeinsamer Haushalt besteht und der BF daher seine Kinder täglich sieht. Insbesondere soll es auch den minderjährigen Kindern des BF ermöglicht werden, die Beziehung zu ihrem Vater zu sichern. Die Kinder des BF waren es jedoch auch in der Vergangenheit bereits gewöhnt mehrfach von ihrem Vater getrennt zu leben, zumal der BF von 27.03.2018 bis 26.03.2021 in Haft war und der persönliche Kontakt dadurch sehr eingeschränkt war. Bereits zuvor bestand mit dem BF ab dem Jahr 2016 kein gemeinsamer Haushalt mehr. Inwieweit der BF seinen Verpflichtungen als Vater vor seiner Inhaftierung gerecht werden konnte, ist im Hinblick auf seine Drogenabhängigkeit und seine begangenen Straftaten sehr stark zu bezweifeln, hat auch die Ehefrau des BF in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der BF sich durch seinen Drogenkonsum verändert hat. Ihren Angaben zufolge, habe „mit ihm etwas nicht gestimmt“, er „habe er verschiedene Zustände gehabt“, und habe der BF auch eine andere Frau kennengelernt, weshalb es folglich auch zur Trennung gekommen sei. Inwieweit der BF daher zum damaligen Zeitpunkt seinen Obsorge- und Fürsorgepflichten als Vater nachgekommen konnte, ist daher sehr stark zu anzuzweifeln. Auch die Vorbildwirkung des BF für seine Kinder als Vater darf vor dem Hintergrund seiner Drogensucht, der Straffälligkeit und seinem aggressiven Verhalten in der gemeinsamen Wohnung (ausgesprochenes Betretungsverbot im Juli 2021) stark bezweifelt werden. Der BF schreckte nicht davor zurück große Mengen an Suchtgift im Keller seiner Wohnung aufzubewahren, welches ebendort sichergestellt wurde und war er 9 Jahre lang im Besitz einer Schusswaffe ohne waffenrechtliches Dokument. Die in der Vergangenheit gezeigten (strafbaren) Verhaltensweisen des BF stellen keinen passenden und wünschenswerten Umgang mit Minderjährigen dar und drängt sich die Frage auf, ob eine Trennung der Kinder von ihrem Vater nicht auch vor dem Hintergrund des Kindeswohls in casu geboten erscheint.
Die in Österreich lebenden Kinder des BF sind ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation und im Bundesgebiet asylberechtigt, weshalb sie den BF im Herkunftsstaat nicht besuchen könnten. Möglich wäre es jedoch Treffen in Drittstaaten zu organisieren und den Kontakt einstweilen über moderne Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten.
Nach Rechtsprechung des VfGH ist es lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen Kleinkindern und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könnte (vgl dazu VfGH vom 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).
Die Kinder des BF befinden sich nunmehr mit einem Alter zwischen fast 18 und fast 4 Jahren nicht mehr im Kleinkindalter, weshalb der Kontakt zwischen dem BF und seinen Kindern während einer einstweiligen Trennung durch moderne Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könnte.
Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass es dem BF bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).
3.7.5.9. Dem bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber. Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Im Fall des Beschwerdeführers, der für seine sehr lange mehr als 18-jährige Aufenthaltsdauer mäßig nennenswerte Integrationsschritte in Österreich vorzuweisen hat, kommt hinzu, dass er 2 strafgerichtliche Verurteilungen aufzuweisen hat, wobei er über wenig Unrechtsbewusstsein verfüg. Nicht verkannt wird und umfangreich berücksichtigt wurde, dass die gesamte Kernfamilie des BF (Kinder, Ehefrau, Bruder, Schwester) in Österreich lebt, doch sind seine Kinder nicht mehr im Kleinkindalter und erscheint eine Trennung dieser vom BF vor dem Hintergrund des Kindeswohls gar geboten. Allfällige Treffen könnten einstweilen in Drittstaaten organisiert werden und bestünde zwischenzeitig die Möglichkeit des Kontakthaltens über moderne Kommunikationsmittel. Selbiges gilt für den Bruder des BF, welcher ebenfalls im Bundesgebiet asylberechtigt ist und diesen daher nicht besuchen könnte. Die Schwester des BF ist österreichische Staatsbürgerin, sie könnte den BF im Herkunftsstaat besuchen. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach eine Rückkehrentscheidung trotz der langen Aufenthaltsdauer des BF auf Dauer unzulässig wäre und steht auch das Kindeswohl der 4 Kinder des BF seiner Aufenthaltsbeendigung, gerade vor dem Hintergrund seiner Straftaten, nicht entgegen.
Es ist unbestritten, dass aufenthaltsbeendigende Maßnahmen auch unter dem Aspekt der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen zu sehen sind. Der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers beeinträchtigte gewichtige Grundinteressen der Gesellschaft – vor allem das Interesse an Ordnung und Sicherheit und Schutz des Eigentums Dritter.
Vor diesem Hintergrund gefährdet sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit, zumal in Anbetracht seiner (zwar überwunden) Drogensucht und seiner derzeit nicht vorliegenden Selbsterhaltungsfähigkeit mit weiteren strafbaren Handlungen im Bereich der Drogen- und Eigentumsdelikte gerechnet werden muss.
3.7.6. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.
3.7.7. In einer umfangreichen Gesamtbetrachtung, vor allem unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der langen Aufenthaltsdauer des BF, überwiegen in Anbetracht all dieser Umstände dennoch die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie insbesondere der Verhinderung von Straftaten, denen ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. dazu auch VwGH vom 27.08.2018, Zl. Ra 2018/18/0351-8; VwGH vom 30.08.2018, Zl. Ra 2018/21/0063-11, Rz 11), die subjektiven Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Inland und ist jenen daher der Vorzug zu geben.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar und ist zurecht erlassen worden.
3.7.8. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
3.7.9.1. Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde im gegenständlichen Erkenntnis verneint.
3.7.9.2. Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005). Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde im gegenständlichen Erkenntnis verneint.
3.7.9.3. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.7.9.4. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.7.10. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der belangten Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
3.7.11. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
3.7.12. Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. als unbegründet abzuweisen.
3.8. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides:
Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet wie folgt:
"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
…
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht."
3.8.1. Dass Einreiseverbot knüpft gemäß § 53 Abs. 1 erster Satz FPG an das Bestehen einer Rückkehrentscheidung an. Es kann daher unbesehen der Frage erlassen werden, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.
3.8.2. Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl VwGH vom 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; VwGH vom 24.3.2015, Ra 2014/21/0049).
3.8.3. Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist – abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden – darauf abzustellen, wie lange die vom Fremden ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH vom 15.12.2011, 2011/21/0237).
3.8.4. Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH vom 30.6.2015, Ra 2015/21/0002; vgl auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).
3.8.5. Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 beziehungsweise des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl etwa VwGH vom 30.6.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).
3.8.6. Die belangte Behörde hat gegen den BF ein auf 6 Jahre befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erlassen.
3.8.7. Der Beschwerdeführer ist Drittstaatsangehöriger und wurde zweimal im Bundesgebiet strafrechtlich verurteilt, wobei er mit Urteil des LG XXXX vom 03.10.2018 bzw. des OLG XXXX vom 12.04.2019, XXXX , wegen §§ 28 Abs. 1 2. Fall, 28 Abs. 2 SMG; §§ 28a Abs. 1 5. Fall, 28a Abs. 4 Z 3 SMG; §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB; § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG und § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt wurde.
3.8.8. Das von der belangten Behörde angeordnete Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erweist sich somit dem Grunde nach als gerechtfertigt.
3.8.9. In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinn der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht (vgl. VwGH vom 24.05.2018, Ra 2017/19/0311). Unzweifelhaft ist deshalb im vorliegenden Fall die Annahme immer noch gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, womit die Grundvoraussetzung des § 53 Abs. 3 FPG gegeben ist.
3.8.10. Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (VwGH vom 15.12.2011, Zl. 2011/21/0237 und vom 20.12.2016, Ra 2016/21/0109). Bei der Bemessung des Einreiseverbotes ist insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwGH vom 07.11.2012, Zl. 2012/18/0057).
3.8.11. Zunächst ist auszuführen, dass die Feststellung seitens der belangten Behörde, nämlich, dass der BF eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung und des Schutzes des Gutes Dritter darstellen würde, nicht zu beanstanden ist, zumal in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG 2005 das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert ist (VwGH vom 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).
3.8.12. Wie die belangte Behörde bereits ausgeführt hat, hat der BF durch sein in Österreich gesetztes strafgerichtliches Verhalten seinen Unwillen zur Befolgung der österreichischen Gesetze zum Ausdruck gebracht. Dabei sind die enormen Mengen an zunächst gestohlenem, dann besessenem, im Keller bereitgehaltenem und sodann überlassenem Suchtgift hervorzuheben. Der BF hat durch sein Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet und konstatiert sein Verhalten ein negatives Persönlichkeitsbild.
3.8.13. Mit Strafurteil des LG XXXX vom 03.10.2018 bzw. des OLG XXXX vom 12.04.2019, XXXX , wurde der BF zu einer unbedingten 4 ½ -jährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Dieser Verurteilung des BF lag zugrunde, dass der BF ab Dezember 2017 bis 27. März 2018 in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 109,8 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (66 Gramm reines Methamphetamin), 191,6 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (145 Gramm reines Cocain) sowie 900,5 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 12% THCA und 1% Delta-9-THC (119 Gramm reines THCA sowie 9,1 Gramm Delta-9-THC) mit dem Vorsatz besessen hat, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem der BF dieses im Keller seiner Wohnung verwahrte und zum Verkauf bereithielt.
Des Weiteren hat der BF im Dezember 2017 im Zusammenwirken mit zwei weiteren Mittätern fremde bewegliche Sachen, nämlich das zuerst genannte Suchtgift einem nicht festzustellenden Opfer mit dem Vorsatz sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem der BF das in einem Sack befindliche Suchtgift an sich nahm und weglief, wobei er den Diebstahl an einer Sache jedenfalls EUR 5.000,-, aber nicht EUR 300.000,- übersteigenden Werts beging.
Darüber hinaus hat der BF vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich 981 Gramm „Crystal Meth“ bzw. „Piko“ mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 60% (588,6 Gramm reines Methamphetamin) sowie zumindest 3 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 76% (2,28 Gramm reines Cocain) Nachgenannten in wiederholten Angriffen überlassen und zwar, zwischen Juli 2017 bis 17.03.2018 einem Dritten zumindest 560 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60,- bis 65,- sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Dezember 2017 und 19.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 175 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 60,- bis 65,- sowie zumindest ein Gramm Kokain unentgeltlich, zwischen Jänner 2018 und 25.03.2018 einem weiteren Dritten zumindest 46 Gramm „Crystal Meth“ um einen Grammpreis von EUR 65, zwischen Dezember 2017 und März 2018 zwei weiteren Dritten zumindest 200 Gramm „Piko“ um einen Grammpreis von EUR 65,- und Mitte Jänner 2018 einem weiteren Dritten zumindest ein Gramm Kokain.
Im Übrigen hat der BF für etwa 9 Jahre lang unbefugt Schusswaffen der Kategorie B, nämlich eine Femaru, Mod 37, Kaliber 7,65 mm ohne waffenrechtliche Urkunde besessen und für etwas weniger als 1 Jahr verbotene Waffen, nämlich einen als Taschenlampe getarnten Schlagstock, 3 Wurfmesser und Munition unbefugt besessen.
Als mildernd wurde das teilweise Geständnis, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit drei Vergehen, die Begehung während anhängigen Verfahrens und innerhalb offener Probezeit, der rasche Rückfall, die mehrfache Tatbegehung und der lange Tatzeitraum gewertet. Auch das OLG XXXX als Berufungsgericht führt in ihrem Urteil vom 12.04.2019 aus, dass der BF hinsichtlich des Verbrechens des Suchtgifthandels das 59-fache der Grenzmenge des § 28b SMG überschritten habe und hinsichtlich des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel das 4,8 fache der Grenzmenge überschritten habe, was schuldaggravierend wirke, ebenso wie das Gewinnstreben des BF. Wieso die Schuld des BF gering sein soll und der soziale Störwert seiner Taten deutlich hinter jenem zurückbleibe, der typischerweise mit der Verwirklichung des zur Verurteilung gelangten Deliktes verbunden sei, bleibe im Dunkeln. Von einer weitgehend geständigen Verantwortung, könne angesichts der leugnenden Einlassung des BF hinsichtlich des Verbrechens des Suchtgifthandels und dem Umstand, dass das Zugeständnis hinsichtlich der Fakten des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel und des Vergehens des Diebstahls den erfolgten Sicherstellungen des Suchtgiftes geschuldet war, die ein Leugnen aussichtlos gemacht hätte, keine Rede sein. Hervorgehoben wurde darüber hinaus, dass angesichts der Tatbegehung während anhängigen Verfahrens und innerhalb offener Probezeit manifestierenden völligen Ignoranz des BF gegenüber dieser staatlichen Reaktion zusätzlich zur verhängten Freiheitsstrafe einer Verlängerung des Beobachtungszeitraums im genannten Verfahren geboten sei, um ein künftiges Wohlverhalten des BF sicherzustellen.
Wie bereits zur Erlassung der Rückkehrentscheidung ausgeführt, hat der BF sowohl das Verbrechen des Suchtgifthandels (Überlassung von 981 Gramm „Crystal Meth“ und zumindest 3 Gramm Kokain an verschiedene Personen in wiederholten Angriffen), als auch das Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel qualifiziert begangen, weshalb schlussendlich ein Strafrahmen von 1-15 Jahren zur Anwendung gelangte, was bereits die Schwere der Straftat indiziert. Im Übrigen hat der BF große Mengen an Suchtgift schlicht im Keller seiner Wohnung aufbewahrt, wo es zumindest für seine Familienmitglieder ebenfalls zugänglich gewesen wäre und hat der BF durch die von ihm begangenen Suchtgiftdelikte nicht nur die Gesundheit seiner Abnehmer, sondern auch die Gesundheit seiner Familie und der übrigen Hausbewohner gefährdet.
Insbesondere hervorzuheben bleibt, wie bereits vom Berufungsgericht festgehalten, die völlige Resistenz des BF gegenüber jeder Reaktion des Rechtsstaates auf sein strafrechtswidriges Verhalten, zumal er die angeführten Drogendelikte zu einem Zeitpunkt beging, in welchem bereits ein Strafverfahren gegen ihn anhängig war, bzw. nachdem er bereits verurteilt wurde (erste strafgerichtliche Verurteilung vom 12.12.2017).
3.8.14. Wie bereits ausgeführt, kann mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF neuerlich straffällig wird, zumal er seine Taten in der Hauptverhandlung vom 03.10.2018 versuchte herunterzuspielen und auch vor dem BVwG lediglich angab, „er sei süchtig gewesen“, nun sei er dies nicht mehr. Um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, bedarf es grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (VwGH vom 27.04.2017, Ra 2016/22/0094).
Der BF hat sich seit seiner Haftentlassung im März 2021 nicht wohlverhalten, zumal gegen diesen im Juli 2021 ein Betretungsverbot der Familienwohnung erlassen wurde. Zwar spielten der BF und seine Ehefrau diesen Vorfall in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG herunter, doch gaben sie an, ihre älteste (damals 16-jährige) Tochter hätte die Polizei gerufen, weil sie Angst bekommen habe. Grundsätzlich darf festgehalten werden, dass der Ausspruch eines Betretungsverbots eine Gefährdungssituation voraussetzt. Dieses kann ausgesprochen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass ein Gefährder einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in welcher dieser wohnt, begehen werde. Von einem Wohlverhalten des BF kann daher keinesfalls gesprochen werden. Ein allfälliger Wohlverhaltenszeitraum von einem Jahr und 9 Monaten wäre auch, gerade vor dem Hintergrund der Schwere der vom BF begangen Taten und der Ausführungen im Urteil des OLG XXXX , wonach ein besonders langer Wohlverhaltenszeitraum anzunehmen sei, noch keinesfalls ausreichend. Vor diesem Hintergrund ist auch das Vorbringen in der Stellungnahme vom 17.11.2022, wonach sich der BF in Haft von seiner Drogenabhängigkeit lösen habe können, weshalb davon ausgegangen werde, der BF würde in Zukunft nicht mehr in kriminelle Verhaltensmuster zurückfallen, als maßgeblich relativiert anzunehmen. Keinesfalls verkannt wird, dass der BF derzeit die Kontrolle über seine Suchtproblematik erlangt hat, wobei sich dafür der Wohlverhaltenszeitraum ebenfalls noch zu gering darstellt und im Entscheidungszeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann, dass der BF neuerlich rückfällig wird.
Aufgrund des mangelnden Unrechtsbewusstseins des BF, seiner derzeit nicht vorhandenen Selbsterhaltungsfähigkeit und seiner Drogensucht, muss jedoch weiterhin von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.
3.8.15. Das Gesamtverhalten des BF ist Ausdruck für dessen Unwillen zur Befolgung der österreichischen Gesetze und kann diesem derzeit daher auf einen weiteren Aufenthalt im Gebiet der Mitgliedstaaten sohin keine positive Prognose gestellt werden.
3.8.16. Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausführlich geprüft und festgestellt, sind die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletzt in casu nicht die in Art. 8 EMRK geschützten Rechte. Es muss daher unter Berücksichtigung des in § 53 Abs. 3 FPG genannten Tatbestandes ebenso davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiegt.
3.8.17. In einer Gesamtbetrachtung ist mit der erheblichen, gegen die Gesundheit und das Vermögen anderer gerichtete, kriminelle Energie des Beschwerdeführers ein Gesamtverhalten und ein Persönlichkeitsbild des BF zu konstatieren, welches von einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung und gegenüber dem in Österreich und in der EU vorherrschenden Schutz der körperlichen Integrität und des Vermögens Dritter geprägt ist. Somit lässt die Begehung der vom BF genannten Straftat und sein Verhalten im Zusammenhang mit Suchtgiften, die allenfalls – auch familiären – Interessen des BF an einem Aufenthalt im Schengenraum hinter die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Ordnung, Verhütung von Straftaten und Schutz der Rechte und Freiheiten anderer jedenfalls zurücktreten.
3.8.18. Angesichts der großen Mengen an gestohlenem, besessenem, bereitgehaltenem und überlassenem Suchtgift in einer Vielzahl von Angriffen und des damit zum Ausdruck gekommen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist die Erlassung des Einreiseverbotes in der von der belangten Behörde ausgesprochenen Dauer als angemessen, erforderlich und darüber hinaus auch als verhältnismäßig zu erachten, zumal aufgrund der Verurteilung zu einer 4 ½ -jährigen Haftstrafe auch die Erlassung eines unbefristetes Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 Z 5 FPG möglich gewesen wäre.
3.8.19. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Einreiseverbotes in der festgesetzten Dauer vorliegen, war die Beschwerde gegen den Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Revision ist im konkreten Fall ausfolgenden Gründen nicht zulässig: Parteivorbringen ist abstrakt nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen (vgl. VwGH vom 24.01.1994). Die Auslegung von protokollierten Vorbringens ist nicht reversibel (vgl. VwGH vom 18.05.2016 RA 2016/04/001). Die Beurteilung ob ein identer Sachverhalt vorliegt ist keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. VwGH vom 25.02.2016 2015/19/0267).
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