BVwG W112 1258438-2

BVwGW112 1258438-218.12.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FlKonv Art.1
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W112.1258438.2.00

 

Spruch:

W112 1258438-2/21E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Russische Föderation, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.02.2016, Zl. 740817506-151781798, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. zu lauten hat: "Der Ihnen mit mündlich verkündeten Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.04.2006, schriftlich ausgefertigt am 22.05.2006, Zahl: 258438/0-XVII/56/05, zuerkannte Status des Asylberechtigten wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK und § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG wird festgestellt, dass Ihnen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt."

 

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

III. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 FPG mit der Maßgabe abgewiesen, dass Spruchpunkt III. zu lauten hat:

 

"Ihnen wird gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen.

 

Es wird gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 50 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

 

IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. insofern stattgegeben, als dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG auf fünf Jahre herabgesetzt wird.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich folgender Verfahrensgang:

 

1.1. Der Beschwerdeführer reiste am 20.04.2004 im Alter von neun Jahren mit seiner MutterXXXX und seinen Brüdern XXXX, XXXX, XXXX und XXXX in das Bundesgebiet ein; seine Schwester XXXX war im Herkunftsstaat verblieben. Er stellte - vertreten durch seine Mutter - am 20.04.2004 bei der Einreise an der Grenze bei XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Seine Mutter wurde am selben Tag von der Bezirkshauptmannschaft XXXX als gesetzliche Vertreterin auch in seinem Verfahren erstbefragt, wobei sie seine Geburtsurkunde vorlegte. Dabei gab sie an, Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder zu haben. Ihr Mann sei zu Hause verfolgt worden und sie sehe keine Zukunft für das Leben ihrer Kinder. Sie machte eigene gesundheitliche Probleme und gesundheitliche Probleme ihres Sohnes XXXX geltend, betreffend den Beschwerdeführer brachte sie keine vor. Die Russische Föderation haben sie bereits im XXXX 2003 verlassen, sie haben sich ein halbes Jahr in POLEN aufgehalten, nach einem negativen Bescheid seien Sie aber nach TSCHECHIEN weitergereist, wo sie keinen Antrag gestellt haben, und von dort nach Österreich. Ihr Reisedokument habe sie verloren. Ihr Ehemann habe zwei Ehefrauen, die erste lebe bereits seit zwei Monaten in Österreich.

 

Der Beschwerdeführer wurde mit seiner Familie von 01.05.2004 bis 13.09.2005 in einem Quartier der Grundversorgung in XXXX untergebracht.

 

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.01.2005 gab die Mutter des Beschwerdeführers im Verfahren des Beschwerdeführers an, dass ihre Kinder weder Russland noch Tschetschenien Schaden zugefügt haben. Sie und ihre Kinder haben Probleme, weil ihr Mann Probleme gehabt habe. Aus Angst, dass ihren Kindern etwas passiere, sei sie mit den Kindern hierhergekommen. Sie haben in ständiger Angst gelebt, der Beschwerdeführer wache in der Nacht auf und sage, dass jemand hinter der Tür stehe. Nun seien sie weit weg von zu Hause, hier sei es ruhig, aber die Angst sei noch in ihnen. Befragt danach, was passieren würde, wenn der Beschwerdeführer nach Hause zurückkehren müsste führte seine Mutter aus, dass es schon öfters passiert sei, dass junge Buben ab dem Alter von zwölf Jahren mitgenommen worden und daraufhin verschwunden seien. Sie seien nach Österreich gekommen in der Hoffnung, dass sie Frieden und ein ruhiges Leben finden. Wenn jemand an die Tür klopfe, bekomme sie instinktiv Angst und ihr werde schlecht. Weitere Angaben habe sie nicht zu machen. Eine Abschiebung in die Russische Föderation würde für sie eine große Katastrophe bedeuten. Statt der Asylanträge stelle sie für die Kinder Erstreckungsanträge.

 

Am 11.01.2005 legte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers und seiner Familie Vollmacht und erstattete eine Stellungnahme, in der er ausführte, dass Angehörige von Milizen nicht nur die Mutter des Beschwerdeführers, sondern auch ihre Kinder bedroht und/oder geschlagen haben. Es sei daher, im Gegensatz zum Protokoll, in dem für die Kinder mangels eigener Verfolgung nur Erstreckungsanträge gestellt worden seien, eine Verfolgung der Söhne zu befürchten. Daher stellen die Kinder, auch der Beschwerdeführer, eigene Asylanträge. Die Mutter des Beschwerdeführers widerrufe die Wissenserklärung, dass ihre Kinder nicht verfolgt wären, und die Prozesserklärung, dass sie lediglich Erstreckungsanträge, für ihre Kinder stelle und widerrufe ihren Verzicht auf die Umwandlung der ursprünglichen Asylanträge in Erstreckungsanträge. Der Beschwerdeführer und seine Familie befürchten Verfolgung aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit.

 

1.2. Mit Bescheid vom 11.02.2005 dem rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt am 15.02.2005, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.) stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig ist (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

 

Gleichlautende Entscheidungen ergingen in den Verfahren seiner Mutter und der Brüder XXXX, XXXX, XXXX und XXXX.

 

1.3. Mit Schriftsatz vom 23.02.2005 erhob der Beschwerdeführer vertreten durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter, Berufung gegen diesen Bescheid an den Unabhängigen Bundesasylsenat.

 

Begründend führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass die im angefochtenen Bescheid festgestellte innerstaatliche Fluchtalternative den Einschätzungen des Unabhängigen Bundesasylsenates, sämtlichen Länderberichten und den Richtlinien des UNHCR widerspreche. Des Weiteren seien die Feststellungen im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer oder seine Eltern von keinen nennenswerten Vorkommnissen in XXXX berichtet hätten, falsch: Die Mutter des Beschwerdeführers habe im Zuge ihrer Befragung angegeben, dass ihr Ehemann in XXXX wiederholt von maskierten Männern aufgesucht und entführt worden sei. Er sei erst im Frühjahr zurückgekehrt, nachdem es ihm gelungen sei von den Entführern zu entkommen. Nachdem ein unbekannter Mann den Beschwerdeführer und seine Brüder in der Schule aufgesucht gehabt habe, habe die Mutter des Beschwerdeführers beschlossen, sich kurzfristig mit ihren Söhnen bei ihren Eltern in XXXX zu verstecken. Dort habe die Mutter von ihren in XXXX aufhältigen Schwestern erfahren, dass erneut Leute nach ihnen gesucht hätten und sie daher XXXX dringend verlassen müssen. Außerdem, so die Beschwerde, sei die Tatsache, dass die Familie des Beschwerdeführers bereits 1992 aus XXXX fliehen habe müssen, im Bescheid völlig ignoriert worden. Die Mutter sei damals mit einem ihrer Söhne als Geiseln genommen worden. Aufgrund der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers und der Ereignisse im Gebiet des Kaukasus könne nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer in XXXX vor Verfolgung geschützt sei. Auch sei der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu dem Ergebnis hätte gelangen müssen, dass der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet der Russischen Föderation in ständiger, begründeter Angst von seinen Verfolgern entdeckt zu werden, leben würde.

 

1.4. Das Bundesasylamt gab dem Asylantrag des Vaters des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005 statt und erkannte ihm die Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Verfolgung auf Grund seiner Unterstützung für Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg zu.

 

Der damals 10-JÄHRIGEN Schwester des Beschwerdeführers,XXXX, wurde die Flüchtlingseigenschaft wegen ihres Vaters mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.03.2006 zuerkannt, sie lebte aber dessen ungeachtet weiterhin bei der Großmutter väterlicherseits in XXXX.

 

Der Beschwerdeführer wurde mit seiner Familie am 13.09.2005 in ein Quartier der Grundversorgung in XXXX überstellt.

 

1.5. Der Unabhängige Bundesasylsenat führte am 27.04.2006 eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren des Beschwerdeführers, seiner Mutter sowie seiner Geschwister durch, in der seine Mutter und sein älterer Bruder XXXXbefragt wurden, nicht aber der erst 15-JÄHRIGE Beschwerdeführer.

 

Befragt danach, wer noch in XXXX leben würde, antwortete die Mutter des Beschwerdeführers, dass ihre Eltern dort einmal gelebt haben, sie aber nicht wisse, wo diese derzeit seien. Ihre zehnjährige Tochter lebe bei ihrer Schwiegermutter an verschiedenen Orten in der Russischen Föderation. Damals, als ihre Söhne in der Schule bedroht worden seien, haben sie in XXXXgewohnt. Sie sei dann mit ihren Söhnen nach XXXX zu ihren Eltern gefahren. Obwohl sie weg gewesen seien, sei das Leben ihrer Söhne bedroht worden. Irgendwelche Leute seien zu ihrer Schwiegermutter gekommen und haben nach ihrem Mann bzw. nach ihren Söhnen gefragt. Befragt danach, wieso sie nach der Ausreise ihres Mannes im Jahr 2003 noch immer Probleme gehabt habe, führte die Mutter des Beschwerdeführers aus, dass ihr Mann Probleme gehabt habe und seine Probleme auch eine Bedrohung für ihre Kinder darstellen. Auf Nachfrage, ob es nicht ausgereicht habe, dass ihr Mann bereits das Land verlassen habe, führte sie aus, dass er Kinder habe und diese verschwinden würden. Es gebe solche Fälle wo Kinder verschwinden und nicht mehr zurückkommen. Sie mache sich daher Sorgen. Sie könne nicht genau sagen, was passieren würde, wenn sie nach Tschetschenien zurückkehren würde, aber es sei nichts Gutes. Ihr Mann sei im FRÜHJAHR 2004 aus POLEN nachXXXXzurückgefahren, weil sein Vater krank gewesen sei, er sei durch all diese Ereignisse krank geworden. Er habe vorgehabt, dort zu bleiben, wenn alles in Ordnung gewesen sei, aber es sei nicht in Ordnung gewesen in XXXX und daher sei er nach POLEN zurückgekehrt. Wie er eingereist sei, wisse sie nicht, aber es gebe die Möglichkeit, durch Zahlung von Bestechungsgeldern die Grenze zu überqueren. Sie selbst sei laut ihren Dokumenten XXXX, das seien aber gekaufte Dokumente gewesen, für den Aufenthalt in XXXX sei es von Vorteil gewesen, diese Dokumente zu haben.

 

1.6. Mit dem im Anschluss an die Verhandlung mündlich verkündeten Bescheid gab der Unabhängige Bundesasylsenat der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.02.2005 statt, ebenso dem Asylantrag des Beschwerdeführers und erkannte dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zu.

 

Gleichlautende Berufungsbescheide ergingen in den Verfahren seines Mutter und seiner Geschwister.

 

Begründend führte der Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass die Berufungswerber glaubhaft darlegen konnten, dass ihnen in der Russischen Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus ethnischen Gründen sowie auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie, sowohl von staatlicher russischer Seite, als auch von pro-russischen Sicherheits- und Militärkräften in Tschetschenien drohe. Eine inländische Schutzalternative sei nicht gegeben, Asylausschlussgründe oder Asylendigungsgründe seien zudem nicht ersichtlich.

 

In der schriftlichen Ausfertigung des am 27.04.2006 mündlich verkündeten Bescheides vom 22.05.2006 stellte der Unabhängige Bundesasylsenat fest, dass der Beschwerdeführer aus XXXXstamme und seine Familie seit 1994 in XXXX gelebt habe. Der Vater des Beschwerdeführers habe sich am ersten Tschetschenienkrieg beteiligt, indem er tschetschenischen Kämpfern Waffen, Munition, Lebensmittel und Zigaretten besorgt sowie Verletze beherbergt habe. Der Vater sei bereits im Jahr 1998 von Unbekannten entführt und gegen Lösegeldzahlung wieder freigelassen worden. Die gesamte Familie habe im Anschluss an diesen Vorfall mehrmals die Wohnung gewechselt. Nach einem Vorfall 2002 während des Aufenthalts des Vaters des Beschwerdeführers in XXXX, bei dem der Vater erneut zusammengeschlagen und mitgenommen worden sei, habe dieser flüchten können und ab dem FRÜHJAHR 2003 wieder bei seiner Familie in XXXX gelebt. Als mehrere Ladungen des FSB gekommen seien, sei der Vater des Beschwerdeführers nach POLEN geflüchtet. Im SOMMER 2003 sei die Miliz in das Haus der Familie gekommen und habe nach dem Verbleib des Vaters gefragt. Dabei sei die Mutter des Beschwerdeführers zusammengeschlagen und das Leben ihrer Kinder bedroht worden. Im HERBST sei daraufhin der Bruder des Beschwerdeführers von Unbekannten in der Schule nach dem Verbleib seines Vaters gefragt worden. Im XXXX 2003 sei der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Brüdern nach POLEN und in weiterer Folge imXXXX 2004 nach Österreich geflüchtet. Dem Vater des Beschwerdeführers sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden.

 

In der rechtlichen Beurteilung führe der Unabhängige Bundesasylsenat aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat von russischen Sicherheitskräften verfolgt worden sei und er auch im Falle seiner Rückkehr wiederum mit Verfolgung rechnen müsse. Die Bedrohung der Freiheit und der körperlichen Integrität des Beschwerdeführers weise unzweifelhaft asylrelevante Intensität auf. Im Falle des Beschwerdeführers gehe das festgestellte Verfolgungsrisiko auf die Aktivitäten seines Vaters im ersten Tschetschenienkrieg, seinem Naheverhältnis zu Kämpfern gegen die russischen Einheiten in Tschetschenien und die damit verbundene Ablehnung der Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation, somit auf dessen politische Gesinnung zurück. Es sei daher anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Familienangehörigkeit dieselbe politische Gesinnung seitens der russischen Behörden unterstellt werde, beziehungsweise, die Verfolgung daraus resultiere, dass der Beschwerdeführer Angehöriger seines Vaters, also zugehörig zu einer bestimmten sozialen Gruppe sei.

 

Ihm stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, weil er auf Grund der von seinem Vater ausgeübten Tätigkeiten in das Blickfeld der russischen Behörden gelangt sei. Die für den Beschwerdeführer bestehende Verfolgung, welche sich bereits in mehrfachen Bedrohungen des Beschwerdeführers und seiner Familie niedergeschlagen habe, gehe von russischen Sicherheitskräften, also von staatlicher Seite aus. Das Verfahren habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation auf ein bestimmtes geographisches Gebiet beschränkt sei. Es gebe daher keine Landesteile im Herkunftsstaat, in denen die von ihm befürchtete Verfolgung und die damit verbundene Bedrohung seiner Freiheit und seiner körperlichen Integrität nicht eintreten könne.

 

2.1. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX aus der Grundversorgung entlassen und begründete mit seiner Familie von XXXX bis XXXX einen Wohnsitz in XXXX. Danach begründetet er bis XXXX mit seiner Familie einen Wohnsitz inXXXX und lebte anschließend bis zum XXXX mit seiner Familie in XXXX. Von XXXX, drei Monate, bevor er volljährig wurde, bis zum XXXX lebte er mit seiner Familie in XXXX bevor er im Zeitraum XXXX bis XXXX nur über eine Obdachlosenmeldung beim XXXX verfügte. Seit XXXX war er wiederum an der Adresse seiner Eltern in XXXX gemeldet.

 

Der Beschwerdeführer wurde nach einer Hausdurchsuchung festgenommen; über ihn wurde am XXXX die Untersuchungshaft verhängt.

 

2.2. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.07.2014 wegen des dreifachen Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB sowie wegen des zweifachen Verbrechens des versuchten schweren Raubes gemäß §§ 15, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB unter Anwendung des § 36 JGG, weil der Beschwerdeführer zum jeweiligen Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, als junger Erwachsener zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei zwei Jahre gemäß § 43a Abs. 4 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Das Gericht stellte fest, dass es bei den versuchten Überfällen nur auf Grund der äußeren Umstände nicht zur Tatvollendung gekommen war. Bei der Strafbemessung berücksichtigte es beim Beschwerdeführer das umfassende Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel und dass es teilweise beim Versuch blieb, mildernd, das Zusammentreffen von fünf Verbrechen erschwerend. Es ging in Anbetracht der Strafzumessungsgründe vor dem Hintergrund, des - auf Grund des Alters des Beschwerdeführers anzuwendenden - Strafrahmens von einem bis zu fünfzehn Jahren auf Grund der von ihm in der Verhandlung gezeigten Einsicht und Reue davon aus, dass bei Anordnung der Bewährungshilfe eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, sodass ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren bedingt nachgesehen habe werden können.

 

2.3. Das Oberlandesgerichtes XXXX gab der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil mit Urteil vom 05.12.2014 statt und erhöhte die Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers unter Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht auf VIER Jahre.

 

Es folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft nicht, dass das Geständnis des Beschwerdeführers relativiert hätte werden müssen, da nachdem alle Tatutensilien bei ihm im Rahmen einer Hausdurchsuchung sichergestellt worden seien, die Beweislage ohnedies erdrückend gewesen sei. Auch wenn die Idee zur Tatbegehung jeweils vom Beschwerdeführer gestammt habe, könne nicht festgestellt werden, dass er seine Komplizen zur Tatbegehung "verführt" habe. Es folgte der Staatsanwaltschaft aber insofern, als die wiederholten bewaffneten Raubüberfälle, die durchwegs auf XXXX und XXXX verübt worden seien, fraglos der Schwerstkriminalität zuzurechnen seien; in ihnen manifestiere sich eine erhebliche kriminelle Energie und ein hoher Handlungsunwert. Keineswegs sei bei der Schwere der wiederholt begangenen Taten die Anwendung der teilbedingten Strafnachsicht zu rechtfertigen, zudem scheitere beim Beschwerdeführer die vom Gesetz geforderte hohe Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens schon an der Vielzahl der ihm zur Last liegenden Tathandlungen.

 

2.4. Der Beschwerdeführer verbüßte seine Haftstrafe bis XXXX in der Justizanstalt XXXX, ehe er in die Justizanstalt XXXX verlegt wurde.

 

3.1. Mit Schreiben vom 16.11.2015, dem Beschwerdeführer zugestellt durch persönliche Übernahme in der Strafhaft am 27.11.2015, wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt, wonach für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) feststehe, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe und das Bundesamt daher beabsichtige, ein Aberkennungsverfahren im Hinblick auf seinen Asylstatus einzuleiten. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich Fragen (Schulausbildung, Beschäftigung, Erkrankungen etc.) zu beantworten. Dem Schreiben wurden Länderfeststellungen der Russische Föderation, Stand, 13.04.2015, unter Setzung einer zweiwöchigen Stellungnahmefrist, beigelegt.

 

Mit Schreiben vom 04.12.2015, beim Bundesamt eingelangt am 09.12.2015, gab der der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab. Er führte dabei zusammengefasst aus, dass er in Österreich vier Jahre lang die Volksschule und vier Jahre lang die Hauptschule besucht habe. Danach habe er die Handelsschule XXXX besucht, aufgrund seiner Inhaftierung sei diese Ausbildung jedoch unterbrochen worden. Er dürfe jedoch seit XXXX 2015 - aufgrund seiner guten Führung - als Freigänger seine Schulausbildung in der vormals besuchten Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX abschließen. Er befinde sich derzeit in der Abschlussklasse und breite sich auf den Schulabschluss vor. Vor seiner Haft haben seine Eltern seinen Lebensunterhalt finanziert, da er zu dieser Zeit noch Schüler gewesen sei. Im Bundesgebiet leben seine Eltern und seine sieben Geschwister, die alle russische Staatsangehörige seien und denen der Status des Konventionsflüchtlings zukomme. In der Russischen Föderation habe er keinerlei Angehörigen mehr. Seine Adresse vor der Einreise nach Österreich könne er nicht angeben, weil er damals noch ein Kind gewesen sei und sie "auf Grund des Krieges geflüchtet" seien. Im Zuge seiner Haftstrafe sei er nicht versichert, ansonsten sei er bei seinen Eltern mitversichert gewesen und werde auch nach der Haft wieder bei ihnen mitversichtert sein. Er sei ledig und leide an keinen Erkrankungen. Bezüglich seiner Integration im Bundesgebiet führte der Beschwerdeführer aus, die deutsche Sprache perfekt zu beherrschen. Er sei hier aufgewachsen und lebe seit er ein Kind sei die österreichische Kultur. Er sehe seinen Herkunftsstaat nicht als seine Heimat an, sondern sehe sich selbst als Österreicher; das sehen auch seine Freunde so. In der Schule helfe er Flüchtlingen, die Sprache zu lernen und in der Schule zurecht zu kommen; dadurch trage er zu deren Integration bei. Nach seiner Haftentlassung werde er wiederum bei seinen Eltern wohnen und eine Arbeitsstelle suchen und so seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er bereue seine Straftat sehr und habe aus seinen Fehlern gelernt. Er werde sich auch in Zukunft nichts mehr zu Schulden kommen lassen und wolle in Österreich ein normales Leben führen und sich hier seine Zukunft aufbauen.

 

Beiliegend übermittelte der Beschwerdeführer zudem sein Jahreszeugnis des Schuljahres 2012/13 betreffend die XXXX Klasse Handelsschule (Religion sehr gut; Politische Bildung und Kundenorientierung gut; Betriebswirtschaftliche Übung, Officemanagement und Sport Befriedigend; Deutsch, Englisch, Betriebswirtschaft, Geographie und Naturwissenschaften Genügend; Verhalten: wenig zufriedenstellend), sein Jahresabschlusszeugnis der XXXX Klasse Hauptschule XXXX des Schuljahres 2010/11 (Deutsch und Englisch in der 3. Leistungsgruppe befriedigend, Mathematik in der

2. Leistungsgruppe Gut) sowie eine Schulbesuchsbestätigung der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule XXXX betreffend das Schuljahr 2015/16.

 

4. Mit Bescheid vom 08.02.2016, dem Beschwerdeführer zugestellt am 10.02.2016, erkannte das Bundesamt dem Beschwerdeführer den mit Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.04.2006 rechtskräftig zuerkannten Status des Asylberechtigen gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zu kommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erkannte das Bundesamt dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Es erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG. Das Bundesamt stellte fest, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig ist. Unter einem stellte es fest, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein zehnjähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.).

 

4.1. Das Bundesamt stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und dass er am 20.04.2004 im Beisein seiner Mutter und von vier Geschwistern in das Bundesgebiet eingereist sei. Er habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt und ihm sei "mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.05.2006, rechtskräftig seit 27.04.2006," der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Im Bundesgebiet leben die Eltern sowie die mittlerweile sieben Geschwister des Beschwerdeführers, wobei fünf Geschwister noch mit den Eltern im gemeinsamen Haushalt leben. Der Beschwerdeführer habe einem aktuellen ZMR-Auszug zufolge mit seinen Eltern und seinen Geschwistern bis zum XXXX im gemeinsamen Haushalt gelebt. Er scheine von XXXX - XXXX bei XXXX in XXXX in XXXX als obdachlos gemeldet auf. Seit XXXX sei der Beschwerdeführer wieder an gemeinsamer Wohnadresse mit der Familie gemeldet gewesen, seit XXXX befinde er sich in Strafhaft. Der Beschwerdeführer besuche derzeit als Freigänger die XXXX Klasse der HAK/HAS in XXXX. Er verfüge über keine Berufsausbildung. Einem aktuellen Sozialversicherungsauszug vom 21.12.2015 zufolge sei der Beschwerdeführer lediglich im Jahr 2013 von XXXX bis XXXX tageweise einer meldepflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, von XXXX - XXXX ebenfalls. Der Beschwerdeführer sei ledig und ohne Sorgepflichten. Er sei völlig gesund.

 

Aufgrund der strafgerichtlichen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer vierjährigen Haftstrafe (OLG XXXX, XXXX, vom 05.12.2014) sowie aufgrund der insgesamt 3 kriminalpolizeilichen Anzeigen im Zeitraum 2009 - 2014 (schwere Körperverletzung, gefährliche Drohung und schwerer Raub in sieben Fällen unter zu Hilfenahme einer Gaspistole) liege ein Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 vor.

 

Es bestehe aktuell für den Beschwerdeführer keine Gefährdungs-/Bedrohungslage und er sei völlig gesund. Er leide an keiner Erkrankung, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Er sei bis zu seinem 10. LEBENSJAHR in der Heimat aufhältig gewesen, sodass zu Recht angenommen werden könne, dass er die dortige Landessprache beherrsche. Er sei somit in XXXX aufgewachsen, habe einen großen Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, sei im Bundesgebiet im familiären Umfeld mit tschetschenischen Landessitten sozialisiert worden, beherrsche die Tschetschenische sowie die Russische Sprache auch muttersprachlichem Niveau und sei mit den dort herrschenden Gepflogenheiten vertraut. Die gegenwärtige Lage in der Russischen Föderation sei in regional unterschiedlicher Intensität als allgemein schwierig anzusehen. Fallweise werden die international üblichen demokratiepolitischen und menschenrechtskonformen Grundsätze nicht eingehalten werden. Von diesen fallweise stattfindenden Defiziten sei der Beschwerdeführer jedoch exzeptionell nicht betroffen gewesen.

 

4.2. In der Begründung stützte das Bundesamt die Asylaberkennung ohne weitere Begründung auf den Asylausschlussgrund des § 7 Abs. 1 AsylG 2005, und führte dazu einen Textbaustein zur Judikatur zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 leg.cit. aufgrund der freiwilligen Unterschutzstellung des Herkunftsstaates an.

 

Zur Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesamt aus, dass laut den Länderberichten die elementare Grundversorgung jedenfalls anzunehmen sei. Durch seinen unbedenklichen Gesundheitszustand und die Kenntnis der landestypischen Verhältnisse sei in Verbindung mit seinem verwandtschaftlichen Umfeld und den damit verbundenen ökonomischen Verhältnissen jedenfalls gewährleistet, dass er seinen Lebensunterhalt (Obdach und Nahrung) so wie bisher aus eigenem bestreiten werde können.

 

Der Beschwerdeführer beherrsche die in der RUSSISCHEN FÖDERATION unter anderem übliche Landessprachen kenne und die dortigen kulturellen Werte. Eine Teilnahme am öffentlichen Leben sei somit gewährleistet. Der Beschwerdeführer sei ein arbeitsfähiger Mann, weshalb davon auszugehen sei, dass er auch in Hinkunft, erforderlichenfalls unter Inanspruchnahme des Familienverbandes, in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es liegen keine individuellen Umstände vor, die dafürsprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine derart extreme Notlage gelangen würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens haben sich keine Hinweise für die Gewährung von subsidiärem Schutz ergeben.

 

Es liege auch kein Grund für die Gewährung eines humanitären Aufenthaltstitels vor: Gegen ihn bestehe kein laufendes Strafverfahren und es bestehe auch keine rechtskräftige Verurteilung gegen ihn. Während seines Verfahrens habe sich kein Sachverhalt ergeben, der ihn als Opfer von Gewalt zeige und es bestehe auch keine Notwendigkeit, eine Aufenthaltsbewilligung zum Schutz vor weiterer Gewalt zu erteilen.

 

Die "Ausweisung" greife nicht in das Recht des Beschwerdeführers auf Familienleben ein: Er habe Eltern und Geschwister im Bundesgebiet. Es sei anzunehmen, dass weitere Verwandte in seinem Herkunftsstaat leben. Er lebe zumindest seit seiner Inhaftierung im XXXX 2014 bis zur Verbüßung seiner mehrjährigen Haftstrafe mit seinen Angehörigen in Österreich nicht im gemeinsamen Haushalt.

 

Der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Privatleben sei verhältnismäßig: Der Beschwerdeführer habe einen gravierenden Teil seines bisherigen Lebens bzw. bis zu seinem ZEHNTEN Lebensjahr in der RUSSISCHEN FÖDERATION verbracht, dadurch werde der Eingriff schon relativiert, weshalb unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation in Österreich insgesamt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung festgestellt werde. Es bleibe dem Beschwerdeführer unbenommen sich in weiterer Folge vom Ausland aus um einen Aufenthaltstitel für Österreich zu bemühen. Der Beschwerdeführer kenne die kulturellen und sozialen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und beherrsche die dort verwendete Sprache auf Muttersprachenniveau. Er könne sich wieder gut und problemlos in die russische bzw. tschetschenische Gesellschaftsstruktur eingliedern. Zudem sei aufgrund seines bisherigen Verhaltens mit der hartnäckigen Nichtanerkennung der österreichischen Rechtsordnung und wiederholten Straffälligkeit davon auszugehen, dass noch keine besondere Verfestigung des Privatlebens des Beschwerdeführers im Aufenthaltsstaat gegeben sei. In Gesamtschau überwiege - eben auch aufgrund des relativ kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet - das öffentliche Interesse eines geordneten Vollzugs des Fremdenwesens durch die Ausweisung das Recht auf Achtung des Privatlebens. Eine Verletzung des Rechts auf Privatleben sei nicht zu erkennen.

 

Unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse im Falle einer Beendigung des Aufenthalts werde er keinesfalls in eine derart dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt, dass ihm eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lasse. Es sei vielmehr auf Grund seines Gesundheitszustandes, seiner Erfahrung, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Flexibilität sowie seiner familiären und sozialen Anknüpfungspunkte festzustellen, dass im Falle eine Rückkehr in die Russische Föderation seine Basisversorgung und die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens sichergestellt sei. Er sei sich im Klaren gewesen, dass er nach rechtskräftig negativem Abschluss des Verfahrens nicht weiter zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 sei daher nicht in Betracht gekommen.

 

Seine Abschiebung in die Russische Föderation sei aus den in der Begründung zu den Spruchpunkten I. und II. dargelegten Gründen zulässig. Die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die der Abschiebung entgegenstehen würde, gebe es für die Russische Föderation nicht.

 

Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt werde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Reglung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben überwiegen. Im Fall des Beschwerdeführers haben keine derartigen Gründe festgestellt werden können, weshalb er zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen ab der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung durch Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verpflichtet sei.

 

Zum Einreiseverbot führte die Behörde aus, dass aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers jedenfalls die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG vorliegen. Zuvor sei er im Jahr 2009 wegen schwerer Körperverletzung und im Jahr 2011 wegen gefährlicher Drohung angezeigt worden. Seit XXXX 2014 befinde er sich in Untersuchungs- und Strafhaft. Es liegen daher jedenfalls die Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG vor. Im Fall des Beschwerdeführers sei zu berücksichtigen gewesen, dass es sich bei den von ihm verübten Delikten im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zweifellos um Schwerstkriminalität handle. Der Beschwerdeführer habe bewaffnete Raubüberfälle mit Gaspistolen begangen und mehrfach XXXX und XXXX überfallen. Im Fall des Beschwerdeführers seien als erschwerend das Zusammentreffen von 5 Verbrechen, die hohe kriminelle Energie und die meisten Tathandlungen im Zusammenwirken mit Komplizen gewertet worden. Lediglich das Geständnis und der ordentliche Lebenswandel sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch gebelieben sei, seien dem Beschwerdeführer gegenüber mildernd gewertet worden. Die Milderungsgründe hätten jedoch eine mehrjährige unbedingte Verurteilung nicht abwenden können, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Bezüglich des ordentlichen Lebenswandels sei anzumerken, dass der Beschwerdeführer nunmehr als erwachsener Mensch bis dato weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung habe, bis dato am Arbeitsmarkt nicht integriert sei, da er lediglich von XXXX bis XXXX 2013 tageweise einer geringfügigen Beschäftigung als Arbeiter nachgegangen sei, und monatelang obdachlos gewesen sei. Die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers sei nicht als kurzfristiger Engpass anzusehen, sondern sei hier aufgrund gesetzlicher Rahmenbedingungen zur Aufnahme einer Beschäftigung in Verbindung mit gegenwärtig sehr schwierigen markt- und beschäftigungspolitischen Szenarien von einem eher langfristigen nicht für den Beschwerdeführer sprechenden Szenario zu sprechen. Im Hinblick darauf, wie der Beschwerdeführer sein bisheriges Leben in Österreich gestaltet habe, sei davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Seine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich seien nicht dergestalt, dass sie seinen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit überwiege sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich. Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seiner Lebensumstände, sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von ZEHN Jahren gerechtfertigt und notwendig sei, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das Einreiseverbot umfasse alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union außer Irland und das Vereinigte Königreich, weiters Island, Norwegen, die Schweiz und Lichtenstein. Der Beschwerdeführer sei daher angewiesen, im festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet dieser Staaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Die Frist des Einreiseverbotes beginne mit Ablauf des Tages seiner Ausreise.

 

4.3. Mit Verfahrensanordnung vom 08.02.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht XXXX als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

 

5. Mit Schriftsatz vom 16.02.2016, eingebracht bei der belangten Behörde am 17.02.2016, erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 08.02.2016 in vollem Umfang und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Behebung des angefochtenen Bescheides.

 

Begründend führte die Beschwerde aus, dass in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides die Aberkennung des Asylstatus gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 vorgenommen worden sei, Artikel 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention zähle jedoch nicht das Begehen bzw. die Verurteilung wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens auf. Auch in der rechtlichen Beurteilung gehe die belangte Behörde unmissverständlich davon aus, dass der im Spruch herangezogene Aberkennungsgrund und kein anderer vorliege.

 

Der von der belangten Behörde im vorliegenden Bescheid angenommene Sachverhalt könne jedoch unter keinem Fall des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 subsumiert werden, zumal das Begehen von bzw. die Verurteilung von Straftaten, welche im Aufenthaltsstaat eines Flüchtlings begangen worden seien, nicht als "Unterschutz-Stellung" des Beschwerdeführers iSd des Artikel 1 Abschnitt C GFK gewertet werden können. Andererseits seien irgendwelche Handlungen, die als derartige "Unterschutz-Stellung" des Beschwerdeführers gewertet werden könnten, im angefochtenen Bescheid (in seinen Feststellungen) nicht einmal angedeutet worden.

 

Aus diesem Grund sei der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet und deshalb aufzuheben.

 

Hilfsweise werde ausgeführt, dass die belangte Behörde jedenfalls eine in irgendeiner Weise nachvollziehbare Begründung dafür, dass das Begehen von strafbaren Handlungen einen der Endigungsgründe des Art. 1 Abschn. C GFK erfüllen könnte, unterlassen habe. Bei Beachtung der verfahrensrechtlichen Vorschriften, wonach in der Begründung eines Bescheides nicht nur die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die bei der Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen seien, sondern auch die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage, wäre die belangte Behörde zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid gekommen. Das Verfahren sei daher jedenfalls zu erneuern.

 

Da das Verfahren jedenfalls zu erneuern sein werde, erlaube sich der Beschwerdeführer folgendes ergänzende Vorbringen: Unrichtig sei, dass der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Familie pflege. Er erhalte zweimal im Monat für ein Wochenende Freigang, zudem auch jeden Samstagvormittag zwischen diesen besagten Wochenenden. Diesen Freigang verbringe der Beschwerdeführer zur Gänze bei seiner Familie. Vor diesen Freigängen haben die Brüder sowie seine Mutter den Beschwerdeführer so oft wie nur möglich in Untersuchungshaft besucht, weshalb derzeit von einem überdurchschnittlich engen Kontakt mit der Familie auszugehen sei.

 

6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.02.2016 vorgelegt.

 

6.1. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 01.04.2016 wurde der Beschwerdeführer am XXXX unter Anordnung einer Probezeit von drei Jahren und von Bewährungshilfe nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe bedingt aus der Strafhaft entlassen.

 

Begründend führte das Landesgericht aus, dass der Beschwerdeführer die Taten als junger Erwachsener begangen habe. Er werde voraussichtlich im XXXX2016 die XXXX KLASSE HANDELSSCHULE abschließen und könne eine Einstellungsbestätigung und eine Wohnmöglichkeit nachweisen. Er befinde sich im gelockerten Erstvollzug, es seien keine Ordnungsstrafen vermerkt und er weise eine sehr gute Führung auf, sodass davon auszugehen sei, dass - bei Anordnung der Bewährungshilfe - die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung vorliegen.

 

6.2. Mit Eingabe vom 15.05.2017 übermittelte der Verein NEUSTART den Jahresbericht zur bedingten Entlassung des Beschwerdeführers. Laut dem Bericht habe der Beschwerdeführer vergangenen SOMMER die HANDELSSCHULE abgeschlossen und im HERBST mit dem VORBEREITUNGSLEHRGANG für die MATURA begonnen. Nebenbei sei der Beschwerdeführer bis vor kurzem geringfügig beschäftigt gewesen. Der Beschwerdeführer äußere in den Betreuungsgesprächen immer wieder seine Unschlüssigkeit betreffend seines "schulischen/beruflichen" Werdegangs. Er suche das Gespräch zur Entscheidungsfindung sowohl bei seinen Eltern als auch in der Betreuung des Vereins NEUSTART. Der Beschwerdeführer habe vom Verein nicht überzeugt werden können, den aktuellen Schulbesuch für die Matura zu nutzen. Er sei seit XXXX am Arbeitsmarktservice arbeitssuchend gemeldet. Der Beschwerdeführer selbst sei sehr aktiv bei der Jobsuche. Er werde aktuell von der Firma XXXX zum Lagerlogistiker eingeschult und aller Voraussicht nach im kommenden Monat als Vollzeitbeschäftigter angestellt. Der Beschwerdeführer ziehe bezüglich seines schulischen Werdeganges eine Abendschule mit Maturaabschluss in Erwägung. Aufgrund der begangenen Straftaten sei über den Beschwerdeführer eine Führerscheinsperre verhängt worden. Die Frist ende diesen Monat, weshalb sich der Beschwerdeführer gegenwärtig bei der Fahrschule angemeldet habe. Hinsichtlich des sozialen Umfeldes und den persönlichen Interessen führte der Bericht aus, dass der Beschwerdeführer zu seinen Eltern und Geschwistern ein gutes und stabiles Verhältnis pflege. Die Familie sei ihm wichtig. In der Freizeit nutze er die Zeit um mit seinen Freunden an Autos zu basteln, Musik zu machen und an einem Kampfkurs-Training inXXXXteilzunehmen. In der Betreuung durch den Verein NEUSTART zeige sich der Beschwerdeführer äußerst offen in den Gesprächen. Er sei verlässlich in den getroffenen Vereinbarungen, kümmere sich um seine Belange und reflektiere sein Tun und Handeln. Er lasse sich von der Peergroup und deren Ansichten nicht leicht beeindrucken und hinterfrage auch kritisch. Der Beschwerdeführer bereue die begangenen Straftaten und er brüste sich nicht mit dem Häftlingsimage. Er habe die unterschiedlichen Themenbereiche der Deliktsverarbeitung gemeinsam mit der Bewährungshilfe durchgearbeitet; dabei seien die Ursachen geklärt und sowohl die Handlung als auch das Risiko bewertet worden. Die Zielerklärung sowie der Handlungsplan seien noch in Bearbeitung. Die kommenden Ziele des Beschwerdeführers seien die Erlangung einer Lenkerberechtigung, die Orientierung am Arbeits- bzw. Ausbildungsmarkt und die Vollzeitbeschäftigung bei der Firma XXXX, bei der er bereits geringfügig tätig sei.

 

Mit Eingabe vom 17.07.2016 teilte der Verein NEUSTART dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass der Beschwerdeführer nunmehr in einem festen Dienstverhältnis stehe und den XXXX gemacht habe. Eine Kopie des XXXX wurde im Anhang übermittelt.

 

6.3. Das Landesgericht XXXX hob mit Beschluss vom 16.02.2018 die angeordnete Bewährungshilfe als nicht mehr notwendig auf.

 

Im bezughabenden Bericht des Vereins NEUSTART vom 12.02.2018 führte dieser aus, dass der Beschwerdeführer im Anschluss an den Abschluss der Handelsschule den Vorbereitungslehrgang für die Matura begonnen habe und nebenbei geringfügig bei diversen Lokalen und Firmen beschäftigt gewesen sei. Nachdem er sich immer wieder mit dem Gedanken des Berufseinstiegs gespielt habe, habe er sich schlussendlich für den beruflichen Werdegang entschlossen. Im XXXX 2017 sei er von der Firma XXXX zum Lagerlogistiker eingeschult und seit XXXX 2017 Vollzeit beschäftigt worden. Sein Einkommen betrage ca. XXXX € und er habe keine Sorgepflichten. Die Führerscheinsperre sei seit XXXX 2017 nicht mehr aufrecht, der Beschwerdeführer habe sich in der Fahrschule angemeldet und plane bis Sommer 2017 die Lenkerberechtigung der Klasse B zu erlangen. Der abgelaufene Reisepass sei ihm bis dato nicht ausgehändigt worden. Er werde als Konventionsflüchtling geführt. Er sei gesund und psychisch stabil. Es liegen keine Abhängigkeiten von psychotropen Stoffen vor. Zu seinen Eltern und Geschwistern habe er ein gutes, stabiles und inniges Verhältnis, die Familie sei ihm sehr wichtig. Im XXXX 2017 habe er nach tschetschenischer Tradition geheiratet; seither lebe gemeinsam mit seiner Frau bei seinen Eltern in XXXX. Weitere soziale Anbindung pflege der Beschwerdeführer sowohl in die tschetschenische Community als auch außerhalb von dieser. Seine nächsten Ziele seien die Erlangung der Lenkerberechtigung, Weiterbildungslehrgänge in seiner beruflichen Karriere und die Erlangung eines Konventionsreisepasses. Der Betreuungsverlauf und der Werdegang seien insgesamt positiv zu bewerten. Eine weitere Unterstützung durch die Bewährungshilfe erscheine auf Grund dessen nicht mehr als notwendig. Deshalb werde die vorzeitige Aufhebung der Bewährungshilfe beantragt.

 

6.4. Auf die Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichts gab der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter in der Äußerung vom 08.06.2018 an, dass er sich von seiner Frau zwischenzeitlich getrennt habe und diese auch nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebe. Der Beschwerdeführer lebe mit seinen Eltern und drei seiner Geschwister im gleichen Haushalt.

 

6.5. Das Bundesamt teilte mit Schreiben vom 18.06.2018 mit, dass es an der für den 26.06.2018 anberaumten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht teilnehmen werde.

 

6.6. Die mündliche Verhandlung am 26.06.2018 gestaltete sich wie folgt:

 

"Befragung des Beschwerdeführers

 

R: Haben Sie bisher im Verfahren die Wahrheit angegeben oder gibt es etwas, was Sie richtigstellen wollen?

 

BF: Ich habe alles wahrheitsgemäß angegeben.

 

R: Hat sich seit der Beschwerdeerhebung etwas betreffend Ihr Beschwerdevorbringen geändert?

 

BF: Nein.

 

R: Hat sich seit der Beschwerdeerhebung etwas an Ihrem Gesundheitszustand geändert?

 

BF: Nein.

 

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

 

BF: Ganz gut. Ich bin gesund. Ich habe keine Krankheiten, etc.

 

R: In den Dokumenten Ihrer Mutter ist "XXXX" vermerkt, auch in Ihren. Sind Sie Tschetschene oder XXXX?

 

BF: Ich bin Tschetschene.

 

R: Warum steht dann XXXX in Ihren Dokumenten?

 

BF: Meine Mutter ist XXXX, die Großeltern mütterlicherseits sind ... bei uns ist das so, dass man die Volkszugehörigkeit nach dem Vater zuerkannt bekommt. Mein Großvater war Tschetschene bzw. XXXX, das ist eigentlich das gleiche. Die Großmutter ist eine Russin, deswegen wurde das so eingetragen. Mein Vater ist Tschetschene und seine Eltern auch.

 

R: Stimmt die Aussage Ihres Vaters, dass Ihre Großeltern mütterlicherseits eine tschetschenisch-russische Mischehe führten?

 

BF: Ja.

 

R: Wenn die Dokumente "gekauft" und nicht echt waren, wie Ihre Mutter vor dem UBAS und Ihr Vater vor dem BAA aussagte, treffen dann die Angaben zu Ihrer Identität zu?

 

BF: Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht sagen.

 

R: Können Sie das belegen?

 

BF: Nein.

 

R: Habe ich Sie richtig verstanden, Sie sind Tschetschene bzw. XXXX und das ist dasselbe?

 

BF: Ja.

 

R: Sie reisten 2004 im Alter von 9 JAHREN mit Ihrer Mutter und Ihren Brüdern XXXX, XXXX, XXXX und XXXX ins Bundesgebiet ein. Ihre Schwester XXXX wurde im Herkunftsstaat zurückgelassen. Trifft das zu?

 

BF: Ja.

 

R: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?

 

BF: Das war ca. auch zu der Zeit, genau kann ich mich nicht erinnern.

 

R: Beschreiben Sie Ihren Lebenslauf im Herkunftsstaat: Wo haben Sie von wann bis wann mit wem gewohnt und wo haben Sie die Schule besucht?

 

BF: Ich kann nicht wirklich viel sagen, ich bin ein, zwei Jahre in die Volksschule gegangen, habe bei meinen Eltern gelebt. Viel mehr kann ich dazu nicht in Erinnerung rufen.

 

R: Wo haben Sie gelebt?

 

BF: In XXXX.

 

R: Haben Sie die ganze Zeit in XXXX gewohnt?

 

BF: Daran kann ich mich jetzt wirklich nicht erinnern.

 

R: Sie sind mit 8, 9 Jahren ausgereist, sind Sie seit Sie ca. 6 JAHRE waren umgezogen oder haben Sie immer in XXXX gewohnt?

 

BF: Ich glaube innerhalb... innerhalb glaube ich nicht, wir sind hin- und hergezogen, wegen der ganzen Kriegssituation, mal nach XXXX, mehr kann ich mich jetzt wirklich nicht erinnern.

 

R: Haben Sie öfters die Schule gewechselt?

 

BF: Ich war nur in XXXX in der Volksschule, sonst war gar nichts mehr, soweit ich mich erinnern kann.

 

R: D.h. die Schule, EIN bzw. ZWEI JAHRE, haben Sie gänzlich in XXXX gemacht?

 

BF: Ja.

 

R: Sie haben gesagt, Sie haben mit Ihrer Familie zusammengelebt, mit wem genau?

 

BF: Mit meinen Großeltern väterlicherseits, meiner Mutter, meinem Vater und meinen Geschwistern.

 

R: Hat sonst noch jemand im gemeinsamen Haushalt gelebt?

 

BF: Nein, ich weiß nicht.

 

R: Welche Verwandte haben Sie noch in der Russischen Föderation?

 

BF: Ich habe nur mehr einen Onkel dort, alle anderen, Opa und Oma beiderseits sind verstorben.

 

R: Ist der Onkel väterlicherseits oder mütterlicherseits und wo lebt er?

 

BF: Er ist mütterlicherseits und lebt in XXXX.

 

R: Wie ist der Kontakt mit [ihm]?

 

BF: Nicht wirklich, es gibt Tage, da telefonieren schon meine Eltern mit ihm, aber da fragt man, wie es einander geht, sonst nicht.

 

R: Waren Sie selbst jemals einer Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt?

 

BF: Ich war noch ein Kind, also... wir sind geflüchtet, ich selbst glaube nicht.

 

R: Waren Sie in Österreich jemals einer Verfolgung ausgesetzt?

 

BF: Nein.

 

R: Welche Verwandten haben Sie in Österreich?

 

BF: Gar keine, nur meine Familie.

 

R: Wann haben Sie Ihren Vater vor seiner Einreise nach Österreich das letzte Mal gesehen?

 

BF: Noch zu Hause.

 

R: Aus dem Akt ergibt sich, dass Ihr Vater, während Sie in POLEN als Asylwerber aufhältig waren, in die Russische Föderation zurückkehrte, weil sein Vater krank war. Das war 2004. Dabei hat er sie in POLEN nochmals besucht, stimmt das?

 

BF: Ja.

 

R: Stimmt es, dass Ihr Vater nach Russland zurückgekehrt ist, weil sein Vater krank war?

 

BF: Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

 

R: Ab wann haben Sie wieder mit Ihrem Vater zusammengewohnt?

 

BF: Seitdem wir in Österreich waren.

 

R: Ihre Mutter gab bei Ihrer Erstbefragung am 25.01.2005 betreffend Ihre Fluchtgründe an, dass Sie und Ihre Geschwister Russland keinen Schaden zugefügt haben, dass Sie Probleme haben, weil Ihr Vater Probleme gehabt hat. Aus Angst, dass Ihnen und Ihren Brüdern etwas passiert, dass Sie zu Hause nur Schlechtes erwartet, sind Sie nach Österreich gekommen. Sie haben als Kind schlecht geschlafen, sind in der Nacht aufgewacht und haben gemeint, dass jemand hinter der Tür steht. Es sei damals vorgekommen, dass Kinder ab dem Alter von zwölf Jahren mitgenommen worden seien. Sie seien hierhergekommen in der Hoffnung, dass Sie hier Frieden und ein ruhiges Leben finden. In der Stellungnahme vom 11.01.2005 rügte Ihr auch aktuell einschreitender rechtsfreundlicher Vertreter, dass für Sie nicht nur ein Asylerstreckungsantrag, sondern ein Asylantrag gestellt wurde, dass Sie wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und der Angehörigeneigenschaft zu Ihrem Vater verfolgt werden und persönlich Verfolgungshandlungen für den Fall der Rückkehr in die Russische Föderation befürchten. Ihr Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.02.2005 als unbegründet abgewiesen. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren Ihrer Mutter und Ihrer Geschwister. Gegen diese Bescheide erhoben Sie durch Ihren rechtsfreundlichen Vertreter Berufung. Ihrem Vater war am 10.08.2005 Asyl gewährt worden. Am 27.04.2006 fand die mündliche Verhandlung vor dem Bundesasylsenat statt. Ihre Schwester XXXX lebte da noch bei Ihren Großeltern in der Russischen Föderation, in Tschetschenien bzw. in XXXX. Mit dem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Bescheid wurde Ihnen und Ihren Geschwistern sowie Ihrer Mutter die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Dies wurde mit Verfolgung aus ethnischen Gründen und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie durch die staatliche russische Seite und pro-russische Sicherheits- und Militärkräfte in Tschetschenien. Eine inländische Fluchtalternative gab es nicht. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Möchten Sie zu Ihrem Asylverfahren etwas angeben?

 

BF: Nein.

 

R: Beschreiben Sie Ihr Leben in Österreich während des Asylverfahrens XXXX2004 - XXXX 2005!

 

BF: Eine sehr kurze Zeit bin ich nicht in die Schule gegangen, dann habe ich angefangen in die Volkschule zu gehen, das war anfangs natürlich schwierig mit der Sprache usw. wir sind umgezogen öfter, ich hab[e] weiterhin die Schule gemacht, die Volksschule habe ich abgeschlossen in XXXX in XXXX, ich kann mich nicht erinnern, in welchem Jahr. Ich korrigiere, das war in XXXX im Jahr 2006, glaube ich.

 

R: Sie verfügten XXXX 2005 - XXXX 2006 über keine Meldeadresse in Österreich, genauso wenig wie Ihr Bruder XXXX. Wo waren Sie in diesen neun Monaten?

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich war eh bei meinen Eltern 100%ig und auch mein Bruder XXXX.

 

R: Legen Sie alle Ihre Zeugnisse vor! BF: Alle habe ich natürlich nicht mit, ich habe meinen Handelsschulabschluss mit, das war 2016.

 

R setzt eine Frist zur Vorlage der Zeugnisse ab dem Schuljahr 2005/2006 von zwei Wochen, die Vorlage einer Kopie ist ausreichend. Dem Gericht liegen nur die Zeugnisse aus den Jahren 2010/2011 und 2012/2013 vor.

 

R: Beschreiben Sie Ihr Leben seit XXXX 2006 bis Sie von XXXX nach XXXXzogen, und volljährig wurden, im Sommer 2012! Mit wem haben Sie zusammengelebt, welche Ausbildung haben Sie gemacht, wie haben Sie Ihre Freizeit verbracht...

 

BF: 2006 waren wir in XXXX, ich habe die Volksschule abgeschlossen, dann sind wir nach XXXX umgezogen, da habe ich begonnen, die erste Hauptschule zu machen, die habe ich ein Jahr gemacht, dann sind wir nach XXXX gezogen, da habe ich die Hauptschule fertiggemacht. Nach der Hauptschule habe ich angefangen in der Handelsschule, diese habe ich bis zur XXXX Klasse gemacht. Danach, kurz vor dem Abschluss, ist der Vorfall passiert, dass ich straffällig wurde.

 

R: Warum sind Sie so oft umgezogen?

 

BF: Das weiß ich gar nicht.

 

R: Beschreiben Sie mir Ihre Leben in der Hauptschul- und Handelsschulzeit, darüber hinaus. Wie haben Sie Ihre Zeit verbracht?

 

BF: Während der Hauptschulzeit waren wir nur in unserer Ortschaft unterwegs, sind Radgefahren und schwimmen gegangen, wandern und Fußball spielen, solche Dinge halt. Was man halt in der Jugend so macht.

 

R: Mit wem haben Sie das unternommen?

 

BF: Mit meinen Freunden aus der Ortschaft, die sind auch in dieselbe Schule gegangen.

 

R: Mit wem haben Sie zusammengewohnt?

 

BF: Mit meinen Eltern.

 

R: Sie zogen mit Ihren Eltern im XXXX 2012 nach XXXX, im XXXX 2013 begründeten Sie aber eine Obdachlosenmeldeadresse beim XXXX in XXXX, die bis zum XXXX 2013, dem Beginn des RAMADAN, aufrecht war. Wo waren Sie in der Zeit? Wovon lebten Sie?

 

BF: Währen dieser Zeit war ich bei meinen Eltern, ich war nur dort gemeldet, ich wollte selbständig werden, darum habe ich das gemacht.

 

R: Können Sie mir das erklären?

 

BF: In dieser Zeit ist mir durch den Kopf gegangen, dass ich da mehr Geld bekomme, deshalb.

 

R: Warum sollten sie durch eine Obdachlosenadresse mehr Geld bekommen und warum?

 

BF: Das ist wirklich so, ich erzähle keine Lügen. Wenn man sich an dieser Adresse gemeldet hat, hat man einen Antrag auf Beihilfe gestellt, Sozialbeihilfe, das ist der Punkt.

 

R: Haben Sie Belege dafür?

 

BF: Ich weiß nicht, ob ich das noch habe. Bezogen habe ich keine, ich habe mich dann an die alte Adresse zurückgemeldet.

 

R: Ihr Bruder XXXX war im selben Zeitraum wie Sie beim XXXX obdachlos gemeldet. Wo war er?

 

BF: Auch der war bei den Eltern.

 

R: Ab XXXX 2013 waren Sie wieder bei Ihren Eltern gemeldet. Sie waren bis XXXX 2013 insgesamt 7 Tage geringfügig beschäftigt. Womit haben Sie in der Zeit Ihren Lebensunterhalt bestritten?

 

BF: Ich war Schüler, durch meine Eltern.

 

R: XXXX 2013-XXXX 2014 waren Sie geringfügig beschäftigt. Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit!

 

BF: Ich war Kellner, Wochenendaushilfe.

 

R: Ich habe mir die Firma angeschaut, bei der Sie beschäftigt waren, das ist eine XXXX, beschäftigt die Kellner?

 

BF: Da war ich am Wochenende XXXX bei Fußballspielen, ich habe das verwechselt.

 

R: Mit Urteil des LG XXXX vom 23.07.2014 wurden Sie wegen des dreifachen Verbrechens des schweren Raubes und des zweifachen Verbrechens des versuchten schweren Raubes als junger Erwachsener zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wobei zwei Jahre bedingt nachgesehen wurden. Die abgeurteilten Taten bezogen sich auf den vollendeten Raub gegen XXXX gemeinsam mit XXXX am XXXX, gegen XXXX XXXX am XXXX mit XXXXund gegen XXXX gemeinsam mit XXXX am XXXX die versuchten Raube gegen XXXX mit XXXX am XXXX und gegen XXXX am XXXX mit XXXX unter Verwendung einer Waffe wobei Sie eine Maske trugen. Mildernd wurde berücksichtigt, dass Sie ein umfassendes Geständnis abgelegt hatten, Ihr bisher ordentlicher Lebenswandel und dass es teilweise beim Versuch blieb. Was sagen Sie dazu?

 

BF: Wie es dazu gekommen ist war so, dass ich 2014, da habe ich mich nicht so gut gefühlt während der Schulzeit, meine Noten wurden schlechter, ich hatte Streit mit meiner damaligen Freundin, ich war mit mir selbst unzufrieden und habe auch meine Eltern enttäuscht, weil es in der Schule nicht so gut lief. Dann kam die Idee mit dem Raubüberfall, so ist das Ganze dann entstanden. Was wir bzw. ich mir dabei gedacht habe.... Mir war zu dem Zeitpunkt, es war eine schwere Zeit, wo ich mit mir selbst zu kämpfen hatte, aber auch wenn es dumm klingt, ich hatte Ablenkung und mehr Geld, in die Richtung, man fühlt sich dadurch besser, man kann sich Sachen damit leisten und unantastbar sein, wie soll ich das beschreiben? Nach dem ganzen Vorfall, beim ersten Raub, warum ich damit danach nicht aufgehört habe, kann ich nicht sagen, es gab keine Konsequenzen, es ist nichts passiert. Beim zweiten Mal war es genauso, beim letzten Überfall habe ich es wirklich am eigenen Leib gespürt und habe verstanden, dass es falsch sei, ich habe gesehen, dass sich da wirklich was tut, dass die Polizei in der ganzen Stadt unterwegs ist. In dem Moment bin ich aufgewacht und habe eingesehen, dass das falsch ist. Danach hat sich das gelegt, es ist einige Zeit vergangen, ich kann nicht genau sagen, waren es eine oder zwei Wochen, da war dann die Polizei bei uns und hat mich mitgenommen. Ich habe sofort meine Taten gestanden, dann kam ich in Haft, ich war 9 Monate in XXXX in Haft, bis ich die Verhandlung inXXXX hatte, da habe ich die 4 Jahre bekommen, dann wurde in zurück nach XXXX geschickt, dann wurde ich nach XXXX geschickt, weil ich eine Ausbildung machen wollte, das war im XXXX, ich begann eine Lehre zu machen als Mechaniker.

 

R: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie etwas Unrechtes machen, haben Sie erste gesehen, als die Polizei durch die Stadt gefahren ist, aber nicht durch die Reaktion Ihrer Opfer?

 

BF: Natürlich habe ich mir auch darüber Gedanken gemacht, es war eigentlich alles zur selben Zeit, Polizei usw. ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wenn das meiner Schwester oder Mutter passieren würde.

 

R: Aber abgehalten hat Sie das offenbar nicht?

 

BF: Nein, bei der Tat nicht.

 

R: Offenbar auch bei den der ersten Tat nachfolgenden Tat nicht.

 

BF: Nein.

 

R: Haben Sie sich um persönliche Schadenswiedergutmachung gekümmert?

 

BF: Nein, aber in der Verhandlung haben die Opfer die anwesend waren, gemeint, wir hätten das nicht machen sollen. Das war das Opfer der ersten Tat, das war eher enttäuscht. Danach habe ich die Opfer gar nicht mehr gesehen.

 

R: Sie befanden sich seitXXXX 2014 in Untersuchungshaft in der Justizanstalt XXXX. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wurde Folge gegeben und Ihre Freiheitsstrafe wurde vom OLG XXXX mit Urteil vom 03.12.2014 auf VIER Jahre erhöht. Darin führte das OLG aus, dass Ihre Taten fraglos der Schwerstkriminalität zuzurechnen seien und sich bei Ihnen eine erhebliche kriminelle Energie sowie ein hoher Handlungs- und Gesinnungsunwert manifestiere. Die hohe Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens scheitere schon an der Vielzahl der Ihnen zur Last liegenden Tathandlungen. Sie wurden im XXXX 2015 in die Justizanstalt XXXX verlegt. Am XXXX wurden Sie bedingt aus der Strafhaft entlassen, am 16.02.2018 wurde die Bewährungshilfe aufgehoben. Möchten Sie zu Ihrer Anhaltung in Strafhaft und zur Bewährungshilfe etwas angeben?

 

BF: Als ich nach XXXX gekommen bin, habe ich die erste Zeit dort als Mechaniker gearbeitet, manchmal konnte man aus der Haft raus bzw. durfte für eine andere Firma draußen arbeiten. Es gibt bestimmte Lockerungsstufen, die zweite Lockerung ist, dass man in der Haft arbeiten gehen darf. Dann gab es die dritte Lockerung, da durfte man ohne Aufsicht von Beamten der JA draußen arbeiten. Man muss sich für die ganzen Lockerungen natürlich dementsprechend benehmen, man sammelt Unterschriften von den Psychologen, vom Stockchef, Sozialdienst, in der Werkstatt, wo man arbeitet, wenn man die ganzen Unterschriften hat, dann darf man die Lockerung beziehen. Jeden Samstag habe ich einen Abholerbesuch gehabt, d.h. ich durfte für 3 Stunden aus dem Gefängnis raus, meine Familienangehörigen durften mich abholen. Dann haben wir auch mit den Beamten Ausflüge gemacht, man musste dafür die Lockerungen haben, erst dann durfte man das, man konnte für ein paar Stunden Ausflüge machen bzw. ins Kino gehen oder Wanderungen machen. Im XXXX besuchte ich dann die Schule in XXXX und ich bin jeden Morgen aufgestanden, habe mich fertiggemacht, bin zum Bus, nach der Schule zurück ins Gefängnis, das ging bis XXXX, dann hatte ich währenddessen auch Ausgänge. Mit der 4. Lockerung durfte man viermal pro Monat 48 Stunden übers Wochenende das Gefängnis verlassen, zur Familie fahren und bei ihnen schlafen. Am XXXX wurde ich zur Hälfte der Strafe bedingt entlassen, ich habe danach meine Abschlussprüfung in der HANDELSSCHULE gemacht, die XXXX Klasse habe [ich] in der Zeit gemacht.

 

R: Sie haben nur die Schulbesuchsbestätigung betreffend die Handelsschule vorgelegt. Können Sie die Zeugnisse vorlegen?

 

BFV legt vor [...]

 

R: Sie befinden sich seit zwei Jahren auf freiem Fuß. XXXX 2016-XXXX2016 waren Sie arbeitslos gemeldet. Wo wohnen Sie seither und mit wem wohnen Sie zusammen?

 

BF: In der Zeit habe ich von Arbeitslosengeld gelebt und habe bei meinen Eltern gelebt.

 

R: Gemeldet sind Sie in der XXXX XXXX Laut Bewährungshilfebericht leben Sie in der XXXX. Was sagen Sie dazu?

 

BF: Ich wohne in der XXXX. Im Bewährungshilfebericht ist die Adresse falsch.

 

R: Laut dem Bewährungshilfebericht waren Sie ab HERBST 2016 im Vorbereitungskurs für die MATURA, wenn ich den Bericht richtig verstehe, konnte die Bewährungshilfe Sie nicht überzeugen, die MATURA zu machen. Stimmt das?

 

BF: Während der Zeit, war es so, dass ich mich gefragt habe, was ich weitermachen solle, weiter lernen, Schule machen oder arbeiten. Ich habe mich kurzfristig für einen Aufbaulehrgang angemeldet, dann habe ich einen Job gefunden und mich dort abgemeldet. Ich war bei der Firma XXXX als Logistikarbeiter, im Lager, das ist eine XXXX.

 

R: Seit XXXX arbeiten Sie geringfügig bei XXXX (XXXX). Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit!

 

BF: Das war ein Kellnerjob.

 

R: Seit XXXX arbeiten Sie geringfügig bei der XXXX (XXXX). Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit dort!

 

BF: Da war ich kurzfristig in der Verpackung, habe [XXXX] verpackt. Dann kurze Zeit später habe ich dort als Vollzeitarbeiter in der Logistik angefangen.

 

R: Laut dem Bewährungshilfebericht machen Sie den Führerschein, vorgelegt haben Sie nur XXXX. Was sagen Sie dazu?

 

BF: Ich haben den XXXX gemacht, beim Führerschein ist es so, dass ich noch Fahrstunden machen muss. Der Terminkalender ist voll, ich kann das erst nächsten Monat machen, ich habe sie schon bezahlt. Die Theorieprüfung habe ich bereits bestanden, das fehlt noch.

 

R: Können Sie Belege betreffend Ihre Erwerbstätigkeit vorlegen?

 

BF: Nein.

 

R: Gibt es keine Arbeitszeugnisse mehr?

 

BF: Ich habe ein Jahr bei der Firma XXXX gearbeitet. Das Dienstverhältnis wurde einvernehmlich aufgelöst, der Chef hat mir gesagt, dass der Oberrat der Firma gesagt hat, dass sie mich als Arbeiter nicht mehr brauchen, ich habe nach dem Grund gefragt, er hat mir gesagt, dass es keinen Grund gibt, das war es dann eigentlich auch. Ich war dann kurzfristig beim AMS gemeldet, zwei bis drei Wochen, jetzt habe ich wieder eine Arbeit.

 

R: D.h. bei der Firma XXXX waren Sie bis XXXX 2018 beschäftigt?

 

BF: Ja.

 

R: Die neue Beschäftigung ist im SV-Auszug noch nicht ersichtlich. Der Beginn des Arbeitsverhältnisses war der XXXX. [...] Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit.

 

BF: Ich arbeite im Lager, die Ware wir[d] einfoliert und ins Lager gebracht und eingescannt.

 

R: Beschreiben Sie mir Ihr Leben seit der Haftentlassung.

 

BF: Im sozialen Umfeld habe ich mich ganz normal wieder eingefunden, es gab auch während ich die Schule besucht habe, keine Probleme und Vorurteile. Ich habe die Schule fertiggemacht, ich bin zur Bewährungshilfe gegangen, zu der Zeit hatte ich gar keine Probleme gehabt oder gemacht.

 

R: Sie verbringen Ihre Freizeit laut dem Bewährungshilfebericht u.a. im XXXX. Beschreiben Sie Ihre Tätigkeit dort! Warum MMA?

 

BF: Das ist eine Sporttätigkeit - ein Kampfsport.

 

R: Warum gerade MMA, der in Verruf steht, besonders grausam und brutal zu sein?

 

BF: Ich bin nicht der Typ, der für Wettkämpfe geschaffen ist, für mich mache ich das, damit ich mich "auslassen" kann, ich mache das aber schon länger nicht mehr. Ich war nur kurz dort, momentan gehe ich gleich bei uns ins Fitnessstudio, fünf Minuten von uns entfernt.

 

R: Sind Sie sonst in Vereinen aktiv?

 

BF: Ich mache nur mehr Fitness, sonst gar nichts.

 

R: Laut dem Bewährungshilfebericht haben Sie Beziehungen sowohl in der tschetschenischen Community als auch außerhalb. Beschreiben Sie Ihre Beziehungen in der tschetschenischen Community!

 

BF: Das sind genauso Leute, die hier aufgewachsen sind, es ist nicht so, dass man jeden Tag unterwegs ist. Ab und zu gehen wir gemeinsam ins Fitnessstudio, ins Café, es ist nicht so, dass es nur tschetschenische Leute sind, es ist gemischt, multikulturell.

 

R: Haben Sie auch enge Freunde?

 

BF: Zurzeit habe ich eine wirklich engen Freund, der ist ALBANER, aber österr. Staatsbürger und hier geboren, mit dem bin ich meistens unterwegs, man trifft sich und geht gemeinsam ins Fitnessstudio oder ins Lokal und wir trinken etwas.

 

R: Laut Bewährungshilfebericht sind Sie seit XXXX 2017 nach traditionellem muslimischem Ritus verheiratet und leben mit Ihrer Frau bei Ihren Eltern. Beschreiben Sie die Beziehung! Wie haben Sie Ihre Frau nach muslimischem Ritus kennengelernt usw.!

 

BF: Wir haben uns durchs Internet kennengelernt, wir waren gemeinsam unterwegs, etwas trinken, spazieren, was soll ich dazu viel sagen?

 

R: Von wann bis wann waren Sie zusammen?

 

BF. Nach der Haft, nach 2016, vielleicht eineinhalb oder zwei Monate später haben wir uns kennengelernt. Im XXXX haben wir uns entschieden, zu heiraten, es hat nicht so lange gehalten, wir haben uns XXXX 2018 getrennt.

 

R: Wie heißt Ihre Exfrau? Welchen Aufenthaltsstatus hat sie?

 

BF: Sie ist Österreicherin, sie heißt XXXX, ihr Vater ist TÜRKE, ihre Mutter ist Österreicherin. Sie lebt in WIEN.

 

R: Eine Person dieses Namens war nie an Ihrer Adresse gemeldet!

 

BF: Wir hatten das vor, aber es ist nicht zustande gekommen. Sie ist bei mir eingezogen, ganz normal, wir hatten Pläne, dass sie sich meldet, aber bis das zustande gekommen ist, haben wir uns getrennt.

 

R: Wie ist Ihr aktueller Familienstand?

 

BF: Ich bin ledig, Single.

 

R: Können Sie den Beleg über die muslimische Eheschließung von der IGGÖ vorlegen?

 

BF: Nein, so etwas gibt's eigentlich nicht. Wir haben das nicht.

 

R: Warum nicht? Die IGGÖ [stellt] diese Heiratszertifikate aus.

 

BF: Wir hatten nie einen, wir können es jetzt nicht offiziell auf einem Blatt nachweisen.

 

R: Können Sie die Scheidung nachweisen?

 

BF: Nein.

 

R: Wie hat die Scheidung stattgefunden?

 

BF: Man sagt sich das persönlich.

 

R. War das eine Talaq-Scheidung?

 

BF: Das weiß ich nicht.

 

R: Haben Sie Unterhalts- oder Obsorgepflichten?

 

BF: Nein.

 

R: Laut der Stellungnahme vom 08.06.2018 leben in der Wohnung XXXX Sie, Ihre Eltern und drei Ihrer Geschwister. Welche Geschwister?

 

BF: Meine Eltern. 2 Brüder sind ausgezogen und meine Schwester XXXX ist verheiratet und hat jetzt ihre eigene Familie und ein Kind.

 

R: Und mit welchen Geschwistern leben Sie zusammen?

 

BF. Mein ältester Bruder ist auch ausgezogen.

 

R: Das ist XXXX?

 

BF: Ja.

 

R: Wer sind die anderen beiden Brüder, die ausgezogen sind?

 

BF: XXXXund XXXX.

 

R: Wer wohnt dann noch bei Ihnen?

 

BF: Meine jüngeren Geschwister XXXX, XXXX und XXXX und XXXX.

 

R: Lebt sonst noch wer in dieser Wohnung?

 

BF: Ja, XXXX und XXXX und XXXX.

 

R: Wer sind die?

 

BF: Das sind so wie meine Geschwister, alle drei, also Stiefgeschwister.

 

R: Ihr Vater hat XXXX in seinem Asyl als seine Lebensgefährtin bezeichnet.

 

BF: Die Kinder sind meine Stiefgeschwister das sind XXXX und XXXX. XXXX, ist meine Stiefmutter.

 

R: Beschreiben Sie die Wohnung! Wie groß ist sie?

 

BF denkt nach. Ich glaube 5 ZIMMER, sie ist ca. 180 m2 groß, sie hat 6 ZIMMER.

 

R: Wo leben Ihre Brüder XXXX und XXXX?

 

BF: XXXX lebt in XXXX, XXXX in XXXX.

 

R: Wie ist Ihre Beziehung zu den beiden?

 

BF: Ganz gut, wir sehen uns jeden Abend nach der Arbeit. Wir haben ein normales brüderliches Verhältnis.

 

R: Wie ist die Beziehung zu Ihrer Schwester XXXX, seit sie ausgezogen ist?

 

BF: Ganz normal, es gibt nichts Negatives, sie hat ihr eigenes Leben, ihre Familie, ein Kind. Sie besucht uns, kann sein, dass sie für einen Tag kommt, dass sie für eine Woche kommt, es gibt ständigen Kontakt, auch telefonisch.

 

R: Sie geben an, dass alle Ihre Brüder Russische Staatsangehörige sind, Ihr Bruder XXXXist den Akten zufolge österreichischer Staatsbürger. Können Sie das erklären?

 

BF: Er hat vor kurzem die österr., Staatsbürgerschaft bekommen.

 

R: Gibt es Beweismittel, die Sie vorlegen wollen und bisher nicht vorgelegt haben?

 

BF: Nein.

 

R: Hat sich seit der Beschwerdeerhebung sonst noch etwas an Ihren Verhältnissen in Österreich geändert, das Sie noch nicht angegeben haben?

 

BF: Es belastet mich sehr, dass ich jetzt in der Situation stehe, wie es mit meinem Asylstatus aussieht, das geht mir durch den Kopf und belastet mich schon psychisch sehr.

 

R: Was spricht gegen eine Rückkehr nach Tschetschenien?

 

BF: Ich bin hier in Österreich aufgewachsen, ich fühle mich hier zu Hause, ich würde sagen, ich bin ein toter Mann, wenn ich zurückkehre. Ich habe null Ahnung, wie es dort abläuft, ich habe keine Verwandten oder Familienangehörigen dort, die mir zur Seite stehen, ich habe dort keine Zukunft, ich habe mein Leben hier aufgebaut. Auch wenn ich manchmal falsche Wege eingeschlagen habe und gelernt, dass das falsch war, nicht jeder Mensch kann fehlerfrei sein und perfekt durchs Leben gehen, meine Heimat ist hier in Österreich und nicht in den Kriegsgebieten, wo täglich unschuldige Menschen entführt, gefoltert und getötet werden, deswegen ist es ... ich kann nicht viel dazu sagen, es ist schockierend.

 

R: Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Sie sind "ein toter Mann"?

 

BF: Menschen werden dort grundlos umgebracht. Auch wenn es nach den Papieren geht, dass dort nicht offiziell Krieg herrscht, ist trotzdem die Gefahr da und man kann kein ruhiges Leben führen, man hat ständig Angst, die Gefahr ist da, dass ständig etwas passiert, man hört Schüsse, Explosionen jeden Tag.

 

R: Was spricht gegen die Rückkehr in die Russische Föderation außerhalb Tschetscheniens?

 

BF: Wie gesagt, mein Leben ist hier in Österreich, ich habe hier meine Familie, hier die Schule abgeschlossen, ich bin hier, es ist meine Heimat, ich sehe nichts anderes, ich will einfach hier mein Leben in Ruhe und Frieden weiterleben. Ich bin das soziale Umfeld hier, die Sitten und Gebräuche und das multikulturelle Umfeld hier gewohnt, meine Freunde sind alle hier. Was soll ich sonst noch sagen.

 

R an BFV: Möchten Sie Fragen an den BF stellen?

 

BFV: Ja.

 

BFV: Haben Sie mit Ihren damaligen Komplizen noch Kontakt?

 

BF: Nein.

 

BFV: Haben Sie jetzt einen anderen Freundeskreis?

 

BF: Ja, habe ich, ich bin aber meistens mit einem Freund unterwegs, der macht gerade die HAK, noch eine Klasse, dann hat er auch die Matura.

 

BFV: Kennen Ihre Familienangehörigen, Ihre Freunde und Ihren Freund?

 

BF: Ja, er holt mich manchmal ab, wir gehen ins Fitnessstudio.

 

BFV: Haben Sie während oder nach Ihrer Haft an den Ursachen für die begangenen Straftaten gearbeitet?

 

BF: Ja, habe ich. Es war so, dass ich während der Haft dreimal pro Woche zur Psychologin gegangen bin, wir haben darüber gesprochen. Sonst in der Bewährungshilfe haben wir auch darüber gesprochen.

 

BFV: Wie lange haben Sie in der Haft die Psychologin aufgesucht?

 

BF: Ganz am Anfang, als ich noch in U-Haft war hat sie mich schon ein paar Mal in der Woche gerufen u. gesehen, es war psychisch wirklich eine schwere Zeit und nach dem Urteil, als ich nach XXXX gekommen bin, hat mich eine andere Psychologin einmal pro Woche betreut, Sozialpädagogen haben mich auch besucht und Bewährungshilfe, das wars.

 

BFV legt vor: Email der Bewährungshelferin vom 22.06.2018.

 

R: Das Email wird zum Akt genommen.

 

BFV: Beantragt wird die Einvernahme der Bewährungshelferin.

 

R: Ist diese präsent erschienen?

 

BFV: Nein.

 

R: Die Verhandlung wird nicht vertagt, Ihnen wird eine Frist von vier Wochen zur Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme durch die Bewährungshelferin eingeräumt.

 

BFV: Ich würde die Bewährungshelferin sehr gerne hören, sie hat genaue Kenntnisse des BF.

 

R: Das Gericht verschafft sich selbst einen Eindruck vom BF. Die Bewährungshelferin ist diesbezüglich nur eine Zeugin aus "zweiter Hand".

 

BFV: Wie hat Ihre Familie auf Ihre Straftaten reagiert?

 

BF: Alle waren schockiert, sie hatten auch eine schwere Zeit hinter sich, sie haben alle nicht erwartet, dass ich so etwas mache. Sie hatten alle eine psychische Belastung, es war sehr schlimm. Meine Mutter hat täglich geweint, meine Geschwister auch. Es war eine sehr, sehr schwere Zeit für meine Familie, sie waren während der Haft für mich da.

 

R: Wurde richtig protokolliert, was Sie vorher angegeben haben?

 

BF und BFV: Ja.

 

[...]

 

Befragung der [Zeugin] Z3

 

R: Bitte geben Sie Ihren vollen Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Staatsangehörigkeit an.

 

Z3: XXXX, XXXX geboren, StA Russland.

 

R: In welcher Beziehung stehen Sie zum BF?

 

Z3: Er ist mein Bruder.

 

[...]

 

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

 

Z3: Deutsch, Russisch, Muttersprache Tschetschenisch.

 

R: In welcher Sprache wünschen Sie die Einvernahme?

 

BF: Auf Deutsch, wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich die D nach.

 

Die Einvernahme wird in deutscher Sprache durchgeführt, auf Grund der guten Deutschkenntnisse der Z3.

 

R: Welche Sprache sprechen Sie innerhalb der Familie, dh mit Ihren Eltern und Geschwistern?

 

Z3: Tschetschenisch, Deutsch, eigentlich alle drei Sprachen.

 

R: Sind Sie verheiratet? Wenn ja: seit wann und mit wem?

 

Z3: Ja, seit XXXX bin ich standesamtlich verheiratet mit XXXX.

 

R: Welche Staatsangehörigkeit hat Ihr Mann?

 

Z3: Russisch. Er ist Asylberechtigter wie ich.

 

R: Haben Sie Unterhalts- oder Obsorgepflichten?

 

Z3: Ich habe ein Kind, es ist vorgestern zwei Jahre geworden.

 

R: Welche Ausbildung haben Sie gemacht in Österreich?

 

Z3: Ich bin in die Hauptschule gegangen und dann in die MODESCHULE in XXXX.

 

R: Welchen Beruf üben Sie aus?

 

Z3: Im Moment gar nichts, zuvor habe ich auch nichts gemacht, weil ich seit 2015 mit meinem Mann traditionell verheiratet bin, davor war ich in der MODESCHULE.

 

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

 

Z3: Mein Mann arbeitet.

 

R: Haben Sie jemals um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht?

 

Z3: Nein.

 

R: Haben Sie Sorgepflichten betreffend Ihre Eltern oder Geschwister?

 

Z3: Nein.

 

R: aus welchem Grund ist Ihr Mann asylberechtigt?

 

Z3: Das weiß ich nicht.

 

R: Waren Sie in Österreich jemals einer Gefährdung ausgesetzt?

 

Z3: Nein.

 

R: Bis XXXX 2015 lebten Sie ausweislich des ZMR mit Ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt, mit dem Beschwerdeführer bis zu dessen Haftantritt. Ist das richtig?

 

Z3: Ja.

 

R: Wo waren Ihre Brüder XXXX und XXXX XXXX-XXXX 2013? Das ist das Jahr vor der Verhaftung Ihres Bruders, die vier Monate vor dem RAMADAN!

 

Z3: Sie waren eh bei uns zu Hause.

 

R: Wie ist der Kontakt und die Beziehung zu Ihrem Bruder XXXX, seit Sie in XXXX leben, XXXX 2017?

 

Z3: Ganz gut, sehr gut sogar, wir chatten jeden Tag, er ist jetzt arbeiten und hat auch nicht so viel Zeit, wenn ich nachXXXX fahre zu meinen Eltern, dann unterhalten wir uns, sonst schreiben wir in WhatsApp, ich kann ihn jederzeit fragen, er hilft mir gerne, die Beziehung ist sehr gut, sehr vertrauensvoll.

 

R: Wobei brauchen Sie Hilfe?

 

Z3: Wenn ich etwas nicht verstehe, kann ich ihn jederzeit fragen. Es sind auch Kleinigkeiten, wo man Hilfe braucht.

 

R: Sie sind 2010 im Alter von 14 Jahren nach Österreich eingereist. Beschreiben Sie Ihre Reise von Ihrem Herkunftsstaat nach Österreich!

 

Z3: Meine Oma hat mich in die UKRAINE gebracht, meine Mutter ist in die UKRAINE gekommen und hat mich von dort abgeholt.

 

R: Asyl wurde Ihnen bereits vor der Einreise aufgrund Ihres Asylantrages vom 7.11.2005 durch den Bescheid vom 3.6.2006 gewährt, wo haben sie zwischen 2006 und 2010 gelebt?

 

Z3: Bei meiner Oma in der Russ. Föderation, in XXXX, in der Stadt

XXXX.

 

R: Mit wem haben Sie in XXXX zusammengelebt?

 

Z3: Mit meiner Oma und mit meinem Opa, der ist, glaube ich, 2006, gestorben, ich kann mich wirklich nicht daran erinnern.

 

R: Haben Sie sonst noch Verwandte in der Russ. Föderation?

 

Z3: Ich weiß nichts, da müssen Sie meine Eltern fragen.

 

R: Haben Sie noch zur Oma Kontakt?

 

Z3: Nein, sie ist ein Jahr nach meiner Ausreise verstorben.

 

R: Sie sind XXXX geboren. 2003 ist Ihre Mutter mit Ihren Brüdern ausgereist. Warum wurden Sie zurückgelassen?

 

Z3: Weil ich bei meiner Oma zu dem Zeitpunkt war, als meine Mutter ausgereist ist, wusste ich das nicht. Sie war zu dem Zeitpunkt woanders. Sonst hat sie schon mit uns zusammengelebt bzw. ich habe mit meiner Familie zusammengelebt.

 

R: Beschreiben Sie Ihr Leben in der Russischen Föderation 2003 bis zu Ihrer Einreise nach Österreich! Wo und mit wem haben Sie gelebt, welche Ausbildung haben Sie gemacht? Wie waren Ihre Lebensumstände?

 

Z3: Ich ging in die Schule, sonst habe ich außer Schule nichts gemacht. Es war auch nichts zu machen.

 

R: Waren Sie selbst jemals einer Gefährdung ausgesetzt?

 

Z3: Mir ist nichts bekannt, ich weiß es nicht.

 

R: Haben Sie Ihre Eltern zwischen 2003 und 2010 nochmals gesehen?

 

Z3: Nein, niemals bis 2010 nicht.

 

R: Lt. Dem Akt ist Ihr Vater 2004 zurückgekehrt, weil sein Vater krank war, haben Sie ihn da auch nicht gesehen?

 

Z3: Ich weiß nichts davon.

 

R: Waren Sie nach 2010 jemals wieder in der Russischen Föderation?

 

Z3: Nein.

 

R: Was würde dagegensprechen, den Kontakt zu Ihrem Bruder in der Russischen Föderation aufrechtzuerhalten?

 

Z3: Es ist dort sehr gefährlich, dort werden vor allem einfach so Menschen umgebracht, v.a. Jugendliche, damit meine ich junge Männer bis ca. 30, auch manchmal ältere.

 

R: Haben Sie Fragen an die Zeugin?

 

BFV: Nein.

 

[...]

 

Befragung der [Zeugin] Z2

 

R: Bitte geben Sie Ihren vollen Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Staatsangehörigkeit an!

 

Z2: XXXX, XXXX geboren, russ. Föderation.

 

R: In welcher Beziehung stehen Sie zum BF?

 

Z2: Er ist mein Sohn.

 

[...]

 

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

 

Z2: Russisch, Tschetschenisch und Deutsch.

 

R: In welcher Sprache soll die Einvernahme durchgeführt werden?

 

Z2: In Deutsch, manche Wörter verstehe ich nicht, aber sonst auf Deutsch.

 

Die Einvernahme wird in deutscher Sprache durchgeführt.

 

R: Welche Sprache sprechen Sie innerhalb der Familie?

 

Z2: Russisch, Deutsch und Tschetschenisch, alle.

 

R: Welche Ausbildung haben Sie gemacht?

 

Z2: Ich bin von Beruf Buchhalterin, das entspricht einer HAK/HAS-Ausbildung hier.

 

R: Welchen Beruf üben Sie aus?

 

Z2: Momentan keinen. Ich bin arbeitssuchend.

 

R: Was haben Sie in Österreich schon gearbeitet?

 

Z2: Ich habe als Putzfrau gearbeitet.

 

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

 

Z2: Ich beziehe die Mindestsicherung, Sozialhilfe.

 

R: Für wen sind Sie obsorge- und unterhaltspflichtig?

 

Z2: für die kleinen Kinder, ich habe mj. Kinder.

 

R: Sind Sie gesund oder pflegebedürftig?

 

Z2: Ich bin gesund.

 

R: Und Ihre Kinder? Sind die gesund oder pflegebedürftig?

 

Z2: Sie sind gesund, ich habe aber immer ein bisschen Probleme mit meiner kleinen Tochter. Sie hat Probleme mit der XXXX, XXXX und XXXX, seit sie drei Jahre alt ist. Wir gehen oft, zwei- dreimal im Jahr zur Kontrolle ins AKH, sie hat fast ständig diese Probleme mit der XXXX.

 

R: Haben Sie jemals um die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft angesucht?

 

Z2: Nein.

 

R: Seit seiner Haftentlassung wohnt der Beschwerdeführer wieder mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt. Stimmt das?

 

Z2: Ja.

 

R: Beschreiben Sie Ihre Beziehung zu XXXX, XXXX und XXXX!

 

Z2: XXXX und XXXX sind die Kinder meines Mannes, XXXX ist die Lebensgefährtin.

 

R: Wie ist Ihre Beziehung zu ihnen?

 

Z2: Es ist eine ganz normale Beziehung.

 

R: Wenn es Probleme in der Familie gibt, helfen Ihnen XXXX und Ihr Mann auch?

 

Z2: Ja, wir versuchen uns gegenseitig zu helfen.

 

R: Wo waren Ihre Söhne XXXXundXXXX XXXX-XXXX 2013? Das ist das Jahr vor der Verhaftung Ihres Sohnes XXXX, die vier Monate vor dem RAMADAN!

 

Z2: Sie waren beim XXXX angemeldet.

 

R: Wo haben Sie gewohnt?

 

Z2: Bei uns.

 

R: Warum waren Sie dann nicht mehr bei Ihnen angemeldet?

 

Z2: Sie wollten ihr eigenes Geld haben. Wie soll ich das sagen? Sie wollten eigenes Geld haben, sie haben das so entschieden, aber dann haben sie entschieden, dass das nicht richtig ist.

 

R: Wo waren Ihre Söhne XXXX und XXXX XXXX 2005-XXXX 2006?

 

Z2: Das wundert mich, zuerst haben wir in XXXX gewohnt, danach sind wir nördlich gezogen und zwar alle. Wir waren immer zusammen, es wundert mich, dass sie nicht so gemeldet sind. Ich sollte zu Hause alle Meldezettel haben.

 

R: Wie ist der Kontakt und die Beziehung zu Ihrem Sohn XXXX, seit er aus der Haft entlassen wurde?

 

Z2: Wir haben eine sehr gute Beziehung, für mich war das sehr schwer als mein Sohn verhaftet wurde, ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe ihn immer vermisst, es war wirklich eine schwierige Zeit für mich, ich war sehr froh, als er entlassen wurde. Für mich war das wirklich schrecklich, die Zeit, die mein Sohn dort verbracht hat, ich war wirklich froh, als er wieder zu Hause war. Für eine Mutter ist es sehr schwer.

 

R: Fragewiederholung.

 

Z2: Er ist ein liebes Kind, ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll, er ist ein guter Junge. Ehrlich gesagt, kann ich es nicht erklären, wie es dazu gekommen ist.

 

R: Wie schaut Ihr Verhältnis jetzt aus, machen Sie den Haushalt für ihn, unterstützt er Sie...?

 

Z2: Er arbeitet, nach der Arbeit kommt er nach Hause, wir sitzen oft zusammen und reden miteinander, essen zusammen, dann geht er ins Fitnesscenter, daneben ist er im Park, dorthin geht er auch viel, manchmal gehen wir auch zusammen weg, gehen gemeinsam spazieren, zwischen einem Sohn und einer Mutter kann die Beziehung nur gut sein. Ich sehe ihn nur von der positiven Seite.

 

R: Haben Sie weitere Verwandte in Österreich?

 

Z2: Nein.

 

R: Welche Verwandten haben Sie noch in der Russischen Föderation?

 

Z2: Mein Bruder ist dort, dann auch noch weitschichtige Verwandte, sonst habe ich keine. Meine Mutter ist gestorben, mein Vater, meine Schwiegermutter und mein Schwiegervater.

 

R: Was meinen Sie mit weitschichtige Verwandte?

 

Z2: Sie wissen wahrscheinlich, wie es bei uns in Russland ist.

 

R: Meinen Sie damit Großtanten, Großonkeln, Großcousins, etc.-?

 

Z2: Großonkel gibt es keine mehr sie sind alle gestorben.

 

R: Wo lebt Ihr Bruder und wie halten Sie mit ihm Kontakt?

 

Z2: Wir schreiben ab und zu WhatsApp, sonst nichts.

 

R: Wie geht es Ihrem Bruder?

 

Z2: Er lebt dort mit seiner Familie.

 

R: Waren Sie jemals in Österreich einer Gefährdung ausgesetzt?

 

Z2: Nein.

 

R: Waren Sie jemals seit 2004 jemals wieder in der Russischen Föderation?

 

Z2: Nein.

 

R: Sind Sie sonst jemals aus Österreich ausgereist, wann und warum?

 

Z2: Ja, 2010, ich bin in die UKRAINE gegangen, um meine Tochter zu holen.

 

R: Warum ist Ihre Tochter XXXXin Russland geblieben, als Sie ausgereist sind?

 

Z2: Als ich weggefahren bin, war sie bei ihrer Großmutter, ich konnte sie zu dem Zeitpunkt nicht mitnehmen, meine Kinder waren damals in Gefahr.

 

R: Wo haben sie 1994 bis zur Ausreise gelebt?

 

Z2: Es ist schwierig das jetzt anzugeben, weil es sind viele Jahre jetzt vorbei und wir so viel Stress hatten. Damals gab es auch sehr viele Unannehmlichkeiten, wir haben sehr viel erlebt.

 

R: Seit der BF ins schulpflichtige Alter kam - 2000 - wo haben Sie da gelebt?

 

Z2: In der Zeit haben wir in XXXX gelebt, sogar früher schon, vorher haben wir in XXXX gelebt, bei meinem Onkel. Dann, als die Ereignisse begannen, haben alle XXXX verlassen. Wir haben dann in XXXX gelebt, da waren wir fast bis zur Ausreise. Meine Eltern haben damals in XXXX gelebt. Als es dann dort gefährlich wurde, bin ich nach XXXX gefahren und XXXX ist bei der Großmutter geblieben, von XXXX bin ich dann mit den Jungs ausgereist.

 

R: D.h. der BF hat die gesamte Schule inXXXX gemacht?

 

Z2: Ja.

 

R: Wie lange waren sie vor der Ausreise noch in XXXX?

 

Z2: Vielleicht zwei, drei Tage.

 

R: Was würde dagegensprechen, den Kontakt zu Ihrem Sohn in der Russischen Föderation aufrechtzuerhalten?

 

Z2: Man darf ihn auf keinen Fall dorthin schicken, weil es dort gefährlich ist. Jeden Tag sterben dort die jungen Leute, die Menschen werden dort ständig umgebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dort lebt.

 

R: Was wäre, wenn er in einen anderen Ort in der Russ. Föderation ziehen würde?

 

Z2: Russland ist als ganzer unsicher, jeder Ort ist gleich. Für die Tschetschenen ist es wirklich so, es ist egal, wo in Russland, man kann ihn überall finden.

 

R: Wer sollte ihn suchen?

 

Z2: Damals, als wir geflüchtet sind, wie soll ich das sagen? Die Polizei, die Behörden, jetzt sind die Behörden dort die Banditen, sie können jederzeit kommen, sie sind maskiert, es ist schrecklich, was sich dort abspielt, man kann es nicht beschreiben, was mit jungen Menschen dort passiert.

 

R: Meine Frage war, wer und warum sollte man ihn suchen?

 

Z2: Die Leute, die damals meinen Mann gesucht haben, die Lage ist dort auch sehr angespannt.

 

R: Was würde passieren, wenn Sie in die Russische Föderation reisen würden?

 

Z2: Ich weiß es nicht.

 

R: Haben Sie Fragen an die Zeugin?

 

BFV: Ja.

 

BFV: Haben Sie mit den Kindern nach der Einreise nach Österreich über Details des Fluchthintergrundes gesprochen?

 

Z2: Die Kinder wissen nichts, sie wissen nur, dass wir von dort von irgendwelchen Leuten verfolgt wurden.

 

BFV: Von der er Art und Weise, wie Sie Ihre Dokumente erlangt haben, wissen Ihre Kinder nichts?

 

Z2: Nein.

 

R: In den vorgelegten Dokumenten von Ihnen und Ihren Kindern steht, dass Sie INGUSCHEN sind. Sind Sie INGUSCHEN oder Tschetschenen?

 

Z2: Ich bin Tschetschenin.

 

R: Was sind Ihre Eltern?

 

Z2: Meine Mutter war Russin, mein Vater war Tschetschene.

 

R: Warum steht dann in den Dokumenten INGUSCH[I]N?

 

Z2: In der russ. Föderation ist es sehr leicht solche Dokumente zu kaufen, wir haben in XXXX gelebt bei meinen Eltern, damals war es so, dass, wenn ein Tschetschene eine Frau mit anderer Volksgruppenzugehörigkeit hatte, dann.... deswegen lebten wir in XXXX. Wir haben diese Dokumente gekauft, wir wollten auch deswegen, dass INGUSCHEN draufsteht, weil wir ja nachher nach XXXX gefahren sind.

 

R: Haben Sie auch Dokumente, die Sie nicht gekauft haben?

 

Z2: Wir hatten damals die russ. Pässe, das waren unsere, nicht gekauft, als wir von Polen nach Tschechien gingen, haben wir die Dokumente verloren.

 

BFV: Kennen Sie die Freunde Ihres Sohnes?

 

Z2: Ja, er heißtXXXX, er kommt oft zu uns, er ist der beste Freund von XXXX, er ist ein guter Junge. Es kommen mehrere zu uns, meiner Meinung nach sind die alle gut.

 

BFV: sind das dieselben Freunde, wie vor der Verurteilung?

 

Z2: Nein, er hat jetzt neue Freunde. Er ist ein sehr kommunikativer Mensch, er mag die Menschen.

 

BFV: Waren Sie bei der Eheschließung Ihres Sohnes anwesend?

 

Z2: Es hat eine Hochzeit gegeben nach unseren Gebräuchen.

 

BFV: Wo fand diese statt?

 

Z2: Bei uns zu Hause.

 

BFV: Wurde da eine Heiratsurkunde ausgestellt?

 

Z2: wie soll ich das erklären, das ist eine Ehe nach dem muslimischen Ritus. Bei uns wird das alles bei der Hochzeit erledigt, es kommt ein religiöser Mann, er fragt die beiden, wie bei der Kirche. Ich muss in diesem Moment aber nicht dabei sein. Die Eheschließung hat bei uns zu Hause stattgefunden. Bei uns ist das so. wenn man eine Urkunde haben will, muss man zur Behörde, zum Standesamt, das macht man bei uns nachher.

 

BFV: Vertraut sich Ihr Sohn Ihnen an?

 

Z2: Er hat Vertrauen zu mir. Vielleicht erzählt er mir nicht alles.

 

BFV: Spricht er mit Ihnen über seine Sorgen?

 

Z2: Ja, er erzählt mir von seinen Sorgen. Ihm ist bewusst, was er da mit dem Raub getan hat. Er sagt mir die ganze Zeit, dass er nicht versteht, wie es dazu gekommen ist und es ihm leidtut, für ihn ist es auch sehr schwer. Die Zeit, die er dort verbracht hat, ist eine gestohlene Zeit, das war nicht notwendig. Er spricht ständig darüber mit mir.

 

BFV: Ist Ihnen eine Verhaltensveränderung seit der Entlassung Ihres Sohnes bei ihm aufgefallen?

 

Z2: Er war niemals ein schlechter Sohn, ehrlich nicht, deshalb waren wir auch sehr verwundert, als wir das erfahren haben. Ich kann es bis jetzt nicht erklären.

 

BFV: Hat die Haft oder die Therapie Ihren Sohn verändert?

 

Z2: Es hat jedenfalls keine negative Veränderung gegeben.

 

BFV: Sonst keine Fragen mehr.

 

BF: Ich habe auch keine Fragen an meine Mutter.

 

Z2: Er wurde erwachsener und klüger.

 

[...]

 

Befragen des Zeugen Z1 [...]

 

R: Bitte geben Sie Ihren vollen Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Staatsangehörigkeit an.

 

Z1: XXXX, russ. StA, geboren am XXXX.

 

R: In welcher Beziehung stehen Sie zum BF?

 

Z1: Er ist mein Sohn.

 

[...]

 

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

 

Z1: Russisch, Tschetschenisch und ein bisschen Deutsch.

 

R: Welche Sprache sprechen Sie innerhalb der Familie?

 

Z1: Tschetschenisch, das ist meine Muttersprache oder manchmal Russisch.

 

Der Z1 verfügt über geringe Deutschkenntnisse, daher erfolgt die Einvernahme in Russisch.

 

R: Dem Beschwerdeführer wurde Asyl gewährt, weil Sie im ersten Tschetschenienkrieg für tschetschenische Kämpfer tätig waren, indem Sie Waffen, Munition, Lebensmittel und Zigaretten besorgten und Verletzte beherbergten. 1998 wurden Sie von Unbekannten entführt und gegen Lösegeldforderungen wieder freigelassen. Danach zogen Sie mehrfach um und lebten ab 2002 in XXXX, wo Sie erneut zusammengeschlagen und mitgenommen wurden. Sie konnten entkommen und lebten ab 2003 wieder bei der Familie in XXXX. Nach mehreren Ladungen durch den FSB flüchteten Sie. Trifft das zu?

 

Z1: Ja.

 

R: Sie wollten vorhin etwas anmerken, dass etwas nicht stimmt?

 

Z1: 2002 habe ich nicht mehr in XXXX gelebt, ich war da aber hin und wieder. Aufgrund der Informationen, über die ich verfüge, ist es bis jetzt noch sehr gefährlich dort. 1992 gab es dort einen Konflikt zwischen XXXX und XXXX, auch XXXX waren involviert. Früher gab es eine XXXX Republik, das sind zwei Brüdervölker, dann als es den Konflikt gab, sind die Tschetschenen hingegangen, um zu helfen, ich wurde in XXXX geboren, so heißt die Ortschaft heute, damals hieß sie XXXX. Auch jetzt lebt man dort wie auf einem Pulverfass, das ist ein nationaler Konflikt. Ich weiß nicht, inwiefern das die Tschetschenen betrifft. 2001 bin ich hingefahren, mit mir ist ein Mann, ein Tschetschene hingefahren aus XXXX, wir waren in einem Taxi. Ich wurde durchgelassen, aber von ihm kassierte man Geld, die Polizei hat Geld kassiert, als Begründung, weil du unsere Erde betrittst, so war die Politik, damals auch.

 

R: Stimmt an den Feststellungen Ihres Sohnes etwas nicht oder war das, was ich vorhin vorgelesen habe richtig oder falsch?

 

Z1: Es war richtig, ich möchte nur anmerken, dass ich damals dort nicht gelebt habe. Ich war dort hin und wieder.

 

R: Sie haben vorhin von Informationen gesprochen, die sie haben, was meinen Sie damit?

 

Z1: Vom Internet und den Menschen, die dort leben, per Telefon.

 

R: Was meinen Sie damit, können Sie mir das erklären?

 

Z1. Auf YouTub, gibt es oft Informationen.

 

R: D.h. die Informationen, die Sie angesprochen haben, haben Sie über YouTube? Stimmt das?

 

Z1: Ja, aber für mich ist das eine glaubwürdige Information, weil ich selbst weiß, wie die Lage dort ist.

 

R: Sie sagen, dass Sie Informationen von Menschen, die dort leben, über Telefon haben. Mit wem haben Sie in der Russ. Föderation Telefonkontakt?

 

Z1: Nicht von der Russ. Föderation, ich aber einen Freund, wir haben gemeinsam die Schule besucht, er lebt in KASACHSTAN, seine Geschwister im XXXX.

 

R: D.h. die telef. Informationen haben Sie von Ihrem Freund aus KASACHSTAN?

 

Z1: Ich frage ihn einfach, wie es ihm geht, es ist nicht so, dass ich auf Informationen auf ihn warte. Wie man das halt gewöhnlich so macht, ich bin dort auch aufgewachsen. Die Banditen haben dort Polizeiuniformen angezogen und sind als Polizei tätig. Das bezieht sich auch auf andere Behörden, zB den FSB.

 

R: Mit Bescheid vom 10.08.2005 wurde Ihnen Asyl gewährt. Sie leben seit mehr als 10 Jahren in Österreich. Haben Sie jemals um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht?

 

Z1: Nein.

 

R: Sind Sie oder Ihre Familienangehörigen seit der Asylgewährung jemals in die Russische Föderation zurückgekehrt?

 

Z1: Nein, meine Frau war in der UKRAINE.

 

R: Waren Sie in Österreich jemals einer Gefährdung ausgesetzt?

 

Z1: Nein.

 

R: Wurde jemals Ihre Auslieferung in die Russische Föderation begehrt?

 

Z1: Nein.

 

R: Sind Sie oder Ihre Familienangehörigen in Österreich exilpolitisch tätig?

 

Z1: Nein.

 

R: Engagieren Sie sich in der Russischen Föderation politisch - zB über Internet?

 

Z1: Nein.

 

R: Sind Sie journalistisch tätig?

 

Z1: Nein, ich kann das gar nicht, ich bin ein Agronom.

 

R: Propagieren Sie oder Ihre Familienangehörige den fundamentalistischen Islam oder stehen in Verdacht, das zu tun?

 

Z1: Nein.

 

R: Welche Ausbildung haben Sie in Österreich gemacht?

 

Z1: Ich bin SCHWEISSER.

 

R: Welchen Beruf üben Sie aus?

 

Z1: Ich arbeite noch nicht. Ich habe erst Kurse abgeschlossen, jetzt im XXXX. Vorher hat man mir keine Kurse gegeben. Ich habe aber in XXXXbei XXXX gearbeitet.

 

R: Was haben Sie dort gemacht?

 

Z1: Ich habe GURKEN und TOMATEN gegossen und geschaut, dass sie wachsen.

 

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

 

Z1: Von Österreich.

 

R: Sie sind verheiratet mit XXXX. Ist das korrekt?

 

Z1: Ja.

 

R: Für wen sind Sie obsorge- und unterhaltspflichtig?

 

Z1: Meine Kinder, meine Frau, das ist glaube ich alles.

 

R: Leisten Sie auch Ihrer Lebensgefährtin Unterhalt?

 

Z1: Wenn sie etwas braucht und ich das Geld habe, gebe ich es ihr.

 

R: Sind Sie gesund oder pflegebedürftig?

 

Z1: Pflegebedürftig bin ich nicht, aber ich nehme jeden Tag wegen XXXX Tabletten ein, die arbeitet nicht.

 

R: Und Ihre Kinder? Sind die gesund oder pflegebedürftig?

 

Z1: Ich glaube, dass fast alle gesund sind, aber die jüngste Tochter ist oft im Krankenhaus. Meine Frau wurde von der Arbeit entlassen, weil sie mit der Tochter im Krankenhaus war, sie wollte nur mit ihrer Mutter dortbleiben, sie war noch klein, ansonsten sind wir alle gesund.

 

R: Sind Sie in irgendeiner Form vom BF abhängig?

 

Z1: Nein, aber es gibt eine Abhängigkeit der Blutsverwandtschaft, er ist mein Sohn, ich glaube, dass das normal ist.

 

BFV: Leistet Ihnen der BF Unterhalt?

 

Z1: Wenn er Geld verdient und arbeitet, dann gibt er das, was er kann und will, dann hilft er. Jedenfalls wird er von uns diesbezüglich nicht unter Druck gesetzt. Wenn die Familie groß ist, muss ja jeder erhalten werden, man sagt hier, dass das schwer ist, man kann nicht jeden ständig beobachten, wenn die Familie groß ist. Sie sind schon erwachsen, jeder muss selber wissen, was er tut, wenn sie Ratschläge brauchen, gebe ich diese. Ich bin selber kein Professor, ich helfe so gut ich kann mit Worten und Taten.

 

R: Werden Sie auch finanziell von Ihren Söhnen XXXX und XXXX unterstützt?

 

Z1: Sie haben Ihr eigenes Leben, sind verheiratet, der eine Sohn hat eine Wohnung gemietet und hat ein Auto, das kostet auch Geld. Für uns reicht das für das Brot.

 

R: Seit seiner Haftentlassung wohnt der Beschwerdeführer wieder mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt. Stimmt das?

 

Z1: Ja.

 

R: Welchen Aufenthaltsstatus haben XXXX und die gemeinsamen Kinder?

 

Z1: Auch so, einen positiven Bescheid.

 

R: Aus welchem Grund haben XXXX und XXXX die Russische Föderation verlassen?

 

Z1: Anfang war es so, es gab Probleme. Ich habe sie weggeschickt, damit sie wegfährt, dann bin ich selbst weggefahren, weil man mich ergriffen hat, das war alles meinetwegen. Für die Leute war es egal, dass es eine Frau war, Ihnen ist es egal, ob es Frauen oder Männer sind.

 

R: Sehe ich es richtig, dass XXXX ihretwegen und nicht aus anderen Gründen ausgereist ist?

 

Z1: Wahrscheinlich meinetwegen, weil sie einen Bezug zu mir hat, sie wurden meinetwegen nicht in Ruhe gelassen.

 

R: Sehe ich es richtig, dass Sie bereits im XXXX 2003 aus XXXX ausreisten, alleine versuchten nach Österreich einzureisen, während der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in POLEN war und Ihre Lebensgefährtin in Österreich. Dann kehrten Sie, weil Sie vom schlechten Gesundheitszustand Ihres Vaters gehört hatten, über POLEN im XXXX 2004 nach XXXX zurück. Im XXXX 2004 reisten Sie wieder aus. Stimmt das?

 

Z1: Nein.

 

R: Was stimmt nicht?

 

Z1: Im XXXX 2004 war ich schon in Österreich, das war im WINTER, im XXXX oder XXXX. Ich habe angerufen, man hat mir gesagt, dass es meinem Vater schlecht geht, ich war damals in POLEN, also fuhr ich von dort nach Hause. Ich dachte, dass sich die Probleme meinetwegen vielleicht gelöst haben, aber es war nicht so, deshalb musste ich wieder wegfahren, das war ca. im XXXX, da war ich schon in POLEN, im XXXX, XXXX, es war noch nicht warm. Im XXXX 2004 bin ich hierhergekommen.

 

R: Von wann bis wann waren Sie jetzt konkret in XXXX?

 

Z1: 1992 und dann war ich in XXXX, ich weiß es jetzt nicht genau. Ich weiß, dass ich 1992 ein Haus in XXXX gekauft habe. Bis

2003.......

 

R: D.h. Sie haben bis 2003 in XXXX gewohnt, stimmt das?

 

Z1: Wir waren auch in XXXX, meine Eltern waren in XXXX, ich bin nach XXXXgefahren, dort lebte der Onkel meiner Frau. Bei uns gibt es viele Verwandte, bei uns gelten die Nachbarn als Verwandte. In XXXX gab es eine Wohnung, wir haben dort eine Wohnung gekauft, wir haben für die Wohnung zusammengelegt, es begann aber wieder Krieg und wir sind nach XXXX übersiedelt bis zum Jahr 2003 haben wir dort gelebt, es kann sein, dass ich dazwischen für eine Woche wohin gefahren bin, ich war auch in Tschetschenien, ich habe dort geholfen, es war Krieg, es war alles in Bewegung.

 

R: Wie lange waren Sie in XXXX, als Sie wegen Ihres kranken Vaters zurückgekehrt sind?

 

Z1: Ich kann mich nicht erinnern, aber nicht sehr lange, ich habe meinen Vater nur einmal gesehen und bin dann wieder weggegangen. In XXXX war ich nur drei Tage lang, dann bin ich von einem Verwandten zum anderen bzw., von einem Bekannten zum anderen.

 

R: wie lange waren Sie ca. wieder im XXXX?

 

Z1: Vielleicht eine Woche oder zwei.

 

R: Wo liegt Ihr Heimatort XXXX? Mal geben Sie XXXX an, mal XXXX!

 

Z1: Wann habe ich gesagt, dass es in XXXX ist?

 

R: Das kam in Ihrem Akt vor.

 

Z1: Vielleicht habe ich gesagt, dass das früher einmal eine XXXX Republik war, jetzt ist das in XXXX, jetzt ist das getrennt.

 

R: Seit Sie nach Österreich eingereist sind, leben Sie mit dem BF, seiner Mutter und seinen Geschwistern zusammen, stimmt das?

 

Z1: Ja.

 

R: Wo waren Ihre Söhne XXXX und XXXX XXXX 2005-XXXX 2006?

 

Z1: Zu Hause.

 

R: Warum hatten Sie zu dem Zeitraum keine Meldeadresse?

 

Z1: Das kann nicht sein, ich glaube nicht, dass sie damals nicht angemeldet waren, sie waren immer dort angemeldet, wo wir lebten. Meldezettel hatten wir auch immer, ich glaube, dass wir auch jetzt alte Meldezettel zu Hause liegen haben. Sie waren ja noch klein.

 

R: Wo waren Ihre Söhne XXXX und XXXX XXXX-XXXX 2013? Das ist das Jahr vor der Verhaftung Ihres Sohnes XXXX, die vier Monate vor dem RAMADAN!

 

Z1: Zu Hause.

 

R: Warum hatten Sie dann eine Obdachlosenmeldeadresse in XXXX?

 

Z1: Sie wollten eigenes Geld haben und übersiedeln, wenn das irgendwie möglich gewesen wäre, sie waren im Teenageralter.

 

R: Wie ist der Kontakt und die Beziehung zu Ihrem Sohn XXXX, seit er aus der Haft entlassen wurde?

 

Z1: Es gibt mehr Kontrolle, ich schaue auf ihn, ich bemühe mich, soweit es geht, welche Beziehung kann es geben? Es ist eine Beziehung zwischen Vater und Sohn, es ist normal. Er ist sehr kommunikativ, so einen Charakter hat er.

 

R: Haben Sie weitere Verwandte in Österreich?

 

Z1: Nein.

 

R: Welche Verwandten haben Sie noch in der Russischen Föderation?

 

Z1: Meine Schwester lebt dort irgendwo, andere Verwandte habe ich nicht. Ich habe nur 1 Schwester. Meine Eltern sind bereits verstorben.

 

R: Wie heißt die Schwester, wo wohnt sie?

 

Z1: Sie heißt XXXX, ich habe keinen Kontakt zu ihr, ich weiß nicht, wo sie wohnt. Seit 8 Jahren, seit es die Mutter nicht gibt, sind wir auseinandergegangen.

 

R: Wann ist die Mutter gestorben?

 

Z1: 2010 oder 2011.

 

R: wo hat Ihre Schwester bis dahin gelebt?

 

Z1: Bei der Mutter in XXXX inXXXX, zuvor hat sie in XXXX gelebt.

 

R: Waren Sie nach Ihrer Asylgewährung jemals wieder in der Russischen Föderation?

 

Z1: Nein, weswegen?

 

R: Sie sind extra nach Russland zurückgekehrt, weil Ihr Vater krank war, aber als Ihre Mutter gestorben ist, nicht?

 

Z1: Wer hätte mich gelassen, ich darf ja nicht von hier weg. Man sagte mir, dass ich das nicht darf, von POLEN aus hätte ich das machen können, ich fuhr damals von POLEN aus nach Hause. An der Grenze konnte man damals alles machen, wenn man Geld bezahlt hat, wenn man nach WEISSRUSSLAND gefahren ist.

 

R: Welche Grenze meinen Sie jetzt, die polnische oder die russische?

 

Z1: Die russische.

 

R: Können Sie mir die Beziehung Ihres Sohnes zu seiner Ex-Frau beschreiben?

 

Z1: Ich weiß nicht, wann sie sich kennengelernt haben, sie ist zu uns im HERBST, ich glaube im XXXX oder XXXX übersiedelt, aber es war warm. Das ist seine und nicht meine Angelegenheit.

 

R: Von wann bis wann hat sie bei Ihnen gelebt, wann war die Trennung, wie war die Eheschließung?

 

Z1: Ich glaube, dass es ca. im XXXXwar, dass sie bei uns gelebt hat.

 

R: Wann war die Trennung Ihres Sohnes von seiner Ex-Lebensgefährtin?

 

Z1: Im WINTER, im XXXX, ich glaube 2017.

 

R: Von wann bis wann hat sie bei Ihnen gewohnt?

 

Z1: Im WINTER ist sie weggefahren, 2017/2018.

 

R: Warum war sie nicht bei Ihnen gemeldet?

 

Z1: Sie wollte das wahrscheinlich nicht. Was soll ich da machen, wenn sie bei uns lebt, lebt sie halt bei uns. Ich habe ihr gesagt, dass sie sich anmelden soll und sie standesamtlich trauen soll. Das ist nicht mein Leben, sondern das meines Sohnes.

 

R: Sehe ich es richtig, dass es keine standesamtliche Trauung gab, eine muslimische Eheschließung und eine muslimische Eheschscheidung?

 

Z1: Ja.

 

R: Was würde dagegensprechen, den Kontakt zu Ihrem Sohn in der Russischen Föderation aufrechtzuerhalten?

 

Z1: Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen?

 

R: Wenn es den Rahmen der Verhandlung nicht sprengt.

 

Z1: Ich war 6 Jahre alt, mein Großvater war ca. 90, er ist 100 geworden. Wenn wir wohin gegangen sind, Hochzeit, Begräbnis, Veranstaltung, dann hat mich immer der Großvater beraten und ich habe es zuerst nicht verstanden. Dann hat mir der Großvater vor seinem Tod erzählt und auch mein Vater warum das so war, in den Jahren 1890 gab es ein Problem in unserer und einer anderen Familie, es sind ca. 100 Jahre vergangen. Man hat mir Ratschläge gegeben, wie ich mich zu benehmen hatte, das waren Russen. Das dauert schon sehr lange - und so lange Putin dort sitzen wird, wird es dort keine Sicherheit geben. Ich glaube, dass nicht nur eine Kontaktaufnahme nicht möglich sein wird, weil es eine Propaganda gibt, die sagt etwas Anderes. Ich glaube, dort werden normale Menschen getötet, erschossen, nur wenn man an der Haltestelle steht. Damit meine ich nicht, dass sie erschossen werden, weil sie an einer Haltestelle stehen, die Leute werden umgebracht, wenn man normal an der Uni lernt, wenn man die eigenen Gebräuche einhält, nicht raucht und nicht trinkt, unser Volk wird einfach vernichtet und es ist egal, in Russland das passiert. Wen das jemanden interessiert, kann er das alles finden. Wegen der Kontaktaufnahme: Es kann schon eine kurze Kontaktaufnahme geben, bis zum dem Zeitpunkt, wenn man erfährt, dass er von hier dorthin gefahren ist, dann werden die Leute kommen und ihn holen und dann wird er verloren gehen. Das wird der ganze Kontakt sein. Das Territorium wird besetzt - das heißt okkupiert. Man hat gesagt, dass ein friedlicher [Anschluss] war, um einen Stern zu bekommen oder einen Orden erschießen diese Schurken andere Personen, vorwiegend junge Leute. Wenn jemanden das Gesicht nicht gefällt, wird man schon notiert, das ist heute die Situation dort, nicht nur im Kaukasus. Sie wissen selbst, wie die Situation dort ist. Wenn jemand auch nur ein etwas normales Leben haben will, bleibt er nicht dort, nur die Leute, die nicht imstande sind, dort wegzufahren leben dort oder die Leute, die von der Obrigkeit profitieren, das ist alles. Wenn ich ein Minister für innere Angelegenheiten wäre, dann wäre ich sicher in Sicherheit, ansonsten nicht.

 

R: Was würde Ihren Sohn konkret drohen, würde er in die Russ. Föderation zurückkehren?

 

Z1: Sie verstehen das nicht, wir sind dort schwarz. Hier gibt es eine tschetschenische Diaspora. Für Russland ist das ein fremdes Land. In Russland haben die Tschetschenien die russ. StA, weil Tschetschenien als Russland gilt, aber bedenken Sie, dass es in den anderen russ. Städten tschetschenischen Diaspora gibt, ist es nicht interessant, warum? Es ist klar, dass es hier eine tschetschenische Diaspora gibt, aber ist es nicht interessant, dass es sie auch dort gibt.

 

R: Was würde dem BF drohen, wenn er in die Russ. Föderation zurückkehren würde?

 

Z1: Meine Probleme würden ihm drohen, es gibt eine Blutrache, die Leute, die mich verfolgt haben, leben noch, solange jemand am Leben ist, wird das nicht aufgegeben.

 

R: Wer sind diese Leute?

 

Z1: Banditen in Polizeiuniformen.

 

R: Was meinen Sie damit?

 

Z1: Die mich zB verschleppt haben, die aus meinem Kopf einen Fußball gemacht haben, diese meine ich. Das was ich zuvor gesagt habe, was dort alles passiert, würde ihm drohen.

 

R: Haben Sie in Österreich mit der tschetschenischen Diaspora Kontakt?

 

Z1: Mit der Diaspora nicht, aber mit den Leuten, die dorthin kommen, schon.

 

R: D.h. Sie haben auch in Österreich mit Tschetschenen Freundschaften und Bekanntschaften, ist das richtig?

 

Z1: Ja.

 

R: Können Sie mir beschreiben, wie Ihre Tochter XXXX, das war 2010, damals ausgereist ist? Wie haben Sie das organisiert?

 

Z1: Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, sie hat gesagt, dass wir sie holen sollen, sie hat aber kein Visum bekommen, also ist sie in die UKRAINE gekommen, ich habe gesagt, dass sie die Tochter in die U[...]KRAINE bringen soll.

 

R: Wen meinen Sie mit "sie", wenn Sie sagen, sie haben kein Visum bekommen?

 

Z1: Meine Mutter und XXXX.

 

R: Für welchen Staat ein Visum?

 

Z1: Nach Österreich zu mir.

 

R: Ihre Mutter ist dann von der UKRAINE wieder zurückgekehrt?

 

Z1: Nach Hause, ja,

 

R: Wie hat sie das mit dem Pass gemacht?

 

Z1: Die Russen können problemlos mit dem russ. Inlandspass in die UKRAINE kommen, zumindest war das damals so, heute weiß ich das nicht.

 

R: Warum sind Sie damals nicht mitgefahren in die UKRAINE?

 

Z1: Jemand muss ja zu Hause bleiben, ich kann mich auch nicht mehr erinnern warum, es ging auch ums Geld.

 

R:XXXX hat Ihr Asylverfahren noch als altes Botschaftsverfahren durchgeführt, wo haben Sie das Asylverfahren für XXXX gemacht und wer hat das abgewickelt?

 

Z1: Asyl hat sie hier bekommen, zuerst habe ich Asyl bekommen, dann sie, dann die anderen. Das Visum wurde in einer Botschaft erledigt. Das war auf der Botschaft in KIEW.

 

R: Wie lange waren Ihre Mutter und XXXX in KIEW?

 

Z1: Ca. 1 Monat, sicher bin ich mir nicht mehr, aber es hat schon lange gedauert.

 

R: Haben Sie Fragen an den Zeugen?

 

BFV: Ja.

 

BFV: Hat Ihr Sohn mit Ihrer Schwester Kontakt?

 

Z1: Nein, ich habe ja keinen Kontakt.

 

BFV: Wer ist zurzeit im gemeinsame Haushalt erwerbstätig.

 

Z1: Der BF, sonst niemand.

 

BFV. Sollen die Beiträge aus der Mindestsicherung niedriger werden, glauben Sie, dass dann das Einkommen Ihres Sohnes wichtiger wird?

 

Z1: Sicher.

 

BFV: Das bezieht sich auf die projektierte Kürzung der Mindestsicherung.

 

[...]

 

Z1: [I]ch möchte zu Ihrer Information ergänzen: Ich war bei der Armee, damals wurden die Gesetze wesentlich mehr eingehalten als jetzt. Ich habe dort meinen Dienst abgeleistet, wo die Verurteilten sitzen. Wir haben die Gefangenen vom Gefängnis begleitet und transportiert. Damals hatten die Verurteilten wesentlich mehr Rechte gehabt als wir jetzt, ich meine damit, mehr Rechte, als unser Volk es jetzt hat. Wenn jemand irgendwo in Tschetschene umgebracht wird,

dann ist das normal, dann ist er Terrorist oder Bandit oder ......

 

R: Möchten Sie eine abschließende Stellungnahme abgeben?

 

BFV: Der Spruch des angefochtenen Bescheid[es] bezieht sich auf § 7 Abs. 1 Zif. 2 AsylG 2005, während die Bescheidbegründung, insb. die Feststellungen und die Beweiswürdigung sich offenkundig auf § 7 Abs. 1 Zif 1 AsylG 2005 beziehen. Eine nähere Auseinandersetzung mit etwaig nach § 7 Abs. 1 Zif 2 vorliegenden Gründen fand im Verfahren vor der belangten Behörde nicht statt. Es wird daher, sollte das Gericht, vom Vorliegen der Gründe nach Zif 2 ausgehen, ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG angeregt. Aus anwaltlicher Vorsicht wird jedoch zu Zif 2 wie folgt vorgebracht: Ich verweise zum einen auf die Ausführungen des Z1, zu der nach wie vor drohenden Verfolgungsgefahr. Zum anderen verweise ich auf die UNHCR-Richtlinien zum intern. Schutz zur Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art 1 C 5 und 6 und dabei insb. auf die darin genannte Voraussetzung, dass es im Herkunftsstaat zu einer grundlegenden und dauerhaften Veränderung gekommen ist. Ich verweise auch auf die Ausführungen im Hinblick auf die Schutzgewährung durch den Staat (RN 15).

 

Unter Berücksichtigung der vorgelegten Länderinformationen, insb. zum Abschnitt "Folter und unmenschliche Behandlung "und der allgemeinen Menschenrechtslage, ist von den oben genannten Voraussetzungen nicht auszugehen. Ungeachtet dessen, üben die Verfolger des Z1 die Kontrolle, zumindest in Tschetschenien, aus. Im Übrigen waren die Ladungen sowie die Befragung des Z1 durch den FSB mit ein Grund für die Flucht gewesen und handelt es sich hierbei um Verfolgung von Seiten des Staates. Zu einem Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 verweise ich auf die ständige Rechtsprechung des VwGH, wonach für die Anwendung kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Selbst wenn man im vorliegenden Fall von einem besonders schweren Verbrechen ausgeht, liegt aus Sicht des BF die dritte Voraussetzung, nämlich die Gemeingefährlichkeit, nicht vor. Dies insb. aus den folgenden Gründen: Der BF verfügt über ein stabiles, familiäres Umfeld und ist seit XXXX 2016 vollzeitbeschäftigt. Bereits während der Haft wurde ihm der externe Schulbesuch erlaubt. Die bedingte Entlassung erfolgte bereits nach der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe und nicht erst nach zwei Dritteln. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Entscheidung des VwGH 03.12.2002, 99/01/0449, wonach die Gewährung der bedingten Entlassung durch das dafür zuständige Gericht ohne Hinzutreten neuer Sachverhaltselemente ein klarer Anhaltspunkt für eine im Sinne der Voraussetzung einer "Gefahr für die Gemeinschaft" nicht ausreichend ungünstige Prognose ist. Im Übrigen erfolgte auch die Aufhebung der erteilten Bewährungshilfe vor Ablauf der Probezeit. Im Hinblick auf das in Österreich bestehende Privat- und Familienleben wird vorgebracht, dass die Fortsetzung des Privatlebens zu den in Österreich lebenden Angehörigen bei einer Rückkehr des BF in die Russ. Föderation nicht aufrechterhalten werden kann, da die Angehörigen aufgrund ihres Aufenthaltsstatus dem BF auch nicht besuchen könnten. Der BF verfügt ausschließlich über die in Österreich lebende Kernfamilie und er ist beruflich und sozial integriert. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erscheint nicht zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele geboten, da von dem BF keine Gefährdung ausgeht.

 

BF: Ich würde all die Fehler, die ich jetzt gemacht habe und den falschen Weg, den ich eingeschlagen habe, nicht mehr machen. Ich habe aus diesen Dingen gelernt. Ich möchte betonen, dass ich seit der Haft keine Anzeigen mehr gehabt habe. Ich führe jetzt ein zivilisiertes Leben und habe mich auch gebessert und viele Dinge eingesehen, ich bin viel reifer geworden. Für mich ist es so, dass mein zuhause dort ist, wo ich mich wohl fühle und das ist für mich Österreich. Das wäre mein Schlusssatz."

 

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung folgende Unterlagen vor:

 

* Abschlussprüfungszeugnis der Praxis-Handelsschule Schuljahr 2015/2016 - bestanden (Abschlussarbeit und Übungsfirma: gut:

Betriebswirtschaftliches Kolloquium und Englisch - befriedigend; Deutsch - genügend) samt Stundentafel

 

* Die mit XXXX abgelaufene Quarlitätsmarke Übungsfirma aus dem Schuljahr 2015/2016

 

* Schulbesuchsbestätigung vom 24.04.2017 betreffend die XXXX Klasse und den "XXXX" XXXX 2016 - XXXX 2017

 

* Meldezettel des Beschwerdeführers betreffend die Meldung in der XXXX seit XXXX vom 08.07.2013

 

* Versicherungsdatenauszug betreffend den Beschwerdeführer. Demnach weist er folgende Beschäftigungszeiten auf:

 

o Geringfügige Beschäftigung am XXXX, XXXX, XXXX, XXXX,XXXX-XXXX, XXXX, XXXX-XXXX bei XXXX

 

o Arbeitslosengeldbezug XXXX-XXXX

 

o Geringfügige Beschäftigung XXXX-XXXX bei XXXX

 

o Arbeitslosengeldbezug XXXX-XXXX

 

o Geringfügige Beschäftigung XXXX-XXXX und Beschäftigung als Arbeiter XXXX-XXXX bei XXXX

 

* Arbeitsvertrag des Beschwerdeführers mit der XXXX als ungelernter LAGERARBEITER seit XXXX und Überlassungsmitteilung an die XXXX mit dem selben Datum

 

* Bewährungshilfebericht vom 13.01.2017

 

* E-Mail der Bewährungshelferin an den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers vom 22.06.2018, wonach der Umstand, dass der Beschwerdeführer im gelockerten Vollzug war darauf hindeute, dass er eine gute Führung im Gefängnis gehabt habe. In der ersten Hälfte der Betreuung nach der bedingten Entlassung sei es und die Deliktsbearbeitung gegangen, danach sei an den Lebenskompetenzen, Stärken, Prioritäten und Ressourcen gearbeitet worden. Der Beschwerdeführer sei zum gegebenen Zeitpunkt in einer Sinnkrise gewesen, der kulturelle Aspekt und dem gerecht werden des Anspruchs, die Beziehung zur Freundin sei krisenhaft gewesen und er habe schlechte Noten in der Schule gehabt. Die Eltern seien enttäuscht gewesen, er habe die Eltern belastet, die Freunde haben sich in einer ähnlichen Situation befunden. Geld sei ein Mittel der Macht gewesen um die subjektiv empfundene Ohnmacht zu kompensieren und die Minderwertigkeit zu verdrängen. Es scheine wesentlich, dass der Beschwerdeführer zwar 2004 nach Österreich gekommen sei, aber auf Grund der häufigen Wohnort- und Schulwechsel sei es zu einer immerkehrenden Entwurzelung gekommen. Eine Zeugenaussage dürfe sie nur machen, wenn es zweckdienlich und im Sinne des Beschwerdeführers sei, sonst habe Sie ein Entschlagungsrecht, im Falle der Notwendigkeit und der Vertagung der Verhandlung könne sie mit Einverständnis des Beschwerdeführers eine Aussage machen.

 

6.8. Mit Eingabe vom 18.07.2018 legte der rechtsfreundliche Vertreter nachstehende Unterlagen des Beschwerdeführers vor:

 

* Halbjahres- und Jahreszeugnisse bzw. Schulbesuchsbestätigungen für die Jahre

 

o Schulbesuchsbestätigung XXXX Klasse Volksschule 2004/05 (teilgenommen)

 

o Schulbesuchsbestätigung Volks- und Sonderschule XXXX Klasse als außerordentlicher Schüler 2005/06 (Musik, Zeichnen, Turnen, Werken sehr gut, im Übrigen nicht beurteilt bzw. teilgenommen)

 

o Schulbesuchsbestätigung Volksschule XXXX Klasse 2006/07 (als außerordentlicher Schüler: Religion, Zeichnen, Werken, Sport - sehr gut; Mathematik - gut; Sachunterricht - befriedigend; Deutsch - nicht beurteilt; Abschlusszeugnis: Religion, Musik, Werken, Sport - sehr gut, Zeichnen - gut, Sachunterricht und Mathematik:

Befriedigend, Deutsch - genügend)

 

o Jahres- und Abschlusszeugnis der Hauptschule XXXX Klasse 2010/2011 (Relgion, Physik, Chemie, Musik, Werken, Sport - sehr gut; Geschichte, Georgraphie, Mathematik, Zeichnen - gut; geometisches Zeichnen - genügend; Mathematik 2. Leistungsgruppe - gut; Deutsch und Englisch 3. Leistungsgruppe - befriedigend)

 

* Meldebestätigung vom 30.06.2004 für den HauptwohnsitzXXXX, XXXX seit XXXX

 

* Meldebestätigung vom 13.09.2005 für den Hauptwohnsitz XXXX, XXXX seit XXXX

 

* Meldebestätigung vom XXXX für den Hauptwohnsitz XXXX, XXXX seit

XXXX

 

* Dienstzeugnis der Fa. XXXX, XXXXvom 27.06.2018, wonach der Beschwerdeführer dort XXXX-XXXX als Lagerarbeiter beschäftigt war. In seinen Tätigkeitsbereich fielen Warenannahme von Rohstoffen, Lagerverwaltung der Rohstofflager, Kommissionierung, Mithilfe bei der Disposition. Der Beschwerdeführer habe sich als Mitarbeiter mit Leistungs- und Einsatzbereitschaft präsentiert, sein Arbeitsstil sei geprägt von selbständigem Arbeiten und Verantwortungsbewusstsein. Er verlasse, in beiderseitigem Einvernehmen, das Unternehmen, um sich neuen Aufgaben widmen zu können.

 

Dazu wurde vorgebracht, dass die Jahreszeugnisse für die Schuljahre 2008-2009 nicht mehr zur Verfügung stehen, ebenso wenig wie Unterlagen im Hinblick auf die im XXXX 2013 beabsichtigte, jedoch nie beantragte, Sozialbeihilfe. Auf einen gesonderten Bericht der Bewährungshelferin XXXX werde nach Rücksprache mit dieser verzichtet, da sie ihre Einschätzung im Wesentlichen in der E-Mail an den Rechtsvertreter vom 22.06.2018 dargelegt habe, die dem Bundesverwaltungsgericht bei der mündlichen Verhandlung am 26.06.2018 vorgelegt worden sei. Im Hinblick auf die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung mitsamt einem Einreiseverbot gemäß § 53 Abs 3 FPG und dem dabei zu berücksichtigenden Privat- und Familienleben werde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer seit mehr als 14 Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei. Wie im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht worden sei, lebe der Beschwerdeführer mit seiner Familie in XXXX. Zu diesen Angehörigen bestehe eine besonders intensive Bindung. Der Beschwerdeführer lebe mit seinen Angehörigen in einem gemeinsamen Haushalt und unterstütze seine Familie mit seinem Erwerbseinkommen. Der Vollzug der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes mache eine Fortsetzung der Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Eltern und Geschwister auf lange Sicht unmöglich. Die Angehörigen des Beschwerdeführers, die bis auf den älteren Bruder allesamt Asylberechtigte seien, könnten nicht in die Russische Föderation einreisen. Aufgrund des für den gesamten Schengenraum gültigen Einreiseverbots sei auch der Besuch in anderen Mitgliedsstaaten unmöglich. Neben dieser "Kernfamilie" gebe es keine anderen Bezugspersonen für den Beschwerdeführer. Zu weitschichtigen Angehörigen im Herkunftsstaat habe von Seiten des Beschwerdeführers nie Kontakt bestanden und hätten auch die Eltern des Beschwerdeführers zu diesen keinen Kontakt mehr. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet die Pflichtschule durchlaufen und eine berufsbildende Schule absolviert. Er habe bereits kurz nach seiner bedingten Entlassung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und sei auch momentan erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig. Die oben angeführten fehlenden Bindungen im Herkunftsstaat würden mit der Frage einhergehen, ob der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation in der Lage sein werde, eine Existenzgrundlage zu schaffen (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; VwGH 31.01.2013, 2012/23/0006). Den vorgelegten Länderfeststellungen sei im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation im Nordkaukasus zu entnehmen, dass ein überdurchschnittlicher Grad der Verarmung und hohe Arbeitslosigkeit bestehe. Als ein Problem werde auch die weitreichende Korruption benannt (vgl. Länderfeststellungen Seiten 97ff). Es werde im Rahmen der Interessensabwägung daher auch zu berücksichtigen sein, dass der Beschwerdeführer, der Tschetschenien im Alter von 10 Jahren verlassen hat, erhebliche Schwierigkeiten bei der Schaffung einer Existenzgrundlage haben werde. Neben der - alle Staatsangehörige der russischen Föderation, insbesondere der Teilrepubliken treffenden - schlechten wirtschaftlichen Lage, komme die lange Abwesenheit des Beschwerdeführers, fehlende berufliche Erfahrung im Herkunftsstaat und das völlige Fehlen familiärer Anknüpfungspunkte, die als "Integrationshilfe" dienen könnten, hinzu. Es könne aufgrund der langen Abwesenheit im Ausland auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Schaffung einer Existenzgrundlage zusätzlich mit Diskriminierung und Misstrauen konfrontiert sein werde. Im Hinblick auf die Erlassung eines Einreiseverbots und der dafür vorausgesetzten schwerwiegenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, werde auf die Tatsachen verwiesen, dass der Beschwerdeführer bereits nach der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe bedingt entlassen worden sei. Auch habe die zuständige Bewährungshelferin aufgrund der positiven Entwicklung des Beschwerdeführers keine Notwendigkeit gesehen, die angeordnete Bewährungshilfe fortzusetzen. Der Beschwerdeführer habe sich seit seiner Haftentlassung am XXXX wohlverhalten. Die Haftentlassung liege etwas mehr als zwei Jahre zurück. In seiner Judikatur habe der Verwaltungsgerichtshof regelmäßig betont, dass ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen sei, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten habe (siehe zuletzt VwGH 25.1.2018, Ra 2018/21/0004, Rn. 8). Es sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausgeschlossen, dass auch schon kurze Zeit nach der Haftentlassung unter besonderen Umständen ein für die Gefährdungsprognose maßgeblicher Gesinnungswandel konstatiert werden könne (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0027). Anders als in dem zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, sei der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt (und nicht 15 Jahre). Dass sich im vorliegenden Fall eine, auch bei einem jungen Erwachsenen noch mögliche, altersmäßige Persönlichkeitsentwicklung eingestellt habe, sei aus den Angaben der Mutter des Beschwerdeführers sowie der Bewährungshelferin abzuleiten. Wie bereits ausgeführt, habe sich das Verhalten des Beschwerdeführers und seine Lebensumstände nach der Haftentlassung maßgeblich geändert. Dazu zähle auch die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer in einem anderen sozialen Umfeld bewegt, also vor seiner Verurteilung. Der Beschwerdeführer habe auch eingesehen, dass sein Verhalten nicht nur für ihn persönlich Konsequenzen habe, sondern seine gesamte Familie betreffe, die für ihn, insbesondere nach seiner Verurteilung und der Entlassung aus der Strafhaft, an Bedeutung gewonnen habe. Die Einbindung in die familiären Strukturen scheine daher auch bei der durchzuführenden Gefährdungsprognose Gewicht zu haben. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot erscheine im Hinblick auf das bestehende Privatleben in einer Gesamtschau unverhältnismäßig.

 

6.9. Mit Parteiengehör vom 12.09.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters sowie der belangten Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 31.08.2018 und gab den Parteien die Möglichkeit hierzu binnen einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

 

Der Beschwerdeführer erstattete am 25.09.2018 eine Stellungnahme, mit der er folgende Unterlagen vorlegte:

 

* Lohnzettel Fa. XXXX XXXX 2018

 

* Lohnzettel Fa. XXXX XXXX 2018

 

* Lohnzettel Fa. XXXX XXXX 2018

 

Zur Frage der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ergänzte er, dass er nach Art. 47 Abs. 2 GRC ein (verfassungsgesetzlich gewährleistetes) Recht darauf habe, dass seine Sache vor einem Gericht "in einem fairen Verfahren" verhandelt werde. Vor dem Hintergrund dieses grundrechtlich verankerten Fairnessgebots scheint aber die Tatsache beachtlich, dass die belangte Behörde bislang im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in keiner Weise mitgewirkt habe. Den Beschwerdeführer selbst treffen nämlich durchaus Mitwirkungspflichten, vor allen Dingen unterliege er einer (in aller Regel wohl zwingend für den Beschwerdeführer nachteiligen) Beweiswürdigung, würde sich der Beschwerdeführer am Beschwerdeverfahren überhaupt nicht beteiligen, z.B. indem er einer Beschwerdeverhandlung ohne nähere Angabe von Gründen fernbleibe. Der belangten Behörde obliege der Vollzug des Fremdenpolizeigesetzes, damit auch der Ausspruch und der Vollzug von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. Die belangte Behörde habe mit dem angefochtenen Bescheid eine solche aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen. Wenn die belangte Behörde sich in weiterer Folge im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht aber überhaupt nicht beteilige, lasse dies keinen anderen Schluss zu, als dass der belangten Behörde die Aufrechterhaltung ihres Bescheides nicht von besonderer Wichtigkeit sein könne. Ein gleichlautender Schluss würde, wie oben erwähnt, im Fall des unbegründeten Fernbleibens des Beschwerdeführers von einer Beschwerdeverhandlung jedenfalls gezogen werden. Wenn aber die für den Vollzug der einschlägigen Bestimmungen zuständige Behörde erkennen lasse, dass ihr an der Aufrechterhaltung eines von ihr erlassenen aufenthaltsbeendenden Bescheides nicht oder nicht mehr weiterliege, könne daraus nur der Schluss gezogen werden, dass ein öffentliches Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung im Fall des Beschwerdeführers nicht bestehe. Es sei nämlich die belangte Behörde, deren Aufgabe es wäre, ein etwaiges öffentliches Interesse an einer solchen Aufenthaltsbeendigung zu verfolgen und durchzusetzen, was die belangte Behörde aber im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Gänze unterlassen habe. Die bisher vom Beschwerdeführer gemachten Einwendungen bzw. erhobenen Bedenken bleiben unbeschadet der obigen Argumentation aufrecht.

 

6.10. Das Bundesamt gab weder zum Parteiengehör vom 12.09.2018, noch zur Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 25.09.2018 eine Stellungnahme ab.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die Identität des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Er ist russischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe; seine Großmutter mütterlicherseits war ethnische Russin, sein Großvater mütterlicherseits ethnischer Tschetschene, sein eigener Vater ebenfalls ethnischer Tschetschene. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm jemals Verfolgung aus ethnischen Gründen wegen gemischtethnischer Herkunft drohte oder im Falle der Rückkehr drohen würde. Es kann nicht mehr festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr eine Verfolgung aus ethnischen Gründen aktuell drohen würde.

 

Der Beschwerdeführer ist muslimischen Glaubens und es kann nicht festgestellt werden, dass er im Verdacht steht, dem fundamentalistischen Islam nahezustehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm Verfolgung aus religiösen Gründen drohte oder im Falle der Rückkehr drohen würde.

 

Er ist nicht weder politisch noch exilpolitisch aktiv. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm Verfolgung aus politischen Gründen drohte oder im Falle der Rückkehr drohen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung drohen würde.

 

Er ist XXXX in XXXX, XXXX, geboren und lebte mit seiner Familie zunächst in XXXX, XXXX, beim Onkel seiner Mutter, da die in XXXXgekaufte Wohnung noch saniert werden musste. Mit Kriegsbeginn 1994 zog er mit seiner Familie nachXXXX, XXXX.

 

Der Vater des Beschwerdeführers hat selbst nie gekämpft. Er hat sich auch nicht eingemischt, aber die Kämpfer unterstützt, zB 1994 und 1996 in XXXX. Er kaufte ihnen Lebensmittel, Zigaretten, Medikamente und Munition. Er beherbergte auch Verletzte. Ein Cousin der Mutter des Beschwerdeführers war Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg. 1998 und 2002 wurde der Vater des Beschwerdeführers mitgenommen und an unbekannten Orten angehalten. Das erste Mal wurde er von der Familie freigekauft, das zweite Mal entkam er.

 

Gemeldet waren der Beschwerdeführer, seine Geschwister und seine Eltern in XXXX (seit 1990: XXXX), XXXX, die Zweitfrau seines Vaters und seine Halbschwester bei seinen Großeltern väterlicherseits in XXXX, XXXX. Der Beschwerdeführer, seine Geschwister, seine Eltern, seine Halbschwester und die Zweitfrau seines Vaters sowie seine Großeltern väterlicherseits wohnten aber gemeinsam in XXXXin einem Haus mit zwei getrennten Eingängen; der Vater hielt sich mit der Zweitfrau und der Halbschwester in den Schulferien in XXXXauf. Der Beschwerdeführer besuchte bis zur Ausreise im Alter von NEUN Jahren die Schule in XXXX; wenige Tage vor der Ausreise reiste er mit seinen Brüdern und seiner Mutter nach XXXX. Dass die Familie innerhalb von XXXX ständig umziehen musste, kann nicht festgestellt werden.

 

Die Zweitfrau des Vaters und die Halbschwester reisten bereits im XXXX 2003 nach POLEN aus. Der Vater des Beschwerdeführers wurde im FRÜHLING und SOMMER 2003 geladen, kam den Ladungen aber nicht nach und reiste im SOMMER 2003 aus; er hielt sich einige Monate in POLEN auf. Im Sommer 2003 wurde die Mutter des Beschwerdeführers auf der Suche nach dem Vater des Beschwerdeführers aufgesucht, geschlagen und wie auch ihre Söhne bedroht. Im HERBST 2003 wurden die Brüder des Beschwerdeführers in der Schule nach dem Aufenthaltsort des Vaters befragt. Daraufhin reiste die Mutter des Beschwerdeführers mit ihren Söhnen über XXXX aus, die Tochter ließ sie bei den Schwiegereltern zurück. Der Beschwerdeführer selbst nahm während seines Aufenthalts in der Russischen Föderation keine Verfolgungshandlungen wahr.

 

Der Beschwerdeführer reiste im XXXX 2003 mit seiner Mutter und seinen Brüdern XXXX, XXXX,XXXX und XXXX nach POLEN, wo sie sich ein halbes Jahr aufhielten und auf den Vater, dessen Zweitfrau und die Halbschwester des Beschwerdeführers trafen. Sein Vater reiste mit der Zweitfrau und der Halbschwester über TSCHECHIEN nach Österreich, von wo aus sie nach der Asylantragstellung am 01.11.2003 nach TSCHECHIEN zurückgewiesen wurden; dort blieben sie einige Monate, bevor der Vater zum Beschwerdeführer, seiner Mutter und seinen Geschwistern nach POLEN zurückreiste, wo er einen Asylantrag stellte, bevor er im XXXX 2004 mit dem Auto zu seinem kranken Vater nach XXXX reiste, während die Zweitfrau und die Halbschwester von TSCHECHIEN im XXXX 2004 nach Österreich weiterreisten. Nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens in POLEN nach ca. einem halben Jahr reiste auch der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Geschwistern über TSCHECHIEN, wo sie keine Asylanträge gestellt hatten, nach Österreich, wo sie am 20.04.2004 Asylanträge stellten. Sein Vater reiste im XXXX 2004 wieder nach Österreich ein.

 

Der Vater des Beschwerdeführers verließ den Beschwerdeführer, dessen Mutter und Geschwister, die im Grundversorgungquartier in XXXX, XXXX, lebten, und zog im XXXX 2004 zu seiner Zweitfrau nach XXXX,XXXX, wo im XXXX 2005 die zweite Halbschwester des Beschwerdeführers zur Welt kam.

 

Der Beschwerdeführer besuchte 2004/2005 als außerordentlicher Schüler die XXXX Klasse der Volksschule in XXXX.

 

Mit Bescheid vom 14.04.2005 erkannte das Bundesasylamt der Zweitfrau des Vaters des Beschwerdeführers den Flüchtlingsstatus zu. Sie leitete ihre Verfolgung vom Vater des Beschwerdeführers ab. Mit Bescheid vom selben Tag wurde der Flüchtlingsstatus auf die Halbschwester des Beschwerdeführers erstreckt, mit Bescheid vom 20.09.2005 auf die nachgeborene Halbschwester. Mit Bescheid vom 10.08.2005 erkannte das Bundesasylamt dem Vater des Beschwerdeführers den Flüchtlingsstatus zu, weil diesem Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung drohte, weil er sich am ersten Tschetschenienkrieg dadurch beteiligt hatte, dass er Waffen, Munition, Zigaretten und Lebensmittel an die Kämpfer geliefert und sich um Verletzte gekümmert hatte.

 

Im XXXX 2005 zogen der Beschwerdeführer, seine Mutter und seine Geschwister nachXXXXund sein Vater wieder zu ihnen. Am XXXX kam ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers in XXXX zur Welt, XXXX. Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.01.2006 der Status des Asylberechtigten im Familienverfahren nach seinem Vater zuerkannt.

 

Dem Beschwerdeführer wurde mit dem Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.04.2006 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

 

Dabei stellte es folgenden Sachverhalt fest:

 

Der Beschwerdeführer und seine Familie, Tschetschenen, lebten seit 1994 in XXXX, XXXX. Der Vater des Beschwerdeführers hat sich am ersten Tschetschenienkrieg beteiligt, indem er tschetschenischen Kämpfern Waffen, Munition, Lebensmittel und Zigaretten besorgt sowie Verletze beherbergt hat. Der Vater wurde bereits im Jahr 1998 von Unbekannten entführt und gegen Lösegeldzahlung wieder freigelassen. Die gesamte Familie hat im Anschluss an diesen Vorfall mehrmals die Wohnung gewechselt. Nach einem Vorfall 2002 während des Aufenthalts des Vaters des Beschwerdeführers in XXXX, bei dem der Vater erneut zusammengeschlagen und mitgenommen wurde, konnte dieser flüchten und lebte ab dem FRÜHJAHR 2003 wieder bei seiner Familie in XXXX. Als mehrere Ladungen des FSB gekommen sind, flüchtete der Vater des Beschwerdeführers nach POLEN. Im SOMMER 2003 kam die Miliz in das Haus der Familie gekommen und fragte nach dem Verbleib des Vaters. Dabei wurde die Mutter des Beschwerdeführers zusammengeschlagen und das Leben ihrer Kinder bedroht. Im HERBST wurde daraufhin der Bruder des Beschwerdeführers von Unbekannten in der Schule nach dem Verbleib seines Vaters gefragt. Im XXXX 2003 flüchtete der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Brüdern nach POLEN und in weiterer Folge im XXXX2004 nach Österreich. Dem Vater des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, weil der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat von russischen Sicherheitskräften verfolgt wurde im Falle seiner Rückkehr wiederum mit Verfolgung rechnen musste; die Bedrohung der Freiheit und der körperlichen Integrität des Beschwerdeführers hatte unzweifelhaft asylrelevante Intensität aufgewiesen. Im Falle des Beschwerdeführers war das festgestellte Verfolgungsrisiko auf die Aktivitäten seines Vaters im ersten Tschetschenienkrieg zurückgegangen, seinem Naheverhältnis zu Kämpfern gegen die russischen Einheiten in Tschetschenien und die damit verbundene Ablehnung der Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation, somit auf dessen politische Gesinnung. Es war daher anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Familienangehörigkeit dieselbe politische Gesinnung seitens der russischen Behörden unterstellt würde, beziehungsweise, die Verfolgung daraus resultiert hätte, dass der Beschwerdeführer Angehöriger seines Vaters, also zugehörig zu einer bestimmten sozialen Gruppe gewesen sei. Ihm stand keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, weil er auf Grund der von seinem Vater ausgeübten Tätigkeiten in das Blickfeld der russischen Behörden gelangt war. Die für den Beschwerdeführer bestehende Verfolgung, welche sich bereits in mehrfachen Bedrohungen des Beschwerdeführers und seiner Familie niedergeschlagen hatte, ging von russischen Sicherheitskräften, also von staatlicher Seite aus. Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ausübung der Staatsgewalt durch die Russische Föderation auf ein bestimmtes geographisches Gebiet beschränkt war. Es gab daher keine Landesteile im Herkunftsstaat, in denen die von ihm befürchtete Verfolgung und die damit verbundene Bedrohung seiner Freiheit und seiner körperlichen Integrität nicht eintreten konnte.

 

Die allgemeine Lage in der Russischen Föderation stellte sich 2006, während des zweiten Tschetschenienkrieges, auszugsweise wie folgt dar:

 

Im Oktober 1999 begann der sog. "Zweite Tschetschenienkrieg", im offiziellen russischen Sprachgebrauch als "Antiterroristische Operation" bezeichnet. Nach Ende der offenen Kämpfe im Frühjahr 2000 und der Einsetzung einer Moskau-freundlichen Übergangsverwaltung wurde die vorherige tschetschenische Regierung unter dem 1997 gewählten Präsidenten Maschadow und deren Sicherheitskräften zu "Rebellen". Diese gingen mit Sprengstoffanschlägen, Feuerüberfällen, Hubschrauberabschüssen und Geiselnahmen aus dem Untergrund gegen die - aus ihrer Sicht - russischen "Besatzer" vor.

 

Bisher ist es den russischen Sicherheitskräften nicht gelungen, die "Rebellen" militärisch auszuschalten. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: [...] vom Januar bis Juli 2005 sollen es 67 Soldaten gewesen sein. Das Innenministerium dessen Polizisten und Spezialeinheiten im Nordkaukasus zunehmend die Soldaten des Verteidigungsministeriums ersetzen, hat nach eigenen Angaben im Nordkaukasus bis Anfang November 2005 1.183 Kriegstote zu beklagen. Nach Angaben [...] der NRO "Komitee der Soldatenmütter" vom Mai 2004 wurden seit 1994 in Tschetschenien etwa 25.000 russische Soldaten und Polizisten getötet und mindestens 50.000 verwundet.

 

Auch nach der Ermordung des tschetschenischen Präsidenten Ahmed Kadyrow am 09.05.2004 setzte Moskau seine Strategie des "politischen Prozesses" fort, Verantwortung in Moskau-freundliche tschetschenische Hände zu übertragen [...].

 

Seit dem Mord an Ahmed Kadyrow nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen und den russischen/tschetschenischen Sicherheitskräften an Umfang und Schärfe zu. Die Kette der durch die Rebellen verübten Terror- und Selbstmordanschläge in- und außerhalb Tschetscheniens reißt nicht ab. [...]

 

Rund 80.000 - laut Gesellschaft für bedrohte Völker etwa 250.000, davon 80.000 in Tschetschenien - Soldaten und Offiziere der russischen Streitkräfte sollen nach wie vor in der Kaukasus-Region stationiert sein. In Tschetschenien selbst treten sie nach verschiedenen Berichten in letzter Zeit weniger oft in Erscheinung, sondern überlassen das Feld ihren tschetschenischen Verbündeten.

[...]

 

[...]

 

Auf die Amnestieregelung vom 06.06.2003 gingen weniger als 200 Rebellen ein, doch haben nach Angaben von Taus Dschabrailov, dem Vorsitzenden des tschetschenischen Staatsrates auch 2004 weitere 600-700 Kämpfer freiwillig die Waffen niedergelegt. Präsident Alchanov nannte kürzlich eine Zahl von etwa 7.000 ehemaligen Rebellen, die in den vergangenen Jahren die Waffen niedergelegt haben. Es soll jetzt noch etwa 1.000 geben, darunter angeblich 100-150 ausländische Söldner.

 

Die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien ist nach übereinstimmenden Berichten von NRO, Internationalen Organisationen und Presse nicht gewährleistet. In den Gebieten, in denen sich russische Truppen aufhalten (sie umfassen mit Ausnahme der schwer zugänglichen Gebirgsregionen das ganze Territorium der Teilrepublik), leidet die Bevölkerung einerseits unter ständigen Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch russische Soldaten und Angehörige der Truppe von Ramzan Kadyrow, andererseits unter Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der tschetschenischen Rebellen in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften.

 

Die Menschenrechtslage in Tschetschenien ist nach wie vor katastrophal. [...]

 

Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit nur leicht verbessert. [...] Viele Rückkehrer erhalten bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigern, ihre Dokumente zu bearbeiten oder will ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden sind. [...] Der Alltag der Zivilbevölkerung ist nach wie vor von einer eklatant hohen Arbeitslosigkeit bis zu 90 % geprägt. Mehr als 90 % der Bevölkerung Tschetscheniens lebt nach Aussagen des russischen Handelsministeriums unter der Armutsgrenze.

[...]

 

[...]

 

In großen Städten (zB in Moskau und St. Petersburg) wird der Zuzug von Personen jeglicher Volksgruppenzugehörigkeit erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen gelten unabhängig von der Volksgruppenzugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit antikaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit der Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Das aus Sowjetzeiten stammende so genannte "Propiska"-System - nachdem an jedem neuen Wohnort ein Registrierungsgesuch eingereicht werden musste - wurde zwar offiziell abgeschafft, faktisch wird es jedoch weiterhin angewendet. Zahlreiche NRO berichten, dass Tschetschenen, besonders in Moskau, im Gebiet Krasnodar und in Kabardino-Balkarien häufig die Registrierung verweigert wird. [...]

 

Die Erlangung von Inlands- und Auslandsreisepässen wird systematisch erschwert. Nach der Moskauer Geiselnahme im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und gegenüber Rückgeführten im Besonderen bei der Niederlassung verstärkt. Angesichts der von staatlicher Seite beschworenen Terrorgefahr dürfte sich an dieser Vorgehensweise der Behörden in absehbarer Zeit nichts ändern.

 

In Zusammenhang mit der Fahndung nach den Drahtziehern und Teilnehmern von Terrorakten hat sich der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen in Moskau und anderen Teilen Russlands signifikant erhöht. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von einer verschärften Kampagne der Miliz gegen Tschetschenen, bei denen einziges Kriterium die ethnische Zugehörigkeit sei; kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen [...] auf der Straße und in der U-Bahn sowie Hausdurchsuchungen [...] seien verschärft worden. Die Bevölkerung begegne Tschetschenen größtenteils mit Misstrauen. Hier wirken sich latenter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Teilen der russischen Bevölkerung und insbesondere die negative Wahrnehmung der Tschetschenen aus. Nach wie vor herrscht in der Russischen Föderation eine stark anti-tschetschenische Stimmung. Diskriminierungen und Misshandlungen gegen Tschetschenen sowohl durch Privatpersonen als auch durch Beamte in Uniform sind weit verbreitet. Tschetschenen müssen mit willkürlichen Verhaftungen, konstruierten Anklagen, illegalen Identitätskontrollen, aber auch Angriffen durch Gruppen von Privatpersonen rechnen. Insbesondere in der Folge von Terroranschlägen hat die Polizei jeweils "Revancheaktionen" gegen ethnische Tschetschenen und andere Menschen kaukasischer Herkunft durchgeführt. Ähnlich wie in Tschetschenien selbst ist es dabei zu willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und Folter gekommen. Seit der Bombenexplosion in der Moskauer Metro im Februar 2004 haben diese Menschenrechtsverletzungen an Intensität weiter zugenommen. Aus den Regionen Astrachen und Rostov wurden im Jahr 2005 ethnisch motivierte gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und dort traditionell ansässigen Volksgruppenangehörigen berichtet.

 

Gleichlautende Entscheidungen ergingen in den Verfahren der Mutter des Beschwerdeführers sowie seiner BrüderXXXX, XXXX, XXXXund XXXX.

 

Im Schuljahr 2005/2006 besuchte der Beschwerdeführer in XXXX erneut als außerordentlicher Schüler die XXXX Klasse Volks- und Sonderschule. Am XXXX wurden der Beschwerdeführer und seine Familie aus der Grundversorgung entlassen. Am XXXX zog er mit seinen Eltern und Geschwistern nach XXXX, XXXX, wo die Zweitfrau seines Vaters und seine Halbschwestern seit XXXX lebten. Seither lebte der Vater des Beschwerdeführers mit beiden Frauen und allen Kindern im gemeinsamen Haushalt. In XXXX schloss der Beschwerdeführer im Schuljahr 2006/2007 die Volksschule ab.

 

Der Haushalt wurde im XXXX 2007 nach XXXX, XXXX, im XXXX 2008 nach XXXX, XXXX, verlegt; auf Grund der Übersiedlung musste der Beschwerdeführer die HAUPTSCHULE nach der XXXX Klasse wechseln. Am XXXX kam in XXXX eine weitere Schwester des Beschwerdeführers zur Welt. Mit Bescheid vom 27.10.2008 erkannte das Bundesasylamt der Schwester XXXX den Status des Asylberechtigten im Familienverfahren zu.

 

Gleichzeitig zog der älteste Bruder des Beschwerdeführers, der im Jahr zuvor volljährig geworden war, aus und begründete eine Obdachlosenmeldeadresse beimXXXX. Am XXXX reiste XXXX, die ältere Schwester des Beschwerdeführers, als VIERZEHNJÄHRIGE nach Österreich ein. Dieser war bereits mit Bescheid vom 13.03.2006 der Status der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Die Großmutter hatte sie in die UKRAINE gebracht und die Mutter von dort abgeholt.

 

Im Schuljahr 2010/2011 schloss der Beschwerdeführer die Hauptschule in XXXX ab. Danach begann er mit der PRAXIS HANDELSSCHULE in XXXX.

 

Der älteste Bruder des Beschwerdeführers, XXXX, hatte XXXX-XXXX 2011 keine Meldeadresse in Österreich, seit XXXX wieder eine Obdachlosenmeldeadresse beim XXXX. XXXX-XXXX 2010 verfügteXXXX wieder über keine Meldeadresse in Österreich. Im XXXX 2012 zog die Familie nach XXXX, XXXX. Der Beschwerdeführer blieb in der HANDELSSCHULE in XXXX. XXXX begründete im XXXX 2012 eine Meldeadresse in XXXX. Der zweitälteste Bruder des Beschwerdeführers, XXXX, der im XXXX 2010 volljährig geworden war, meldete sich imXXXX2013 gemeinsam mit dem Beschwerdeführer, der im XXXX 2012 volljährig geworden war, von der Familienwohnung ab. Beide begründeten einen Monat später eine Obdachlosenmeldeadresse beim XXXX; über diese verfügten sie bis XXXX 2013.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer in dieser Zeit dem Schutz seines Herkunftsstaates wieder unterstellte. Danach meldete sich der Beschwerdeführer wieder bei seinen Eltern an.

 

Im Schuljahr 2012/2013 besuchte er erfolgreich die XXXXKlasse der HANDELSSCHULE. Sein Verhalten in der Schule war wenig zufriedenstellend; die Fehlstunden sind in diesem Zeugnis nicht angeführt. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer 2013/2014 die XXXX Klasse besuchte, jedenfalls schloss er sie nicht erfolgreich ab.

 

Der BruderXXXX verfügte er bisXXXX 2013 über keine Meldeadresse in Österreich, als er einen Wohnsitz in XXXXbegründete, in derselben Wohnung wie sein ältester Bruder, XXXX. Seither bestand jedenfalls kein gemeinsamer Wohnsitz des Beschwerdeführers mehr mit seinen Brüdern XXXX und XXXX.

 

Der 19-JÄHRIGE Beschwerdeführer war an VIER Tagen im XXXX 2013, SIEBEN Tagen im XXXX 2013 undXXXX - XXXX bei einem XXXX geringfügig beschäftigt. Sonst hatte er als Schüler weder Einkommen, noch Vermögen oder Schulden und war für niemanden sorgepflichtig. Auf Grund ihrer schlechten finanziellen Lage fassten der Beschwerdeführer und seine vier Komplizen den Entschluss, XXXX bzw. XXXX zu überfallen und die jeweiligen Angestellten mit einer - dem Eindruck einer Schusswaffe erweckenden - Gaspistole zu bedrohen, um diesen dadurch Bargeld abzunötigen und sich durch die Zueignung dieses Bargelds unrechtmäßig zu bereichern.

 

Ein Komplize holte den Beschwerdeführer am XXXX, dem Tag des Endes seiner Beschäftigung beim XXXX, mit seinem PKW ab und sie fuhren nachXXXX. Sie begaben sich zu XXXX, der Komplize parkte den PKW dahinter und sie gingen gemeinsam XXXX. Der Beschwerdeführer hatte bereits die Waffe in der rechten Hand hinter dem Rücken und die Maske auf. Da jedoch zu viele Leute in XXXX waren und ein Mann sie ansprach, was sie hier machen, ließen sie von ihrem Vorhaben ab und führen zu XXXX. Dort beobachteten Sie zunächst den Kundenverkehr. Bei passender Gelegenheit betraten der Beschwerdeführer, der eine Maske trug, und sein Komplize, der Kapuze und Sonnenbrille trug, XXXX, der Komplize zog die Waffe und lud durch. Er richtete sie auf die Angestellte und forderte Bargeld, welches ihnen auch übergeben wurde. Dadurch erbeuteten Sie € XXXX,-.

 

Einen Monat später, am XXXX beschloss der Beschwerdeführer mit zwei anderen Komplizen, XXXX inXXXX zu überfallen. Gegen XXXX Uhr holte einer der Komplizen den Beschwerdeführer und die anderen mit dem PKW ab und sie führen XXXX. Der Fahrer blieb in der Nähe XXXX im Fahrzeug, um dem Beschwerdeführer und dem zweiten Komplizen Lichtzeichen zu geben, wenn kein Auto mehr in XXXX war. Der Beschwerdeführer und der zweite Komplize stiegen aus und maskierten sich; beide waren mit Gaspistolen bewaffnet. Derartig bewaffnet und maskiert wollten sie XXXX betreten und den Raubüberfall durchzuführen. Sie gingen zur Türe des Haupteinganges, diese ging jedoch nicht mehr auf, da XXXX bereits geschlossen war. Aus diesem Grund ließen sie von ihrem Vorhaben ab, liefen zum PKW und fuhren weg.

 

Weniger als zwei Wochen später beschlossen der Beschwerdeführer, der Komplize, mit dem er XXXX überfallen hatte, und ein weiterer Komplize, neuerlich einen Raubüberfall auf XXXX durchzuführen. Der Komplize des ersten XXXX war der Fahrer und ließ den Beschwerdeführer und den weiteren Komplizen in unmittelbarer Nähe XXXX aussteigen. Diese rannten bewaffnet und maskiert in XXXX, XXXX sich zu diesem Zeitpunkt keine Kunden mehr aufhielten. Diesmal trug der Komplize die Maske, der Beschwerdeführer einen Kapuzen-Sweater. Der Komplize bedrohte die Angestellte mit der Gaspistole und forderte Geld, die Angestellte legte es auf den Tresen, der Komplize nahm das Geld und beide rannten aus XXXX zum ca. 200-300 m entfernten PKW, mit dem sie wegfuhren.

 

Der Beschwerdeführer beschloss mit diesen beiden Komplizen am Folgetag neuerlichXXXX zu überfallen, die beiden Komplizen wechselten ihre Rollen. Der Beschwerdeführer und der Fluchtwagenfahrer des letzten XXXX betraten maskiert und bewaffnet XXXX, in der sich eine Angestellte aufhielt. Der Beschwerdeführer ging mit gezogener Waffe auf die Angestellte zu, der Komplize hatte ebenfalls eine Gaspistole dabei. Sie forderten wiederum Geld, das die Angestellte ihnen gab. Dabei erbeuteten Sie € XXXX. Danach verließen sie XXXX, liefen zum wartenden Fluchtfahrzeug und fuhren mit dem PKW davon. Die vom Beschwerdeführer bei seinen Taten verwendete Gaspistole hatte er von einem der Komplizen des ersten XXXX bekommen.

 

Die wiederholten bewaffneten Raubüberfälle, die durchwegs auf XXXX und XXXX verübt wurden, sind fraglos der Schwerstkriminalität zuzurechnen; in ihnen manifestiert sich eine erhebliche kriminelle Energie und ein hoher Handlungsunwert.

 

Der Beschwerdeführer wurde nach einer Hausdurchsuchung, bei der die Tatutensilien in der Familienwohnung des Beschwerdeführers sichergestellt wurden, festgenommen; über ihn wurde am XXXX die Untersuchungshaft verhängt. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.07.2014 wegen des dreifachen Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB sowie wegen des zweifachen Verbrechens des versuchten schweren Raubes gemäß §§ 15, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB unter Anwendung des § 36 JGG, weil der Beschwerdeführer zum jeweiligen Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, als junger Erwachsener zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei zwei Jahre gemäß § 43a Abs. 4 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

 

In der Hauptverhandlung betonte der Beschwerdeführer sowohl in seiner Einvernahme, als auch nach der Einvernahme der beiden Zeuginnen, dass es ihm leidtue und er den Schaden auf jeden Fall wieder gut machen wolle. Bis dato hat der Beschwerdeführer keine Schritte gesetzt, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.

 

Das Oberlandesgericht XXXX gab der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil mit Urteil vom 05.12.2014 statt und erhöhte die Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers unter Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht auf VIER Jahre.

 

Der Beschwerdeführer verbüßte seine Haftstrafe bis XXXX in der Justizanstalt XXXX, ehe er nach der Bewilligung der Überstellung in den Jugendvollzug, damit er seine Ausbildung abschließen konnte, in die Justizanstalt XXXX verlegt wurde, wo ihm keine Ordnungswidrigkeiten zur Last lagen und er im gelockerten Vollzug angehalten wurde. Er wurde von seiner Familie in der Justizanstalt besucht und besuchte sie auf seinen Freigängen. Die in der Justizanstalt XXXX begonnene MECHANIKER-Lehre brach der Beschwerdeführer ab. Im Schuljahr 2015/2016 besuchte er die XXXX KLASSE der HANDELSSCHULE XXXX.

 

Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 01.04.2016 wurde der Beschwerdeführer am XXXXunter Anordnung einer Probezeit von drei Jahren und von Bewährungshilfe nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe bedingt aus der Strafhaft entlassen. Die Arbeitsstelle, auf die sich die Einstellungszusage bezog, auf die sich die bedingte Entlassung aus der Strafhaft maßgeblich gründete, trat der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung nicht an.

 

Er zog nach der Haftentlassung wieder bei seinen Eltern ein. ImXXXX2015 war die ältere Schwester des Beschwerdeführers mit ihrem Mann, einem russischen Staatsangehörigen, der in Österreich asylberechtigt ist, nach XXXX, XXXX gezogen. Seit der Haftentlassung des Beschwerdeführers besteht daher auch mit ihr kein gemeinsamer Wohnsitz mehr. 2016 nahm der älteste Bruder des Beschwerdeführers, XXXX, als einziger in der Familie des Beschwerdeführers die österreichische Staatsbürgerschaft an.

 

XXXX-XXXX bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld. Er trainierte MIXED MARTIAL ARTS in einem Kampfsportzentrum in XXXX. Im XXXX 2016 bestand er die Abschlussprüfung der HANDELSSCHULE. Im Schuljahr 2016/2017 besuchte der Beschwerdeführer den AUFBAULEHRGANG. Ein positiver Schulerfolg in der XXXXKlasse des AUFBAULEHRGANGS kann nicht festgestellt werden. Er brach den DREIJÄHRIGEN AUFBAULEHRGANG ab. XXXX-XXXX arbeitete er geringfügig als KELLNER. XXXX-XXXX bezog er wieder Arbeitslosengeld. Gleichzeitig war er XXXX-XXXX bei der XXXX geringfügig beschäftigt.

 

Ab XXXX arbeitete er Vollzeit als angelernter Lagerarbeiter in der XXXX. Er machte den XXXX. Das Landesgericht XXXX hob mit Beschluss vom 16.02.2018 die angeordnete Bewährungshilfe als nicht mehr notwendig auf.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im XXXX 2016 oder 2017 eine Österreicherin, die er wenige Monate nach der Haftentlassung im XXXX 2016 kennengelernt hatte, nach muslimischem Ritus heiratete, diese im gemeinsamen Haushalt der Familie lebte und die Ehe XXXX 2018 geschieden wurde. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos; er hat keine Obsorgepflichten.

 

Am 18.05.2018 wurde das Arbeitsverhältnis mit der XXXX einvernehmlich beendet, weil sich der Beschwerdeführer beruflich verändern wollte. Seit XXXX ist der Beschwerdeführer bei einem PERSONALVERMITTLUNGSBÜRO als ungelernter Arbeiter beschäftigt; er wurde an ein Unternehmen in XXXX überlassen. Dass der den Führerschein gemacht hat, kann nicht festgestellt werden.

 

Derzeit lebt der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter (49 JAHRE ALT), seinem Vater (54), dessen Zweitfrau (53), seinen Brüdern XXXX (19), XXXX (16) und XXXX (12), seiner Schwester XXXX (10) und seinen Halbschwestern XXXX (17) und XXXX (13) in der Wohnung seiner Eltern. Er ist als einziger im Haushalt erwerbstätig; die Familie bestreitet ihren Lebensunterhalt durch die Mindestsicherung. Die jüngere Schwester des Beschwerdeführers hat XXXX und XXXX, die Mutter des Beschwerdeführers kümmert sich um sie. Der Vater nimmt XXXXMEDIKAMENTE. Die übrigen Angehörigen sind gesund.

 

Auch der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist von keinem seiner in Österreich lebenden Verwandten finanziell abhängig, es besteht auch kein Pflegschaftsverhältnis. Umgekehrt ist auch niemand im Haushalt von ihm abhängig.

 

Innerhalb der Familie wird Russisch und Tschetschenisch gesprochen; die Familie lebt nach den tschetschenischen Bräuchen. Der Beschwerdeführer spricht Russisch und Tschetschenisch, Deutsch und Englisch.

 

Außerhalb des Haushalts verfügt der Beschwerdeführer abgesehen von seinen Geschwistern über keine Angehörigen in Österreich:

 

XXXX heiratete 2015 nach der Berufsausbildung nach muslimischem Ritus einen in Österreich asylberechtigten russischen Staatsangehörigen und war nie erwerbstätig; sie ist Mutter eines ZWEIJÄHRIGEN Kindes. Ihr Lebensunterhalt wird durch ihren Gatten, mit dem sie seit XXXX 2018 standesamtlich verheiratet ist, gesichert. Ein Abhängigkeitsverhältnis zum Beschwerdeführer bestand und besteht nicht. Eine Gefährdung des Beschwerdeführers auf Grund der Asylgründe seines Schwagers kann nicht festgestellt werden.

 

Zu seinen nicht mehr im selben Haushalt lebenden Geschwistern XXXX, XXXX und XXXX besteht Kontakt nur über Telefon und Besuche. Er kann als Telefonkontakt auch aus der Russischen Föderation aufrechterhalten werden; XXXX, der österreichischer Staatsbürger ist, kann ihn auch besuchen. Es kann nicht festgestellt werden, dass seinen Geschwistern, Halbgeschwistern, seiner Mutter oder der Zweitfrau seines Vaters Gefahr drohen würde, wenn sie den Beschwerdeführer in der Russischen Föderation besuchen würden.

 

Der Beschwerdeführer besucht aktuell nicht mehr den Kampfsportklub XXXX, sondern ein Fitnesscenter in der Nähe seiner Wohnung, in Vereinen ist er nicht mehr aktiv. Er hat freundschaftliche Beziehungen sowohl in der tschetschenischen Community, als auch außerhalb.

 

In der Russischen Föderation, XXXX, leben jedenfalls noch ein Onkel mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits mit ihren Familien. Es kann nicht festgestellt werden, dass kein Kontakt mehr zu ihnen besteht. Es steht vielmehr fest, dass sie den Beschwerdeführer unterstützen und ihm bei der Wiedereingliederung helfen würden. Eine Gefährdung des Onkels und der Tante des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation kann nicht festgestellt werden.

 

Die Familie des Beschwerdeführers verfügt über ein Haus in XXXX, eine Wohnung in XXXX und das Haus der Großeltern mütterlicherseits und ein Grundstück in XXXX.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer auf Grund von Blutrache im Herkunftsstaat Gefahr gedroht hat oder im Falle der Rückkehr drohen würde.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Gefahr gedroht hat oder im Falle der Rückkehr drohen würde, weil der Cousin seiner Mutter im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft hat.

 

Dem Beschwerdeführer droht keine Gefahr mehr, weil sein Vater im ersten Tschetschenienkrieg Kämpfer mit Waffen, Munition, Lebensmitteln und Zigaretten versorgt und Verwundete beherbergt hat und aus diesem Grund während des zweiten Tschetschenienkrieges einmal in XXXX und einmal in XXXXmitgenommen und angehalten wurde. Der Vater des Beschwerdeführers wurde im FRÜHLING und im SOMMER 2003 geladen, kam aber den Ladungen nicht nach. Er reiste im WINTER/FRÜHJAHR 2004 nach XXXX zu seinem Vater zurück und reiste danach wieder nach POLEN. Dabei war er keiner Gefährdung ausgesetzt. Er war in Österreich keiner Gefahr ausgesetzt. Seine Auslieferung wurde von der Russischen Föderation nie beantragt.

 

Dem Beschwerdeführer droht keine Gefahr als ehemaliger Asylberechtigter oder Angehöriger von Asylberechtigten.

 

Dem Beschwerdeführer drohen im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation weder die Todesstrafe noch eine Haftstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, Folter oder unmenschliche Behandlung.

 

Es ist dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation niederzulassen und anzumelden, zB in XXXX, wo er aufgewachsen ist, oder in einer der Städte in der Russischen Föderation, von denen viele über eine große tschetschenische Diaspora verfügen. In XXXX/XXXXverfügt seine Familie über ein Haus und Verwandte, die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bieten bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der Beschwerdeführer hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

 

Der Beschwerdeführer stellt weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Es kann nicht festgestellt werden, dass tatsächlich ein Lebenswandel stattfand.

 

Die Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Allgemeinen dar wie folgt:

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt.

 

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534 , Zugriff 1.8.2018

 

? CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html , Zugriff 1.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 1.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 1.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 1.8.2018

 

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true , Zugriff 29.8.2018

 

? Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen , Zugriff 1.8.2018

 

? Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident , Zugriff 1.8.2018

 

? Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin,

 

? https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html , Zugriff 1.8.2018

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx , Zugriff 1.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/ , Zugriff 1.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf , Zugriff 1.8.2018

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 28.8.2018

 

? BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff 29.8.2018

 

? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html , Zugriff 28.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Nordkaukasus

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

 

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

 

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

? DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520 , Zugriff 28.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

? Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/ , Zugriff 28.8.2018

 

? Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/ , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , Zugriff 28.8.2018

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

 

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

 

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

 

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

 

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

 

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 1.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , S. 9, Zugriff 2.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx , Zugriff 2.8.2018

 

? ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx , Zugriff 2.8.2018

 

? Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/ , Zugriff 2.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von

Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

 

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen "Komitee gegen Folter" kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene "Geständnisse" werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

 

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).

 

Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

 

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 2.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 2.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 3.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 3.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setzt-ermittlungen-gegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939 , Zugriff 2.8.2018

 

? Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären,

https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenien-aufklaeren , Zugriff 3.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert, um sich selbst zu bereichern (FH 1.2018).

 

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, die Regierung bestätigt aber, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind. Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 20.4.2018).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl der Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatlichen Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter sind sich jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeiter/innen. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen, um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeiter/innen, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt, ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl der Staatsangestellten relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach gering oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft - wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramzan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 7.2018a).

 

Korruption ist vor allem in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete der "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff 6.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 6.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 6.8.2018

 

? IAR - International Affairs Review (31.3.2014): The Post-Sochi North Caucasus Remains Mired in Corruption, http://www.iar-gwu.org/content/post-sochi-north-caucasus-remains-mired-corruption , Zugriff 6.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/698619/17129252/17046926/17255781/Russische_Föderation_-_Country_Fact_Sheet_2014,_deutsch.pdf?nodeid=17256004&vernum=-2 , Zugriff 6.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? SEM - Staatssekretariat für Migration (15.7.2016): Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europa-gus/rus/RUS-korruption-d.pdf , Zugriff 6.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 6.8.2018

 

Ombudsmann

 

Nachfolgerin der Ombudsfrau (Menschenrechtsbeauftragte) Ella Pamfilowa ist Tatjana N. Moskalkowa. Sie war hochrangige Polizeibeamtin und seit 2007 Duma Abgeordnete. Da sie keine Erfahrung als Menschenrechtsaktivistin hat, wurde sie von mehreren Seiten kritisiert (NY Times 22.4.2016, vgl. Standard.at 3.11.2017). Sie versucht die Aufklärung der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien voranzutreiben (Standard.at 3.11.2017). Russland hat in 83 von 85 Regionen regionale Ombudspersonen. Ihre Effektivität variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (US DOS 20.4.2018).

 

Moskalkowa (seit 2016) tritt nicht mit Kritik an der Lage bei klassischen Bürgerrechten in Erscheinung, sondern setzt ihren Schwerpunkt auf die "Rechte der dritten Generation", d.h. soziale Rechte (u.a. Lohnzahlung, Mietsachen) (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? NY Times (22.4.2016): Russia's New Human Rights Ombudsman Is Former Police General,

https://www.nytimes.com/2016/04/23/world/europe/russias-new-human-rights-ombudsman-is-former-police-general.html , Zugriff 3.8.2018

 

? Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären,

https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenien-aufklaeren , Zugriff 3.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 2.8.2018

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte. Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, bzw. durch Väter mehrerer Kinder. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden, in der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind weit verbreitet. So sollen 2016 rund

3.800 Personen nicht den Ladungen der Militärkommissariate gefolgt sein. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert. Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Die Anzahl der aus dem Nordkaukasus rekrutierten Soldaten bleibt weiterhin niedrig. So wurden im Herbst 2017 aus der gesamten nordkaukasischen Region nur rund 6.000 Personen rekrutiert. In einigen Nordkaukasus-Republiken werden überdies nur Männer rekrutiert, für welche mehrere respektierte Persönlichkeiten als Bürgen auftreten. Die Regel zielt darauf ab, dass in die Armee nur disziplinierte Personen einberufen werden, um Konflikte zu vermeiden (ÖB Moskau 12.2017). Im Allgemeinen sinken die Zahlen der Einberufenen. Im Frühling 2018 wurden nur noch 128.000 Personen einberufen. Die geringe Zahl hat damit zu tun, dass die derzeitigen Kohorten extrem niedrige Geburtenraten aufweisen (Jamestown 10.4.2018).

 

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Gefahrenzulagen sowie einen Zuschuss für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden 2017 weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. 2017 gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee.Bürger.Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die beiden Organisationen wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das 2016 erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu "Dedowschtschina" kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis erklärt. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft (AA 21.5.2018).

 

Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 21.5.2018).

 

Insgesamt sind jedoch zunehmend einzelne Verbesserungen zu erkennen, da (teilweise auf Initiative der Soldatenmütter) vor drei bis vier Jahren ein Beschwerderecht für Soldaten eingeführt wurde, seit Kurzem jeder Soldat ein Gehaltskonto haben muss, um Korruption und Erpressung durch Vorgesetzte zu verhindern und sich die soziale Lage durch den Neubau von Kasernen und die damit einhergehende Abnahme der Überbelegung verbessert hat, wodurch auch die Misshandlungen jüngerer durch ältere Soldaten zurückgegangen sind (AA 21.5.2018).

 

Das Verteidigungsministerium kooperiert mit der Ombudsstelle für Menschenrechte und mit relevanten NGOs, um regelmäßige Vorwürfe der Misshandlung von Rekruten zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Im April 2017 erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 37,6% gesunken sei. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die russische Armee hat mit Stand 2017 850.000 Soldaten, davon 250.000 Wehrdienstleistende, 354.000 Kontraktniki [Vertragssoldaten], 220.000 Offiziere und 30.000 Kadetten von Militärakademien (Jamestown 8.11.2017).

 

In Tschetschenien wurden bei der Stellung im Herbst 2017 500 Wehrpflichtige eingezogen. 400 von ihnen werden ihren Militärdienst in den Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums im südlichen Militärdistrikt, die restlichen 100 werden ihren Dienst in den Einheiten der Nationalgarde ableisten. Laut Militärangehörigen wird die Anzahl an jungen Tschetschenen, die in der Armee dienen möchten, von Jahr zu Jahr mehr. Grund hierfür sind die schlechten Berufsaussichten in Tschetschenien. Momentan würden auf eine freie Stelle 50 Kandidaten kommen. Das Rekrutierungspotential in Tschetschenien liegt bei ca. 80.000 jungen Männern (Caucasian Knot 1.12.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? Caucasian Knot (1.12.2017): All Chechen conscripts sent to army, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/41660/ , Zugriff 8.8.2018

 

? Jamestown Foundation (10.4.2018): 2018 Spring Draft Highlights Russia's Demographic Decline, Eurasia Daily Monitor Volume: 15 Issue: 54, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429303.html , Zugriff 7.8.2018

 

? Jamestown Foundation (8.11.2017): How Many Soldiers Does Russia Have? Eurasia Daily Monitor Volume: 14 Issue: 144, https://jamestown.org/program/many-soldiers-russia/ , Zugriff 7.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Wehrersatzdienst

 

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (AA 21.5.2018). Dieser alternative Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt. Die Möglichkeit zum alternativen Zivildienst wird in der Praxis auch genutzt. So absolvierten mit Stand vom August 2017 laut Angaben der Föderalen Agentur für Arbeit und Beschäftigung über 1.000 Personen alternativen Zivildienst. Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht. Insgesamt blickt der Zivildienst in Russland bereits auf eine lange historische Tradition zurück (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt (ACCORD 12.11.2014).

 

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen:

Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel oder iHv. 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel oder iHv. sechs Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu sechs Monate Haft. Laut offizieller Statistik des russischen Obersten Gerichtshofs wurden 314 Personen in der ersten Jahreshälfte 2017 wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, zwei weitere Personen wegen der Verweigerung des alternativen Zivildienstes (ÖB Moskau 12.2017). Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Juli 2017 ist Wehrdienstverweigerern der Eintritt in den Staatsdienst für eine Dauer von zehn Jahren verboten (ÖB Moskau 12.2017, vgl. Jamestown 8.11.2017).

 

Quellen:

 

? ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.11.2014): Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Strafen bei Wehrdienstverweigerung (Ignorierung einer Ladung zum Wehrdienst); legale Gründe zur Verweigerung des Wehrdienstes; Befragung und "Durchleuchtung" des familiären Hintergrundes von rückkehrenden Tschetschenen, die einer Ladung zum Wehrdienst nicht nachgekommen sind; Diskriminierung von Tschetschenen bei Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung; Misshandlung und diskriminierende Behandlung von Tschetschenen in der Armee [a-8933-1],

http://www.ecoi.net/local_link/290419/425021_de.html , Zugriff 7.8.2018

 

? Jamestown Foundation (8.11.2017): How Many Soldiers Does Russia Have? in: Eurasia Daily Monitor Volume: 14 Issue: 144, https://jamestown.org/program/many-soldiers-russia/ , Zugriff 7.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

? Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

 

? Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

 

? Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

 

? Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

 

? Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

 

? Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

 

? Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 21.5.2018).

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 8.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 8.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 8.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 8.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2017). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramzan Kadyrow bei einem Auftritt in Grozny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden (SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine ist die Republik Tschetschenien zu verlassen, aber das kann sich nicht jeder leisten, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017).

 

Nach der Terrorattacke auf Grozny am 4.12.2014 hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 Häuser, die niedergebrannt wurden (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall, wo ein Haus niedergebrannt wurde, ist jener von Ramazan Dschalaldinow aus dem Jahr 2016. Er hat sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso im Jahr 2016 wurden nach einer Attacke von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US DOS, Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern, als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. In allen rezenten Jahresberichten dieser Organisationen (AI, US DOS, HRW und FH) mit Berichtszeitraum 2017 kamen keine Informationen zum Niederbrennen von Häusern vor (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes dran sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSB-Leiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12. Dezember 2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden, die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor Saudi-Arabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der IS-Kämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2. Dezember 2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27. Juli 2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB kommuniziert, dass 220 zurückgekehrte Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen stünden. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet. In Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein. Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebenden IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben. Prominentestes Beispiel für die terroristischen Umtriebe zwischen dem Nordkaukasus, der Diaspora in Mitteleuropa und den Kampfgebieten des sog. IS im Nahen Osten war wohl der Austro-Dschihadist tschetschenischer Provenienz namens Akhmed Chatayev, der vom Al-Qaida-Sanktionskomitee des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wegen der Rekrutierung russischsprachiger IS-Kämpfer gelistet wurde, als Drahtzieher hinter dem verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 gilt und bei einer Anti-Terror-Operation in Tiflis in Georgien getötet worden ist. Deutsche Medien berichteten im Jahr 2017 über Verdachtsmomente, dass Russland die Migration von Tschetschenen nach Mitteleuropa fördern könnte, unter denen auch radikale Islamisten zu befürchten seien, um so die durch die Migrationskrise angespannte Lage weiter zu destabilisieren. Anderen Berichten zufolge könnte der russische Geheimdienst FSB mitunter als Migranten getarnte Agenten nach Mitteleuropa schleusen. Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie UTair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. Auch in der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff .8.2018

 

? Caucasian Knot (25.1.2017): ??????? ???????? ????????? ????????? ???????? ??? ?????????????? [Kadyrow hat den tschetschenischen Sicherheitskräften erlaubt, ohne Vorwarnung zu schießen], zitiert nach: ACCORD (7.7.2017): a-10223, https://www.ecoi.net/de/dokument/1406510.html , Zugriff 9.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 10.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch: Russia (26.5.2017): Anti-Gay Purge in Chechnya,

http://www.ecoi.net/file_upload/5228_1496394209_chechnya0517-web.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html , Zugriff 10.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 10.8.2018

 

? Landinfo (8.8.2016): Temanotat Tsjetsjenia: Fremmedkrigere i Syria og Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1474548512_3394-1.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

? Meduza (31.1.0.2017): Guilty by blood, https://meduza.io/en/feature/2017/10/31/guilty-by-blood , Zugriff 31.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? ÖB Moskau (12.7.2017): Information an die Staatendokumentation, Moskau-KA/ENTW/0014/2017, per Email

 

? ORF.at (9.7.2017): Tschetschenien: Polizei soll 27 Menschen hingerichtet haben, http://orf.at/stories/2398632 , Zugriff 9.8.2018

 

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (18.5.2016): Fearing Reprisals, Chechnya Whistle-Blower Keeps Family's Location Secret, https://www.rferl.org/a/russia-chechnya-whistle-blower-keeps-location-family-secret/27743431.html , Zugriff 9.8.2018

 

? SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

? Der Standard.at (14.12.2014): Tschetschenien: NGO-Büro in Grosny angezündet,

http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt , Zugriff 9.8.2018

 

? Der Standard.at (10.7.2017): Tschetschenien: Keine Anzeige, kein Verbrechen,

http://derstandard.at/2000061093127/Keine-Anzeige-kein-Verbrechen , Zugriff 9.8.2018

 

? SWP (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 9.8.2018

 

? The Telegraph (17.1.2015): Chechen leader targets families as insurgents swear loyalty to leader of Islamic State, https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/russia/11352849/Chechen-leader-targets-families-as-insurgents-swear-loyalty-to-leader-of-Islamic-State.html , Zugriff 9.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html , Zugriff 10.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 10.8.2018

 

Haftbedingungen

 

Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 90er Jahre langsam aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. In dem Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall Ananyev und andere v. Russland hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen, und das Problem systemischer Natur ist (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). 2012 legte Russland einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Probleme im Strafvollzug vor, der vom Ministerkomitee des Europarates positiv aufgenommen wurde. Konkrete Schritte zur Verbesserung der Situation, insbesondere in den Untersuchungsgefängnissen, werden jedoch nur schleppend umgesetzt. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge auf Grund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12 bzw. 13% gesunken ist, Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 12.2017). Die häufigsten Vorwürfe betrafen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018) und Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018). Amnesty International übte Kritik an der häufig vorkommenden Verbringung von Häftlingen in weit entfernte Strafkolonien unter dürftigen Transportbedingungen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AI 22.2.2018). Zum Jahresende 2017 waren laut offiziellen Daten etwas über 600.000 Personen in Haft. Die Anzahl an inhaftierten Personen erreichte bereits im Jänner 2017 einen historischen Tiefstand. Derzeit nimmt Russland weltweit den vierten Platz der größten Häftlingspopulationen ein (nach den USA, China und Brasilien). Dies entspricht einer Quote von 420 pro 100.000 Einwohner (Platz 15 weltweit) (ÖB Moskau 12.2017). Die Regierung ist bestrebt, die Zahl der Gefängnisinsassen noch weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte ein Gesetzentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsatz statt Freiheitsstrafe) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als "Folterkolonien" berüchtigt seien. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen von über 40 Personen und ist häufig sehr schlecht. Duschen ist in der Regel nur einmal wöchentlich möglich. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Die medizinische Versorgung ist ebenfalls unbefriedigend. Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung sollen vorkommen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist u.a. die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer stellten die Gerichte Notwendigkeit und Dauer der U-Haft nicht in Frage und verlängerten die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 21.5.2018).

 

Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen von Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese sind unzulänglich. Es gibt 13 Einrichtungen, in denen auch Kleinkinder von Insassinnen leben können (US DOS 20.4.2018).

 

Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" - in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet - und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben - vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard.at 10.1.2017).

 

Laut Berichten einzelner NGOs müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. In den Fällen, in denen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich "normaler" Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Republik verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen besser als im Durchschnitt Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien i. d. R. als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes "sachfremdes" Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien i.d.R. eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 21.5.2018).

 

Die öffentlichen Aufsichtskommissionen, die der unabhängigen Überwachung der Haftanstalten dienten, verloren weiter an Bedeutung und erzielten kaum Wirkung, nicht zuletzt wegen ihrer chronischen Unterfinanzierung. Die Mitglieder der Kommissionen wurden von öffentlichen Kammern ernannt, bei denen es sich um beratende Gremien handelte, die sich aus staatlich ausgewählten Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen zusammensetzten. Eine Änderung der Ernennungsregeln führte dazu, dass einige Aufsichtskommissionen weniger Mitglieder umfassten. Dies wirkte sich zum Teil auf die Unabhängigkeit der Kommissionen aus, weil bestimmte Menschenrechtsverteidiger faktisch von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren. Es gab Berichte, wonach Mitgliedern der öffentlichen Aufsichtskommissionen und des Menschenrechtsrats des Präsidenten sowie anderen unabhängigen Beobachtern der Zugang zu Strafkolonien von der jeweiligen Gefängnisverwaltung willkürlich verweigert wurde (AI 22.2.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 21.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 21.8.2018

 

? Handelsblatt (2.1.2017): Zwangsarbeit statt Knast, http://www.handelsblatt.com/politik/international/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html , Zugriff 4.7.2017

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Standard.at (10.1.2017): Zwangsarbeit statt Haft in Russland, http://derstandard.at/2000050437057/Zwangsarbeit-statt-Knast-in-Russland , Zugriff 4.7.2017

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 17.8.2018

 

Todesstrafe

 

Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Seit 1996 gilt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Die Bevölkerung ist Befragungen zufolge mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe. Im Hinblick auf die Europaratsmitgliedschaft hat das russische Verfassungsgericht trotz des de-iure-Fortbestehens der Todesstrafe bereits 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland auch weiterhin nicht verhängt werden darf; man kann somit von einer de facto-Abschaffung der Todesstrafe sprechen. Die letzte Hinrichtung fand am 2. September 1996 statt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013).

 

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namen des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018).

 

Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff 21.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 21.8.2018

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 21.8.2018

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 21.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 21.8.2018

 

? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom(4.2018): 2018 Annual Report., Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435641/1226_1529394241_tier1-russia.pdf , Zugriff 21.8.2018

 

Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).

 

In Tschetschenien setzt Ramzan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islams, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte werden (USCIRF 4.2018). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Kämpfern propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Instrumentalisierung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Befürwortung der Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Mutmaßliche Dschihadisten werden in Tschetschenien inhaftiert, und es kann zu Folterungen und außergerichtlichen Tötungen kommen (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

? BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland:

Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus

 

? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

 

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html , Zugriff 21.8.2018

 

? ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam, S. 111-113

 

? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom(4.2018): 2018 Annual Report., Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435641/1226_1529394241_tier1-russia.pdf , Zugriff 21.8.2018

 

Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2018c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation Sova verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 21.5.2018).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 24.8.2018

 

? Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html , Zugriff 22.8.2018

 

? US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html , Zugriff 22.8.2018

 

Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

? ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 29.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? US DOS - United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices for 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/337201/479965_de.html , Zugriff 22.8.2017

 

Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "Vaynakh-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? Al Jazeera (28.11.2017): Is Chechnya's Kadyrov really 'dreaming' of quitting?

https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/chechnya-kadyrov-dreaming-quitting-171128063011120.html , Zugriff 31.8.2018

 

? EASO - European Asylum Support Office (8.2018): Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia,

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Office (8.2012): Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 30.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.8.2018

 

? New York Times (17.8.2017): Is Chechnya Taking Over Russia? https://www.nytimes.com/2017/08/17/opinion/chechnya-ramzan-kadyrov-russia.html?ref=opinion , Zugriff 31.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Telegraph (24.2.2016): Ramzan Kadyrov: Putin's 'sniper' in Chechnya,

http://s.telegraph.co.uk/graphics/projects/Putin-Ramzan-Kadyrov-Boris-Nemtsov-Chechnya-opposition-Kremlin/index.html , Zugriff 31.8.2018

 

Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 24.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (22.8.2018): Aktueller Stand der Sanktionen gegen Russland und die Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Russland_und_die_Ukrai.html , Zugriff 24.8.2018

 

? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2018): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf , Zugriff 24.8.2018

 

Nordkaukasus

 

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden noch immer zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 7.2018a, vgl. ÖB Moskau 12.2017), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Aufgrund der Transferzahlungen aus dem föderalen Budget hat sich die wirtschaftliche Situation Tschetscheniens in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Trotz der Versuche Moskaus, die sozio-ökonomische Situation im gesamten Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen abhängig. Die Wirtschaftskrise während der vergangenen Jahre und damit einhergehenden budgetären Einsparungen stellen eine potentielle Gefahr für die Nachhaltigkeit der Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt, und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen, und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grozny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die volatile Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus, und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

 

Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei

10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die russische Tageszeitung "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grozny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff 24.8.2018

 

? ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, Link nicht mehr aktiv, Originaldokument liegt bei der Staatendokumentation auf, Zugriff 24.8.2018

 

Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

? Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

 

? Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.);

 

? Familien mit geringem Einkommen;

 

? Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 24.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? RBTH - Russia beyond the Headlines (22.4.2017): Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff 27.8.2018

 

Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter Prophylaxe-Programme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 22.8.2018

 

? GTAI - German Trade and Invest (5.1.2016): Russlands Privatmedizin erfährt ungewohnten Zulauf,

http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatmedizin-erfaehrt-ungewohnten-zulauf,did=1387278.html, Zugriff 23.8.2018

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 23.8.2018

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

? Ostexperte.de (22.9.2017): Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff 23.8.2018

 

Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung - inklusive Notfall- und spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung):

 

? infektiöse und parasitäre Krankheiten

 

? Tumore

 

? endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten

 

? Krankheiten des Nervensystems

 

? Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems

 

? Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde

 

? Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes

 

? Krankheiten des Kreislaufsystems

 

? Krankheiten des Atmungssystems

 

? Krankheiten des Verdauungssystems

 

? Krankheiten des Urogenitalsystems

 

? Schwangerschaft, Geburt, Abort und Wochenbett

 

? Krankheiten der Haut und der Unterhaut

 

? Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes

 

? Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen

 

? Geburtsfehler und Chromosomenfehler

 

? bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben

 

? Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die nicht in der Kategorie der Internationalen Klassifikation von Krankheiten gelistet sind (BDA CFS 31.3.2015).

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen wie Minderjährige, Studenten, Arbeiter usw. und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 7.2018c, AA 21.5.2018). Trotzdem gibt es medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes (von hier stammt Ramzan Kadyrow). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen auch günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Spezialisten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges teurer als in öffentlichen Institutionen aufgrund von komfortableren Aufenthalt, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff 23.8.2018

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 23.8.2018

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind: "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten (z.B. Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS/PTSD, Depressionen, etc.)

 

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).

 

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).

 

Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).

 

Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).

 

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (auch in Tschetschenien!):

 

Mirtazapin, Sertralin, Citalopram, Amitriptylin, Trazodon, Fluoxetin, Paroxetin, Duloxetin (BMA 7754, BMA 7306, BMA 9701, BMA 7874, BMA 8169).

 

Quellen:

 

? MedCOI (11.3.2015): BMA 6551

 

? MedCOI (7.11.2014): BMA 6051

 

? MedCOI (1.4.2016): BMA 7979

 

? MedCOI (1.4.2016): BMA 7980

 

? MedCOI (26.2.2016): BMA 7754

 

? MedCOI (1.10.2015): BMA 7306

 

? MedCOI (29.5.2017): BMA 9701

 

? MedCOI (26.2.2016): BMA 7874

 

? MedCOI (23.5.2016): BMA 8169

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose

 

HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828) als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927), z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).

 

(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).

 

Quellen:

 

? MedCOI (27.5.2014): BMA 5411

 

? MedCOI (16.2.2016): BMA 7828

 

? MedCOI (14.4.2016): BMA 7927

 

? MedCOI (24.3.2015): BMA 6591

 

? BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? IOM - International Organisation of Migration (2017):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

 

? ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

 

Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

? AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

 

? DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 22.8.2018

 

2. Beweiswürdigung:

 

Dass die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden kann, ergibt sich daraus, dass die Identität des Beschwerdeführers nur durch seine Geburtsurkunde im Zusammenhalt dem Inlandsreisepass seiner Mutter festgestellt wurde. Bei beiden handelt es sich allerdings um gekaufte Dokumente, die - zumindest im Hinblick auf die Volksgruppenzugehörigkeit -Lugurkunden sind, wie in der hg. mündlichen Verhandlung von der Mutter des Beschwerdeführers als Zeugin in Übereinstimmung mit ihren Angaben und den Angaben ihres Mannes in deren Asylverfahren angegeben wurde. Der Beschwerdeführer legte keine unbedenklichen identitätsbezeugenden Nachweise vor. Daher kann seine Identität nicht festgestellt werden.

 

Dass seine Eltern und Geschwister alle russische Staatsangehörige und in Österreich asylberechtigt sind, wie der Beschwerdeführer in der Einlassung vom 04.12.2015 angab, stimmt auf Grund der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft durch seinen Bruder XXXX 2016 ihn betreffend nicht mehr. Dass XXXX in XXXX lebt, wie der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung angab, widerspricht seiner Meldung im Melderegister und kann daher nicht festgestellt werden.

 

Die Angaben zur Volksgruppenzugehörigkeit und zum Religionsbekenntnis des Beschwerdeführers fußen auf den Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung, die mit denen im Asylverfahren in Einklang stehen. Aus den Angaben des Beschwerdeführers, wonach sich für Tschetschenen die Volksgruppenzugehörigkeit aus der des Vaters ergibt, resultiert, dass er Tschetschene ist, wie auch sein Vater und - da auch ihr Vater Tschetschene war - seine Mutter. Eine Verfolgung wegen einer Abstammung aus der gemischtethnischen Ehe seiner Großeltern mütterlicherseits kann diesem Vorbringen nicht entnommen werden und wurde auch im Asylverfahren nicht festgestellt. Eine Verfolgung von Enkelkinder gemischt-ethnischer Familien mütterlicherseits kann auf Grund der Länderberichte nicht festgestellt werden. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen laut den Länderberichten durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat stützte die Verfolgung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verkündung zwar auch auf die Verfolgung aus ethnischen Gründen, begründete dies aber nicht näher. Aus dem Zusammenhang mit den Länderberichten geht jedoch hervor, dass der Unabhängige Bundesasylsenat von einer Verfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe in anderen Teilen der Russischen Föderation ausging, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative vorlag.

 

Eine asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe in der Russischen Föderation kann auf Grund der aktullen Länderberichte nicht mehr festgestellt werden: Während 2006 die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien den Länderberichten im Berufungsbescheid zufolge nicht gewährleistet war, ist den aktuellen Länderberichten zufolge die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger nunmehr stabil. In XXXX, wo der Beschwerdeführer aufwuchs, stellen Tschetschenen laut WIKIPEDIA die mit Abstand zweitgrößte Bevölkerungsgruppe dar. Im Gegensatz zur Situation 2006 wurde mittlerweile das alte, im Berufungsbescheid 2006 als immer noch praktiziert beschriebene PROPISKA-System durch ein neues Meldewesen ersetzt; auch wenn es möglich ist, dass Personen aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden, ist die Registrierung nun auch für Tschetschenen kein Problem, selbst wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann, im Endeffekt bekommen sie die Registrierung. Tschetschenen können sich folglich auch außerhalb Tschetscheniens ansiedeln; dies wird dadurch dokumentiert, dass laut den Daten im Länderinformationsblatt die Mehrheit der Tschetschenen mittlerweile außerhalb Tschetscheniens lebt. Auch wenn Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation ausweislich des aktuellen Länderinformationsblattes immer noch auf eine anti-kaukasische Stimmung treffen, ist die Lage der Tschetschenen in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht mehr mit den Länderfeststellungen im Berufungsbescheid 2006 (vier Jahre nach dem Anschlag auf das Moskauer Musical-Theater, zwei Jahre nach dem Bombenanschlag auf die Moskauer Metro, drei Jahre vor Ende des zweiten Tschetschenienkrieges) vergleichbar, denen zufolge Diskriminierungen und Misshandlungen sowohl durch Privatpersonen, als auch durch Beamte in Uniform weit verbreitet waren und Tschetschenen mit willkürlichen Verhaftungen, konstruierten Anklagen, illegalen Identitätskontrollen aber auch Angriffen durch Gruppen von Privatpersonen rechnen mussten, insbesondere mit Revancheaktionen nach Terroranschlägen. Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt ergibt sich darüber hinaus, dass mittlerweile aktuelle Kämpfer und Angehörige des fundamentalistischen Islam sowie Rückkehrer aus SYRIEN und dem IRAK alte Rebellen des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges aus dem Focus der Behörden verdrängt haben. Es kommt hinzu, dass ausweislich der Länderberichte die umfangreiche tschetschenische Diaspora nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von KADYROW steht.

 

Dass weder er noch sein Vater dem fundamentalistischen Islam nahestehen, politisch oder exilpolitisch oder journalistisch bzw. in einer NGO tätig oder als explizite Regimegegner bekannt sind, ergibt sich aus ihren Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung. Daher kann keine Rückkehrgefährdung aus diesen Gründen festgestellt werden.

 

Die Angaben zum Geburtsort des Beschwerdeführers, dem Aufenthalt in XXXX und in XXXX beruhen auf den Angaben seiner Mutter in ihrem Asylverfahren. Es kann nicht festgestellt werden, dass die der Beschwerdeführer nach Erreichen der Schulpflicht mal in XXXX, mal in XXXX lebte, wie die Mutter in ihrem Asylverfahren allgemein angab und auch der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung, da der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung angab, die gesamte Schulpflicht in XXXX absolviert und nie die Schule gewechselt zu haben und der Vater des Beschwerdeführers, dass sie seit 1992 - dem Geburtsjahr des Beschwerdeführers - nicht mehr in XXXXgelebt haben. Die Mutter und der Vater des Beschwerdeführers gaben als Zeugen der hg. mündlichen Verhandlung auch nur die Übersiedlung vonXXXX nach XXXX und die Ausreise über XXXX an, aber keine weiteren Umzüge in XXXX. Die vom Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung relevierten Wissenslücken betreffend seinen Wohnort waren nicht glaubhaft, da einem im maßgeblichen Zeitraum SECHS- bis NEUNJÄHRIGEN zuzumuten ist, angeben zu können, mit wem er wo zusammengelebt hat und wo er die Schule besucht bzw. ob er sie gewechselt hat. Hinzu kommt, dass die behaupteten Umzüge in der Aussage im selben Haushalt gelebt habenden Zweitfrau des Vaters des Beschwerdeführers in deren Asylverfahren keine Deckung finden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 18.07.2018, er habe Tschetschenien mit 10 JAHREN verlassen, trifft somit ebenfalls nicht zu.

 

Gegen die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers spricht im Übrigen auch, dass er in der hg. mündlichen Verhandlung zunächst zur Zweitfrau seines Vaters sowie seinen Halbschwestern, mit denen er bereits vor der Ausreise aus der Russischen Föderation zusammenlebte, falsche Angaben machte, gleiches gilt für das Treffen mit seinem Vater in POLEN vor der Einreise nach Österreich, das aus Grund der Aussagen seiner Eltern in deren Asylverfahren feststeht und auch der Aussage des Vaters in der hg. mündlichen Verhandlung entspricht. Ebensowenig stimmt eine Aussage des Beschwerdeführers, er habe mit seinem Vater zusammengewohnt, seit sie in Österreich gewesen seien, da auf Grund des Asylaktes seines Vaters feststeht, dass dieser um eine Verlegung in das Grundversorgungsquartier seiner Zweitfrau ersuchte, dies genehmigt wurde und er ohne den Beschwerdeführer zu seiner Zweitfrau in ein anderes Bundesland zog. Es stimmte auch nicht, dass er 2013/2014 als KELLNER arbeitete, er arbeitete alsXXXX. Er gab auch die Zweitfrau seines Vaters wie deren Töchter ausdrücklich als "Stiefschwester" an. Teilweise wirken seine Einlassungen zudem zum Teil auswendig gelernt, zB: "Im sozialen Umfeld habe ich mich ganz normal wieder eingefunden, es gab auch während ich die Schule besucht habe keine Probleme und Vorurteile."

Sätze wie dieser widersprachen der sonstigen Ausdrucksweise des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung.

 

Die Angaben zu den Asylverfahren und Reisewegen des Beschwerdeführers, seiner Geschwister und Eltern gründen sich auf die beigeschafften Gerichtsakten, verwaltungsbehördlichen Niederschriften und Asylbescheide, betreffend seine Halbschwestern und deren Mutter auf die IFA-Auszüge und die beigeschafften Bescheide und Niederschriften, betreffend die Schwester XXXX auch auf ihre Angaben und den ihrer Mutter in der hg. mündlichen Verhandlung. Auf Grund der Widersprüche im Akt kann nicht festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers das zweite Mal am 20.04.2003 (also mit dem Beschwerdeführer) oder drei Tage später einreiste.

 

Die Angaben zur Unterstützung von Kämpfern durch den Vater im ersten Tschetschenienkrieg beruhen auf den Asylakten des Beschwerdeführers, seiner Mutter und seines Vaters. Dass er auch im zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft habe, hat er in seinem Asylverfahren nicht angegeben. Die Angaben zu seiner Verfolgung 2003 auf Grund der Unterstützung von Kämpfern beruhen auf seinen Angaben im Asylverfahren. Dass nicht festgestellt werden kann, dass weiterhin ein Interesse an ihm besteht, resultiert daraus, dass trotz der Rückkehr des Vaters des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zu seinem Vater 2004 bis dato kein Auslieferungsgesuch durch die russischen Behörden gestellt wurde, im Zusammenhalt mit den Länderberichten, insbesondere dem Bericht der Österreichischen Botschaft vom 12.07.2017, wonach sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die aktuell im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen, da keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden konnten, auch wenn es im Internet zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus gibt und da - obwohl zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der Russischen Föderation widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt werden - diese Gesetzesbestimmungen in der Praxis auf Personen abzielen, die aktuell im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen. Umso weniger ist seit 2011 eine Gefährdung von Unterstützern ehemaliger Rebellen, die nicht einmal an den Kämpfen teilgenommen haben, und deren Familienangehörigen zu erwarten. Das Vorbringen seiner Mutter, die Polizei und die Behörden, die 2003, also vor 15 Jahren, nach ihrem Mann gesucht haben, würden nun ihren Sohn verfolgen, ist vor diesem Hintergrund nicht plausibel und nicht glaubhaft; einen Grund, warum diese den Beschwerdeführer jetzt suchen sollten, konnte sie auf Nachfrage nicht angeben. Hinzu kommt, dass ausweislich der Länderberichte die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht und es sich beim Beschwerdeführer und seinen Vater nicht um als solche bekannte explizite Regimegegner handelt. Es kann daher nicht mehr festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer - oder seinen Geschwistern, Halbgeschwistern oder seiner Mutter, oder seinem Vater - im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation Gefahr drohen würde, auf Grund der Unterstützungstätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers im ersten Tschetschenienkrieg wegen unterstellter politischer Gesinnung oder der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie des Vaters einer Gefahr ausgesetzt zu sein. Dem tritt der Vater des Beschwerdeführers mit seinem allgemeinen Hinweis auf YOU TUBE Videos und Telefonate mit einem Freund in KASACHSTAN, dessen Schwester im XXXX lebt, wonach sich dort die Banditen Uniformen angezogen haben, nicht substantiiert entgegen.

 

Eine Gefährdung des Beschwerdeführers, weil der Cousin seiner Mutter als Kämpfer im ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen hatte, wurde von den Beschwerdeführern nie behauptet, der Asylzuerkennung nicht zugrundegelegt und kann auf Grund der Länderberichte, insbesondere des Berichts der Österreichischen Botschaft in Moskau vom 12.07.2017 nicht festgestellt werden.

 

Das vom Vater des Beschwerdeführers auch in der hg. mündlichen Verhandlung angezogene Vorbringen zur Blutrache wurde bereits dem Asylbescheid nicht zugrunde gelegt. Es kann darüber hinaus auch auf Grund der Länderberichte nicht festgestellt werden, dass der Vater des Beschwerdeführers oder dieser selbst als Angehöriger des Familienclans XXXX von der Blutrache zwischen den Clans XXXX und XXXX betroffen wäre, nur weil sein Vater mit jemandem aus dem Clan der XXXX befreundet ist und diesen "Bruder" nennt, da sich die Blutrache nach dem tschetschenischen ADAT auf die Familie im biologischen Sinn bezieht (vgl. ICG, Chechnya, The Inner Abroad, Crisis Group Europe Report Nr. 236, 30.06.2015, 32 f.).

 

Dass der Beschwerdeführer selbst in der Russischen Föderation keine gegen seine Person gerichtete Verfolgung wahrgenommen hat, folgt aus seinen Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung. Dem widersprechen auch nicht die Angaben seiner Mutter im Asylverfahren, die nur angab, aus Angst, dass ihm (und seinen Brüdern) etwas passiert, ausgereist zu sein. Im Gegensatz zur Berufung, derzufolge der Beschwerdeführer und seine Brüder in der Schule auf der Suche nach ihrem Vater aufgesucht und befragt worden seien, stellte der Unabhängige Bundesasylsenat nur fest, dass der Bruder des Beschwerdeführers in der Schule aufgesucht wurde. Der Beschwerdeführer selbst gab in der Stellungnahme vom 04.12.2015 nur an, "auf Grund des Krieges geflüchtet" zu sein. Eine konkrete, für ihn als gegen ihn gerichtet wahrnehmbare Verfolgung machte er damit auch nicht geltend; auch in der hg. mündlichen Verhandlung gab er an, dass er glaube, selbst keiner Bedrohung ausgesetzt gewesen zu sein.

 

Eine Gefährdung des Onkels oder der Tante des Beschwerdeführers, die in der Russischen Föderation leben, wurde nie behauptet und kann daher nicht festgestellt werden. Es wäre zudem nicht plausibel, wenn sie über 15 Jahre im Herkunftsstaat wohnen blieben, wenn sie einer Gefährdung ausgesetzt wären.

 

Eine über die allgemeine Sicherheitslage in der Russischen Föderation, vor allem im XXXX, hinausgehende Gefährdung brachte der Beschwerdeführer auch in der hg. mündlichen Verhandlung nicht vor.

 

Die Angaben zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers und seiner Familie in Österreich beruhen auf seinen Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung sowie Auszügen aus dem GVS und dem ZMR. Das Bundesverwaltungsgericht folgt betreffend den Aufenthalt in XXXX seinen Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung und der mit der Äußerung vom 20.07.2018 vorgelegten Kopie einer Meldebestätigung, auch wenn diese dem hg. ZMR-Auszug widerspricht.

 

Die Angaben zum Volksschulbesuch des Beschwerdeführers stehen auf Grund der Zeugnisse der Schuljahre 2004/2005, 2005/2006 und 2006/2007 sowie der Angaben des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung fest, die Angaben zum Besuch der HAUPTSCHULE auf Grund des Zeugnisses der HAUPTSCHULE XXXX aus dem Schuljahr 2010/2011 und der Angaben des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung. Die Angaben zum Besuch der XXXXKlassen der HANDELSSCHULE gründen sich auf das Zeugnis der HANDELSSCHULE XXXX aus dem Schuljahr 2012/2013. Entgegen der Einlassung des Beschwerdeführers vom 04.12.2015 und in der hg. mündlichen Verhandlung kann nicht festgestellt werden, dass er die XXXX Klasse der HANDELSSCHULE bereits 2013/2014 besuchte, da er diesbezüglich weder (Halbjahres‑)Zeugnis noch Schulbesuchsbestätigung vorlegte und auf Grund des Besuchs der XXXX Klasse im Schuljahr 2015/2016 zumindest feststeht, dass er die XXXX Klasse 2013/2014 jedenfalls nicht erfolgreich besuchte.

 

Der Beschwerdeführer kam der Aufforderung in der hg. mündlichen Verhandlung, alle Zeugnisse vorzulegen, nicht nach. Betreffend die vom Beschwerdeführer vorgelegten Zeugnisse einerseits und die als in Verstoß geraten nicht vorgelegten Zeugnisse andererseits ist auffällig, dass abgesehen vom bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren vorgelegten Zeugnis 2012/2013 (Verhalten in der Schule - wenig zufriedenstellend) alle Zeugnisse nicht vorgelegt wurden, die gemäß § 18 Abs. 3 Leistungsbeurteilungsverordnung eine Betragensnote enthalten.

 

Es kann nicht festgestellt werden, wo der Beschwerdeführer lebte, als er über eine Obdachlosenmeldeadresse in XXXX verfügte; das vorgelegte Zeugnis aus dem Schuljahr 2012/2013 wies die Fehlstunden nicht aus. Dass er weiterhin bei seinen Eltern in XXXX lebte, als er über eine Obdachlosenmeldeadresse in XXXXverfügte, wie der Beschwerdeführer und seine Eltern in der hg. mündlichen Verhandlung angaben, kann mangels Vorlage von Belegen nicht festgestellt werden, zumal das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Grund für die Begründung der Obdachlosenmeldeadresse unplausibel ist: Es ist nicht plausibel, dass es zum Selbständigwerden beiträgt, wie der Beschwerdeführer zunächst angab, wenn man eine Obdachlosenmeldeadresse in einer anderen Stadt begründet, aber bei seinen Eltern wohnen bleibt. Den danach relevierten versuchten unrechtmäßigen Bezug erhöhter Sozialbeilhilfen konnte der Beschwerdeführer trotz der Aufforderung, die Unterlagen dazu vorzulegen, dem er nicht nachkam, ebenfalls nicht plausibilisieren. Warum der - seinen Angaben zufolge - weiterhin in XXXX lebende Beschwerdeführer darüber hinaus die Obdachlosenmeldeadresse in XXXX begründen sollte, was auch bedeutet, dass er regelmäßig nach XXXX fahren musste, um sein Postfach zu betreuen, weil es sonst abgemeldet worden wäre, und die Kosten für diese Pendeln zusätzlich auf sich nahm, im Strafverfahren aber gleichzeitig angab, auf Grund seiner angespannten finanziellen Lage straffällig geworden zu sein, ist ebenfalls nicht plausibel. Vor dem Hintergrund, dass auch seine beiden älteren Brüder länger nicht bzw. in Österreich nur obdachlos gemeldet waren, nachdem sie volljährig wurden, liegt vor dem Hintergrund, dass seine Mutter zumindest bis in die UKRAINE gereist war und der Vater zurück nach XXXX, nachdem sie geflohen waren, zwar der Verdacht nahe, dass der Beschwerdeführer und seine Brüder in die Russische Föderation zurückkehrten. Dies kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. Es kann daher auch nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer dem Schutz seines Herkunftsstaates wieder unterstellt hatte. Belege dafür hat die belangte Behörde nicht vorgelegt.

 

Die Angaben zur geringfügigen Beschäftigung des Beschwerdeführers für ein XXXX 2013-2014 gründen sich auf den Sozialversicherungsauszug.

 

Die Angaben zum Strafverfahren des Beschwerdeführers gründen sich auf den hg. beigeschafften Strafakt, insbesondere die Niederschrift der Hauptverhandlung, die Angaben zu den Taten des Beschwerdeführers stehen auf Grund des Urteils des Landesgerichts vom 23.07.2014 fest, die Angaben zur Strafhöhe und zur Schwere der Taten des Beschwerdeführers auf Grund des Urteils des Oberlandesgerichts vom 05.12.2014.

 

Dass der Beschwerdeführer bislang keine Schritte in Richtung der von ihm in der Hauptverhandlung angekündigten Wiedergutmachung gesetzt hat, steht auf Grund seiner Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung fest.

 

Die Angaben zum Strafvollzug stehen auf Grund des Strafaktes, des Bewährungshilfeberichtes und des auf Beschlusses vom 01.04.2016 fest, dass der Beschwerdeführer in der Strafhaft die Lehre abbrach, steht auf Grund seiner Aussagen in der hg. mündlichen Verhandlung fest. Dass der Beschwerdeführer auf seinen Freigängen seine Familie besuchte und ihn seine Familie in der Justizanstalt besuchte, steht auf Grund der übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugen in der hg. mündlichen Verhandlung fest.

 

Die Angaben zur bedingten Entlassung aus der Strafhaft beruhen auf den Beschluss vom 01.04.2016. Aus diesem Beschluss ergibt sich auch, dass das Landesgericht die bedingte Entlassung im Wesentlichen neben dem gelockerten Vollzug auf folgende Umstände stützte: die nachgewiesene Wohnmöglichkeit, den bevorstehenden Schulabschluss und die Einstellungszusage. Dass sich der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung arbeitslos meldete und die zugesagte Stelle nicht antrat, ergibt sich aus dem Sozialversicherungsauszug und der Aussage des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung.

 

Die Angaben zum Arbeitslosengeldbezug sowie zu den Beschäftigungen seit der Haftentlassung gründen sich auf den Sozialversicherungsdatenauszug und den vorgelegten Arbeitsvertrag vom XXXX. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer kurz nach seiner bedingten Entlassung eine Erwerbstätigkeit aufnahm, da er erst ein Jahr nach der Haftentlassung die Stelle in der XXXX antrat; auch die geringfügige Beschäftigung als KELLNER trat er erst ein halbes Jahr nach der Haftentlassung an.

 

Der Abschluss der HANDELSSCHULE im Schuljahr 2015/2016 ergibt sich aus dem vorgelegten Abschlusszeugnis. Dass der Beschwerdeführer entgegen dem Anraten der Bewährungshilfe den AUFBAULEHRGANG abbrach, steht auf Grund der Schulbesuchsbestätigung, des Bewährungshilfeberichts und den Angaben des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung fest. Ein Schulerfolg des Beschwerdeführers im AUFBAULEHRGANG kann nicht festgestellt werden, da er kein Zeugnis (auch kein Halbjahreszeugnis - der Beschwerdeführer besuchte den AUFBAULEHRGANG ausweislich der Schulbesuchsbestätigung bis XXXX 2017) vorlegte. Dass er sich nur "kurzfristig" für den AUFBAULEHRGANG angemeldet hatte, wie er in der hg. mündlichen Verhandlung angegeben hatte, kann vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer sich erst XXXX Monate vor Ende des Schuljahres wieder abmeldete, nicht festgestellt werden.

 

Die Angaben zur Aufhebung der Bewährungshilfe beruhen auf dem Beschluss vom 16.02.2018 sowie dem bezughabenden Bericht des Vereins NEUSTART. Aus diesem ergibt sich, dass für die Aufhebung der Bewährungshilfe die Anstellung im vollen Beschäftigungsausmaß ein halbes Jahr zuvor, die Beziehung zu seinen Eltern, die Heirat nach tschetschenischer Tradition imXXXX 2017 und das Bereuen der Straftaten maßgeblich waren.

 

Die Arbeit gab der Beschwerdeführer aber innerhalb von drei Monaten ab Beendigung der Bewährungshilfe auf eigenen Wunsch auf: Auf Grund des auf Aufforderung des Gerichts vorgelegten Arbeitszeugnisses der Firma XXXX kann im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden, dass keine Verwendung mehr für die Arbeitskraft des Beschwerdeführers bestanden hatte, sondern dass das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst wurde, weil er sich verändern wollte. Dass der Beschwerdeführer im Zuge dieser Tätigkeit den XXXX, nicht aber den Führerschein machte, steht auf Grund der Vorlage des XXXX, nicht aber des Führerscheins fest.

 

Dass der Beschwerdeführer die aktuelle Arbeitsstelle in einer PERSONALLEASINGFIRMA VIER Tage nach der Zustellung der Ladung zur hg. mündlichen Verhandlung annahm, steht auf Grund des vorgelegten Arbeitsvertrages fest; das Vorbringen des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung, dass er seit 2016 vollzeitbeschäftigt sei, trifft daher nicht zu.

 

Dass die Eheschließung stattfand, kann hingegen nicht festgestellt werden: So fand den Angaben des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung zufolge die "nach 2016, vielleicht eineinhalb oder zwei Monate später" begonnene Beziehung in der Analyse seines privaten Umfelds und seiner Freizeitaktivitäten im Jahresbericht der Bewährungshilfe zur bedingten Entlassung vom 15.05.2017 noch keine Erwähnung, vielmehr verbrachte der Beschwerdeführer demnach seine Freizeit mit Freunden beim Herumbasteln an Autos, Musikmachen und MMA-Training sowie im Kreis seiner Eltern und Geschwister. Die behauptete Eheschließung nach traditionellem muslimischen Ritus im XXXX 2017 konnte er entgegen den Regelungen der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich nicht durch eine Heiratsurkunde belegen. Er legte auch keine Fotos o.ä. dazu vor. Auch seine Mutter als Zeugin konnte Hochzeiten nach traditionellem muslimischem Ritus nur allgemein beschreiben und gab an, nicht dabei gewesen zu sein, obwohl die Hochzeit in der Familienwohnung stattgefunden habe, auch der Vater machte als Zeuge nur vage Angaben, bis wann (nicht aber ab wann) die nach muslimischem Ritus Angetraute seines Sohnes bei ihnen gelebt habe. Obwohl sie den Angaben des Beschwerdeführers zufolge seit XXXX 2017 bei ihm wohnte, findet sich kein bezughabender Eintrag im Melderegister - eine Frau dieses Namens (der Beschwerdeführer gab nur den Vornamen an) war an dieser Adresse nie gemeldet. Weder konnte er die Scheidung nachweisen, noch diese konkret beschreiben.

 

Dass der Beschwerdeführer ledig (nicht "geschieden") und kinderlos ist, steht auf Grund seiner Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung fest.

 

Das Bereuen seiner Straftaten vermochte der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft darzutun: So gab er an, dass er erst festgestellt habe, dass sein Handeln falsch war, als nach dem letzten Raub die Polizei in der ganzen Stadt unterwegs gewesen sei - nicht aber nach den drei vollendeten und zwei versuchten Raubüberfällen. Den Opfern gegenüber kündigte er in der Hauptverhandlung Schadenswiedergutmachung an, tat aber bis dato nichts in diese Richtung. Dass der Beschwerdeführer seine Taten "sofort" gestand, wie er in der hg. mündlichen Verhandlung betonte, ist auf Grund des Strafakts zu relativieren: Er gestand erst nach der Festnahme, nachdem die Tatmittel bei ihm im Rahmen einer Hausdurchsuchung in der Wohnung seiner Familie sichergestellt worden waren.

 

Dass der Beschwerdeführer Russisch und Tschetschenisch spricht, steht auf Grund seines Freundeskreises und des Umstandes, dass diese Sprachen innerhalb der Familie gesprochen werden, den mangelnden Deutschkenntnissen seines Vaters und dem Umstand, dass er ZWEI Jahre lang in der Russischen Föderation die Schule besucht hatte, fest.

 

Dass er Deutsch spricht, entspricht dem Eindruck, den er in der hg. mündlichen Verhandlung erweckte. Dass er die deutsche Sprache "perfekt" spricht, wie er in der Stellungnahme vom 04.12.2015 angab, findet weder im persönlichen Eindruck, den er in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelte, noch in einem der von ihm vorgelegten Schulzeugnisse Deckung (2012/2013: Deutsch - genügend; 2010/2011:

Deutsch - 3. Leistungsgruppe - befriedigend).

 

Dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation keinerlei Angehörige mehr hat, wie er in der Einlassung am 04.12.2015 angab, stimmt auf Grund der Angaben seiner Eltern in der hg. mündlichen Verhandlung, wonach der Vater eine Schwester und die Mutter einen Bruder in der Russischen Föderation haben, nicht. Die Einlassung, wonach kein Kontakt mehr zu diesen bestehe, ist vor dem Hintergrund des engen Familienzusammenhangs, der in den Länderberichten seine Deckung und im Fall der Familie des Beschwerdeführers auch konkret seinen Niederschlag darin fand, dass die Eltern des Beschwerdeführers seine Schwester XXXX auf der Flucht bei den Großeltern zurückließen, der Vater nach der Flucht nach Europa trotz drohender Verfolgung und bereits zweimaliger Entführung nach Hause fuhr, weil sein Vater krank war, und seine Schwester als Asylberechtigte noch VIER Jahre nach der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus in der Russischen Föderation bei Verwandten lebte, nicht glaubhaft; dass die Schwester XXXX auch von anderen Verwandten betreut werden musste, steht auch auf Grund ihrer Aussage in der hg. mündlichen Verhandlung fest, dass sie den Besuch ihres Vaters beim kranken Großvater 2004, bei dem sie den Angaben ihrer Eltern zufolge hauptsächlich war, nicht mitbekam, wie sie in der hg. mündlichen Verhandlung angab. Ebensowenig glaubhaft ist, dass die Mutter des Beschwerdeführers nicht weiß, wo ihre Eltern aufhältig sind, und sie keinen Kontakt zu ihnen hat. Die Feststellung der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer über weitere Verwandte im Herkunftsstaat verfügt, trifft daher zu.

 

Die Angaben zu den Häusern und zur Wohnung, die die Familie des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation besitzt, ergeben sich aus den Asylakten des Vaters und der Mutter des Beschwerdeführers. Dass diese Besitzungen verkauft worden seien, wurde nicht vorgebracht.

 

Die Angaben zum Haushalt des Beschwerdeführers in Österreich gründen sich auf das ZMR und die Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugen in der hg. mündlichen Verhandlung. Daher steht auch fest, dass nicht wie im angefochtenen Bescheid angegeben FÜNF, sondern VIER Geschwister und ZWEI Halbgeschwister mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt leben; aus diesen Gründen trifft auch die Ausführung des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 08.06.2018 nicht zu, er lebe mit DREI seiner Geschwister im selben Haushalt.

 

Dass der Beschwerdeführer seine - über die Autobahn - im 25 MIN entfernten XXXX lebenden Brüder täglich nach der Arbeit trifft, ist nicht glaubhaft und lebensnah, zumal auch der Beschwerdeführer erst VIER Tage nach Zustellung der Ladung wieder eine Arbeit annahm; diese Aussage widerspricht im Übrigen der seiner Mutter, dass er nach der Arbeit immer nach Hause kommt und sie dann gemeinsam reden und essen. Die Angaben des Beschwerdeführers zur Beziehung zu seinen Geschwistern beruhen im Übrigen auf seinen Angaben sowie den Angaben seiner Schwester in der hg. mündlichen Verhandlung. Dass zu seinen Brüdern XXXX und XXXX sowie seiner Schwester XXXX kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis besteht, steht auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers und der Schwester XXXX in der hg. mündlichen Verhandlung fest.

 

Der Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer im familiären Umfeld mit tschetschenischen Landessitten sozialisiert wurde, trat der Beschwerdeführer nicht entgegen. Dies entspricht auch dem persönlichen Eindruck, den die Zeugen und der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelten.

 

Die Angaben zum Gesundheitszustand der Haushaltsmitglieder des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Aussagen seiner Eltern in der hg. mündlichen Verhandlung, auch, dass sein Vater XXXXMEDIKAMENTE nimmt und seine Schwester XXXX wegenXXXX 2-3 Mal pro Jahr zur Kontrolle ins Spital muss; aus der Aussage seines Vaters ergibt sich, dass seine Mutter das übernimmt. Einen Pflegebedarf eines Angehörigen begründet dies nicht.

 

Auch wenn der Beschwerdeführer der einzige Erwerbstätige im Haushalt ist, besteht keine finanzielle Abhängigkeit von ihm, da der Haushalt den Lebensunterhalt durch die Mindestsicherung bestreitet. Darüber hinaus leben vier gesunde und arbeitsfähige Erwachsene mit Zugang zum Arbeitsmarkt im Haushalt; die Mutter hat als PUTZFRAU gearbeitet, der Vater hat in einem Betrieb für LANDWIRTSCHAFTLICHE PRODUKTE gearbeitet und eine Ausbildung als SCHLOSSER gemacht, der Bruder XXXX die gesamte Bildungslaufbahn in Österreich durchlaufen. Der Haushalt kann folglich den Lebensunterhalt auch ohne Hilfe des Beschwerdeführers bestreiten, zumal vor dem Hintergrund des Gesundheitszustands der Haushaltsangehörigen und Umstand, dass das jüngste Haushaltsmitglied ZEHN Jahre alt ist, kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Erwerbstätigkeit Pflege- oder Betreuungsbedarf entgegenstünde.

 

Der in der Beschwerde relevierte "überdurchschnittlich enge Kontakt" mit seiner Familie kann daher nicht festgestellt werden.

 

Dass der Beschwerdeführer sowohl innerhalb der tschetschenischen Community als auch außerhalb Kontakte hat, steht auf Grund des Bewährungshilfeberichts fest, auch wenn der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung versuchte, die Beziehungen zur tschetschenischen Community kleinzureden.

 

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, steht auf Grund seiner Aussage in der hg. mündlichen Verhandlung fest, die sich mit den Bewährungshilfeberichten und den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers hiezu deckt.

 

Dass der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung MMA trainierte, steht auf Grund seiner Angaben in der hg. mündlichen Verhandlung fest, ebenso, dass er mittlerweile in keinem Verein mehr aktiv ist und stattdessen ein Fitnesscenter besucht.

 

Dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr als ehemaliger Asylberechtigter oder Angehöriger von Asylberechtigten droht, steht auf Grund des Länderinformationsblattes fest. Eine Gefährdung aus den Asylgründen des Gatten seiner Schwester wurde nie behauptet.

 

Dass dem Beschwerdeführer eine Wiedereingliederung in die Russische Gesellschaft möglich ist, steht auf Grund seines NEUNJÄHRIGEN Aufenthalts im Herkunftsstaat, seiner Sprachkompetenzen, der Länderberichte zur Grundversorgung, des Bestehens verwandtschaftlicher Anbindungen und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer jung, gesund und arbeitsfähig ist, fest. Hinzu kommt, dass er seine in Österreich erworbene Arbeitserfahrung als Lagerarbeiter auch in der Russischen Föderation verwenden kann.

 

Dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr droht, der Todesstrafe unterworfen zu werden, steht auf Grund des Moratoriums laut dem Länderinformationsblatt fest.

 

Dass dem Beschwerdeführer keine reale Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu werden, steht auf Grund seines Vorbringens im Zusammenhalt mit dem Länderinformationsblatt fest.

 

Dass dem Beschwerdeführer keine reale Gefahr droht, als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt zu sein, ergibt sich aus seinem Vorbringen im Zusammenhalt mit dem Länderinformationsblatt.

 

Dass der Beschwerdeführer entgegen seinem Vorbringen und obwohl er ZWEI Jahre lang nicht straffällig wurde, weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt ergibt sich daraus, dass dies nur unter strengem Sanktionsdruck der Fall war: In der Justizanstalt besuchte der Beschwerdeführer die HANDELSSCHULE, allerdings war die Anhaltung im Jugendvollzug (statt im Erwachsenenvollzug) davon abhängig. Auf freiem Fuß machte der Beschwerdeführer zwar ZWEI MONATE lang die HANDELSSCHULE fertig, trat aber die Stelle, für die er eine Einstellungszusage hatte, und auf die sich die bedingte Entlassung maßgeblich gründete, nicht an und brach den AUFBAULEHRGANG entgegen dem Anraten der Bewährungshilfe ab. Er nahm schließlich eine Arbeit an, gab diese aber DREI Monate nach Ende der Bewährungshilfe auf eigenen Wunsch auf. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Eheschließung, auf die sich die Aufhebung der Bewährungshilfe maßgeblich stützte, tatsächlich stattfand. Die aktuelle Arbeitsstelle trat er VIER Tage nach der Zustellung der Ladung zur hg. mündlichen Verhandlung an. Dieses Verhalten des Beschwerdeführers zeigt im Gegensatz zu seinem Vorbringen, dass es staatlichen Drucks bedarf, um ihn zu stabilisieren. Diesen Eindruck bestätigte der Beschwerdeführer nicht nur durch den persönlichen Eindruck, den er in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelte, sondern auch dadurch, dass er angab, nach dem ersten Raub weitere Raubüberfälle begangen habe, weil es keine Konsequenzen gegeben habe. Dass er nach dem letzten Überfall am eigenen Leib gespürt und verstanden habe, dass dies falsch gewesen sei, resultierte seiner Aussage in der hg. mündlichen Verhandlung nicht aus der Angst seiner (laut dem Strafurteil ausschließlich weiblichen) Opfer, sondern dass die Polizei nach ihm fahndete. Dass durch die Familie eine Änderung der Sachlage bewirkt würde, kann schon aus dem Grund nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auch vor und während der Taten bei seiner Familie lebte, der es auch nicht auffiel, dass die Tatutensilien (auch die Waffe) in der Familienwohnung (mit minderjährigen Kindern) aufbewahrt wurden. Vielmehr gab der Beschwerdeführer als tatauslösend neben Beziehungsproblemen mit der damaligen Freundin familiäre Probleme an. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung und seinem Verhalten seit der Haftentlassung kann nicht entnommen werden, dass ein maßgeblicher Gesinnungswandel stattgefunden hat, auf Grund dessen anzunehmen wäre, dass sich der Beschwerdeführer auch ohne drohender staatlicher Sanktionen wohlverhalten würde: Soweit die Stellungnahme hiezu auf die Aussage der Mutter verweist, ist zu relativieren, dass sie ihren Angaben zufolge ihren Sohn in einem positiven Licht sieht und er ihrer Ansicht nach immer nie ein schlechter Sohn war. Dass ihr zumindest keine negativen Entwicklungen seit der Haftentlassung aufgefallen sind, er erwachsener und klüger wurde, vermag auf Grund der bereits dargelegten Umstände daran nichts zu ändern.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

 

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

 

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Zu A)

 

3.2. Zur Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

 

3.2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid erkannte das Bundesamt dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. In den Feststellungen führte die belangte Behörde zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten die Verurteilung des Beschwerdeführers und zusätzliche Anzeigen an und "stellte fest", dass daher ein Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 vorliegt. In der rechtlichen Begründung stützte sich die belangte Behörde auf "§ 7 Abs. 1 AsylG 2005" und gab ohne Kommentar zwei Textbausteine zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschn. C Z 1 GFK an.

 

Der Spruch zu Spruchpunkt I., wonach dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ist klar und unzweideutig. Gemäß § 59 Abs. 1 AVG hat der Bescheidspruch die darin angeführten Inhalte unter Angabe der angewandten Gesetzesbestimmungen zu erledigen. Der Spruch des angefochtenen Bescheides gibt § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als Gesetzeszitat an, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C GFK angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

 

Widersprüchlich ist jedoch die Begründung des angefochtenen Bescheides, da in den Feststellungen das Vorliegen des Asylausschlussgrundes gemäß § 6 AsylG 2005 "festgestellt" wird, andererseits zusammenhangslos zwei Textblöcke zum Wegfall des Asylgrundes, wenn sich eine Person freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt, angeführt werden und sich die auf den Fall bezogene Begründung auf den Satz "Ihnen war daher gem. § 7 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen" beschränkt.

 

Entspricht die Begründung eines Bescheides nicht den Vorgaben des AVG, belastet dies den Bescheid mit einem Verfahrensmangel. Die Berufungsbehörde ist berechtigt und verpflichtet, ihre Anschauung auch hinsichtlich der Begründung des Bescheides an jene der Unterbehörde zu setzen. Begründungsmängel eines unterinstanzlichen Bescheides können also saniert und somit dann nicht zu einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führen, wenn die Berufungsbehörde diesen Mangel behebt. Allerdings bewirkt ein Verstoß gegen § 60 AVG über die Begründung von Bescheide keine Verletzung von subjektiven Rechten der Partei, wenn der Spruch der Behörde durch die Rechtslage gedeckt ist und durch den Begründungsmangel die Rechtsverfolgung nicht "an sich" gehindert ist, also die Behörde auch bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können (Hengstschläger/Leeb, AVG § 60 Rz 29). Kommt die Berufungsbehörde zum Ergebnis, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides der für ihn maßgebenden Rechtslage nicht entspricht, ist sie verpflichtet, ihn zu beheben und - so sie die Angelegenheit nicht gemäß § 66 Abs. 2 AVG zurückverweist - durch einen neuen rechtmäßigen Spruch zu ersetzen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 87). Die Berufungsbehörde kann auch zum Ergebnis kommen, dass die normative Aussage im Spruch des angefochtenen Bescheides zwar aufrecht bleibt, aber auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen oder anders zu begründen ist. Der Berufungsbehörde steht es zu, unter Wahrung des Parteiengehörs ihre rechtlichen Erwägungen an die Stelle jener zu setzen, die von der Unterbehörde angestellt wurden und bei der Subsumtion des als erwiesen angenommenen Sachverhalts unter die maßgebliche Verwaltungsvorschrift andere Wege zu gehen, dh. die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts auszutauschen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 89). Es steht ihr unter Wahrung des Parteiengehörs auch zu, den Antrag auf Erteilung einer Genehmigung aus einem anderen Grund zu verweigern als die Vorinstanz oder den im angefochtenen Bescheid für die Entziehung der Berechtigung ins Treffen geführten Grund auszuwechseln (VwGH 10.10.1995, 94/11/0178 mwN).

 

§ 28 VwGVG stellt die dem § 66 Abs. 4 AVG entsprechende Vorschrift im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dar (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002). Wenngleich § 66 Abs. 4 AVG einerseits und § 28 Abs. 2 und Abs. 3 VwGVG andererseits unter jeweils verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen eine Pflicht zur Entscheidung "in der Sache selbst" normieren, ist das Verständnis dessen, was unter "Sache des Verfahrens" zu verstehen ist, unverändert geblieben (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002). Die zu § 66 Abs. 4 AVG ergangene Rechtsprechung ist daher auf § 28 Abs. 2 VwGVG zu übertragen; der angefochtene Bescheid wurde durch die Beschwerde im vollen Umfang angefochten.

 

Das Beschwerdevorbringen, dass der angefochtene Bescheid (gemeint: ersatzlos) aufzuheben sei, weil die belangte Behörde nicht einmal angedeutet habe, dass sich der Beschwerdeführer unter den Schutz der Russischen Föderation gestellt habe, im Spruch aber nur § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als Rechtsgrundlage angeführt habe, trifft auf Grund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daher nicht zu; vielmehr kommt es dem Verwaltungsgericht zu, seine rechtlichen Erwägungen an die Stelle jener zu setzen, die von der belangten Behörde angestellt wurden oder den Spruch des angefochtenen Bescheides durch einen neuen rechtmäßigen Spruch zu ersetzen, wenn ersterer der für ihn maßgebenden Rechtslage nicht entspricht (idS auch Eder/Matschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², 2017, VwGVG § 28 K 20).

 

Auch der "Anregung" in der hg. mündlichen Verhandlung, das Verfahren gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an die belangte Behörde zurückzuverweisen, wird nicht gefolgt: Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

Das Bundesamt hat in der Beschwerdevorlage der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht widersprochen. Vor allem liegen aber nach Durchführung der mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG vor: Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

 

Das vom Beschwerdeführer am Ende der hg. mündlichen Verhandlung angeregte Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG scheitert sohin bereits am Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG und wäre dem Gesetzeszweck des Interesses der Raschheit und der erheblichen Kostenersparnis zuwidergelaufen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung stellte sich nämlich nicht heraus, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreicht hätten (Parteiengehör zum Länderinformationsblatt und Vorlage von Zeugnissen und Bestätigungen durch den Beschwerdeführer), der eine Behebung und Zurückverweisung trotz bereits durchgeführter Verhandlung erlaubt hätten (VwGH 27.01.2016, Ra 2015/08/0171).

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher betreffend die Aberkennung des Status des Asylberechtigten in der Sache selbst zu entscheiden.

 

3.2.2. Gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt (Z 1); einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist (Z 2) oder der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat (Z 3). Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist gemäß Abs. 4 mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.

 

Das Bundesamt kann gemäß Abs. 3 einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Ein Fremder ist gemäß § 2 Abs. 3 AsylG 2005 im Sinne dieses Bundesgesetzes straffällig geworden, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z 1), oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist (Z 2) rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Seit der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Beschwerdeführer sind 12 Jahre vergangen und er hat seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Er wurde aber mit Urteil des LandesgerichtsXXXX wegen des dreifachen Verbrechens des schweren Raubes und des zweifachen Verbrechens des versuchten schweren Raubes verurteilt. Dabei handelt es sich um vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen. Die Verurteilung wurde nach dem Beschluss des Oberlandesgerichtes XXXX vom 05.12.2014 rechtskräftig.

 

Der Beschwerdeführer ist daher iSd § 2 Abs. 3 AsylG 2005 straffällig geworden und § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auf ihn anwendbar.

 

Eine Person, auf die die Bestimmungen des Art. 1 Abschnitt A GFK zutrifft, fällt gemäß Art. 1 Abschnitt C GFK nicht mehr unter dieses Abkommen, wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt (Z 1); oder wenn sie nach dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat (Z 2); oder wenn sie eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben hat, genießt (Z 3); oder wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat (Z 4); oder wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt (Z 5); wenn es sich um eine Person handelt, die keine Staatsangehörigkeit besitzt, falls sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihren gewöhnlichen Wohnsitz hat. Dabei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in das Land abzulehnen, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Z 6).

 

Das Bundesamt führt im angefochtenen Bescheid kommentarlos ein Judikat des Verwaltungsgerichtshofes zur freiwilligen Unterschutzstellung iSd § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschn. C Z 1 GFK an. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer dem Schutz seines Herkunftsstaates wieder unterstellt hat. Der Endigungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschn. C Z 1 GFK liegt daher nicht vor.

 

3.2.3. Zu prüfen ist aber, ob nicht der Endigungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorliegt, weil der Beschwerdeführer nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zumal auch die belangte Behörde in den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ausführte, dass für den Beschwerdeführer aktuelle keine Gefährdungs- oder Bedrohungslage besteht.

 

Art. 1 Abschn. C Z 5 GFK entspricht Art. 11 Abs. 1 lit. e iVm Abs. 3 StatusRL, der zufolge ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling ist, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf einen Flüchtling, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, abzulehnen.

 

Die Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. e Status-RL aF, der der aktuellen Rechtslage entspricht, erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (EuGH 02.03.2010, Rs C-175/08 ua., Abdulla ua., Rz 76). Die Umstände müssen sich auf grundlegende, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK angeführte Fluchtgründe beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (VwGH 25.06.1997, 95/01/0326). Ein Flüchtling hört erst dann auf Flüchtling zu sein, wenn er wieder effektiven Schutz im Herkunftsstaat erlangen kann (vgl. Grahl-Madsen The Status of Refugees in International Law I [1965], 7, 405) bzw. ihm zugemutet werden kann, sich wieder dem Schutz dieses Staates zu unterstellen (Kälin, Grundriß des Asylverfahrens [1990], 162).

 

Dem Beschwerdeführer wurde mit dem am 27.04.2006 mündlich verkündeten Berufungsbescheid die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, weil er im Herkunftsstaat durch russische Sicherheitskräfte verfolgt wurde, indem sie seiner Mutter gegenüber ihn und seine Brüder betreffende Drohungen ausstießen, als sie auf der Suche nach seinem Vater seine Mutter im HERBST 2003 zu Hause aufsuchten. Dem Beschwerdeführer drohte asylrelevante Verfolgung aus den Gründen der unterstellten politischen Gesinnung und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters. Der Vater wurde während des zweiten Tschetschenienkrieges verfolgt, weil er im ersten Tschetschenienkrieg Kämpfer durch Waffen, Munition, Nahrungsmittel und Zigaretten unterstützt und verletzte Kämpfer beherbergt hatte. Auf Grund der in der Beweiswürdigung dargelegten Umstände ergibt sich, dass keine Verfolgung von Veteranen des ersten oder zweiten Tschetschenienkrieges seit 2011 mehr festgestellt werden kann, umso weniger von Personen, die selbst nicht gekämpft haben, sondern nur Kämpfer unterstützt haben und noch weniger deren Familienangehörigen (vgl. idS bereits BVwG 13.05.2014, W111 1263883-2). Diesbezüglich ist nun, fast zehn Jahre nach Ende des Zweiten Tschetschenienkrieges (dazu, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf, s. VwGH 27.02.2006, 2002/20/0170), eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die nicht nur vorübergehend ist.

 

In der mündlichen Verkündung wird als zweiter Grund die Verfolgung aus ethnischen Gründen angeführt. Der Vergleich der Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation im angefochtenen Bescheid und nach den aktuellen Länderberichten ergibt aus den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen, dass Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe immer noch auf eine anti-kaukasische Stimmung treffen und Diskriminierungen ausgesetzt sein können, eine asylrelevante Gefährdung auf Grund der Volksgruppenzugehörigkeit, wie sie sich noch aus den Länderberichten 2006 betreffend Landesteile außerhalb des Nordkaukasus ergab, kann aber nicht mehr festgestellt werden (vgl. idS bereits Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, 26.10.2010, 3 A 1627/10.A, wonach Tschetschenen, die keine besonderen Risikomerkmale aufweisen, in der Russischen Föderation keiner an ihre Volkszugehörigkeit anknüpfenden Gruppenverfolgung unterliegen). Auch diesbezüglich ist daher eine Änderung der Situation im Herkunftsstaat eingetreten, die nicht nur vorübergehend ist.

 

Andere Gründe, aus denen ihm eine Verfolgung im Herkunftsstaat drohen würden, hat der Beschwerdeführer in der hg. mündlichen Verhandlung ebensowenig glaubhaft vorgebracht, wie die Zeugen; auch von amtswegen sind keine Gründe, aus denen der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr Verfolgung ausgesetzt sein könnte, erkennbar. Gefordert ist lediglich ein Wegfall der asylrelevanten Verfolgungsgefahr; das Bestehen emotionaler oder familiärer Bindungen zum Aufnahmestaat ist für den Eintritt des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK ebenso irrelevant, wie eine allgemein oder wirtschaftlich schlechte Lage im Herkunftsstaat (Filzwieser ua., Asyl- und Fremdenrecht, 2016, AsylG 2005 § 7 K 10 f.). Auf Grund der Länderberichte steht fest, dass der Beschwerdeführer, der weiterhin russischer Staatsangehöriger ist, den Schutz seines Herkunftsstaates in Anspruch nehmen kann.

 

Im Fall des Beschwerdeführers, der selbst keinerlei gegen ihn gerichtete Verfolgung wahrnahm, da die Drohung gegen ihn seiner Mutter gegenüber geäußert wurde, und der selbst keinerlei Verfolgungshandlungen erlitt, liegen auch keine zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe vor, aus denen er die Inanspruchnahme des Schutzes der Russischen Föderation ablehnen könnte (vgl. Putzer, Asylrecht², 2011, Rz 156).

 

Es liegt daher im Fall des Beschwerdeführers der Endigungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschn. C Z 5 GFK vor.

 

3.2.4. Das Bundesamt stellte im angefochtenen Bescheid das Vorliegen des Asylausschlussgrundes des (§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm) § 6 (Abs. 1 Z 4) AsylG 2005 fest.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt.

 

Gemäß § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt (Z 1), einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt (Z 2) aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Z 3), oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht (Z 4).

 

In seiner Entscheidung vom 23.09.2009, 2006/01/0626, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf: Er müsse erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. VwGH 03.12.2002, 99/01/0449, mit Verweis auf VwGH 06.10.1999, 99/01/0288, auf welches auch die Erläuterungen zu § 6 AsylG 2005 verweisen; vgl. auch VwGH 05.12.2017, Ra 2016/01/0166, mwN).

 

Der Verwaltungsgerichtshof verwies im Erkenntnis vom 06.10.1999, 99/01/0288, auf eine im Jahr 1980 vom UNHCR im Zusammenhang mit Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK vorgeschlagene Kategorisierung von Straftaten (vgl. näher Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996,] 107 f), auf die Kälin (Grundriss des Asylverfahrens, 1990, 228) auch im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GKF Bezug genommen hatte: "Typischerweise schwere Verbrechen" seien danach - in einer, wie hinzuzufügen sei, teilweise recht ungenauen Übersetzung - "etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub" und dergleichen. Es müsse sich um Straftaten handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen (vgl. VwGH 03.12.2002, 99/01/0449, mwN).

 

Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, ist eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen; insbesondere sind die Tatumstände zu berücksichtigen. Allerdings genügt es nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt wurde; die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, sodass unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist (VwGH 03.12.2002, 99/01/0449).

 

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des LandesgerichtsXXXX vom 23.07.2014 wegen des dreifachen Verbrechens des schweren Raubes und des zweifachen versuchten Verbrechens des schweren Raubes verurteilt. Das OberlandesgerichtXXXX erhöhte mit Urteil vom 05.12.2014 die Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers auf VIER Jahre. Es führte begründend aus, dass die vom Beschwerdeführer begangenen Taten fraglos der Schwerstkriminalität zuzurechnen seien, in denen sich eine erhebliche kriminelle Energie und ein hoher Handlungsunwert manifestiere. Der Beschwerdeführer wurde sohin wegen fünf besonders schweren Verbrechen rechtskräftig verurteilt.

 

Zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters ist eine entsprechende Zukunftsprognose zu erstellen, wobei es auf das gesamte Verhalten des Betroffenen ankommt (vgl. VwGH 06.10.1999, 99/01/0288). Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169).

 

Die Führung des Beschwerdeführers in der Justizanstalt war gut. Er wurde am XXXXbedingt nach der Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe entlassen, allerdings trat er die Arbeitsstelle nicht an, deren Einstellungszusage in der bedingten Entlassung maßgeblich berücksichtigt wurde. Er schloss auf freiem Fuß zwei Monate nach der Haftentlassung die HANDELSSCHULE ab, brach aber den AUFBAULEHRGANG entgegen dem Anraten der Bewährungshilfe ab. Er nahm danach aber eine Arbeitsstelle im vollen Beschäftigungsausmaß an. Auf diese wie auch die traditionell geschlossene Ehe gründete sich der Beschluss über die Aufhebung der Bewährungshilfe maßgeblich. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer jemals traditionell verheiratet war und die Beziehung endete auch den Angaben des Beschwerdeführers zufolge gleichzeitig mit dem Beschluss über die Bewährungshilfe vom 16.02.2018, drei Monate später beendete er sein Arbeitsverhältnis - entgegen seiner Angaben - einvernehmlich, weil er sich beruflich verändern wollte; die aktuelle Arbeitsstelle nahm er nach der Ladung zur hg. mündlichen Verhandlung an. Der Beschwerdeführer ist sohin zwar in den zweieinhalb Jahren, in denen er auf freiem Fuß befindet, nicht rückfällig geworden, allerdings steht er weiterhin unter dem Sanktionsdruck der mit dem Beschluss vom XXXX auferlegten dreijährigen Probezeit. Vor diesem Hintergrund vermag sein Nachtatverhalten die in seinen Taten manifestierte Gemeingefährlichkeit nicht zu entkräften. Dies bestätigen auch seine Einlassungen in der hg. mündlichen Verhandlung, wonach er nach dem ersten Raub weitere Taten beging, weil es keine Konsequenzen gab, dass sich der Beschwerdeführer nur unter erheblichem Sanktionsdruck sozialadäquat verhält.

 

Soweit sich der Beschwerdeführer darauf stützt, dass er sich nicht von seiner Peergroup beeinflussen lässt, vermag er damit keinen Einstellungswandel darzutun, da das Oberlandesgericht nur feststellte, dass er seine Mittäter nicht zur Tat verleitete, aber auf Grund des Urteils des Landesgerichts feststeht, dass er die treibende Kraft hinter den Taten war, was sich auch darin zeigt, dass er als einziger der Mittäter an allen Taten und als einziger immer als unmittelbarer Täter (und nicht etwa durch "Schmierestehen") beteiligt war; vor diesem Hintergrund vermag auch den Umstand, dass er jetzt andere Freunde hat, keine Sicherung gegen einen Rückfall darzustellen. Auch der Umstand, dass er zu keinem Zeitpunkt Schritte in Richtung der in der Hauptverhandlung angekündigten Schadenswiedergutmachung tätigte, ist beachtlich. Soweit der Beschwerdeführer auf eine Stabilisierung durch seine Familie und die Entwurzelung durch mehrere Umzüge als Ursache für die Straftaten hinweist, geht sein Vorbringen ins Leere, da die Umzüge seiner Familie geschuldet waren und er auch während und vor der Begehung der Taten bei seiner Familie lebte, sogar die Tatwerkzeuge in der Familienwohnung aufbewahrte.

 

Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf das Erkenntnis VwGH 03.12.2002, 99/01/0449, verfängt nicht: Ungeachtet dessen, dass die Verurteilungen nicht zu vergleichen sind - während der Beschwerdeführer wegen des DREIFACHEN schweren Raubes und ZWEIFACHEN versuchten schweren Raubes zu VIER Jahren unbedingter Haft verurteilt wurde, wurde der Beschwerdeführer in dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zugrundeliegenden Verfahren betreffend ein Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz bei einem Strafrahmen von ein bis 15 Jahren zu einer "vergleichsweise geringen Freiheitsstrafe von 20 Monaten" verurteilt wurde - traten im Fall des Beschwerdeführers - wie bereits dargetan - neue Sachverhaltselemente hinzu, auf Grund derer trotz der Gewährung der bedingten Entlassung keine günstige Prognose getroffen werden kann.

 

Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass es nicht absolut ausgeschlossen, dass auch schon kurze Zeit nach der Haftentlassung unter besonderen Umständen ein für die Gefährdungsprognose maßgeblicher Gesinnungswandel konstatiert wird. Das könnte etwa ausnahmsweise dann nicht zu beanstanden sein, wenn die zu Grunde liegenden Straftaten knapp nach Überschreiten der Strafmündigkeitsgrenze gesetzt wurden und die altersmäßige Persönlichkeitsentwicklung des betreffenden Fremden in Verbindung mit dem nach der Tat gesetzten Verhalten eine deutliche Abkehr von dem in der Vergangenheit gezeigten Verhaltensmuster schon nach kurzer Zeit hinreichend deutlich erkennen bzw. erwarten lässt (VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0027). Gerade dies ist im Falle des Beschwerdeführers, der die Taten wie er auch selbst einräumt nicht kurz nach Erreichen der Strafmündigkeitsgrenze, sondern als junger Erwachsener setzte, nicht der Fall: Während es in dem zitierten Erkenntnis um einen manipulationsanfälligen 14-Jährigen ging, war der Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt ein junger Erwachsener, der betreffend seine Mittäter treibende Kraft war. Das Verhalten des Beschwerdeführers seit der Hauptverhandlung zeigt auch, dass es weiterhin der Sanktionsdruck der bedingten Entlassung ist, der ihn zu einem sozialadäquaten Verhalten zwingt; eine tiefe Einstellungsänderung ist seinem Verhalten hingegen noch nicht zu entnehmen.

 

Aus den in den in der Beweiswürdigung dargelegten Gründen kann im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Russische Föderation keine asylrelevante Gefährdung festgestellt werden.

 

In Hinblick auf seine privaten Interessen ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zwar VIERZEHN Jahre seines Lebens in Österreich verbracht hat (davon aber weniger als VIER Jahre an seinem aktuellen Wohnort), aber ebenfalls NEUN Jahre lang in der Russischen Föderation in XXXX, wo er auch zwei Jahre lang die Schule besuchte; die restliche Schulbildung absolvierte der Beschwerdeführer in Österreich. Er spricht deutsch, aber auch tschetschenisch und russisch. Seine Eltern und Geschwister leben in Österreich, er hat aber auch einen Onkel und eine Tante in XXXX. Sein Bruder, der österreichischer Staatsbürger ist, kann ihn in der Russischen Föderation besuchen, aber auch alle anderen Haushaltsmitglieder wären keiner Gefährdung ausgesetzt, wenn sie ihn besuchen würden. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass die übrigen Haushaltsmitglieder des Beschwerdeführers in Österreich asylberechtigt sind, allerdings trifft das zum Wegfall der Gefährdung im Herkunftsstaat und der dauerhaften Änderung der Umstände im gleichen Ausmaß auch auf sie zu. Besuche mit ihnen sind auch zB in der UKRAINE möglich, wie etwa beim Abholen der asylberechtigten Schwester durch die Mutter in der UKRAINE zeigt. Zudem kann der Kontakt über elektronische Medien aufrechterhalten werden. Der Beschwerdeführer hat auch in Österreich Beziehungen zur tschetschenischen Community und lebt in seiner Familie im Rahmen der Sitten und Gebräuche seines Herkunftsstaates.

 

Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner privaten Bindungen in Österreich ist im Rahmen der Güterabwägung sohin weniger schwer zu gewichten als das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich auf Grund des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

 

Dem Beschwerdeführer ist daher auch gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

 

3.2.5. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides richtet.

 

3.3. Zur Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

 

3.3.1. Das Bundesamt erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu.

 

3.3.2. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist gemäß Abs. 2 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Abs. 3 abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung gemäß Abs. 3a auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

3.3.3. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Es obliegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276; EGMR 09.01.2018, Fall X, Appl. 36.417/16, Z 50).

 

Der Beschwerdeführer bringt diesbezüglich nur die allgemeine Sicherheitslage - insbesondere für junge Männer - in der Russischen Föderation vor. Es sind aber ausweislich der Länderfeststellungen keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in der Russischen Föderation ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt, auch nicht ein junger Mann.

 

Eine asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers konnte nicht festgestellt werden; es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer festgenommen werden könnte. Auch betreffend das

6. und 13. ZPEMRK ist bereits aus dem Grund keine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten zu erwarten, dass den Länderberichten zufolge die Todesstrafe in der Russischen Föderation auf Grund des Moratoriums des Verfassungsgerichts de facto abgeschafft ist.

 

Der Beschwerdeführer kann einen Inlandsreisepass beantragen und mit diesem den Länderberichten zufolge - sowohl im Haus der Familie in XXXX, als auch in einer anderen Stadt in der Russischen Föderation - eine Anmeldung erlangen, wodurch er auch Zugang zur Sozialhilfe und zum Gesundheitssystem hat.

 

Auf Grund der Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt ist, noch das "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen. Es lässt sich nicht ersehen, dass es dem Beschwerdeführer in der Russischen Föderation an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde: Er hat dort mit seinem Onkel und seiner Tante Verwandte, die ihn unterstützten würden, die Familie hat Häuser in XXXX und XXXX, ein Grundstück in XXXX und eine Wohnung in XXXX. Er spricht die Landessprachen, hat Berufserfahrung als Lagerarbeiter und ist gesund, arbeitsfähig und für niemanden sorgepflichtig. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht die finanziell angespannte Lage im XXXX nicht verkennt, besteht im Fall des Beschwerdeführers kein Grund für die Annahme, dass er seinen Lebensunterhalt nicht sichern könnte.

 

Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar.

 

Hinzukommt, dass der ernsthafte Schaden iSd Art 15 der Status-RL durch das Verhalten von Dritten verursacht werden muss und nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland sein darf (EuGH 18.12.2014, C-542/13 , M¿Bodj; VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Für das Vorliegen dieser Voraussetzung findet sich im Fall des Beschwerdeführers aber kein Hinweis.

 

3.3.4. Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides richtet.

 

3.4. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und den damit verbundenen Absprüchen

 

3.4.1. Das Bundesamt erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005.

 

3.4.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und von Amts wegen gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

 

Der Beschwerdeführer hielt sich seit 27.04.2006 als Asylberechtigter im Bundesgebiet auf, sein Aufenthalt war nicht iSd § 46 FPG geduldet; überdies wurde er wegen mehrerer Verbrechen verurteilt und er stellt aus den bereits dargelegten Gründen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

 

Dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel erforderlich ist (vgl. RV 88 BlgNR 24. GP 13), hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und ist auch von amtswegen nicht ersichtlich. Ungeachtet des Umstandes, dass § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 auch nicht dazu dient, einen Aufenthaltstitel zur Gewährleistung eines Strafverfahrens gegen sich selbst zu erwirken, liegt gegen den Beschwerdeführer auch keine offene Anklage vor.

 

Dass der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet und ist auch von amtswegen nicht ersichtlich.

 

Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.

 

3.4.3. Gemäß § 57 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da sein Aufenthaltsrecht mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten endet.

 

3.4.4. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

 

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind entsprechend der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.4.5. Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Der Begriff des Familienlebens ist sohin nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13.06.1979, Fall Marckx). Ehen, die nicht nationalem Recht entsprechen, sind kein Hindernis für ein Familienleben (EGMR 28.05.1985, Fall Abdulaziz, Cabales und Balkandali). Ebensowenig reicht das Eheband allein nicht aus, um die Anwendbarkeit des Art. 8 EMRK auszulösen. Reine Scheinehen sind deshalb nicht geschützt (VwGH 29.06.2010, 2006/18/0484).

 

Der 24-jährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, dass er seit XXXX 2018 eine Beziehung zu einer anderen Person gehabt habe, gibt er auch selbst nicht an.

 

Die Beziehung des seit 6 Jahren volljährigen Beschwerdeführers zu seinen Haushaltsmitgliedern stellt kein ein Familienleben iSd Art. 8 EMRK dar, weil diese nicht vom Beschwerdeführer abhängig sind; ebensowenig ist der Beschwerdeführer von ihnen abhängig. Der Beschwerdeführer lebt seit der Haftentlassung mit seinen Haushaltsmitgliedern wieder im gemeinsamen Haushalt, davor war dieser jedoch durch die Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft zwei Jahre lang aufgehoben.

 

Auch zu seinen nicht mehr im gemeinsamen Haushalt lebenden, volljährigen Geschwistern XXXX, XXXX und XXXX besteht kein Abhängigkeitsverhältnis.

 

Die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Verwandten ist im Rahmen des Privatlebens zu berücksichtigen.

 

Der Beschwerdeführer verfügt daher über kein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet.

 

3.4.6. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026). Ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt kann den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet - unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände - ein großes Gewicht verleihen bzw. eine auf einen unrechtmäßigen Aufenthalt gegründete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können solche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ausnahmsweise auch nach einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (s. VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036). Zuweilen wurde - ausgehend von den zugunsten eines Fremden festgestellten Umständen - diese Rechtsprechung auch auf einen knapp zehn Jahre noch nicht erreichenden Aufenthalt angewendet (vgl. zu einem Aufenthalt von mehr als neuneinhalb Jahren VwGH 09.09.2014, 2013/22/0247). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (s. VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0054). Umgekehrt kann auch ein langjähriger Aufenthalt des Fremden in Österreich durch sein massives strafrechtliches Fehlverhalten relativiert sein (VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247).

 

Der Beschwerdeführer hält sich seit 20.04.2004 als Asylwerber, seit 27.04.2006 als Asylberechtigter in Österreich auf. Der Beschwerdeführer hält sich sohin ohne Unterbrechungen seit 14 JAHREN in Österreich auf, weshalb er über Privatleben iSd Art. 8 EMRK in Österreich verfügt. Er ist jedoch wegen FÜNF Verbrechen, die der Schwerstkriminalität zuzurechnen sind, vorbestraft und stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, weshalb die zuvor zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf ihn keine Anwendung findet. Vielmehr ist der Eingriff in sein Privatleben gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 9 BFA-VG verhältnismäßig:

 

Zu Gunsten des Beschwerdeführers ist die Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet von 14 JAHREN und der Umstand zu würdigen, dass sein Aufenthalt als Asylberechtigter rechtmäßig war, wie auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit NEUN Jahren ins Bundesgebiet einreiste, hier die prägenden Jahre der Adoleszenz verbrachte und hier volljährig wurde. Dies wird jedoch dadurch relativiert, dass er die ersten NEUN Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation, seinem Herkunftsstaat, verbrachte. Der Beschwerdeführer war auch in Österreich nicht die 17 Jahre hindurch an einem Ort verankert, sondern lebte eineinhalb Jahre in XXXX, ein 3/4 Jahr in XXXX, EIN Jahr lang im XXXX, FÜNF Jahre lang in XXXX und XXXX, und VIER Jahre lang an seinem aktuellen Wohnsitz, wovon allerdings DREI Monate, in denen er nur über eine Obdachlosenmeldeadresse in XXXX verfügte und nicht festgestellt werden kann, wo er sich aufhielt, abzuziehen sind. Der Beschwerdeführer schloss in Österreich die VOLKSSCHULE, HAUPTSCHULE und HANDELSSCHULE ab, besuchte aber auch in der Russischen Föderation ZWEI Jahre lang die Grundschule. Er spricht Deutsch, aber auch Russisch und Tschetschenisch. Er hat einen gemischten Freundeskreis, aber auch Freunde in der Tschetschenischen Community. Er ist in Österreich aufgewachsen, lebt aber in seiner Familie nach den tschetschenischen Sitten und Gebräuchen. Einer ehrenamtlichen Arbeit ging er nie nach. Er ist in Österreich in keinem Verein mehr Mitglied, er geht ins Fitnesscenter; Sportausübung ist ihm aber auch in der Russischen Föderation möglich. Er ist in Österreich erwerbstätig, aber erst seit weniger als einem halben Jahr als ungelernter Leiharbeiter in diesem Betrieb beschäftigt (anders als der Beschwerdeführer in VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0200, der eine Lehre absolvierte und in Österreich gut integriert war). Seine Eltern und Geschwister sowie die Zweitfrau seines Vaters und seine Halbschwestern leben in Österreich, abgesehen von drei Geschwistern auch alle im selben Haushalt mit ihm. Er hat aber auch einen Onkel und eine Tante in XXXX. Sein Bruder, der österreichischer Staatsbürger ist, kann ihn in der Russischen Föderation besuchen, aber auch alle anderen Haushaltsmitglieder wären keiner Gefährdung ausgesetzt, wenn sie ihn besuchen würden. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass die übrigen Haushaltsmitglieder des Beschwerdeführers in Österreich asylberechtigt sind, allerdings trifft das zum Wegfall der Gefährdung im Herkunftsstaat und der dauerhaften Änderung der Umstände im gleichen Ausmaß auch auf sie zu. Es liegt in der Sphäre der Haushaltsmitglieder des Beschwerdeführers, ob sie die österreichische Staatsbürgerschaft oder einen anderen Aufenthaltstitel anstreben und danach den Beschwerdeführer in der Russischen Föderation besuchen (vgl. EGMR 12.06.2012, Fall Bajsultanov, Appl. 54.131/10, Z 89 ff.). Zudem kann der Kontakt über elektronische Medien (vgl. EGMR 08.06.2017, Fall Hamesevic, Appl. 25.748/15) oder Besuche zB in der URKAINE aufrechterhalten werden.

 

Soweit die belangte Behörde jedoch in die Abwägung miteinbezog, dass sich der Beschwerdeführer im Klaren gewesen sei, dass er nach rechtskräftig negativem Abschluss des Verfahrens nicht weiter zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei, hat sie einen Asylwerber vor Augen, der über kein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt; dies ist jedoch im Fall des Beschwerdeführers, der seit 2006, als er noch minderjährig war, in Österreich asylberechtigt war, nicht zutreffend.

 

Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120; 21.06.2018, Ra 2016/22/0101). Wie bereits betreffend § 6 AsylG 2005 ausgeführt wurde, hat sich seit der Haftentlassung des Beschwerdeführers sein Verhaltensmuster nicht soweit verändert, dass von einem Wegfall seiner Gefährlichkeit auszugehen wäre. Es überwiegt daher das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seiner privaten Bindungen im Bundesgebiet.

 

Der Beschwerdeführer bringt vor, dass die belangte Behörde durch mangelnde Beteilung am verwaltungsgerichtlichen Verfahren erkennen lasse, dass ihr an der Aufrechterhaltung des aufenthaltsbeendenden Bescheides nicht oder ihr nicht mehr weiter liege, woraus der Schluss gezogen werden könne, dass ein öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nicht mehr bestehe. Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass die mangelnde Beteilung des Bundesamtes auch im Hinblick auf das von Art. 47 Abs. 2 GRC geforderte faire Verfahren beachtlich sei, da es umgekehrt beweiswürdigend berücksichtigt werde, wenn sich der Beschwerdeführer nicht am Verfahren beteilige.

 

Damit verkennt die Beschwerde aber, dass eine Bindung des Verwaltungsgerichts an die Beteiligung der belangten Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht besteht, zumal auch deren Erklärungen als Beschwerdegegner das Verwaltungsgericht nicht binden könnten (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, VwGVG § 27 K 7); ein Versäumungsurteil iSd § 396 ZPO ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen. Auch bei Verletzung der Mitwirkungspflicht des § 13 BFA-VG (§ 15 AsylG 2005 ist nur auf Asylwerber anwendbar) muss es im Übrigen zu einer Abwägung der Gründe für oder gegen eine Glaubwürdigkeit des Vorgebrachten kommen und die Verletzung der Mitwirkungspflichten weder das Bundesamt noch das Bundesverwaltungsgericht von einer Glaubwürdigkeitsprüfung befreit (Filzwieser ua., Asyl- und Fremdenrecht, 2016, BFA-VG § 13 K 23).

 

Der Eingriff in sein Privatleben durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist daher verhältnismäßig (vgl. EGMR 14.09.2017, Fall Ndidi, Appl. 41.215/14, Z 78 ff., betreffend eine Person mit schwachen Bindungen zum Herkunftsstaat und Kindern im Konventionsstaat; ferner VwGH 20.09.2017, Ra 2017/19/0276).

 

3.4.7. Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005.

 

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 jedoch nur dann von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0343).

 

Das Bundesamt hat im Fall des Beschwerdeführers zutreffend festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer zulässig ist. Damit fehlt aber die Voraussetzung für die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Der angefochtene Bescheid ist in diesem Umfang ersatzlos aufzuheben.

 

3.4.8. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005.

 

Aus den in Punkt 3.2. dargelegten Gründen droht dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Gefahr iSd § 3 AsylG 2005, § 50 Abs. 2 FPG.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005.

 

Aus den im Punkt 3.3. dargelegten Gründen droht dem Beschwerdeführer bei der Ansiedelung in der Russischen Föderation keine Gefahr iSd § 8 AsylG 2005, § 50 Abs. 1 FPG.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Eine derartige Empfehlung besteht für die Russische Föderation nicht.

 

Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation außerhalb der Teilrepublik XXXX und des Föderationskreises XXXX ist daher zulässig.

 

3.4.9. Die Beschwerde ist daher mit der § 55 AsylG 2005 betreffenden Maßgabe als unbegründet abzuweisen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides richtet.

 

3.4.10. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Gemäß § 55 Abs. 4 FPG hat das Bundesamt von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

 

Das Bundesamt hat der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt und dem Beschwerdeführer eine zweiwöchige für die freiwillige Ausreise eingeräumt. Der Beschwerdeführer brachte keine besonderen Umstände iSd § 55 Abs. 3 FPG vor, die er bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat und sind auch von amtswegen nicht zu erkennen.

 

Die Beschwerde ist daher mit der Maßgabe abzuweisen, dass die Frist gemäß § 55 Abs. 2 FPG in Tagen und nicht in Wochen zu bemessen ist.

 

3.4.11. Die Beschwerde ist daher, soweit sie sich gegen die Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides richtet, abzuweisen.

 

3.5. Zur Verhängung eines Einreiseverbotes

 

3.5.1. Das Bundesamt verhängte gegen den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 6 und 7 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot.

 

3.5.2. Mit einer Rückkehrentscheidung kann gemäß § 53 Abs. 1 FPG vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

Ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 ist gemäß Abs. 2, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist (Z 1); wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde (Z 2); wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt (Z 3); wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist (Z 4); wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist (Z 5); den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (Z 6); bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen (Z 7); eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat (Z 8) oder an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat (Z 9).

 

Ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 ist gemäß Abs. 3 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 1); ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 2); ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 3); ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist (Z 4); ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist (Z 5); auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB) (Z 6); auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet (Z 7); ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt (Z 8) oder der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt (Z 9).

 

Die Frist des Einreiseverbotes beginnt gemäß Abs. 4 mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen. Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt gemäß Abs. 5 nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt. Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist gemäß Abs. 6 eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

 

3.5.3. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.07.2014 wegen des DREIFACHEN Verbrechens des schweren Raubes und des ZWEIFACHEN versuchten Verbrechens des schweren Raubes verurteilt. Das Oberlandesgericht XXXX erhöhte mit Urteil vom 05.12.2014 die Freiheitsstrafe des Beschwerdeführers auf VIER Jahre.

 

Er wurde sohin iSd § 53 Abs. 3 Z 5 FPG von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

 

3.5.4. Auch für das - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige - Einreiseverbot iSd § 53 FPG, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird, gilt, dass wie bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK seine Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist.

 

3.5.4.1. Ist der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt, so ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit indiziert (VwGH 27.01.2015, 2013/22/0298; vgl. VwGH 30.07.2014, 2013/22/0281). Dies muss umsomehr für die Delikte iSd § 53 Abs. 3 Z 5 FPG gelten. Bereits laut dem Urteil des Oberlandesgerichts XXXX handelt es sich um der Schwerstkriminalität zuzurechnende Taten.

 

3.5.4.2. In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 24.03.2015, Ra 2014/21/0049; 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

 

Bei Beurteilung der Frage, ob dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 30.09.2015, Ra 2015/21/0111; 30.06.2016, Ra 2016/21/0179; 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

 

3.5.4.3. Für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit des Fremden ist in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich (VwHG 22.03.2018, Ra 2017/21/0194).

 

Dass der Beschwerdeführer seit der bedingten Entlassung vor zweieinhalb Jahren nicht wieder rückfällig wurde, stellt iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Wohlverhaltensperiode dar, die die Annahme einer - erhöhten - Gefährdung nicht mehr rechtfertigen würde (das Judikat VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, betraf eine fünf bzw. sechsjährige Wohlverhaltensperiode bei Delikten, die überdies nur unter § 53 Abs. 3 Z 1 und nicht auch Z 5 fielen). Soweit die Beschwerde in die Richtung argumentiert, dass sich die FÜNF (versuchten) bewaffneten Raubüberfälle des Beschwerdeführers in einem Zeitraum von DREI Monaten ereignet hatten, ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, da selbst aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden kann (VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0099). Auch die Argumentation des Beschwerdeführers, das Einreiseverbot beziehe sich auf den gesamten Schengenraum und stehe Treffen mit seinen in Österreich lebenden Verwandten entgegen (dazu, dass auch die Situation in den anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen ist, s. zB VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007), verfängt abgesehen von den betreffend die Rückkehrentscheidung getroffenen Ausführungen dazu, dass auch die in Österreich lebenden Verwandten in der Russischen Föderation keiner Gefahr ausgesetzt wären, schon deshalb nicht, weil die Mutter des Beschwerdeführers schon einmal in die UKRAINE reiste, um ihre Schwiegermutter zu treffen und die Tochter abzuholen und nichts ersichtlich ist oder vorgebracht wurde, warum dies nicht auch für Treffen mit dem Beschwerdeführer möglich wäre. (vgl. VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18295 A/2011; VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0023).

 

Der Beschwerdeführer stellt vielmehr aus den zu § 6 AsylG 2005 dargelegten Gründen weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

 

3.5.5. Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237; 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

 

In der Regel ist ein Einreiseverbot in der Dauer unter achtzehn Monaten bei Vorliegen einer Gefährdung iSd § 53 Abs. 3 FPG unzulässig (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Nach den Erläuterungen (RV 2144 BlgNR 24. GP 23 f.) soll das Bundesamt "fortan im Einzelfall, zB bei einem nur einmaligen, geringfügigen Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen, auch ein 18 Monate unterschreitendes Einreiseverbot erlassen" können. Die genannten 18 Monate werden im § 53 Abs. 2 leg.cit. nicht mehr erwähnt (vgl. demgegenüber § 12a Abs. 6 erster Satz AsylG 2005). Nach der gesetzgeberischen Intention kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, dass die Verhängung kurzfristiger Einreiseverbote (insbesondere solcher in einer Dauer von weniger als 18 Monaten) - oder überhaupt das Unterbleiben eines Einreiseverbotes - regelmäßig nur dann stattzufinden hat, wenn von dem betreffenden Drittstaatsangehörigen keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht. Das wird verschiedentlich dann der Fall sein, wenn der Drittstaatsangehörige "bloß" einen der Tatbestände des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 leg.cit. erfüllt. Ist davon auszugehen, dass es sich um einen Drittstaatsangehörigen handelt, von dessen Aufenthalt iSd § 53 Abs. 3 leg.cit. eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, so wird in aller Regel - freilich abhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalles - ein längerfristiges Einreiseverbot zu verhängen sein (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0207). Das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen darf aber nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; 15.12.2011, 2011/21/0237). Dass die in § 53 Abs. 2 FPG vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren als Mindestdauer für die Erlassung eines Einreiseverbotes nach Abs. 3 zu gelten hat, lässt sich dem Gesetz aber nicht entnehmen (VwGH 30.07.2014, 2013/22/0281).

 

Unter der Berücksichtigung der Schwere der Tat, der noch nicht ersichtlichen Änderung des Verhaltensmusters und der noch nicht möglichen positiven Zukunftsprognose einerseits, der bedingten Haftentlassung, der aufgehobenen Bewährungshilfe und des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in den letzten zweieinhalb Jahren nicht rückfällig wurde anderseits sowie dem Umstand, dass er in Österreich die prägenden Jahre seiner Adoleszenz verbrachte und, dass seine Eltern und Geschwister in Österreich leben, ist die Dauer des Einreiseiverbotes von 10 Jahren unverhältnismäßig, die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von fünf Jahren reicht zur Erreichung des Gesetzeszweckes hin; Gegenteiliges wurde auch vom Bundesamt nicht vorgebracht.

 

3.5.6. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. insofern stattgegeben, als dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG auf fünf Jahre herabgesetzt wird.

 

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da zur Frage, ob die im Führerschein- und Kraftfahrrecht entwickelte Rechtsprechung (VwGH 10.10.1995, 94/11/0178), wonach es der Berufungsbehörde zukam, den im angefochtenen Bescheid für die Entziehung der Berechtigung ins Treffen geführten Grund auszuwechseln, auch auf das Beschwerdeverfahren betreffend Bescheide, mit denen der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, übertragen werden kann, noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt.

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