Normen
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z5;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z5;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. Dezember 2009 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) die Beschwerdeführerin, eine aus dem Kosovo stammende serbische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der angefochtene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen ist. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2009 geltende Fassung des genannten Gesetzes.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin über keinen Aufenthaltstitel verfügt. Die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, ist daher zutreffend.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0233).
Unter diesen Gesichtspunkten wird in der Beschwerde insbesondere auch auf den durchgehenden Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich, die mit einem bis zum 10. April 1994 gültigen Touristensichtvermerk legal eingereist sei, in der Dauer von mehr als 15 Jahren verwiesen.
Die diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sind zwar nicht eindeutig, doch wird bei der Interessenabwägung auch damit argumentiert, dass der besonders lange unrechtmäßige Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet im Anschluss an einen bereits im Jahr 1994 abgelaufenen Touristensichtvermerk besonders gravierend gegen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens verstoße. Dem entsprechend ist dann auch in der Gegenschrift von einem "aktuellen (wahrscheinlich sogar seit 11.04.1994 bestehenden) unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin" die Rede. Im Übrigen ging auch die Erstbehörde davon aus, dass die letzte Einreise der Beschwerdeführerin nach Österreich im Jahr 1994 erfolgt sei.
Es trifft zwar im Sinne der Ausführungen der belangten Behörde zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausweisungen nach § 53 Abs. 1 FPG bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden derartige Ausweisungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0605, mwN, und mehrere daran anschließende Judikate; siehe aus der letzten Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2012, Zl. 2012/18/0062).
Diesem Maßstab wurde die belangte Behörde nicht gerecht, indem sie dem langen Aufenthalt der Beschwerdeführerin und der in dieser Zeit erlangten Integration allein wegen des Fehlens eines Aufenthaltstitels keine Bedeutung beigemessen hat. Soweit sie auch davon ausging, die Beschwerdeführerin habe sich ohne entsprechende Meldung als sogenanntes "U-Boot" im Bundesgebiet aufgehalten, überging sie ihre Feststellung, dass dem eine amtliche Abmeldung im Jahr 1997 zugrunde lag. Diese beruhte aber auf einer von der belangten Behörde an anderer Stelle des angefochtenen Bescheides "im Zweifel zugunsten der Berufungswerberin" als wahrheitswidrig eingestuften Aussage des Wohnungsinhabers, dass die Beschwerdeführerin "schon Jahre" dort nicht mehr wohne. Dass die Beschwerdeführerin von der Abmeldung Kenntnis gehabt hätte, wurde - wie die Beschwerde der Sache nach zu Recht einwendet - nicht festgestellt. Der Vorwurf der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe jahrelang unter Missachtung melderechtlicher Vorschriften hier (bewusst) als "U-Boot" gelebt, ist daher nicht tragfähig. Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid bei der zuständigen Meldebehörde mit 20. August 2007 die "Stornierung der amtlichen Abmeldung" (rückwirkende Berichtigung des Zentralen Melderegisters) erreicht.
Der Beschwerdeführerin fällt zwar als gravierendes fremdenrechtliches Fehlverhalten zur Last, nach Ablauf des ihr erteilten Sichtvermerks im Jahr 1994 und nach Abweisung ihres Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Jahr 1997 nicht ausgereist zu sein, doch versuchte sie immerhin mit einem Antrag vom 9. Februar 2005 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ihren Aufenthalt in Österreich zu legalisieren. Dass über diesen Antrag formell (bescheidmäßig) abgesprochen worden wäre, lässt sich weder den Feststellungen im angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Akten entnehmen. Auch das wird in der Beschwerde zu Recht ins Treffen geführt.
In Bezug auf die in Österreich erlangte Integration geht auch die belangte Behörde davon aus, dass die Beschwerdeführerin (zumindest einige Zeit) eine Lebensgemeinschaft geführt hat. Seit Juli 2007 ist sie Mieterin einer eigenen Wohnung in Wien 13, die ihr von Dr. B. zur Verfügung gestellt wird. Der Genannte hat für die Beschwerdeführerin auch eine mit 18. März 2008 datierte Erklärung abgegeben, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Dieser Erklärung hat die belangte Behörde schon deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil es sich um keine notariell beglaubigte Haftungserklärung im Sinne des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes handle. Das greift aber zu kurz, weil hier nicht die formellen Voraussetzungen für die Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels maßgeblich sind. Vielmehr wäre wesentlich gewesen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich über ausreichende Unterhaltsmittel verfügt oder ob ihr Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen und solcherart öffentlichen Interessen widerstreiten könnte. Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin bisher öffentliche Mittel in Anspruch hätte nehmen müssen, hat die belangte Behörde aber jedenfalls nicht getroffen. Im Übrigen ist die Beschwerdeführerin - wie von der belangten Behörde auch festgestellt wurde - nunmehr seit 23. April 2008 krankenversichert. Der im angefochtenen Bescheid aufgrund "der Lebenserfahrung" noch geäußerte "dringende Verdacht", dass die Beschwerdeführerin "offenbar durch die Ausübung von Schwarzarbeit ihren Lebensunterhalt bestritten" habe, wird nicht weiter begründet und lässt - wie die Beschwerde zu Recht bemängelt - eine Bedachtnahme auf die frühere Lebensgemeinschaft und die nunmehrige Unterstützung durch Dr. B. völlig vermissen.
Außerdem hat die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren auf ein besonderes Naheverhältnis zur Familie des Dr. B. verwiesen, das - anders als die belangte Behörde meint - auch bei Fehlen eines gemeinsamen Haushalts geeignet wäre, das private Interesse an einem Verbleib in Österreich zu vergrößern. Darauf wäre von der belangten Behörde daher näher einzugehen gewesen. Gleiches gilt sinngemäß in Bezug auf den in der Berufungsergänzung vom 12. Jänner 2009 namentlich umschriebenen Freundeskreis.
Schließlich hätte die belangte Behörde die durch Kursbesuchsbestätigungen vom 9. Juni 2008 belegten Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin auf dem Niveau A 2 nicht nur feststellen, sondern ihnen auch entsprechendes Gewicht beimessen müssen. Für die Beschwerdeführerin spricht im Übrigen noch ihre Unbescholtenheit, die von der belangten Behörde - wie in der Beschwerde ebenfalls zutreffend gerügt wird - nicht erkennbar einbezogen wurde.
Schließlich meinte die belangte Behörde auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, ihr sei aus näher genannten Gründen eine Rückkehr in den Kosovo oder nach Serbien als alleinstehende Frau nicht zumutbar, nicht eingehen zu müssen, weil mit der gegenständlichen Ausweisung nicht darüber abgesprochen werde, in welchen Staat ein Fremder zulässigerweise abgeschoben werden dürfe. Dabei übersah die belangte Behörde allerdings, dass nach § 66 Abs. 2 Z 5 FPG bei der Interessenabwägung ausdrücklich auch auf die Bindungen zum Heimatstaat und damit auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr dorthin Bedacht zu nehmen ist. Auch das wird in der Beschwerde im Ergebnis zu Recht bemängelt.
Da die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten, weitgehend auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden Begründungsmängel zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 31. Jänner 2013
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