Normen
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs5;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
MRK Art3;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Zweitrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der Zweitrevisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Kosovo, reiste am 30. Juni 2004 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und beantragte ohne Erfolg die Gewährung von Asyl. Am 12. März 2005 heiratete er die österreichische Staatsbürgerin M. Die Ehe dauerte bis 19. Juni 2012 (Rechtskraft der im Einvernehmen erfolgten Scheidung nach § 55a EheG) an.
2 Auf Grund dieser Eheschließung waren ihm, laut Darstellung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) beginnend mit 26. Juni 2006, Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - Familienangehöriger" und zuletzt, am 28. Juni 2014, ein unbefristeter Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" erteilt worden.
3 Mit rechtskräftigem Urteil vom 11. Februar 2015 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Graz über den Zweitrevisionswerber eine (seit Beginn der Vorhaft am 23. März 2014 in Vollzug befindliche) fünfjährige Freiheitsstrafe. Angesichts dieses Urteils (wegen Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter, dritter und fünfter Fall SMG, Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster Fall SMG, Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 dritter und vierter Fall sowie § 15 StGB sowie Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 1 WaffG) erließ das BFA gegen den Zweitrevisionswerber mit Bescheid vom 2. Oktober 2015 u.a. gemäß § 52 Abs. 5 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Republik Kosovo zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG erließ es ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 12. Februar 2016 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der gegen den genannten Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde nur insoweit Folge, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Weiters sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend verwies das BVwG auf die vom Zweitrevisionswerber, der auch Staatsangehöriger Serbiens sei, begangenen Straftaten, die es (nur) durch Anführung der (in Rz 3) genannten Gesetzesstellen und schlagwortartige Bezeichnung der Delikte konkretisierte. Im Kosovo sei er "wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt" worden, die er bereits verbüßt habe. Der Zweitrevisionswerber habe sich nach der Einreise im Jahr 2004 "immer wieder für kurze Zeit" in Österreich aufgehalten, sei "anschließend" in den Kosovo zurückgekehrt, seit 2007 aber durchgehend im Bundesgebiet verblieben. Er sei zwischen 11. April 2005 und 21. März 2014 zahlreichen Beschäftigungen als Arbeiter, zuletzt als Gerüstbauer, nachgegangen. Er beherrsche die deutsche Sprache auf hohem Niveau und habe - näher dargestellte - Kontakte zu (ehemaligen) Angehörigen im Kosovo sowie in Österreich und Deutschland. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er im Fall einer Rückkehr in den Kosovo "mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre" oder dass sonstige Gründe vorlägen, die einer Rückkehr oder Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstünden.
6 Rechtlich pflichtete das BVwG dem BFA grundsätzlich bei, setzte die Dauer des Einreiseverbotes allerdings auf drei (laut seiner Entscheidungsbegründung: zwei) Jahre herab. Das BFA habe das "auf die Dauer von 5 Jahren befristete Einreiseverbot" nämlich ohne ausreichende Gründe "im oberen Bereich angesetzt", sodass für gravierendere Konstellationen (größerer Schaden, Schutzbedürftigkeit oder höherer Wert der zu schützenden Rechtsgüter) kein weiterer Spielraum bliebe.
Soweit der Zweitrevisionswerber auf eine Blutrachesituation im Kosovo hingewiesen und argumentiert habe, seine Abschiebung wäre aus Gründen der §§ 50 und 51 FPG unzulässig, seien konkrete Hinweise auf eine Gefährdung iSd Art. 2 oder 3 EMRK unterblieben. Lediglich der Verweis auf eine allfällige, durch die Angehörigen "des überfahrenen Opfers" - er habe, wenn auch durch fahrlässiges Vorgehen, den Tod eines Menschen zu verantworten - hervorgerufene Verfolgungssituation reiche dafür nicht hin. Im Übrigen müsste er mit einem derartigen Vorbringen den Weg ins Asylverfahren beschreiten.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Zweitrevisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 9. Juni 2016, E 548/2016-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Über die vom Zweitrevisionswerber in der Folge ausgeführte außerordentliche Revision sowie die Amtsrevision des BFA, die sich nur gegen die Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbotes richtet, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung von Vorverfahren - Revisionsbeantwortungen wurden jeweils nicht erstattet - erwogen:
Beide Revisionen erweisen sich - wie sich aus dem Folgenden ergibt - im Ergebnis als zulässig und berechtigt:
9 Das BVwG ging zutreffend davon aus, dass die für Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot erforderliche Gefährdungsprognose am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG (gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) zu treffen war.
10 Auch bei dieser Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2015, Ra 2014/21/0049, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe; siehe zuletzt das Erkenntnis vom 20. Oktober 2016, Ra 2016/21/0289, jeweils mwN).
11 Ebenso ist bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes die Dauer der vom Zweitrevisionswerber ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das von der Amtsrevision genannte hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, Zl. 2011/21/0237, insbesondere Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe).
12 Zu den genannten Punkten sind - wie beide Revisionen zutreffend darlegen - die erforderlichen Feststellungen (insbesondere zu den im Einzelnen begangenen Straftaten des Zweitrevisionswerbers), offenbar auf Grund unrichtiger rechtlicher Beurteilung ihrer Erforderlichkeit, bislang unterblieben.
13 Gemäß § 53 Abs. 3 erster Satz iVm Z 1 und 5 FPG kann (u.a.) bei der Verurteilung des Fremden zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren ein Einreiseverbot in der Dauer von (höchstens) zehn Jahren, bei Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren sogar ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen werden. Demnach erlaubt die in der Rz 3 erwähnte Verurteilung des Zweitrevisionswerbers zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren die Erlassung eines mit (höchstens) zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes. Diese Befristungsmöglichkeit wurde vom BFA ausgeschöpft. Bei seinen (in der Rz 6 wiedergegebenen) Überlegungen ging das BVwG demgegenüber offenbar fälschlich davon aus, es hätte gegen den Zweitrevisionswerber ein Einreiseverbot in der Dauer von höchstens fünf Jahren verhängt werden dürfen und ein solches Einreiseverbot sei vom BFA auch tatsächlich erlassen worden. Diese einerseits aktenwidrige und andererseits unrichtige Annahme war die Basis für die vom BVwG vorgenommene Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes - dem Spruch zufolge - auf drei Jahre, die somit schon deshalb keine tragfähige Grundlage hat. Außerdem scheint das BVwG die erwähnte Bestimmung des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG übersehen zu haben, wonach bei Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren die Erlassung sogar eines unbefristeten Einreiseverbotes möglich ist. Im Lichte dessen trifft es nicht zu, dass im vorliegenden Fall - wie das BVwG formulierte - "für gravierende Konstellationen ... kein weiterer Spielraum bliebe", und dass das BFA die Dauer des Einreiseverbotes "ohne ausreichende Gründe im oberen Bereich angesetzt" habe. Darüber hinaus ist dem BVwG in diesem Zusammenhang noch der Widerspruch zwischen der Begründung (Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre) mit dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses (Herabsetzung auf drei Jahre) vorzuwerfen.
14 Schließlich hat der Zweitrevisionswerber - zuletzt in seiner Beschwerde an das BVwG - ein substantiiertes Vorbringen über eine ihm im Kosovo nach seiner Rückkehr drohende Verfolgung ("Blutrache" durch die Familie des Opfers eines von ihm verursachten Verkehrsunfalls) erstattet. Auf dieser Grundlage wäre eine Erörterung, ob darin ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz zu sehen ist, geboten gewesen, mit dem bejahendenfalls nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu verfahren gewesen wäre (vgl. zu einer derartigen Konstellation etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016, Ra 2016/21/0101, mwN). Das hat das BVwG unterlassen, weil es vermeinte, dieses Vorbringen sei im Rahmen des vorliegenden Rückkehrentscheidungsverfahrens einer Prüfung zu unterziehen (siehe dazu auch noch das Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234).
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
16 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die verzeichnete Umsatzsteuer findet in der dort normierten Pauschalierung keine Deckung.
Wien, am 20. Dezember 2016
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