VwGH Ra 2016/21/0289

VwGHRa 2016/21/028920.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des S I, zuletzt in E-G, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. August 2016, G308 2126753-1/4E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbotes ohne Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §18 Abs2 Z1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9 Abs1;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
BFA-VG 2014 §9 Abs3;
BFA-VG 2014 §9 Abs4 Z1;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4;
FrPolG 2005 §52 Abs4;
FrPolG 2005 §52 Abs9;
FrPolG 2005 §52;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §53 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs3;
FrPolG 2005 §53;
FrPolG 2005 §55 Abs4;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §67;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
StbG 1985 §10 Abs1 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1 idF 1998/I/124;
VwGG §34;
VwGG §41;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210289.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, der sein Heimatland im Jahr 1971 im Alter von sieben Jahren verließ. Er lebte in der Folge mit seinen Eltern und Geschwistern, die sich dort noch immer aufhalten, in der Bundesrepublik Deutschland. Beginnend mit November 1991 arbeitete der Revisionswerber in Österreich; seit Anfang Februar 1992 weist er (mit zwei kurzen Unterbrechungen in den Jahren 2005 und 2006) durchgehend Hauptwohnsitzmeldungen in Österreich auf.

2 Der Revisionswerber ist seit 2. August 2011 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Die gemeinsame Tochter, ebenfalls österreichische Staatsbürgerin, wurde am 30. Juni 2015 geboren. Die Genannten leben zusammen mit einem minderjährigen und einem volljährigen Sohn der Ehefrau des Revisionswerbers (seinen "Stiefkindern") im gemeinsamen Haushalt. Der Revisionswerber verfügte zuletzt über einen bis 14. Mai 2016 gültigen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger". Am 9. Mai 2016 stellte er fristgerecht einen Verlängerungsantrag.

3 Der Revisionswerber wurde in Österreich straffällig und beginnend mit Urteil vom 5. August 2005 insgesamt acht Mal von Strafgerichten wegen Vermögens- und Gewaltdelikten rechtskräftig verurteilt, wobei in drei Fällen (nur) Zusatzstrafen verhängt wurden. Zuletzt wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 23. Oktober 2014 wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt. Mit Urteil vom 2. März 2015 verhängte dieses Gericht über ihn wegen der Begehung des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146147 Abs. 2, 148 erster Fall StGB noch eine (unbedingte) Zusatzfreiheitsstrafe von sechs Monaten, die in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes vollzogen wurde. Die bedingte Entlassung des Revisionswerbers erfolgte unter Anordnung der Bewährungshilfe sodann am 29. Jänner 2016.

4 Im Hinblick auf die vom Revisionswerber begangenen Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 27. April 2016 gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot, wobei noch ausgesprochen wurde, dem Revisionswerber werde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach den §§ 57 und 55 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt. Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers "nach Bosnien" zulässig sei. Schließlich wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt und demzufolge dem Revisionswerber in Anwendung des § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

5 Der dagegen erhobenen Beschwerde hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 16. August 2016 (nur) insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf eineinhalb Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab, nahm jedoch Maßgabebestätigungen dahin vor, dass sich der amtswegige Ausspruch auf Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nur auf jenen nach § 55 AsylG 2005 zu beziehen habe und dass sich die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gründe. Schließlich sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, erwogen hat:

7 Rechtlich ist voranzustellen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers im Hinblick auf seinen rechtzeitigen Antrag auf Verlängerung des ihm zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG als rechtmäßig zu qualifizieren ist. Das BVwG erkannte daher zutreffend, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber als rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen nicht (wie vom BFA) auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gegründet werden konnte, sondern nur unter den Bedingungen des § 52 Abs. 4 Z 4 FPG zulässig wäre. Das setzt nach der genannten Bestimmung voraus, dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 oder 2 NAG entgegensteht. Fallbezogen kommt dafür gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG in Betracht, dass der (weitere) Aufenthalt des Revisionswerbers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

8 Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung seiner Art und Schwere eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (siehe dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2016/21/0198, mwN).

9 Die Erlassung des über den Revisionswerber verhängten, mit einer Rückkehrentscheidung zu verbindenden Einreiseverbotes, das im vorliegenden Fall mit höchstens zehn Jahren befristet werden konnte, setzt gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG voraus, dass bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar. Diese Bestimmung stellt daher im Verhältnis zu dem in Rz 7 erwähnten § 11 Abs. 2 Z 1 NAG auf einen höheren Gefährdungsmaßstab ab, nämlich auf das Vorliegen einer "schwerwiegenden" Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit. Als bestimmte, eine solche Gefährdung indizierende Tatsache hat nach der Z 1 des § 53 Abs. 3 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

10 Auch in Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier:

"schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. März 2015, Ra 2014/21/0049, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe, mwN).

11 Darüber hinaus ist bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich (u.a.) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkt 3.2. der Entscheidungsgründe, und daran anschließend etwa das schon genannte Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2016/21/0198, jeweils mwN). Das gilt aber nicht nur für die Rückkehrentscheidung und für das in § 9 Abs. 1 BFA-VG weiters ausdrücklich genannte Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, sondern auch für das - nur bei gleichzeitiger Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässige - Einreiseverbot im Sinne des § 53 FPG, in dessen Abs. 2 und 3 in Bezug auf die Bemessung der Dauer auch die Abwägung nach Art. 8 EMRK angesprochen wird (vgl. der Sache nach etwa die Beschlüsse vom 3. September 2015, Ra 2015/21/0111, und vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0179).

12 Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0002, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039, mwN), als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (vgl. etwa das schon genannte Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe, und daran anschließend beispielsweise den Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2016/21/0022).

13 Dieser Pflicht zur - vom Revisionswerber in der Beschwerde ausdrücklich beantragten - Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das BVwG nicht entsprochen und es ist daher insofern von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Das wird in der Revision (im Ergebnis) zu Recht geltend gemacht, sodass sie nicht nur im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, sondern auch berechtigt ist.

14 Das BVwG hat das Unterbleiben der Verhandlung damit begründet, dass im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

15 Richtig ist zwar, dass nach der genannten Bestimmung bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen (vgl. dazu des Näheren das Erkenntnis vom 22. Jänner 2015, Ra 2014/21/0052, Punkt 4. der Entscheidungsgründe, in dem auf das grundlegende Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, und auf das schon erwähnte Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039, Bezug genommen wird) - trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Vor dem Hintergrund der in der Rz 12 dargestellten Judikatur kann allerdings von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. die schon erwähnten Beschlüsse vom 25. Februar 2016, Ra 2016/21/0022, und vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0179, sowie einen weiteren Beschluss vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0163, in denen bei der Verneinung der Verletzung der Verhandlungspflicht jeweils auf das Vorliegen eines eindeutigen Falles abgestellt wurde).

16 Von einem eindeutigen Fall kann aber hier nicht die Rede sein. Davon ist offenbar auch das BVwG nicht ausgegangen, wenn es trotz der durch einschlägige Rückfälle gekennzeichneten wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers, die zuletzt wegen gravierender Gewalt- und Vermögensdelikte zu einer teilbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 24 Monaten führte, bei einer möglichen Höchstdauer des Einreiseverbotes von zehn Jahren insbesondere im Hinblick auf die lange Aufenthaltsdauer in Deutschland und Österreich und die dort bestehenden familiären Anknüpfungspunkte lediglich eine Dauer des Einreiseverbotes von eineinhalb Jahren für gerechtfertigt erachtete (vgl. zur in der Regel gegebenen Unzulässigkeit eines Einreiseverbotes in der Dauer unter achtzehn Monaten bei Vorliegen einer Gefährdung iSd § 53 Abs. 3 FPG das hg. Erkenntnis vom 4. August 2016, Ra 2016/21/0207). Schon deshalb hätte es in diesem (nach Meinung des BVwG:) "Grenzfall" der ausdrücklich beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber, dem im Übrigen vom BFA auch nur die Möglichkeit zu einer schriftlichen Stellungnahme in Form der Beantwortung vorgegebener Fragen eingeräumt wurde, bedurft.

17 Angesichts des Vorliegens eines aus der Sicht des BVwG nicht eindeutigen Falles ist aber - worauf in diesem Zusammenhang noch hinzuweisen ist - auch die nicht weiter begründete Annahme des BVwG, es hätten die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für eine Beschwerde (Erforderlichkeit der "sofortigen" Ausreise des Revisionswerbers) vorgelegen, nicht nachvollziehbar. Das gilt folglich auch für die gemäß § 55 Abs. 4 FPG daran anknüpfende Nichterteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise.

18 Im Übrigen macht die Revision zu Recht geltend, dass in einer solchen Verhandlung auch die in der Beschwerde näher dargelegte Intensität der Beziehungen des Revisionswerbers zu seiner österreichischen Ehefrau sowie zu dem gemeinsamen Kleinkind und den Stiefsöhnen hätte eingehend beleuchtet und die mit einer vorübergehenden Trennung verbundenen Folgen im Einzelnen erörtert werden können. Außerdem berücksichtigte das BVwG zwar, dass der Revisionswerber seinen Herkunftsstaat im Alter von sieben Jahren verlassen hatte, relativierte diesen Umstand aber (nur) damit, dass der Revisionswerber "in Bosnien und Herzegowina strafgerichtliche Verurteilungen wegen Diebstahls, Betrugs, Urkundenfälschung und anderer Delikte" aufweise und dass er "daher jedenfalls mehrmals und für längere Zeit" dorthin zurückgekehrt sein müsse. Diese unbestimmten Annahmen reichen aber für sich allein nicht aus, den Einwand des Revisionswerbers, er verfüge über keine Bindungen mehr zu seinem Heimatstaat, zu entkräften und ihn pauschal darauf zu verweisen, "Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse", die "infolge einer alleinigen Rückkehr" des Revisionswerbers "auftreten können", seien "im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen". Vielmehr wäre auf diese Schwierigkeiten - in der Beschwerde wurde insbesondere behauptet, der Revisionswerber habe faktisch keinen Zugang zu Wohnraum und zu notwendiger medizinischer Behandlung und er verfüge auch über keine sozialen Anknüpfungspunkte - konkret einzugehen gewesen und sie hätten in ein Verhältnis zum öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung und an der Unterbindung einer Wiedereinreise des Revisionswerbers für den mit dem Einreiseverbot festgelegten Zeitraum gesetzt werden müssen.

19 Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses hätte es aber im Sinne der unter Rz 8 und 10 dargestellten Rechtsprechung auch einer näheren Befassung mit den Straftaten des Revisionswerbers und dem daraus ableitbaren Persönlichkeitsbild bedurft, was auch in der Revision zutreffend bemängelt wird. So hat das BVwG - ungeachtet dessen, dass es die erwähnte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Erkenntnis zitierte - lediglich in Bezug auf die beiden letzten Straftaten (schwere Körperverletzung und schwerer gewerbsmäßiger Betrug) dem Schuldspruch folgende Feststellungen getroffen und die im letzten Strafurteil erwähnten Erschwerungs- und Milderungsgründe verwertet. Nähere Feststellungen zu den Begleitumständen der Zufügung einer schweren Körperverletzung, die immerhin für sich genommen zur Verhängung einer - wenn auch bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten führte, fehlen. Gleiches gilt für die vom Revisionswerber gewerbsmäßig verübten Betrugsdelikte, sodass etwa die aus dem Strafurteil übernommenen Annahmen, es hätten das "Ausnutzen seiner übergeordneten Stellung als Arbeitgeber gegenüber Mitarbeitern, die hauptsächlich seine Opfer waren", und eine "subjektiv völlige Uneinsichtigkeit" vorgelegen, auf Basis der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis in ihrem Gewicht nicht beurteilbar sind. Diesen Umständen hätte aber angesichts der unbestritten prekären finanziellen Lage des Revisionswerbers unter dem Gesichtspunkt der Größe einer Wiederholungsgefahr maßgebliche Bedeutung zukommen können. Vor allem genügen aber die Feststellungen zu den vorangegangenen Straftaten, insbesondere wegen Vermögensdelikten, deren nähere Umstände im Hinblick auf die einschlägigen Rückfälle hätten maßgeblich sein können, nicht den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Anforderungen, zumal diesbezüglich im Wesentlichen nur die Urteilsdaten der Strafregisterauskunft folgend festgestellt wurden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Ra 2014/21/0057, mwN, und darauf Bezug nehmend das Erkenntnis vom selben Tag, Ra 2015/21/0001). Schließlich entbehren auch die im angefochtenen Erkenntnis noch gegen den Revisionswerber ins Treffen geführten, im Zeitraum September 2011 bis November 2015 verhängten "44 Verwaltungsstrafen, die mit einem Betrag von über 13.000,- Euro unberichtigt aushaften", einer näheren Konkretisierung. Diese Ergänzungsbedürftigkeit der vom BVwG getroffenen Feststellungen widerspricht im Übrigen ebenfalls der Annahme eines (ausreichend) geklärten Sachverhaltes im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG.

20 Vor allem ist dem BVwG aber vorzuwerfen, dass es sich mit dem Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG nicht auseinander gesetzt hat. Nach der genannten Bestimmung darf nämlich - von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen - gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) hätte verliehen werden können. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0088, Punkt 3. der Entscheidungsgründe) konnte die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte. Es ist unstrittig und es wurde vom BVwG seiner Entscheidung auch zugrunde gelegt, dass der Revisionswerber von Februar 1992 bis jedenfalls Ende November 2005 über durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen in Österreich verfügte. Das (zeitlich) erste, im angefochtenen Erkenntnis für die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot als maßgeblich erachtete strafbare Verhalten des Revisionswerbers führte zum Urteil vom 5. August 2005, sodass die Annahme indiziert gewesen wäre, der Revisionswerber habe "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt. Träfe dies zu, dann hätte dem Revisionswerber bei Erfüllung der weiteren Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG nach der genannten Bestimmung die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, was der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und demzufolge auch eines Einreiseverbotes entgegengestanden wäre. Darauf hat das BVwG - wie auch schon das BFA - in Verkennung der Rechtslage nicht Bedacht genommen (vgl. dazu etwa die zur Vorgängerbestimmung des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG idF des FrÄG 2011 ergangenen Erkenntnisse vom 30. September 2014, Zl. 2012/22/0058, und vom 10. April 2014, Zl. 2013/22/0370).

21 Zur Klarstellung sei noch erwähnt, dass der in der Rz 20 dargestellte vorrangige Grund für die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses - ungeachtet dessen, dass er in der Revision nicht angesprochen wird - vom Verwaltungsgerichtshof (von Amts wegen) zu berücksichtigen war, weil der Gerichtshof auch eine andere als die in der Revision aufgezeigte Rechtswidrigkeit (hier: des Inhaltes) aufgreifen kann, sobald die außerordentliche Revision - wie vorliegend mit der zutreffenden Geltendmachung der Verletzung der Verhandlungspflicht - die Zulässigkeitsschwelle überschritten hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 15. Oktober 2015, Ra 2014/11/0065).

22 Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden keine Rechtsgrundlage dafür gibt, aus Anlass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen und darüber im Bescheid abzusprechen. Demnach hätte das BVwG schon aus diesem Grund den diesbezüglichen Ausspruch des BFA nicht bestätigen dürfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, Rz 28).

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

24 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Oktober 2016

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