Normen
32004L0038 Unionsbürger-RL;
EURallg;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
FrPolG 2005 §67 Abs2;
MRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2015:RA2014210057.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verhängte gegen den Revisionswerber, einen seit Mitte Jänner 2010 (mit kurzen Unterbrechungen) in Österreich aufhältigen deutschen Staatsangehörigen, mit Bescheid vom 3. Oktober 2014 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. November 2014 als unbegründet ab. Unter einem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig, weil sie - wie im Folgenden dargelegt wird - der Sache nach zu Recht geltend macht, dass das Bundesverwaltungsgericht von der (ständigen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist; die Revision ist daher auch berechtigt.
Gegen den Revisionswerber ist als EWR-Bürger die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa aus der letzten Zeit das Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Zl. Ra 2014/21/0039, Punkt 2.1. der Entscheidungsgründe, mwN, und daran anschließend das Erkenntnis vom 22. Jänner 2015, Zl. Ra 2014/21/0052, Punkt 2. der Entscheidungsgründe).
Das Bundesverwaltungsgericht stellte die dem Revisionswerber zur Last liegenden und den Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes bildenden Straftaten im angefochtenen Erkenntnis nur der Strafregisterauskunft folgend dahin fest, dass lediglich die Gerichte, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängten Strafen angeführt wurden. Das reicht - wie in der Revision zu Recht geltend gemacht wird - nicht für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose (so schon das Erkenntnis vom 26. September 2006, Zl. 2004/21/0097, mwN, und darauf Bezug nehmend etwa das Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/21/0533; siehe ebenso das Erkenntnis vom 24. November 2009, Zl. 2009/21/0267, mwN; vgl. auch jüngst das Erkenntnis vom 24. März 2015, Zl. Ra 2014/21/0049). Daran ändert nichts, dass in Bezug auf die letzte Straftat noch erwähnt wurde, dass es sich um versuchten schweren gewerbsmäßigen Betrug gehandelt habe. Vielmehr wären konkrete Feststellungen zu den einzelnen, den Verurteilungen des Revisionswerbers zugrunde liegenden Straftaten zu treffen gewesen. Überdies wären auch die dem Revisionswerber noch vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen näher zu beschreiben gewesen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 10. September 2013, Zl. 2013/18/0052).
Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Für das fortzusetzende Verfahren wird darauf hingewiesen, dass dem Revisionswerber sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungsprognose als auch der Interessenabwägung jedenfalls zur mittlerweile eingetretenen Entwicklung seiner privaten und familiären Verhältnisse sowie zu einer allfälligen Berufstätigkeit rechtliches Gehör einzuräumen und danach zu beurteilen sein wird, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung geboten ist (siehe auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Zl. Ra 2014/21/0039, Punkt 3.1. der Entscheidungsgründe). Im Übrigen wird zu prüfen sein, ob der Revisionswerber am Maßstab der Richtlinie 2004/38/EG mittlerweile ein Recht auf Daueraufenthalt erworben hat und auf ihn deshalb der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG anzuwenden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0181, Punkt 2. der Entscheidungsgründe).
Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. Mai 2015
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