Normen
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §63 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §63 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Oktober 2013 gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im Folgenden: Behörde) der Berufung des Revisionswerbers, eines serbischen Staatsangehörigen, gegen das mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft T vom 27. Oktober 2010 erlassene unbefristete Aufenthaltsverbot keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren befristet und als Rechtsgrundlage § 63 Abs. 1 bis 3 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) angeführt wurde.
Die Behörde stellte fest, dass der Revisionswerber seit 1993 durchwegs legal in Österreich aufhältig sei und seit März 2003 über einen Niederlassungsnachweis verfügt habe, der seit 1. Jänner 2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" zu beurteilen sei. Seit November 2007 hielten sich auch seine Ehefrau und die (damals) drei gemeinsamen minderjährigen Kinder im Bundesgebiet auf, am 15. August 2010 sei das vierte Kind in Österreich geboren worden.
Die Behörde wies darauf hin, dass der Revisionswerber zunächst mit zwei Urteilen des Landesgerichtes K vom 12. Jänner 2006 bzw. vom 22. Oktober 2007 wegen der Vergehen des Diebstahls und des schweren Betruges bzw. wegen des Verbrechens des schweren Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowie einer Zusatzstrafe von fünf Monaten verurteilt worden sei (davon elf Monate bedingt nachgesehen). Als zeitlich frühester Tatzeitpunkt wurde die Nacht vom 8. auf den 9. April 2005 angeführt. Weiters sei der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichtes E vom 19. August 2010 wegen der Verbrechen der Schlepperei und des gewerbsmäßigen schweren Einbruchsdiebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung sowie wegen der Vergehen der Veruntreuung und des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt worden. Schließlich sei der Revisionswerber mit Urteil des Bezirksgerichtes S vom 14. Juni 2011 wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden. Ergänzend wies die Behörde noch darauf hin, dass gegen den Revisionswerber am 6. März 2013 und am 14. Juni 2013 jeweils eine Wegweisung und ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen worden sei. Der Revisionswerber lebe seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 18. Jänner 2013 wieder mit seiner Familie zusammen, er gehe keiner Beschäftigung nach und beziehe aktuell Arbeitslosengeld.
In ihren rechtlichen Erwägungen wies die Behörde zunächst darauf hin, dass für den Revisionswerber als Drittstaatsangehörigen mit Aufenthaltstitel die "§§ 62 bis 64 FPG" (in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 38) relevant seien. Im Hinblick auf das näher dargestellte strafbare Verhalten des Revisionswerbers und die dazu ergangenen Verurteilungen erachtete die Behörde den erhöhten Gefährdungsmaßstab des § 64 Abs. 4 iVm Abs. 5 FPG als erfüllt. Diesbezüglich verwies sie insbesondere auf die Vielzahl an Straftaten, auf den Umstand, dass sich der Revisionswerber weder von der ersten Verurteilung, noch von der offenen Probezeit, noch von der erstinstanzlichen Verhängung eines Aufenthaltsverbotes vom weiteren strafbaren Verhalten habe abhalten lassen, und auf den erst kurzen seit der Entlassung aus der Strafhaft verstrichenen Zeitraum.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 61 FPG verwies die Behörde auf den langen Inlandsaufenthalt des Revisionswerbers, auf seine intensiven familiären Bindungen und die zeitweilige Erwerbstätigkeit vor seiner Inhaftierung. Das Gewicht seiner sozialen Integration sei aber durch seine Delinquenz gemindert. Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Straftaten der vorliegenden Art seien die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation und auf die seiner Familie nicht als schwerer wiegend anzusehen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Abschließend begründet die Behörde noch, warum das Aufenthaltsverbot für die Höchstdauer von zehn Jahren zu erlassen gewesen sei und warum von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Beschwerde, die - im Hinblick darauf, dass die Beschwerdefrist mit Ende des 31. Dezember 2013 noch offen war - gemäß § 4 Abs. 1 zweiter Satz des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes (VwGbk-ÜG) idF BGBl. I Nr. 122/2013 als Revision gilt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach Vorlage der Verwaltungsakten durch das gemäß § 9 VwGbk-ÜG iVm Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof an die Stelle der Behörde eintretende Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Für die Behandlung einer Revision nach § 4 Abs. 1 VwGbk-ÜG gelten gemäß § 4 Abs. 5 fünfter Satz VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG die Revision als unzulässig zurückgewiesen werden kann.
Der Revisionswerber bringt in seiner - auftragsgemäß ergänzten - Revision u.a. vor, dass die Behörde den uneingeschränkt geltenden Verfestigungstatbestand des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG, der auf ihn anwendbar sei, außer Acht gelassen habe. Schon damit zeigt er eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
§ 64 Abs. 1 FPG in der hier maßgeblichen Fassung
BGBl. I Nr. 38/2011 lautet auszugsweise wie folgt:
"Aufenthaltsverfestigung
§ 64. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Ausweisung gemäß § 62 und ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen
Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
..."
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass der zitierte Verfestigungstatbestand - anders als die Vorgängerbestimmung des § 61 Z 3 FPG in der Fassung vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, BGBl. I Nr. 38 - uneingeschränkt greift (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. April 2012, Zl. 2011/21/0291, und vom 14. November 2013, Zl. 2013/21/0046). Der Umstand, dass der Revisionswerber wiederholt rechtskräftig verurteilt worden ist (darunter zu einer unbedingten dreijährigen Freiheitsstrafe), stand der Anwendung dieser Bestimmung nicht entgegen.
Es wäre daher im vorliegenden Fall zu prüfen gewesen, ob dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0088) konnte die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte. Die Behörde legte ihrer Entscheidung zugrunde, dass sich der Revisionswerber seit dem Jahr 1993 durchwegs legal in Österreich aufhalte und seit März 2003 über einen Niederlassungsnachweis verfügt habe. Das (zeitlich) erste, im angefochtenen Bescheid dargestellte strafbare Verhalten des Revisionswerbers stammt vom April 2005. Dies indiziert zumindest das Vorliegen der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG (vgl. zum Bestehen eines zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2013, Zl. 2013/18/0054). Dass eine der weiteren Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG nicht erfüllt gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.
In offenkundiger Verkennung der Rechtslage hat sich die Behörde aber nicht mit § 64 Abs. 1 Z 1 FPG auseinandergesetzt. Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG sowie § 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455, iVm § 3 Z 1 und § 4 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am 10. April 2014
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