VwGH 2000/20/0480

VwGH2000/20/048025.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der mj. J O in Linz, geboren am 20. September 1983, vertreten durch Mag. Martha Gradl, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Kaisergasse 17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. August 2000, Zl. 218.067/0-V/15/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 6 Z 2 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund den Aufwand in der Höhe von S 565,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Sierra Leone, betrat am 29. Mai 2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am 2. Juni 2000 einen Asylantrag, den sie wie folgt begründete:

"Ich habe mein Heimatdorf Madina am 28.4.2000 verlassen, da dieses von bösen Leuten angegriffen wurde. Es dürften Rebellen gewesen sein. Viele Dorfbewohner wurden getötet. Mein Heimatdorf liegt sehr weit weg von Freetown. Meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester und ich liefen aus Angst in verschiedene Richtungen davon. (...) Es gab mehrmals Angriffe auf unser Dorf. Voriges Jahr wurde meinem Bruder dabei ein Arm abgehackt."

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. Juni 2000 diesen Asylantrag gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone zulässig sei. Der Angriff von Rebellen auf das Heimatdorf der Beschwerdeführerin sei nicht auf die in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen. Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG liege nicht vor, weil die Beschwerdeführerin nicht habe darlegen können, dass sie aufgrund in ihrer Person gelegener Merkmale einem erhöhten Gefährdungsrisiko ausgesetzt wäre.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Heimatort sei vom Rebellenlager der RUF nicht weit entfernt. In diesem Gebiet würden immer wieder Zivilisten ermordet oder gefoltert. Die Dörfer würden regelmäßig von diesen Rebellen überfallen. Mädchen würden verschleppt und im Lager missbraucht, misshandelt und getötet. Der zwischen dem Rebellenführer Foday Sankoh und dem Präsidenten Kabbah vereinbarte Waffenstillstand vom 7. Juli 1999 sei nicht umgesetzt worden. Es werde nirgends berichtet, dass die Vertreter dieser verbrecherischen Rebellengruppe nicht mehr in der derzeitigen Regierung säßen. Die Opfer der Menschenrechtsverletzungen würden von diesen menschenverachtenden und habgierigen Rebellen auch noch regiert. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre, weil die Rebellen noch immer in der Regierung säßen und in der Lage wären, die Ergreifung und Bestrafung der Beschwerdeführerin ganz legal durchzuführen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 2 AsylG ab und sprach (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Sie stellte fest, dass die Beschwerdeführerin ihre Heimat aufgrund der Bürgerkriegsgeschehnisse verlassen habe. Die Verfolgungshandlungen beruhten jedoch nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe. Nach eingehender Darstellung der Ereignisse in Sierra Leone seit dem 1. Mai 2000 gelangte die belangte Behörde insbesondere aufgrund des Berichts des Österreichischen Konsulates in Freetown vom 10. Juni 2000 zusammenfassend zur Feststellung, dass die Hauptstadt Freetown und deren Umgebung sowie der Süden und Osten des Landes gegenwärtig und für die nähere Zukunft sicher seien.

Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass die Beschwerdeführerin keine über die allgemeine Bürgerkriegssituation hinausgehende, konkret gegen ihre Person gerichtete Verfolgungshandlung habe geltend machen können, weshalb der Asylantrag eindeutig jeder Grundlage entbehre. Aufgrund der dargestellten Situation in der Hauptstadt Sierra Leones, Freetown, sei dort keine derart extreme Gefahrenlage zu erkennen, dass praktisch jedem, der nach Freetown abgeschoben werde, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohe, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Sierra Leone im Lichte des Art. 3 MRK unzulässig erschiene.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

In der von der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung vom 16. August 2000 hat die Beschwerdeführerin ihre Angaben vor der erstinstanzlichen Behörde im Wesentlichen wiederholt und zusätzlich Folgendes ausgeführt:

"In meinem Dorf Madina haben wir Angehörige des Volkes der Mende. Diese versuchen gegen die Rebellen anzukämpfen.

(...)

Die Kamajors sind auch in meinem Dorf und machen uns Probleme. Seit mein Vater weg ist, glauben sie, dass er sich den Rebellen angeschlossen hat. Diese Kamajors machen auch viele böse Dinge."

Unter Bezugnahme auf diese Teile des Vorbringens bemängelt die Beschwerde, dass die von § 6 Z 2 AsylG geforderte Eindeutigkeit der fehlenden Grundlage des Asylantrages nicht vorliege, weil der Asylantrag der Beschwerdeführerin "vielmehr die Betrachtung und Prüfung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge" erfordere.

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründen besteht.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerde ist auch dem oben zitierten weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht zu entnehmen, dass eine Gefahr der Verfolgung der Beschwerdeführerin in Sierra Leone auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen sei. So wird weder in der Berufung noch in der vorliegenden Beschwerde ein Zusammenhang zwischen der -

nicht thematisierten - Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin und den geschilderten Verfolgungshandlungen hergestellt. In welchem, eine asylrelevante Form erreichenden Ausmaß der Beschwerdeführerin persönlich von den regierungstreuen Kamajor-Stammesmilizen Verfolgung drohe, hat die Beschwerdeführerin weder in der mündlichen Berufungsverhandlung noch in der Beschwerde hinreichend konkretisiert. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegen getreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass der Asylantrag gemäß § 6 Z 2 AsylG eindeutig jeder Grundlage entbehre.

Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Die belangte Behörde hat bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt (17. August 2000) festgestellt, dass jedenfalls in der Hauptstadt Freetown aufgrund der Ankunft britischer Truppen und Kriegsschiffe sowie aufgrund der Präsenz von Regierungstruppen und UN-Soldaten die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass diese im Stande sei, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergeben, gegenwärtig und für die nähere Zukunft wirksam zu begegnen. Diese Feststellungen kann die Beschwerdeführerin nicht mit der bloßen Behauptung entkräften, dass die Rebellen "noch immer in der Regierung sitzen und meine Ergreifung und Bestrafung ganz legal durchzuführen in der Lage" wären. Es bildet auch keinen relevanten Verfahrensmangel, dass sich die belangte Behörde bei den genannten Feststellungen auf einen Bericht des Österreichischen Konsulates vom 10. Juni 2000 gestützt hat, weil auch die Beschwerde nicht anzugeben vermag, dass sich die allgemeine Sicherheitslage in den als sicher bezeichneten Landesteilen verschlechtert hätte bzw. aus welchen Beweismitteln sich dies ergeben könnte. Allerdings stünde eine extreme Gefahrenlage in einem Staat nach dem ebenfalls Sierra Leone betreffenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei - einer Abschiebung des Fremden in diesen Staat entgegen. Es lagen jedoch für den Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung keine Hinweise auf das Vorliegen von landesweiten exzessiven oder unkontrollierten Gewaltanwendungen im dortigen Bürgerkrieg vor. Der bloße Umstand, dass in Sierra Leone im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde weiterhin Bürgerkrieg herrschte, macht aber eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in diesen Staat noch nicht unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 2000, Zl. 99/20/0601).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 25. Jänner 2001

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