VwGH 2012/18/0204

VwGH2012/18/020412.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerden 1. der NA, 2. des XX, geboren am 18. August 1994, 3. der XY, geboren am 9. Februar 1998,

4. des ZZ, geboren am 17. Juni 1999, 5. der AK, geboren am 16. Mai 2004, und 6. des EA, alle in L, alle vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark je vom 11. März 2010, beide Zl. E1/6630-2009, jeweils betreffend Ausweisung gemäß § 53 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet. Die übrigen beschwerdeführenden Parteien sind ihre Kinder. Alle sind türkische Staatsangehörige.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend wurde in den angefochtenen Bescheiden - im Wesentlichen gleichlautend - ausgeführt, der Sechstbeschwerdeführer sei am 11. Februar 2002 unrechtmäßig in Österreich eingereist. Unmittelbar darauf habe er einen Asylantrag gestellt. Seinem Asylbegehren sei letztlich vom Asylgerichtshof, rechtskräftig mit 28. November 2008, keine Folge gegeben worden.

Seine Ehefrau - die Erstbeschwerdeführerin - sowie seine Kinder - die übrigen beschwerdeführenden Parteien außer der erst im Jahr 2004 geborenen Fünftbeschwerdeführerin - seien am 11. Februar 2003 mit einem Visum C, welches bis 16. Februar 2003 gültig gewesen sei, rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist. Diesen Personen sei das Visum erteilt worden, weil die Erstbeschwerdeführerin ausgeführt habe, ihre in Österreich lebende Schwester besuchen zu wollen. Nach Ablauf der Gültigkeit des Visums seien jedoch diese beschwerdeführenden Parteien nicht ausgereist. Sie hätten am 14. Februar 2003 Asylerstreckungsanträge gestellt.

Diese Anträge seien letztlich vom Asylgerichtshof ebenfalls am 28. November 2008 rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Fünftbeschwerdeführerin sei im Mai 2004 in Österreich geboren worden.

Derzeit bewohne die gesamte Familie eine 91 m2 große Mietwohnung in L. Für diese sei eine monatliche Miete von EUR 602,-

- zu bezahlen.

Der Sechstbeschwerdeführer sei "im Besitze" einer bis 30. Jänner 2010 gültigen Beschäftigungsbewilligung. Er übe eine Teilzeitbeschäftigung als Tellerwäscher aus und erhalte dafür einen monatlichen Lohn von EUR 669,26. Auf Grund dieser Beschäftigung sei zwar die übrige Familie sozialversichert. Wegen seines geringen Einkommens beziehe der Sechstbeschwerdeführer aber auch Sozialhilfe in der Höhe von EUR 914,-- monatlich. Er habe schon früher im Zeitraum von Oktober 2002 bis Mai 2009 Sozialhilfe bezogen. Im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels seien vom Sechstbeschwerdeführer Einstellungszusagen sowie eine Patenschaftserklärung vorgelegt worden. Im Hinblick auf das Ausmaß des monatlichen Einkommens des Paten C, der selbst für ein Kind sorgepflichtig sei, von monatlich EUR 1.100,-- sei die Tragfähigkeit der Patenschaftserklärung nicht gegeben.

Das zuletzt geborene Kind - die Fünftbeschwerdeführerin - besuche den Kindergarten. Zwei weitere Kinder besuchten die Hauptschule; ein Kind gehe in die Volksschule.

In der Türkei lebten die Mutter des Sechstbeschwerdeführers sowie zwei Brüder und eine Schwester. Sein Vater sei gestorben, als er sechs Monate alt gewesen sei.

Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin lebe in L. Zwei Brüder und ihre Eltern lebten in Istanbul.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer hätten in der Zeit von März 2009 bis Juni 2009 einen "Deutschkurs für Anfänger" besucht.

Unter Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen in den erstinstanzlichen Bescheiden ging die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung davon aus, die beschwerdeführenden Parteien hielten sich im Sinn des § 53 Abs. 1 FPG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die festgestellten Umstände seien - so die belangte Behörde in ihrer Beurteilung nach § 66 FPG - nicht geeignet, die persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich in maßgebender Weise zu verstärken. Die aus dem Aufenthalt seit Februar 2002 bzw. Februar 2003 ableitbare Integration sei in ihrem Gewicht dadurch gemindert, dass der bisherige Aufenthalt in der Dauer von siebeneinhalb Jahren auf einen letztlich sich als unberechtigt herausgestellten Asylantrag zurückzuführen sei. Seit Abschluss des Asylverfahrens sei der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien bereits acht Monate lang unrechtmäßig. Dadurch werde die öffentliche Ordnung in hohem Maß gefährdet. Die Erlassung der gegenständlichen Ausweisungen sei zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten. Die öffentliche Ordnung werde nämlich schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dies gelte auch, wenn, wie in den hier gegenständlichen Fällen, Fremde nach Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Es sei daher die Erlassung der Ausweisungen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich die beschwerdeführenden Parteien gesetzestreu verhalten hätten. Es sei weiters "offensichtlich", dass der Sechstbeschwerdeführer und seine Ehefrau erst nachdem ihnen bekannt geworden sei, dass fremdenpolizeiliche Maßnahmen ergriffen würden, einen "Deutschkurs für Anfänger" besucht hätten. Die Selbsterhaltungsfähigkeit sei bloß "bedingt gegeben". Ausgeprägte persönliche Interessen an einem Verbleib in Österreich lägen nicht vor. Der "Kern beider Familieneinheiten" sei nach wie vor in der Türkei aufhältig. Das Interesse der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib im Bundesgebiet sei in seinem Gewicht gemindert, wenn - so wie hier - die Fremden keine genügende Veranlassung gehabt hätten, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt in Österreich auszugehen.

Zum Vorbringen des Sechstbeschwerdeführers zur Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung wies die belangte Behörde nach Wiedergabe eines "ärztlichen Entlassungsbericht(es) des Kur- und Rehazentrum(s) Althofen", dem abgesehen von vierteljährlichen Kontrollen bei einem internistisch-cardiologischen Facharzt und Kontrollen der Blutfette, der Leberwerte sowie des Blutzuckers durch den Hausarzt und der Verschreibung des Medikamentes "Thrombo ASS" keine weiteren therapeutischen Maßnahmen zu entnehmen seien, darauf hin, dass der Sechstbeschwerdeführer die Medikamente und die Therapiemaßnahmen auch außerhalb Österreichs erhalten könne.

Zu den Kindern merkte die belangte Behörde an, dass der Zweitbeschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Einreise in Österreich bereits acht Jahre alt gewesen sei. Aber auch die übrigen Kinder seien in einem solchen Alter, in dem sie sich mit dem sozialen Gefüge in ihrem Heimatland vertraut machen könnten. Es hätten die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer ebenfalls schon fünf bzw. vier Jahre lang in ihrem Heimatland gelebt, bevor sie dieses verlassen hätten. Sie seien daher mit diesem "in einem gewissen Maß" vertraut.

Sohin gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass § 66 FPG den Ausweisungen nicht entgegenstehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide in den vorliegenden Fällen das FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 als maßgeblich erweist.

In den Beschwerden wird den Ausführungen der belangten Behörde, aus denen sich ergibt, dass die beschwerdeführenden Parteien über keine Berechtigung zum Aufenthalt im Bundesgebiet verfügen, nicht entgegengetreten. Die behördliche Beurteilung, die beschwerdeführenden Parteien hielten sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und aus diesem Grund sei in allen Fällen der die Ausweisung ermöglichende Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt, begegnet keinen Bedenken.

Die Beschwerden bekämpfen die angefochtenen Bescheide in der nach § 66 FPG vorgenommenen Beurteilung. In diesem Zusammenhang weist der Sechstbeschwerdeführer auf seine Herzerkrankung, insbesondere den bereits erlittenen Herzinfarkt, hin und bringt vor, dass er ständiger medizinischer Behandlung bedürfe.

Damit wird aber nicht dargetan, dass der belangten Behörde in ihrer diesbezüglichen Beurteilung, die auf den vom Sechstbeschwerdeführer vorgelegten - oben wiedergegebenen - "Entlassungsbericht" Bezug nimmt, ein Fehler unterlaufen wäre. Dass das in diesem Bericht angeführte Medikament für den Beschwerdeführer in seinem Heimatland nicht zugänglich wäre (oder auch nicht ein anderes für die Behandlung geeignetes), wird nicht behauptet. Dies gilt auch für die im Bericht empfohlenen künftigen Kontrollen. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat - hier der Türkei - gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch schon festgehalten, dass es dem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könne. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse iSd Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zlen. 2010/21/0310 bis 0314, mwN). Ein Vorbringen, das diesen Anforderungen gerecht wird, ist den Beschwerden nicht zu entnehmen.

Im Übrigen machen die beschwerdeführenden Parteien in den gegenständlichen Beschwerden zur Stützung ihrer Ansicht, Art. 8 EMRK stehe der Erlassung der Ausweisungen entgegen, jene Umstände geltend, die die belangte Behörde im Rahmen ihrer Beurteilung bereits berücksichtigt hat. Es wird aber in den Beschwerden insbesondere nicht behauptet, die Lebensverhältnisse der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien wären dergestalt, dass eine Eingliederung in ihrem Heimatland nicht möglich oder zumutbar wäre. Im Hinblick darauf, dass diese Kinder im Familienverband mit ihren Eltern aufgewachsen sind und sohin davon auszugehen ist, dass sie mit kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes vertraut gemacht wurden, kann auch die im Ergebnis darauf abstellende Überlegung der belangten Behörde nicht als unschlüssig erkannt werden. Dass die Kinder der türkischen Sprache nicht mächtig wären, wird in den Beschwerden nicht vorgebracht (vgl. zur Zulässigkeit der Einbeziehung des Umstandes, dass sich Kinder in einem "anpassungsfähigen Alter" befinden, das bereits erwähnte, sich u.a. ebenfalls mit in Österreich geborenen Kindern befassende, Erkenntnis vom 29. Februar 2012, sowie jenes vom 30. August 2011, Zlen. 2010/21/0361 bis 0363).

Vor dem Hintergrund des Gesagten ist die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass, weil alle Mitglieder der Familie gemeinsam ausgewiesen wurden, in das Familienleben der beschwerdeführenden Parteien nicht eingegriffen wird. Auf Grund der Feststellungen kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführenden Parteien, insbesondere die Erstbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer, die in Österreich verbrachte Zeit dazu genutzt hätten, um sich in maßgeblicher Weise sozial und beruflich zu integrieren. Sie mussten über lange Zeit, um ihren Unterhalt zu sichern, Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Selbst die vom Sechstbeschwerdeführer mittlerweile angetretene Beschäftigung führt nicht dazu, dass sich die Familie aus Eigenem erhalten könnte. Weder der bisherigen beruflichen Tätigkeit des Sechstbeschwerdeführers noch den vorgelegten Einstellungszusagen kann somit hier entscheidungswesentliches Gewicht beigemessen werden. Deutschkenntnisse haben sich speziell die Erstbeschwerdeführerin und der Sechstbeschwerdeführer während ihres etwa siebeneinhalbjährigen Aufenthalts nahezu nicht angeeignet.

Selbst unter Berücksichtigung, dass die übrigen beschwerdeführenden Parteien den Kindergarten bzw. die Volks- und Hauptschule besuchen, ist fallbezogen nicht zu erkennen, dass die während des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet erlangte Integration ein solches Ausmaß erlangt hätte und von solchem Gewicht wäre, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von der Erlassung von Ausweisungen hätte Abstand genommen werden müssen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass in den Beschwerden über den Hinweis auf den Schul- und Kindergartenbesuch hinaus nicht einmal ansatzweise dargelegt wird, aus welchen Gründen den minderjährigen Beschwerdeführern ein derart hohes Maß an Integration, demzufolge ihnen ein aus Art. 8 EMRK resultierender Anspruch auf Verbleib im Bundesgebiet einzuräumen wäre, zugebilligt werden könnte.

Bei der Bewertung der Interessen der beschwerdeführenden Parteien an einem Verbleib in Österreich war aber auch im Sinn des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG zu berücksichtigen, dass auf der Grundlage von vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen die ihnen während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit gerechnet werden durfte, dauernd in Österreich bleiben zu können. Es trifft auch die behördliche Ansicht zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. auch dazu wiederum die bereits angeführten Erkenntnisse vom 30. August 2011 und vom 29. Februar 2012, jeweils mwN). Diesem Interesse haben die beschwerdeführenden Parteien insofern zuwidergehandelt, als sie nach - für sie negativem - Abschluss ihrer Asylverfahren das Bundesgebiet nicht verlassen haben.

Zusammengefasst ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Erlassung von Ausweisungen gegen die beschwerdeführenden Parteien unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in ihr Privatleben angesehen hat.

Da somit die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. Dezember 2012

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