BVwG W270 2157179-1

BVwGW270 2157179-117.10.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W270.2157179.1.00

 

Spruch:

W270 2157179-1/27E

 

W270 2157191-1/23E

 

W270 2157182-1/20E

 

W270 2199735-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Mutter, XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2017, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

IV. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Günther GRASSL über die Beschwerde der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Mutter, XXXX , diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2018, Zl. XXXX , betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. XXXX (in Folge: "Erstbeschwerdeführerin"), XXXX (in Folge: "Zweitbeschwerdeführer") und XXXX (in Folge: "Drittbeschwerdeführer"), dieser vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, stellten am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

2. Bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.01.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen an, dass die Familie aufgrund der Tätigkeit des Bruders des Zweitbeschwerdeführers für eine amerikanische Firma in Lebensgefahr gewesen sei. Die Taliban hätten sie als Kommunisten beschimpft und bedroht. Der Schwager sei verschollen. Die Taliban hätten außerdem Drohbriefe ins Haus geworfen. Der Zweitbeschwerdeführer gab am selben Tag zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass seine Familie in Lebensgefahr gewesen sei. Sein Bruder XXXX habe bei einer amerikanischen Straßenbaufirma gearbeitet. Deswegen seien sie von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden. Für den Drittbeschwerdeführer nannten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe.

 

3. Bei ihrer Einvernahme am 31.03.2017 vor der belangten Behörde gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass ihr Schwager XXXX für die Amerikaner gearbeitet habe und dann verschwunden sei. Männer seien insgesamt drei Mal zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach ihm gesucht und die Großfamilie bedroht. Vier bis fünf Tage nach dem letzten Vorfall hätte ihr Schwiegervater gesagt, dass sie das Land verlassen müssten. Der Zweitbeschwerdeführer gab bei seiner Einvernahme an, dass sein Bruder XXXX für eine amerikanische Firma gearbeitet habe. Sein Bruder sei dann jedoch verschwunden. Männer hätten dann insgesamt drei Mal das Haus der Familie aufgesucht. Es sei ihnen klargeworden, dass es sich bei den Männern um die Taliban handle. Eine Woche später habe der Vater des Zweitbeschwerdeführers gesagt, dass die Familie das Land verlassen solle.

 

4. Die belangte Behörde wies die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 des AsylG 2005 (Spruchpunkte I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) mit Bescheiden vom 24.04.2017 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkte III. und IV.).

 

Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsland nicht glaubhaft gemacht worden sei. Auch eine Gefährdung i.S.d. § 8 AsylG 2005 ließe sich aus den individuellen persönlichen Verhältnissen nicht ableiten. Da der Zweitbeschwerdeführer über Berufserfahrung im Schneidergewerbe verfüge sei davon auszugehen, dass er in der Lage wäre den Lebensunterhalt der Familie bei Rückkehr zu bestreiten. Zusätzlich bestünde die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung durch die Familie. Schlussendlich überwiege das öffentliche Interesse an einer Rückkehrentscheidung dem Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.

 

5. Gegen diesen Bescheid erhoben die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer sowie der Drittbeschwerdeführer am 09.05.2017 Beschwerden. In diesen wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer ein Risikoprofil erfüllen, weil der Bruder des Zweitbeschwerdeführers für eine ausländische Firma gearbeitet habe und die Behörde Ermittlungen betreffend eine "Verwestlichung" der Erstbeschwerdeführerin unterlassen hätte. Es wurden außerdem weitere Beweismittel betreffend die Lage im Herkunftsstaat vorgelegt.

 

6. Am 14.08.2017 und am 29.09.2017 wurden dem Bundesverwaltungsgerichte von den Beschwerdeführern Dokumente zur Kenntnisnahme vorgelegt sowie am 21.11.2017 noch weitere nachgereicht. Bei diesen handelt es sich um Bestätigungen integrativer Leistungen der Beschwerdeführer.

 

7. In den Stellungnahmen vom 28.11.2018 nahmen die Beschwerdeführer Stellung zu den seitens des Bundesverwaltungsgerichts in das Verfahren eingeführten Länderberichten und verwiesen auf weitere Beweismittel.

 

8. Am Bundesverwaltungsgericht fand am 01.12.2017 eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen einvernommen wurden.

 

9. Am 23.02.2018 stellte die minderjährige XXXX (in Folge: "Viertbeschwerdeführerin"), vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

10. Am 15.03.2018 fand die Erstbefragung der Viertbeschwerdeführerin als nachgeborenes Kind, vertreten durch den Zweitbeschwerdeführer, statt. Dieser gab an, dass die Viertbeschwerdeführerin über keine eigenen Fluchtgründe verfügen würde.

 

11. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag der Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) mit Bescheid vom 22.05.2018 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-VG, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt V. und VI.).

 

Zur Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass eigene Fluchtgründe nicht ins Treffen geführt worden seien und die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht hätten. Eine von den Familienangehörigen ableitbare Gefährdungslage hätte somit nicht bestanden.

 

12. Die Viertbeschwerdeführerin, vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin, erhob am 25.06.2018 gegen diesen Bescheid Beschwerde, in welcher insbesondere eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird und weitere Beweismittel genannt werden.

 

13. Am 19.07.2018 wurde die Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt und mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes das Beschwerdeverfahren der Viertbeschwerdeführerin in das Familienverfahren hereingenommen. In der mündlichen Verhandlung wurden die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweit- und Drittbeschwerdeführer nochmals zu deren Leben in Österreich sowie zur Situation im Falle einer Rückkehr einvernommen und legten diese weitere Urkunden vor. In der Verhandlung wurden außerdem weitere länderkundliche Informationen und sonstige Informationen als Beweismittel seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in das Verfahren eingeführt. Des Weiteren wurde der Verfahrensakt des Bruders des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , GZ W246 2137328 in der mündlichen Verhandlung verlesen und ebenfalls als Beweismittel in das Verfahren aufgenommen. Der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer wurde eine Frist von vierzehn Tagen zur Erstattung einer Stellungnahme eingeräumt.

 

14. Am 21.07.2018 wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend die Erkrankungen des Zweitbeschwerdeführers und deren Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan gestellt. Die am 03.08.2018 ergangene Anfragebeantwortung wurde den Beschwerdeführern mit einer Frist von vierzehn Tagen zur allfälligen Stellungnahme übermittelt und diesen am 23.08.2018 zugestellt.

 

15. In der Stellungnahme vom 31.08.2018 wird nochmals eine allfällige westliche Orientierung der Erstbeschwerdeführerin thematisiert sowie ausführlich auf das Krankheitsbild des Zweitbeschwerdeführers eingegangen. Zudem werden weitere Beweismittel und Urkunden vorgelegt.

 

16. Am 12.09.2018 wurden die Beschwerdeführer über die Absicht des Bundesverwaltungsgerichtes, die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 sowie das Gutachten des Sachverständigen Mag. Karl Mahringer vom 30.08.2018 als Beweismittel in das Verfahren einzuführen verständigt und diesen für eine allfällige Stellungnahme eine Frist von vierzehn Tagen eingeräumt. Die Verständigung wurde den Beschwerdeführern am 14.09.2018 zugestellt.

 

17. Mit Schriftsatz vom 28.09.2018 erstatteten die Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme. Darin führten Sie zum Gutachten von Mag. Karl Mahringer sowie zu den Richtlinien des UNHCR aus.

 

18. Den Beschwerdeführern wurde auch noch Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation aus dem September 2018 zur Versorgungslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif im Hinblick auf eine dortige Dürresituation eingeräumt.

 

19. Mit Schriftsatz vom 10.10.2018 nahmen die Beschwerdeführer zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Stellung und verwiesen im Wesentlichen erneut auf die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zu den Personen:

 

1.1.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

1.1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin trägt den Namen XXXX und ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan. Sie wurde am XXXX in XXXX , in der Provinz Baghlan geboren und ist in Kabul aufgewachsen. Die Erstbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie ist gesund.

 

1.1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin hat einen Sohn, den Drittbeschwerdeführer XXXX und eine Tochter, die Viertbeschwerdeführerin XXXX .

 

1.1.1.3. Die Muttersprache der Erstbeschwerdeführerin ist Dari. Neben dieser Sprache hat die Erstbeschwerdeführerin noch Kenntnisse der Sprachen Paschtu und Deutsch.

 

1.1.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Afghanistan sieben Jahre lang eine staatliche Schule besucht, die siebente Klasse jedoch nicht abgeschlossen. Eine besondere Ausbildung hat sie nicht absolviert, weil sie sich um die Hausarbeit kümmern musste.

 

1.1.1.5. Die Mutter, die drei Brüder und die beiden Schwestern der Erstbeschwerdeführerin, zu welchen sie auch regelmäßig Kontakt hat, leben in den USA. Zwei Onkel väterlicherseits sowie eine Tante väterlicherseits leben in Kabul, zu diesen pflegt die Erstbeschwerdeführerin jedoch keinen Kontakt.

 

1.1.1.6. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben ungefähr im Jahr 2006 traditionell geheiratet. Die Hochzeitszeremonie wurde sowohl in Qarabagh als auch in Kabul abgehalten. Die Ehe wurde nicht staatlich registriert.

 

1.1.1.7. Die Erstbeschwerdeführerin ist in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Sie hat sich nicht politisch betätigt, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

 

1.1.1.8. Die Erstbeschwerdeführerin hat Afghanistan im Dezember 2015 verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

1.1.2.1. Der Zweitbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde am XXXX im Ort XXXX im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul geboren und ist dort auch aufgewachsen. Der Zweitbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

 

1.1.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer leidet unter diagnostizierten Anpassungsstörungen mit Ängsten, Insomnie und Cephalea, weswegen er die Medikamente Deanxit, Pregabalin und Dominal forte einnimmt. In der Vergangenheit reiste er aufgrund seiner Erkrankungen auch ein bis zweimal pro Jahr für Behandlungen von Afghanistan in den Iran.

 

Durch die Einnahme der Medikamente in Kombination mit einer regelmäßigen sportlichen Betätigung hat sich der Zustand des Zweitbeschwerdeführers betreffend die angegebenen Erkrankungen verbessert.

 

Aus fachärztlicher Sicht soll er sich neben der Einnahme von Medikamenten einer regelmäßigen fachärztlichen Kontrolle unterziehen. Eine akute Gefahr einer Selbst- oder Fremdgefährdung besteht nicht.

 

1.1.2.3. Der Zweitbeschwerdeführer hat einen Sohn, den Drittbeschwerdeführer XXXX und eine Tochter, die Viertbeschwerdeführerin XXXX .

 

1.1.2.4. Die Muttersprache des Zweitbeschwerdeführers ist Dari. Diese Sprache kann er auch lesen und schreiben. Neben Dari hat er noch Kenntnisse der Sprachen Farsi und Paschtu.

 

1.1.2.5. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Afghanistan sieben Jahre lang in eine öffentliche Schule gegangen. Danach erlernte er den Beruf des Schneiders. Er hatte ein eigenes Geschäft und verfügt über eine mindestens fünfzehnjährige Berufserfahrung in diesem Gewerbe. Mit den daraus erzielten Einkünften konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie finanzieren.

 

1.1.2.6. Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers leben nach wie vor in dessen Heimatdorf im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul. Sein Vater führt dort auch immer noch den landwirtschaftlichen Betrieb. Dieser ist sehr vermögend. Insbesondere besitzt dieser rund 10.000 Weinstöcke und auch ein Haus.

 

Die Schwester des Zweitbeschwerdeführers lebt in Kuwait. Ein Onkel väterlicherseits sowie dessen Sohn leben in Kabul. Zwei Brüder des Zweitbeschwerdeführers leben in Deutschland, ein Bruder lebt in England und einer in Österreich. Zu seinen Eltern steht der Zweitbeschwerdeführer regelmäßig in Kontakt.

 

1.1.2.7. Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin haben ungefähr im Jahr 2006 traditionell geheiratet. Die Hochzeitszeremonie wurde sowohl in Qarabagh als auch in Kabul abgehalten. Die Ehe wurde nicht staatlich registriert.

 

1.1.2.8. Der Zweitbeschwerdeführer ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft. Er hat sich nicht politisch betätigt, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

 

1.1.2.9. Der Zweitbeschwerdeführer hat Afghanistan im Dezember 2015 verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

 

1.1.3.1. Der Drittbeschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde am XXXX im Distrikt Quarabagh, in der Provinz Kabul geboren und ist dort bis zur Flucht auch aufgewachsen. Der Drittbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

 

1.1.3.2. Der Drittbeschwerdeführer hat Afghanistan im Dezember 2015 zusammen mit seinen Eltern, der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer, verlassen und stellte schließlich am 05.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1.3.3. Der Drittbeschwerdeführer lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester, der Viertbeschwerdeführerin im Familienverband und ist gesund.

 

1.1.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Die Viertbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX , wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte am 23.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie lebt mit ihren Eltern, der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer, sowie ihrem Bruder, dem Drittbeschwerdeführer, im Familienverband und ist gesund.

 

1.2. Zum individuellen Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

 

1.2.1. Der Bruder des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , war bis zum Jahr 2010 für die Straßenbaufirma " XXXX " tätig.

 

1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Bruders des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , persönlich von den Taliban oder sonstigen Personen bedroht oder sonstige Handlungen oder Maßnahmen gegen sie gesetzt wurden.

 

1.2.3. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass gegen die Familie der Beschwerdeführer eine sonstige Maßnahme oder Handlung gesetzt wurde, insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die Eltern des Zweitbeschwerdeführers persönlich bedroht wurden.

 

1.2.4. Die Erstbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer hatten in ihrem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurden sie wegen ihrer Nationalität, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrem Bekenntnis zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken oder wegen Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen sie gesetzt.

 

1.2.5. Bezüglich des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin, diese wurde in Österreich geboren, wurden keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht.

 

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

 

1.3.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

1.3.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin lebt derzeit als Mieterin in einer Unterkunft des " XXXX " in XXXX bei XXXX. Diese Unterkunft teilt sie sich mit den Zweit- bis Viertbeschwerdeführern und dem Bruder des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , dessen Frau, XXXX und deren minderjährigen Kindern, XXXX und XXXX .

 

1.3.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin besucht gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer mehrmals pro Woche von ehrenamtlichen Deutschlehrern angebotene Deutschstunden, zu welchen sie auch die Viertbeschwerdeführerin mitnimmt. Sie besuchte zudem im Zeitraum von 03.04.2017 bis 16.06.2017 einen Deutschkurs für das Sprachniveau A0 und im Zeitraum von 21.06.2017 bis 03.08.2017 einen solchen für das Sprachniveau A1. Prüfungen hat sie noch keine abgelegt. Die Erstbeschwerdeführerin ist in der Lage in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis in deutscher Sprache zu kommunizieren. Des Weiteren nahm sie an Kursen des österreichischen Integrationsfonds teil.

 

1.3.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin betätigt sich weder ehrenamtlich noch ist sie Mitglied in einem Verein oder betätigt sich in einem solchen.

 

1.3.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin geht selbstständig bzw. alleine einkaufen und nimmt dafür - alleine - den Bus nach XXXX . Sie geht außerdem alleine mit ihren Kindern spazieren und erledigt auch Arztbesuche selbstständig. Sie unterstützt weiters ihre Schwägerin bei der Erziehung ihrer Kinder und ebenso bei der Bewältigung des Alltages sowie bei Arztterminen, weil deren Kinder schwerwiegend erkrankt sind. Die Familieneinkünfte verwaltet sie gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer bzw. trifft eigenständig wirtschaftliche Dispositionen. Diese Verhaltensweisen hat die Erstbeschwerdeführerin auch bereits verinnerlicht.

 

1.3.1.5. Sie hat Kontakt zu Österreichern, so etwa zu ihren Nachbarn " XXXX " " XXXX " und " XXXX ".

 

1.3.1.6. Ihr soziales Umfeld beschreibt die Erstbeschwerdeführerin als verlässlich und kooperativ.

 

1.3.1.7. Der - verinnerlichte - Kleidungstil der Erstbeschwerdeführerin im Alltagsleben ist sportlich bzw. leger.

 

1.3.1.8. Die Erstbeschwerdeführerin interessierte sich zuerst für den Beruf der Lehrerin, nunmehr für den der Kindergartenhelferin. Betreffend den Beruf der Kindergartenhelferin hat sie eine Informationsunterlage des BFI sowie des WIFI hinsichtlich Ausbildungsmöglichkeiten für u.a. diese Betreuungsdienstleistung ausgedruckt. Generell möchte sie sich bilden und auf eigenen Beinen stehen.

 

1.3.1.9. Bislang war die Erstbeschwerdeführerin in Österreich nicht erwerbstätig.

 

1.3.1.10. Die Erstbeschwerdeführerin ist unbescholten.

 

1.3.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

1.3.2.1. Der Zweitbeschwerdeführer lebt derzeit als Mieter in einer Unterkunft des " XXXX " in XXXX bei XXXX gemeinsam mit seinem Bruder, XXXX , dessen Frau, XXXX , und deren minderjährigen Kindern, XXXX und XXXX . Die Beschwerdeführer teilen sich mit dieser Familie auch die Unterkunft. Der Bruder des Zweitbeschwerdeführers unterstützt diesen hinsichtlich seiner Erkrankung u.a. bei der Medikamenteneinnahme und wenn es dem Zweitbeschwerdeführer psychisch schlecht geht.

 

1.3.2.2. Der Zweitbeschwerdeführer nimmt - gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin - mehrmals pro Woche ein Angebot zum Erlernen der deutschen Sprache von ehrenamtlich tätigen Deutschlehrer in Anspruch. Er nahm im Schuljahr 2017/2018 auch gemeinsam mit dem Drittbeschwerdeführer wöchentlich im Lerncafe der Pfarre XXXX teil. Im Zeitraum vom 21.06.2017 bis 08.09.2017 sowie vom 12.09.2017 bis 07.12.2017 absolvierte er weiters Deutschkurse für das Sprachniveau A1.

 

Der Zweitbeschwerdeführer ist nicht in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren.

 

1.3.2.3. Der Zweitbeschwerdeführer war weder ehrenamtlich tätig, noch ist er Mitglied in einem Verein oder betätigt sich in einem solchen.

 

1.3.2.4. In seiner Freizeit betreibt der Zweitbeschwerdeführer Sport. Er geht jeden Tag mindestens zwei bis drei Stunden spazieren und spielt auch Fußball.

 

1.3.2.5. Sein Umfeld beschreibt den Zweitbeschwerdeführer als kooperativ und hilfsbereit.

 

1.3.2.6. Der Zweitbeschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig.

 

1.3.2.7. Der Zweitbeschwerdeführer ist unbescholten.

 

1.3.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

 

1.3.3.1. Der Drittbeschwerdeführer besucht seit dem 25.10.2016 als außerordentlicher Schüler die ASO XXXX . Gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer nahm er zudem am Lerncafe der Pfarre XXXX teil.

 

1.3.3.2. In seiner Freizeit spielt der Drittbeschwerdeführer mit seinen Freunden, welche er aus dem " XXXX " kennt, " XXXX ", " XXXX ", " XXXX ", " XXXX ", " XXXX " und " XXXX " Fußball oder Xbox.

 

1.3.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Bei der Viertbeschwerdeführerin handelt es sich um ein unmündiges Kleinkind von sieben Monaten, welches zu Hause von seinen Eltern betreut wird.

 

1.4. Persönliche Situation der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

1.4.1. Der Zweitbeschwerdeführer würde die Erstbeschwerdeführerin bei der Verwirklichung ihrer Pläne unterstützen und ihr auch alles erlauben.

 

1.4.2. Die Beschwerdeführer würden im Familienverband nach Afghanistan zurückkehren. Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin würde durch ihre Eltern versorgt werden.

 

1.4.3. Die Beschwerdeführer könnten vom Vater bzw. der Familie des Zweitbeschwerdeführers, bei deren Rückkehr nach Afghanistan finanziell in erheblichem, jedenfalls für Rückkehrer überdurchschnittlichen Ausmaß unterstützt werden.

 

1.4.4. Für die Beschwerdeführer besteht daneben die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe zu beziehen:

 

Von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2019 implementiert die Internationale Organisation für Migration (IOM), Landesbüro für Österreich, das Projekt "RESTART II - Reintegrations-unterstützung für Freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und Iran". Das Projekt wird durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert.

 

Im Rahmen des Projekts können Drittstaatsangehörige bei ihrer freiwilligen Rückkehr in die Islamische Republiken Afghanistan und Iran sowie bei ihrer nachhaltigen Reintegration im jeweiligen Herkunftsland unterstützt werden.

 

Das Projekt sieht die Teilnahme von 490 Personen vor. Pro Haushalt kann nur eine Person teilnehmen.

 

Die Maßnahmen, die die Rückkehrer/innen bei ihren Reintegrationsbemühungen unterstützen, werden gemeinsam mit dem Teilnehmer/innen erarbeitet und sind auf deren individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt.

 

IOM setzt im Rahmen des Projekts folgende Maßnahmen um:

 

Rückkehrunterstützung

 

* Informationsgespräche vor der Abreise in Österreich;

 

* Möglichkeit der Erhebung der familiären Situation im Rückkehrland im Falle der Rückkehr von unbegleiteten Minderjährigen;

 

* Logistische Organisation der Reise (inklusive Kauf des Flugtickets);

 

* Unterstützung bei der Abreise am Flughafen Wien Schwechat;

 

* Empfang und Unterstützung bei der Ankunft sowie Organisation der Weiterreise zum endgültigen Zielort in Afghanistan und der Islamischen Republik Iran;

 

* Temporäre Unterkunft nach der Ankunft im Rückkehrland.

 

Reintegrationsunterstützung

 

* Beratung der Projektteilnehmer/innen nach der Rückkehr bezüglich ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten, ihres Ausbildungs- und beruflichen Hintergrunds und ihrer persönlichen Lebenssituation;

 

* Finanzielle Unterstützung in Form von Bargeld: EUR 500,- für jede/n Projektteilnehmer/in, um die dringendsten Bedürfnisse direkt nach der freiwilligen Rückkehr in das Herkunftsland abzudecken;

 

* Unterstützung in Form von Sachleistungen wie

 

* Unterstützung bei Gründung von oder Beteiligung an einem Unternehmen (z.B. Kauf von Ausstattung, Waren);

 

* Aus- und Weiterbildung;

 

* Unterkunft;

 

* Unterstützung für Kinder;

 

* Medizinische Unterstützung;

 

* Leitfaden zur Unternehmensgründung und Weitervermittlung zu kostenlosen Business Trainings.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

1.5.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

 

Sicherheitslage

 

Allgemein

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

 

Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren.

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009 bis 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken. Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA 2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen.

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.612 registrierten zivilen Opfer (440 Tote und 1.172 Verletzte). Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 [in Folge: "LIB"], Pkt. 4. "Sicherheitslage")

 

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 zerstörte der bewaffnete Konflikt weiterhin das Leben und die Lebensgrundlagen von Zivilisten auf dem gleichen giftigen Niveau wie im Vorjahr. Die VN-Hilfsmission in Afghanistan (UNAMA) fordert die Konfliktparteien erneut auf, ihre Bemühungen um den Schutz der Zivilbevölkerung zu verstärken, und ermutigt die Parteien, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten.

 

Vom 1. Januar bis 30. Juni 2018 dokumentierte die UNAMA 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte) - ein Rückgang von insgesamt drei Prozent gegenüber dem Vorjahr - und spiegelte damit das gleiche Ausmaß an Schäden für Zivilisten wider wie im gleichen Zeitraum 2017 und 2016. Die Zahl der zivilen Todesfälle stieg um ein Prozent, während die Zahl der verletzten Zivilisten um fünf Prozent zurückging.

 

(Auszug aus dem Midyear-Report der UNAMA, Juni 2018, abrufbar unter:

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_poc_midyear_update_2018_15_july_english.pdf , abgerufen am 16.10.2018)

 

Kinder und der bewaffnete Konflikt in Afghanistan

 

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 trug das Leiden von Kindern in bewaffneten Konflikten viele Gesichter in Afghanistan, wobei afghanische Jungen und Mädchen getötet, verstümmelt, sexuell angegriffen, missbraucht, rekrutiert und von Konfliktparteien genutzt wurden. Konfliktbezogene Gewalt hat das Recht der Kinder auf Bildung, Gesundheitsversorgung, Freizügigkeit und andere Grundrechte sowie das Familienleben weiter untergraben, indem sie im Freien spielen und einfach eine Kindheit ohne die brutalen Folgen des Krieges genießen.

 

UNAMA verzeichnete in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 1.355 Kinderopfer (363 Tote und 992 Verletzte) als Folge des bewaffneten Konflikts, ein Rückgang von insgesamt 15 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum 2017. Der Rückgang resultierte hauptsächlich aus weniger Kindern, die bei Bodeneinsätzen getötet und verletzt wurden, obwohl diese Art von Vorfällen nach wie vor die Hauptursache für Kinderopfer war. Die Mission verzeichnete auch einen Rückgang der Kinderopfer durch Nicht- Selbstmord-IEDs, stellte aber mit Besorgnis fest, dass die Kinderopfer durch Selbstmord und komplexe Angriffe und Luftangriffe zugenommen haben und dass Kinder weiterhin mehr als ein Drittel der Opfer durch Druckplatten-IEDs ausmachen. Obwohl UNAMA einen Rückgang der Kinderverluste durch explosive Kriegsrückstände im Einklang mit der allgemeinen Verringerung der Opferzahlen durch diese Art von Vorfällen verzeichnete, bekräftigt die Mission ihre Besorgnis, dass Kinder erneut 89 Prozent der zivilen Opfer durch explosive Kriegsrückstände ausmachten.

 

Die Mission nimmt Besorgnis über einen sich abzeichnenden Trend zur Ausrichtung der Bildung durch Anti-Regierungs-Elemente als Reaktion auf die Maßnahmen der regierungsnahen Kräfte zur Kenntnis. In der Provinz Nangarhar verzeichnete die Mission bis zum Monat Juni 13 verwandte Vorfälle, die Daesh/ISKP zugeschrieben wurden, nachdem die Gruppe Drohungen der Mädchenschulen als Vergeltung für Luftangriffe ausgesprochen hatte. Die Gruppe richtete sich an Bildungsbeamte und Schulen und unternahm einen komplexen Angriff auf das Department of Education Offices in Jalalabad, bei dem insgesamt 23 Zivilisten ums Leben kamen (sechs Tote und 17 Verletzte). Im Bezirk Charkh der Provinz Logar verzeichnete UNAMA die Schließung von 29 Schulen durch die Taliban, nachdem Ende März eine regierungsnahe Truppenoperation in einem ihrer Kommandantenhäuser stattgefunden hatte.

 

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 überprüfte UNAMA die Rekrutierung und den Einsatz von 22 Buben und dokumentierte glaubwürdige Anschuldigungen über die Rekrutierung und den Einsatz von sieben Jungen durch die Parteien des bewaffneten Konflikts. Diese Buben wurden zur Teilnahme an Feindseligkeiten, einschließlich der Pflanzung von IEDs und der Tötung von Zivilisten, verwendet. Darüber hinaus dokumentierte UNAMA glaubwürdige Anschuldigungen über fünf Fälle von sexuellem Missbrauch an sechs Jungen, auch zum Zwecke von Bacha Bazi, die der afghanischen Nationalpolizei und der afghanischen lokalen Polizei zugeschrieben wurden.

 

(Auszug aus dem Midyear-Report der UNAMA, Juni 2018)

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Allgemeines

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus.

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet.

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird.

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan. Die Gründe dafür sind verschiedene:

das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten.

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen.

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen.

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand. Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten. Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten:

Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden.

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen. Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben. Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS.

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation. Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen. Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet.

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben. Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen. Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen.

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt; er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an, aber auch ausländische Botschaften. Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätte. Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind.

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar.

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben.

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens.

 

(Auszüge aus dem LIB, Pkt. 4. "Sicherheitslage")

 

Grundversorgungs- und Wirtschaftslage

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung und Wirtschaft")

 

Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan

 

Im Bereich des Rechtsschutzes und des Justizwesens in Afghanistan gibt es legislative Fortschritte; dennoch gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen und werden Dispute überwiegend außerhalb des formellen Justizsystems gelöst. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, in den ländlichen Gebieten aber schwächer ausgeprägt. Dem Justizsystem mangelt es an Leistungsfähigkeit, teils mangels qualifizierten Personals (insbesondere in ländlichen Gebieten), teils wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit von Gesetzestexten; die Situation bessert sich jedoch. Innerhalb des Gerichtswesens ist auch Korruption vorhanden und sind Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen.

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 5. "Rechtsschutz/Justizwesen")

 

Sicherheitsbehörden in Afghanistan

 

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist.

 

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA). Auch das NDS ist Teil der ANDSF.

 

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen.

 

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat. Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt.

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats.". Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt.

 

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen; dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt. Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen. Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden.

 

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei. Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich. Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf. Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020.

 

Reformen der ANDSF

 

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden. Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen.

 

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung.

 

Geheimdienstliche Tätigkeiten

 

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus. Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach. Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt.

 

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die Bush- und die Obama-Administration konzentrierten sich auf den Ausbau des ANAund ANP-Personals und vernachlässigten dadurch den afghanischen Geheimdienst. Die Rekrutierungsmethode für NDS-Personal war mit Stand Juli 2017 sehr restriktiv und der Beitritt für Bewerber ohne Kontakte fast unmöglich.

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert.

 

Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren. Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind. Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben. Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern.

 

Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorfältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen. Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen. Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel.

 

Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden. Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw.

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3%.

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte. Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen.

 

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen. Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2%.

 

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen. Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere.

 

Resolute Support Mission (RS)

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll. Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes usw.

 

Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten. Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert. Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF.

 

(Auszug aus dem LIB, Pkt. 6. "Sicherheitsbehörden")

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Laut den Artikeln 29 und 30 der afghanischen Verfassung ist Folter verboten. Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt wurden, sind ungültig. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Am 22. April 2017 genehmigte die afghanische Regierung ein neues Anti-Folter-Gesetz und erweiterte das im ursprünglichen Strafgesetzbuch enthaltene Folterverbot. Das neue Gesetz bezieht sich jedoch nur auf Folterungen, die im Rahmen des Strafrechtssystems erfolgt sind, und nicht eindeutig auf Misshandlungen, die von militärischen sowie anderen Sicherheitskräften verübt werden. Fehlende Regelungen zur Entschädigung von Folteropfern wurden im August 2017 durch ein entsprechendes Addendum ergänzt.

 

Trotz dieser Vorgaben gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Gefängnispersonal und Polizei. Quellen zufolge wenden die Sicherheitskräfte weiterhin exzessive Gewalt an, einschließlich Folter und Gewalt gegen Zivilisten. Personen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts festgenommen wurden, werden insbesondere während des ersten Verhörs gefoltert, um Geständnisse zu erhalten.

 

Im Zuge einer Befragung gaben für den Zeitraum 1.1.2015 - 31.12.2016 181 (39%) von 469 befragten Personen an, von den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) gefoltert worden zu sein. Auch 38 (45%) von 85 befragten Kinder gaben an im Berichtszeitraum Opfer von Folter oder Missbräuchen geworden zu sein. Die meisten Misshandlungen fanden unter der Obhut des National Directorate of Security (NDS) und der afghanischen Nationalpolizei statt (ANP).

 

Zwei Jahre nach der Verlautbarung des Nationalplans von 2015 zur Eliminierung der Folter durch die afghanische Regierung, hat diese einige dauerhafte Fortschritte gemacht, insbesondere auf der Gesetzesebene. Zahlreiche im Nationalplan eingegangene Hauptverpflichtungen wurden jedoch nur teilweise verwirklicht

 

(Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 7. "Folter und unmenschliche Behandlung")

 

Binnenflüchtlinge

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen.

 

Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.5.2018).

 

Zwischen 1.1.2018 und 29.4.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.4.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya. Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt.

 

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz. Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung.

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden.

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe. Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw.

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an.

 

Flüchtlinge in Afghanistan

 

Die afghanischen Gesetze sehen keine Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor und es existiert kein staatliches System zum Schutz von Flüchtlingen aus anderen Ländern.

 

In Afghanistan leben pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Waziristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind.

42.262 dieser Flüchtlinge sind in der Provinz Khost registriert: Das Gulan-Flüchtlingslager in Khost beherbergt 13.167 pakistanische Flüchtlinge und der Rest lebt in anderen Distrikten der Provinz Khost. In der Provinz Paktika wurden 2016 35.949 pakistanische Flüchtlinge registriert. In den Provinzen Khost und Paktika wurden ca. 76.925 pakistanische Flüchtlinge aus Nord-Waziristan registriert und verifiziert. In den urbanen Zentren leben ungefähr 505 Asylwerber, die auf die Verabschiedung eines Asylgesetzes warten. Ihre lokale Integration ist aus rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und anderen Gründen derzeit unmöglich; auch bleiben die Umsiedlungsmöglichkeiten eingeschränkt.

 

(Auszug aus dem LIB, Pkt. 21. "Binnenflüchtlinge")

 

1.5.2. Lage der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt der Beschwerdeführer in Afghanistan:

 

In der Provinz Kabul leben, mit Ausnahme der Stadt Kabul, mehr als 800.000 Menschen.

 

Nördlich der Stadt Kabul erstreckt sich die Shomali Ebene 70 Kilometer von den Außenbezirken bis zum Salang-Pass. Die Einwohner dieser Ebene sind hauptsächlich Tadschiken und zu einem geringeren Umfang auch Usbeken, Hazara und Paschtunen. Es ist eine fruchtbare und vergleichsweise reiche und wird wegen seiner entwickelten Landwirtschaft die Orchidee von Kabul bezeichnet. Die Gegend spielte für lange Zeit eine zentrale Rolle in der afghanischen Wirtschaft und Politik. Die Arbeitssituation von IDPs und Rückkehrern im Distrikt Qarabagh zeichnet sich durch Gelegenheitsarbeiten, kleinräumige Landwirtschaft und Kleinhandel aus. Im Bereich Barikab im Südosten des Distriktes Qarabagh soll im Zuge des Stadtentwicklungsprojektes "Kabul New City" ein Landwirtschafts-Industrie-Park errichtet werden.

 

Eine Quelle gibt an, dass im Jahr 2012 bis 2013 im Distrikt Qarabagh ca. zwei Drittel der Menschen älter als 15 Jahre keiner Beschäftigung nachgegangen sind und dass ca. 60 % der Haushalte im Distrikt landwirtschaftlichen Grund besitzen.

 

Von 01.09.2016 bis 31.05.2017 kam es zu 160 sicherheitsrelevanten Zwischenfällen in der Provinz Kabul mit Ausnahme der Stadt Kabul, davon 20 im Distrikt Quarabagh. Im Jänner 2017 kündigte das Verteidigungsministerium an, dass die ANSF verschiedene Operationen gegen regierungsfeindliche Elemente im Distrikt Qarabagh plante, wo ein NATO-geführter Resolute Support Mission Konvoi das Ziel eines Selbstmordanschlags im August 2017 war. Bei den erwähnten sicherheitsrelevanten Vorfällen kam es in zwei Fällen zu Todesfällen.

 

Im März 2017 behaupteten die Taliban, über eine Präsenz von 20 % in der Gegend der Distrikte Musayi, Chak-e Jabbar, Chahar Asyab, Paghman, Shakardara, Qarabagh, Dih Sabz and Bagrami zu verfügen.

 

Die Autobahn zwischen der Stadt Kabul nach Jalalabad bleibt instabil, weswegen Passagiere und Arbeiter es vorziehen, unter Tag zu reisen.

 

Der Distrikt Qarabagh kann über zwei verschiedene Straßen in ca. einer Autostunde erreicht werden kann. Zur Straße von der Stadt Kabul nach Qarabagh bestehen keine besonderen Sicherheitsbedenken, in den Durchfahrtsdistrikten gab es folgende Anzahl an sicherheitsrelevanten Zwischenfällen: Shakardara 4, Mir Bacha Kot 4 und für Kalakan keiner.

 

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen bzw. Auszüge aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation, Dezember 2017 [in Folge: "EASO-Bericht Sicherheitslage"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Afghanistan_security_situation_2017.pdf , abgerufen am 27.09.2018, Pkt. 2.15. sowie aus den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Afghanistan "Kabul, Qarabagh, Sicherheitslage, Erreichbarkeit" vom 18.01.2018 und "Kabul, Qarabagh, Wirtschaftslage, Erwerbsmöglichkeiten" vom 18.01.2018)

 

1.5.3. Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

 

Allgemeines

 

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Die Bevölkerung von Balkh ist heterogen, wobei Tadschiken und Paschtunen die größten Gruppen bilden, gefolgt von Usbeken, Hazara, Turkmenen, Arabern und Belutschen. Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif wird auf 368.000 bis 693.000 geschätzt und zeichnet sich durch ihre ethnische und sprachliche Vielfalt aus. Die Zentrale Statistische Organisation schätzt die Bevölkerung auf 402.806 Einwohner. Laut einer Umfrage vom Januar 2015 sind etwa 38% der Mazar-e Sharif-Bevölkerung Migranten. Die meisten von ihnen stammen aus anderen afghanischen Provinzen. Nur 17% der Migranten sind Rückkehrer aus dem Ausland. Laut UNHCR hat die Provinz Balkh seit Anfang 2015 19.764 konfliktinduzierte Binnenvertriebene erhalten: 2.509 im Jahr 2015 und 17.227 im Jahr 2016, von denen die meisten im städtischen und semi-urbanen Gebiet Mazar-e Sharif identifiziert wurden. Die steigende Zahl der Binnenvertriebenen in der Provinz Balkh ist ein Indikator für die sich verschlechternde Sicherheitslage in einer großen Zahl von Provinzen im Norden und Nordosten. Zusammenfassend hat die Provinz Balkh, meist Mazar-e Sharif, in den letzten zwei Jahren etwa 26.000 Menschen aufgenommen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017 [in Folge:

"EASO-Bericht Sozioökonomie"], abrufbar unter:https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_IPA_August2017.pdf , abgerufen am 27.09.2018; Pkt. 1.3.)

 

Mazar-e Sharif ist eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans, das auch als das "de facto politische, wirtschaftliche und administrative Zentrum Nordafghanistans" bezeichnet wird. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Stadt liegt außerdem an einer wichtigen Ost-West-Verbindung zwischen Herat im Westen und Kabul und Kundus im Osten. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. An der Grenze zu Usbekistan liegt der wichtige wirtschaftliche Trockenhafen Hairatan.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO-Bericht Sicherheitslage, Pkt. 2.1. und LIB, Pkt. 4.5. "Balkh").

 

Sicherheit

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 4.5. "Balkh")

 

Im Jahr 2017 gab es in der Provinz 9 zivile Opfer pro 100.000 Einwohner. Hinsichtlich der Art der Methoden und Taktiken zeigen Herkunftslandinformationen, dass die Hauptursache für zivile Opfer IEDs (Non-Suicide), Bodenziele und nicht explodierte Munition/Minen waren. Weitere Auswirkungen auf das zivile Leben waren z.B.:

Missbrauch durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppen, Schwierigkeiten bei der Gesundheitsversorgung in einigen Gebieten aufgrund der Anwesenheit von Aufständischen, Behinderung der Polioimpfung. Einige konfliktbedingte Binnenvertreibungen fanden im Zeitraum Januar 2017 - März 2018 aus der Provinz statt, mit 150 Binnenvertriebenen pro 100.000 Einwohner. Andererseits wurde über eine erhebliche Vertreibung nach Balkh und insbesondere nach Mazar-e Sharif berichtet.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], abrufbar unter:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , abgerufen am 27.09.2018, Pkt. III.b.)

 

Laut UNAMA verursachten die Kämpfe zwischen regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen 2017 einen zivilen Toten in der Provinz Balkh. Es gab mehrere Berichte über Sicherheitsmaßnahmen, die in der Provinz Balkh durchgeführt wurden. Medienberichten zufolge hatte der amtierende Gouverneur und prominente Politiker Atta Mohammad Noor mehrere Operationen in einigen abgelegenen Bezirken der Provinz gestartet.

 

Im Januar 2017 kündigte die NDS an, eine Bombenfabrik der Taliban in der Balkprovinz entdeckt und beseitigt zu haben.

 

Im Oktober 2016 explodierte ein IED in der Nähe einer Moschee im Gebiet Khwaja Ghulak im Balkhdistrikt, wo sich schiitische Gläubige während der Ashura (einem religiösen Trauertag) versammelt hatten, tötete 18 Zivilisten und verletzte 67 weitere, darunter 36 Kinder. Während mehrere Quellen angaben, dass keine Gruppe die Verantwortung für den Angriff übernommen hat, gaben andere an, dass ISKP dies tat.

 

Regierungsfeindliche Elemente waren in der Lage, high-profile Angriffe in Mazar-e Sharif durchzuführen:

 

Es gab Berichte über IED-Explosionen in Mazar-e Sharif, die im Herbst 2016 zivile Opfer forderten. Medienquellen berichteten, dass Sicherheitskräfte des amtierenden Provinzgouverneurs Atta Mohammad Noor im Februar 2017 einen Mann am Steuer eines Autos getötet haben, der in Richtung der Residenz des amtierenden Gouverneurs raste. Die Umstände des Vorfalls waren unklar und es wurde eine Untersuchung eingeleitet. Es wurden keine weiteren Informationen über die Ergebnisse der Untersuchung gefunden. Ein Insiderangriff innerhalb des 209. Shaheen Military Corps wurde im Juni 2017 gemeldet, der zur Verletzung von 7 US-Soldaten führte. Im August 2017 wurde über einen Konflikt zwischen Anhängern von Atta Mohammad Noor und dem Mitglied des Provinzialrats Asif Mohmand berichtet. Zwei Menschen starben an den Folgen der Zusammenstöße kurz vor der Landung von Asif Mohmand auf dem Flughafen Mazar, wo er verhaftet wurde. Es war unklar, wer seine Verhaftung angeordnet hatte.

 

Die Taliban haben sich für einen Angriff auf das deutsche Konsulat in der Balkh-Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif am 10. November 2016 verantwortlich erklärt, bei dem 4 Zivilisten starben und 131 Zivilisten verletzt wurden, darunter 29 Kinder und 19 Frauen. Infolge einer selbstmörderischen fahrzeuggetragenen IED-Explosion erlitt das Konsulatsgebäude schwere Schäden. Es gab auch erhebliche Schäden am umliegenden Eigentum. Die Taliban erklärten, dass der Angriff als Vergeltung für die Luftangriffe in Kunduz Anfang November 2016 durchgeführt wurde, bei denen 32 Zivilisten getötet und 36 weitere verletzt wurden. Am 21. April 2017 führten die Taliban einen Großangriff auf einen afghanischen Armeestützpunkt in der Nähe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif durch, in dem sich das

209. Korps der afghanischen Armee sowie ein Kontingent der Bundeswehr befinden. Der Angriff führte zu einer der tödlichsten Zölle bei einem Angriff der Taliban auf die afghanische Armee, wobei mehr als 100 Soldaten getötet und viele verletzt wurden.

 

(Auszug aus EASO-Bericht Sicherheitslage, Pkt. 2.5.)

 

Aufständische konnten mehrere Angriffe in Mazar-e Sharif durchführen: Im Oktober starben Schützen auf einem Motorrad den Sprecher des Gouverneurs bei einem gezielten Angriff in Mazar-e Sharif. Im November 2017 zielte ein Selbstmordattentäter auf eine bekannte Person und Stammesälteste in Mazar-e Sharif, tötete den Mann und verletzte zwei weitere. Später in diesem Monat wurde ein weiterer Mann bei einer Explosion in seinem Auto in Mazar-e Sharif getötet, und im Dezember 2017 wurden neun Zivilisten und zwei Polizisten verletzt, als eine Bombe am Straßenrand ein Polizeifahrzeug traf. Ein Zivilist wurde getötet und zwei weitere verletzt, als eine Magnetbombe ihr Fahrzeug in der Provinzhauptstadt traf.

 

(Auszug aus EASO, COI Report: Afghanistan: Security Situation - Update, Mai 2018 [in Folge: "EASO-Sicherheitsupdate Mai 2018", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan-security_situation_2018.pdf , abgerufen am 27.09.2018], S. 49)

 

Armut

 

Nur etwa 15 % der Einwohner von Mazar-e Sharif leben oberhalb der Armutsgrenze. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Einkommensverdienern, die nur ein unregelmäßiges Leben in allen fünf Großstädten führen. Bei der Definition von Armut als Anteil der Haushalte, die mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, sticht Mazar-e Sharif hervor, wobei über die Hälfte der Bevölkerung mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgibt, vermutlich weil es in Mazar-e Sharif teurer ist. Die Haushalte in Mazar-e Sharif meldeten auch die geringste Ernährungsvielfalt. Das Hauptproblem für Mazaris ist nicht die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, sondern die Erschwinglichkeit einer Vielzahl von Lebensmitteln. Balkh ist daher die Ausnahme von dem Trend, dass mehr städtische Provinzen im Allgemeinen eine niedrigere offizielle Armutsquote haben als ländliche Provinzen.

 

(Auszug aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.3.8.)

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif, der 2013 eröffnet wurde, ist auch als Mazar Mawlana Jalaluddin Balkhi International Airport bekannt. Turkish Airlines bietet seit 2013 Direktflüge von und nach Istanbul von Mazar-e Sharif an. Der Flugplan von Kam Air listet 2017 internationale Flüge von Mazar-e Sharif nach Istanbul und Mashhad, entsprechend dem Online-Flugplan. Flüge nach Delhi und Dubai sind ebenfalls gelistet, jedoch mit dem Datum 2015. Im März 2017 führte Kam Air auch einen Dienst zwischen Herat und Mazar-e Sharif als über den Flug RQ-006 aktiv an.

 

Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 4.35. "Erreichbarkeit - Flugverbindungen" und "EASO-Bericht Sozioökonomie", Pkt. 5.3.3.)

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Rückkehrer aus anderen Staaten

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt und war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten.

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung.

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird.

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben.

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden.

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können.

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen.

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 24. "Rückkehr")

 

Versorgung mit Lebensmitteln

 

Generell gibt es in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul keine Nahrungsmittelknappheit. Die wichtigste Variable beim Zugang zu Nahrungsmitteln sind die dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Existenzmittel, die im Falle von Vertriebenen ein besonderes Anliegen sein können.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.4.)

 

Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif

 

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 besitzt die Mehrheit der Einwohner in Mazar-e Sharif ihre Häuser während 24,5 % ihre Wohnungen mieten. Mehr als die Hälfte der Häuser in der Stadt sind aus Schlamm oder Erde mit Holzbalken gebaut, der Rest aus Kalk mit Ziegeln und Metall, Zement oder anderen Materialien. Die meisten haben Erdboden (70 %) oder Zement (26 %). Die Haushalte in Mazar-e Sharif werden mit Holz, Holzkohle oder Kohle beheizt. Der Strom ist in der Regel in der Stadt verfügbar (93 % der Haushalte haben Zugang). Die meisten Menschen haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), meist in Rohrleitungen oder aus den Brunnen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen. Laut IOM lagen die Mietkosten in Mazar-e Sharif im Jahr 2014 zwischen 150-250 USD für eine Dreizimmerwohnung in einem sicheren Bereich. Der Preis für eine ähnliche Wohnung betrug USD 40.000. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 haben etwa 94 % der Haushalte Zugang zum Handy, 91 % haben einen Fernseher, 51 % einen Kühlschrank, 28 % einen Computer, 20 % haben ein Auto, 20 % Zugang zum Internet.

 

In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sog. "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen, die zudem einen wichtigen Treffpunkt und Schauplatz für Sozialisation darstellen.

 

Darüber hinaus gibt es seit 2016 in Mazar-e Sharif keine humanitären Organisationen mehr, die bei der Unterbringung von Rückkehrern und konfliktbedingten Binnenvertriebenen helfen. Die Provinzbehörden in Mazar-e Sharif und der Balkh-Provinz hatten in der Vergangenheit Land zugewiesen, um die Rückkehr und Wiedereingliederung afghanischer Flüchtlinge, die aus Pakistan und dem Iran zurückkehren, zu unterstützen. Der größte Teil des von den Provinzbehörden zugewiesenen Landes war jedoch nicht förderlich für eine effektive und nachhaltige Wiedereingliederung, da es sich in abgelegenen geografischen Gebieten und in Gebieten befand, die von militanten Gruppen angefochten wurden. Dies führte dazu, dass einige Standorte von Rückkehrern und Binnenvertriebenen verlassen wurden, die in das Stadtzentrum von Mazar-e Sharif zogen und heute unter prekären Bedingungen mit Verwandten oder in provisorischen Unterkünften leben.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks, Februar 2018 [in Folge:

"EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf , abgerufen am 27.09.2018, Pkt. 4.2. und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.7.6.)

 

Sanitäre Situation

 

Der Zugang zu Trinkwasser ist oft eine Herausforderung, vor allem in den Slums und Binnenvertriebenen-Siedlungen in Kabul. In Mazar-e Sharif haben die meisten Menschen Zugang zu verbesserten Wasserquellen und verbesserten Sanitäranlagen.

 

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.7.3.1.)

 

Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan aus dem Jahr 2018:

 

1. Wie wirkt sich diese Dürre auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Hinblick auf die Wasserversorgung sowie auf die Versorgung mit Lebensmitteln in den Städten Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und Herat (Hauptstadt der Provinz Herat) aus?

 

Den Quellen ist zu entnehmen, dass es im Umland von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt. Über die Situation in Mazar-e-Sharif selbst wird nicht berichtet. Zur Wasserversorgung in der Provinz Herat konnte ein Bericht gefunden werden, demzufolge Zahlungen an die Wasserversorgungsanstalt in der Höhe von 208 Mio. Afghanis ausstehen. Aufgrund der ausstehenden Zahlungen musste die Wasseranstalt Infrastrukturprojekte verschieben. Über die konkrete Versorgungslage in Herat-Stadt wurde nicht berichtet.

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte in Afghanistan dieses Jahr deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

 

2. Gibt es bedingt durch diese Dürre in den Provinzen Balkh und Herat eine Landflucht in die Provinzhauptstädte?

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass von Mai bis Mitte August rund 12.000 Familien, unter anderem aufgrund der Dürre, aus den Provinzen Badghis und Ghor nach Herat-Stadt geflohen sind. Zur Lage in Mazar-e-Sharif wurde nichts berichtet.

 

3. Falls ja,

 

a. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Möglichkeit der Wohnraumbeschaffung für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Gemäß den Quellen handelt es sich bei den Personen, welche vor der Dürre nach Herat-Stadt geflohen sind, um Personen, die ihren gesamten Besitz verloren haben. Sie leben in behelfsmäßigen Zelten in den armen Gegenden am westlichen Stadtrand von Herat. Über den Wohnungsmarkt, oder auch Versuche dieser Personen, erschwinglichen Wohnraum in Herat-Stadt zu finden, konnten keine Berichte gefunden werden.

 

b. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Der Quelle kann entnommen werden, dass die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt lagen. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

4. Gibt es staatliche oder internationale Hilfsmaßnahmen für die in den Dürregebieten lebenden Personen?

 

Gemäß mehreren Berichten gibt es insbesondere von internationaler Seite Hilfe für die von der Dürre betroffenen Personen. Das Humanitarian Country Team (HCT) der UN hat den Humanitarian Response Plan (HRP) für 2018 aufgrund der anhaltenden Dürre aktualisiert. Dementsprechend benötigt Afghanistan in diesem Jahr rund 547 Mio. Dollar an Hilfsgeldern, wobei Ende Juli rund ein Drittel dieses Plans finanziert war. Bislang hat OCHA an die von der Dürre betroffene Bevölkerung unter anderem Trinkwasser und Nahrungsmittel verteilt. Weiters erhielten Betroffene auch Geld, über welches sie selbst verfügen können. In jenen Zentren, in denen sich von der Dürre Geflohene ansiedelten (Herat-Stadt, Qala-e-Naw und Chaghcharan) wurden unter anderem auch Zelte verteilt.

 

Das World Food Programme (WFP) gab Ende Juli an, über 400.000 Personen in den von der Dürre betroffenen Provinzen Badghis, Faryab, Ghor, Herat und Jowzjan mit Nahrungsmittelsoforthilfe unterstützen zu wollen. Australien sagte eine Zahlung von 3,6 Mio. Dollar an das WFP zu. Auf Betreiben der WHO sind in Herat mobile Gesundheitsteams im Einsatz.

 

Die afghanische Regierung verteilte in Chaghcharan, Provinz Ghor, Getreide an 155.000 Familien.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.09.2018, "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre")

 

Arbeitsmarkt

 

Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif liegt bei etwa 590.000 Einwohnern und steht angesichts seiner "starken und relativ diversifizierten Volkswirtschaften, einschließlich eines robusten Bau-, Verarbeitungs- und Dienstleistungssektors", "unter erheblichem Urbanisierungsdruck". Die relativ friedliche Situation in der Provinz Balkh im ersten Jahrzehnt nach dem Übergang ermöglichte einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen "Wirtschaftsboom" nach 2004. Die Wirtschaftsleistung von Mazar-e Sharif hat viele Arbeitskräfte aus dem ländlichen Raum, aus benachbarten Bezirken, Provinzen und noch weiter entfernt angezogen. Eine Studie von Samuel Hall aus dem Jahr 2014 zur städtischen Armut ergab, dass die Stadt den mit Abstand größten Anteil an Wirtschaftsmigranten aller fünf Großstädte Afghanistans hatte. Durch die Anbindung an Zentralasien und die vorteilhafte zentrale Lage im Norden Afghanistans ist Mazar-e Sharif ein wichtiges Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist auch ein Industriezentrum mit einer großen Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen und mehreren großen Produktionsunternehmen. Im Vergleich zu anderen Großstädten hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Selbstständigen, gefolgt von Angestellten und Tagelöhnern. Nach Angaben der afghanischen Regierung ist die KMU-Industrie in Mazar-e Sharif gut entwickelt und bietet Qaraqul-Haut, Kunsthandwerk und Teppiche. Auch Bergbau, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse gewinnen an Bedeutung. Die boomende städtische Wirtschaft von Mazar-e Sharif hat vielen Haushalten eine Quelle nichtlandwirtschaftlichen Einkommens gebracht, die jedoch seit etwa 2013 deutlich zurückgegangen ist. Dies ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, vor allem auf den Rückgang der internationalen Finanzströme, der die Beschäftigung auf Militärstützpunkten und im Baugewerbe eingeschränkt hat. So verloren schätzungsweise 7.000 Menschen ihren Arbeitsplatz durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif. Auch hier hat die Unsicherheit aufgrund der politischen Instabilität in der Regierung der Nationalen Einheit die Wirtschaft von Mazar-e Sharif beeinflusst. Geschäftsleute nahmen eine abwartende Haltung ein. Das Geschäftsklima in der Provinz Balkh ist seit der zweiten Jahreshälfte 2015 weitgehend negativ, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsfaktoren Während es keine formalen Wirtschaftsstatistiken gibt, gab es laut Analyst Paul Fishstein klare Indikatoren, dass Bau, Investitionen und Handel in Mazar-e Sharif rückläufig waren, wobei Gelegenheitsarbeiter weniger Arbeit und stagnierende oder niedrigere Löhne fanden. Diejenigen, die zur Gelegenheitsarbeit nach Mazar-e Sharif kommen, sind gegenüber denjenigen, die besser bekannt sind und ihre Netzwerke besser nutzen, um Arbeit zu finden, benachteiligt. Im Jahr 2013 lag die Arbeitslosenquote der Provinzen über dem nationalen Durchschnitt, während die Unterbeschäftigungsquote darunterlag. Laut einer Studie von Mercy Corps und Samuel Hall aus dem Jahr 2011 ist der wichtigste Rekrutierungskanal in Mazar-e Sharif, wie in anderen Städten, das soziale Netzwerk: 85 % der Werktätigen gaben an, durch Freunde oder Familienangehörige rekrutiert worden zu sein, entweder als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer. Nur 7 % der Mitarbeiter gaben an, einen formellen Arbeitsvertrag zu haben. Dies unterstreicht den informellen Charakter der Arbeitsbeziehungen in Afghanistan. Sie bestätigt auch die Annahme, dass es sich bei den meisten Unternehmen um Familienunternehmen handelt, bei denen kein Vertrag als notwendig erachtet wird. Die Gehälter in Mazar-e Sharif liegen nahe am Durchschnitt anderer nördlicher Städte. Laut Afghanistan Rights Monitor: Baseline Report vom April 2016 wird hier einheitlich behauptet, dass der Zugang zur Beschäftigung durch Korruption und Vetternwirtschaft stark beeinträchtigt wird. Bestechung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung, auch wenn ein Kandidat über die erforderlichen Qualifikationen verfügt. Es wird behauptet, dass gewöhnliche Regierungspositionen für bis zu 60.000 Afghanen verkauft werden.

 

Der Zugang zu Beschäftigung für Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif

 

UNHCR erklärte 2017, dass sowohl Binnenvertriebene als auch Rückkehrer vor großen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, sinnvolle Beschäftigungs- und Lebenschancen zu erhalten. Binnenvertriebene, die meist ehemalige Bauern sind und ihr Vieh und ihre Ernte an Ort und Stelle verloren haben, sind oft auf tägliche Lohnarbeit angewiesen. Diese Jobs sind in der Herbst- und Wintersaison begrenzter. Auch Rückkehrer sind meist auf tägliche Lohnarbeit angewiesen. Das durchschnittliche Tageseinkommen für Rückkehrer und Binnenvertriebene liegt zwischen 50 und 100 AFS.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.2.7.)

 

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit hoch. So wuchs in den Jahren 2016-2017 die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen.

 

Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

 

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, ungeregelten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Eine lokale Botschaft beschreibt, wie Tagelöhner von der Straße angeworben werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung und Wirtschaft" sowie dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.1.)

 

Zur Lage von Kindern in Mazar-e Sharif

 

Allgemeines

 

Die Hälfte der Einwohner von Mazar-e Sharif im Jahr 2013 war unter 18 Jahre alt. Die Alphabetisierungsrate und die Schulbesuchsrate in Mazar-e Sharif sind hoch und die Bildungslücke zwischen Männern und Frauen ist die kleinste in Afghanistan. Vertriebene Kinder, die am Rande von Mazar-e Sharif und in den Nachbarbezirken leben, stehen vor zahlreichen Herausforderungen bei der Einschulung. Während die finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie ein großes Hindernis darstellt, behindern andere Faktoren wie die Entfernung von der Schule, der Mangel an Verkehrsmitteln und der Mangel an Lehrerinnen auch die Aufnahme von vertriebenen Kindern.

 

In Mazar-e Sharif sind etwa 5 % der Kinder im Alter von 5-17 Jahren in Kinderarbeit. Laut UNHCR erreicht der Anteil der vertriebenen Kinder, die Kinderarbeit leisten, Berichten zufolge bis zu 80 % der Kinder ab 6 Jahren. Es gibt keine Daten darüber, wie viele Kinder in der Stadt keine Eltern haben. Allerdings sind relativ wenige Kinder unter 5 Jahren Waisenkinder - in Mazar-e Sharif verloren nur 0,01% der kleinen Kinder beide Elternteile und 0,6% mindestens einen von ihnen. In der Provinz Balkh berichtet APPRO im April 2016, dass nur wenige kinderbezogene Fälle durch die formelle Justiz bearbeitet wurden. Im Zeitraum zwischen September und Dezember 2015 waren dreizehn Fälle von Kindern beim Polizeipräsidium registriert worden. Sechs dieser Fälle betrafen Diebstahl.

 

Kinder sind mit einer Reihe von Rechtsverletzungen konfrontiert, insbesondere mit der Verweigerung des Zugangs zu Bildung und der Verpflichtung, schwierige Jobs zu erledigen. Arbeitende Kinder sind anfällig für sexuellen Missbrauch, Sucht, Entwicklungsstörungen und Kriminalität. Kinder aus armen Familien, insbesondere Binnenvertriebene und Kinder von Märtyrern oder Behinderten, übernehmen am ehesten arbeitsintensive Aufgaben. Viele glauben, dass die Zahl der arbeitenden Kinder zugenommen hat. Als Reaktion darauf hat das Gouverneursbüro ein Kinderschutzprojekt initiiert, das armen Kindern Unterkunft und Verpflegung sowie andere Unterstützung für den Schulbesuch und nicht für die Arbeit bietet.

 

(Auszug aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.4.6.)

 

Zugang zu Bildung in Mazar-e Sharif

 

Der Zugang zu Bildung war auf dem Balkan besser als in anderen Provinzen. Es gibt viele Bildungseinrichtungen und technische Trainingszentren. Im Jahr 2014 gab es eine öffentliche und sechs private Universitäten. Mazar-e Sharif und Kabul haben den höchsten Prozentsatz an Haushalten, die alle ihre Kinder zur Schule schicken. Die allgemeine Alphabetisierungsrate ist höher als die nationale Rate: 67,1 % (75,5 % bei Männern und 58,4 % bei Frauen) im Bezirk Mazar-e Sharif. Mazar-e Sharifs Nettobesucherquote betrug 54,4 %, die Nettobesucherquote der High School 39,5 % und die Nettobesucherquote der Hochschulen 21 %. Eine Studie von Samuel Hall unter städtischen Armen hingegen ergab 2014, dass Mazar-e Sharif im Vergleich zu den anderen vier Großstädten in Afghanistan den zweithöchsten Anteil an Befragten hatte, die keine formale Bildung erhielten. Der Anteil an Befragten mit Hochschulbildung war ebenfalls der zweitniedrigste unter den fünf für die Studie ausgewählten Städten.

 

Laut Afghanistan Rights Monitor: Baseline Report vom April 2016 gelten "[r]ights to education im Zentrum als besser erfüllt als in den Distrikten in Balkh". Und "die Schulbildung wird im Zentrum als qualitativ hochwertiger angesehen". Der Bericht stellte fest, dass der Zugang von [g]irls zur Bildung durch Armut und die Notwendigkeit, dass Mädchen zum Familieneinkommen beitragen (durch Stickereien und andere Handwerke), sowie durch die wahrgenommene Knappheit weiblicher Lehrer, die für Mädchen über die 6. Schulstufe als erforderlich gesehen werden leidet. Der Bericht stellte fest, dass [c]orruption weiter dazu beiträgt, das Recht auf Bildung zu untergraben. Einige Lehrer werden durch Verbindungen ernannt und sind nicht qualifiziert oder gar vollständig ausgebildet, was die Bedenken der Bevölkerung hinsichtlich der Qualität der Bildung bestätigt. Der UNHCR hat dies 2017 ergänzt: Es sei darauf hingewiesen, dass es einen signifikanten Unterschied zwischen dem Bildungsniveau im Stadtzentrum von Mazar-e-Sharif und in den anderen Bezirken der Provinz gibt. Im Stadtzentrum von Mazar-e-Sharif gibt es eine hohe Besucherzahl und das Bildungsministerium befolgt die Verwaltungsvorschriften, die einen sofortigen Zugang von vertriebenen und zurückgekehrten Kindern erfordern. In anderen Bezirken der Provinz ist die Einschreibungsrate nach wie vor niedrig. Der Mangel an Lehrerinnen, der Mangel an Transportmitteln und die Entfernung zur Schule sowie das Vorhandensein von regierungsfeindlichen Elementen gehören zu den größten Herausforderungen, die den ungehinderten Zugang der Kinder zur Schule behindern.

 

(Auszug aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.5.3.)

 

1.5.4. Meldesystem:

 

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan. Ebenso wenig gibt es "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen, jedoch verfügen die lokalen Gemeinschaften über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 20.1. "Meldewesen").

 

1.5.5. Bankensystem:

 

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, aber nicht alle Afghanen haben ein Bankkonto. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Das Vertrauen der Bevölkerung in Banken und Bankensysteme ist gering.

 

Für diejenigen, welche das Bankensystem nicht nutzen können oder wollen kann Geld durch ein informelles Überweisungssystem überwiesen werden ("Hawala"). Dabei handelt es sich um ein etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Geldüberweisungen, dem die Bevölkerung vertraut. Ein gewisser Prozentsatz der überwiesenen Summe wird als Gebühr einbehalten. Geld kann in alle Teile des Landes überwiesen werden, auch nach und von Nachbarstaaten, wie dem Iran und Pakistan.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.3.)

 

1.5.6. Medizinische Versorgung:

 

Allgemeines

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten. In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht, allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Qualität der Kliniken variiert stark, da es praktisch keine Qualitätskontrollen gibt. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung.

 

In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, die vier häufigsten sind Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Mittlerweile existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt.

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Da die Kosten von Behandlung in privaten Kliniken vom Patienten selbst getragen werden müssen ist die Qualität der Behandlungen stark einkommensabhängig.

 

In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 23. "Medizinische Versorgung")

 

IOM berichtet in einer Anfragebeantwortung vom 31.7.2018, dass, eine Behandlung von Anpassungsstörungen mit Ängsten, Schlaflosigkeit und Cephalea (Kopfschmerzen) in den größeren Städten Afghanistans (wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif) möglich ist. Dort stehen spezialisierte Ärzte für psychische Gesundheit sowie begrenzte Kapazitäten in einigen öffentlichen Krankenhäusern zur Verfügung.

 

Eine Behandlung wird dem Schweregrad der Erkrankung angepasst. So kann bei einem geringeren Grad der Erkrankung mit Hilfe der Psychotherapie geholfen werden, die Symptome zu lindern. Schwerere Formen benötigen jedoch über eine Psychotherapie hinaus, auch eine medikamentöse Behandlungsform, welche eine kostenintensive Langzeitbehandlung darstellt.

 

In den kleineren Städten oder Dörfern ist eine Behandlung der angeführten Erkrankungen nicht möglich.

 

Aufgrund geringer Kapazitäten für psychiatrische Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern müssen Patienten in der Regel private Spezialisten aufsuchen, doch gibt es auch einige öffentliche Krankenhäuser mit psychiatrischen Abteilungen:

 

* Mazar-i-Sharif: öffentliches Regionalkrankenhaus nordwestlich von Rauza A62. Das Krankenhaus verfügt über einen Neuropsychiater zur Behandlung von psychiatrischen Patienten einschließlich Anpassungsstörungen.

 

In öffentlichen Krankenhäusern, in welchen die Kosten der stationären Behandlung vom Staat übernommen werden, sollte eine Behandlung kostenlos erfolgen. Es kann jedoch sein, dass Patienten gebeten werden, inoffizielle Zahlungen an das medizinische Personal zu richten um bessere und/oder schnellere Leistungen zu erhalten.

 

In privaten Krankenhäusern beträgt die ärztliche Visitengebühr 300 Afghanistan Afghani (AFA) (3,46 EUR) pro Behandlung. Die Aufnahmegebühren betragen 2.000 AFA (23,37 EUR) für ein Mehrbettzimmer, bei Aufnahme in ein Einzelzimmer oder auf die Intensivstation sind bis zu 10.000 AFA (116,88 EUR) zu bezahlen.

 

Kosten für Medikamente, Psychotherapie bei einem Privatarzt, Nachbehandlungen und Kontrolluntersuchungen müssen vom Patienten getragen werden. Eine Nachkontrolle kostet durchschnittlich 300 AFN (3,52 EUR), jeder Besuch eines Facharztes 300 AFN (3,52 EUR) bis 500 AFN (5,87 EUR).

 

Es erfolgt keine Unterstützung durch andere Stellen.

 

Nachfolgende Medikamente sind in Afghanistan und insbesondere in den Städten Kabul, Mazar-e-Sharif und Herat verfügbar:

 

* Deanxit (Wirkstoffe: Flupenthixol + Melitracen Kombination)

 

o Kosten: pro Packung mit 10 Tabletten (0.5/10mg) für 2012 AFN (23.66 EUR).

 

* Lyrica (Wirkstoff: Pregabalin)

 

o Kosten: pro Packung mit 14 Kapseln (150mg) für 1275 AFN (14.99 EUR).

 

* Dominal forte (Wirkstoff: Prothipendyl) ist in Afghanistan nicht verfügbar. Von Ärzten werden in Afghanistan in der Regel Benzodiazepinantagonisten wie Bromazepam, Lorazepam, Alprazolam und andere Medikamente aus dieser Gruppe verschrieben.

 

* Medikament: Alprazolam

 

o Kosten: pro 10 Tabletten (0.5mg), 80 AFN (0.94 EUR)

 

Da die aufgeführten Medikamente eine sedierende Wirkung haben, ist die Ausstellung eines Rezepts durch einen Spezialisten erforderlich.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan - Behandelbarkeit von Anpassungsstörungen/Insomnie/Cephalea, Verfügbarkeit und Kosten von Deanxit, Pregabalin und Dominal bzw. Alternativmedikation" vom 03.08.2018)

 

1.5.7. Potentielle Risiken für die Beschwerdeführer:

 

Zur mögliche Verfolgung durch die Taliban

 

Allgemeines zu Taliban-Risikoprofilen

 

Zielpersonen gezielter Tötungen oder Verwundungen durch Aufständische im Jahr 2016 umfassten nach UNAMA auch Stammesälteste, Justizangehörige, zivile Mitarbeiter der Regierung, als Regierungsspione verdächtigte Zivilisten, aber auch Zivilisten, welche sich Anordnungen der Aufständischen verweigerten. 2017 fügte UNAMA zu dieser Liste Zivilisten hinzu, bei welchen angenommen wird, dass sie Werten von regierungsfeindlichen Elementen ablehnend gegenüberstehen.

 

Dr. Antonio Giustozzi fasste die Ziele der Taliban als Einzelne zusammen, welche die Taliban als sich "fehlverhaltend" ansehen. Diese schließen viele der Einzelnen wie von UNAMA zuvor aufgezählt ein und zusätzlich fügt Giustozzi "Einzelne jeder Kategorie, welche von den Taliban als nützlich oder notwendig für deren Kriegserfolg gesehen werden und welche es verweigert haben zu kooperieren" hinzu.

 

Zum Beispiel sind die Taliban dafür bekannt, dass sie die Finger von Personen abschnitten, welche in den Wahlen 2014 teilnahmen und sie verfolgten außerdem Mitarbeiter der Unabhängigen Wahlkommission.

 

Nach dem Gelehrten Neamat Nojumi erstreckt sich die Verfolgung durch die Taliban über diejenigen hinaus, welche für die afghanische Regierung arbeiten. Die Einhaltung der afghanischen Verfassung von jemandem oder eine sozialliberale oder kulturelle Haltung kann eine Person auch ein legitimes Ziel werden lassen. Er erklärte, dass deshalb es die Taliban auch auf jene abgesehen hätten, welche an Wahlen teilnehmen oder welche sich für Frauenrechte einsetzen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017 [in Folge "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure"] abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_conflict.pdf , abgerufen am 27.09.2018, Pkt. 1.2.)

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Zivilisten zur Strafe und zur Warnung anderer Personen dafür getötet, dass sie die Regierung unterstützten. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) setzen Berichten zufolge auch Drohnachrichten per SMS, über lokale Radiosender ausgestrahlte Mitteilungen, soziale Medien und shab nameha ("nächtliche Drohbriefe") ein, um Zivilisten vor einer Unterstützung der Regierung zu warnen. In Gebieten, in denen die regierungsfeindlichen Kräfte keine öffentliche Unterstützung gewinnen konnten, bedrängen sie Berichten zufolge lokale Gemeinschaften, schüchtern sie ein und verhängen Strafen gegen die örtliche Bevölkerung aufgrund ihrer Unterstützung der Regierung. Zivilisten, denen "Spionage" für die Regierung vorgeworfen wird, werden Berichten zufolge im Rahmen von Schnellverfahren in parallelen und illegalen Justizverfahren verurteilt, die durch die regierungsfeindlichen Kräfte eingerichtet wurden. Die Strafe für derartige vermeintliche "Straftaten" ist in der Regel die Hinrichtung.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus folgender Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018, HCR/EG/AFG/18/02 [abrufbar unter:

http://www.refworld.org/docid/5b8900109.html (abgerufen am 27.09.2018); in Folge: "UNHCR-Richtlinien"], Pkt. III.A.1.j.)

 

Potentielle Zielpersonen der Taliban / Wichtigkeit für die Taliban

 

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

 

[...] f) Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft; [...]

 

[...] k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern.

 

Diese Kategorien von Zielpersonen beinhalten eine Reihe von Gruppen, die sich nur schwer genau quantifizieren lassen, aber es dürften mit aller Wahrscheinlichkeit insgesamt mehr als eine Million Menschen sein (die Sicherheitskräfte sind zirka 400.000 bis 450.000 Mann stark, ferner hat die Regierung über 500.000 zivile Mitarbeiter, dazu kommen noch zehntausende von Auftragnehmern).

 

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich "fehlverhalten" die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen.

 

Die Taliban nennen als ihre wichtigsten Zielpersonen die Offiziere der nationalen Sicherheitsdienste (NDS), Dolmetscher bzw. alle, die für das/mit dem ausländischen Militär und Diplomaten arbeiten. So behaupten die Taliban beispielsweise, dass sie 2015 15 Dolmetscher in Kabul und den umliegenden Vororten getötet hätten und im Jahr 2016 bis Anfang Dezember 23; es bleibt unklar, ob die Taliban ihre Opfer auch zu Recht als Dolmetscher identifiziert haben. Die Taliban bauschen ihre Erfolge sicherlich auf, indem sie unzutreffende Opferzahlen angeben (insbesondere, wenn Bomben eingesetzt werden). Die meisten Angriffe fanden in den Vororten statt (2016 waren es 17). Die Taliban nehmen natürlich auch Ausländer ins Visier, insbesondere, wenn sie irgendwie an der Bekämpfung des Aufstandes beteiligt sind.

 

Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden.

 

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist.

 

Ende 2016 gaben Taliban-Quellen an, dass fast 15.000 Personen auf ihrer nationalen schwarzen Liste stünden. Das lässt vermuten, dass die Taliban keinen Zugang zu den staatlichen Datenbanken über das Sicherheitspersonal oder Regierungsmitarbeiter haben, ansonsten wäre die Zahl wesentlich höher. Dies ist nicht überraschend, denn die Regierung selbst ist kaum in der Lage zuverlässig anzugeben, wer den Sicherheitskräften angehört bzw. für die Regierung arbeitet. Im Anfangsstadium des Krieges war es durchaus üblich, dass die Taliban Polizisten und Soldaten an Straßensperren abfingen, wenn sie im Urlaub waren und ihre Ausweise dabeihatten. Sehr schnell wurde es immer schwieriger, jemanden zu fangen, der dumm genug war, seinen Ausweis mit sich zu führen. [...]

 

[...] In dem Maße, in dem das System der Taliban Gestalt annahm und ihre Verhaltenskodizes ausgefeilter wurden, wurden auch Regeln eingeführt, die vorschrieben, dass die Taliban Kollaborateure mindestens zweimal warnen mussten, bevor sie gegen sie vorgingen. Dieses Verfahren galt wohl ab 2009 oder 2010. Von der Regel ausgenommen sind lediglich "schlimme Kriminelle", wie führende Persönlichkeiten in der Regierung. Daher gilt folgendes Verfahren für das Vorgehen gegen einen bestimmten Kollaborateur:

 

1. Person identifizieren;

 

2. Kontaktdaten herausfinden (Adresse oder Telefonnummer);

 

3. Person mindestens zweimal warnen;

 

4. verhören und vor Taliban-Gerichte stellen;

 

5. Person auf die schwarze Liste setzen, wenn sie sich weigert, den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten;

 

6. Günstige Gelegenheit abwarten, um zuzuschlagen.

 

Teil 4 wird ausgesetzt, wenn die Umstände Verhöre oder Inhaftierung nicht zulassen. So können die Taliban zum Beispiel in der Stadt Kabul normalerweise keine Verdächtigen oder Täter festnehmen, daher gibt es die beiden Alternativen, die Verdächtigen zu überwachen, bis sie Kabul verlassen und sie dann festzunehmen (die Taliban behaupten, 2015/16 350 solcher Festnahmen durchgeführt zu haben) oder die Mordkommandos zum Einsatz zu bringen, ohne den Umweg über ein Gerichtsverfahren.

 

Die praktische Durchführung von Abschnitt 6 (s.o.) hängt normalerweise von den Fähigkeiten des lokalen Verfolgungsteams ab, dessen Arbeitsauslastung und dem mit der Vollstreckung des 'Urteils' verbundenen Risiko. Eine geschützte Zielperson bzw. eine in einem Gebiet, das von den Behörden stark bewacht wird, könnte zwar für die Taliban wichtig sein, bei ihrer Liquidierung bestünde aber andererseits auch ein hohes Risiko, dass das Mordkommando die Operation nicht überlebt. Eine weniger wichtige Zielperson, die in einem leicht zugänglichen Gebiet mit guten Fluchtmöglichkeiten wohnt, könnte von den Taliban eher liquidiert werden, als eine bedeutendere, die besser geschützt ist. Die Nachrichtendienste der Taliban geben ihre Listen der Verdächtigen an die Militär-Kommission (im Falle der Quetta Shura, an den Schattengouverneur; im Falle der Miran Shah Shura an den Provinzvertreter des Haqqani-Netzes) weiter, die dann darüber entscheidet, welche von diesen Personen auf die schwarze Liste gesetzt werden. Jeder nachrichtendienstlichen Abteilung in den Provinzen ist ein Team (Istakhbarati Karwan) zugeordnet, das in Absprache mit der Militär-Kommission Kollaborateure verfolgt. In den meisten Provinzen besteht das Team aus 20 Mitgliedern, ist aber an Orten wie Kabul größer. Die meisten Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verfolgung einer Zielperson werden von den Karwan ausgeführt, weitere Gefahr droht ihnen jedoch durch die Kontrollstellen der Taliban und deren Patrouillen in den Dörfern, die jeweils über Auszüge der Liste der Zielpersonen verfügen.

 

Obwohl die politische Führung der Taliban anscheinend großen Wert auf die von ihr eingeführten Regeln legt und will, dass sie eingehalten werden, geben die meisten Taliban zu, dass es immer noch willkürliche Hinrichtungen gibt. Gelegentlich nehmen die Taliban Hinrichtungen aus Wut wegen Luft- und Nachtangriffen auf sie vor. Da er nichts dagegen unternehmen kann, könnte ein Taliban-Kommandant einige der Dorfbewohner zu Sündenböcken machen, insbesondere, wenn man sie sowieso schon in Verdacht hatte, den Taliban gegenüber nicht loyal zu sein. Außerdem leidet die Informationsbeschaffung der Taliban, genau wie die ihrer Gegner - der afghanischen Regierung und der ISAF - unter Falschinformationen, die durch Fehden oder Vendetten motiviert sind.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen von Landinfo, Bericht von Dr. Antonio Giustozzi für Landinfo, Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, abzurufen unter https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf , abgerufen am 27.09.2018, Pkt. 4.)

 

Zum Entkommen einer möglichen Verfolgung als Zielperson durch Umzug in die Städte

 

Innerhalb der Städte, ausgenommen Kunduz bzw. in den Vororten von Kunduz, haben Aufständische nicht die Kapazität, Checkpoints einzurichten um Passagiere nach bestimmten Profilen zu durchsuchen. Allerdings greifen Aufständische regelmäßig zivile Objekte und Plätze in den Städten an, wo sie vermuten, dass sich bestimmte potentielle Ziele versammeln. Solche Angriffe umfassen Angriffe auf Justizgebäude, Regierungsgebäude, Botschaften und Konsulate, Medieneinrichtungen, Gebetseinrichtungen religiöser Minderheiten und Bankfilialen.

 

Nach dem Analysten Borhan Osman zielen Aufständische auf bestimmte Einzelne innerhalb der Städte durch Schüsse im Vorbeifahren ab, oftmals unter Einbeziehung von Motorrädern. Die Opfer dieser Schüsse haben oftmals nur ein "mittleres Profil" ("not very high profile"), führt Osman aus, und die Verfolgung zielt oft darauf ab, andere durch Drohungen abzuschrecken indem man die Reichweite zeigt. Opfer der Verfolgung schließen Personen wie Verkehrspolizei oder vermeintliche Spione oder Menschenrechtsaktivisten der mittleren Ebene ein; diese habe zuvor oftmals eine Todesdrohung erhalten. Zum Beispiel hat eine Anzahl gezielter Tötungen von Regierungsbeamten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte in Kandahar im Zeitraum 2016 bis 2017 stattgefunden, einschließlich Schüssen von Motorrädern und der Verwendung von Sprengmitteln. Gopal beobachtete, dass die Fähigkeiten der Taliban zum erfolgreichen Aufspüren, Durchdringen und Verfolgen von Einzelnen ist größer in den Städten, in welchen die Aufständischen eine Basis haben, wie Kandahar, Kunduz oder Khost, im Vergleich zu anderen Städten, wo es keine Präsenz gibt wie Herat oder Mazar-i Sharif. In Kabul, haben die Aufständischen eine Präsenz in der Stadt deren Mitglieder oft mit der steigenden kriminellen Szene der Stadt zusammenspielen. Allerdings ist deren Präsenz nicht so offensichtlich wie in Kandahar, Kunduz oder Khost. Obwohl es nicht leicht ist, finden gezielte Tötungen auch in der Stadt Kabul statt. Zum Beispiel wurden im April 2017 zwei Mitarbeiter des Anti-Corruption Criminal Justice Center und ein Mitarbeiter der Direktion für den Schutz von wichtigen Personen in der Stadt Kabul Opfer gezielter Tötungen.

 

Gezielte Tötungen finden in Kabul nach Giustozzi durch ein Zielteam von etwas mehr als 20 Personen statt und finden hauptsächlich entfernt vom Stadtzentrum statt, wo die Wohlhabenden und Mächtigen leben. Allerdings haben weder Osman noch Gopal irgendwelche Informationen über solche spezialisierten Teams gefunden.

 

Einzelne und deren Familien, welche Drohungen von den Taliban erhalten haben wegen deren vergangener oder gegenwärtiger Verbindungen zur Regierung oder einer anderen Einheit, auf welche es die Taliban abgesehen haben, ziehen oft in Städte um, aus Gründen der Sicherheit. Quellen berichten über Vorfälle, in welchen bestimmte Einzelne sich schon im Vorfeld von Vorgängen entschieden umzuziehen; z.B., ein Lehrer in einer Mädchenschule in Urusgan Tirin Kot zog nach Kabul um, in Vorwegnahme einer möglichen Kontrollerlangung der Stadt im September 2016. In Erwartung der Übernahme der Stadt Kunduz im Jahr 2015, die meisten Regierungsangehörigen flohen in Nachbarprovinzen und nach Kabul. Nach Giustozzi waren hauptsächlich Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise gezwungen sich in sichereren, unter Regierungskontrolle stehenden Gegenden niederzulassen, wenngleich auch dort einige Talibanverfolgungen stattfinden. Ein Analyst des Afghanistan Analysts Network hielt in einem Interview im Jahr 2016 mit dem kanadischen IRB fest, dass auch nach einem Umzug gesuchte Einzelne, welche von den Taliban gefunden und getötet werden können, abhängig vom politischen Klima und abhängig vom persönlichen Profil.

 

Nach zwei Quellen der kanadischen Einwanderungsbehörde IRB haben die Taliban durch Nutzung deren formalen Netzwerks lokaler Kommandanten und Schattengouverneure und deren informellen Netzwerks von Mullahs die Kapazität, einzelne auch nach Umsiedlung aufzuspüren. Faktoren, welche die Effizienz dieser Kommunikationsflüsse beeinflussen können die Beziehung zwischen dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der zentralen Führung, dem lokalen Kommandanten in der Herkunftsprovinz und der Neuansiedlungsprovinz, der Grad der Taliban Aktivität in der Neuansiedlungsgegend, einschließlich von Checkpoints.

 

Nach Giustozzi, selbst nach einer Umsiedlung besteht für gesuchte Einzelne das Risiko auf der Straße auf einem Taliban Checkpoint gefasst zu werden.

 

Nach mündlichen Quellen, welche vom IRB interviewt wurden sind die afghanischen Gruppen schon der Natur nach eng verbunden und Afghanen wissen, wenn ein Neuankömmling in deren Gemeinschaft ankommt oder durchreist. Einige Dinge haben Einfluss darauf, ob eine Person fähig ist ihren Hintergrund zu verbergen, wie lokale oder stammesbezogene Beziehungen zu Älteren und der Familie, regionale Akzentunterschiede, Nachnamen welche auf eine Herkunft hindeuten, religiöse Zugehörigkeit und Betrituale und eine höhere Ausbildung, welche den Einzelnen als Mitglied einer höheren sozialen Klasse identifizieren können. Nach einem Artikel über die Taliban im Digitalzeitalter sind diese familiären und gemeinschafsbezogenen Netzwerke erweitert um soziale Netzwerke. Durch die Kenntnis der eng verbundenen Gemeinschaften können die Taliban eine Person online verfolgen und sie zwingen, deren Job aufzugeben.

 

Wenn eine Umsiedlung in eine Taliban-kontrollierte Gegend stattfindet und jemand ankommt dessen Hintergrund unklar ist, so kann dies bereits Verdacht hervorrufen und Nachforschungen durch die Taliban in deren informellen Netzwerk auslösen. Es ist den Leuten grundsätzlich bewusst, was in deren Gegend passiert und Informationen können über weite Distanzen durch Stammesnetzwerke getragen werden, erklärte eine Quelle dem IRB.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelne durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.1.5.5.)

 

Zur Möglichkeit der Taliban, in großen Städten Personen aufzufinden und zu verfolgen

 

Einige mündliche im Jänner 2016 vom kanadischen IRB (Kanadische Asylbehörde, Anm.) interviewte Quellen führten aus, dass die Taliban ein Netzwerk von Informanten hätten und geheimdienstliche Informationssammlung in Städten betrieben, wenngleich es schwieriger wäre Menschen in städtischen Gebieten zu verfolgen. Gezielte Anschläge in Stadtzentren kommen vor. Einige sich kürzlich ereignete Beispiele in Kabul umfassen Schützen auf Motorrädern und ferngezündete Sprengladungen:

 

* Im Juni 2016 wurde ein Parlamentsabgeordneter getötet, als eine in einem Stromkasten vor seinem Haus platzierte Sprengladung detonierte, als er gerade nach Hause kam.

 

* Im Dezember 2016 griffen die Taliban in Kabul das Haus eines Parlamentsabgeordneten aus Helmand an. Drei Schützen töteten mehrere Familienmitglieder des Abgeordneten und verwundeten einige weitere, einschließlich den Abgeordneten.

 

* Im Dezember 2016, Schützen auf Motorrädern griffen das Haus des früheren Taliban-Offiziellen Mullah Abdul Salam Zaeef an und töteten seine Wache.

 

* Im Dezember 2016 zielte eine unter einer Brücke platzierte Bombe in der Dashti Barchi Gegend in Kabul auf einen Abgeordneten aus Bamiyan ab und verletzte neben Personen anderen den Abgeordneten und dessen Sohn.

 

In Kabul gibt es nach einem, primär auf Interviews mit Taliban-Quellen beruhenden, Bericht von für Landinfo aus 2017 zumindest 1500 Spione und Informanten der Taliban. Gemäß diesen Quellen haben verschiedene Netzwerke innerhalb der Taliban verschiedene Überwachungszuständigkeiten:

 

Das Haqqani Netzwerk sammelt Informationen für spezielle Operationen (großangelegte Angriffe of High Profiles), während die Peshawar Shura gesuchte Einzelne verfolgt. Die Peshawar Shura soll um die 500 Spione und Informanten in Kabul haben. Während die "High profile"-Angriffe im Stadtzentrum stattzufinden scheinen kommt es entfernt davon zu gezielten Tötungen, einschließlich solcher mit magnetischen Sprengladungen. Seit 2016 begannen die Taliban eine Kampagne gezielter Tötungen von Regierungsoffiziellen und ANSF Mitgliedern in Kandahar Stadt.

 

Im Zuge verschiedener Frontalangriffe auf Städte im Zeitraum 2015 bis 2016 versuchen die Taliban nach Giustozzi nunmehr die Städte in einer mehr untergeordneten Weise zu infiltrieren, dies jedoch in größerem Umfang als davor.

 

Nach Berichten kommen gezielte Tötungen durch die Taliban in größeren Städten vor, z.B. die Taliban töteten ihren Hauptgegner in der Provinz Urusgan, den Polizeichef und Stammesangehörigen des früheren Präsidenten Karzai Matiullah Khan in einem gezielten Selbstmordbombenanschlag in Kabul im Jahr 2015. Nach Abubakar Siddique, ist die Liste jener Personen, für welche die Taliban Ressourcen und Planungsarbeit einsetzen würden um diese in größeren Städten zu verfolgen auf ein paar Dutzend bis zu einhundert Personen beschränkt, als Maximum. Für Einzelne mit einem niedrigen Profil ("low profile individuals"), ist Abubakar Siddique der Ansicht, dass die Taliban nicht auf diese und deren Familienangehörige wahrscheinlich nicht nach deren Umsiedlung in eine Stadt abzielen werden. Sowohl Abubakar Siddique und Anand Gopal hoben hervor, dass davon Ausnahmen bestehen, wenn es um persönliche Feindschaften, Rivalitäten oder Auseinandersetzungen geht.

 

Nach einem von der COI Abteilung des kanadischen IRB interviewten Professors sind die Taliban Verfolgungskapazitäten vor allem dann erfolgreich, wenn auf einen sehr bekannten und gut positionierten Gegner abgezielt wird. Nach Giustozzi geht es hier um einen Grad der Kosteneffizienz: Auf ein Zielobjekt von geringerer Wichtigkeit für die Taliban, welches aber in einer für die Taliban leichter zu erreichen Gegend residiert könnte rascher abgezielt werden als auf ein High Profile-Zielobjekt, welches sich in einer Gegend aufhält, welche durch die Behörden schwer bewacht wird.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.4.3.)

 

Situation von Familienmitgliedern

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Familienangehörige von Personen mit den oben angeführten Profilen als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Insbesondere wurden Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen.

 

(Auszug aus den UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.1.k.)

 

Angehörige von Angehörigen der Sicherheitskräfte

 

Nach einem Bericht von Centre for Civilians in Conflict (CIVIC) sammeln die Taliban Informationen von lokalen Ältesten und der lokalen Bevölkerung um festzustellen, welche Familie Angehörige bei den ANSF hat. Sie drängen die Familie dann das Mitglied der ANSF zu überzeugen, dessen Position aufzugeben.

 

Quellen, welche vom kanadischen IRB interviewt wurden erklärten, dass Familienmitglieder unter Druck geraten können, Informationen über den Aufenthalt der gesuchten Person anzugeben. Familienmitglieder können auch in Abwesenheit der gesuchten Person bestraft werden oder es werden Familienmitglieder bedroht um auf die gesuchte Person Druck auszuüben sich hinzugeben. Dies wird als ziemlich erfolgreiche Taktik beschrieben. Aufständische können auch Familienmitglieder bedrohen, um Personen zu zwingen, von deren öffentlichen Positionen zurückzutreten. Abubakar Siddique nennt diese Praxis "sehr häufig, speziell in ländlichen Gebieten".

 

Giustozzi sagt, dass wo auch immer die Taliban präsent seien, hätten diese Familienmitglieder bedrängt, um Mitglieder der ANSF zu zwingen, ihre Stellung aufzugeben. Und, obwohl nicht immer die Drohung von Gewalt ausgesprochen wurde, wurden manchmal Familienmitglieder exekutiert.

 

In einem speziellen Fall, töteten die Taliban acht Brüder eines Kommandanten der ALP in Baghlan im Jahr 2015. In einem anderen Fall in der Provinz Kunduz, zitiert in einem Artikel in der New York Times, war die Familie eines ANA-Soldaten gezwungen sich neu anzusiedeln, als deren Sohn es verweigerte die Armee nach dem Erhalt von Drohungen zu verlassen. Nachdem sie gegangen waren, wurden deren Häuser entweder zerstört oder in eine Taliban-Basis umfunktioniert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelner durch bewaffnete Akteure, Pkt. 1.3.1.)

 

Drohbriefe der Taliban

 

1. Sind solche Drohbriefe überhaupt authentisch? Kann man diese in Afghanistan einfach kaufen, weil es sich hier offensichtlich um vorgefertigte Briefformulare handelt?

 

Daily Caller, eine US amerikanische Onlinezeitung, berichtet, dass Afghanen in der Hoffnung sich nach Europa als Flüchtlinge einschleichen zu können, gefälschte Todesdrohbriefe - angeblich von den Taliban gesendet - kaufen. Todesdrohungen - übermittelt durch handgeschriebene Briefe - haben eine lange Tradition in der Region und wurden normalerweise jenen übermittelt, die mit den internationalen Kräften kollaborierten. Obwohl die Taliban diese Methoden größtenteils aufgegeben haben, haben Fälscher diese übernommen und verkaufen Briefe auf dem Briefpapier des islamischen Emirates für US$ 1.000 pro Stück.

 

Ein Fälscher, Mukhamil, gab an, dass aktuell nur 1 Prozent der Briefe ernsthafte Bedrohungen sind. Mukhamil entnimmt einfach ein Talibanlogo aus dem Internet, setzt es ins Dokument ein und behauptet dann, dass der Briefkäufer für die US arbeitet und ernsthaften Strafen ausgesetzt sein wird.

 

Die Associated Press - eine multinationale, profitfreie Nachrichtenagentur mit Sitz in New York City - berichtet, dass die handgeschriebenen Nachrichten auf dem Briefpapier des sogenannten islamischen Emirates traditionellerweise an jene gesendet wurden, die angeblich für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die US - geführten Truppen gearbeitet haben; es wurden deren "Verbrechen" aufgelistet und sie wurden gewarnt, dass die "militärische Kommission" über ihre Strafen entscheidet. Dieser Tage sagen die Taliban, dass sie diese Praxis aufgegeben haben, während jene, die die gefälschten Briefe verkaufen, ein riskantes Geschäft mit zehntausenden Afghanen betreiben, die nach Europa fliehen und darauf hoffen, um Asyl anzusuchen. Fälscher geben an, dass ein überzeugender Drohbrief bis zu US$ 1.000 kosten kann.

 

"Bis heute habe ich nur einen einzigen Typen gekannt, der einen ernsthaften Drohbrief von den Taliban erhalten hat. Der Rest ist gefälscht."

 

Selbst die Taliban, die in den letzten Monaten ihren 14-jährigen Aufstand verstärkt haben und in neue Gebiete eingedrungen sind, sagen, dass die meisten Drohbriefe gefälscht sind.

 

Der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid, sagt, dass, wenn ein Kämpfer vermutet, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften arbeitet, dessen Familie kontaktiert und gefordert wird, diese Tätigkeit einzustellen. "Wir senden keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil. Nur sehr selten verwenden wir das Telefon, wenn wir auf ernsthafte Probleme stoßen."

 

"All diese Talibandrohbriefe sind gefälscht." Weiters wird eine Liste von Personen angeführt, die fälschlicherweise behauptet hätten Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben. "Wir versuchen unserer Jugend eine gute Umgebung zu schaffen, um in ihrem Land bleiben zu können." Ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, National Directorate of Security, wies die Behauptung der Existenz diese Briefe ebenfalls zurück und sagte, dass es ganz klar war, dass viele Menschen diese kauften, um ihren Asylgrund zu stärken. Niemand wurde in Zusammenhang mit Fälschung verhaftet.

 

Auf der Website der deutschen Bildzeitung - einem Nachrichten- und Entertainment Portal - wird folgendes geschrieben (Bild (23.11.2015): Mit gefälschter Taliban-Drohung nach Europa, http://www.bild.de/politik/ausland/taliban/mit-gefaelschter-taliban-drohung-in-der-tasche-nach-europa-43512332.bild.html , Zugriff 28.7.2016):

 

In Afghanistan hat sich ein schwunghafter Handel mit gefälschten Drohbriefen der Taliban entwickelt. Manche Asylsuchende versuchen, so die Chance auf Anerkennung ihres Antrags in Europa zu erhöhen. Doch die Praxis hat sich auch bei hiesigen Behörden herumgesprochen.

 

Kabul - Einst waren Drohbriefe der Taliban für den Empfänger gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Heute werden gefälschte Drohbriefe an Afghanen verkauft, die sich in Europa ein neues Leben aufbauen wollen.

 

Die handgeschriebenen Botschaften auf dem Briefpapier des sogenannten Islamischen Emirats von Afghanistan wurden in der Vergangenheit an jene geschickt, die für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die internationalen Truppen im Land gearbeitet haben sollen. Darin wurden ihre "Verbrechen" aufgeführt, und es wurde angekündigt, dass eine "Militärkommission" über ihre Bestrafung entscheiden werde. Die Schreiben schlossen mit der Warnung, dass die Aufständischen keine Verantwortung für das übernähmen, was passieren werde. Inzwischen haben die Taliban diese Praxis nach eigenen Angaben weitgehend eingestellt. Doch diejenigen, die gefälschte Drohbriefe verkaufen, betreiben ein florierendes Geschäft: Denn Zehntausende Afghanen fliehen nach Europa, in der Hoffnung, dort Asyl zu erhalten. Fälscher sagen, ein überzeugender Drohbrief bringe umgerechnet an die 1000 Euro ein.

 

"Ich würde sagen, von den Drohbriefen, die Afghanen jetzt europäischen Behörden vorlegen, sind nur ein Prozent echt und 99 Prozent gefälscht", sagt der 35-jährige Muchamil, der 20 solcher Briefe hergestellt und verkauft hat. Er geht nach einem einfachen Schema vor:

 

Er beschuldigt den Käufer, für afghanische oder US-Truppen gearbeitet zu haben und fügt ein Taliban-Logo ein, das er von deren Webseite kopiert hat. "Bis heute kenne ich nur einen einzigen Typen, der wirklich einen Drohbrief von den Taliban bekommen hat. Alle anderen sind Fälschungen", sagt Muchamil.

 

An Kunden besteht kein Mangel. Die Arbeitslosenrate liegt bei 24 Prozent, und in weiten Teilen des Landes sind Taliban aktiv. Die Regierung in Kabul schätzt, dass bis Ende des Jahres 160 000 Afghanen ihr Land verlassen haben werden, vier Mal so viele wie 2013.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hatte es im Oktober als inakzeptabel bezeichnet, dass Afghanistan inzwischen auf Platz zwei der Liste der Herkunftsländer von Flüchtlingen stehe. Schließlich gebe es dort auch sicherere Landesteile.

 

Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge heißt es, die Briefe seien bekannt, es würden aber keine Statistiken darüber geführt.

 

Sprecherin Susanne Eikemeier erklärte, da es sich bei den Briefen nicht um amtliche Dokumente handele, komme ihnen nur ein begrenztes Gewicht zu. Solche Dokumente würden im Kontext der allgemeinen Glaubwürdigkeit des Antragstellers bewertet. Sie könnten zwar auf eine Bedrohung durch die Taliban hindeuten, doch müsse der Bericht des Asylsuchenden insgesamt schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft sein.

 

Sogar die Taliban selbst, die ihren Aufstand in den vergangenen Monaten intensiviert und auf weitere Gebiete ausgedehnt haben, sagen, die meisten Drohbriefe seien gefälscht.

 

Wenn Kämpfer den Verdacht hätten, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften zusammenarbeite, würden dessen Angehörige kontaktiert, sagt Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid. "Wir schicken keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil", sagt er und zählt eine ganze Liste von Personen auf, die fälschlicherweise behauptet hätten, Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben.

 

Auch ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, des Nationalen Sicherheitsdirektorats, erklärt, viele Menschen kauften solche Briefe, um ihren Anspruch auf Asyl zu untermauern. Zu Festnahmen sei es bislang nicht gekommen. Die Regierung halte es für nicht der Mühe wert, die Fälscher oder die Käufer zu verfolgen. "Wir konzentrieren uns auf die Menschen, die echte Drohungen erhalten", sagt der Beamte, der anonym bleiben möchte.

 

Dass die Taliban eine reale Bedrohung darstellen, zeigt die vorübergehende Einnahme der Stadt Kundus Ende September durch die Extremisten. Nach UN-Schätzungen floh nach ihrer Machtübernahme etwa die Hälfte der 300 000 Einwohner.

 

Regierungstruppen vertrieben die Taliban in einer zweiwöchigen Militäraktion zwar wieder aus Kundus, doch sie kontrollieren weiter eine Reihe von Bezirken in verschiedenen Teilen des Landes. Furcht vor den Taliban ist ein wichtiger Faktor beim Exodus aus dem Land, auch wenn viele, die gehen, persönlich keine Drohungen erhalten haben.

 

Der 25-jährige Hasrat Gul schaffte es vor mehr als drei Jahren mit einem gefälschten Drohbrief der Taliban nach Italien. Das Schreiben habe ihm geholfen, gemeinsam mit seiner Frau und ihren drei Kindern Asyl zu erhalten, erklärt Gul. Für ihn habe es funktioniert, doch inzwischen sei in Europa bekannt, dass die meisten Schreiben gefälscht seien. "Heutzutage erkennen europäische Gerichte diese Briefe kaum noch an, denn es hat sich herumgesprochen, dass man sie in Afghanistan in Geschäften kaufen kann", sagt Gul.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 28.07.2016)

 

Innerstaatliche Schutzalternative bei Verfolgung durch regierungsfeindliche Elemente im Heimatdistrikt

 

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) ausgeht, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine sinnvolle interne Schutzalternative. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-i-Islami Hekmatyar, Gruppen, die nach eigenen Angaben mit ISIS verbunden sind, sowie andere bewaffnete Gruppierungen über die operativen Kapazitäten verfügen, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen, darunter auch in solchen Gebieten, die nicht von diesen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, wie anhand des Beispiels der steigenden Anzahl öffentlichkeitswirksamer Anschläge in urbanen Gebieten, die sich unter der Kontrolle regierungsnaher Kräfte befinden, ersichtlich wird.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.C.1.)

 

Hinsichtlich einer internen Schutzalternative ist in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung erforderlich. UNHCR betont, dass eine interne Schutzalternative für den einzelnen Antragsteller relevant und zumutbar sein muss. Die ‚Relevanzprüfung' erfordert eine grundlegende Bewertung der Urheberschaft des Schadens und sollte umfassende Feststellungen zu der Frage beinhalten, ob im Neuansiedlungsgebiet das Risiko - beispielsweise einer Rekrutierung durch die Taliban - fortbesteht.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern, Dezember 2016, S. 2)

 

Situation für Rückkehrer aus dem Westen / Risiken aus einer "Verwestlichung"

 

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen.

 

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

 

(Zusammenfassung aus den UNHCR Richtlinien, Pkt. III.A.1.i. und l.).

 

Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.

 

(Auszug aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2017 [in Folge: "EASO-Bericht gesellschaftliche Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_society.pdf , abgerufen am 27.09.2018], S. 92)

 

Situation von Frauen in Afghanistan

 

Allgemeines

 

Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig, Afghanistan ist weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen zu betrachten. Dies auch, weil spezifische zum Schutz von Frauen erlassene Rechtsvorschriften, wie insbesondere das EWAV-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen, nur zögerlich umgesetzt werden und Gewaltakte gegen Frauen üblicherweise straflos bleiben. So werden etwa Frauen oder Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, oder eine außereheliche Beziehung unterhalten oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt. Sie werden deswegen oftmals verurteilt und inhaftiert, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt. Hingegen bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften kontrolliert werden.

 

Je unsicherer eine Örtlichkeit oder Distrikt ist und je weniger Kontrolle der Regierung besteht, desto unwahrscheinlicher ist es auch, dass Frauen Unterstützung gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Anspruch nehmen können.

 

Während sich die konkrete Situation je nach regionalem und sozialem Hintergrund (Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität) stark unterscheiden kann, sind Frauen trotz einiger Fortschritte überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen. Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung. Bemerkenswert ist hingegen die Steigerung jener Afghaninnen und Afghanen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben. Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghaninnen und Afghanen befürworteten, dass Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt wie durch Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Dazu kommen praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben.

 

Abubakar Siddique erklärte, dass für afghanische Frauen oder Mädchen, die in Europa geboren wurden oder sich an die normalen Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, um allein auszugehen und grundlegende Alltagsaktivitäten durchzuführen, die gesellschaftlichen Einschränkungen Afghanistans, wie die Verpflichtung eines männlichen Vormunds oder Begleiters, sehr schwer anzupassen sind (1087). Der Programmbeauftragte erklärte, dass afghanische Frauen, insbesondere Frauen, die im Westen aufgewachsen sind und nach langer Abwesenheit nach Afghanistan zurückkehren, zwischen zwei parallelen Welten in der Gesellschaft navigieren müssen - dem äußeren Erscheinungsbild, in dem man sich an alle traditionellen Sozial- und Geschlechternormen halten muss, und der inneren Welt; es muss darauf geachtet werden, dass bestimmte Dinge nicht als unislamisch angesehen werden können.

 

Ähnlich wie afghanische Frauen mit öffentlichem Profil können Frauen, die eine Hochschulbildung haben und in Kabul oder Provinzstädten leben, als "verwestlicht" angesehen werden und gegen die kulturellen, religiösen und sozialen Normen verstoßen haben, die von Frauen erwartet werden. Abhängig von ihrem sozialen Umfeld können sie der Gewalt der Gesellschaft und bewaffneter Gruppen ausgesetzt sein. Auch wenn sie sich stärker abheben, ist es wahrscheinlicher, dass in ihrer Gemeinschaft über sie gesprochen wird. Frauen, die Menschenrechtsverteidigerinnen sind oder im öffentlichen Leben tätig sind oder in nicht-traditionellen Rollen tätig sind, werden von regierungsfeindlichen Elementen angesprochen und können auch stigmatisiert werden und Gewalt erleben, weil sie soziale und religiöse Normen über den Platz der Frau in der Gesellschaft übertreten.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus dem: LIB, Pkt. 18., Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017, Pkt. 2., UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.7., sowie (Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms, Dezember 2017 [in Folge: "EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_targeting_society.pdf , abgerufen am 27.09.2018], Pkt. 3.2. und 8.10.)

 

Kleidungsvorschriften

 

Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.

 

Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.

 

Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.

 

(Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen, Pkt. 3.2.)

 

Bildung

 

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben.

 

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind.

 

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen).

 

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen.

 

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert. Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht.

 

Berufstätigkeit

 

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit. Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung.

 

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen.

 

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach.

 

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert.

 

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist.

 

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes.

 

(Auszug aus dem LIB, S. 285 f)

 

In der Provinz Balkh wurde im Februar 2017 mit der Errichtung des ersten Backausbildungszentrums begonnen, das von Frauen geleitet wird; im September 2017 wurde es schlussendlich eröffnet. Dieses fungiert als Bäckerei mit angeschlossenem Ausbildungszentrum für rund 50 angehende und etablierte Unternehmer/innen (auch Männer dürfen teilnehmen) aus sechs afghanischen Provinzen (Balkh, Samangan, Baghlan, Kunduz, Takhar und Badakhshan). Initiiert und finanziert wurde dies von der afghanisch-deutschen Kooperation. Auch wurde Frauen in der Provinz Balkh die Möglichkeit gegeben mit Krediten die ihnen von Village Savings and Loan Associations (VSLAs) zur Verfügung gestellt wurden, Kleinbetriebe zu gründen. Sparvereine und VSLAs, unterstützt durch das afghanische Unternehmensentwicklungsprogramm für den ländlichen Raum, sind ein Weg um Arbeitsplätze und Einkommen in ländlichen Regionen zu schaffen.

 

(Auszug entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Fact Finding Mission Bericht Afghanistan der Staatendokumentation, April 2018, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/1430912.html , [abgerufen am 27.09.2018], Pkt. 4.1. "Arbeitsmöglichkeiten für Frauen in Afghanistan").

 

Bewegungsfreiheit

 

Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar-e Sharif und Kabul.

 

(Auszug aus EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen, Pkt. 3.2.)

 

Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten

 

Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

 

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa ein "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.

 

(Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017, Pkt. 3.)

 

Situation von Kindern

 

Sicherheit für Kinder allgemein

 

Kinder gehören zu den am stärksten gefährdeten Gruppen der Gesellschaft, die unter dem anhaltenden Konflikt leiden. Die Zahl der Kinderopfer ist seit 2009 stetig gestiegen. Im Jahr 2016 meldete UNAMA 3.512 Kinderverluste, was einem Anstieg von 24 % gegenüber

2.829 im Jahr 2015 entspricht. In der ersten Jahreshälfte 2017 verzeichnete UNAMA einen weiteren Anstieg der gesamten Kinderopfer um 1% und einen Anstieg der Kindstode um 9 %. Der Anstieg im Jahr 2016 ist vor allem auf einen starken Anstieg der Kinderopfer von Bodenoffensiven zurückzuführen. Die Zahl der Kinderopfer durch Bodenoffensiven stieg stärker als die der erwachsenen Opfer von Bodenoffensiven, was laut UNAMA die zunehmenden Kämpfe in zivilisierten Gebieten widerspiegelt. Kinder wurden auch überproportional Opfer von explosiven Kriegsmassen. Dies hängt mit Armut, mangelnder Bildung und dem Bewusstsein für die Gefahren zusammen. Landminen und IEDs sind für Kinder besonders bedrohlich und stellen die zweithäufigste Ursache für Tod und Verletzung dar. Einige der Minen sind so konstruiert, dass Kinder denken, sie könnten Spielzeug sein.

 

(Auszug aus dem EASO-Bericht Sicherheitslage, S. 55)

 

Bildungssystem in Afghanistan

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt.

 

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor.

 

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand. Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können.

 

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UN-Organisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen.

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern. Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren.

 

Bacha Bazi (Bacha Bazi) - Tanzjungen

 

Bacha Bazi, auch Tanzjungen genannt, sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind. In weiten Teilen Afghanistans, vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Mit Inkrafttreten des neuen afghanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2018, wurde die Praxis des Bacha Bazi kriminalisiert. Den Tätern drohen bis zu sieben Jahre Haft. Jene, die mehrere Buben unter zwölf Jahren halten, müssen mit lebenslanger Haft rechnen. Das neue afghanische Strafgesetzbuch kriminalisiert nicht nur die Praxis von Bacha Bazi, sondern auch die Teilnahme an solchen Tanzveranstaltungen. Der Artikel 660 des fünften Kapitels beschreibt, dass Beamte der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF), die in die Praxis von Bacha Bazi involviert sind, mit durchschnittlich bis zu fünf Jahren Haft rechnen müssen.

 

Üblicherweise sind die Jungen zwischen zehn und 18 Jahre alt, das Durchschnittsalter beträgt 14 Jahre; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Jungen wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Jungen, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt.

 

Kinderarbeit

 

Das Arbeitsgesetz in Afghanistan setzt das Mindestalter für Arbeit mit 18 Jahren fest; es erlaubt Jugendlichen ab 14 Jahren als Lehrlinge zu arbeiten und solchen über 15 Jahren "einfache Arbeiten" zu verrichten. 16- und 17-Jährige dürfen bis zu 35 Stunden pro Woche arbeiten. Kinder unter 14 Jahren dürfen unter keinen Umständen arbeiten. Das Arbeitsgesetz verbietet die Anstellung von Kindern in Bereichen, die ihre Gesundheit gefährden. In Afghanistan existiert eine Liste, die gefährliche Jobs definiert; dazu zählen: Arbeit im Bergbau, Betteln, Abfallentsorgung und Müllverbrennung, arbeiten an Schmelzöfen sowie in großen Schlachthöfen, arbeiten mit Krankenhausabfall oder Drogen, arbeiten als Sicherheitspersonal und Arbeit im Kontext von Krieg.

 

Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert. Kinderarbeit ist in Afghanistan somit offiziell verboten. Berichten zufolge arbeiten mindestens 15% der schulpflichtigen Kinder. Viele Familien sind auf die Einkünfte ihrer Kinder angewiesen. Daher ist die konsequente Umsetzung eines Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt allerdings Programme, die es Kindern erlauben sollen, zumindest neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z. B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) wurden gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen für diese gesetzlichen Regelungen. Allgemein kann gesagt werden, dass schwache staatliche Institutionen die effektive Durchsetzung des Arbeitsrechts hemmen und die Regierung zeigt nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien.

 

Kinderarbeit bleibt ein tiefgreifendes Problem. Das Arbeitsministerium verweigert Schätzungen zur Zahl der arbeitenden Kinder in Afghanistan und begründet dies mit fehlenden Daten und Mängeln bei der Geburtenregistrierung. Dies schränkt die ohnehin schwachen Kapazitäten der Behörden bei der Durchsetzung des Mindestalters für Arbeit ein. Berichten zufolge werden weniger als 10% der Kinder bei Geburt registriert. Oft sind Kinder sexuellem Missbrauch durch erwachsene Arbeiter ausgesetzt.

 

Strafverfolgung von Kindern

 

Das Gesetz besagt, dass die Festnahme eines Kindes als letztes Mittel und so kurz wie möglich vorgenommen werden soll. Berichten zufolge mangelt es Kindern in Jugendhaftanstalten landesweit an Zugang zu adäquater Verpflegung, Gesundheitsvorsorge und Bildung. Festgenommenen Kindern werden oftmals Grundrechte wie z.B. die Unschuldsvermutung, das Recht auf einen Anwalt, oder das Recht auf Information über die Haftgründe sowie das Recht, nicht zu einem Geständnis gezwungen zu werden, verwehrt. Das Gesetz sieht eine eigene Jugendgerichtsbarkeit vor; wegen limitierter Ressourcen sind spezielle Jugendgerichte nur in sechs Gebieten funktionsfähig:

Kabul, Herat, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Kunduz. In anderen Provinzen, in denen keine speziellen Gerichte existieren, fallen Kinder unter die Zuständigkeit allgemeiner Gerichte. Im afghanischen Strafjustizsystem sind Kinder oftmals eher die Opfer als die Täter.

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt. Nachdem im Jahr 2016 die Zahl getöteter oder verletzter Kinder gegenüber dem Vorjahr um 24% gestiegen war (923 Todesfälle, 2.589 Verletzte), sank sie 2017 um 10% (861 Todesfälle, 2.318 Verletzte). 2017 machten Kinder 30% aller zivilen Opfer aus. Die Hauptursachen sind Kollateralschäden bei Kämpfen am Boden (45%), Sprengfallen (17%) und zurückgelassene Kampfmittel (16%) (AA 5 .2018).

 

Rekrutierung von Kindern

 

Im Februar 2016 trat das Gesetz über das Verbot der Rekrutierung von Kindern im Militär in Kraft. Berichten zufolge rekrutieren die ANDSF und andere regierungsfreundliche Milizen in limitierten Fällen Kinder; die Taliban und andere regierungsfeindliche Gruppierungen benutzen Kinder regelmäßig für militärische Zwecke. Im Rahmen eines Regierungsprogramms werden Schulungen für ANP-Mitarbeiter zu Alterseinschätzung und Sensibilisierungskampagnen betreffend die Rekrutierung von Minderjährigen organisiert sowie Ermittlungen in angeblichen Kinderrekrutierungsfällen eingeleitet.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 18.1. "Kinder"; EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 4.3.3., sowie EASO-Bericht Verfolgung Einzelner unter gesellschaftlichen und rechtlichen Normen, Pkt. 5.1.)

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person:

 

2.1.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

2.1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin hat während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu ihrem Namen, ihrem Geburtsdatum, ihrer Staatsangehörigkeit, Herkunft, insbesondere zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zu ihrem Leben in Afghanistan (insbesondere zu Schulbesuch, Ausbildung, berufliche Tätigkeit) stets gleiche und zusammenhängende Angaben gemacht. Die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari wurde vom bestellten Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat die Erstbeschwerdeführerin in nicht als unglaubwürdig zu erkennender Weise angegeben, dass sie auch Kenntnisse der Sprachen Paschtu und Deutsch besitze.

 

2.1.1.2. Die Feststellungen zum Geburtsdatum der Erstbeschwerdeführerin gründen sich auf der im Zuge des Verwaltungsverfahren vorgelegten Tazkira (s. AS 79 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

2.1.1.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus den im Rahmen der behördlichen Einvernahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Angaben (s. insbesondere die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19.07.2018 [in Folge: "VHS2"], S. 4).

 

2.1.1.4. Die Feststellungen zur familiären Herkunft sowie zur derzeitigen Situation der Familie der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren widerspruchsfrei gebliebenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.1.1.5. Die Feststellungen zur Hochzeitszeremonie ergeben sich aus den sich insoweit deckenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin sowie des Zweitbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.1.1.6. Die Feststellungen betreffend die Verbindungen zu Afghanistan (allfällige Vorstrafen, politische Tätigkeit, Verhältnis zu Behörden) ergeben sich aus den im verwaltungsbehördlichen Verfahren getätigten Angaben (s. AS 45 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin).

 

2.1.1.7. Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus dem Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin.

 

2.1.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

2.1.2.1. Der Zweitbeschwerdeführer hat während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu seinem Namen, seinem Geburtsdatum, seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu seinem Leben in Afghanistan (insbesondere zu Schulbesuch, Ausbildung, berufliche Tätigkeit) stets gleiche und zusammenhängende Angaben gemacht. Die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari wurde vom bestellten Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hat der Zweitbeschwerdeführer in nicht als unglaubwürdig zu erkennender Weise angegeben, dass er auch Kenntnisse der Sprache Paschtu und Farsi besitze.

 

2.1.2.2. Die Feststellung zum Geburtsdatum gründen sich auf die im Zuge des Verwaltungsverfahrens vorgelegte Tazkira des Zweitbeschwerdeführers (s. AS 77 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

2.1.2.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers beruhen auf den Ausführungen im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie den diesbezüglich vorgelegten Bestätigungen seiner behandelnden Ärzte (s. AS 60 und 101 bis 103 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers und VHS2, S. 4 sowie die in dieser vorgelegte Beilage ./1 sowie die Stellungnahme vom 31.08.2018, S. 9).

 

Insbesondere aus dem zuletzt vorgelegten Befund vom 27.08.2018 (s. die Stellungnahme vom 31.08.2018, S. 9) geht hervor, dass sich die depressive Symptomatik - trotz weiterer Klagen des Zweitbeschwerdeführers über innere Unruhe und Nervosität unter Stress - durch Einnahme der verschriebenen Medikamente gebessert hat. Im Vergleich zum vorangegangenen Befund vom 25.06.2018 (s. Beilage ./1 zur VHS2) wären die Ängste sowie auch die Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten des Zweitbeschwerdeführers zurückgegangen. Jedenfalls würde nach wie vor keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung bestehen. Von der behandelnden Ärztin wird überdies lediglich die weitere Einnahme der Medikamente sowie eine Kontrolle in 50 Tagen verordnet.

 

2.1.2.4. Die Feststellungen zur familiären Herkunft sowie zur derzeitigen Situation der Familie des Zweitbeschwerdeführers ergeben sich aus den widerspruchsfrei gebliebenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.1.2.5. Die Feststellungen zur Hochzeit mit der Erstbeschwerdeführerin und der Hochzeitszeremonie ergeben sich aus den sich insoweit deckenden Angaben des Zweitbeschwerdeführers und der Erstbeschwerdeführerin vor dem erkennenden Gericht.

 

2.1.2.6. Die Feststellungen betreffend die Verbindungen zu Afghanistan (allfällige Vorstrafen, politische Tätigkeit, Verhältnis zu Behörden) ergeben sich aus den im verwaltungsbehördlichen Verfahren getätigten Angaben (s. AS 62 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

2.1.2.7. Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers.

 

2.1.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

 

Die Feststellungen zur Person des Drittbeschwerdeführers ergeben sich aus dessen Verfahrensakt, den widerspruchsfrei gebliebenen Angaben der Erstbeschwerdeführerin sowie des Zweitbeschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie dessen eigenen, auch unter Berücksichtigung seines Alters und der Umstände der Einvernahme nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.1.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Die Feststellungen zur Person der Viertbeschwerdeführerin ergeben sich aus deren Verfahrensakt sowie den widerspruchsfrei gebliebenen bzw. auch sonst als nicht unglaubwürdig zu erkennenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin sowie des Zweitbeschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

2.2. Zu den Feststellungen zum individuellen Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

 

2.2.1. Hinsichtlich des fluchtauslösenden Ereignisses - s. dazu auch die in der rechtlichen Beurteilung dargestellten, der Rechtsprechung zu entnehmenden Grundsätze der Beweiswürdigung in Asylverfahren (s. Pkt. II.3.2. Abschnitt zur "Glaubhaftmachung") - hat der Asylwerber, um dieses glaubhaft zu machen, insbesondere die in seiner Sphäre gelegenen Umstände einigermaßen plausibel und genügend substantiiert zu schildern, weiters muss - wobei es darauf ankommt, ob Aussagen in unwesentlichen Details oder im Kern variieren - das Vorbringen, um glaubwürdig zu sein, in sich schlüssig sein. Von Bedeutung ist für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit auch, wann im Verfahren der Asylwerber bestimmte Angaben tätigt. Zu berücksichtigen ist schließlich immer auch die persönliche Glaubwürdigkeit des Asylwerbers an sich. Vor diesem Hintergrund ist betreffend den gegenständlichen Fall, auch nach dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnenen persönlichen Eindrucks, Folgendes zu erwägen:

 

2.2.2. Gegenständlich brachten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass der Bruder des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , für eine amerikanische Straßenbaufirma gearbeitet habe.

 

Aufgrund dessen seien die Beschwerdeführer von den Taliban bedroht worden, welche dreimal ihr zu Hause aufgesucht hätten, in welchem sie gemeinsam mit der Großfamilie des Zweitbeschwerdeführers gelebt hätten.

 

Dieses Vorbringen hält das erkennende Gericht nach den § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Ermittlungsschritten aus folgenden Erwägungen nur teilweise für glaubwürdig:

 

2.2.3. Das aus den festgestellten Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmende Bild zeigt zwar ein mögliches Risiko durch regierungsfeindliche Kräfte auch für Familienangehörige von Personen, welche die Regierung unterstützen bzw. unterstützen (s. Pkt. II.1.5.7 "Situation von Familienmitgliedern"). Erhöht ist dieses Risiko jedoch für - was gegenständlich nicht der Fall ist - Familienangehörige von Angehörigen der Sicherheitskräfte.

 

2.2.4. Vor diesem Hintergrund blieben die Schilderung der behaupteten Handlungen durch die Taliban vage und unkonkret: So konnten weder die Erstbeschwerdeführerin noch der Zweitbeschwerdeführer genauere Zeit- bzw. Datumsangaben machen (s. AS 67 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers, AS 48 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin und insbesondere die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 01.12.2017 [in Folge: "VHS1"] S. 13 und 19). In Ihrem Vorbringen findet sich ausschließlich, dass XXXX während seiner länger andauernden Arbeitslosigkeit "irgendwann" verschwunden sei und "dann" eine Woche später die Taliban das Heim der Großfamilie aufgesucht hätten. Es erscheint dem Bundesverwaltungsgericht nicht plausibel, dass im selben Haushalt lebende Familienangehörige, welche zudem über eine siebenjährige Schulbildung verfügen, nicht näher darlegen können zu welchem Zeitpunkt ein Familienmitglied plötzlich verschwindet. Und weiters nicht angeben können, wann ein so maßgebliches Ereignis wie die vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban stattfand.

 

2.2.5. Es finden sich zudem auch mehrere - keinesfalls bloß als unerheblich anzusehende - Widersprüche - vor allem hinsichtlich der chronologischen Abläufe sowie der wesentlichen Details - zwischen deren Aussagen im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie jenen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:

 

Zwar gaben die Erstbeschwerdeführerin wie auch der Zweitbeschwerdeführer im Zuge des gesamten Verfahrens konsistent an, dass der Bruder des Zweitbeschwerdeführers für die amerikanische Straßenbaufirma " XXXX " tätig war.

 

Auffallend ist hierbei, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer die Chronologie der Tätigkeiten des Bruders des Zweitbeschwerdeführers im Laufe des Verfahrens änderten. So gaben diese im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde noch an, dass XXXX zuerst als Wachmann und erst danach für die amerikanische Straßenbaufirma gearbeitet hätte (s. AS 48 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin, AS 67 und 69 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers). Die Erstbeschwerdeführerin unterscheidet in dieser Einvernahme - erkennbar - zudem zwischen einer Straßenbaufirma und einer "amerikanischen Firma" (s. AS 48 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin). XXXX sei im Anschluss arbeitslos geworden, weil die Firma XXXX mit dem Ende der Regierungszeit von Hamid Karzai geschlossen worden sei.

 

Als Beweis für die Beschäftigung des Bruders als Wachmann wurde eine Waffenbesitzkare vorgelegt (s. AS 97 im Akt des Zweitbeschwerdeführers), welche bis 2015 gültig war. Der Zweitbeschwerdeführer erklärte diesbezüglich, dass sein Bruder jedoch nicht bis 2015 als Wachmann gearbeitet habe, sondern lediglich die Karte noch gültig gewesen sei. Hingewiesen auf die vorgelegten Bestätigungen der Firma " XXXX ", welche aus dem Jahr 2010 stammten, gab der Zweitbeschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen Verfahren lediglich ausweichend an, dass die Reihenfolge der Beschäftigungen seines Bruders auch umgekehrt gewesen sein könnte (s. AS 69 des Verfahrensakts des Zweitbeschwerdeführers).

 

Im Laufe der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Gegensatz dazu dann aus, dass der verschwundene Bruder erst bei der Straßenbaufirma " XXXX " und anschließend als Wachmann gearbeitet hätte (s. VHS1 S. 13 und 19). Die Erstbeschwerdeführerin präzisiert ihre Aussage insbesondere dahingehend, dass ihr Schwager ein Jahr für die amerikanische Straßenbaufirma tätig gewesen sei. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass sie auf Nachfrage des Bundesverwaltungsgerichtes nicht angeben konnte, wann dieser im Anschluss seine Tätigkeit als Wachmann begonnen habe (s. VHS1 S. 15).

 

Außerdem gab der Zweitbeschwerdeführer vor der belangten Behörde noch an, dass sein Bruder als Offizier für die Regierung arbeiten und eine "Offiziersschule" besuchen hätte wollen, kann dann jedoch nicht einmal dartun, wo diese Offiziersschule gelegen sei. Vielmehr führt er aus, dass sein Bruder weder Militärdienst geleistet noch eine Uniform besessen habe und jeden Abend nach Hause gekommen wäre (s. AS 70 und 71 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers). Abgesehen davon, dass diese Schilderungen weder mit einer militärischen Ausbildung in Einklang zu bringen sind, noch vom Zweitbeschwerdeführer näher konkretisiert und untermauert werden konnten, behaupten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer in weiterer Folge vor dem erkennenden Gericht erstmals, dass XXXX als Polizist hätte arbeiten wollen (s. VHS1 S. 13 und 19). Diese Behauptung ist für das erkennende Gericht weder nachvollziehbar noch glaubwürdig. Sie steht nicht nur in einem gravierenden Widerspruch zu der vom Zweitbeschwerdeführer zuerst - in keinster Weise substantiiert - behaupteten angestrebten militärischen Laufbahn des verschollenen Bruders, sondern war insbesondere zu keinem Zeitpunkt im vorangegangenen verwaltungsbehördlichen Verfahren jemals von den Beschwerdeführern thematisiert worden. Insbesondere die Erstbeschwerdeführerin sprach lediglich davon, dass der Bruder ihres Ehemannes arbeitslos gewesen wäre. Auch zu dessen Arbeitslosigkeit konnten die Beschwerdeführer jedoch keine genaueren Angaben machen, insbesondere keine Jahreszahlen nennen.

 

Übereinstimmend wurde von den Beschwerdeführern lediglich angegeben, dass XXXX am Ende der Amtszeit von Hamid Karzai (Anmerkung: diese endete mit 29.09.2014) arbeitslos geworden sei, wobei sie diesbezüglich im Laufe des Verfahrens nicht konsistent und damit schlüssig angeben konnten, ob er zu dieser Zeit bei der Firma " XXXX " oder als Wachmann gearbeitet habe. Ebenso wenig konnte insbesondere der Zweitbeschwerdeführer darlegen, wann die Karzai-Regierung endete (s. AS 69 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

Die als Beweismittel vorgelegten Fotographien der Bestätigungen der Firma " XXXX " (s. AS 95 im Akt des Zweitbeschwerdeführers) sind nicht geeignet das Fluchtvorbringen zu untermauern, weil diese, wie bereits oben ausgeführt, aus dem Jahr 2010 stammen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Bruder des Zweitbeschwerdeführers im Jahr 2010 für die Firma " XXXX " gearbeitet hat, ist es für das Gericht nicht plausibel, warum die Taliban mehr als fünf Jahre nach Beendigung dieser Tätigkeit die Familie der Beschwerdeführer deswegen bedrohen sollten.

 

Für das erkennende Gericht stellt es sich außerdem als nicht lebensnah dar, dass die Beschwerdeführer, obwohl diese ihren eigenen Angaben zufolge im selben Haushalt mit XXXX lebten und vor allem die Erstbeschwerdeführerin ihren eigenen Aussagen zu Folge immer zu Hause sein musste, weder konkret und chronologisch gleichbleibend angeben konnten, wann XXXX welchen Beschäftigungen nachgegangen sei, noch wann dieser arbeitslos wurde. Insbesondere ist es nicht nachvollziehbar, dass diese auch hinsichtlich eines so einschneidenden Erlebnisses wie der vermeintlichen Entführung des Bruders des Zweitbeschwerdeführers jegliche Datumsangaben vermissen lassen (s. etwa AS 68, 69, und 70 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers, AS 48 und 51 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin und VHS1 S. 13, 15 und 19) bzw. solche - auch auf konkrete Nachfrage - nicht nennen können (s. etwa AS 71 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

2.2.6. Auch die vorgebrachten Handlungen der Taliban gegen die Erstbeschwerdeführerin und den Zweitbeschwerdeführer sind nicht glaubwürdig:

 

2.2.7. So sind die Angaben des Zweitbeschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der wesentlichen Details inkonsistent: Während er vor der belangten Behörde ausführte, dass sich der erste Vorfall mit den angeblichen Taliban gegen 22:00 Uhr ereignet hätte (s. AS 67 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers) gab er in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht hingegen an, dass die Männer am "frühen Abend" zum Haus der Großfamilie gekommen seien (s. VHS1 S. 19). Auch der behauptete dritte Vorfall wird vom Zweitbeschwerdeführer im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht weit ausführlicher - und damit klar erkennbar gesteigert - dargestellt als noch vor der belangten Behörde. So hätte sein Bruder XXXX bei diesem gesagt, dass sie die Türe nicht öffnen sollten, weil er vermute, dass es sich bei den Männern um die Taliban handeln würde. Der Einvernahme des Zweitbeschwerdeführers vor der belangten Behörde zu Folge wäre dies der Familie jedoch erst klargeworden, nachdem die Männer beim dritten Vorfall "Schüsse abgegeben" hätten (s. AS 67 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers und VHS1 S. 19). Weiters gibt er vor der belangten Behörde an, dass sich bei allen drei Vorfällen jedes Familienmitglied in seinem eigenen Zimmer aufgehalten hätte (s. AS 73 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers). Vor dem Bundesverwaltungsgericht sagte er jedoch aus, dass bei den ersten beiden Vorfällen die gesamte Familie in einem Wohnraum gewesen sei. Bei dem dritten Vorfall hätte lediglich er selbst sich in seinem eigenen Zimmer aufgehalten, weil er Medikamente einnehmen hätte müssen. Die übrige Familie sei wiederum im selben Zimmer gewesen (VHS1 S. 21).

 

2.2.8. Es erscheint dem Bundesverwaltungsgericht überdies nicht als plausibel, dass der Zweitbeschwerdeführer weder angeben kann, welche Farbe die Schrift auf der Gartenmauer hatte, noch womit dies geschrieben wurde (s. AS 72 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers). Vor dem erkennenden Gericht behauptete er zudem erstmals, dass XXXX die Schrift auf der Mauer entfernt hätte, damit die übrigen Dorfbewohner diese nicht sehen (s. VHS1 S. 20). Auch ist es für das erkennende Gericht keinesfalls lebensnah, wenn der Zweitbeschwerdeführer ausführt, nicht gesehen zu haben, wo die beim dritten Vorfall abgegebenen Schüsse die Hausmauer getroffen hätten, weil er nicht nach oben geblickt habe als er die Lehmstückchen am Boden liegen gesehen habe (s. AS 72 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers).

 

2.2.9. Auch die Erstbeschwerdeführerin stellte die behaupteten Handlungen der Taliban, in wesentlichen Details massiv widersprüchlich dar:

 

So sagte sie vor der belangten Behörde aus, dass sie nicht gesehen hätte, wie viele Kugeln beim dritten Vorfall die Wand getroffen hätten, dies hätten lediglich die Männer gesehen, ihr jedoch nicht gesagt (s. AS 50 und 51 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin). Vor dem erkennenden Gericht schildert sie aber dann äußerst bildlich wie die Männer, welche das zu Hause der Familie aufgesucht hätten, sich verhalten hätten und, dass die Kugelhülsen an der Wand des Hauses heruntergefallen seien, obwohl sie vorangegangen angab, diesbezüglich keine eigenen Wahrnehmungen zu haben (s. VHS1 S. 13). Weiters sagte sie bei ihrer Einvernahme im verwaltungsbehördlichen Verfahren aus, dass sie beim ersten Besuch der Taliban geschlafen hätte und erst am nächsten Morgen von diesem erfahren habe (s. AS 50 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin). Beim zweiten und dritten Besuch hätte sich die gesamte Großfamilie im selben Raum aufgehalten. Im Zuge der mündlichen Einvernahme vor dem Bundesveraltungsgericht gab sie jedoch an, dass beim dritten Vorfall jeder in seinem eigenen Zimmer gewesen sein soll (s. VHS1 S. 14 und 15).

 

2.2.10. Zudem führt die Erstbeschwerdeführerin auch erstmals vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass die Männer, welche das Heim der Familie aufgesucht hätten, laut den Erzählungen ihres Schwagers XXXX verschleiert gewesen seien, wohingegen der Zweitbeschwerdeführer dies bereits bei der Einvernahme vor der belangten Behörde behauptete, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jedoch dazu nichts mehr ausführte (s. AS 71 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers und VHS1 S, 14). Die Erstbeschwerdeführerin passte in dieser Hinsicht erkennbar ihre Aussage der des Zweitbeschwerdeführers vor der belangten Behörde an. Auch findet sich lediglich in der Aussage der Erstbeschwerdeführerin die Behauptung, dass die Taliban der gesamten Familie beim zweiten Vorfall mit dem Umbringen gedroht hätten (s. VHS1 S. 13). Für das Bundesverwaltungsgericht ist es jedoch hinsichtlich dieses Vorbringens nicht plausibel, dass die Taliban, welche der Familie bereits beim zweiten Besuch mit dem Umbringen drohten, diese ein drittes Mal aufsuchten und es wiederum nur bei Drohungen beließen.

 

2.2.11. Auch hält das erkennende Gericht die Aussage der Erstbeschwerdeführerin, dass die Mauer im Zuge des zweiten Vorfalles beschmiert wurde, für nicht glaubwürdig: So erscheint es im Hinblick auf ein so einschneidendes Ereignis wie die behauptete Bedrohung durch die Taliban einfach lebensfern, wenn die Erstbeschwerdeführerin zwar angibt, dass sie die beschmierte Mauer gesehen habe, jedoch nicht mehr sagen kann womit bzw. in welcher Farbe die Mauer beschrieben wurde (s. AS 49 und 50 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin).

 

2.2.12. Nach den oben geschilderten inhaltlichen inneren Widersprüchen in den jeweiligen Aussagen von Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer finden sich dementsprechend auch im Vergleich der Aussagen derselben zueinander erhebliche Abweichungen:

 

So decken sich weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die auf den Aufenthaltsort während der Vorfälle mit den Taliban, bezogenen Antworten der Beschwerdeführer (s. AS 73 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers, AS 50 und 51, im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin und VHS1 S. 14, 15 und 21)

 

2.2.13. Weiters gaben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer in nicht bloß zu vernachlässigender Weise an, was von den Männern bei deren zweiten Besuch auf die Mauer des Gartens geschrieben wurde. Laut der Erstbeschwerdeführerin sei dort gestanden "Ihr seid Ungläubige geworden", wohingegen der Zweitbeschwerdeführer erklärte, dass auf der Mauer "Ihr seid Ungläubige, Engländer und Kommunisten geworden" gestanden habe (s. AS 72 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers, AS 49 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin und VHS1 S. 13 und 20).

 

2.2.14. Wie bereits zuvor festgehalten, bringt zudem nur die Erstbeschwerdeführerin vor, dass die Taliban die Familie bereits beim zweiten Besuch mit dem Umbringen bedroht hätten. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Zweitbeschwerdeführer ein so erhebliches Detail gar nicht erwähnt.

 

Im Gegensatz zum Zweitbeschwerdeführer, welcher behauptet nicht gesehen zu haben, wie viele Kugeln die Hausmauer beim dritten Vorfall getroffen hätten (s. AS 72 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers), gibt die Erstbeschwerdeführerin in der verwaltungsbehördlichen Einvernahme an, dass lediglich die Männer - dementsprechend auch der Zweitbeschwerdeführer - dies gesehen und ihr davon berichtet hätten (s. AS 51 im Verfahrensakt der Erstbeschwerdeführerin).

 

Dabei übersieht das erkennende Gericht nicht, dass der Zweitbeschwerdeführer andeutet, dass die Widersprüche auf seinen Erkrankungen beruhen: Zwar leidet dieser laut vorgelegtem Befund (Beilage ./1 zur VHS2) unter Konzentrationsschwierigkeiten und einer reduzierten Merkfähigkeit. Es ist jedoch für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass diese Erkrankung derartige Auswirkungen auf die getätigten Aussagen des Zweitbeschwerdeführers hatten. Insbesondere, weil dieser im gesamten Verfahren mit der Erstbeschwerdeführerin für das jeweilige Verfahrensstadium abgestimmte Angaben zumindest hinsichtlich der chronologischen Geschehensabläufe tätigte, auch wenn die wesentlichen Details immer abweichend dargestellt wurden. Es erscheint vielmehr als ob, die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer, ihre Aussagen zumindest hinsichtlich der chronologischen Abfolge der Tätigkeiten des verschollenen Bruders nochmals - auch betreffend die vorgelegten Beweismittel - angepasst hätten.

 

2.2.15. Umso gravierender stellen sich die ohnehin schon bestehenden Widersprüche jedoch dar, wenn man die Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers mit jenen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur GZ W246 2137328 getätigten Aussagen des - ebenfalls in Österreich lebenden - Bruders des Zweitbeschwerdeführers XXXX und dessen Ehefrau XXXX vergleicht:

 

Im Gegensatz zur Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer gab XXXX an, dass XXXX bereits vier Jahre vor dessen Verschwinden seine Tätigkeit für die Straßenbaufirma eingestellt habe, was nunmehr wiederum den von den Beschwerdeführern vor dem erkennenden Gericht dargestellten chronologischen Abläufen widerspricht. Er gab im Gegensatz zu den Beschwerdeführern und obwohl er der einzige ist, der die Männer, welche das Heim der Großfamilie aufsuchten je gesehen haben soll, nicht an, dass diese vermummt gewesen seien (s. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung zur GZ W246 2137328-1 vom 07.06.2017, S. 21). Als einziger führte er jedoch aus, dass diese Männer bewaffnet gewesen und mit Motorrädern weggefahren seien. Auch sagten die Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt aus, dass - wie von XXXX dargestellt - die Brüder - demnach auch der Zweitbeschwerdeführer - beim zweiten Besuch durch die Taliban in den Hof gegangen seien. Im deutlichen Kontrast zur Aussage der Beschwerdeführer führte XXXX zudem aus, dass die Mauer des Gartens erst im Zuge des dritten Vorfalles beschmiert worden sei und auf dieser "Ihr seid ungläubig. Ihr seid von eurer Religion abgetreten" gestanden habe. Auch dies weicht in nicht zu vernachlässigender Weise sowohl chronologisch als auch hinsichtlich der vorgebrachten Texte von den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ab (s. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung zur GZ W246 2137328-1 vom 07.06.2017, S. 23).

 

Im Vergleich dazu konnte die Schwägerin der Beschwerdeführer XXXX im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Bundesverwaltungsgericht überhaupt nur fragmentarisch den Grund für die gemeinsame Flucht der beiden Familien anführen und nicht näher substantiieren. So beschränkte sich deren Aussage darauf, dass XXXX für eine amerikanische Straßenbaufirma gearbeitet habe. Außerdem gibt sie an, dass die Taliban drei Mal gekommen wären. Lediglich beim ersten Mal sei die Tür von XXXX geöffnet worden. Beim dritten Vorfall sei auch geschossen worden und sie hätten gesagt, dass sie alle ungläubige geworden seien und sie sich alle entweder den Taliban anschließen sollten, oder die Familie vernichtet würde. Am nächsten oder übernächsten Morgen nach dem dritten Besuch durch die Taliban seien sie geflüchtet (s. die Niederschrift der mündlichen Verhandlung zur GZ W246 2137328-1 vom 07.06.2017, S. 11 und 12).

 

Auch in deren Aussage findet sich daher die Morddrohung der Taliban gegenüber der Großfamilie. Im Gegensatz zur Aussage der Erstbeschwerdeführerin (s. oben Pkt. II.2.2.14) wurde diese Drohung jedoch erst beim dritten Vorfall ausgesprochen.

 

Gleichbleibend und übereinstimmend wurde im Wesentlichen lediglich vorgebracht, dass die Beschwerdeführer und deren gesamter Familienverband aufgrund der Tätigkeiten des verschollenen Bruders von den Taliban bedroht wurden und die Taliban drei Mal deren zu Hause aufsuchten. Für das erkennende Gericht ist es nicht plausibel, dass diese behaupteten Geschehnisse - welche zudem ein besonders einschneidendes Erlebnis darstellten - von vier Personen derart unterschiedlich und in den wesentlichen Details abweichend wahrgenommen werden. Gerade bei Gegenüberstellung mit den Länderinformationen zum Risiko von Familienangehörigen (s. oben Pkt. II.1.5.7.) hält das erkennende Gericht das behauptete fluchtauslösende Ereignis für nicht glaubwürdig. So widersprechen sich die Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowohl im Vergleich zu deren vorangegangenen Aussagen als auch mit der Aussage des jeweils anderen in jedem Stadium des Verfahrens. Hinzu kommen die gravierenden Widersprüche im Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Vergleich zu den Schilderungen von dessen Bruder XXXX und dessen Gattin XXXX , vor allem im Hinblick auf die jeweilige nähere Ausgestaltung des Fluchtvorbringens. Alle Angaben sind zudem äußerst vage und konnten zu keinem Zeitpunkt durch nähere Datumsangaben konkretisiert werden.

 

2.2.16. Gegen die Glaubwürdigkeit des vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisses sprechen auch noch folgende Umstände:

 

2.2.17. So ist es für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, dass der in England lebende Bruder XXXX des Zweitbeschwerdeführers, trotz der gegen die gesamte Familie und insbesondere auch gegen ihn gerichteten Drohungen der Taliban, laut den Aussagen der Beschwerdeführer für zwei Wochen nach Afghanistan reisen konnte, um sich um den erkrankten Vater des Zweitbeschwerdeführers zu kümmern und den Drohbrief an die Beschwerdeführer zu übermitteln. Bei einer - wie dargestellt - derartig massiven Bedrohung durch die Taliban ist es für das Bundesverwaltungsgericht nicht lebensnah, dass sich XXXX einer solchen - auch gegen ihn gerichteten - Gefahr freiwillig aussetzen würde.

 

Hingegen gaben sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer im Zuge des verwaltungsbehördlichen Verfahrens und auch vor dem Bundesverwaltungsgericht in gleichbleibender und nicht als unglaubwürdig zu erkennender Weise an, dass die Familie vorerst nach Kabul zu einem Onkel des Zweitbeschwerdeführers väterlicherseits flüchtete und sich dort auch für ungefähr 40 Tage aufhielt. Gerade während dieses Aufenthaltes ist es aber zu keinen weiteren Drohungen gegen die Beschwerdeführer gekommen und scheinen die vermeintlichen Taliban die Familie dorthin auch nicht verfolgt zu haben. Selbst bei Annahme, dass die Beschwerdeführer tatsächlich von den Taliban bedroht worden seien, ist demnach davon auszugehen, dass diese - insbesondere in den großen Städten - nicht nach der Familie suchen würden.

 

2.2.18. Zu dem von den Beschwerdeführern vorgelegten und nach deren Behauptungen von den Taliban stammenden "Drohbrief" ist i.d.Z. festzuhalten, dass auch dieser das erkennende Gericht bei Gegenüberstellung mit obigen Erwägungen zu den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers nicht von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens zum fluchtauslösenden Ereignis überzeugt:

 

Unechte und/oder unrichtige Schreiben sind nach den Feststellungen zur Lage in Afghanistan (s. oben Pkt. II.1.5.7.) sehr einfach zu beschaffen, weshalb dieser "Drohbrief" an der Annahme des nicht glaubhaften Vorbringens vor dem Hintergrund der o.a. Ausführungen nichts zu ändern vermag. Insbesondere, weil aus diesem mangels Unterschrift auch keinerlei Unterzeichner erkennbar ist. Für das erkennende Gericht erscheint es zudem nicht lebensnah, dass die Beschwerdeführer - wie im Zuge der Einvernahme vor der belangten Behörde angegeben - den Inhalt dieses Briefes nicht kannten, weil dieser in Paschtu verfasst gewesen sei, diese jedoch nicht einmal versucht hätten, vom Inhalt Kenntnis zu erlangen.

 

2.2.19. Schließlich ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Taliban gerade den Zweitbeschwerdeführer auf Grund der Verwandtschaft zu seinem Bruder verfolgt haben sollen, nicht jedoch die Eltern des Zweitbeschwerdeführers sowie die Ehefrau seines verschollenen Bruders und dessen Kinder, die nach wie vor im Herkunftsstaat und dort insbesondere in deren Heimatdorf aufhältig sind. Wurde doch in dem von den Beschwerdeführern vorgelegten "Drohbrief" der gesamte Familienverband des Zweitbeschwerdeführers bedroht. Auch geht es dem Vater des Zweitbeschwerdeführers gut (s. VHS2 S. 4).

 

2.2.20. Festzustellen war, dass XXXX bis zum Jahr 2010 für die Straßenbaufirma " XXXX " gearbeitet hat (Pkt. II.1.2.1.). Für diesen Zeitraum decken sich die getätigten Angaben (s. die Erwägungen oben) und sprechen auch die übrigen vorgelegten Urkunden nicht dagegen.

 

2.2.21. Aufgrund entsprechender, konsistenter Angaben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren war auch festzustellen, dass gegen die Beschwerdeführer auch keine Handlungen von staatlichen Stellen gesetzt wurden.

 

2.2.22. Die Feststellung, dass für den Drittbeschwerdeführer sowie die Viertbeschwerdeführerin keine eigenen, d.h. sich von den Erst- und Zweitbeschwerdeführern unterscheidende, Fluchtgründe vorgebracht wurden folgt aus den Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer.

 

2.3. Zu den Feststellungen zum Leben in Österreich:

 

2.3.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

2.3.1.1. Die Feststellungen zum Leben in Österreich (betreffend eigene Familienangehörige oder Verwandte in Österreich, Beziehungen zu anderen Österreichern und Afghanen, Erlernen der deutschen Sprache, Erwerbstätigkeiten, Lebensunterhalt, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie sonstige Aktivitäten) folgen aus den klar geäußerten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben zu den Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung sowie einer Reihe von der Erstbeschwerdeführer vorgelegten Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit sich das erkennende Gericht nicht zu zweifeln veranlasst sah (s. die der VHS1 angeschlossenen Beilagen ./6 bis ./7). Vom festgestellten erlangten Niveau der deutschen Sprache konnte der erkennende Richter sich in der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen.

 

Die Feststellung, wie sie von ihrem sozialen Umfeld wahrgenommen wird gründen auf den in der Einvernahme vor der belangten Behörde vorgelegten Urkunden (s. AS 81 im Verfahrensakt des Zweitbeschwerdeführers). Auch bei diesen Urkunden sah sich das erkennende Gericht nicht veranlasst, an deren Echtheit und Richtigkeit zu zweifeln.

 

2.3.1.2. Aufgrund der Aussagen der Erstbeschwerdeführerin bei zweimaligen Erscheinen vor dem erkennenden Gericht ist auch festzustellen, dass die selbstständigen Einkaufstätigkeiten und Arztbesuche sowie diesbezügliche wirtschaftliche Dispositionen unter Mitnahme von Dritt- und Viertbeschwerdeführer als verinnerlicht anzusehen sind. Dies gilt auch für den Kleidungsstil der Erstbeschwerdeführerin.

 

2.3.1.3. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer durchgeführten Strafregisterabfrage.

 

2.3.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

2.3.2.1. Die Feststellungen zum Leben in Österreich (betreffend eigene Familienangehörige oder Verwandte in Österreich, Beziehungen zu anderen Österreichern und Afghanen, Erlernen der deutschen Sprache, Erwerbstätigkeiten, Lebensunterhalt, ehrenamtliche Tätigkeiten sowie sonstige Aktivitäten) folgen aus den klar geäußerten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben zu den Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung sowie einer Reihe vom Zweitbeschwerdeführer vorgelegten Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit sich das erkennende Gericht nicht zu zweifeln veranlasst sah (s. die der VHS2 angeschlossenen Beilagen ./2 bis ./3). Vom festgestellten erlangten Niveau der deutschen Sprache konnte der erkennende Richter sich in der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen.

 

2.3.2.2. Die Feststellung, wie er von seinem sozialen Umfeld wahrgenommen wird gründen auf den in der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie der im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Urkunden (s. AS 81 im Akt des Zweitbeschwerdeführers und Beilage ./3 zur VHS2). Auch bei diesen Urkunden sah sich das erkennende Gericht nicht veranlasst, an deren Echtheit und Richtigkeit zu zweifeln.

 

2.3.2.3. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer durchgeführten Strafregisterabfrage.

 

2.3.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

 

Die Feststellungen zum Leben in Österreich folgen zum einen aus den nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie dessen eigener nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Aussage bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Zum anderen gründen diese auf die im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgelegten Urkunden (Beilage ./2 und ./4 zur VHS2 und Beilage ./2 bis ./5 zur VHS1) hinsichtlich deren Echtheit und Richtigkeit sich das erkennende Gericht nicht zu zweifeln veranlasst sah.

 

2.3.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

Die Feststellungen zum Leben in Österreich folgen aus den nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.4. Zu den Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan:

 

2.4.1. Die Feststellung, wonach der Zweitbeschwerdeführer die Erstbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan bei der Verwirklichung ihrer Zukunftspläne unterstützten würde gründet auf seiner, in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht diesbezüglich geäußerten und nicht als unglaubwürdig zu erkennenden Absicht (s. VHS1, S. 28).

 

2.4.2. Die Feststellungen, wonach die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan insbesondere durch die Eltern des Zweitbeschwerdeführers, welche nach wie vor im Distrikt Qarabagh leben und denen es gut geht (VHS2 S. 4), finanziell unterstützt werden können, ergibt sich aus den diesbezüglich getätigten Aussagen der Beschwerdeführer im Zuge des Verwaltungsverfahrens sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Befragt ob die Beschwerdeführer bei Rückkehr nach Afghanistan eine finanzielle Unterstützung seitens der Familie des Zweitbeschwerdeführers erwarten können, gibt der Zweitbeschwerdeführer an, dass ihn seine Eltern finanziell unterstützen würden (s. VHS1 S. 25). Weiters führten die Beschwerdeführer aus, dass es der Familie wirtschaftlich sehr gut gehe ("vermögend", VHS1 S. 23). Der Vater des Zweitbeschwerdeführers sei ein reicher Mann und müsse auch nicht arbeiten. Er würde Grundstücke mit 10.000 Weinstöcken besitzen (s. VHS1 S. 11 und 21), jedoch würden die Grundstücke mittlerweile hauptsächlich von Pächtern bewirtschaftet werden.

 

2.4.3. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützungen ergibt sich aus der Anfragebeantwortung "Sozialleistungen für Rückkehrer" der Staatendokumentation von Februar 2018. Die Informationen sind aktuell und schlüssig und blieben als solches von den Beschwerdeführern unbestritten.

 

2.5. Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

2.5.1. Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan (Pkt. II.1.5.1, allgemeine Sicherheits-, Grundversorgungs- und Wirtschaftslage, regierungsfeindliche Gruppierungen, Rechtsschutz und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Folter und unmenschliche Behandlung, Binnenflüchtlinge), zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif (Pkt. II.1.5.3.) - siehe aber auch nachstehend zu anderen herangezogenen Quellen -, im Hinblick auf die Erreichbarkeit von Österreich, Sicherheitslage und wirtschaftlicher Lage durch bzw. für Rückkehrer (einschließlich Arbeitsmarkt), zum Meldesystem (Pkt. II.1.5.4), sowie zur medizinischen Versorgung (Pkt. II.1.5.6.) sowie die Feststellungen zur Lage in der Heimatprovinz der Beschwerdeführer bzw. in deren Heimatdistrikt (Pkt. II.1.5.2.) stützen sich auf das im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuelle (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018), nachvollziehbare und schlüssige, von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellte Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht schon daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Einrichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diese Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb von den Beschwerdeführern im Verfahren unbestritten.

 

Der Sachverhalt zur Sicherheitslage wurde betreffend die Entwicklung im ersten Halbjahr 2018, insbesondere auch betreffend die allgemeine Lage für Kinder, durch den nachvollziehbaren und unbestritten gebliebenen Midyear-Report der UNAMA ergänzt.

 

2.5.2. Andererseits gründen die soeben genannten Feststellungen, insbesondere zum Bankensystem (Pkt. II.1.5.5.), auf den aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsberichten des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen EASO zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, staatlichem Schutz und Mobilität in Kabul, Mazar-e Sharif, und Herat von August 2017 sowie zu Netzwerken in Afghanistan von Jänner 2018. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Art. 4 lit. a und b der EU-Verordnung Nr. 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Überdies nennt die EU-Richtlinie 2013/32/EU (konkret: deren Art. 10 Abs. 3 lit. b) gerade die Berichte des Unterstützungsbüros als zu verwendende Informationsquelle. Die Berichte als solches blieben vom Beschwerdeführer im Verfahren unbestritten.

 

2.5.3. Die Feststellungen zur Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt der Beschwerdeführer gründen außerdem auf den Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zu Afghanistan "Kabul, Qarabagh, Sicherheitslage, Erreichbarkeit" vom 18.01.2018 und "Kabul, Qarabagh, Wirtschaftslage, Erwerbsmöglichkeiten" vom 18.01.2018. Diese wurden als solches auch nicht bestritten (zum grundsätzlichen Beweiswert solcher Informationen siehe oben).

 

2.5.4. Des Weiteren beruhen die oben genannten Feststellungen zur medizinischen Versorgung (Pkt. II.1.5.6.) und hierbei insbesondere im Hinblick auf psychische Erkrankungen auf der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Behandelbarkeit von Anpassungsstörungen/Insomnie/Cephalea, Verfügbarkeit und Kosten von Deanxit, Pregabalin und Dominal bzw. Alternativmedikation" vom 03.08.2018 Diese Quellen erschien dem erkennenden Gericht als geeignetes Beweismittel und waren im Hinblick auf die festzustellenden Tatsachen nachvollziehbar und schlüssig (zum grundsätzlichen Beweiswert solcher Informationen siehe oben). Sie blieben als solches auch unbestritten.

 

Soweit in der Stellungnahme vom 28.11.2017 auf ein Gutachten eines länderkundlichen Sachverständigen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur GZ W107 1432262-1 verwiesen wird, ist dazu auszuführen, dass der Sachverständige sich in diesem Gutachten auf einen Artikel des Nachrichtenmagazins bzw. Senders Deutsche Welle vom 14.12.2012, sowie auf einen Artikel im deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2011 bezieht. Zusätzlich zur fehlenden Aktualität dieser Berichte können diese für das erkennende Gericht schon grundsätzlich nicht denselben Beweiswert aufweisen bzw. sind diese wenig geeignet, weil Berichte eines Nachrichtensenders bzw. Nachrichtenmagazins naturgemäß nicht denselben qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen wie dies eben bei länderkundlichen Informationen wie dem LIB, den UNHCR-Richtlinien, den Berichten von EASO oder auch von Landinfo der Fall ist.

 

Insofern im Übrigen auf einen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 16.11.2015 verwiesen wird ist festzuhalten, dass dieser aufgrund mangelnder Aktualität ebenfalls nicht in der Lage ist, ein den Feststellungen zu Grunde liegendes anderslautendes Bild zu zeichnen.

 

2.5.5. Die Feststellungen betreffend die Situation in der Stadt Mazar-e Sharif und die dortige Sicherheitslage, die Versorgung mit Lebensmitteln, den Wohnungs- und Arbeitsmarkt, die sanitäre Situation und sowie die Erreichbarkeit von Österreich beruhen (auch) auf den erwähnten Berichten von EASO zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, Sicherheitslage, Netzwerken, den auf andere Quellen dieser Organisation verweisenden EASO-Länderleitfaden Afghanistan sowie auf der, aus Sicht des erkennenden Gerichts nachvollziehbaren bzw. schlüssigen und überdies unbestritten gebliebenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018. Die darin enthaltenen Informationen können widerspruchsfrei mit entsprechenden Angaben im LIB kombiniert werden.

 

Die insbesondere in der Beschwerde der Viertbeschwerdeführerin sowie in den in der Stellungnahme vom 28.11.2017 zitierten Quellen dargestellten Tatsachen betreffend die allgemeine Sicherheitslage bzw. sozioökonomischen Rahmenbedingungen weichen von den getroffenen Feststellungen nicht ab, beziehen sich auf die Situation in der Stadt Kabul oder sind bereits als veraltet anzusehen.

 

Zu dem Verweis auf einen Artikel von F. Stahlmann in der deutschen Fachzeitschrift "Asylmagazin" (F. Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017) ist anzumerken, dass die getroffenen Tatsachenfeststellungen sich betreffend den Zugang zu Nahrungsmittelversorgung, Wohnraum und Arbeit decken oder auf aktuelleren Quellen beruhen. Die aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts angesichts der zu beantwortenden Rechtsfragen nicht mehr der Tatsachenebene zuzuordnende Schlussfolgerungen im erwähnten Aufsatz werden auf Ebene der rechtlichen Beurteilung gelöst.

 

Überdies ist anzumerken, dass die erwähnten Aussagen von Stahlmann im zuvor erwähnten Artikel im Wesentlichen die Lage in Afghanistan bzw. in der Stadt Kabul näher darstellen und die allgemeine Situation von Rückkehrern in unterschiedlicher Art und Weise beschreiben. Dieser Quelle ist zu entnehmen, dass unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, Schul- und Berufsausbildung, Wohn- und Arbeitssituation, usw.) eine Rückkehr nach Afghanistan - insbesondere bei vorhandener Unterstützungsmöglichkeiten durch ein soziales Netz - nicht als generell unmöglich dargestellt wird. Hinsichtlich der individuellen Situation der Beschwerdeführer wird unten im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Pkt. II.3.4.2. entsprechend den UNHCR-Richtlinien sowie dem Länderleitfaden des EASO zu Afghanistan eine einzelfallbezogene Prüfung für die Beschwerdeführer vorgenommen.

 

Es wurden spezifische Feststellungen auf Grundlage aktueller, schlüssiger und, als solches, unbestritten gebliebener Länderinformationen zu Bildungsmöglichkeiten für Kinder in Mazar-e Sharif getroffen.

 

2.5.6. Die Feststellungen zur "möglichen Verfolgung durch die Taliban" gründen auf einem unbestritten gebliebenen, nachvollziehbaren und schlüssigen Bericht von Landinfo, dem Pendant der norwegischen Regierung zur österreichischen Staatendokumentation. Ein entsprechender Beweiswert kommt diesem, aktuellen, Bericht mit länderkundlichen Informationen aus Sicht des erkennenden Gerichts schon deshalb zu, weil Landinfo - ebenso wie die österreichische Staatendokumentation - ihre Informationen u.a. nach den gemeinsamen EU Standards für die Verarbeitung von Herkunftsstaatsinformationen (verfügbar etwa unter http://www.refworld.org/docid/48493f7f2.html [abgerufen am 27.09.2018] ermittelt und evaluiert). Die Feststellungen hinsichtlich der Taliban-Drohbriefe beruhen auf der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu "Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter" vom 27.07.2016. Diese blieb im Verfahren unbestritten. Insofern in den Beschwerden auf die ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Berichte über Drohungen gegen bzw. Angriffe auf Familienangehörige von Personen, die mit der ISAF oder anderen ausländischen Organisationen zusammenarbeiten [a-9107] vom 25.03.2015 Bezug genommen wird, ist auszuführen, dass in dieser auf Quellen aus dem Jahr 2010 bis 2014 verwiesen wird. Mangels Aktualität ist diese somit nicht geeignet, die getroffenen Feststellungen abzuändern.

 

2.5.7. Die Feststellungen zu einem möglichen Risiko wegen einer Verwestlichung bzw. als Rückkehrer aus dem Westen beruhen auf den UNHCR-Richtlinien und einem Bericht sowie dem Länderleitfaden von EASO. Die jeweiligen Ausführungen waren ausreichend aktuell und schlüssig. Die Informationen von EASO ließen sich auch mit den UNHCR-Richtlinien ohne Widerspruch kombinieren.

 

2.5.8. Die Feststellungen zur Situation als Frau beruhen auf dem LIB, der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Leben von Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017, auf den UNHCR-Richtlinien, einem Bericht von EASO aus Dezember 2017 sowie auf dem Fact Finding Mission Bericht Afghanistan der Staatendokumentation von April 2018. Alle diese Quellen erschienen dem erkennenden Gericht als geeignete Beweismittel und waren im Hinblick auf die festzustellenden Tatsachen nachvollziehbar und schlüssig (zum grundsätzlichen Beweiswert solcher Informationen siehe oben). Sie blieben als solches überdies unbestritten.

 

2.5.9. Die Feststellungen zur Situation von Kindern und möglichen Risiken beruhen auf dem LIB, den UNHCR-Richtlinien sowie dem EASO-Bericht Sozioökonomie, allesamt schlüssige und nachvollziehbare Quellen, welche sich außerdem im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen widerspruchsfrei kombinieren ließen. Diese Quellen blieben im Verfahren unbestritten. Die in der Beschwerde der Viertbeschwerdeführerin vom 25.06.2018 unter Pkt. 2 erwähnten sonstigen Länderinformationen betreffend Bildungsmöglichkeiten für Mädchen decken sich im Wesentlichen mit den getroffenen Feststellungen und sind überdies bei Gesamtbetrachtung nicht geeignet, ein von diesen abweichendes - und damit anderslautende bzw. zusätzliche Feststellungen erforderndes - Bild zu zeichnen. Zu dem in der Beschwerde der Viertbeschwerdeführerin als Beweismittel verwiesenen Quelle von UNICEF ist zu erwägen, dass sich diese ganz allgemein auf Afghanistan bezieht und fallspezifisch konkrete Feststellungen (bezogen auf den angenommenen Ort der Neuansiedlung) zum Zugang zu Bildungsmöglichkeiten auch für Mädchen getroffen wurden.

 

Diese allgemeinen Informationen lassen sich auch bedenkenlos kombiniert mit den aktuellen Entwicklungen betreffend die Lage von Kindern im Jahr 2018 (unter Pkt. II.1.5.1.) treffen.

 

2.5.10. Aufgrund des Vorbringens in den Stellungnahmen der Beschwerdeführer vom 28.09.2018 und dem Hinweis auf eine im Entscheidungszeitpunkt - wenngleich noch nicht rechtskräftig entschiedene - Streichung von der Sachverständigenliste wurde von einer Verwertung des als Beweismittels ins Verfahren eingeführten Gutachtens von K. Mahringer vom 30.08.2018 Abstand genommen. Die darin behandelten Aspekte werden durch auf anderen - wie zuvor dargestellt aktuellen und geeigneten - Quellen bzw. Beweismitteln beruhenden Feststellungen abgedeckt.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu den Spruchpunkten I. der angefochtenen Bescheide (Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz)

 

3.1. Rechtsgrundlagen:

 

3.1.1. "Flüchtling" i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge: "GFK") ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

3.1.2. Die §§ 3 und 11 AsylG 2005 lauten samt Überschrift:

 

"Status des Asylberechtigten

 

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat."

 

"Innerstaatliche Fluchtalternative

 

§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

3.1.3. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 i.V.m. Z 11 AsylG 2005 ist "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung i.S.d. Art. 9 der EU-Richtlinie 2011/95/EU (in Folge: "Statusrichtlinie").

 

Gemäß Art. 9 Abs. 1 Statusrichtlinie muss eine Handlung um als "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten,

 

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in Folge: "EMRK") keine Abweichung zulässig ist, oder

 

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

3.1.4. Als "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 leg. cit. können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

 

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

 

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

 

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

 

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

 

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und

 

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

 

3.1.5. § 18 Abs. 1 und 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) [...]

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

3.1.6. Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen.

 

3.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Bei der Beurteilung, ob eine asylrelevante Verfolgung als glaubhaft gemacht zu betrachten ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.2.2. Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, m.w.N.).

 

3.2.3. Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

 

3.2.4. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

3.2.5. Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, m.w.N.).

 

3.2.6. Die Gefahr der Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i.V.m. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

3.2.7. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

3.2.8. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt -asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

3.2.9. Eine auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung kann keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich entscheidend auch darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (vgl. VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059).

 

3.2.10. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können positive Feststellungen von der Behörde nicht getroffen werden (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz. 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die von einem Beschuldigten bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (vgl. VwGH 26.01.1996, 95/02/0289; zur Plausibilität s. VwGH 29.06.2000, 2000/01/0093; zu gehäuften und eklatanten Widersprüchen oder fehlendem Allgemein- und Detailwissen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 25.01.2001, Zl. 2000/20/0544, und vom 22.02.2001, Zl. 2000/20/0461). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz. 3.2. m.w.N.). Die Asylbehörden haben in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108, Rz. III.4., m.w.N.).

 

3.2.11. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.2.1. Zur möglichen Verfolgung durch die Taliban wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie:

 

3.2.1.1. Eine persönliche Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Statusrichtlinie gegen die Beschwerdeführer durch die Taliban kann nicht festgestellt werden. Ebenso nicht, dass die Taliban mit den Beschwerdeführern und deren Großfamilie in Kontakt traten, um den Aufenthaltsort dieses Bruders, welcher ja gerade von den Taliban entführt worden sein soll, in Erfahrung zu bringen.

 

3.2.1.2. Zwar kommt es auf eine konkrete Vorverfolgungshandlung bei der Beurteilung einer möglichen aktuellen Gefahr von Verfolgungshandlungen nicht an (dazu das bereits erwähnte Erkenntnis VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212). Es ist jedoch in Erinnerung zu rufen, dass eine Verfolgungsgefahr nur dann anzunehmen ist, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).

 

3.2.1.3. Nach den festgestellten Länderinformationen besteht zwar für Familienangehörige von Unterstützern der afghanischen Regierung ein grundsätzliches Risiko. Allerdings ist es in Anbetracht einer bereits vor längere Zeit beendeten Tätigkeit (festzustellen war nur eine Tätigkeit bis zum Jahr 2010) und noch dazu einer für eine Straßenbaufirma - dies etwa im Gegensatz zu Familienangehörigen von Streitkräfteangehörigen oder anderen unterstützenden Tätigkeiten im militärischen Bereich - nicht als maßgeblich anzusehen. Dafür spricht auch, dass nach der Berichtslage die Taliban solchen Personen - im Gegensatz zu anderen Zielpersonen - auch die Möglichkeit einräumen, durch Einstellung der Tätigkeit möglichen Verfolgungshandlungen zu entgehen.

 

3.2.1.4. Selbst wenn man annehmen würde, dass der Bruder des Zweitbeschwerdeführers von den Taliban wegen dessen Tätigkeit für eine amerikanische Firma verfolgt wurde und die Taliban den Beschwerdeführern gedroht hätten, wenn sie XXXX nicht übergeben, und daraus im Heimatort eine aktuelle Verfolgungsgefahr sieht, steht den Beschwerdeführern mit der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen:

 

Zunächst ist festzuhalten, dass nach den Länderinformationen die Stadt Mazar-e Sharif jedenfalls als unter der Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist und nicht von einem dortigen aktiven Konflikt zwischen der Regierung und regierungsfeindlichen Elementen ausgegangen werden muss.

 

Weiters ist den festgestellten Länderberichten (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Mögliche Verfolgung durch die Taliban") zu entnehmen, dass die Taliban zwar grundsätzlich - insbesondere durch deren existierendes Spionagenetzwerk - die Mittel hätten, die Beschwerdeführer auch in großen Städten aufzufinden und zu verfolgen. Auch seien nach Professor Giustozzi in dem für Landinfo verfassten Bericht die Taliban, wenngleich diese Information nur von diesen selbst stammt, von keiner weiteren Quelle bestätigt wird und sohin eingeschränkt zu werten ist, in der Lage in Erfahrung zu bringen, wer das Land betritt.

 

Davon ist allerdings die Frage zu trennen, ob gerade für die Beschwerdeführer auch am gegenständlich angenommenen Neuansiedelungsort nach Rückkehr in den Heimatstaat eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Gefährdungslage einer Verfolgung durch die Taliban zu prognostizieren wäre (s. dazu insbesondere VwGH 22.02.2018, Ra 2017/18/0066, Rz. 8 unter Hinweis auch auf die Ausführungen auf S. 118 der UNHCR-Richtlinien). Zunächst stellen sich nach den Länderinformationen größere Städte in Afghanistan im Hinblick auf das Entkommen vor (neuerlicher) Verfolgung grundsätzlich sicherer dar, weil Aufständische wie die Taliban dort, mit Ausnahme in der Stadt Kunduz, nicht in der Lage sind, Checkpoints zur Kontrolle von Personen einzurichten. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufsuchens und Verfolgens durch die Taliban bzw. vergleichbarer regierungsfeindlicher Elemente ist in Mazar-e Sharif und Herat mangels einer entsprechenden Verankerung bzw. Präsenz der Taliban geringer als dies im Vergleich dazu in den Städten Khost und Kunduz mit entsprechend starker Verankerung der Taliban der Fall wäre (vgl. den EASO-Bericht Verfolgung Einzelner auf S. 27). Die festgestellte Länderberichtslage betreffend die Gefahr für Familienangehörige (s. oben Pkt. II.1.5.7. "Taliban: Situation von Familienmitgliedern") zeigt jedenfalls in dem daraus abzuleitenden Gesamtbild nicht auf, dass bei Maßnahmen gegen einen Verwandten (Entführen bzw. Suchen des Bruders des Zweitbeschwerdeführers aufgrund seiner Tätigkeit für ein amerikanisches Unternehmen) schon grundsätzlich eine (erhöhte) Gefahr für die übrigen Familienmitglieder besteht.

 

Die Beschwerdeführer haben vorgebracht, dass die Taliban sie aufgesucht hätten, um den Aufenthaltsort des verschollenen Bruders zu ermitteln, weshalb sie aus ihrem Heimatort im Distrikt Qarabagh zu einem Onkel väterlicherseits des Zweitbeschwerdeführers in die Stadt Kabul geflüchtet sind. Dort waren sie jedenfalls 40 Tage aufhältig bevor sie Afghanistan verlassen haben. In dieser Zeit wurden durch die Taliban keine Handlungen oder Maßnahmen gegen die Beschwerdeführer in der Stadt Kabul gesetzt. Auch die Eltern des Zweitbeschwerdeführers sowie die Gattin des verschollenen Bruders und deren beiden Kinder, welche nach wie vor im Heimatdorf der Beschwerdeführer leben wurden weder bedroht noch in irgendeiner Weise von den Taliban verfolgt. Eine Bedrohung bzw. Verfolgung außerhalb ihres Heimatortes in der Provinz Kabul, insbesondere in der Stadt Mazar- e Sharif, wurde von den Beschwerdeführern nicht substantiiert vorgebracht.

 

Nach Mazar-e Sharif selbst könnten die Beschwerdeführer auch von Österreich aus sicher reisen und würden so insbesondere keine Gefahr laufen, bei einem Checkpoint der Taliban kontrolliert zu werden.

 

3.2.1.5. Aus der Gesamtschau aller oben genannten Umstände und dem daraus abzuleitenden Bild folgt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen - auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien betreffend die Relevanz einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bei Verfolgung durch regierungsfeindliche Elemente - keine maßgeblich wahrscheinliche (und nicht bloß entfernt mögliche) Gefährdung durch Verfolgungshandlungen durch die Taliban bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. insbesondere bei einer angenommenen Neuansiedelung in der Stadt Mazar- e Sharif bzw. wurde eine solche auch nicht glaubhaft gemacht.

 

3.2.1.6. Zu den im gegenständlichen Fall gegeben, sonstigen Voraussetzungen der Stadt Mazar-e Sharif als Ort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative i.S.d. § 11 AsylG 2005 siehe die Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.

 

3.2.2. Zur möglichen Verfolgung der Erstbeschwerdeführer aufgrund einer Verwestlichung (westlichen Orientierung, angenommenen selbstständigen Lebensweise):

 

3.2.2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin bringt vor, dass es in Anbetracht ihres Lebensstils ganz eindeutig erkennbar sei, dass sie in Österreich eine "westliche Lebensführung" angenommen habe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs würde die Unterdrückung einer solchen eine Verfolgung bedeuten (s. VHS1 S. 33; Stellungnahme vom 31.08.2018). Sie möchte sich weiterbilden. In Afghanistan wäre es ihr unmöglich einem Beruf nachzugehen und gleichzeitig die Sorgepflicht für ihre Kinder zu übernehmen (s. VHS2 S. 22).

 

3.2.2.2. Frauen können Asyl beanspruchen, wenn sie aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Zu prüfen sind dabei - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartenden Reaktionen auf die aktuelle, von der Frau weiterhin angestrebte Lebensweise in ihrer Heimatregion, um das Vorliegen eines Konventionsgrundes beurteilen zu können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl. dazu zuletzt VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388 m.w.N.).

 

Bei der Prüfung der Berechtigung eines Asylantrages einer weiblichen Antragstellerin ist zu untersuchen, ob der gepflegte Lebensstil die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan in einem Ausmaß verletzt, dass bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils) Verfolgung i.S.d. GFK drohen würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl liegen vor, wenn dieser Lebensstil ein wesentlicher Teil der Identität einer Antragstellerin geworden ist, sodass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (vgl. dazu VfGH 12.06.2015, E 573/2015).

 

Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. dazu etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994-1000).

 

Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist keine (Mindest‑)Dauer zu entnehmen, während derer eine Asylwerberin einen "westlich orientierten" Lebensstil gelebt haben muss, um davon ausgehen zu können, dass dieser ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301-0306, Rz. 10).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (s. zuletzt etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320, Rz. 10, m.w.N.).

 

3.2.2.3. Fasst man diese Rechtsprechung zusammen, so kommt es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts auf folgende Prüfschritte an:

Auf Grundlage von (i) Feststellungen zum Lebensstil bzw. der Lebensweise in Österreich ist (ii) zu prüfen, ob die Beibehaltung eines verfestigten Lebensstils bzw. dieser Lebensweise - (iii) wobei es bei einzelnen Aspekten eben darauf ankommt, ob diese schon so verfestigt sind, dass sie einen Teil der Gesamtidentität der Person ausmachen - (iv) in Gegenüberstellung mit der maßgeblichen Lage im jeweiligen Zielort (v) bei Gesamtschau zu einer asylrelevanten Verfolgung bzw. zu einer solchen Verfolgung gleichzuhaltenden Handlungen oder Maßnahmen führen würde.

 

3.2.2.4. Fallbezogen müsste die Beschwerdeführerin- dies jedenfalls bezogen auf die als Ort einer innerstaatlichen Fluchtalternative angenommene Stadt Mazar-e Sharif - den zum Bestandteil ihrer Identität gewordenen Lebensstil nicht soweit unterdrücken, als dass darin eine einer Verfolgung gleichzuhaltende Maßnahme bzw. Handlung zu erblicken ist:

 

3.2.2.5. Nach den getroffenen Feststellungen ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Lage für Frauen in Afghanistan seit dem Ende der Herrschaft der Taliban über weite Teile des Landes im Allgemeinen, insbesondere aber in urbanen Gebieten, verbessert hat. Andererseits bleibt die vollumfängliche Realisierung der wirtschaftlichen, sozialen und kultureller Rechte innerhalb der Gesellschaft schwierig.

 

3.2.2.6. Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen schließt auch das EASO, dass die Handlungen, denen Einzelpersonen im Rahmen dieses Profils ausgesetzt sein könnten, einer Verfolgung, insbesondere von Frauen, gleichkommen könnten (z.B. Gewalt durch Familienmitglieder, konservative Elemente der Gesellschaft und Aufständische). Doch wären nach dem EASO nicht alle Personen unter diesem Profil mit dem Risiko konfrontiert, das erforderlich ist, um eine begründete Angst vor Verfolgung aufzubauen. Bei der individuellen Beurteilung, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der jeweilige Antragsteller mit Verfolgung konfrontiert wird, sollten risikoinduzierende Umstände berücksichtigt werden, wie z.B.:

Geschlecht (das Risiko ist für Frauen höher), das vom Antragsteller gewählte Verhalten, Herkunftsgebiet (insbesondere in ländlichen Gebieten), konservatives Umfeld, Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen durch die Familie, Alter (es kann für Kinder schwierig sein, sich [wieder] an die sozialen Einschränkungen Afghanistans anzupassen), Sichtbarkeit des Antragstellers usw. (s. EASO-Länderleitfaden S. 47).

 

Generell ordnet das EASO das Risiko aus einer Verwestlichung jener Gruppe von Risikoprofilen zu, bei welchen basierend auf den verfügbaren Herkunftsstaatinformationen und der Analyse der Schluss gezogen wird, dass Personen unter den folgenden Profilen oder Teilprofilen eine begründete Angst vor Verfolgung in Bezug auf bestimmte risikoverstärkende Umstände (risk-enhancing circumstances) haben können (s. EASO-Länderleitfaden S. 19).

 

Der Anknüpfungspunkt für eine Asylgewährung i.d.Z. besteht für EASO in erster Linie in den - möglichen - Asylgründen Politik, Religion oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.

 

3.2.2.7. Stellt man nun den nach Setzung von § 18 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechenden Schritten ermittelten persönlichen Lebensstil der Erstbeschwerdeführerin (Pkt. II.1.3.1.) den Informationen zur Lage für Frauen bei Rückkehr nach Afghanistan und dort am angenommenen Neuansiedlungsort (Pkt. II.1.5.7. "Situation für Frauen in Afghanistan") gegenüber ergibt sich Folgendes:

 

3.2.2.8. Zunächst ist vor dem Hintergrund des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin auf S. 3 von deren Stellungnahme vom 31.08.2018 festzuhalten, dass gegenständlicher Entscheidung umfangreiche - und nicht bloß auf der von ihr zitierten Anfragebeantwortung beruhende - Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan bzw. auch am angenommenen Neuansiedlungsort zugrunde liegen, welche vor dem Hintergrund des § 3 AsylG 2005, der dazu ergangenen, zuvor wiedergegebenen Rechtsprechung sowie auch der Richtlinien des UNHCR sowie EASO ein umfassendes Bild darlegen.

 

3.2.2.9. Die Stadt Mazar-e Sharif steht vollständig unter Kontrolle der Regierung. Der Einfluss regierungsfeindlicher Elemente, welche gerade auch für Personen mit einem angenommenen, vom Ausdruck westlicher Werte gekennzeichneten Lebensstil eine Gefährdung darstellen könnte, ist im Wesentlichen auf die Möglichkeit der Verübung gelegentlicher Anschläge auf "High-Profile"-Ziele beschränkt.

 

3.2.2.10. Als jedenfalls - verinnerlichter und wesentlicher - Bestandteil der Identität der Beschwerdeführer war, dass sie selbstständig einkaufen geht und zu diesem Zweck auf öffentliche Verkehrsmittel allein (oder in Begleitung der Dritt- und Viertbeschwerdeführer) nutzt, selbständig wirtschaftliche Dispositionen i.d.Z. trifft oder auch selbstständig Arztbesuche wahrnimmt. Dazu ist nach den getroffenen Länderberichten zu schließen, dass die Erstbeschwerdeführerin in einer Großstadt wie Mazar-e Sharif und den dortigen gesellschaftlichen Gegebenheiten durchaus alleine (d.h. ohne ständige Begleitung durch ihren Ehemann), - und zwar aufgrund einer eigenständigen Entscheidung - einkaufen oder spazieren gehen, mit ihren Kindern den Arzt besuchen oder sich mit Freundinnen treffen kann. Ebenso kann sie dort bei der Verwaltung der Einkünfte der Familie mitentscheiden, ohne dass ihr deswegen Maßnahmen drohen würden. Es gäbe dort weder Schranken etwa einer strengen (konservativen) Familie noch der Gesellschaft an sich. Die Zweitbeschwerdeführerin wäre also insbesondere nicht zu Hause eingesperrt bzw. könnte spazieren gehen (s. VHS1 S. 31, Stellungnahme vom 31.08.2018, S. 1 f). Alle die soeben aufgezählten - von der Erstbeschwerdeführerin im Zuge ihres Aufenthaltes in Österreich bereits verinnerlichten - Verhaltensweisen und alltäglichen Handlungsmöglichkeiten, kann diese somit auch am angenommenen Ort der Neuansiedlung, der Stadt Mazar-e Sharif aufrechterhalten.

 

3.2.2.11. Betreffend eine angestrebte berufliche Zukunft der Erstbeschwerdeführerin übersieht das Bundesverwaltungsgericht zunächst nicht, dass nach wie vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten bestehen, mit welchen Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan zu kämpfen haben. Konkret zur Erstbeschwerdeführerin ist fallbezogen darauf hinzuweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin sich nach ihren Angaben mit dem konkret geäußerten Berufswunsch noch gar nicht näher auseinandergesetzt hat, d.h. noch gar nicht von einem wirklich verfestigten (d.h. verinnerlichten) - und - möglicherweise in Afghanistan, auch Mazar-e Sharif vollkommen unrealistischen - Berufswunsch auszugehen ist. Gegenständlich ist auch zu bedenken, dass die Erstbeschwerdeführerin über eine mehrjährige Schulbildung verfügt. Den Länderberichten ist jedenfalls zu entnehmen, dass die Aufnahme einer Tätigkeit in der Stadt Mazar-e Sharif für eine Frau vor allem im Gesundheits- oder Bildungsbereich, was dem derzeitigen Interesse der Beschwerdeführerin an einer Tätigkeit als Assistentin ("Kindergartenhelferin") in einem Kindergarten entsprechen würde, durchaus möglich ist. Außerhalb dieser Sektoren ist eine Beschäftigungsaufnahme für Frauen zwar sehr schwierig, jedoch auch nicht ausgeschlossen.

 

So liegt nach den getroffenen Länderfeststellungen die Akzeptanz der Beschäftigung von Frauen auch bei Tadschiken bei rund 75%. Überhaupt hat die städtische Bevölkerung kaum ein Problem mit der Beschäftigung von Frauen. Gerade im Dienstleistungssektor arbeitet zwischenzeitig eine nicht unwesentliche Anzahl von Frauen. Überhaupt laufen staatliche Unterstützungsprogramme zur Hebung der Frauenbeschäftigung, so etwa wurde im September 2017 in der Provinz Balkh ein Backausbildungszentrum, welches von Frauen geleitet wird eröffnet.

 

Nur der Vollständigkeit halber ist vor dem Hintergrund des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin (s. auf S. 3 deren Stellungnahme vom 31.08.2018) aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts darauf hinzuweisen, dass eine allenfalls fehlende - und für die Erwerbstätigkeit hinderliche - Kinderbetreuungsstruktur (z.B. ein staatliches Kindergartensystem) i. d.Z. aus Sicht des erkennenden Gerichts gegenständlich schon deshalb nicht von Relevanz ist, weil die Beschwerdeführerin eine entsprechende Arbeitstätigkeit außerhalb des eigenen Hauses (noch) nicht verinnerlicht hat (vgl. dazu auch EASO-Länderleitfaden, S. 57 unter "COI-Summary").

 

Andererseits wäre bei einer durch beschränkte Kinderbetreuungsmöglichkeiten eingeschränkten Möglichkeit einer Arbeitstätigkeit von keiner gesellschaftlichen oder staatlichen (religiös, politischen) Maßnahme bzw. Restriktion, welche als verfolgungsgleich gesehen werden könnte, auszugehen, sondern einer ökonomischen Restriktion. Es ist den festgestellten Länderinformationen hingegen kein grundsätzliches Bild zu entnehmen, dass es auch in einer Stadt wie Mazar-e Sharif gesellschaftlich nicht akzeptiert wird, dass Frauen ihr Kind zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Fremdbetreuung geben.

 

3.2.2.12. Auch ist aus dem Wunsch der Beschwerdeführerin, dass sich ihre Kinder bilden und sich einen Beruf frei wählen können - soweit dies überhaupt mit einer Verfolgungsgefahr aufgrund ihrer "Lebensweise" bzw. mit ihrem "Lebensstil" in Zusammenhang gebracht werden kann -, auch noch auf keine Gefahr einer Verfolgung in Mazar-e Sharif zu schließen. Sowohl ihrem Sohn als auch ihrer Tochter steht in Mazar-e Sharif der Weg zu Bildung, also dem Besuch einer Schule und - soweit dies im Entscheidungszeitpunkt überhaupt vorhergesagt werden kann - eine Auswahl an Berufsmöglichkeiten jedenfalls offen. Dies gilt auch für ihre eigenen Bildungsziele (dies vor dem Hintergrund ihres Vorbringens auf S. 10 der VHS2). Es ist also durchaus realistisch, dass die Erstbeschwerdeführerin bei Rückkehr nach Afghanistan nach einiger Zeit "auf eigenen Beinen" stehen könnte (s. VHS1 S. 31 bzw. unten unter Pkt. II.3.4.2.).

 

Keine Bedenken entstehen auch im Hinblick auf die festgestellten gesellschaftlichen Gegebenheiten am angenommenen Neuansiedlungsort auch dahingehend, dass die Erstbeschwerdeführerin die Partnerwahl ihren Kindern überlassen bzw. sich dabei nicht einmischen möchte (VHS1 S. 32).

 

3.2.2.13. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die konkrete Situation entscheidend von den Faktoren Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig ist. Dazu ist nun fallbezogen zu bemerken, dass die Erstbeschwerdeführerin zwar nie in Mazar-e Sharif gelebt hat jedoch der Zweitbeschwerdeführer als ihr Ehemann für die Familie sorgen könnte und wie festgestellt weitere Unterstützungsmöglichkeiten insbesondere durch die wohlhabende Familie ihres Ehemannes, welche die Beschwerdeführer auch finanziell unterstützen würde, gegeben sind. Wie festgestellt ist davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführer seine Frau bei ihren Plänen und ihrer selbstständigen Lebensführung vollumfänglich unterstützen würde. Er kann ihr in der Ehe aber auch einen entsprechenden Schutz bieten. Schon aus diesem Grund droht der Erstbeschwerdeführerin auch kein Leben, welches im Wesentlichen auf die eigene Wohnung bzw. Unterkunft beschränkt wäre. Eine einschränkend - konservative - Familienbande ist weder am Neuansiedlungsort noch sonst erkennbar.

 

3.2.2.14. Anpassen müsste die Erstbeschwerdeführerin - auch am angenommenen Neuansiedlungsort Mazar-e Sharif - jedenfalls ihren derzeitigen Kleidungsstil, wobei nach den Länderinformationen dort der Kleidungsstil durchaus lockerer ist als in ländlichen Gebieten. Jedenfalls ist den festgestellten Länderinformationen nicht zu entnehmen, dass etwa ein - stark verhüllender - Chador in Mazar-e Sharif getragen werden muss, um gegen eine Frau gerichtete Maßnahmen zu vermeiden. Auch gehören die Beschwerdeführer nicht der Volksgruppe der Pashtunen an, bei welchen nach den getroffenen Länderfeststellungen die gesellschaftlichen Restriktionen auch in größeren Städten betreffend die Kleidungswahl von Frauen erkennbar einschränkender sind.

 

Wenngleich auch die Umsetzung nach den festgestellten Länderinformationen nur zögerlich erfolgt (EWAV-Gesetz) und die Wirkung nur sehr eingeschränkt bleibt, ist es keinesfalls so, dass für Frauen in Mazar e Sharif überhaupt kein durchsetzbarer staatlicher Schutz ihrer Grundrechte bestehen würde. In diesem Zusammenhang wurde auch die EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten eingerichtet. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden. Auch die sozialen Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet. So ist in diesen der Kampf afghanischer Frauen und Mädchen, aber auch Jungen, gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in allen Formen tiefgründig dokumentiert.

 

Die afghanische Regierung hat sich zudem ausdrücklich der Ziele der Initiative der Vereinten Nationen zur Geschlechtergleichstellung "Planet 50-50 by 2030" verpflichtet und zählt dabei auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft um sicherzustellen, dass weibliches Empowerment als stetiger Prozess gesehen wird. So soll auch die Beteiligung von Frauen in allen Regierungsangelegenheiten gesteigert werden und der Frauenanteil in den Regierungsinstitutionen im Rahmen des Projekts "Frauen in der Regierung" auf 30% erhöht werden (s. Fact Finding Mission Bericht, S 25).

 

3.2.2.15. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, sie konnte in Afghanistan "nicht einmal Sport" treiben (VHS2 S. 7) ist zu erwägen, dass die zunächst gefragt nach Sport vorgab (VHS S. 5) "spazieren" zu gehen. Dies könnte sie - s. insbesondere auch oben unter Pkt. II.3.2.2.10. - bei Beachtung der Länderinformationen (s. oben unter Pkt. II.1.5.7. "Situation von Frauen in Afghanistan" - "Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten") am angenommenen Neuansiedlungsort grundsätzlich auch Freizeitmöglichkeiten.

 

3.2.2.16. Im Ergebnis ist daher auch bei Gesamtschau der dennoch verbleibenden, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Benachteiligungen im Hinblick auf die getroffenen Feststellungen zur Lebensweise bzw. zum Lebensstil in Österreich fallbezogen nicht davon auszugehen, dass diese sich so gravierend darstellen, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte der Erstbeschwerdeführerin darstellen, die gemäß Art. 9 Abs. 1 - und dort insbesondere lit. b) - der Statusrichtlinie einer "Verfolgung" i. S.d. Art. 1 Abschnitt A GFK gleichzuhalten wären. Jene Aspekte ihrer Lebensweise, welche die Erstbeschwerdeführerin in einem gewissen Umfang anpassen müsste - im Wesentlichen der gepflogene Kleidungsstil - sind aus Sicht des erkennenden Gerichts für sich genommen außerdem - und dies folgt vor allem in Bezug auf den Aspekt, ihrer bisherigen Aufenthaltsdauer in Österreich- noch kein "wesentlicher Bestandteil" ihrer Gesamtidentität geworden. Den wesentlichen Teil ihrer gepflegten Lebensweise bzw. ihres gepflegten Lebensstils, könnte die Erstbeschwerdeführerin am Neuansiedelungsort, der Stadt Mazar-e Sharif im Rahmen ihrer Ehe mit dem Zweitbeschwerdeführer nachgehen. Bei gesamthafter Betrachtung war für das erkennende Gericht bei Gegenüberstellung mit der Lage am angenommenen Neuansiedlungsort in Afghanistan nicht darauf zu schließen, dass die Lebensweise insgesamt bereits - wenngleich eine solche sicherlich erkennbar ist - einen derartigen Grad an Selbstbestimmtheit bzw. Selbstständigkeit aufweist, dass auch dort eine Aufrechterhaltung vollkommen unmöglich und somit von einer Verfolgung auszugehen wäre.

 

Die im gegenständlichen Fall bei der Erstbeschwerdeführerin vorzunehmende Anpassung lässt somit aus Sicht des erkennenden Gerichts aber noch auf keine Gefahr einer Situation welche einer Verfolgung i.S.d. gesetzlichen Definition gleichzuhalten wäre schließen. Die Beschwerdeführerin gehört somit nicht zur - auch am angenommenen Neuansiedlungsort verfolgten - sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen noch wurde bei Rückkehr die aktuelle Gefahr einer Verfolgung aus Gründen von Politik oder Religion glaubhaft gemacht.

 

3.2.3. Zu einer sonstigen möglichen geschlechtsspezifischen Verfolgungsgefahr der Erstbeschwerdeführerin als Frau:

 

3.2.3.1. Richteten sich Maßnahmen von asylrelevanter Intensität gegen Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (VwGH 05.03.2007, 2006/19/0290).

 

3.2.3.2. Der UNHCR ist der Ansicht, dass Frauen, die unter die folgenden Kategorien fallen, wahrscheinlich einen internationalen Flüchtlingsschutz benötigen: Überlebende und von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt bedrohte Personen, Überlebende und Personen, die von schädlichen traditionellen Praktiken bedroht sind; und Frauen, die als gegen soziale Normen verstoßend wahrgenommen werden (UNHCR-Richtlinien, S. 76).

 

3.2.3.3. Als grundsätzliche Risikoprofile für Frauen existieren in Afghanistan- abhängig von risikoverstärkenden Umständen des Einzelfalls - in erster Linie geschlechtsspezifische Gewalt wie auch schädliche traditionelle Heiratspraktiken.

 

I.d.Z. stellen sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen eine Verfolgung dar. Im Falle anderer Formen von Gewalt sollte bei der Bewertung die Schwere und Wiederholbarkeit der Gewalt berücksichtigt werden. Nicht alle Frauen sind mit dem Risiko konfrontiert, das erforderlich ist, um eine begründete Angst vor Verfolgung aufzubauen. Bei der individuellen Beurteilung, ob für den Antragsteller eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, mit Verfolgung konfrontiert zu werden, sollten risikobelastende Umstände berücksichtigt werden, wie z. B.: Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechte sozioökonomische Situation, Art der Arbeit und des Arbeitsumfeldes (für Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten) usw. (EASO-Länderleitfaden, S. 53).

 

Bei der individuellen Beurteilung schädlicher traditioneller Heiratspraktiken sollte im Hinblick auf die Wohlbegründetheit der Furcht insbesondere darauf abgestellt werden, ob für den Antragsteller eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, mit Verfolgung konfrontiert zu werden. Dabei sollten risikobelastende Umstände berücksichtigt werden, wie z.B.: junges Alter (insbesondere unter 16 Jahre), Herkunftsgebiet (besonders in ländlichen Gebieten), ethnische Zugehörigkeit (z.B. Paschtunen), Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechte sozioökonomische Situation der Familie, lokale Macht/Einfluss des (potenziellen) Ehemannes und seiner Familie oder seines Netzwerks usw. (EASO-Länderleitfaden, S. 54).

 

3.2.3.4. Vor diesem Hintergrund sind bei der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren - in Anbetracht des erstatteten Vorbringens der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie nach entsprechender Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde wie auch des erkennenden Gerichts - keine Anhaltspunkte für eine mögliche wohlbegründete Furcht hervorgekommen: So wird die Rückkehr in ein städtisches Gebiet angenommen, es handelt sich um Tadschiken, die sozioökonomische Situation wäre in Anbetracht der Unterstützungsmöglichkeiten (oben Pkt. II.1.4.) bei Berücksichtigung einer entsprechenden Übergangsphase unmittelbar nach Rückkehr jedenfalls nicht als schlecht einzustufen und weder der Zweitbeschwerdeführer noch die Familien von Erst- und Zweitbeschwerdeführer werfen Bedenken auf.

 

3.2.3.5. Auch aus sonstigen geschlechtsspezifischen Gründen ist daher nicht auf die Zugehörigkeit der Erstbeschwerdeführerin zu einer verfolgten sozialen Gruppe zu schließen bzw. wurde eine solche Zugehörigkeit nicht glaubhaft gemacht.

 

3.2.4. Zur möglichen Verfolgung des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin als Kinder:

 

3.2.4.1. Die Viertbeschwerdeführerin bringt auf den S. 3 ff ihrer Beschwerde vor, dass sie in Ihrem Bildungszugang diskriminiert wäre.

 

3.2.4.2. Nach Erwägungsgrund 28 der EU-Richtlinie 2011/95/EU sollten die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen Minderjähriger auf internationalen Schutz kinderspezifische Formen von Verfolgung berücksichtigen. Bei der Beurteilung der Intensität von Verfolgungshandlungen ist auf die Minderjährigkeit eines Asylwerbers Rücksicht zu nehmen (vgl. VwGH 15.03.2016, Ra 2015/17/0180 bzw. auch VwGH 26.06.1996, 95/20/0427).

 

3.2.4.3. Aus den Länderinformationen geht hervor, dass Kinder unter gewissen Umständen in Bereichen wie Versorgung, Gewalt, Zugang zu Schulbildung und Kinderarbeit nachteiliger Behandlung ausgesetzt sein können. Solche Handlungen wiederum können unter Umständen im Hinblick auf das Alter des Kindes, dessen fehlende Reife oder Verletzlichkeit eine kinderspezifische Form der "Verfolgung" darstellen (vgl. dazu auch die Richtlinien Nr. 8 von UNHCR zu Asylanträgen von Kindern vom 22.12.2009, HCR/GIP/09/08, Rz. 18). Das abstrakte Vorbringen in der Beschwerde und den Stellungnahmen zu einer altersspezifischen Gefährdung umfasst die prekäre Lage für unbegleitete Kinder ohne soziales Netz, insbesondere die Gefahr, wegen alleiniger Rückkehr in den Herkunftsstaat Opfer von Ausbeutung, Missbrauch, Zwangsrekrutierung und Gewalt zu werden. Damit wurden eine Reihe von Gefährdungsfaktoren vorgebracht, wobei jeweils davon ausgegangen wurde, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen bei Rückkehr auf sich allein gestellten Minderjährigen handle und sich dadurch das jeweilige Verfolgungsrisiko erhöhen würde.

 

3.2.4.4. Den UNHCR-Richtlinien ist zu entnehmen, dass abhängig von den besonderen Umständen des Falles Kinder, die unter die folgenden Kategorien fallen, internationalen Flüchtlingsschutz benötigen können: Kinder aus Gebieten, in denen entweder das Alter oder Elemente des ANSF die Rekrutierung von Minderjährigen nutzen, Überlebende und von schädlichen traditionellen Praktiken bedrohte Personen, einschließlich Kinderheirat und Zwangsheirat, Kinder aus sozialen Milieus, in denen gebundene oder gefährliche Kinderarbeit praktiziert wird, Überlebende und von Gewalt gegen Kinder gefährdete Personen (einschließlich sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Kinder aus sozialen Milieus, in denen solche Gewalt praktiziert wird), Kinder im Schulalter, insbesondere Mädchen, und Kinder, gegen deren Eltern die ANSF oder regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen, Repressalien zu setzen, und Kinder, die von der ANSF oder regierungsfeindliche Gruppierungen beschuldigt werden der Gegenpartei geholfen zu haben (UNHCR-Richtlinien, S. 85 f).

 

3.2.4.5. Das EASO hält fest, dass nicht alle Formen der Kinderarbeit einer Verfolgung gleichkommen würden. Eine Bewertung sollte unter Berücksichtigung der Art der Arbeit und des Alters des Kindes erfolgen. Bei Arbeiten, die die Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Kindern beeinträchtigen könnte davon ausgegangen werden, dass sie die Schwere der Verfolgung erreichen. Die Auswirkungen von Kinderarbeit auf den Zugang zur Bildung sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Andere Risiken, wie die Beteiligung an kriminellen Aktivitäten und der Menschenhandel, sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Ein relevanter risikobeeinflussender Umstand in dieser Hinsicht wäre auch ein schlechter sozioökonomischer Status des Kindes und seiner Familie. Bei Prüfung, ob es durch Gewalthandlungen wiederum zu Verfolgungshandlungen kommen kann, sollten nach dem EASO risikoinduzierende Umstände berücksichtigt werden, wie z.B.: Geschlecht (Jungen und Mädchen können unterschiedlichen Risiken ausgesetzt sein), Alter und Aussehen (z. B. nicht bärtige Jungen könnten als Bacha-Bazi betrachtet werden), Wahrnehmung der traditionellen Geschlechterrollen in der Familie, schlechte sozioökonomische Situation des Kindes und der Familie usw. Die allgemeinen Defizite im Bildungssystem und die begrenzten Bildungsmöglichkeiten können aus Sicht des EASO als solche nicht als Verfolgung angesehen werden, da sie nicht das Ergebnis des bewussten Handelns eines Dritten sind. Im Falle einer bewussten Beschränkung des Zugangs zur Bildung, insbesondere für Mädchen, könnte dies jedoch einer Verfolgung gleichkommen (EASO-Länderleitfaden, S. 49 ff).

 

3.2.4.6. Betreffend den Bildungszugang für Kinder zeigt sich, dass für Mädchen - und dabei kann in Anbetracht des Alters der Viertbeschwerdeführerin eine bloß sehr ungenaue Zukunftsprognose gestellt werden - im Hinblick auf die - gegenständlich als Neuansiedlungsort bei Rückkehr nach Afghanistan angenommene Stadt Mazar-e Sharif - ein ausreichender und freier Zugang auch für Mädchen gewährleistet ist (s. oben Pkt. II.1.5.3. "Zur Lage von Kindern in Mazar-e Sharif": "Allgemeines" bzw. "Zugang zu Bildung in Mazar-e Sharif") und auch regierungsfeindliche (terroristische) Elemente keinen Einfluss i.d.Z. haben (s. zu diesem Aspekt VfGH 30.11.2017, E2528-2532, Pkt. 3, m.w.N.).

 

3.2.4.7. Sonstige mögliche Risiken für Kinder beruhen primär auf dem Fehlen einer familiären bzw. sozialen Unterstützung und werden durch gesellschaftliche Restriktionen begünstigt. Der Drittbeschwerdeführer wie auch die Viertbeschwerdeführerin leben im Familienverband mit ihren Eltern. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan bzw. Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif könnte längerfristig gesehen jedenfalls ihre "Existenzgrundlage" durch ihre Eltern gesichert werden; dies insbesondere auch aufgrund der festgestellten Unterstützungsmöglichkeiten (s. oben Pkt. II.1.4.). Laut den Länderinformationen geht Gewalt gegen Kinder, insbesondere gegen Mädchen, überwiegend von Familienangehörigen aus, es gab jedoch während des gesamten Verfahrens keinerlei Anzeichen dafür, dass der Drittbeschwerdeführer oder die Viertbeschwerdeführerin durch ihre Eltern Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuellen Missbrauch erfahren hätten.

 

3.2.4.8. Überhaupt belegen die getroffenen Feststellungen zur Lage von Kindern generell, dass sich diese deutlich verbessert hat - so wurden mittlerweile rund zwei Drittel der Kinder eingeschult, davon sind 40% Mädchen. Für die konkrete Rückkehrsituation des minderjährigen Drittbeschwerdeführers als auch der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin, welche sich derzeit ohnehin noch im Kleinkindalter befindet, ist maßgeblich, dass in Gesamtbetrachtung keine allgemeinen Umstände ersichtlich sind, dass den Kindern - abgesehen vom Geschlecht der Viertbeschwerdeführerin und soweit auf diese überhaupt bereits eine Prognose abgegeben werden kann - ein Schulbesuch gerade in der Stadt Mazar-e Sharif verwehrt sein könnte. Die allgemeinen Länderfeststellungen legen dar, dass sich der gewaltfreie Umgang mit Kindern in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen konnte und körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet sind. Auch in diesem Zusammenhang ergeben sich für den Drittbeschwerdeführer und auch die Viertbeschwerdeführerin keine Anhaltspunkte, dass sie in ihrer konkreten Lebenssituation von Derartigem betroffen sein könnten, weil es keinerlei Hinweise auf Gewalt in deren Familie gibt. Es gibt auch keinen hinreichenden Beleg dafür, dass der Drittbeschwerdeführer bzw. in weiterer Folge auch die Viertbeschwerdeführerin in der Schule oder durch die Polizei Gewalt ausgesetzt sein werden - auch wenn die abstrakte Möglichkeit besteht, Opfer derartiger Gewalt zu werden, ist dies hier nicht konkret indiziert. Gewalt in der Schule ist laut den Länderfeststellungen in ländlichen Gebieten gebräuchlich, dafür, dass sich die Situation in Mazar-e Sharif ähnlich gelagert darstellt, gibt es aber keine Anhaltspunkte. Da die minderjährigen Beschwerdeführer ohnehin mit ihren Eltern und der erweiterten Familie in Afghanistan über ein sie schützendes Netz verfügen, ist auch nicht indiziert, dass sie Derartigem ausgesetzt sein könnten. Gleiches gilt für die potentielle Gefahr, Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden. Aufgrund des guten wirtschaftlichen Hintergrundes der Familie bestehen auch keine Anhaltspunkte, wonach die minderjährigen Beschwerdeführer von Kinderarbeit bedroht sein könnten.

 

3.2.4.9. Anders als dies der Zweitbeschwerdeführer befürchtet (s. S. 28 VHS1) liegt -am angenommenen Neuansiedlungsort bei Rückkehr nach Afghanistan - auch nach den getroffenen Feststellungen kein maßgebliches Indiz dafür vor, dass die Viertbeschwerdeführerin - auch unter Berücksichtigung ihrer Minderjährigkeit - einer maßgeblich wahrscheinlichen Gefahr einer Zwangsverheiratung ausgesetzt wäre: So wird die Rückkehr in ein städtisches Gebiet angenommen, es handelt sich um eine tadschikische Familie, es bestehen keine konservativen Familienbanden und auch die bei Rückkehr anzunehmende sozioökonomische Situation von Erst- bis Viertbeschwerdeführer bietet keine Anhaltspunkte in diese Richtung (s. dazu die umfassenden Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.).

 

3.2.4.10. Auch bei sorgfältiger Abwägung wurde eine Asylrelevanz im Hinblick den Drittbeschwerdeführer wie auch die Viertbeschwerdeführerin somit weder im Hinblick auf einen spezifischen Grund nach Art. 1 Abschnitt A GFK, z.B. wegen einer politisch-oppositionellen Haltung, noch - dies auch bei Gesamtschau der allgemeinen Lagefeststellungen mit den individuellen Umständen der Beschwerdeführer und der Art und Häufigkeit möglicher Handlungen und Maßnahmen - noch wegen der Zugehörigkeit zu einer verfolgten sozialen Gruppe glaubhaft gemacht.

 

3.2.5. Sonstige mögliche asylrelevante Gründe:

 

3.2.5.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt im Umstand, dass im Heimatland des Revisionswerbers Bürgerkrieg herrscht, für sich allein keine Verfolgungsgefahr i.S.d. GFK (vgl. VwGH 17.11.2017, Ra 2017/20/0404, Rz. 7 m.w.N.). Auch eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Überhaupt rechtfertigen wirtschaftliche Gründe nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

3.2.5.2. Eine Asylrelevanz im Hinblick auf sonstige Gründe ist aus dem festgestellten Sachverhalt bzw. dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht ersichtlich: Während einer kriegerischen Situation als solches keine Asylrelevanz zukommt hätten die Beschwerdeführer bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat jedenfalls eine Existenzgrundlage (s. dazu die weitergehenden Erwägungen unten unter Pkt. II.3.4.2.).

 

3.2.6. Ergebnis:

 

3.2.6.1. Insgesamt ist es den Beschwerdeführern nicht gelungen, eine ihnen bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, die Intensität von Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 erreichende Gefahr glaubhaft zu machen. Dies wurde im Hinblick auf mögliche Verfolgungssituationen insbesondere der Pkt. 3.2.2., 3.2.3. und 3.2.4. unter Annahme einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative (behandelt unten unter Pkt. II.3.4.2.) erwogen.

 

3.2.6.2. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide waren somit unbegründet.

 

Zu den Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide (Abweisung der Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes)

 

3.3. Rechtsgrundlagen:

 

3.3.1. Gemäß Art. 2 Abs. 1 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist. Nach Art. 2 Abs. 2 leg. cit. wird eine Tötung nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

 

a) jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

 

b) jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

 

c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

3.3.2. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.

 

3.3.3. § 8 Abs. 1 bis 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht."

 

3.4. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bezieht sich direkt auf die EMRK. Gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. Sind die Artikel 2 (Recht auf Leben) und 3 EMRK (Verbot der unmenschlichen Behandlung) sowie das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe zu berücksichtigen. Diese Normen fragen im Gegensatz zu § 3 AsylG 2005 i. V.m. der GFK grundsätzlich nicht danach, aus welchen Gründen die Verfolgungsgefahren resultieren (ursachenunabhängiger Schutzbereich). Darin liegt im Wesentlichen auch der Unterschied zu der Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 (die GFK schützt eben nur vor Verfolgung aus gewissen Gründen, z.B. aus religiösen, ethnischen, politischen usw.). Damit kann der nach den Gründen der Verfolgung grundsätzlich nicht fragende Schutzbereich des § 8 AsylG 2005 doch wesentlich weiter gehen, als der nur aus bestimmten Gründen greifende Schutzbereich der GFK bzw. § 3 leg. cit. (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 8 AsylG 2005, K7).

 

3.4.2. Bei der Beurteilung, ob einem Antragsteller der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen ist sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.4.3. Zunächst ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Dazu hat der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation durch konkrete, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. etwa zur das Erkenntnis vom 02.08.2000, 98/21/0461, welches noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage erging, aber weiterhin als relevant anzusehen ist). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

3.4.4. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

3.4.5. Vor dem Hintergrund von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof spezifisch zu Afghanistan ausgesprochen:

 

Bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 AsylG ist im Einzelfall zu prüfen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung der erwähnten Bestimmung notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Diese Darlegung obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person. Diese hat durch geeignete Beweise gewichtige Gründe für eine Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, m.w.N. und Hinweisen insbesondere auch auf Rechtsprechung des EuGHs sowie des EGMR). Auch in jüngeren Erkenntnissen hat der Verwaltungsgerichtshof an den Leitlinien dieser Rechtsprechung festgehalten (vgl. dazu etwa VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 20.09.2017, Ra 2017/19/0205, Ra 2017/19/0190 und Ra 2016/19/0209; 18.10.2017, Ra 2017/19/0420; 05.12.2017, Ra 2017/01/0236).

 

3.4.6. Notorische Entwicklungen im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, auch wenn sie "bloß" für die Entscheidung nach § 8 AsylG 2005 von Relevanz sind, müssen von Amts wegen berücksichtigt werden (VwGH 29.1.2002, 2001/01/0030).

 

3.4.7. Bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt ist zunächst die Heimatregion eines Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen (vgl. VfGH 13.09.2013, U370/2012).

 

3.4.8. Daraus folgt für den gegenständlichen Fall:

 

3.4.1. Zur Situation in der Heimatprovinz bzw. dem Heimatdistrikt der Beschwerdeführer:

 

3.4.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stammen aus der afghanischen Provinz Kabul. Aufgrund der zugrundeliegenden Länderfeststellungen ist in Anbetracht der Sicherheitslage in dieser Provinz im Entscheidungszeitpunkt davon auszugehen, dass auf ein - reales - Risiko einer möglichen Verletzung von Art. 3 EMRK zu schließen ist, zählt Kabul doch zu den relativ volatilen Provinzen des Landes. Zu beachten sind hier auch die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, in denen zur internationalen Schutz- bzw. Fluchtalternative in der Stadt Kabul ausgeführt wurde, dass angesichts der derzeitigen prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie der humanitären Situation UNHCR davon ausgeht, dass eine Schutz- bzw. Fluchtalternative in der Stadt Kabul generell nicht zur Verfügung steht.

 

3.4.1.2. Daher erscheint es geradezu wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführer durch ihre bloße Anwesenheit ein Gewaltopfer werden könnten.

 

3.4.1.3. Allerdings steht gegenständlich den Beschwerdeführern mit der Stadt Mazar-e Sharif eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan gemäß § 11 AsylG 2005 offen:

 

3.4.2. Zu einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative:

 

3.4.2.1. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist nach § 11 AsylG 2005 bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen zu bejahen:

 

(i) Einem Asylwerber muss in einem Teil seines Herkunftsstaats vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden können.

 

Schutz ist gewährleistet, wenn

 

(i) a) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und

 

(i) b) die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind. Die Bedingungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sind dann gegeben, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(ii) Dem Asylwerber muss der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebiets zugemutet werden können.

 

3.4.2.2. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

3.4.2.3. Bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind, insbesondere im Hinblick auf den Herkunftsstaat Afghanistan folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u. a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass ein Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

3.4.2.4. Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459).

 

3.4.2.5. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr unter anderem innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit (zuletzt etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118 m.w.N.).

 

3.4.2.6. Zuletzt hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, ausgesprochen, dass mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können muss, dass der Asylwerber in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere unter Hinweis auf die Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4 sowie der Statusrichtlinie auch festgehalten, dass die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative danach zu beurteilen ist, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann.

 

3.4.2.7. Nach den rechtlich unverbindlichen UNHCR-Richtlinien, welchen aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besondere Beachtung zu schenken ist (s. etwa VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118), hängt die Beantwortung der Frage, ob einem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren ab. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden (vgl. Richtlinien des UNHCR zum internationalen Schutz Nr. 4 "Interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative" vom 23. Juli 2003, Rz. 23 ff). Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens wird in den erwähnten Richtlinien an der genannten Stelle u.a. ausgeführt, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

3.4.2.8. Vor diesem Hintergrund und unter Beachtung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und ihren persönlichen Umständen steht den Beschwerdeführern im gegenständlichen Fall eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Dazu im Einzelnen:

 

Ad (i) a)

 

3.4.2.9. Wie oben unter Pkt. II.3.2. zu den getroffenen Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer - dies insbesondere auch im Hinblick auf die Erstbeschwerdeführerin (Pkt. II.3.2.2) und auch der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer (Pkt. II.3.2.3.) - erwogen haben diese bei Rückkehr nach Afghanistan bzw. nach Mazar-e Sharif keine ihnen drohende asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daraus folgt, dass auch keine "wohlbegründete Furcht" nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegt.

 

3.4.2.10. Die Stadt Mazar-e Sharif bietet, soweit sie als im Hinblick auf die unter Pkt. II.3.2. behandelten, möglichen asylrelevanten Umstände als asylausschlussbegründend wirkt, auch für die Zukunft eine sichere und vernünftige Alternative (UNHCR-Richtlinien, S. 105) zu einer Rückkehr in die Provinz Kabul bzw. dort in den Distrikt Qarabagh. Jedenfalls ist den Länderberichten kein Anhaltspunkt zu entnehmen, nach welchem mit maßgebliche Wahrscheinlichkeit darauf zu schließen wäre, dass sich die Situation in der Zukunft - vor allem im Hinblick auf die Situation von Frauen und Minderjährigen wieder - d.h. nachteilig für die Beschwerdeführer - ändern würde.

 

3.4.2.11. Es sind im Verfahren unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beschwerdeführer sowie dem § 18 AsylG 2005 entsprechender Ermittlungstätigkeit auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass den Beschwerdeführern am Neuansiedlungsort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus anderen Gründen Verfolgungshandlungen mit einem Bezug zu Art. 1 Abschnitt A GFK drohen würden.

 

Ad (i) b)

 

Zur Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif als Ort der möglichen Rückkehr

 

3.4.2.12. Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft ist zunächst festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen (Pkt. II.1.5.3. "Lage in der Stadt Mazar-e Sharif" "Sicherheit") jedenfalls als unter Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist. Auch ergibt sich daraus nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre.

 

Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den ruhigen Provinzen Nordafghanistans mit im Jahr 2017 neun zivilen Opfern auf 100.000 Einwohnern. Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Aus dem erwähnten Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge bzw. sonstige sicherheitsrelevante Vorfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter ("high-profile"-Ziele) wie insbesondere Regierungseinrichtungen oder Armeestützpunkte, in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch begründet aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Vorfall ausgelöst durch regierungsfeindliche Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für die Beschwerdeführer noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung ihrer durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (dazu VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, m.w.N.): Die in Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereigneten sich hauptsächlich im Nahebereich der dargestellten "high-profile"-Ziele. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten und auch bei Berücksichtigung bestimmter, üblicherweise zu erwartender Bewegungen der Beschwerdeführer nach deren Neuansiedlung (insbesondere der Weg zu Orten des Einkaufs von Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu [möglichen, zukünftigen] Arbeitsstätten oder medizinischen Einrichtungen) nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass von einem bereits erreichten Gewaltausmaß, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch die Beschwerdeführer tatsächlich und durch ihre bloße Anwesenheit in der Stadt Mazar-e Sharif Opfer eines Gewaltaktes werden würde, gesprochen werden muss. Dies insbesondere, wenn man dabei die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl von Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüberstellt. Auch EASO geht (vgl. dazu EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 99) vor dem Hintergrund von Art. 8 Statusrichtlinie grundsätzlich davon aus, dass das Ausmaß der willkürlichen Gewalt in Mazar-e Sharif nicht ein so hohes Niveau erreicht, dass ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einem tatsächlichen Risiko eines schweren Schadens ausgesetzt wäre.

 

3.4.2.13. Die Beschwerdeführer könnten Mazar-e Sharif über den Luftweg aufgrund des vorhandenen, internationalen Flughafens praktikabel, sicher und legal erreichen.

 

Zur Vulnerabilität wegen Erkrankungen des Zweitbeschwerdeführers

 

3.4.2.14. Die Erstbeschwerdeführerin wie auch der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin sind gesund.

 

3.4.2.15. Im Hinblick auf die geltend gemachten psychischen Erkrankungen des Zweitbeschwerdeführers ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass nach der zu § 8 AsylG 2005 bzw. Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung ein Fremder im Allgemeinen kein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. dazu VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, Rz. 20, sowie das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz. 189 ff).

 

3.4.2.16. Im gegenständlichen Fall steht dem Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif als angenommener Ort einer innerstaatlichen Fluchtalternative jedenfalls der Zugang zur notwendigen Behandlung für eine Anpassungsstörung mit Ängsten, Schlaflosigkeit sowie Kopfschmerzen zur Verfügung. Nach den vorgelegten ärztlichen Befunden und den darauf aufbauenden Feststellungen ergeben sich betreffend den Zweitbeschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt jedenfalls keine Hinweise auf ein psychotisches Geschehen oder eine erhöhte Suizidalität. Er steht derzeit in ambulanter ärztlicher Behandlung und ist psychisch stabil. Aus den Feststellungen zur Lage vor Ort ergibt sich, dass in der Stadt Mazar-e Sharif alle relevanten medizinischen Behandlungen für psychiatrische Krankheiten vorhanden sind.

 

3.4.2.17. Im Regionalkrankenhaus in Mazar-e Sharif, bei welchem es sich um eine öffentliche Krankenanstalt handelt, sind sämtliche Behandlungen kostenlos. Dieses Krankenhaus verfügt außerdem über einen Neuropsychiater zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen, einschließlich Anpassungsstörungen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit private Spezialisten aufzusuchen. Bei Inanspruchnahme privater Krankenhäuser bzw. von Privatärzten muss der Patient die Kosten für Medikamente, Psychotherapie, Nachbehandlungen und Kontrolluntersuchungen selbst bezahlen. Die dem Beschwerdeführer verschriebenen Medikamente Deanxit und Lyrica sind in Mazar-e Sharif jedenfalls verfügbar. Das Medikament Dominal forte mit dem Wirkstoff Prothipendyl ist in Afghanistan nicht erhältlich. Von den Ärzten werden jedoch in der Regel Benzodiazepinantagonisten wie Bromazepam, Lorazepam, Alprazolam und andere Medikamente aus dieser Gruppe verschrieben.

 

Wenn man davon ausgeht, dass der Vorrat an kostenlosen Medikamenten den Bedarf des Zweitbeschwerdeführers nicht ständig decken können wird, so stehen - s. dazu oben unter Pkt. II.1.4. - grundsätzlich Rückkehrhilfen gerade auch zur medizinischen Versorgung (d.h. für die erste Zeit) zur Verfügung. Es ist auch davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers ihn nach Kräften finanziell unterstützen würde. Überdies ist, s. dazu unten Pkt. II.3.4.2., davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer spätestens nach einer gewissen Übergangszeit die Medikation - deren Preise als angemessen anzusehen sind - selbst finanzieren können wird.

 

3.4.2.18. Ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK wurde mit dem Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers zu seinen Erkrankungen wie auch den dazu getroffenen Feststellungen nicht glaubhaft gemacht. Weiters ist auf die Erwägungen unten (zu ii) bei den Erwägungen zur Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen.

 

3.4.2.19. Dem vom Zweitbeschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 31.08.2018 gestellten Antrag auf Einholung eines fachärztlichen Gutachtens, mit welchem die Konsequenzen einer Umstellung der medikamentösen Behandlung, die Folgen einer Überstellung in ein Gebiet mit fragiler Sicherheitslage und die Auswirkung einer Trennung vom Bruder des Zweitbeschwerdeführers auf dessen psychischen Gesundheitszustand erhoben werden sollen, dies wenn von einer möglichen "IFA Kabul" ausgegangen wird, brauchte fallbezogen aus folgenden Erwägungen nicht nachgekommen zu werden:

 

3.4.2.20. Erheblich ist ein Beweisantrag dann, wenn das Beweisthema eine für die Rechtsanwendung mittelbar oder unmittelbar erhebliche Tatsache ist (VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0189). Erkundungsbeweise sind Beweise, die nicht konkrete Behauptungen, sondern lediglich unbestimmte Vermutungen zum Gegenstand haben. Sie dienen also nicht dazu, ein konkretes Vorbringen der Partei zu untermauern, sondern sollen es erst ermöglichen, dieses zu erstatten. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Erkundungsbeweise im Verwaltungsverfahren - und somit auch im bundesverwaltungsgerichtlichen Verfahren - unzulässig (VwGH 11.05.2017, Ro 2016/21/0012). Daher ist das Bundesverwaltungsgericht nicht i.S.d. §§ 37 i.V.m. 39 Abs. 2 AVG zur Durchführung eines solchen Beweises (zur Entsprechung eines dahingehenden Antrages) verpflichtet, sodass deren Unterlassung keinen Verfahrensmangel bedeutet (vgl. bei Hengstschläger/Leeb, AVG, Rz. 16 zu § 46 m.w.N.).

 

3.4.2.21. Dass ein Medikament verschreibungspflichtig ist macht es noch nicht erforderlich - es gibt ja in Afghanistan bzw. insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif Einrichtung zur Behandlung psychischer Erkrankungen, was nach allgemeiner Lebenserfahrung auch die Auswahl und Verschreibung entsprechender Arzneimittel umfasst - sachverständig zu ermitteln, ob die Umstellung auf - darüber hinaus - wirkstoffgleiche Arzneimittel "in Frage kommt" (wie oben festgestellt, ist der in "Dominal forte" enthaltene Wirkstoff - Prothipendyl - in Afghanistan verfügbar). Wie bereits dargelegt besteht - ohne, dass dies bereits anzunehmen wäre - im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK kein Anspruch auf eine - vollkommen - gleichwertige Behandlung.

 

3.4.2.22. Schon aus dem Beweisantrag ist ersichtlich, dass es Bedenken hinsichtlich einer Rückkehr in die Stadt Kabul gibt. Diese Stadt wird jedoch gegenständlich nicht als Neuansiedlungsort angenommen. Die generelle Sicherheitslage in der Stadt Kabul kann - siehe auch die auf aktuellen und gegenständlich auch festgestellten Länderinformationen beruhende Einschätzung des EASO unten unter Pkt. II.3.4.20 - als wesentlich schlechter gesehen werden als diejenige in der Stadt Mazar-e Sharif. Dass die Rückführung nach Afghanistan aus Sicht der IOM aufgrund der dortigen generellen Sicherheitslage nicht als "förderlich" gesehen wird zwingt nicht dazu weitere Ermittlungsschritte - dies in Form der Einholung eines Gutachtens - zu setzen.

 

3.4.2.23. Aus dem vorgelegten Schreiben der Fachärztin für Psychiatrie - dazu wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2018 in Folge seiner Mitwirkungspflicht aufgefordert - geht nicht hervor, dass die Arbeit mit bzw. die Unterstützung durch den Bruder für die Besserung der Erkrankung erforderlich wäre.

 

3.4.2.24. Darüber hinaus ergibt sich aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens und der anderen beigezogenen Länderinformationen aus Sicht des Gerichts ein hinreichend schlüssiges Gesamtbild betreffend die vorgebrachten gesundheitlichen Aspekte des Zweitbeschwerdeführers, sodass im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen gelangt werden konnte (VwGH 21.03. 1991, 90/09/0097; 19.03.1992, 91/09/0187; 16.10.1997, 96/06/0004; 13.09. 2002, 99/12/0139; vgl. auch VwGH 12.03.1991, 87/07/0054).

 

Zur besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführer als Familie mit kleinen Kindern bzw. des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin als solches

 

3.4.2.25. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern. Diese ist im Hinblick auf die Definition nach Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU als "besonders vulnerabel" anzusehen. Dies wiederum verlangt - auch bei Kindern, welche mit ihren Eltern leben - nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation die Beschwerdeführer am angenommenen Rückkehrort vorfinden, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (vgl. VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474-0479 sowie VfGH 11.10.2017, E 1803-1805/2017, Pkt. 2.2 unter Hinweis insbesondere auf Art. 24 Abs. 2 GRC, Art. I des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern und das Urteil des EuGH vom 06.06.2013, Rs. C- 648/11 , MA u.a.).

 

3.4.2.26. Vor dem Hintergrund des aktuellen Bilds zum Muster sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. der Sicherheitslage als solches von Mai 2018 (EASO-Sicherheitsupdate Mai 2018) geht EASO davon aus, dass die Provinz Balkh insgesamt - und dies bedeutet auch einschließlich der Stadt Mazar-e Sharif - als Gebiet anzusehen ist, in dem wahllose Gewalt auf einem - etwa verglichen zur Provinz Kabul bzw. auch der Stadt Kabul - so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein echtes Risiko für einen Zivilisten besteht, persönlich von wahlloser Gewalt im Sinne von Art. 15 lit. c Statusrichtlinie betroffen zu sein. Allerdings müssten immer einzelne Elemente berücksichtigt werden, weil sie den Antragsteller in risikoerhöhende Situationen bringen können. Zivilpersonen, denen es an der Fähigkeit mangelt, eine Situation richtig einzuschätzen könnten sich daher Risiken im Zusammenhang mit willkürlicher Gewalt aussetzen (z.B. Kinder - je nach Umgebung, familiärem Hintergrund, Eltern oder Erziehungsberechtigten und Reifegrad; geistig Behinderte, s. EASO-Länderleitfaden, S. 24 und 25).

 

3.4.2.27. Der UNHCR weist i.d.Z. - wie EASO vor dem Hintergrund der Berichte von EASO zur Sicherheitslage bzw. dem aus diesem zu entnehmenden Muster aus Mai 2018 - darauf hin, dass nur wenige Städte in Afghanistan von Angriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen verschont bleiben, denen es auf zivile Opfer ankommt ("seek to make civilian victims"). Er stellt auch fest, dass gerade Zivilisten an den täglichen wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten in städtischen Gebieten teilnehmen, die der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer solcher Gewalt zu werden. Zu diesen Aktivitäten gehören Reisen zu und von einem Arbeitsplatz, Reisen zu Krankenhäusern und Kliniken oder Reisen zur Schule, Lebensunterhaltsaktivitäten, die in den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkauf, sowie das Gehen zu Märkten, Moscheen und anderen Orten, an denen sich Menschen treffen (UNHCR-Richtlinien S. 110 f und insbesondere FN 678). Vor der Berichtslage des EASO zur Sicherheitssituation sieht der UNHCR bei der Relevanzprüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative für die Stadt Kabul ein Risiko für Zivilisten bei ihren täglichen Verrichtungen Opfer der allgemeinen Gewalt ("generalized violence") zu werden (vgl. UNHCR-Richtlinien, FN 688).

 

3.4.2.28. Gegenständlich wird für den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin jedoch die - grundsätzlich sowohl vom UNHCR wie auch EASO erkennbar anders als Kabul bewertete - Stadt Mazar-e Sharif als Rückkehrort angenommen. Sie kehren dorthin in einem funktionierenden Verband mit ihren fürsorglichen Eltern zurück.

 

3.4.2.29. Das erkennende Gericht übersieht dabei nicht, - s. dazu oben die Feststellung unter Pkt. II.1.5.7. "Situation von Kindern" "Sicherheit für Kinder allgemein" bzw. zu aktuellen Entwicklungen für Kinder im Jahr 2018 unter Pkt. II.1.5.1. - dass gerade Sprengkörper / Sprengfallen (IEDs), einschließlich Landminen, eine Gefahr besonders für Kinder darstellen. Dies auch, weil Kinder denken, diese wären Spielzeuge. Auch diesbezüglich ist jedoch zu erwarten, dass die Eltern den Drittbeschwerdeführer - und später einmal auch die Viertbeschwerdeführerin - vor diesen spezifischen, aus kriegerischen Vorgängen stammenden Gefahrenquellen, sofern es solche in der Stadt Mazar-e Sharif überhaupt (noch) gibt, entsprechend schützen werden; einerseits durch die Auswahl der Spielorte bzw. auf selbstständig zurückzulegenden Wegen (z.B. den Schulweg), insbesondere aber auch durch Aufklärung. Die erwähnten Feststellungen zur maßgeblichen Lage in Afghanistan (Pkt. II.1.5.1.) zeigen auch nicht unmittelbar auf, dass im Gegensatz zu anderen Gebieten in Afghanistan, gerade die Stadt Mazar-e Sharif, welche nicht umkämpft ist und in der die stattfindenden Anschläge regierungsfeindlicher Elemente nach Art und Häufigkeit eher als gering einzustufen sind, vom verstärkten Einsatz von IEDs betroffen wäre.

 

3.4.2.30. Auch sonst ist der aus den Länderfeststellungen folgenden Sicherheitssituation in der Provinz Balkh - im Gegensatz zur allgemeinen Situation für Kinder in Afghanistan (s. oben Pkt. II.1.5.1.) - nicht zu entnehmen, dass der Faktor Minderjährigkeit zu einer Gefährdungsverdichtung in der Person des Drittbeschwerdeführers oder der Viertbeschwerdeführerin führen könnte. Insbesondere ist - auch unter Berücksichtigung entsprechender Muster der Bewegung als Familie bzw. als Minderjährige (s. dazu auch unten Pkt. II.3.4.2.31) - aus der festgestellten allgemeinen Sicherheitslage in der Provinz Balkh und der Stadt Mazar-e Sharif nicht abzuleiten, dass Minderjährige einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wären, bei Auseinandersetzungen, Angriffen oder Anschlägen (zufälliges) Opfer zu werden.

 

3.4.2.31. Die oben unter Pkt. II.1.5.3. festgestellte Berichtslage zum Leben von Kindern in Mazar-e Sharif bzw. deren dortige Situation zeigt als Probleme insbesondere Kinderarbeit (vorwiegend bei armen Familien) wie auch - vorwiegend durch die Wohnlage verursachte - Probleme beim Schulbesuch auf, jedoch keine auf diese Stadt bezogenen anderen spezifischen Schwierigkeiten oder Gefahren für Kinder, wie eben die zuvor beschriebenen Gefahren durch Munitionsrückstände.

 

3.4.2.32. Der Umstand, dass es sich gegenständlich um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern handelt ist jedoch vor dem Hintergrund des § 8 AsylG 2005 auch im Hinblick auf ein mögliches Risiko der Versorgungslage vor Ort besonders zu berücksichtigen:

Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, eine entsprechende Unterkunft zu finden. Dabei reicht aus Sicht des Verwaltungsgerichtshofs ein allgemeiner Hinweis auf allfällig vorhandene familiäre Unterstützung nicht (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315-0320, Rz. 17; s. zur Versorgungslage in Anbetracht von Berichten zur Unterernährung von Kindern in Afghanistan auch VfGH 27.02.2018, E 3507/2017, Rz. 19).

 

3.4.2.33. Im gegenständlichen Fall ist insbesondere durch den Vater des Zweitbeschwerdeführers bzw. dessen vermögender Familie nicht bloß von einer allfälligen, sondern einer konkreten Unterstützungsmöglichkeit in relevantem Umfang auszugehen, dies auch bei Neuansiedlung in einer afghanischen Großstadt (s. dazu oben die Feststellungen unter Pkt. II.1.4.). Auch in der Stadt Mazar-e Sharif stehen ausreichend Unterkünfte zur Verfügung (s. auch die Erwägungen im EASO-Länderleitfaden, S. 104, mit Hinweisen auf die, weiteren Berichten dieser Einrichtung entnommenen Informationslage). Dabei ist den getroffenen Feststellungen zu entnehmen, dass im Rahmen der angebotenen Rückkehrunterstützung (Pkt. II.1.4.) auch entsprechend Wohnraum für die erste Zeit organisiert werden könnte.

 

Wenngleich nicht zu übersehen ist, dass auch in Mazar-e Sharif die grundsätzliche Situation für Rückkehrer im Hinblick auf den Wohnungsmarkt sehr angespannt ist (und viele Rückkehrer bzw. Binnenvertriebene zunächst auf nicht adäquate Unterkünfte in Siedlungen für Binnenvertriebene [IDP-settlements] angewiesen sind bzw. überhaupt ein Großteil der Häuser in afghanischen Städten als Slums einzustufen sind), so ist fallbezogen in Anbetracht der besonderen Unterstützungsmöglichkeiten, einschließlich der zur Verfügung stehenden Rückkehrhilfen (Rückkehrunterstützungsmaßnahmen, dazu oben Pkt. II.1.4.) davon auszugehen, dass eine entsprechende Unterkunft für die Beschwerdeführer gefunden werden kann.

 

3.4.2.34. Die allgemeine Versorgungslage mit Lebensmitteln ist nach aktueller Berichtslage in Mazar-e Sharif jedenfalls gewährleistet (s. dazu unten Pkt. II.3.4.2.47. auch unter Berücksichtigung der aktuellen Berichtslage betreffend eine Dürresituation in der Provinz Balkh). In Anbetracht der festgestellten, wirtschaftlichen Situation der Familie - und hier der erheblichen Unterstützungsmöglichkeiten aus der Familie des Zweitbeschwerdeführers - bei Rückkehr entstehen somit auch keine Bedenken, dass für die beiden minderjährigen Beschwerdeführer ein - auch unter Beachtung von deren gegenüber Erwachsenen erhöhten Vulnerabilität - Risiko der Versorgung überhaupt bzw. einer nicht ausreichenden Ernährung im Speziellen bestehen könnte. Soweit die Länderberichtslage auf gegenüber anderen Großstädten Afghanistans erhöhte Preislage bei Lebensmitteln hinweist, kann dies im gegenständlichen Fall durch die entsprechend hohe finanzielle Unterstützungsmöglichkeit seitens der Familie des Zweitbeschwerdeführers abgefangen werden (s. dazu oben Pkt. II.1.4.). Zu berücksichtigen ist nach den getroffenen Feststellungen auch, dass - auch durch internationale Hilfe unterstützte - staatliche Maßnahmen zur Abfederung der Auswirkungen ergriffen werden.

 

3.4.2.35. Insgesamt ist daher - wobei erneut auf obige Erwägungen unter Pkt. II.3.2.4. unter dem Gesichtspunkt des § 3 AsylG 2005 hinzuweisen ist, welche insbesondere die Aspekte Bildungszugang, Kinderarbeit oder mögliche körperliche Gewalt speziell für Kinder abhandeln - unter Berücksichtigung der Länderinformationen zur Lage speziell in der Stadt Mazar-e Sharif und der dortigen Situation von Kindern sowie der Richtlinien des UNHCR sowie des EASO und bei Gegenüberstellung mit der individuellen Rückkehrsituation, davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern auch in Anbetracht ihrer besonderen Vulnerabilität kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK droht bzw. wurde ein solches nicht glaubhaft gemacht.

 

3.4.2.36. Im Übrigen ist auf nachstehende (unter ii) Erwägungen zur Frage der Zumutbarkeit der aus Sicht des erkennenden Gerichts offenstehenden innerstaatlichen Fluchtalternative zu verweisen.

 

Sonstige mögliche Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes

 

3.4.2.37. Auch sonstige, auf die Stadt Mazar-e Sharif als Zielort einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative bezogene Gründe für die Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigten sind fallbezogen nicht ersichtlich: Wenngleich das erkennende Gericht nicht übersieht, dass es i.Z.m. § 8 AsylG 2005 nicht auf eine Ursache für eine mögliche Verfolgungsgefahr ankommt, so lässt sich aus den oben zu den vorgebrachten Fluchtgründen der Beschwerdeführer und den dazu getroffenen Feststellungen angestellten Überlegungen, und der jeweiligen Verneinung einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gegebener asylrelevanter Verfolgungsgefahr (s. oben unter Pkt. II.3.2.1., II.3.2.2., II.3.2.3., II.3.2.4. und II.3.2.5.), bei Rückkehr nach Afghanistan und Neuansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif auch nicht darauf schließen, dass ein reales Risiko insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht bzw. wurde ein solches Risiko - insbesondere auch nicht durch das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung betreffend einer Rückkehr nach Afghanistan (s. VHS1 S. 16 und 22) - nicht glaubhaft gemacht.

 

Ad ii)

 

3.4.2.38. Angesichts der Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer, deren bisherigen Lebensweg bzw. der festgestellten allgemeinen Lage vor Ort kann den Beschwerdeführern ein Aufenthalt in der Stadt Mazar-e Sharif auch zugemutet werden:

 

3.4.2.39. Die besonderen Umstände des Kindes sowie die rechtlichen Verpflichtungen der Staaten aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes insbesondere die Verpflichtung, sicherzustellen, dass das Wohl des Kindes bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, im Vordergrund steht und den Ansichten des Kindes im Hinblick auf sein Alter und seine Reife gebührend Rechnung zu tragen, müssen aus Sicht des UNHCR bei der Beurteilung der Angemessenheit eines IFA/IRA mit Kindern berücksichtigt werden. Es ist gebührend zu berücksichtigen, dass das, was für Erwachsene nur als unangenehm empfunden wird, eine unzumutbare Härte für ein Kind darstellen kann (vgl. UNHCR-Richtlinien, S. 107 f).

 

3.4.2.40. Die im Hinblick auf eine innerstaatliche Fluchtalternative näher zu treffenden Feststellungen haben insbesondere eine allfällige Minderjährigkeit von Fremden zu berücksichtigen (vgl. VwGH 19.10.2006, 2006/19/0297).

 

3.4.2.41. Der UNHCR erachtet eine IFA an einem anderen Ort in Afghanistan als dem Herkunftsort nur dann als zumutbar, wenn der Einzelne Zugang zu (i) Unterkünften, (ii) grundlegenden Dienstleistungen wie sanitäre Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Existenzgrundlagen oder bewährte und nachhaltige Unterstützung hat, um den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Darüber hinaus hält der UNHCR eine IFA/IRA nur dann für angemessen, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetz von Mitgliedern ihrer (Groß‑)Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im Bereich der zukünftigen Umsiedlung hat, die als bereit und in der Lage beurteilt wurden, den Antragsteller in der Praxis wirklich zu unterstützen. Der UNHCR ist - und darauf weisen die Beschwerdeführer in ihren Stellungnahmen vom 10.10.2018 ausdrücklich hin - der Ansicht, dass die einzige Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung alleinstehende Männer und Ehepaare im erwerbsfähigen Alter ohne identifizierte spezifische Vulnerabilitäten sind. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die über die notwendige Infrastruktur und die Möglichkeit verfügen, die grundlegenden Lebensbedürfnisse zu befriedigen, und die unter wirksamer staatlicher Kontrolle stehen (UNHCR-Richtlinien, S. 110).

 

Zur Vorgängerversion der UNHCR-Richtlinien aus dem Jahr 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es auf einen "gesicherten" Zugang zu den erwähnten Kriterien dabei allerdings nicht ankommt (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, Rz. 23). Diese Rechtsprechungslinie ist - auch in Anbetracht des dahingehend weiterhin unveränderten Wortlauts der Richtlinien (s. auf S. 110 sowie S. 86 der Richtlinien aus dem Jahr 2016) - aus Sicht des erkennenden Gerichts weiterhin beachtlich.

 

3.4.2.42. Empfehlungen des UNHCR ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - s. aber auch das Urteil des EuGH vom 30.05.2013, Rechtssache C-528/11 , Halaf, Rz. 44 - besondere Beachtung zu schenken (s. etwa VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, m. w.N.; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; zur "Indizwirkung" vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, m.w.N.). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

 

3.4.2.43. Letztlich in derselben Art und Weise sind daneben jedenfalls auch Informationsquellen des EASO (bzw. allfälliger sonstiger internationaler Menschenrechtsorganisationen) bei der Prüfung von Anträgen zu beachten (Art. 10 Abs. 3 lit. b EU-Richtlinie 2013/32/EU ):

 

3.4.2.44. Das EASO hält eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht für zumutbar (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 108), wenn es der Familie an ausreichenden finanziellen Mitteln ("sufficient financial means") oder einem Unterstützungsnetz im jeweiligen Teil Afghanistans fehlt. Bei der Bewertung des Sicherheitskriteriums für ein potenzielles IPA sollte auch die Situation von Kindern berücksichtigt werden. Insbesondere die folgenden Elemente sollten berücksichtigt werden:

 

* Im Allgemeinen sind Kinder im Hinblick auf ihr Alter bei ihrem Lebensunterhalt von anderen Versorgern abhängig. Sie sind auch besonders anfällig, einschließlich der Risiken einer kinderspezifischen Verfolgung oder eines schweren Schadens, wie Kinderehen und Kinderarbeit. Darüber hinaus haben sie spezifische Rechte und Bedürfnisse, die im Einklang mit internationalen Instrumenten, wie dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes, gewährleistet werden müssen. Das Alter des Kindes kann sich auch auf die individuelle Beurteilung auswirken.

 

* Zugang zur Bildung: Die Frage des Zugangs zur Grundbildung sollte im Zusammenhang mit der allgemeinen Situation in den drei Städten sowie den individuellen Umständen der Familie und insbesondere des Kindes bewertet werden.

 

* Sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund / Unterstützungsnetz: Um ihren Lebensunterhalt und den Zugang zur Grundversorgung zu sichern, ist es wichtig, den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund der Familie und die Möglichkeit, Unterstützung durch ein Unterstützungsnetz zu erhalten, zu bewerten.

 

3.4.2.45. Zu schließen ist bei gemeinsamer Betrachtung der mit - wie zuvor dargestellt - Indizwirkung ausgestatteten Richtlinien des UNHCR und des EASO, dass bei Fehlen eines familiären Netzwerks vor Ort, d.h. am angenommen Neuansiedlungsort, also hier in der Stadt Mazar-e Sharif, jedenfalls (d.h. wechselseitig kompensierend) - und insbesondere auch ausreichende - finanzielle Mittel vorhanden sein müssen, um bei Familien mit Kindern eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar erscheinen zu lassen.

 

3.4.2.46. Soweit von Relevanz kann verfügbare Reintegrationsunterstützung auch als zusätzlicher Faktor berücksichtigt werden, welche vorübergehend zur Reintegration in Afghanistan beiträgt (EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 105).

 

3.4.2.47. Im Hinblick auf die allgemeinen Gegebenheiten am Ort der innerstaatlichen Fluchtalternative ist vor diesem Hintergrund gegenständlich Folgendes zu berücksichtigen:

 

3.4.2.48. In der Stadt Mazar-e Sharif stehen nach den Länderinformationen ausreichend Unterkünfte, einschließlich Apartments mit mehreren Zimmern zur Aufnahme einer mehrköpfigen Familie zur Verfügung, dabei auch - wenngleich nicht in der Mehrheit - solche über dem Standard als "Slum" (s. EASO-Länderleitfaden, S. 104 unter Verweis auf die aktuelle Berichtslage dieser Einrichtung). Nur der Vollständigkeit sei darauf hingewiesen, dass es sich bei einem "Slum" nach der Definition von UN HABITAT um Unterkünfte, denen etwa ein langlebiges, dauerhaftes Gehäuse, das vor extremen Klimabedingungen schützt, eine ausreichende Wohnfläche, d.h. nicht mehr als drei Personen, die sich den gleichen Raum teilen, ein einfacher Zugang zu sauberem Wasser in ausreichender Menge und zu einem erschwinglichen Preis, der Zugang zu angemessenen sanitären Einrichtungen in Form einer privaten oder öffentlichen Toilette, die von einer angemessenen Anzahl von Personen genutzt wird oder Rechtssicherheit, die Zwangsräumungen verhindert, fehlt, handelt (vgl. http://mirror.unhabitat.org/documents/media_centre/sowcr2006/SOWCR 5.pdf, abgerufen am 05.10.2018). Ausgehend davon, dass die Länderberichtslage sich an dieser Definition orientiert ist davon auszugehen, dass nicht sämtliche auch für eine vierköpfige Familie angemessene Unterkünfte, welche als "Slum" einzustufen sind, grundsätzlich als ungeeignet ausscheiden.

 

3.4.2.49. Eine grundlegende Infrastruktur und der Zugang zu grundlegender Versorgung, einschließlich zu sanitärer Infrastruktur, sind in der Stadt Mazar-e Sharif gegeben, welche nach der festgestellten Berichtslage als eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans gilt. Die grundsätzliche Versorgung mit Gütern wird nach den getroffenen, auf aktuellen Berichten beruhenden Feststellungen - s. dazu auch die Hinweise des UNHCR auf S. 111 - auch nicht durch eine derzeit auch die Provinz Balkh betreffende Trockenperiode (Dürre) beeinträchtigt. Dies ist auch der aktuellen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre" vom 13.09.2018 zu entnehmen. In dieser wird zwar festgehalten, dass es zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung im Umland von Mazar-e Sharif kommt, allerdings - ansonsten kann im Hinblick auf eine Großstadt von entsprechenden Berichten bzw. Hinweisen ausgegangen werden - nicht in der Stadt selbst. Aufgrund der Dürre wird es zu geringeren Getreideernten kommen, die Getreidepreise liegen jedoch aufgrund guter Ernten im Iran und in Pakistan in Mazar-e Sharif dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Und auch die Löhne in Mazar-e Sharif liegen trotz der aktuellen Trockenheit im Mai 2018 um 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

3.4.2.50. Es ist weiters nicht zu übersehen, dass nach den festgestellten Informationen die wirtschaftliche Lage sowie Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen sowie in der Stadt Mazar-e Sharif bzw. aber auch der Provinz Balkh - insbesondere auch aufgrund der großen Anzahl sonstiger Binnenvertriebener und anderer Rückkehrer, welche einströmen (wenngleich aus der oben unter Pkt. II.3.4.2.48. erwähnten und behandelten aktuellen Länderberichtslage nicht darauf zu schließen ist, dass betreffend die Stadt Mazar-e Sharif von erheblich zusätzlichen Auswirkungen aufgrund einer derzeitigen Dürresituation in der Provinz Balkh auszugehen wäre) - jedenfalls als insbesondere im Hinblick auf die Wohnressourcen als angespannt betrachtet werden muss und die Arbeitslosigkeit auch dort hoch ist.

 

Ebenso ist jedoch aus den getroffenen Feststellungen zur maßgeblichen Lage vor Ort zu schließen, dass die Stadt Mazar-e Sharif ein wichtiger Wirtschaftsknotenpunkt des Landes ist und eine höhere Industrialisierung als andere Städte in Afghanistan aufweist. Zudem hat Mazar-e Sharif grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen.

 

3.4.2.51. Es ist auch möglich, in der Stadt Mazar-e Sharif eine medizinische Einrichtung bei Bedarf in Anspruch zu nehmen: Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass in Mazar-e Sharif sowohl Zugang zu medizinischen Einrichtungen, einschließlich der Möglichkeit der Behandlung bestimmter psychischer Erkrankungen - als auch zu Medikamenten besteht. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste umsonst an, Medikamente sind zumindest in privaten Apotheken verfügbar. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den öffentlichen Krankenhäusern umsonst.

 

3.4.2.52. Wie bereits oben unter Pkt. II.3.2.4. erwogen, gibt es in der Stadt Mazar-e Sharif nach den getroffenen Länderfeststellungen auch einen - für afghanische Verhältnisse überdurchschnittlich guten - Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, dies insbesondere für die beiden minderjährigen Beschwerdeführer.

 

3.4.2.53. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie - bedeutsam insbesondere für die Dritt- und Viertbeschwerdeführer - zu Bildung in der Stadt Mazar-e Sharif gegeben ist. Zwar fallen auch dort ein Großteil der Haushalte unter die städtische Armut ("urban poor"), d.h. nur rund 30 USD pro Person pro Haushalt, jedoch wäre nach der festgestellten Berichtslage nicht erkennbar, dass insgesamt nicht die Grundlage bzw. (Lebens‑)Bedingungen an sich für die - in weiterer Folge dann von weiteren persönlichen Umständen des Einzelnen bzw. hier der Familie abhängig - Existenzsicherung allgemein wie auch das Erreichen und Halten eines angemessenen Lebensstandards vorhanden wären (s. dazu auch EASO-Länderleitfaden S. 104 f).

 

3.4.2.54. Im Hinblick auf die persönlichen Umstände der Beschwerdeführer ist gegenständlich Folgendes in Betracht zu ziehen:

 

3.4.2.55. Ein familiäres Netzwerk der Beschwerdeführer unmittelbar in der Stadt Mazar-e Sharif existiert nicht. Hingehen können die Eltern des Zweitbeschwerdeführer die Beschwerdeführer bei deren Rückkehr in einem erheblichen Ausmaß - das bedeutend in überdurchschnittlichem Umfang - bei deren Neuansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif finanziell unterstützen. Die finanziellen Mittel können - zuletzt über das nach den getroffenen Feststellungen (s. oben Pkt. II.1.5.5.) über das überall in Afghanistan verfügbare und funktionierende "Hawala"-System - den Beschwerdeführern zukommen.

 

Gerade die Gegenüberstellung der Richtlinien des UNHCR sowie des EASO sowie die - sich gerichtsnotorisch als überdurchschnittlich im Hinblick auf andere die Möglichkeit einer Rückkehr zu prüfenden Familien darstellende - familiäre Unterstützungsmöglichkeit lassen den Umstand des fehlenden familiären Netzwerks vor Ort auch i.S.d. Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH 11.06.2018, E-941-942/2018 E 1042-1044/2018) als im Einklang mit den Länderfeststellungen stehend erscheinen.

 

3.4.2.56. Die Erstbeschwerdeführerin wie auch der Zweitbeschwerdeführer sprechen beide Dari, eine der beiden Landessprachen des Herkunftsstaates und können diese auch lesen und schreiben. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sprechen darüber hinaus auch Dari. Es handelt sich bei den Beschwerdeführern zudem um arbeits- und leistungsfähige Personen im erwerbsfähigen Alter. Beide sind auch grundsätzlich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit interessiert. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Kabul sieben Jahre die Schule besucht (s. zu den beruflichen Möglichkeiten der Erstbeschwerdeführerin auch die Erwägungen oben unter Pkt. II.3.6., insbesondere im Hinblick auch auf eine Tätigkeit im Gesundheits- und Bildungswesen). Der Zweitbeschwerdeführer wiederum hat ebenfalls sieben Jahre die Schule besucht und danach eine Lehre als Schneider gemacht. In diesem Gewerbe arbeitete anschließend mindestens fünfzehn Jahre und führte sogar über ein eigenes Geschäft. Er hat damit also - was gerichtsnotorisch ist - deutlich überdurchschnittliche Voraussetzungen gegenüber anderen Rückkehrern bzw. Binnenvertriebenen. Es kann davon ausgegangen werden, dass er nach einer gewissen Übergangszeit eine Erwerbstätigkeit finden wird, mit welcher er - unbeschadet weiterer familiärer Unterstützung - für die Erstbeschwerdeführerin - bis auch diese mittels einer Erwerbstätigkeit zum Familieneinkommen beitragen kann - und die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer sorgen kann.

 

3.4.2.57. Die Beschwerdeführer verfügen in der Stadt Mazar-e Sharif zwar über keine Ortskenntnis. Da die Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer in Afghanistan aufwuchsen und die meiste Zeit ihres Lebens in diesem Land verbracht haben sind sie allerdings mit den dortigen örtlichen und kulturellen Gegebenheiten grundsätzlich vertraut.

 

3.4.2.58. Zu prüfen ist weiters, ob die Beschwerdeführer einem Personenkreis angehören, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage oder sonstige Umstände qualifiziert schutzbedürftiger (vulnerabler) darstellen als die übrige Bevölkerung in der Stadt Mazar-e Sharif, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Dies kann fallbezogen verneint werden:

 

Zwar leidet der Zweitbeschwerdeführer wie festgestellt an einer Anpassungsstörung mit Ängsten, Insomnia und Cephalea. Dabei handelt es sich jedoch aus Sicht des erkennenden Gerichts um keine "schweren körperliche Erkrankungen" oder bereits eine "psychische Störung" i. S.d. Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU (zur Berücksichtigung dieser Kriterien im Hinblick auf die Vulnerabilitäten von Rückkehrern s. VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479, m.w.N.). Die gegenständlich festgestellten Erkrankungen selbst erreichen keine solche Schwere bzw. kamen im Verfahren keine Anhaltspunkte hervor, wonach bei Rückkehr (bzw. Neuansiedlung) auf eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Lebenssituation zu schließen wäre (vgl. dazu - insbesondere im Hinblick auf Depressionen und Anpassungsstörungen - VwGH 19.06.2018, Ra 2018/20/0262, Rz. 12). Gerade die Rückkehrhilfen sehen - wie bereits erwähnt - auch eine Unterstützung im Hinblick auf die Ermöglichung von medizinischen Behandlungen bzw. betreffend den Erwerb von erforderlichen Arzneimitteln ("medizinische Versorgung") vor. Die ebenfalls zur Verbesserung seiner Situation beitragenden Spaziergänge könnte er - jedenfalls sich die dortige Sicherheitslage nicht dagegen - auch in Mazar-e Sharif weiter durchführen. Auch hat der Beschwerdeführer selbst angegeben - was auch festzustellen war - arbeitsfähig zu sein.

 

Erstbeschwerdeführerin, Zweit- und Drittbeschwerdeführer selbst sind wiederum vollkommen gesund (s. dazu auch oben Pkt. II.3.2.14.).

 

Der (besonderen) Vulnerabilität als Familie mit zwei minderjährigen, zu versorgenden Kindern steht die überdurchschnittliche Versorgungsmöglichkeit durch den Vater bzw. die Familie gegenüber (dazu oben Pkt. II.3.4.2.32.).

 

3.4.2.59. Die Existenz der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer ist bei der Rückkehr im Familienverband durch die Erwerbsfähigkeit ihres Vaters und die finanzielle Absicherung im Familienverband durch die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen in der Provinz Kabul gesichert. Aus diesen Gründen ist auch nicht zu befürchten, dass der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor ihre Eltern in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Es bestehen insgesamt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Drittbeschwerdeführer und/oder die Viertbeschwerdeführerin aufgrund der unter dem Aspekt der Minderjährigkeit zu beurteilenden Faktoren bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sind. Auch steht es dem Drittbeschwerdeführer offen, sofort in Mazar-e Sharif wieder die Schule zu besuchen. Wie bereits mehrfach erwogen, gibt es für die minderjährigen Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif einen guten Zugang zu Bildungseinrichtungen. Soweit die festgestellten Länderinformationen darauf hinweisen, dass es Probleme bei der Erreichbarkeit derselben geben könnte (oben Pkt. II.1.5.3. "Zur Lage von Kindern in Mazar-e Sharif"), so kann davon ausgegangen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer in Anbetracht der festgestellten, persönlichen (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen nach Rückkehr in der Lage sein werden, durch die entsprechende Auswahl der Schule wie auch der Unterkunft einen Schulbesuch - zunächst ohnedies nur für den Drittbeschwerdeführer - sicherzustellen. Aufgrund der überwiegenden Sozialisierung des Drittbeschwerdeführers in Afghanistan und dem in Relation dazu erst kurzen Aufenthalt in Österreich ist diesem eine Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft jedenfalls möglich.

 

Zu berücksichtigen ist im Hinblick auf die beiden minderjährigen Beschwerdeführer auch, dass im Rahmen der angebotenen Rückkehrunterstützung (s. oben Pkt. II.1.4.) insbesondere auch Unterstützungsmaßnahmen für Kinder vorgesehen sind.

 

3.4.2.60. In Anbetracht der festgestellten allgemeinen Gegebenheiten in Afghanistan sowie der Stadt Mazar-e Sharif im Besonderen und den festgestellten persönlichen Umständen der Beschwerdeführer kann gegenständlich davon ausgegangen werden, dass diese anfangs und auch während einer Übergangsphase zwar mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert sein werden wieder Fuß zu fassen (insbesondere in Bezug auf die Erlangung einer Erwerbstätigkeit zunächst durch den Zweitbeschwerdeführer). Allerdings kann auch davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen vorliegen, danach ein mit anderen in der Stadt Mazar-e Sharif lebenden Afghanen vergleichbares ("normales") Leben ohne unbillige Härten bzw. mit einer mehr als bloß das Existenzminimum ermöglichenden Perspektive zu führen (s. dazu insbesondere das bereits erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.01.2018, Zl. Ra 2018/18/0001). Jedenfalls können die Beschwerdeführer durch die finanzielle Unterstützung der Eltern des Zweitbeschwerdeführers sowie durch die Inanspruchnahme der ebenso bereits erwähnten, durch die IOM verfügbaren Rückkehrhilfe bzw. Rückkehrunterstützung jedenfalls nach unmittelbarer Rückkehr übergangsweise, insbesondere auch im Hinblick auf den Zugang zu einer Unterkunft, das Auslangen finden. Deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass die Beschwerdeführer, bevor der Zweitbeschwerdeführer in der Lage wäre, selbst für den Unterhalt der Dritt- bis Viertbeschwerdeführer zu sorgen - d.h. nach der angenommenen Übergangsphase -, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten bzw. die dem Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführerin garantierten Rechte als Kinder bzw. deren Wohl als solches nicht gewahrt wären.

 

3.4.2.61. Es liegen auch die persönlichen Rahmenbedingungen vor, dass die Neuansiedlung bzw. Niederlassung am angenommenen Ort der innerstaatlichen Fluchtalternative dauerhaft erfolgen kann (s. dazu Nedwed, Interner Schutz [innerstaatliche Fluchtalternative] am Beispiel Afghanistan, in Filzwieser/Taucher (Hrsg.), Jahrbuch 2018 Asyl- und Fremdenrecht, S. 299).

 

3.4.2.62. Insgesamt ist daher im gegenständlichen Fall - insbesondere auch unter Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien sowie des Länderleitfadens des EASO - gemäß § 11 AsylG 2005 von einer mit der Stadt Mazar-e Sharif vorhandenen - bei vorwiegender aber nicht ausschließlicher Berücksichtigung der Unterstützungsmöglichkeiten aus der Familie, daneben verfügbareren Rückkehrhilfen bzw. der Möglichkeit der Rückkehrunterstützung, in Anbetracht einschlägiger, überdurchschnittlicher Berufserfahrung des Zweitbeschwerdeführers, der möglichen Behandelbarkeit von dessen (nicht schwerwiegenden) Erkrankungen - zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative für die Beschwerdeführer auszugehen bzw. liegen für das Bundesverwaltungsgericht auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführer dort, in ihrem Fall auch ohne ein familiäres Netzwerk unmittelbar vor Ort, in eine ausweglose, oder in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie insbesondere Nahrung und Unterkunft), in eine sogar lebensbedrohende Situation geraten würde. Insbesondere auch die Minderjährigkeit des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin lässt keine Prognose zu, dass die Neuansiedlung - zweifellos gegebenen anfänglichen Startschwierigkeiten -für diese so unangenehm und damit - unter Beachtung von deren Alter und Wohl - wiederum unzumutbar wäre bzw. vernünftigerweise nicht erwartet werden kann.

 

3.4.3. Ergebnis:

 

3.4.3.1. Bei Gesamtbetrachtung aller im gegenständlichen Fall zu berücksichtigenden Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat bzw. bei Neuansiedlung an dem als nach den von § 11 AsylG 2005 geforderten Voraussetzungen (insbesondere hinsichtlich Sicherheit, Achtung der Menschenrechte sowie Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens) mögliche, innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Ort, der Stadt Mazar-e Sharif, nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13 verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der genannten, von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

3.4.3.2. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide waren daher unbegründet.

 

Zu den Spruchpunkten III. und IV. der angefochtenen Bescheide (Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise)

 

3.5. Rechtsgrundlagen:

 

3.5.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.5.2. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

3.5.3. Die §§ 55, 57 und 58 AsylG 2005 lauten:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

[...]

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

 

3.5.4. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

3.5.5. Die maßgeblichen Bestimmungen des FPG lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

 

3.6. Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz":

 

3.6.1. Die Beschwerdeführer sind als Staatsangehörige von Afghanistan keine begünstigten Drittstaatsangehörigen, und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, weil mit der erfolgten Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

3.6.2. Ein Anspruch auf die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" liegt daher in Bezug auf die Beschwerdeführer nicht vor.

 

3.7. Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung plus" oder auf eine "Aufenthaltsberechtigung":

 

3.7.1. Im Hinblick auf die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus" oder auf eine "Aufenthaltsberechtigung" sind folgende, von der Rechtsprechung aufgestellte Leitlinien zu beachten:

 

3.7.2. Ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 m.w.N.).

 

3.7.3. Es besteht ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen. Das verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen (etwa VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034).

 

3.7.4. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben i.S.d. Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

 

3.7.5. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Im seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (vgl. i.d.Z. auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch die Erkenntnisse VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354). Außerdem ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 m. w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (s. dazu das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30.07.2015).

 

Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112). Integrative Bemühungen eines Beschwerdeführers sind insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (vgl. dazu VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720). Im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Rz. 4.1 m.w.N.). Dies hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz:

Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188).

 

Unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens ist auch von Bedeutung, welche Verhältnisse konkret - im Hinblick auf die physische Integrität oder Unversehrtheit - bei Rückkehr in den Herkunftsstaat vorgefunden werden (VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0038).

 

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 m.w.N.).

 

3.7.6. Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 ist das "Kindeswohl" zu berücksichtigen (etwa VwGH 05.09.2018, Ra 2018/01/0179). Ist das Alter eines minderjährigen Beschwerdeführers mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbunden kann davon ausgegangen werden, dass für den minderjährigen Beschwerdeführer der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat - nach der Rechtsprechung des EGMR, welcher dies in seiner Entscheidung vom 26.01.1999, Sarumi, 43.279/98, bei Kindern im Alter von sieben und elf Jahren als gegeben sah - nicht mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. VfGH 20.09.2012, U423/12 u.a.).

 

3.7.7. Für die Beschwerdeführer folgt daraus:

 

3.7.1. Zur Erstbeschwerdeführerin:

 

3.7.1.1. Für die Erstbeschwerdeführerin spricht gegenständlich, dass sie in Österreich bereits eine Reihe von integrativen Maßnahmen gesetzt hat: So besucht sie derzeit mehrmals pro Woche von ehrenamtlichen Deutschlehrern angebotene Deutschstunden und absolvierte außerdem bereits Deutschsprachkurse für das Sprachniveau A0 und A1. Es konnte festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Lage ist, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis in deutscher Sprache zu kommunizieren. Zudem hat sie an einem Werte- und Orientierungskurs des österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.

 

3.7.1.2. Neben der Kernfamilie der Erstbeschwerdeführerin leben auch weitere Verwandte von ihr in Österreich. Es handelt sich bei diesen um die Familie des Bruders des Zweitbeschwerdeführers, XXXX , mit welchen die Beschwerdeführer sich auch eine Wohnung teilen. Die Erstbeschwerdeführerin unterstützt ihr Schwägerin im täglichen Leben sowohl bei der Erziehung deren Kinder, als auch bei Arztbesuchen.

 

3.7.1.3. Dem steht gegenüber, dass die Erstbeschwerdeführerin weder ein Mitglied in Vereinen noch ehrenamtlich tätig war. Sie lebt von der staatlichen Grundversorgung, war bisher nicht erwerbstätig und verfügt über keine Einstellzusage. Bei den im Vorabsatz genannten, bereits erbrachten anerkennenswerten integrativen Leistungen musste sich die Erstbeschwerdeführer immer ihres bloß vorläufigen und unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Hinsichtlich der Hilfe und Unterstützung, welcher sie ihrer Schwägerin zukommen lässt ist davon auszugehen, dass diese Tätigkeiten auch von ihrem Schwager übernommen werden können. Sie verfügt weiters über Bindungen nach Afghanistan, weil sie dort den Großteil ihres bisherigen Lebens verbrachte. Auch bestehen im Hinblick auf den angenommenen Rückkehrort keine Bedenken im Hinblick auf die physische Integrität oder Unversehrtheit der Erstbeschwerdeführerin. Schließlich hält sie sich erst deutlich weniger als drei Jahre in Österreich auf.

 

3.7.1.4. Wägt man die zuvor dargestellten, für und gegen die Erstbeschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte in einer Gesamtbetrachtung gegeneinander ab, so überwiegt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dem privaten Interesse der Erstbeschwerdeführerin an einem weiteren Verbleib in Österreich. Auch die Bindung zum Bruder des Zweitbeschwerdeführers bzw. dessen Familie - einschließlich der Unterstützung von dessen erkrankten Kindern - vermag in Beachtung sämtlicher anderer - und insbesondere der Gesamtdauer des Aufenthalts in Österreich bzw. der Dauer des Zusammenlebens - gegen eine Ausweisung sprechenden Umstände nicht zu einem anderslautenden Ergebnis führen. Der durch die Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.7.2. Zum Zweitbeschwerdeführer:

 

3.7.2.1. Auch der Zweitbeschwerdeführer hat bereits eine Reihe integrativer Leistungen während seines Aufenthalts in Österreich erbracht: Er besucht derzeit mehrmals pro Woche, gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin, von ehrenamtlichen Deutschlehrern angebotene Deutschstunden. Im Schuljahr 2017/2018 besuchte er außerdem gemeinsam mit dem Drittbeschwerdeführer ein Lerncafe der Pfarre XXXX und absolvierte auch einen Deutschkurs für das Sprachniveau A1. Festgestellt werden konnte, dass der Zweitbeschwerdeführer nicht in der Lage ist in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren. Der Zweitbeschwerdeführer nahm außerdem an einem Werte- und Orientierungskurs teil.

 

3.7.2.2. Abgesehen von der Kernfamilie des Zweitbeschwerdeführers leben auch noch dessen Bruder XXXX und dessen Familie in Österreich. Die Beschwerdeführer teilen sich mit diesen eine Wohnung und unterstützt der Bruder den Zweitbeschwerdeführer.

 

3.7.2.3. Den genannten integrativen Leistungen des Zweitbeschwerdeführers steht gegenüber, dass er keine eigenen Einkünfte bezieht und ausschließlich von der staatlichen Grundversorgung lebt. Er ist weiters in keinem Verein Mitglied oder aktiv. Er ist zudem nicht in der Lage auf Deutsch zu kommunizieren. Bei der Setzung der im Vorabsatz erwähnten - grundsätzlich integrationsbegründenden Handlungen - musste sich auch der Zweitbeschwerdeführer immer seines unsicheren Aufenthaltsrechts bewusst sein. Hinsichtlich der familiären Bindungen zur Familie seines Bruders und die Unterstützung, die dieser dem Zweitbeschwerdeführer aufgrund dessen Erkrankung zukommen lässt ist Folgendes auszuführen: Die geleistete Unterstützung - Hilfe bei der Medikamenteneinnahme und Hilfe, wenn es dem Zweitbeschwerdeführer psychisch schlecht geht - geht nicht über die in einem Familienverband üblicherweise zu erwartende Hilfestellung hinaus. Überdies wurde erwogen, dass Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführer nach Kräften von seiner Ehefrau unterstützt werden kann. Schließlich beträgt die Dauer seines Aufenthalts in Österreich deutlich weniger als drei Jahre.

 

3.7.2.4. Wägt man nun die zuvor dargestellten, für und gegen den Zweitbeschwerdeführer sprechenden Gesichtspunkte in Gesamtschau gegeneinander ab, so überwiegt auch bei ihm für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dem privaten Interesse des Zweitbeschwerdeführers an einem weiteren Verbleib in Österreich. Dabei kommt auch der - soweit man diese in Anbetracht der Unterstützung bei der Besserung der psychischen Beschwerden überhaupt als berücksichtigungswürdige "Abhängigkeit" ansieht (dazu etwa VwGH 19.11.2010, 2008/19/0010) - Bindung zum Bruder aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts - insbesondere vor dem Hintergrund der Gesamtdauer des Aufenthalts in Österreich bzw. der Dauer des Zusammenlebens mit dem Bruder - im Gegensatz zur Ansicht des Zweitbeschwerdeführers nicht die Bedeutung zu, welche zwingend eine anderslautende Entscheidung bewirkt.

 

3.7.2.5. Der durch die Ausweisung des Zweitbeschwerdeführers allenfalls verursachte Eingriff in sein Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.7.3. Zum Drittbeschwerdeführer:

 

3.7.3.1. Der Drittbeschwerdeführer besucht als außerordentlicher Schüler die ASO XXXX und gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer im Schuljahr 2017/2018 außerdem das Lerncafe der Pfarre XXXX und verfügt über gute Deutschkenntnisse.

 

Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers ist zudem von einer durchschnittlichen Anbindung im Schulverband und insbesondere von einer solchen in der Unterkunft des " XXXX" XXXX auszugehen. Darüber Hinausgehendes kam im Verfahren nach Setzung der entsprechenden Ermittlungsschritte nicht hervor.

 

3.7.3.2. Neben seiner Kernfamilie befinden sich noch weitere Verwandte des Drittbeschwerdeführers, nämlich dessen Onkel, Tante, Cousin und Cousine in Österreich.

 

3.7.3.3. Dem steht gegenüber, dass der Drittbeschwerdeführer in einem afghanischen Familienverband mit starkem Bezug zu den sozialen und kulturellen Gegebenheiten Afghanistans aufwächst und daher davon ausgegangen werden kann, dass er mit der Sprache und Kultur Afghanistans grundsätzlich vertraut ist. Aufgrund seines jungen Alters stellt der Familienverband für ihn den wichtigsten sozialen Bezugspunkt dar. Der Drittbeschwerdeführer spricht die Landessprache Afghanistans muttersprachlich. Insbesondere ist zu erwarten, dass er sich - wieder - an die Verhältnisse im Heimatland (insb. Sprache, Aufbau neuer Kontakte zu Gleichaltrigen, Fortsetzung der begonnenen Ausbildung) anpassen wird können. Dies auch unter dem Aspekt, dass der Drittbeschwerdeführer in Afghanistan geboren und dort auch bereits sozialisiert wurde und sich darüber hinaus in einem jedenfalls noch anpassungsfähigen Alter befindet. Es ist - wie dies oben unter Pkt. II.3.4.2. ausführlich erwogen wurde - den Eltern des Drittbeschwerdeführers möglich, ihm nach Rückkehr eine (neuerliche) Existenz zu schaffen, so dass er insbesondere weiterhin die Schule besuchen kann, und vor kinderspezifischen Gefährdungen zu schützen. Auch findet er bei Rückkehr nach Afghanistan insbesondere am angenommenen, zumutbaren Neuansiedlungsort Bedingungen vor, welche keinerlei Zweifel an einer Gefährdung seiner Integrität wie Unversehrtheit aufwerfen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich deutlich unter drei Jahren beträgt.

 

3.7.3.4. Auch im Hinblick auf den Drittbeschwerdeführer überwiegt in Anbetracht der relevanten Gesichtspunkte für das Bundesverwaltungsgericht daher bei gesamthafter Betrachtung - und dies auch unter Berücksichtigung des Wohls des Minderjährigen - fallbezogen das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dessen privaten Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich.

 

3.7.3.5. Der durch die Ausweisung des Drittbeschwerdeführers allenfalls verursachte Eingriff in sein Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.7.4. Zur Viertbeschwerdeführerin:

 

3.7.4.1. Die Viertbeschwerdeführerin hat keinerlei Bindungen zu Afghanistan. Integrative Leistungen konnte sie bisher schon in Anbetracht ihres Alters nicht erbringen.

 

3.7.4.2. Die Viertbeschwerdeführerin ist im Entscheidungszeitpunkt noch nicht einmal ein Jahr alt, jedenfalls aber im anpassungsfähigen Alter. Auch wäre es ihr unterstützt durch den bestehenden Verband ihrer Eltern zumutbar, sich an die Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen. Außer ihrer eigenen Familie (und gegen diese werden mit gegenständlichem Erkenntnis Rückkehrentscheidungen erlassen) hat die Viertbeschwerdeführerin lediglich einen Onkel, eine Tante sowie eine Cousine und einen Cousin in Österreich.

 

Insbesondere ist zu erwarten, dass sie sich nach Rückkehr an die Verhältnisse im Heimatland ihrer Eltern (insb. Betreffend die Sprache, Aufbau neuer Kontakte zu Gleichaltrigen, zu beginnende Schulausbildung) anpassen wird können. Über ihre Eltern kann sie auch problemlos eine der Landessprachen Afghanistan erlernen. Es ist - wie dies oben unter Pkt. II.3.4.2. ausführlich erwogen wurde - den Eltern der Viertbeschwerdeführerin möglich, ihr in Afghanistan eine Existenz zu schaffen und sie dort vor kinderspezifischen Gefährdungen zu schützen. Auch findet sie nach den getroffenen Feststellungen, insbesondere im Hinblick auf die dortige Situation für Kinder, bei Rückkehr nach Afghanistan und dem angenommenen, zumutbaren Neuansiedlungsort Bedingungen vor, welche keinerlei Zweifel an einer Gefährdung ihrer Integrität wie Unversehrtheit aufwerfen.

 

3.7.4.3. Auch im Hinblick auf die dargestellten und für die Viertbeschwerdeführerin relevanten Gesichtspunkte überwiegt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen - und erneut auch unter Berücksichtigung des Wohls der Minderjährigen - das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung deren privaten Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich. Der durch die Ausweisung der Viertbeschwerdeführerin allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

3.8. Frist für die freiwillige Ausreise:

 

Die Beschwerdeführer haben keine besonderen Umstände, die sie bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, vorgebracht. Die in den angefochtenen Bescheiden gesetzten Fristen zur freiwilligen Ausreise wurden daher von der belangten Behörde korrekt festgelegt.

 

3.9. Ergebnis:

 

3.9.1. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war den Beschwerdeführern nach den obigen Erwägungen schon von Amts wegen nicht zuzuerkennen. Ebenso war die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht geboten. Da gegenständlich die Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen waren, war auch eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

 

3.9.2. Die Abschiebung der Beschwerdeführer in deren Herkunftsstaat Afghanistan ist zulässig, weil nach den die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Wie bereits oben zu den Spruchpunkten II. der angefochtenen Bescheide ausgeführt sieht auch der EGMR in seiner jüngsten Rechtsprechung die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde.

 

3.9.3. Die Ausreisefrist wurde rechtsrichtig festgelegt.

 

3.9.4. Auch die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide sind daher unbegründet.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (s. dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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