BVwG W107 1432262-1

BVwGW107 1432262-121.11.2014

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W107.1432262.1.00

 

Spruch:

W107 1432262-1/14E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 17.07.2014 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Sibyll Andrea BÖCK als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX, Zahl: XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.07.2014 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F. (AsylG 2005), der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 22.04.2012 illegal in das österreichische Bundegebiet ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Schachendorf am 22.04.2012, gab der BF an, den oben im Spruch wiedergegebenen Namen zu führen, am XXXX in Kandahar/Afghanistan geboren und afghanischer Staatsangehöriger zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensgemeinschaft an, seine Muttersprache sei Dari. Sein Vater heiße XXXX, seine Mutter XXXX. Diese würden sich mit seinen drei Brüdern und seiner Schwestern in Afghanistan befinden.

Afghanistan habe er von der Stadt Sangisar aus verlassen. Er sei über den Iran und die Türkei nach Griechenland gelangt, von wo aus man ihn - versteckt auf einem LKW - nach Österreich gebracht habe. Seine Reise habe etwa 7 Monate gedauert.

Verlassen habe er Afghanistan, da in seinem Heimatdorf Sangisar die Taliban geherrscht hätten und in der Provinz Kandahar Krieg zwischen diesen, der Polizei und der Armee herrsche. Da vorwiegend Jugendliche zum Krieg gezwungen werden würden, habe er das Land verlassen. Nun fürchte er im Falle einer Rückkehr von den Taliban getötet zu werden.

3. Im Rahmen einer ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 03.05.2012 gab der BF unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari an, in Afghanistan in der Provinz Kandahar, Distrikt Jarai, im Dorf Sangisar, gelebt zu haben.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der BF im Rahmen der Einvernahme an, aufgrund der Kämpfe zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in seinem Dorf Sangisar nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, frei zu leben und sich frei zu bewegen. Da afghanische Polizisten der Meinung gewesen seien, auch der BF solle gegen die Taliban kämpfen, er seiner Ansicht nach jedoch noch zu jung dafür gewesen sei, habe der BF das Land verlassen. Dabei sei der BF persönlich vor etwa 8 Monaten bedroht bzw. zum Kampf aufgefordert worden. Da er sich vor seiner Ausreise in der Provinz Kandahar einige Monate versteckt gehalten habe, wisse er nicht, welche Konsequenzen seine Verweigerung gehabt hätte, wenn man ihn gefunden hätte. Im Falle einer Rückkehr fürchte er von den Taliban getötet zu werden.

4. Am 12.12.2012 fand eine weitere Einvernahme vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamts statt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, dass er in seinem Heimatdorf Sangisar angesprochen worden sei, sich an den Kämpfen zwischen der Polizei und den Taliban zu beteiligen. In seinem Distrikt gebe es sehr viele Taliban. Diese würden dort die Menschen unterdrücken und bedrohen. Vor allem Jugendliche seien davon betroffen. Als der BF jenem Mann, der ihn angesprochen habe, erwidert habe, noch zu jung zu sein und nicht in den Kampf ziehen zu wollen, habe dieser ihm gedroht, ihn das nächste Mal umzubringen, wenn er ihn in der Öffentlichkeit sehe. Nach diesem Vorfall habe der BF beinahe 6 Monate nicht das Haus verlassen, sich versteckt gehalten und anschließend nach Kabul zu einem Freund geflohen.

5. Mit Bescheid vom XXXX, Zahl: XXXX, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF ab (Spruchpunkt I.). Weiters wies es den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unter Bezugnahme auf den Herkunftsstaat des BF gemäß § 8 Absatz 1 iVm 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und wies den BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan und führte aus, dass die Identität des BF und eine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention nicht festgestellt werden hätten können, der Aufenthalt des BF in Österreich lediglich in Zusammenhang mit der Abwicklung eines Asylverfahrens zu sehen und eine Rückkehr des BF nach Afghanistan trotz schwieriger, jedoch regional unterschiedlicher Lage im Herkunftsstaat, möglich sei.

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, dass von einer Zugehörigkeit des BF zur Volksgruppe der Tadschiken auszugehen sei, eine lebensbedrohliche Krankheit nicht vorliege und auch die geltend gemachten Fluchtgründe weder eine potentielle "vulnerability" noch ein politisches Engagement des BF begründen würden, weshalb gesamthaft eine gesellschaftliche Sozialisation des BF in Afghanistan Platz greifen könne. Das Bundesasylamt sprach daher aus den angeführten Gründen eine Ausweisung, die zur Erreichung der in Art. 8 Abs.2 EMRK genannten Gründe gerechtfertigt sei, aus.

6. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF für das Beschwerdeverfahren gemäß § 63 Abs. 2 AVG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

7. Gegen oben angeführten Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die vorliegende, fristgerecht erhobene und zulässige Beschwerde, worin der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, unrichtiger Beweiswürdigung, unvollständiger Sachverhaltserhebung und unterlassener Einholung maßgeblicher Beweismittel, in vollem Umfang angefochten wurde.

Der BF führte darin insbesondere aus, sein Vorbringen sei in sich schlüssig und plausibel gewesen, den Tatsachen entspreche, mit den allgemeinen Erfahrungen übereinstimme und der BF letztlich eine wohlbegründete Furcht vor einer Verfolgung iSd Art. 1 Abs A Z 2 GFK darlegen habe können. Darüber sei der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt und könne nicht ausgeschlossen werden, dass im Falle einer Rückkehr für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes vorliege und sei ihm daher zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

8. Im Laufe des weiteren Verfahrens legte der BF mehrere Bestätigungen über Teilnahmen bzw. Anmeldungen an Sprachkursen sowie eine Bestätigung über die Anmeldung zu einem Nachmittagskurs "Pflichtschulabschluss" vor.

9. Mit den an das Bundesverwaltungsgericht adressierten Schriftsätzen vom 07.05.2014 und 14.05.2014 brachte der BF vor, psychisch sehr belastet zu sein und sich immer wieder in Behandlung im Universitätsklinikum Salzburg zu befinden. Er leide seit fast einem Jahr an depressiven Episoden und psychosomatischen Schmerzen.

Den Schreiben beigefügt wurden Ambulanzberichte des Universitätsklinikums Salzburg vom 21.11.2013, 18.12.2013, 27.02.2014 und 06.05.2014 sowie ein Anmeldeblatt der CARITAS vom 06.06.2014 zur Krisenintervention und Psychotherapie für Asylwerber.

10. Am 17.07.2014 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari durch, an welcher der BF als Partei, eine Beschwerdeführervertreterin (im Folgenden: BFV) und ein länderkundiger Sachverständiger (im Folgenden: SV) teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, verzichtete mit Schreiben vom 17.06.2014 auf die Teilnahme an der Verhandlung, stellte jedoch den Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

10.1. Der BF gab an, regelmäßig Medikamente nehmen zu müssen und sich in psychotherapeutischer Behandlung zu befinden.

Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der BF entsprechend seiner bisherigen Angaben im Laufe des Verfahrens aus, in seinem Heimatdorf von einer Person angesprochen worden zu sein, die ihn aufgefordert habe, mit ihm gemeinsam in den Kampf zu ziehen. Der BF habe jedoch nicht in den Kampf ziehen wollen, weil er noch zu jung dafür sei und sei sodann davon gelaufen. Zuhause habe er seinen Eltern von diesem Vorfall berichtet. Der BF habe Angst gehabt und habe nach ca. 2 Monaten Afghanistan verlassen.

Der BF stamme aus dem Dorf Sangsar im Distrikt Jarai in der Provinz Kandahar, wo er auch im Jahre XXXX geboren sei. Der BF sei Tadschike. In dieser Gegend habe es auch viele Paschtunen gegeben. Die Eltern des BF würden XXXX (Vater) und XXXX (Mutter) heißen. Zu diesen bestehe jedoch keinen Kontakt mehr und wisse der BF nicht, wo diese sich aufhalten würden.

Die BFV hielt mit Hinweis auf die bereits vorgelegten, ärztlichen Befunde des Universitätsklinikums Salzburg fest, dass der BF an einer depressiven Episode mit somatischen Symptomen leide.

10.2. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erstattete der länderkundige SV auf Ersuchen der vorsitzenden Richterin folgendes Gutachten zur Sicherheitslage und zur medizinischen Betreuung im Herkunftsstaat des BF - soweit dies psychisch Kranke anbelangt:

"Nach dem das BAA (nunmehr: BFA) die Staatsangehörigkeit des BF als Afghane festgestellt hat, möchte ich ausführen, dass die Herkunftsregion des BF aus den heutigen Angaben des BF nicht feststellbar ist. Hierzu möchte ich auf folgende Quelle hinweisen, aus der die Distrikte der Provinz Kandarhar hervorgehen:

http://en.wikipedia.org/wiki/districtsofAfghanistan

Der BF war ca. 15 Jahre alt, als er Afghanistan verlassen hat. Mit dem Alter können die Jugendlichen ihre Umgebung wahrnehmen und auch zu einem späteren Zeitpunkt über ihre Herkunftsregion ausführliche Auskunft geben. Nur bei jenen Personen, die eine schwere psychische Krankheit haben und unter Beobachtung der Familie stehen, ist es nicht ausgeschlossen, dass diese Personen das Haus nicht verlassen können. Nachdem der BF es bis nach Europa geschafft hat, gehe ich nicht davon aus, dass er zu Hause von der Familie "eingesperrt" war wegen seiner Krankheit.

Die psychisch Kranken in Afghanistan werden, wenn sie auffällig werden, als Verrückte bezeichnet. Hierzu möchte ich auf folgende Internetquelle hinweisen:

http://www.dw.de/verrückt-in-afghanistan/a-16453404

Diese Personen werden auf der Straße von den Kindern mit den Steinen beworfen und von der Bevölkerung ständig als verrückte Personen bezeichnet, belächelt und belästigt. Diese Personen gewöhnen sich daran und versuchen, sich der Situation anzupassen. Sie verlieren ihre Würde und können nicht mehr ein normales Leben führen. Wenn sie auffälliger werden, werden sie von ihren Familien zu Hause eingesperrt. Natürlich werden diese Personen von ihren Familien zu den traditionellen Heilern gebracht und sie versuchen, diese auch mit Gewalt zu beruhigen. Wenn die Familien genug Geld haben, werden sie versuchen, solche Familienmitglieder zum Arzt zu bringen. Die ärztliche Betreuung der psychisch Kranken in Afghanistan beschränkt sich auf medikamentöse Behandlung. Hierbei werden inadäquate Medikamente verabreicht und es gibt keine geeigneten Psychiater und Psychologen. In ganz Afghanistan hat es früher nur eine Nervenheilanstalt gegeben. Seit dem Sturz der Taliban werden mit der Hilfe der Internationalen Gemeinschaft viele Spitäler gebaut, allerdings ist die Anzahl der Spitäler für die Betreuung psychischer kranker Menschen sehr beschränkt. Es gibt kaum Psychotherapeuten und die Betreuung der psychisch kranken Menschen beschränkt sich hauptsächlich, auch in den Spitälern, auf Medikamente. Nachdem die Sicherheitslage in Afghanistan prekär ist, können die psychisch Kranken sich nicht frei bewegen. Das erhöht die Depression dieser Menschen und führt dazu, dass ihre Aggression zunehmen. Nachdem die afghanische Gesellschaft diesen Personen gegenüber negativ eingestellt ist, besteht die Gefahr, dass diese Menschen durch Schläge von anderen Menschen schwer verletzt werden. Es besteht auch für diese Personen Todesgefahr, weil sie nicht in der Lage sind, sich gegenüber den bewaffneten Personen adäquat zu benehmen. Die Personen, die sich gegenüber den Sicherheitskräften oder anderen bewaffneten Kräften nicht ruhig verhalten können, laufen Gefahr, dass sie erschossen werden. Ich möchte bezüglich der sehr mangelhaften Betreuung der psychisch und psychiatrischen kranken Menschen in Afghanistan auf folgende Internetquelle hinweisen:

http://www.aerzteblatt.de/archiv/93857/Afghanistan-Dramatischer-Anstieg-psychischer-Belastungen ."

10.3. Unterlagen und Länderfeststellungen zur aktuellen Beurteilung der politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wurden dem BF unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der mündlichen Verhandlung aufgrund der dem BVwG vorliegenden Informationsunterlagen bzw. der darauf fußenden Feststellungen zu Kenntnis gebracht und in die Verhandlung eingeführt. Der BF verzichtete auf eine Stellungnahme.

10.4. Gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG wurde das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen und der Rechtsmittelbelehrung nach Schluss der mündlichen Verhandlung von der zuständigen Einzelrichterin verkündet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF und zu seinen Fluchtgründen:

Das Vorbringen des BF zu seiner Person und zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen (s. oben Pkt. I. wiedergegeben) wird der Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Er trägt den im Spruch genannten Namen und wurde am XXXX in Kandahar geboren.

Der BF befindet sich seit November 2013 in regelmäßiger Behandlung am Universitätsklinikum Salzburg. Im Rahmen dieser Behandlung wurde dem BF eine krankheitswertige psychische Störung attestiert. Des Weiteren wurden die Einnahme eines Antidepressivums und die Inanspruchnahme einer Psychotherapie angeordnet.

Aufgrund der individuellen Situation des BF und der momentan in Afghanistan vorherrschenden medizinischen Versorgungslage für Personen mit psychischen Erkrankungen, ist der BF bei einer Rückkehr einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt.

1.2. Zur politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat des BF:

Die Länderberichte zur aktuellen Beurteilung der politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wurden in das Verfahren eingeführt und dem BF zur Kenntnis gebracht. Bezogen auf die Situation des BF sind folgende Beurteilungen als relevant zu werten:

1.2.1. Allgemeines:

Die afghanische Geschichte der letzten Jahrzehnte ist geprägt von der Besatzung durch die UdSSR von 1979 bis 1989, vom Bürgerkrieg zwischen den Mudjaheddin-Gruppen von 1992 bis 1996 und von der Gewaltherrschaft der Taliban von 1996 bis 2001. Hinzu kommt, dass Blutrache und Fehden zwischen Familien, Clans und Ethnien, insbesondere in der paschtunischen Stammesgesellschaft im Süden und Osten des Landes, seit jeher gängige Formen der Auseinandersetzung darstellen. Eine Kultur des politischen Diskurses und der friedlichen Beilegung von Konflikten ist daher auf politischer wie auch auf persönlicher Ebene nur schwach ausgeprägt (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.1.2012).

Nach dem Sturz der Taliban infolge der im Oktober 2001 gestarteten Intervention einer U.S.-geführten Koalition, die die afghanische Nordallianz unterstützte, wurden auf der Grundlage des im Dezember 2001 abgeschlossenen Petersberger Abkommens Schritte zum Wiederaufbau staatlicher Strukturen unternommen, wie die Einberufung einer Sonderversammlung von "Räten" ("Emergency Loya Jirga"), die Einsetzung einer Übergangsregierung, die Durchführung von Wahlen und die Verabschiedung einer Verfassung (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.1.2012). Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen von 2004 sowie der Parlamentswahlen von 2005 fanden allgemein breite Akzeptanz in der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft - trotz Vorwürfe hinsichtlich Einschüchterungsversuche, Parteilichkeit innerhalb der Wahlkommission und anderer Unregelmäßigkeiten. Die Präsidentschaftswahlen 2009 und die Parlamentswahlen von 2010 waren indes von schwerem Wahlbetrug und anderen Problemen überschattet. Staatliche Institutionen versagten, den Wahlprozess effektiv zu steuern und Transparenz zu gewährleisten (Bericht von Freedom House vom 1.5.2011).

Am Nato-Gipfeltreffen im Mai 2012 in Chicago wurden der schrittweise Abzug der Truppen bis 2014 sowie die Grundzüge des Nachfolgeeinsatzes diskutiert. An der Geberkonferenz in Tokio vom 8.7.2012 verpflichtete sich die internationale Staatengemeinschaft, für den zivilen Wiederaufbau in den nächsten vier Jahren 16 Milliarden US-Dollar bereitzustellen. Im Gegenzug dazu werden von der afghanischen Regierung deutliche Fortschritte im Bereich der guten Regierungsführung und im Kampf gegen die Korruption sowie transparente Wahlen erwartet. Neben den Abzugsplänen versuchen vor allem die USA, die Friedensverhandlungen mit den Taliban voranzutreiben. Im Januar 2012 erklärten sich die Taliban bereit, mit der afghanischen Regierung und den USA Vorgespräche zu Friedensverhandlungen aufzunehmen, die sie nach Gesprächen im Februar 2012 jedoch wieder im März 2012 abbrachen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012).

Der afghanische Versöhnungsprozess einschließlich der Wiedereingliederung von Aufständischen in die Gesellschaft bleibt eine zentrale Voraussetzung für eine Friedenslösung in Afghanistan. Gespräche mit führenden Vertretern des bewaffneten Aufstandes sollen den Weg zu einer Aussöhnung mit den Taliban und anderen regierungsfeindlichen Kräften bereiten, während gleichzeitig den einfachen Kämpfern und der mittleren Führungsebene eine legale zivile wirtschaftliche Perspektive und eine Reintegration in die Gesellschaft angeboten werden sollen. Im Rahmen des Friedens- und Reintegrationsprogramms sollen Aufständische in Staat und Gesellschaft zurückgeholt werden. Nach anfänglichen Verzögerungen ist das Reintegrationsprogramm inzwischen erfolgreich angelaufen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.1.2012). Bis April 2012 wurden nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministers etwa 4000 Kämpfer reintegriert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012). Die Ermordung des Vorsitzenden des Hohen Friedensrates, der für den politischen Dialog mit der Führung der Aufständischen zuständig war, Burhanuddin Rabbani, im September 2011 war jedoch ein schwerer Rückschlag für diesen Prozess. Aussöhnung und Reintegration werden in der afghanischen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Zwar wird das Ziel einer Wiedereingliederung feindlicher Kämpfer von kaum jemandem in Frage gestellt, doch befürchten viele Afghanen weitreichende Zugeständnisse an die Taliban, die die seit 2001 erzielten Fortschritte, insbesondere im Menschenrechtsbereich, zunichtemachen könnten (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.1.2012).

Mittlerweile reklamieren die Taliban mit der systematischen Einrichtung parallelstaatlicher Strukturen in immer weiter nördlich gelegenen Gebieten den Anspruch für sich, als legitime Regierung Afghanistans betrachtet zu werden. Die regierungsähnlichen Strukturen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten (mit Schattengouverneuren und in wichtigeren Gebieten mit verschiedenen Kommissionen z.B. für Justiz, Besteuerung, Gesundheit oder Bildung) sind relativ gut etabliert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012).

Afghanistan ist eine islamische Republik und hat schätzungsweise 24 bis 33 Millionen Einwohner. Die afghanische Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Parlament vor, das aus einem Unterhaus und einem Oberhaus, deren Mitglieder von den Provinz- und Distriktsräten sowie vom Präsidenten bestellt werden, besteht.

(Country Report des U.S. Department of State vom 19. April 2013)

Der Präsident wird direkt gewählt. Die letzten Präsidentschafts- und Provinzratswahlen fanden im August 2009 statt. Präsident Karzai ging abermals als Sieger aus den Wahlen hervor. Laut afghanischer Verfassung ist es Präsident Karzai nicht erlaubt, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden am 5. April 2014 statt, die endgültige Kandidatenliste wurde im November 2013 veröffentlicht. An die Wahlen wird sich eine Phase der Regierungsbildung anschließen, die angesichts der noch ungefestigten Verfahren längere Zeit in Anspruch nehmen kann.

Die afghanische Nationalversammlung ("Shuraye Melli") besteht aus dem Unterhaus (Volksvertretung, "Wolesi Jirga") und dem Oberhaus (Ältestenrat/Senat, "Meshrano Jirga"), die nach dem Modell eines klassischen Zweikammersystems gleichberechtigt an der Gesetzgebung beteiligt sind. Die letzten Parlamentswahlen fanden am 18. September 2010 statt. Die Auseinandersetzung um die Ergebnisse bei den Parlamentswahlen hielt Monate an.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 10. Jänner 2012, S. 7; United States, Country on Human Rights Practices 2012 - Afghanistan, vom 19. April 2013, S. 1, Deutsches Auswärtiges Amt, Innenpolitik, vom April 2013; derstandard.at, "Afghanische Wahlkommission bestätigt Liste für Präsidentschaftswahl", vom 20. November 2013; Deutsche Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan vom Januar 2014, S.

4)

1.2.2. Zur allgemeinen Sicherheitslage:

Afghanistan ist mit einem Truppenabzug internationaler Kampfkräfte konfrontiert und der Übergabe der Sicherheit an die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) bis zum Ende des Jahres 2014. Es wird damit einen wesentlichen Sicherheits- und Entwicklungswandel in den nächsten drei Jahren durchlaufen. Die finale Tranche des Transfers der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte wurde am 18. Juni verkündet. Nachdem die Übergangsphase fortschreitet und die ANSF ihre Sicherheitsverantwortung übernehmen, transformiert die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) zunehmend ihre Rolle von einer kämpferischen hin zu einer unterstützenden. Die ISAF wird, wie bisher, die ANSF ausbilden, beraten und unterstützen bis die Übergangsphase mit Ende 2014 abgeschlossen ist. Bis Ende 2014 wird die ISAF jedoch - sofern benötigt - auch weiterhin Kampfunterstützung liefern. Auf die Transition wird ein Jahrzehnt der Transformation (2015-2024) folgen, Afghanistan hat verstärkte eigene Anstrengungen zugesagt um sich zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat zu entwickeln. Dafür hat Afghanistan die Zusage langfristiger internationaler Unterstützung erhalten.

Afghanistan steht ein schweres Jahr bevor: Die internationalen Kampftruppen sollen das Land bis Ende 2014 verlassen, anschließend sind nur noch Ausbildungs- und Unterstützungseinsätze vorgesehen.

Der Personalstand der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) wuchs im letzten Jahrzehnt von 6000 auf offiziell rund 338.000 - Stand September 2013 - an.

Die UN gibt folgende Aufteilung der Zahl der Sicherheitskräfte an:

Afghan National Army (ANA) - 185.000; Afghan Air Force - 6,900; Afghan National Police (ANP) - 140,660. Die ANP und das Innenministerium beschäftigen 1.999 Frauen, die afghanische Armee

458. Die Sicherheitskräfte werden aus dem "UN Fonds für Recht und Ordnung für Afghanistan" unterstützt. Das "Afghanische Lokale Polizei Programm", ist ein separates Programm zur lokalen Verteidigung. Die Ausdehnung des Programms schreitet voran. Mit Stand 19. November betrug der Personalstand der Afghanischen Lokalen Polizei (ALP) 24.500 in 122 Distrikten von 29 Provinzen. Nimroz, Panjhsir, Samangan und Nuristan sind die einzigen Provinzen, in denen dieses Programm noch nicht in Kraft ist. Die ALP ist überproportional von Anschlägen betroffen. Es gibt Berichte zu Übergriffen der ALP - meist mit Straflosigkeit, in anderen Orten erfüllt die ALP ihre Arbeit zur Zufriedenheit der lokalen Bevölkerung. Die Berichte zur ALP sind somit gemischt. Einerseits berichten die lokalen Gemeinschaften in vielen Distrikten von einer Verbesserung der Sicherheit durch die Operationen der ALP, andererseits dokumentiert die UNAMA Menschenrechtsverletzungen und zivile Opfer in den Operationen - zwischen 1.1. und 30.6.2013 waren dies 14 zivile Todesopfer in Operationen der ALP.

Ursprünglich war das Programm auf den Norden und Nordosten fokussiert, die Expansion geschieht nun hauptsächlich in den Südosten.

Die Kapazitäten der afghanischen Sicherheitsinstitutionen wachsen weiterhin. Eine zunehmende Zahl an Operationen wird durch die lokalen Sicherheitskräfte geplant und durchgeführt, während ISAF Luftunterstützung und Hilfe in der Abwehr der Sprengsätze bietet. Nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte den Großteil der Operationen nun selbst durchführen, ist die Zahl der Opfer unter ihnen stark angestiegen. Die Zahlen divergieren. Einer Aussage vom 29. Oktober 2013 aus dem afghanischen Innenministerium zu Folge, starben zwischen April und Oktober 1.273 Angehörige der Afghanischen Nationalpolizei und 779 Angehörige der Afghanischen Lokalpolizei im Einsatz. 74 Prozent der Sicherheitsvorfälle zwischen 16. August und 15. November 2013 zielten auf Konvois, Checkpoints, Stützpunkte und Personal der Afghanischen Lokalpolizei.

Ein weiterer Bericht spricht von mehr als 3.500 afghanischen Sicherheitskräften, die während des zweiten Quartals 2013 in Kampfeinsätzen verletzt oder getötet wurden.

Der Anstieg der Opfer unter den afghanischen Sicherheitskräften korreliert mit einem von "icasualties" erfassten Rückgang von Todesopfern bei den internationalen Truppen für das Jahr 2013 im Vergleich zu 2012. Im Jahr 2013 waren z.B. 52 Opfer bei den internationalen Schutztruppen durch IED zu beklagen, während es im Jahr 2012 noch 132 waren.

Die Akte der Taliban gegen Zivilisten hielten im Jahr 2012 weiter an, insbesondere undifferenzierte Attacken verursachten hohe Zahlen ziviler Todesopfer (HRW 31.1.2013). Die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle nahm 2012 im Vergleich zum Vorjahr leicht ab und setzte somit den Trend fort. Die Führungs- und Operationsfähigkeit der Insurgenz konnte geschwächt werden.

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 erschwerten die Dynamiken von Politik und Sicherheit jedoch den Schutz von Zivilisten und begrenzten den Zugang zu Menschenrechten. Dem verstärkt forcierten Übergang der Sicherheitsverantwortung von internationalen Militärkräften zu afghanischen Kräften sowie der Schließung von internationalen Militärbasen standen vermehrte Attacken durch regierungsfeindliche Elemente (AEG) auf die ANSF, insbesondere an Checkpoints und bei strategischen Autobahnen gegenüber. Die Bemühungen der Aufständischen ihren territorialen Einfluss in umkämpften Gebieten durchzusetzen, führte zu vermehrten Bodenkämpfen zwischen AEG, pro-Regierungselementen und pro-Regierungskräften. Besonders afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten wurden in den Kämpfen oder von unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtung (IED) häufiger getötet oder verletzt. Der Anstieg ziviler Opfer in der ersten Jahreshälfte 2013 kehrte die Abnahme ziviler Opfer und Verletzter, die im Jahre 2012 verzeichnet wurde, um. Die Opferzahl erreichte den hohen Wert von 2011.

Die erste Jahreshälfte 2013 verzeichnete laut einer Quelle einen Anstieg verletzter und getöteter Frauen von 61 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012.

Insgesamt sammelte UNAMA für die ersten zehn Monate des Jahres 2013 Daten zu 2,568 zivilen Todesopfern und 4,826 zivilen Verletzten. Es wurde damit ein Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012 verzeichnet. Um die 75 Prozent der Opfer wurden regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben. Deren Einsatz von unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen (IEDs), inklusive komplexer Attacken und Selbstmordattentate, verursachten 49 Prozent aller Opfer und stellten weiterhin die größte Gefahr für Zivilisten dar. 10 Prozent der zivilen Opfer rechnete die UNAMA pro-Regierungstruppen zu. 11 Prozent der Opfer wurden Bodenoperationen und Attacken zugerechnet, die keiner Partei zugeschrieben werden konnten. Aufgrund von Bodenkämpfen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und Pro-Regierungstruppen wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 2012 456 Zivilisten getötet und 1,454 verletzt. Dies stellt einen Anstieg von 36 Prozent zum Vergleichszeitraum 2012 dar. Besonders signifikant war er mit 52 Prozent in den östlichen Regionen Es wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 2013 89 Selbstmordanschläge durch die Vereinten Nationen erfasst, gleich viele wie im Jahr 2012, 45 dieser waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Paktika und Kabul.

Im Jahr 2013 stiegen die Angriffe und Entführung prominenter afghanischer Frauen. Aufgrund ihrer besonderen Machtstellung gehören Provinz- und Distriktgouverneure zu den herausgehobenen Personen, auf die immer wieder Anschläge verübt werden. Auch gegen Mitarbeiter des afghanischen öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden werden aufgrund ihrer Tätigkeit für den afghanischen Staat Anschläge verübt.

Erhöhte Unsicherheit und Attacken gegen Hilfsorganisationen gefährden die Möglichkeit humanitärer Organisationen, der betroffenen Bevölkerung zu helfen. Im Zeitraum vom 16.2.2013 bis 15.5.2013 sammelte UNAMA 4.267 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dies stellt einen Anstieg von 10 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres darf. Im Zeitraum 16.5 - 15.8.2013 verzeichnete die UNO 5,922 Vorfälle, was einen 11-prozentigen Anstieg im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutete, jedoch eine 21 prozentige - Senkung zum Vergleichszeitraum des Jahres 2011. Bewaffnete Kämpfe und unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen waren die Ursache für 4,534 Vorfälle. Rebellen konzentrierten sich darauf Checkpoints und Militärstützpunkte, die vom internationalen Militär an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wurden, anzugreifen. Die effektive Abwehr der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrierte sich im Allgemeinen auf den Schutz von Schlüsselstädten und administrativen Bezirkszentren sowie strategischen Transportrouten.

Im Zeitraum vom 16.8. bis 15.11.2013 sammelte die UN 5,284 Vorfälle, was einen Anstieg von 1.9 Prozent zu dem Vergleichszeitraum im Jahr 2012 anzeigt. Die ersten zehn Monate des Jahres 2013 verzeichneten im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012 einen Anstieg von insgesamt 13.2 Prozent, jedoch konnte eine Reduktion von 16 Prozent zum Vergleichszeitraum des Jahres 2011 erfasst werden. Anti-Regierungs-Elemente zielen weiterhin auf Straßen und Verkehrsnetze und können weiterhin einen beträchtlichen Einfluss in den ländlichen Gebieten, in denen oft die Reichweite und die Dienstleistungen der Regierung gering sind, behaupten.

Geographisch tragen die Hauptlast von Sicherheitsvorfällen die südlichen, süd-östlichen und östlichen Provinzen.

Von den Sicherheitsvorfällen zwischen 16.2. und 15.5. betrafen 70 Prozent die die südlichen, süd-östlichen und östlichen Teile des Landes. Von den Sicherheitsvorfällen zwischen 16.5. und 15.8. 2013 betrafen 69 Prozent diese Regionen. Von den Vorfällen zwischen 16.8 und 15.11 betrafen 70 Prozent die südlichen, süd-östlichen und östlichen Teile des Landes.

Im Osten des Landes wurde zwischen 16.2. und 15.5. eine 18-prozentige Zunahme von Vorfällen im Vergleich zu 2012 verzeichnet, mit einem Zustrom der Aufständischen in die Provinzen Nuristan und Badakhshan, der einen Wechsel des strategischen Fokus des Konflikts andeutet.

Infolge militärischer, überwiegend afghanisch geführter Operationen, starker Präsenz im Raum sowie politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen konnte eine partielle Stabilisierung in Teilen Nord- und Westafghanistans, aber auch in der Hauptstadt Kabul erzielt werden. In diesen Gebieten ist die Sicherheitslage überwiegend unter Kontrolle.

Das Sekretariat des Afghanischen Friedens- und Reintegrationsprogrammes berichtete, dass mit Stand 19. November

7.532 Personen dem Programm beigetreten sind. 168 Projekte und 170 Mikro-Beihilfen wurden abgeschlossen oder begonnen. Mit Stand Mai 2013 liefen unter dem Programm 331 Gemeinschaftsprojekte und 146 Beihilfen bzw. wurden abgeschlossen. Das Programm richtet sich mit Reintegrations- und Übergangsunterstützung an ehemalige Militante.

Die UNAMA unterstützte auch weiterhin den "Friedensdialog der Afghanischen Bevölkerung", eine zivilgesellschaftliche Initiative zur Umsetzung von Friedensmaßnahmen auf Provinzebene. Im Rahmen von afghanischen Informationskampagnen unter dem "Police-e-Mardumi-Programme", unterstützen die Vereinten Nationen ein demokratisches Projekt durch Sicherheitsgespräche mit der Polizei in sieben Provinzen, sowie monatliche Beratungen zwischen Polizei und Gemeinschaftsführern, inklusive Frauen, in 15 Bezirken der Provinzen Uruzgan, Baghlan, Helmand, Ghor und Balkh. In den Provinzen Daikundi, Kapisa, Nuristan, Kunduz, Takhar, Gardez und Jawzjan initiierte UNAMA im Oktober eine Reihe von Dialogen zwischen den Gemeinschaften um Vertrauen aufzubauen und Spannungen zwischen Stämmen und Ethnien abzubauen.

Sicherheitslage in den Provinzen Afghanistans:

Mittlerweile betrifft der Konflikt, der sich zuvor auf den Süden und Osten des Landes konzentrierte, die meisten Landesteile, insbesondere den Norden, aber auch Provinzen, die zuvor als die stabilsten im Land gegolten hatten. Die zwölf Provinzen mit den insgesamt meisten Sicherheitsvorfällen im Jahr 2012 waren Helmand, Kandahar und Urusgan (südliche Region), Ghazni, Paktika und Khost (südöstliche Region), Nangarhar und Kunar (östliche Region), Herat und Farah (westliche Region) und Kabul und Wardak (Zentralregion). Die südliche, die südöstliche und die östliche Region entwickelten sich zu einem zunehmend zusammenhängenden Kampfgebiet. In den Provinzen Kandahar, Kunar, Nangarhar, Logar und Wardak kam es im Jahr 2012 zu einem deutlich höheren Grad an Sicherheitsvorfällen als 2011 (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). In Kandahar und Ghazni erreichte die Zahl der Vorfälle Rekordhöhen (INSO-Report vom Jänner 2014).

1.2.3. Taliban und Frühjahrsoffensive 2013:

Die Taliban sind die berüchtigtste in Afghanistan aktive Bewegung. Sie operiert hauptsächlich im Süden Afghanistans - besonders in den traditionellen Hochburgen Helmand

und Kandahar. Geleitet werden die Taliban durch den Gründer und Führer der afghanischen Taliban Mullah Omar und der Quetta-Shura - einer Gruppe von Veteranen der Taliban, die in Quetta, Pakistan, lokalisiert sind. Dies ist jene Gruppe, die vormals Afghanistan regierte und al-Qaida Zuflucht gewährte, bevor sie von den amerikanischen Kräften entmachtet wurde.

Der territoriale Einfluss und die Kontrolle der Taliban nahmen 2012 ab. Nichtdestotrotz blieb der Einfluss der Aufständischen in vielen ländlichen Gebieten erhalten, die damit als Ausgangspunkte für Attacken auf Städte dienten. Dies ermöglichte den Taliban, Angriffe in derselben Häufigkeit wie 2012 durchzuführen - jedoch in weniger bevölkerungsreichen Gegenden.

Im April 2013 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensive "Khalid ibn al-Walid" an, mit der Intention komplexe Selbstmordattentate und Insiderangriffe gegen die "Basis der Fremdeindringlinge, deren diplomatische Zentren und militärische Stützpunkte" durchzuführen. Die großen Vorfälle dieser Offensive waren u.a. im März ein Bombenanschlag auf das Verteidigungsministerium in Kabul mit 9 Toten und auf das Polizeihauptquartier in Jalalabad mit 5 Toten, ein Anschlag auf ein Gericht in Farah im April und ein Anschlag auf den Supreme Court im Juni mit 17 Toten. Der Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar proklamierte, dass Angriffe durch mit den Taliban sympathisierender Mitglieder der ANSF auf die internationalen Streitkräfte eine Schlüsselstrategie der Taliban seien, um die Kontrolle zu erobern. Ende Mai wurde ein Selbstmordattentat auf das Anwesen des Gouverneurs der Provinz Panjshir durch die Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und die Taliban durchgeführt. Den Sicherheitskräften gelang es allerdings eine Autobombe vor Ort zu entschärfen. Vier Polizisten wurden verletzt, die sechs Angreifer getötet. Diese Attacke war die erste dieser Art im Panjshir Tal seit Oktober 2011. Das Tal gilt als stark gegen die Taliban eingestellt und die Provinz Panjshir als besonders friedlich. Die Attacken der Taliban verstärkten sich nach der Ausrufung der Frühjahrsoffensive. Im Rahmen der Frühjahrsoffensive verübten die Taliban am 24.5.2013 auch eine Attacke auf den Compound der International Organisation for Migration in Kabul. Dieser folgte ein fünfstündiges Gefecht. Ein Polizist und zwei Angreifer wurden dabei getötet, 10 Personen verletzt.

(AA - Auswärtiges Amt (4.6.2013): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan;

APA, Weltweit Bestürzung über Taliban-Angriff auf Ausländer in Kabul, vom 18.01.2014;

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http://news.xinhuanet.com/english/world/2013-05/29/c_132416705.htm , Zugriff 20.1.2014)

1.2.4. Schiiten:

Etwa 19 Prozent der Bevölkerung sind schiitische Muslime, welche damit die größte religiöse Minderheit des Landes sind. Die Ismailiten, die sich selbst zum schiitischen Islam rechnen, machen etwa 5 Prozent der Bevölkerung aus. Der Großteil der afghanischen Schiiten gehört der ethnischen Gruppe der Hazara an. Die Situation der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban Regimes wesentlich gebessert. Trotzdem war die schiitische Minderheit mit gesellschaftlichen Diskriminierungen, sowie einer rezenten Verschlechterung der Beziehungen zu der sunnitischen Mehrheit konfrontiert. Die schiitischen Muslime konnten im Berichtzeitraum vom 31.1.2012 bis 30.1.2013 ihr traditionelles Ashura Fest in Kabul öffentlich ohne Zwischenfälle feiern. Der letzte große Zwischenfall, bei dem mindestens 55 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, fand 2011 während der Ashura-Feiern in Form eines Selbstmordattentats in einer heiligen Stätte in Kabul statt.

Die Verfassung garantiert, dass das schiitische Gesetz in Personenstandsangelegenheiten angewendet wird, in denen alle Parteien Schiiten sind. Im Jahr 2009 wurde ein Gesetz durchgesetzt, das viele konstitutionelle Rechte der schiitischen Frauen schmälert. Erbschafts-, Heiratsfragen und Angelegenheiten persönlicher Freiheit werden von den konservativen schiitischen Autoritäten festgesetzt. Der Gesetzestext wurde im Parlament durchgesetzt, ohne ordentlich debattiert zu werden. Zivilgesellschaftliche Gruppen und afghanischen Frauenorganisationen kritisierten, dass der Gesetzestext im Widerspruch zu Artikel 22 steht, der die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz bekräftigt.

(BBC News (5.9.2013): Shia mosque attacked in Kabul by men in police uniforms, http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-23968511 , Zugriff 12.9.2013;

FH - Freedom House (1.2013): Freedom in the World 2013 - Afghanistan, http://www.ecoi.net/local_link/242086/365391_de.html , Zugriff 16.1.2014;

Herizons (Herbst 2009): Afghan Women Stand Strong Against Shia Law, http://www.readysetglobal.com/pdf/fall09herizons.pdf , Zugriff 16.1.2014;

USAID - United States Agency for International Development (4.2009):

Shiite Personal Status Law - Afghanistan (Englische Übersetzung des Originaltexts), http://www.refworld.org/docid/4a24ed5b2.html , Zugriff 16.1.2014;

USCIRF - U.S. Commission on International Religious Freedom:

(30.4.2013): Annual Report - Afghanistan, http://www.uscirf.gov/images/Afghanistan 2013.pdf , Zugriff 12.8.2013;

USDOS - US Department of State (20.5.2013): International Religious Freedom Report for 2012,

http://www.state.gov/j/drl/rls/irf/religiousfreedom/ #wrapper, Zugriff 15.1.2014;

UNPAN - United Nation Public Administration Network (2004): Afghan Constitution (Englische Übersetzung des Originaltextes), http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/APCITY/UNPAN015879.pdf , Zugriff 6.12.2013)

1.2.5. Menschenrechte und Menschenrechtsorganisationen:

Trotz beachtlicher Erfolge während der vergangenen elf Jahre bleibt die gesellschaftliche Verankerung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, eine große Herausforderung in Afghanistan. Das liegt zum einen an der Schwäche der afghanischen Institutionen und mangelnder Rechtskenntnis bei Bevölkerung und Behörden, zum anderen an der mangelnden Akzeptanz von Menschen- und Frauenrechten innerhalb der Gesellschaft. Nicht zuletzt spielt die fehlende Bereitschaft von Justiz und Strafverfolgungsbehörden, geltende Gesetze zum Schutz von Menschen- und Frauenrechten umzusetzen, eine Rolle. In Umsetzung der Tokio-Verpflichtungen muss die afghanische Regierung weitere Anstrengungen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Verbesserung der Situation der Menschenrechte vorweisen. Mittlerweile haben sich die afghanische Regierung und die Staatengemeinschaft auf zwei messbare Hard Deliverables im Bereich der Menschenrechte geeinigt, anhand derer die internationale Gemeinschaft eine erste Bilanz der Reformfortschritte ziehen will:

1. Bericht aller beteiligten Regierungsinstitutionen zur landesweiten Umsetzung des Gesetzes zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen (EVAW) und 2. inklusiver Nominierungsprozess für die Kommissare der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission (Afghan Independent Human Rights Commission, AIHRC).

Neben der afghanischen Verfassung selbst, in der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben ist, bedeutet insbesondere das per Präsidialdekret erlassene EVAW-Gesetz vom August 2009 eine signifikante Stärkung der Frauenrechte. Sowohl ein UNAMA-Bericht vom 11. November 2012 als auch die AIHRC bestätigen, dass im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr Fälle von Gewalt registriert und damit öffentlich geworden sind. Damit sind die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung der Schuldigen erheblich besser geworden. Von einer effektiven Umsetzung des Gesetzes sind die Behörden jedoch noch weit entfernt.

Dies bestätigt auch der jüngste Bericht von Human Rights Watch zur Situation weiblicher Insassen afghanischer Hafteinrichtungen, denen sogenannte "Sittenverbrechen" nach der islamischen Scharia vorgeworfen werden. Derzeit seien rund 600 Frauen - also die Hälfte aller weiblichen Insassen - wegen solcher "moralischer Vergehen" inhaftiert. Den meisten dieser Frauen werde Flucht aus dem Elternhaus oder dem Haus des Ehemannes angelastet. Dies sei auch nach afghanischem Recht keine Straftat. Vielmehr seien gerade diese Frauen oft Opfer von häuslicher Gewalt, die nach dem EVAW-Gesetz unter besonderem Schutz der Behörden stehen müssten.

Mangelnde Kenntnis und Akzeptanz des EVAW-Gesetzes führen jedoch dazu, dass viele Fälle von Gewalt gegen Frauen nach wie vor an traditionelle Streitschlichtungsgremien überwiesen werden. Zudem haben auch Menschenrechtsorganisationen festgestellt, dass es der afghanischen Polizei und Justiz weiterhin nicht selten noch an hinreichender Qualifikation fehlt, um Mindeststandards der Rechtspflege konsequent einzuhalten.

Der UNAMA-Folgebericht zu Folter in afghanischen Haftanstalten vom Januar 2013 bestätigt ebenfalls, dass Defizite bei den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden die Durchsetzung der Menschenrechte in Afghanistan erschweren. Der Bericht konzentriert sich auf Inhaftierte, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen oder verurteilt wurden. Darin werden den Sicherheitskräften erneut Rechtsverstöße, vor allem Folter, vorgeworfen. Die Gebergemeinschaft, vor allem EU und UN, hat nach Veröffentlichung des UNAMA-Berichts die afghanische Regierung nachdrücklich aufgefordert, die Menschenrechte einzuhalten und die Haftbedingungen zu verbessern.

Die afghanische Regierung stellte die Ergebnisse des UNAMA-Berichts zunächst in Zweifel. Präsident Karzai beauftragte noch im Januar 2013 eine afghanische Untersuchungskommission, die Vorwürfe zu prüfen. Diese bestätigte die Feststellungen des UNAMA-Berichts. Die Kommission gab elf Handlungsempfehlungen an die Regierung, darunter eine minimale Gesundheitsversorgung für Inhaftierte und Videoaufzeichnungen bei Verhören. Der Präsident ordnete am 11. Februar 2013 die Umsetzung der Empfehlungen per Dekret an. Die AIHRC ist inzwischen wieder voll besetzt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 4. Juni 2013, S. 4; Deutsche Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan, vom Juni 2013, S.17 ff)

1.2.6. Justiz:

Das Gesetz beinhaltet eine unabhängige Justiz, aber in der Praxis ist die Justiz unterfinanziert, unterbesetzt, nicht adäquat ausgebildet, uneffektiv, Drohungen ausgesetzt, befangen, politisch beeinflusst und durchdringender Korruption ausgesetzt. Durch die Einflussnahme und Zahlung von Bestechungsgeldern an die Justiz und Verwaltung durch mächtige Akteure werden Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen verhindert.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013; United States, Country Reports on Human Rights Practices, vom 19. April 2013)

1.2.7. Ethnische Minderheiten:

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat, über den es aufgrund der seit Jahrzehnten schwierigen Sicherheitslage kaum gesicherte statistische Daten gibt. Die Zahlen für Angehörige einer Volksgruppe schwanken teilweise beträchtlich (ÖIF-Länderinfo vom Februar 2010). Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat wird in etwa wie folgt geschätzt: Paschtunen ca. 38%, Tadschiken ca. 25%, Hazara ca. 19%, Usbeken ca. 6% sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Baluchi, Nuristani u.a.). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen dort ein offizieller Status eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprache spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (ÖIF-Länderinfo vom Februar 2010).

Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat wird in etwa wie folgt geschätzt: Paschtunen ca. 38 Prozent, Tadschiken ca. 25 Prozent, Hazara ca. 19 Prozent, Usbeken ca. 6 Prozent sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Baluchi, Nuristani u.a.). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen dort ein offizieller Status eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprache spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage deutlich verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber dies scheint eher eine Folge der früheren Marginalisierung zu sein als eine gezielte Benachteiligung neueren Datums. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf.

Die ca. eine Million Nomaden (Kutschi), die mehrheitlich Paschtunen sind, leiden in besonderem Maße unter den ungeklärten Boden- und Wasserrechten. De facto kommt es immer wieder zu einer Diskriminierung dieser Gruppe, da ihre Mitglieder aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten und so Gefahr laufen, Opfer einer diskriminieren-den Verwaltungspraxis oder strafrechtlicher Sanktionierung zu werden. Immer wieder werden Nomaden rasch einer Straftat bezichtigt und verhaftet, wenngleich sie oft auch genauso schnell wieder auf freiem Fuß sind.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 9f)

1.2.8. Tadschiken:

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 22.11.2013). Sie macht etwa 27 Prozent der Bevölkerung in Afghanistan aus (CIA Datum). 35 Prozent des ANSF Offizierskorps sind Tadschiken. Die Tadschiken sind der Kern der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, die oft Karzai und seinem inneren paschtunischen Zirkel gegenübersteht, aber trotzdem mit ihm an den Strukturen der Regierung arbeitet. Der erste Vizepräsident von Präsident Hamid Karzai ist Muhammad Fahim, ein Tadschike. Der Verteidigungsminister, Bismillah Khan Mohammedi, ist ebenfalls ein Tadschike (CRS 22.11.2013).

(CRS - US Congressional Research Service (22.11.2013): Afghanistan:

Politics, Elections, and Government Performance, https://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf , Zugriff 16.12.2013 ;

CIA - The CIA World Factbook (7.1.2014): Afghanistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 16.1.2014)

1.2.9. Sicherheitsbehörden:

Mit der Übernahme der Sicherheitsverantwortung kämpfen afghanische Soldaten und Polizisten inzwischen fast überall in erster Reihe und tragen damit nun das größte Risiko. Heute sind die Afghan National Security Forces (ANSF) in der Lage, die meisten Angriffe der regierungsfeindlichen Kräfte eigenverantwortlich oder mit verminderter Beratung und Unterstützung durch die ISAF abwehren zu können.

Nach Einschätzung der afghanischen Regierung und ihrer Partner werden die ANSF gleichwohl auch nach dem Ende der ISAF-Kampfmission weiterhin Ausbildung, Beratung und Hilfestellung benötigen. In Chicago hatten die NATO und Afghanistan im Mai 2012 beschlossen, dass diese Aufgaben nach dem Ende von ISAF durch ein stark verringertes Truppenkontingent mit einem neuen, veränderten Auftrag wahrgenommen werden sollen.

(Deutsche Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan, vom Juni 2013, S. 4)

1.2.10. Strafverfolgung, Strafbemessung und Strafvollstreckung:

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht erkennbar. Fälle von Sippenhaft sind allerdings nicht auszuschließen. Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel schon deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen.

Präsident Karzai verkündet in regelmäßigen Abständen zu besonderen Anlässen Amnestien, die insbesondere Frauen, Kinder und ältere Gefängnisinsassen betreffen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 11).

Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Pashtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kinder verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus.

Innerhalb der Polizei sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung - ebenso wie in der Justiz - endemisch.

(Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes Afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013).

1.2.11. Todesstrafe:

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte (Mord, Entführung und gewisse Straftaten gegen die nationale Sicherheit) vorgesehen. Unter dem Einfluss der Scharia wird die Todesstrafe aber auch bei anderen Delikten verhängt (z.B. Blasphemie, Apostasie). Die Entscheidung über die Todesstrafe wird vom Obersten Gericht getroffen und kann nur mit Einwilligung des Präsidenten vollstreckt werden. Allgemein sind keine Bestrebungen seitens der Regierung zu erkennen, ein Moratorium zu erlassen oder die Todesstrafe gar abzuschaffen. Zuletzt wurde die Todesstrafe im November 2012 vollstreckt, als 14 wegen Vergewaltigung und Mordes Verurteilte exekutiert wurden. Landesweit sind momentan über 100 Personen zu Tode verurteilt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 16; vgl.: Amnesty International, Amnesty Report 2013, vom 21. Mai 2013)

Gemäß Amnesty International wurden in Afghanistan am 20. und 21. November 2012 14 Gefangene hingerichtet. Der Oberste Gerichtshof soll zudem 30 Todesurteile bestätigt haben. Zehn Todesurteile wurden in Haftstrafen umgewandelt. Ende November 2012 befanden sich mehr als 250 Personen in Todeszellen.

(Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2013, S. 12f; Amnesty International, Report 2013, vom 23. Mai 2013. USDOS, Human Right Practices 2012, vom 19. April 2013, S. 3).

1.2.12. Versorgungslage:

Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden - eigentlich die "Kornkammer" - des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheiten, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt. Die aus Konflikt und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben zur Folge, dass ca. 1 Mio. oder 29,5 Prozent aller Kinder als akut unterernährt gelten.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 18)

1.2.13. Rückkehrfragen:

Die Fähigkeit Afghanistans, Rückkehrer aufzunehmen, bleibt gering (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013). Gemäß UNHCR waren rund 40% der Rückkehrenden nicht in der Lage, sich in ihren Heimatgemeinden wieder zu integrieren, was zu einer signifikanten zweiten Vertreibung geführt hat. Bis zu 60% der Rückkehrenden kämpfen mit Schwierigkeiten, sich in Afghanistan wieder einzugliedern. Erschwert wird die Wiedereingliederung durch die anhaltend prekäre Sicherheitslage, den Verlust der Lebensgrundlage, den fehlenden Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie durch die Herausforderungen bei der Einforderung von Land und Besitz (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).

Bei der Rückkehr von Frauen, Kindern, alten Menschen oder Alleinerziehenden stellt die Reintegration in ein religiöses und sozial traditionelles Umfeld oft eine Herausforderung dar (Bericht von IOM vom Oktober 2012). Rückkehrer können auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art vor allem dann stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).

UNHCR spricht sich gegen eine Rückkehr von Personen an einen Ort aus, der weder dem Herkunftsort noch früheren Wohnorten entspricht, wo keine tatsächlichen Familien- oder Stammesstrukturen und entsprechende Unterstützung bestehen (Anfragebeantwortung des UNHCR vom 11.11.2011).

Situation von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen (Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender, 6.8.2013, S. 34ff):

Regierungsfeindliche Kräfte greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationalen humanitären Hilfs- und Entwicklungsakteure unterstützen bzw. mit diesen verbunden sind. 2012 fand eine Intensivierung von systematischen Angriffen statt, wobei UNAMA 698 Todesopfer unter Zivilisten und 379 Verletzte im Zusammenhang mit gezielten Tötungen oder gezielten Tötungsversuchen dokumentierte. 171 Im ersten Halbjahr 2013 wurde ein weiterer Anstieg der Zahl der zivilen Opfer um 29 Fälle im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2012 mit 312 Toten und 131 Verletzten infolge derartiger Angriffe verzeichnet. Zu den primären Zielen solcher Anschläge gehören nationale und lokale politische Führungskräfte, Regierungsmitarbeiter, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Leben, Zivilisten, die der Spionage für regierungstreue Kräfte bezichtigt werden, Menschenrechtsaktivisten, Mitarbeiter von humanitären Hilfs- oder Entwicklungsorganisationen, beim Bau Beschäftigte und Personen, die den Friedensprozess unterstützen.

Am 2. Mai 2012 gaben die Taliban bekannt, dass ihre "Al-Farooq"-Frühlingsoffensive insbesondere darauf abzielen würde, Zivilisten zu töten, einschließlich ranghoher Regierungsmitarbeiter, Mitgliedern des Parlaments, Mitgliedern des Hohen Friedensrats, Auftragnehmer und all jener, die "gegen die Mudschaheddin" arbeiten. So wie im Jahr 2012 warnten die Taliban im Rahmen ihrer Ankündigung der Frühjahrsoffensive 2013, dass Zivilisten, die mit der Regierung von Präsident Karzai oder mit ihren internationalen Verbündeten in Beziehung stehen, der Gefahr eines Anschlags ausgesetzt seien. Über gezielte Tötungen hinaus, setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge Bedrohungen, Einschüchterungen und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen in Frage stellen.

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen. Regierungsfeindliche Kräfte greifen zahlreichen Berichten zufolge auch Zivilisten an, die der Zusammenarbeit oder der "Spionage" für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte oder internationalen Streitkräfte verdächtigt werden (Am 8. November "verhaftete" z. B. eine Gruppe der Taliban einen Mann in dem Distrikt Marawara in der Provinz Kunar, weil er angeblich für die Internationalen Streitkräfte spioniert habe. Am 9. November 2012 wurde der Mann von einem Taliban-Gericht zum Tode verurteilt und anschließend umgebracht.). UNAMA hat viele Fälle dokumentiert, in denen regierungsfeindliche Kräfte Personen, die der Zusammenarbeit mit regierungstreuen Kräften verdächtigt werden, ermordet oder verstümmelt haben. In einigen Fällen wurden Zivilisten, darunter Kinder, Berichten zufolge Ziele von Angriffen aufgrund des Verdachts, dass ein Familienmitglied für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte arbeitet.

Regierungsfeindliche Kräfte greifen Berichten zufolge Zivilisten an, die Mitarbeiter internationaler oder afghanischer humanitärer Hilfsorganisationen sind, darunter afghanische Staatsbürger, die für UN-Organisationen arbeiten, Mitarbeiter internationaler Entwicklungsorganisationen, nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen (Das Regelbuch der Taliban [Layeha], auch als Verhaltenskodex der Taliban bezeichnet, soll besagen: "Die Nichtregierungsorganisationen, die unter der Regierung der Ungläubigen in das Land kamen, stehen der Regierung gleich. Sie kamen unter dem Motto, den Menschen zu helfen, aber in Wirklichkeit sind sie Teil dieses Regimes. Dies ist auch der Grund, warum ihre Aktivitäten verboten werden, unabhägig davon, ob es sich um den Bau einer Straße, einer Brücke, eines Krankenhauses, einer Schule oder Medrese [Koranschule] oder irgendetwas anderes handelt.") sowie LKW-Fahrer, Bauarbeiter und Personen, die in Bergbau- und anderen Entwicklungsprojekten tätig sind. 205 Personen mit diesen Profilen wurden getötet, entführt und eingeschüchtert. Familienangehörige solcher Personen, darunter Kinder, wurden ebenfalls angegriffen.

Regierungsfeindliche Kräfte haben Berichten zufolge Zivilisten zur Strafe und zur Warnung anderer Personen dafür getötet, dass sie die Regierung unterstützten. Regierungsfeindliche Kräfte setzen Berichten zufolge auch shab nameha ("nächtliche Drohbriefe"), Drohnachrichten per SMS sowie über lokale Radiosender ausgestrahlte Mitteilungen ein, um Zivilisten

Freiwillig zurückkehrende Afghanen kamen in den ersten Jahren meist bei Familienangehörigen unter, was die in der Regel nur sehr knapp vorhandenen Ressourcen (Wohnraum, Versorgung) noch weiter strapazierte. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfügt aber nicht mehr über diese Anschlussmöglichkeiten.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage, vom 10. Jänner 2012, S. 28)

Ob ein Schutz in Kabul für Personen aus einer Konfliktregion gegeben ist, hängt sehr von der Schwere des Konflikts ab, ob sie oder er in Kabul weiter verfolgt wird. Aufgrund der Stammesgesellschaft mit nahen Familiennetzen ist es kein Problem, jemanden zu finden, wenn man es wirklich will. Auch den nationalen Behörden ist es möglich, in Kabul Personen ausfindig zu machen. Die Problematik, die sich jedoch dabei stellt, ist, dass es in Afghanistan keine Registrierung der Adresse gibt.

(Danish Immigration Service, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Kabul, vom 29. Mai 2012)

1.2.14. Physisch und psychisch behinderte Personen :

Physisch und psychisch behinderte Personen und Opfer von Misshandlungen, die erwägen, in ihr Heimatland zurückzukehren, müssen eine starke Unterstützung seitens ihrer Familie und der betreffenden Kommune sicherstellen. Medizinische Versorgung ist für eine Vielzahl von Krankheiten weitestgehend nicht erhältlich. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten durchgeführt werden; generell fehlt es an adäquater Ausrüstung und Fachpersonal. Diagnosegeräte wie zum Beispiel Computertomographen, von denen es nur in Kabul einen gibt, sind ebenfalls nicht erhältlich. Der Zugang zu Medikamenten verbessert sich, wobei einige dennoch den meisten Afghanen nicht zugänglich sind.

(BAMF_IOM, Länderinformationsblatt - Afghanistan, vom Oktober 2012, S. 16)

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen stellt Afghanistan nach wie vor vor große Herausforderungen. Die wenigen Kliniken, die es in einigen größeren Städten gibt, sind klein und überfüllt

(AA - Auswärtiges Amt (4.6.2013): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan)

1.2.15. Ausweichmöglichkeiten:

Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die größeren Städte bieten aufgrund ihrer Anonymität eher Schutz als kleine Städte oder Dorfgemeinschaften.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 14)

Nach Ansicht von UNHCR besteht in umkämpften Gebieten keine interne Fluchtmöglichkeit. Da regierungsfeindliche Gruppierungen wie die Taliban, das Haqqani-Netzwerk oder Hekmatyars Hezb-e Islami über operationelle Kapazitäten verfügen, Personen im ganzen Land zu verfolgen, existiert für von diesen Gruppierungen bedrohte Personen auch in Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, keine Fluchtalternative. Die afghanische Regierung hat in zahlreichen Gebieten des Landes die effektive Kontrolle an regierungsfeindliche Gruppierungen verloren und ist dort daher nicht mehr schutzfähig. Betreffend die Verletzung sozialer Normen muss in Betracht gezogen werden, dass konservative Akteure auf allen Regierungsstufen Machtpositionen innehaben und dass weite Segmente der afghanischen Gesellschaft konservative Wertvorstellungen vertreten. UNHCR schließt für alleinerziehende Frauen ohne nahe männliche Angehörige eine innerstaatliche Fluchtalternative aus.

(UNHCR, Eligibility Guidelines, vom August 2013, S. 72 bis 78)

1.2.16. Dokumente:

Echte Dokumente unwahren Inhalts gibt es in erheblichem Umfang. So werden Pässe und Personenstandsurkunden von afghanischen Ministerien und Behörden offenkundig ohne adäquaten Nachweis ausgestellt. Ursachen sind ein nach 23 Jahren Bürgerkrieg lückenhaftes Registerwesen, mangelnde administrative Qualifikation sowie weit verbreitete Korruption.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage, vom 10. Jänner 2012, S. 30)

Weniger als zehn Prozent der afghanischen Bevölkerung haben ein Geburtszertifikat. Auch besitzen die wenigsten Kinder eine Geburtsurkunde.

(United States Department of State, Trafficking in Persons Report 2012, vom 19. Juni 2012; UNICEF: "Children on the Move" vom Februar 2010)

Die Tazkira ist die übliche ID-Karte in Afghanistan. Dort sind persönliche und familienbezogene Informationen des Inhabers festgehalten wie Wohn- und Geburtsort, Beruf und Militärdienst. Es gibt keine weiteren Identitätskarten, mit denen die Angaben einer Tazkira zusätzlich legitimiert werden könnten. Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRBC) geht davon aus, dass es kein Standardverfahren zur Verifizierung der Identität des Antragsstellers und zur Ausstellung der Tazkira gibt. Tazkiras werden für den Schul- oder Universitätseintritt oder für die Beantragung eines Reisepasses gebraucht. Viele beantragen eine Tazkira erst, wenn sie eine benötigen. UNHCR beschrieb, dass jeder Mann eine Tazkira haben sollte, für die Frauen ist die Beantragung freiwillig.

(Brooking Institution University of Bern: "Realizing National, Responsibility for the Protection of Internally Displaced Persons in Afghanistan: A Review of Relevant Laws, Policies, and Practices" von November 2010; Immigration and Refugee Board of Canada:

"Afghanistan: The Issuance of Tazkira Certificates; Whether Individuals Can Obtain Tazkiras While Abroad" vom 16. Dezember 2011)

1.2.17. Risikogruppen:

In seinen "Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013" geht UNHCR von folgenden "möglicherweise gefährdete[n] Personenkreise[n] in Afghanistan" aus:

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen

Männer und Burschen im wehrfähigen Alter

Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden

Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben

Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen

Frauen

Kinder

Opfer von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind

lesbische, schwule, bisexuelle, transgender und intersexuelle Personen (LGBTI)

Angehörige ethnischer (Minderheiten‑)Gruppen

an Blutfehden beteiligte Personen

Familienangehörige von Geschäftsleuten und anderen wohlhabende Personen

Die Aufzählung ist nicht notwendigerweise abschließend. Je nach den spezifischen Umständen des Falls können auch Familienangehörige oder andere Mitglieder des Haushalts von Personen mit diesen Profilen aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person internationalen Schutzes bedürfen.

Überdies können nach den genannten UNHCR-Richtlinien "Menschenrechtsverletzungen" einzeln oder zusammen eine Verfolgung darstellen, wie etwa:

die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte einschließlich der Einführung paralleler Justizstrukturen und der Verhängung ungesetzlicher Strafen sowie der Bedrohung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Einsatz von Erpressungen und illegalen Steuern

Zwangsrekrutierung

die Auswirkung von Gewalt und Unsicherheit auf die humanitäre Situation in Form von Ernährungsunsicherheit, Armut und Vernichtung von Lebensgrundlagen

steigende organisierte Kriminalität und die Möglichkeit von lokalen Machthabern ("Warlords") und korrupten Beamten, in von der Regierung kontrollierten Gebieten straflos zu agieren

die systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung

die systematische Beschränkung der Teilnahme am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen

2. Beweiswürdigung:

2.1. Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund des glaubwürdigen Vorbringens des BF und der gutachterlichen Stellungnahme des SV in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht außer Zweifel, dass der BF der Volksgruppe der Tadschiken und der schiitischen Glaubensgemeinschaft angehört und am XXXX geboren ist.

2.2. Dass der BF in Afghanistan keinen Kontakt mehr zu in Afghanistan möglicherweise noch aufhältigen Familienangehörigen hat, gründet auf seinen diesbezüglichen glaubwürdigen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 17.07.2014.

2.3. Hinsichtlich der Feststellungen betreffend den Gesundheitszustand des BF ist auf die vorgelegten Atteste des Universitätsklinikums Salzburg hinzuweisen, nach denen der BF an einer depressiven Episode mit somatischen Symptomen leidet und sich der BF auch selbst Verletzungen zufügt. Diese Angaben bestätigte auch die BFV im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die erkennende Einzelrichterin konnte sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein persönliches Bild vom BF machen und bekam so durch das Auftreten und das Verhalten des BF einen Eindruck vermittelt, der das vorgebrachte Krankheitsbild psychischer bzw. depressiver Störungen bestätigte.

2.4. Dass der BF aufgrund seiner individuellen Situation und der momentan in Afghanistan vorherrschenden medizinischen Versorgungslage (va für Personen mit psychischen Erkrankungen und Problemen), bei einer Rückkehr einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wäre, gründet auf der gutachterlichen Stellungnahme des länderkundigen SV im Rahmen der mündlichen Verhandlung, laut derer der BF - auch aufgrund mangelnder familiärer Beziehungen - bei einer Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde und aufgrund der aktuell prekären Sicherheitslage und unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des BF, sogar sein Leben in Gefahr geraten könnte.

2.5. Betreffend des im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachtens des länderkundigen SV ist festzuhalten, dass an der Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen, der aufgrund seiner profunden Sachkenntnis bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen wurde und schon in früheren Verfahren im Auftrag des Unabhängigen Bundesasylsenates, des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur Lage in Afghanistan erstattet hat, keine Zweifel entstanden sind und diese in sich schlüssig, plausibel und angesichts der Länderberichtslage auch nachvollziehbar und logisch erscheinen.

2.6. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nicht staatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen inhaltlich von keiner Seite substantiiert entgegengetreten wurde, besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

II.3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist ein Flüchtling, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Eine wohlbegründete Furcht - der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK - vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - muss sich im gesamten Herkunftsstaat auswirken (VwSlg. 16.482 A/2004). Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen jedoch vor Verfolgung sicher sind "("innerstaatliche Fluchtalternative") und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Aus den gegenständlich getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zum Gesundheitszustand des BF, geht unter Berücksichtigung der Ausführungen des länderkundigen SV hervor, dass in der aktuellen Situation - und zwar aufgrund der schweren Erkrankung des BF, des fehlenden familiären Rückhalts sowie der fehlenden psychiatrischen Betreuung und der damit nicht vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland - bei einer Rückkehr des BF nach Afghanistan, diesem nicht nur jegliche Lebensgrundlage entzogen, sondern aller Voraussicht nach auch ein Überleben nicht möglich wäre. Insbesondere ist dabei auf die vom länderkundigen SV getätigten Ausführungen zu verweisen, nach denen psychisch kranke Personen in Afghanistan - bedingt durch deren grundsätzlich schlechte gesellschaftspolitische Stellung - der Gefahr der Zufügung von Verletzungen durch andere Menschen ausgesetzt sein können und für solche Personen möglicherweise sogar Todesgefahr besteht, weil sie auch nicht in der Lage wären, sich gegenüber bewaffneten Personen adäquat zu verhalten. Aufgrund der individuellen Umstände des BF und den Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen kann im konkreten Fall somit nicht ausgeschlossen werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr läuft, in eine ausweglose Situation zu geraten oder sogar ums Leben zu kommen.

Betrachtet man diese Eingriffe in die Lebensbedingungen einer afghanischen, allein stehenden, psychisch kranken Person in ihrer Gesamtheit (nicht nur auf wirtschaftliche Belange bezogen), kann kein Zweifel darüber bestehen, dass hier einer der Fälle vorliegt, in denen eine Summe von Vorschriften gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung von insgesamt so extremer Natur ist, dass die Diskriminierung das Ausmaß einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention erreicht. Diese bedeutet konkret, dass die in den Feststellungen dargestellten massiven existentiellen Diskriminierungen von allein stehenden psychisch kranken Personen in Afghanistan für sich genommen bereits ausreichend sind, um eine asylrelevante Bedrohungssituation der Gruppe der allein stehenden psychisch kranken Personen in Afghanistan anzunehmen. Ausschlaggebend ist die Tatsache, dass auf Grund des in Afghanistan herrschenden Regelwerkes schon das Fehlen der auch nur den Mindestanforderungen der Menschlichkeit entsprechenden Ausnahmen von den verordneten Regeln in Bezug auf den jederzeit möglichen Bedarf nach ärztlicher Behandlung, fehlender Mittel zum Unterhalt oder Pflegemöglichkeiten den Verfolgungscharakter dieser Form von Repression kennzeichnen (AsylGH 29.12.2008, B13 237726-0/2008).

Der hier in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des BF kommt seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als Ursache des drohenden Eingriffs eine herausragende Bedeutung zu. Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen beispielsweise eine "besondere soziale Gruppe" im Sinne der GFK dar. (vgl. etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, II, 456).

Im "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (abgedruckt bei Rohrböck a.a.O. RZ 407) wird zum Begriff der "sozialen Gruppe" ausgeführt: "Eine bestimmte soziale Gruppe umfasst in der Regel Personen mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Gewohnheiten oder ähnlichem sozialen Status." Der kanadische Oberste Gerichtshof (Supreme Court) qualifizierte in den von Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2, 1996, S. 359f, dargestellten Entscheidungen Frauen aus China, die bereits (mehr als) ein Kind haben und deshalb mit zwangsweiser Sterilisierung rechnen müssen, als soziale Gruppe. Dieser Gerichtshof fand eine Definition des Begriffes der sozialen Gruppe, die drei Personenkreise umfasst, wobei einer dieser Kreise von Personen gebildet wird, die sich durch ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal, wie z.B. Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung, auszeichnen. Das oberste Berufungsgericht in Großbritannien gewährte im Fall Islam/Shah vom 25. 3. 1999 zwei pakistanischen Frauen Asyl, weil sie der Ansicht des Gerichtshofes zu Folge einer "Sondergruppe der Gesellschaft" angehörten. Dies deshalb, weil in Pakistan das geltende Recht die Frauen nicht in gleichem Masse schütze wie Männer. Es wurde darin auch ausdrücklich festgehalten, dass dies für sämtliche "Sondergruppen der Gesellschaft" gelten würde, die auf Grund ihres Geschlechts und ihrer Sexualität verfolgt werden würden, also zum Beispiel auch für Homosexuelle.

Da der BF keinerlei Kontakt zu Familienangehörigen im Heimatland hat bzw. über deren Verbleib im Unklaren ist und sich laut länderkundigem SV-Gutachten die Behandlung psychisch Kranker in Afghanistan auf medikamentöse Behandlung beschränkt, hierbei zudem inadäquate Medikamente verabreicht werden und es keine geeigneten Psychiater und Psychologen gibt, liegt beim gegenständlichen BF aufgrund des als asylrelevant zu qualifizierender Entzugs seiner Lebensgrundlage (wegen des Fehlens eines familiären Netzwerkes sowie der mangelnden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten und va der, wie oben dargelegt, damit verbundenen Lebensgefahr) die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Gruppe der allein stehenden psychisch kranken Personen) vor (vgl. AsylGH 29.12.2008, B13 237726-0/2008).

Angesichts dieser Umstände war auf weitere vom BF erstattete Fluchtgründe nicht weiter einzugehen.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, ist der Beschwerde daher stattzugeben, dem BF gem. § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und dies gem. § 3 Abs. 5 AsylG mit der Feststellung, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, zu verbinden.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

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