BVwG W241 2181226-2

BVwGW241 2181226-228.8.2019

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W241.2181226.2.00

 

Spruch:

W241 2181226-2/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2018, Zahl 1096034104/151831426/BMI-BFA-WIEN_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2019 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

1. Verfahrensgang:

 

1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär in Österreich ein und stellte am 22.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

 

1.2. In seiner Erstbefragung am 22.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er sei afghanischer Staatsbürger, Hazara, schiitischer Moslem und ledig.

 

Er stamme aus Kabul. Seine Eltern und fünf Schwestern seien weiterhin in Afghanistan aufhältig. Er habe Afghanistan vor zwei Monaten verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und weitere ihm unbekannte Länder nach Österreich gereist.

 

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er drei Jahre lang eine geheime Beziehung mit einem Mädchen gehabt habe. Seine Familie habe mehrmals bei der Familie des Mädchens um ihre Hand angehalten, aber ohne Erfolg. Kurz vor seiner Flucht habe er das Mädchen geschwängert, ihre Familie habe davon erfahren. Aus diesem Grund sei eine Feindschaft entstanden. Der Mann seiner Schwester sei von dieser Familie getötet worden.

 

1.3. Bei seiner Einvernahme am 20.07.2017 vor dem BFA, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, legte der BF Bestätigungen über den Besuch diverser Kurse, der Teilnahme an Sportveranstaltungen und gemeinnütziger Tätigkeiten sowie Berichte über Anschläge in Kabul und Afghanistan vor.

 

Danach gab der BF im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll, Schreibfehler teilweise korrigiert):

 

"LA [Leiter der Amtshandlung]: Welche Religion haben Sie?

 

VP [Verfahrenspartei]: Ich war muslimischer Schiit, jetzt bin ich Christ.

 

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

 

VP: Dari, Englisch, Paschtu und auch Deutsch (VP antwortet auf die Frage auf Deutsch).

 

LA: Wann haben Sie zum ersten Mal eine christliche Kirche besucht?

 

VP: Es war im Anfang 2016, genau weiß ich es nicht.

 

LA: Warum stellen Sie einen Asylantrag?

 

VP: Mein Leben war vor zirka vier Jahren in Afghanistan in Gefahr. Deshalb musste ich Afghanistan verlassen. In Afghanistan ging in vormittags zur Schule und am Nachmittag habe ich gearbeitet. Das war gegenüber der Mädchenschule. Ein Mädchen namens XXXX habe ich regelmäßig gesehen. Es ist dort nicht leicht, mit einem Mädchen zu sprechen. Sie kam eines Tages in unser Geschäft und hat Kleidung bestellt. Wir gaben der Familie unsere Visitenkarte. Ich schrieb meine eigene Telefonnummer auf die Karte und gab sie XXXX . Sie hat mich nach 2 Tagen angerufen und nach ihrer Bestellung gefragt. Ich hatte auch ihre Nummer dann und unsere Beziehung begann stark zu werden. Wir haben uns getroffen. Wir haben die Entscheidung getroffen, zu heiraten. Mit meinem Schwager war ich gut befreundet und vertraute ihm das Geheimnis an, er sagte, er würde mit meinen Eltern sprechen. Anfangs gab es Einwände, weil XXXX Sunnitin ist, wir sind Schiiten. Als wir um ihre Hand angehalten haben, stimmte ihre Familie nicht zu. Es gab noch 3 - 4 Versuche, die erfolglos blieben. Beim letzten Mal drohte ihr Vater meinem mit Problemen, sollte er noch einmal kommen. Ich sprach mit XXXX , dass wir 2 - 3 Jahre warten könnten, weil wir jung waren. Wenn wir nicht heiraten dürften, könnten wir immer noch weglaufen. Das dauerte circa 6 Monate. Unsere Beziehung wurde noch enger und wir hatten auch eine sexuelle Beziehung. Als mein Schwager einkaufen gegangen ist, lud ich XXXX in das Geschäft ein. Eine Freundin von ihr erfuhr von unserer Beziehung und hat es gleich XXXX Eltern erzählt. XXXX wurde geschlagen und nach der sexuellen Beziehung befragt, sie hatte Angst und erzählte alles. Zwei Wochen lang habe ich sie nicht mehr gesehen, ihr Handy war ausgeschaltet. Eines Tages traf ich die beste Freundin von XXXX , die Freundin kam nach zwei Tagen zu mir und sagte ‚Pass auf, ihr Vater wird dich umbringen, er weiß über alles Bescheid.' Nach zwei Monaten sah ich sie mit meinem Schwager auf der Straße, wo sie wohnten, es kam ein Auto von hinten und wir wurden fest geschlagen. Dadurch wurde ich am rechten Fuß der linken Hand verletzt und irgendetwas wurde in meinen Kopf gestochen. Mein Schwager wurde am Kopf verletzt und erlitt eine innere Blutung. Der Bruder meines Schwagers kam, brachte ihn ins Spital, er wurde nicht aufgenommen. Deswegen sind Sie nach Pakistan gegangen. Ich war eine Woche im Spital und bekam einen Gipsverband auf meine Hand und meinen Fuß. Meine Schwester und der Bruder meines Schwagers erstatteten Anzeige. Sie konnten niemanden als Verdächtigen angeben, weil sie ja dachten, wir hätten mit niemandem Probleme. Ich erzählte schließlich die ganze Angelegenheit meinen Eltern. XXXX Familie gingen nicht zu den Behörden, weil sie die Angelegenheit als Beleidigung ansahen. Die Behörden und Polizisten haben uns nicht geholfen. Dann wurde ich angezeigt, weil ich Sex mit XXXX hatte, und viele Polizisten standen an unserer Türe. Ich kannte den Status der Familie nicht, aber es kam jeden Tag eine andere Person und hat uns bedroht. Mein Vater meinte, ich solle eine Weile nach Mazar-e Sharif gehen und mich bei Freunden verstecken. Die Wochen blieb ich dort. Ich wurde auch dort gesucht, obwohl ich dort keinen einzigen Freund hatte. Ich weiß nicht, was XXXX Vater war, ich habe nur gehört, der Vater wäre im afghanischen Geheimdienst und würde mich daher überall finden. Das haben wir schon früher gemerkt, die Polizisten waren gegen uns. Ich erzählte über den Besuch meinem Vater, und er meinte, dass es überhaupt besser wäre, meine Heimat für eine Weile zu verlassen. Am nächsten Tag kam ich zurück nach Kabul und am gleichen Tag ging ich mit Hilfe eines Schleppers weiter nach Pakistan.

 

LA: Sind das Ihre Fluchtgründe gewesen?

 

VP: Ja, das waren meine Gründe.

 

LA: Ich werde Ihnen jetzt detaillierte Fragen zu Ihren Gründen stellen, um mir ein besseres Bild machen zu können.

 

LA: In welcher Straße war die Mädchenschule?

 

VP: XXXX , der Name der Schule ist XXXX .

 

LA: Wann wurden Sie von dem Auto und den Insassen des Autos überfallen?

 

VP: Es war Ende 2013.

 

LA: Wie lange braucht man für die Reise von Kabul nach Pakistan?

 

VP: Ungefähr einen Tag, wenn man immer in Bewegung bleibt.

 

LA: Woraus schließen Sie, dass die Angreifer der Familie XXXX angehörten?

 

VP: Das haben wir erst gemerkt, als wir eine Anzeige gemacht haben und durch die Bedrohungen und Streitereien danach.

 

LA: Haben Sie eine schriftliche Ausfertigung der Anzeige gegen XXXX Vater bzw. eine der Anzeige gegen Sie und Ihre Familie?

 

VP: Nein, das habe ich vorher gesagt, weil auf dem Fluchtweg habe ich meine Dokumente weggeschmissen. Die Geschichte ist auch interessant für die Taliban.

 

LA: Ist Ihr Schwager an den Verletzungen gestorben?

 

VP: Genau, das war der Grund.

 

LA: Was befürchten Sie im Falle Ihrer hypothetischen Rückkehr nach Afghanistan?

 

VP: Ich fürchte um mein Leben. Meine Familie wurde auch nicht in Ruhe gelassen, die haben daher auch die Heimat verlassen.

 

LA: Wurden Sie jemals persönlich von den afghanischen Behörden bedroht?

 

VP: Nein.

 

LA: Waren Sie jemals in Haft, wurden Sie verurteilt?

 

VP: Nein.

 

LA: Waren Sie jemals politisch tätig?

 

VP: Nein

 

LA: Wurden Sie aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt?

 

VP: Ich ging in Afghanistan nie in eine Moschee, habe nicht gebetet, weil ich keinen Glauben hatte, daher hatte mein Großvater keine gute Beziehung zu mir."

 

1.4. In der Folge wies das BFA mit Bescheid vom 01.12.2017 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.). Weiters wurden gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

 

1.5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge BVwG) vom 21.02.2018, W241 2181226-1, wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde stattgegeben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückverwiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass sich das BFA nicht ausreichend mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt habe, da eine nähere Befragung zu seinem Fluchtvorbringen unterblieben sei. Auch sei der BF nicht näher zu seiner Konversion befragt worden.

 

1.6. Bei seiner Einvernahme am 11.09.2018 vor dem BFA gab der BF zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Konversion folgendes an:

 

"F: Welche Religion haben Sie?

 

A: Ich habe keine Religion, ich bin Christ. Das Christentum wird nicht als Religion bezeichnet.

 

F: Als was wird das Christentum sonst bezeichnet?

 

A: Das Christentum ist ein Weg zum Gott.

 

F: Welchem Zweig der christlichen Glaubensgemeinschaft gehören Sie an?

 

A: Protestant.

 

F: Warum haben Sie sich für diesen Zweig entschieden?

 

A: ich hatte nicht so viele Informationen über das Christentum. Ich war mit einem Freund in der Kirche und er war Protestant, deswegen bin ich auch bei diesem Zweig geblieben und es gefällt mir jetzt.

 

Auff: Erzählen Sie mir etwas darüber!

 

A: Dieser Zweig vor 50 Jahren durch Martin Luther in Deutschland, also im Jahr 1952, gegründet. Als Protest gegen andere Zweige. Die Leute werden mit dem Namen, Vater, Sohn und Heiligen Geist getauft.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: Protestant heißt Protest.

 

F: Sind Sie offiziell aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten?

 

A: Ich war schon, aber ich habe keine Bestätigung bekommen. Weil bereits Feierabend war, aber ich kann das vorlegen. Die Gebühr von 15 Euro habe ich schon bezahlt, aber die Bestätigung habe ich noch nicht bekommen.

 

Anm: Es wird eine Frist von 1 Woche zur Vorlage vereinbart.

 

F: Wann sind Sie zum Christentum gewechselt?

 

Anm: Dolmetsch wiederholt die Frage.

 

A: 15.01.2017. Vorher war ich aber oft in der Kirche. Anfang 2016 war ich in der Kirche und am 15.01.2017 wurde ich getauft.

 

F: Warum sind Sie gerade zum Christentum gewechselt? Was war der ausschlaggebende Grund bzw Ereignis?

 

A: Als ich noch jung war in Afghanistan, habe ich einen Film geschaut, "Musibathaie-Masih" (Anm Dolmetsch: Schlechte Ereignisse über Masih). In Diesem Film wird Jesus Christus sehr viel geschlagen, trotzdem sagt er, dass er der Sohn von Gott ist und ändert seine Meinung nicht. Dies hat mich beeindruckt. Dieser Film hat mich eine Woche lang beschäftigt. Ich habe eine Woche lang über den Film nachgedacht und ich habe dann über Jesus recherchiert. Ich habe den Koran gelesen und habe bemerkt, dass der Name Jesus öfters erwähnt wird. Jesus Christus hat viele Wunder als andere Propheten. Er wurde auch von anderen nicht Gläubigen viel unter Druck gesetzt.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: Der Name Jesus wird öfters erwähnt als andere Propheten. Jesus Christus hat mehr Wunder vollbracht als andere Propheten.

 

Danach hatte ich ein ganz normales Leben bis ich nach Österreich kam. Ich war in einem Zimmer mit einem Iraner und er war Christ. Er hat mich missioniert. Dann habe ich die Bibel von ihm bekommen und er hat gesagt, dass ich das lesen kann und später selbst entscheiden kann. Wenn ich will, kann ich mit ihm in die Kirche gehen. Ich habe die Bibel gelesen und es hat mir sehr gut gefallen. Ich habe gesehen, dass in dem Buch nicht viel über Gewalt geschrieben wird. Die Frauen haben sehr viele Werte. Im Islam ist das nicht so. Ein Mann, darf bis zu 4 Frauen heiraten im Islam. Diese Sachen haben mich beeinflusst und dann bin ich konvertiert.

 

F: Haben Sie sich zuvor mit anderen Religionen beschäftigt?

 

A: Nein, nicht so viel. Über das Judentum habe ich mich ein bisschen Informiert.

 

F: Haben Sie in Afghanistan schon über einen Religionswechsel nachgedacht?

 

A: Nein.

 

F: Waren Sie in Afghanistan ein religiöser Mensch?

 

A: Nein.

 

F: Wo konkret wurden Sie getauft?

 

A: XXXX . Befragt gebe ich an, dass sie in Simmering ist.

 

F: Welche Bedeutung hat die Taufe?

 

A: Eine Neugeburt, eine Reinigung.

 

F: Haben Sie einen Taufvorbereitungskurs besucht?

 

A: Ja. Vorher war ich in einigen Kirchen, damit ich mich besser auskenne.

 

F: Wann konkret hat der Taufvorbereitungskurs angefangen und wie lange hat er gedauert?

 

A: Bei dieser Kirche wird man gleich getauft, aber ich habe das nicht akzeptiert. Deswegen war ich ein Jahr lang dort. Ich war Anfang 2016 in der Kirche. Ich kann das Datum auch nicht genau sagen. Befragt gebe ich an, dass ich Anfang 2016 die Kirche besucht habe. In dieser Kirche gibt es auch Veranstaltungen, für Leute die konvertieren wollen.

 

F: Wann konkret haben Sie den Kurs für die Taufe besucht?

 

A: Explizit für die Taufe habe ich keinen Kurs besucht.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: Ich habe schon Vorbereitungskurse besucht.

 

F: Haben Sie einen Taufvorbereitungskurs besucht, ja oder nein?

 

A: Nein.

 

F: Hat sich in Bezug auf Ihre Fluchtgründe seit der letzten EV etwas geändert?

 

A: Nein.

 

Auff: Schildern Sie nochmals Ihre Fluchtgründe! Schildern Sie diese chronologisch mit Zeitangaben!

 

A: Mein Schwager hatte ein Schneidergeschäft und ich habe dort mit ihm gearbeitet. In der Früh war ich in der Schule und nachmittags im Geschäft. Unterwegs habe ich immer ein Mädchen getroffen. Wir haben uns nur gesehen, nicht mehr. Nach einiger Zeit kam das Mädchen in das Geschäft und wollte Kleidung bestellen. Sie war mit ihrer Familie dort. Normalerweise wir geben unsere Visitenkarte her. Dieses Mal habe ich aber meine Privatnummer auf die Visitenkarte geschrieben. Nach 2 oder 3 Tagen hat mich das Mädchen angerufen und sie hat sich nach der Kleidung erkundigt. Am Telefon hat sie einen Scherz gemacht und sagte, dass ich versuchen soll nicht schlecht zu nähen. Ich habe sie gefragt, ob sie das Mädchen ist, das ich jeden Tag sehe. Sie sagte, ja. Ich sagte, dass ich meine Nummer auf die Visitenkarte geschrieben habe und wenn sie was braucht kann sie mich jederzeit anrufen. So wurde unser Kontakt mehr. Sie hat mich immer angerufen und wir haben miteinander telefoniert und wir haben uns auch gesehen. Dieser Kontakt war so nah, dass wir einander heiraten. Wir wollten traditionell heiraten und ich wollte meine Familie zu ihrer schicken um die Hand anzuhalten. Ich habe das Thema meinem Schwager erzählt. Mein Schwager hat gesagt, dass es ein gutes Ziel ist und er ist danach hat er mit meinen Eltern darüber gesprochen. Diese Geschichte war kompliziert, weil XXXX ist Sunnitin und wir waren Schiiten. Meine Eltern haben sich auch gegen mich gestellt und sagten, dass das vielleicht nicht geht, weil wir Schiiten sind. Ich habe geantwortet, dass Religion für mich nicht wichtig ist, weil wir uns für einander interessieren. Meine Eltern und mein Schwager waren 3-4 Mal bei ihr, aber die Eltern von ihr haben das nicht akzeptiert. Beim letzten Mal hat der Vater von XXXX sehr schlecht meine Eltern behandelt und sagte, wenn sie noch einmal kommen, wird es ein schlechtes Ereignis geben (Anm Dolmetsch: eine Bedrohung). Ich und XXXX waren sehr traurig und sie schlug mir vor, dass wir gemeinsam fliehen. Ich habe gesagt, dass ich noch jung bin und jetzt nicht fliehen kann. Wir warten noch 1-2 Jahre, vielleicht ändert sich was. Eines Tages war mein Schwager einkaufen für das Geschäft. Ich habe XXXX angerufen, und habe ihr gesagt, dass ich alleine bin und sie zu mir kommen kann. Sie kam zu mir, wir waren eine Zeit lang gemeinsam. In dieser Zeit hatten wir auch Geschlechtsverkehr. Eine Bekannte von XXXX hat gesehen, dass sie zu mir gekommen ist und sie hat den Vorfall den Eltern mitgeteilt. 2 Wochen habe ich nicht von ihr gehört. Das Handy von ihr war abgeschaltet. Danach habe ich eine Freundin von ihr gesehen und ich habe sie gefragt, ob sie über XXXX etwas weiß. Sie sagte nein. Ich habe sie gebeten, dass sie Informationen einholt. Ich habe die Freundin in 2 Tagen wiedergesehen und sie sagte, dass der Vater von XXXX , XXXX viel geschlagen hat, weil wir Sex gehabt haben. Später habe ich eine Mitteilung von XXXX bekommen, sie hat mir geschrieben, dass ihre Familie plant mich umzubringen.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: Nicht später, am gleichen Tag habe ich das erfahren.

 

Ich habe das nicht ernst genommen, ich dachte die Eltern wollen nur XXXX irgendwie bedrohen. Ca 2 Wochen später wollte ich mit meinem Schwager zu seinem Haus gehen. Das habe ich in der Ersteinvernahme falsch gesagt. Danach habe ich ein Auto von hinten kommen sehen, dieses Auto hatte mit uns einen Unfall bzw hat uns überfahren.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: Ich habe das Auto nicht gesehen.

 

Es war in der Nacht. Bei diesem Unfall habe ich mein rechtes Bein und linke Hand und am Kopf verletzt. Leider ist mein Schwager verstorben bei dem Unfall. Ich war eine Woche im Krankenhaus. Beim Unfall wurde ich ohnmächtig und ich wusste nicht was passiert ist. Mein Schwager hatte eine Gehirnblutung und er wurde nach Pakistan für die Behandlung gebracht. Aber leider ist er verstorben. Als ich wieder nachhause kam, habe ich meiner Familie gesagt, dass sie eine Anzeige erstatten sollen, aber sie meinten, dass sie nicht wüssten wen sie anzeigen sollen. Danach habe ich meiner Familie die Geschichte erzählt und ich sagte ihnen auch, dass ich von dieser Person bedroht wurde und ich sagte, dass sie eine Anzeige machen sollen. Danach hat meine Schwester bei der Polizei Anzeige erstattet. Beim ersten Mal als meine Schwester bei der Polizei war, hat die Polizei gesagt, dass sie das erledigen werden und recherchieren werden. Beim zweiten Mal hat die Schwester eine Ladung bekommen. Als sie dort war, wurde sie sehr schlecht behandelt. Wir haben uns sehr gewundert, warum das so ist, weil sich die ganze Geschichte umgedreht hat und wir plötzlich schuld waren. Ich weiß nicht warum, vielleicht wurde die Polizei bestochen oder der Vater von XXXX war ein Beamter, das weiß ich aber nicht. Das Thema wurde so umgeändert, und es wurde nicht gesetzeskonform behandelt, sondern traditionell. Nach dieser Geschichte wurde die Bedrohung öffentlicher und sie haben uns mehrmals bedroht. Sie sind nicht direkt zu uns gekommen, sondern haben uns indirekt über andere Leute bedroht. Sie haben uns so bedroht, dass wir nicht rauskonnten. Meine Schwester konnte nicht zur Schule und mein Vater konnte nicht arbeiten gehen. In der Woche wurden wir ca 2-3 Mal bedroht. Mein Vater hat vorgeschlagen, dass ich mich fernhalte, deswegen bin ich nach Mazar in Nordafghanistan gefahren. Einige Zeit war ich dort bei einem Freund von meinem Vater. Der Freund hat viel Ackerland und Garten, damit ich mich langweile habe ich ihnen geholfen. Eines Tages bin ich wieder nachhause zu dem Freund von meinem Vater gekommen und zu dessen Frau. Sie hat mir gesagt, dass jemand nach mir gefragt hat. Ich habe mich gewundert, weil ich dort keine Freunde hatte. Das habe ich auch meinen Eltern erzählt. Meine Eltern wurden viel belästigt in Kabul. Dann hat mein Vater entschieden, dass ich in den Iran gehen soll. Am nächsten Tag bin ich nach Kabul gekommen, an diesem Tag hat mein Vater mit dem Schlepper gesprochen und hat mich am gleichen Tag in den Iran mitgenommen.

 

F: Von wann bis wann waren Sie in Afghanistan in der Schule?

 

A: Von 7 bis zum 18. Lebensjahr. Befragt gebe ich an, dass ich von 07:30-12:00 in die Schule ging.

 

F: Wo befand sich das Geschäft? Nennen Sie die konkrete Adresse!

 

A: In der 1. Straße von XXXX .

 

F: Sie haben bei der letzten Einvernahme angegeben das XXXX in eine Mädchenschule ging, wo befand sich diese?

 

A: Man kann sagen, dass es gegenüber von unserem Geschäft war. Befragt gebe ich an, dass XXXX am Nachmittag in der Schule war. Von 12:30/13:00 bis 17:00 Uhr.

 

F: Wie heißt die Mädchenschule auf die das Mädchen XXXX ging?

 

A: XXXX . Es war eine Sekundärschule.

 

F: In welchem Alter bzw wann haben Sie angefangen in dem Geschäft von Ihrem Schwager zu arbeiten?

 

A: Ich war ziemlich jung. Genau weiß ich es nicht. Ich war ca 13 Jahre alt. Befragt gebe ich an, dass ich nach der Schule direkt ins Geschäft ging und bis 19:00 Uhr dort war. Es gab keine bestimmte Uhrzeit.

 

F: Wann konkret haben Sie XXXX das erste Mal getroffen?

 

A: Genau weiß ich es nicht. Ca Anfang 2013

 

F: Kam Sie alleine in Ihr Geschäft?

 

A: Sie ist nicht ins Geschäft gekommen, wir haben uns nur auf der Straße getroffen.

 

F: Sie haben ja angegeben, dass Sie mit der Familie in ihr Geschäft gekommen sei um Kleidung zu bestellen.

 

A: Ja. Ich dachte, bei der Frage meinten sie zum ersten Mal. Sie kam mit ihrer Familie ins Geschäft und haben Kleidung bestellt.

 

F: Haben Sie immer Ihre private Handynummer an Kunden weitergegeben?

 

A: Nein, ich bin nicht so ein Mensch, dass ich jedes Mädchen anmache. In Österreich, wenn ich eingeladen bin, versuchen die Mädchen mit mir zu flirten, aber ich halte mich fern, weil ich über XXXX nachdenke. Ich werde belästigt.

 

F: Nachdem die Familie mit XXXX im Geschäft war, hat diese nichts gesagt, weil sie XXXX direkt die Visitenkarte mit Nummer gegeben haben?

 

A: Ich wollte nur meine Visitenkarte einer Person der Familie geben, aber sie hat sie genommen. Die Familie hat nicht gedacht, dass wir Kontakt haben.

 

F: Wie ist das dann abgelaufen, wie oft haben Sie XXXX getroffen, wo haben Sie sich getroffen?

 

A: Meistens haben wir uns unterwegs an der Schule gesehen. Manchmal an Freitagen, haben wir uns im Bazar gesehen. Wir sind dann auch gemeinsam in Restaurants gegangen.

 

F: Wann stand fest, dass Sie in einer festen Beziehung sind?

 

Anm: Dolmetsch wiederholt die Frage.

 

A: Ich habe meine Gefühle ihr gesagt, ich sagte ihr, dass sie mir gefällt. Sie sagte das auch. Nach einiger Zeit haben wir entschieden zu heiraten. Ich bin schüchtern (Anm Dolmetsch: AW gab an, dass er sich schämt). Beim ersten Treffen waren wir vielleicht 15 Minuten zusammen und ich habe vielleicht 2-3 Worte gesagt.

 

F: Wie lange waren Sie in einer Beziehung mit XXXX ?

 

A: Von Anfang des Kennenlernens das hat ca 2-3 Monate gedauert. Von ersten bis letzten Mal hat es ca 5-6 Monate gedauert, in einer Beziehung waren wir ca 2-3 Monate. In der Erstbefragung stand 6 Monate, aber das habe ich nicht gemeint. Freund-Freundin waren wir 2-3 Monate.

 

F: Wann konkret haben Sie bei der Familie von XXXX um ihre Hand angehalten?

 

A: Genau weiß ich es nicht. Ein Monat nachdem wir uns kennengelernt haben.

 

F: Wie oft haben Sie um Ihre Hand angehalten?

 

A: 3-4 Mal. Vielleicht auch öfters, aber ich weiß es nicht.

 

F: Wieso wissen Sie das nicht?

 

A: Ich habe nicht so viel darauf geachtet. Ich war noch jung.

 

F: Wo konkret wohnt XXXX ?

 

A: in XXXX . 10 Minuten zu Fuß von unserem Geschäft.

 

F: Wie hieß die Freundin von XXXX welche Sie an die Eltern verraten hat?

 

A: XXXX .

 

F: Wann konkret hat XXXX Sie an die Eltern verraten?

 

A: Das weiß ich nicht genau. Vielleicht am selben Tag oder am nächsten.

 

F: Wo konkret hat XXXX Sie und Ihre Freundin gesehen?

 

A: Als XXXX in das Geschäft gekommen ist, hat die Freundin XXXX gesehen. Das weiß ich nicht genau. Oder vielleicht hat XXXX das ihr selber erzählt, weil sie sehr gute Freundinnen waren.

 

F: Wann konkret wurden Sie und Ihr Schwager attackiert bzw mit dem Auto angefahren?

 

A: Datum meinen Sie? Ca Ende 2013 und das ist im Sonnenkalender der 8. Monat 1392.

 

F: Von wem konkret wurden Sie attackiert?

 

A: Es war in der Nacht und wir wurden von hinten überfahren, ich weiß es nicht wer der Fahrer war. Ich war auch ohnmächtig.

 

F: Wie spät in der Nacht war es?

 

A: Wir waren vom Geschäft unterwegs. Es war ca 19/20 Uhr.

 

F: Haben Sie das Auto oder den Fahrer erkennen können?

 

A: Nein.

 

F: Sie gaben vorhin an, dass die Schwester die Person anzeigen hätte sollen, wen hätte die Schwester denn anzeigen sollen, nachdem Sie niemanden erkannten?

 

A: Ich meinte den Vater von XXXX .

 

F: War Ihre Schwester alleine bei der Polizei und hat Anzeige erstattet?

 

A: Ja.

 

Anm: Dolmetsch wiederholt die Frage.

 

A: Sie hat alleine die Anzeige erstattet, aber sie war nicht alleine dort. Sie war mit dem Bruder unseres Schwagers dort.

 

F: Wann konkret erstattete Ihre Schwester Anzeige?

 

A: Genau weiß ich es nicht. Nachdem religiösen Ritual für meinen Schwager als er verstorben ist.

 

Anm: Frage wird wiederholt.

 

A: Genau weiß ich es nicht. Ca Ende 8. Monat 1392.

 

F: Wo konkret war das?

 

A: Bei der Polizei in XXXX in der 3. Bezirk Kabuls.

 

F: Gibt es dafür Nachweise?

 

Anm: Frage wird wiederholt.

 

A: Unterwegs wollte ich von Kabul nach Pakistan fahren. In der Nähe an der Grenze haben die Taliban einen Checkpoint gehabt. Der Schlepper sagte, wenn jemand Schiit ist, soll er seine Unterlagen, wie zB Reisepass, Taskira usw vernichten, weil die Taliban würden diese Leute belästigen. Befragt gebe ich an, dass ich die Anzeige bei der Polizei sodann auch wegschmiss, weil die Taliban damit sehr viele Probleme hat. Ich habe den Zettel von meinem Schwager mitgehabt. Wenn sie fragen, dachte ich, dass ich sage, dass ich die Sachen von meinem Schwager erledige.

 

F: Wurden Sie in Afghanistan angezeigt?

 

A: Nein. Am Anfang hat meine Schwester eine Anzeige erstattet, die Geschichte hat sich umgedreht, deswegen habe ich gedachte, dass es nichts bringt, wenn ich selbst eine Anzeige schalte. Die Polizei hat unseren Vorfall nicht gut behandelt.

 

F: Wann konkret kamen Polizisten zu Ihnen nachhause?

 

Anm: Frage wird wiederholt.

 

A: 4-5 Tage später, als meine Schwester die Anzeige erstattet hat.

 

F: Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?

 

A: Ich war bei uns zuhause. Manchmal war ich auch bei meiner Schwester. Ich bin versteckt über das Dach zu meiner Schwester gesprungen. In Afghanistan kann man einem Dach zum anderen springen.

 

F: Was wollten die Polizisten bei Ihnen zuhause?

 

A: Gesetzlich gesehen haben wir keine Probleme gehabt, weil ich und das Mädchen 18 Jahre alt waren. Aber traditionell war es ein Problem. Deswegen hat uns die Polizei schlecht behandelt. 2x waren Polizisten bei uns und sie haben meinen Vater gefragt. Aber danach hat sich die Polizei von unserer Geschichte von dem Thema ferngehalten. Sie wissen auch, in Afghanistan arbeitet die Polizei anders.

 

F: Was wollte die Polizei bei Ihnen zuhause?

 

A: Die Polizisten sagten, dass ich mich bei der Polizei vorstellen soll und danach vor dem Gericht und dann solle ich auf ein Urteil warten. Islamisch gesehen, wird man hart für diese Tat bestraft.

 

F: Was wäre die Strafe?

 

A: Genau weiß ich es nicht. Man wird gepeitscht. Afghanistan ist kein rechtsstaatlicher Staat, deswegen wird man manchmal auch gesteinigt oder getötet.

 

F: Was konkret ist Ihnen vorgeworfen worden?

 

A: Gesetzlich gesehen gibt es keine Bestrafung, weil wir beide volljährig waren. Aber in Afghanistan ist es so, wer macht hat, hat auch die Gesetze in der Hand und macht was er will. Ich hätte mich auch gefreut, wenn ich vor dem Gericht gestanden hätte und ich dem Gericht gesagt hätte, dass ich diese Frau will und sie mich will. Aber ich wusste, dass das in Afghanistan nicht funktioniert.

 

F: Wie lange blieben Sie in Mazar-e-Sharif?

 

A: 3-4 Monate.

 

F: Wurden Sie in Mazar-e-Sharif persönlich bedroht oder verfolgt?

 

A: Nein, persönlich nicht. Ich habe das schon erklärt, aber ich habe dort niemanden gekannt und es hat jemand nach mir gefragt. Befragt gebe ich an, dass nur einmal nach mir gefragt wurde. Ich habe gedacht, dass es vielleicht der Vater von XXXX war. Ich hatte sehr viel Angst.

 

F: Wie heißt der Vater von XXXX ?

 

A: XXXX.

 

F: Was arbeitet er?

 

A: Das weiß ich nicht.

 

F: Wie kommen Sie dann darauf, dass er für den Geheimdienst arbeiten könnte?

 

A: Das habe ich nur so gedacht, ich war verzweifelt. Ich habe dort niemanden gekannt, und dachte vielleicht, dass es der Vater ist. Er hat gefragt, wo ich wohne und hat sich als Freund vorgestellt.

 

Anmerkung nach Rückübersetzung: er hat gefragt, ob ich hier wohne.

 

F: Warum wurde der Schwager nicht in Afghanistan behandelt?

 

A: Afghanistan ist nicht so entwickelt, es gab keine Möglichkeit so eine Verletzung dort zu behandeln. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube die Ärzte haben vorgeschlagen, dass er in Pakistan oder Indien behandelt werden soll.

 

F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan?

 

A: Ich bin mir sicher, dass ich die gleichen Probleme wieder habe. Deswegen ist auch meine Familie in den Iran gezogen. Wenn ich keine Probleme bekommen hätte, hätte ich von Iran wieder nach Afghanistan zurückkehren können.

 

F: Wann ist die Familie in den Iran?

 

A: 4-5 Monate nach meiner Ausreise aus Afghanistan.

 

(...)

 

F: Welche Kirche besuchen Sie in Österreich?

 

A: XXXX in Simmering.

 

Auff: Nennen Sie die Adresse der Kirche!

 

A: Genaueres kann ich nicht sagen. Ich fahre Richtung Erdberg, und in der XXXX steige ich aus. Dort nehme ich die Straßenbahn und fahre 2 Stationen. Dort ist auch ein großer Autohändler. Es ist die XXXX . Genau weiß ich es nicht.

 

F: Wie oft sind Sie dort?

 

A: Ich habe 2x/Woche die Kirche besucht. Seit 6 Monaten bin ich nicht dort, weil ich mit dem Kindermuseum beschäftigt bin.

 

F: Haben Sie in Österreich auch andere Kirchen besucht?

 

A: Ja, in der XXXX . Den Namen kenne ich nicht. Der Pfarrer heißt XXXX . Auch am Rennweg war ich.

 

F: Haben Sie die Bibel gelesen?

 

A: Einmal habe ich sie durchgelesen, aber nicht genau gelernt, ich bin nicht perfekt.

 

F: Kennen Sie die Bergpredigt? Falls ja, was können Sie mir darüber erzählen?

 

A: Ja, das kenne ich. In dieser Predigt wird gesagt, glücklich sind die armen Leute, sie werden reich werden. Glücklich sind die reinen Leute, die von Herzen rein sind, weil sie das Königreich Gottes sehen werden. Glücklich seien die Leute die Vergeben, weil ihnen wird auch von Gott vergeben. Es gibt mehrere Themen die behandelt werden.

 

F: Haben Sie schon versucht andere Personen vom Christentum zu überzeugen?

 

A: Gestern in der Nacht war ich bei der Donau, ich habe 2 Freunde missioniert, dass sie das Christentum akzeptieren. Ich bin selber nicht perfekt, deshalb kann ich das nicht. Ich kann sie nicht überzeugen. Aber ich missioniere schon.

 

F: Wie läuft das ab, wenn Sie missionieren? Was erzählen Sie, was machen Sie?

 

A: ZB diese 2 Freunde, die sind sehr streng religiös, wir diskutieren immer über religiöse Themen. Ich versuche sie zu überzeugen. zB warum darf ein Mann im Islam 4 Frauen heiraten, wenn das eine Frau macht, dann wird sie hart bestraft. Obwohl beide Menschen sind. Ein anderes Beispiel ist, dass sie die Bibel lesen sollen, wenn sie eine Stelle finden, dass diese Stelle Gewalt verbreitet, dann kannst du mir das zeigen. Im Islam ist das anders. Auch das Christentum spricht sehr viel über Liebe und Barmherzigkeit. Ich sage auch meinen Freunden, dass das Christentum der einzige Weg ist. Dass der Weg dich direkt mit Gott verbindet. Wenn du Christ wirst, dann wirst du als Kind von Gott bezeichnet. In anderen Religionen wirst du als Diener von Gott bezeichnet.

 

F: Zumal Sie nun sagen, es gibt keine Gewalt in der Bibel. "So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben." Anm: Levitikus 31,17-18. Was sagen Sie generell dazu?

 

A: Ich kann das nicht interpretieren, ich bin nicht in dem Level das zu interpretieren. Es gibt auch eine andere Stelle, wo der Mensch als Hund bezeichnet wird, aber es bedeutet was Anderes. Ich war über den Vers verzweifelt und ich war bei meinem Pfarrer und der hat das so interpretiert.

 

F: Haben Sie schon mal etwas von den Kreuzzügen gehört?

 

A: Nein.

 

Auff: Schreiben Sie die 10 Gebote auf!

 

A: Kann ich es auch sagen.

 

Ich bin euer Gott, der Gott der euch von den Sklaven in Ägypten befreit hat. Diener mir und bilde keine Götzen und Stellvertreter für mich. Erwähne meinen nicht umsonst und nütze meinen Namen auch nicht aus. Erinnere dich an Samstag und ehre Samstag. Töte nicht, brich die Ehe nicht. Stehle nicht. Ehre deine Eltern. Lüg nicht. Mach keine falsche Zeugenaussage. Habt kein böses Auge für die Waren und Frauen und Kinder von anderen Leuten.

 

F: Welche Feiertage kennt Ihre Kirche?

 

A: 25.12. Geburt Jesus Christus. Auferstehungstag, Jesus steht von den Toten auf. Pfingsten, 50 Tage später wird der Heilige Geist offenbart. Ich glaube an diesem Tag haben Juden auch einen Feiertag. Befragt gebe ich an, dass der Auferstehungstag 3 Tage nach seinem Tod ist. Befragt gebe ich an, dass es jeden Sonntag gefeiert wird. Jeden Sonntag wird gefeiert, aber das genaue Datum weiß ich nicht. Befragt gebe ich an, dass ich das Datum von Pfingsten nicht kenne und es auch nicht gelesen habe.

 

F: Wann haben Sie Ostern 2018 gefeiert und wie haben Sie gefeiert?

 

A: Ich war diesen Feiertag nicht dabei, weil ich die letzten 6 Monate nicht in der Kirche war.

 

Auff: Nennen Sie fünf wesentliche Unterschiede zwischen dem Islam und dem Christentum!

 

A: Genau weiß ich nicht die 5 Unterschiede.

 

Im Islam wird deine Sünde nicht vergeben, sondern deine guten und schlechten Taten werden im Jenseits zusammengerecht und je nach dem wirst du behandelt. Im Christentum wird dir gleich nach der Taufe vergeben. Eine Widergeburt ohne Sünden.

 

Andere Unterschiede kenne ich nicht.

 

F: Wissen Ihre Angehörigen, warum Sie einen Asylantrag gestellt haben?

 

A: Ja, wegen dem Thema was ich erzählt habe. Über meine Religion wissen sie nichts.

 

F: Wen haben Sie von Ihrer Konvertierung erzählt?

 

A: Meinen engen Freunden. Es ist egal, verschiedene Nationalitäten, Iraner, Afghanen etc. Einige haben damit kein Problem, einige haben den Kontakt abgebrochen.

 

F: Wer im Heimatland weiß von Ihrer Konvertierung?

 

A: Niemand.

 

F: Warum haben Sie es der Familie nicht erzählt?

 

A: Weil meine Familie sehr streng ist, wenn sie davon erfahren, werden sie mich verstoßen."

 

Der BF legte im Verfahrend folgende Unterlagen vor:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.7. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 27.11.2018 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

 

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF betreffend eine Verfolgung seiner Person in Afghanistan sei nicht glaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

 

Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

 

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

 

Der BF habe eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Beziehung zu einem Mädchen nicht glaubhaft machen können. Auch seine Konversion zum Christentum sei nicht glaubhaft.

 

In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Begründung des Antrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) finde.

 

Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes aufgrund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Eine Niederlassung in Kabul sei möglich, da er erwachsen, gesund und erwerbsfähig sei, sodass er dort selbstständig durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Kräften für die Deckung der grundlegendsten Bedürfnisse aufkommen könne.

 

Für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG wurde dem BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE Rechtsberatung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.

 

1.8. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 27.12.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim BVwG ein und beantragte die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

 

In der Beschwerdebegründung wurde der Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung vorgeworfen. Hierzu wurden Berichte zu Zine (außereheliche Beziehung), Blutrache, Apostasie, Konversion und der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan zitiert.

 

1.9. Die Beschwerde samt Verwaltungsakten langte am 08.01.2019 beim BVwG ein.

 

1.10. Am 12.02.2019 wurde eine Liste der Anwesenheiten des BF bei den Gottesdiensten der " XXXX " und ein Begleitschreiben des Pastors der Kirche übermittelt.

 

1.11. Das BVwG führte am 20.02.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF im Beisein eines gewillkürten Vertreters persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

 

Daraufhin gaben die beiden anwesenden Zeugen sowie der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

 

"RI: Wie sind Sie mit dem BF in Kontakt getreten?

 

Z1 (Zeuge 1): Ich habe den BF im Jahr 2018 kennengelernt, aber er ist mir nie wirklich aufgefallen, weil er nicht oft da war. Besonders im Jahr 2018 war er insgesamt nur 12 Mal hier. Es hat sehr große Löcher in seiner Anwesenheit gegeben. Auffällig ist, dass dann ab Jänner, wo die Verhandlung ausgeschrieben wurde, die Regelmäßigkeit wieder angefangen hat. Ich habe auch mit ihm darüber gesprochen, dass meine Zeugenaussage auch nicht sehr positiv sein wird und er hat gemeint, er wird das Gericht entsprechend überzeugen.

 

RI: Ist der BF auch in die Phase bei Ihrer Kirchengemeinde gefallen, wo im Gegensatz zu heute, gleich zu Beginn alle an Jesus Interessierten getauft wurden und erst danach in den Glaubenssätzen unterrichtet wurden?

 

Z1: Ja, das stimmt. Er wurde am 15.01.2017 getauft.

 

RI: Auch vor dem 15.01.2017 war zu Besuch?

 

Z1: Das weiß ich nicht. Damals wurden noch keine Namenslisten geführt. Der BF war aber ab 06.01. jedes Mal am Sonntag da.

 

RI: Hat er Ihnen erzählt, warum der BF nicht so oft anwesend war?

 

Z1: Er hat es mir erklärt, aber es ist mir nicht genau erinnerlich. Ich habe ihm auch gesagt, dass er selbst das Gericht überzeugen muss. Wenn man an einem Religionswechsel interessiert ist, muss einen die Religion brennend interessieren und wenn man wirklich daran interessiert ist, dann findet man einen Weg um die Kirche zu besuchen.

 

RI: Können Sie mir sagen, wann man immer in zu Ihnen in die Kirche kommen kann?

 

Z1: Natürlich jeden Sonntag von 09:30 Uhr bis 15:00 Uhr. Mittwochs um 19:30 Uhr, da findet eine Art Gottesdienst mit Bibelstunde statt. Am Samstag gibt es ein Kirchengebet, das ist von 19:00 Uhr bis 20:00 Uhr.

 

RI: Diese Listen liegen wann auf, wann kann man sich da eintragen?

 

Z1: Jeden Sonntag. Früher waren auch noch am Samstag die Farsi-Gottesdienste, dieser wurde aber auf Sonntag verlegt. Der Hauptgottesdienst beginnt um 11:00 Uhr und um 11:30 Uhr wird die Liste entfernt, weil es schon versucht wurde uns zu täuschen.

 

RI: Wenn der BF einmal nicht auf der Liste stand, kann es sein, dass Sie ihn trotzdem gesehen haben?

 

Z1: Ja, das kann sein, aber ich sage auch immer vor den Gottesdiensten, dass sich die Leute in die Liste eintragen sollen, weil sie eben nach dem Gottesdienst entfernt wird.

 

Die D betritt um 13:50 Uhr den Saal.

 

RI befragt D, ob gemäß § 39a in Verbindung mit § 53 AVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Z 1, 2 und 4 AVG Gründe einer Befangenheit vorliegen; dies wird verneint.

 

RI befragt BF, ob er Umstände glaubhaft machen kann, die die Unbefangenheit des D in Zweifel stellen; dies wird verneint.

 

Da dem Bundesverwaltungsgericht kein Amtsdolmetsch beigegeben ist, wird D durch RI gemäß § 52 Abs. 2 AVG für das gegenständliche Verfahren für die Sprache Farsi bestellt.

 

Die D, die nicht allgemein als Dolmetsch beeidet ist, wird vom RI beeidet (§ 52 Abs. 4 AVG).

 

RI ermahnt D, die Wahrheit anzugeben und nichts zu verschweigen und belehrt über die strafrechtlichen Folgen einer falschen Übersetzung (§ 288 StGB).

 

RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.

 

RI gibt dem BF die Möglichkeit Fragen an den Z1 zu stellen.

 

BF: Es ist richtig was der Z1 sagt. Ich konnte im Jahr 2018 die Kirche nicht besuchen, da ich damals samstags und sonntags im Kindermuseum gearbeitet habe und meiner Arbeit nachgehen musste. Ich bin am 15.01.2017 in der lokalen Pfingstgemeinde in Simmering getauft worden und davor schon, nämlich im Jahr 2016, habe ich die Kirche schon besucht, da ich wissen wollte, ob ich tatsächlich in die Kirchengemeinde kommen möchte oder nicht. Ich habe auch andere Kirchen besucht, aber diese Kirche hat mir sehr gut gefallen, da ich gesehen habe, dass viele Menschen aus vielen Nationen in dieser Kirche vertreten sind. Auch die Pastoren, die dort gearbeitet haben, habe ich sehr gemocht und ich habe gerne mit ihnen zusammengearbeitet. Ich habe den Taufunterricht auch auf Farsi erhalten. Es war dort ein Pfarrer namens XXXX anwesend und ich weiß nicht, was er für Probleme bekommen hat, weil er dann nicht mehr gekommen ist. Er war ein Persisch-sprechender Pfarrer und hat für uns die Bibel unterrichtet und die Gottesdienste übersetzt. Ich dachte mir, es ist sinnvoller, wenn ich mein Deutsch verbessere, denn in dieser Kirche wird Deutsch oder Englisch gesprochen, damit ich es besser verstehen kann. Deshalb habe ich unter der Woche einen Deutschkurs besucht und samstags und sonntags habe ich im Kindermuseum gearbeitet.

 

RI: Gibt es andere Möglichkeiten, die Kirche zu besuchen, wenn man arbeitsbedingt nicht kann.

 

Z1: Das Problem ist, dass wie der BF, alle dort nicht wirklich gut Deutsch sprechen und wir haben auch nur einen Dolmetscher. Wir hatten den Vorteil, dass wir einen persischen Pfarrer hatten, der auch übersetzen konnte, aber er hat eine Katholikin geheiratet und hat selbst zum Katholizismus angenommen. Wie der Pastor dann weg war, hat es bei unseren Farsi-sprechenden Teilnehmern einen Abgang gegeben.

 

RI: Wenn man nicht Deutsch spricht, kann man aber trotzdem zu den Messen kommen? Es wird, nehme ich an, auch gesungen?

 

Z1: Ja, der eine Asylwerber der gut Deutsch kann wird in Zukunft die Messe übersetzen und auch die Predigt, aber er traut sich das im Moment noch nicht. Es gibt aber Leute, die obwohl sie nicht Deutsch können, die Messen besuchen und auf Grund der Spiritualität vorbeikommen.

 

RI: Da Sie ja der Richtung der protestantischen Kirche angehören, ist es den Mitgliedern möglich, einen anderen Gottesdienst bei einer anderen Kirche zu besuchen?

 

Z1: Natürlich steht es allen unseren Mitgliedern frei auch andere Kirchen zu besuchen.

 

RI: Hat der BF außerhalb der Gottesdienste irgendein ein Engagement in der Kirche gezeigt?

 

Z1: Mir ist es nicht aufgefallen. Mir ist es wichtig, dass die Konvertierten das Leben Jesu Christu zu führen und die Glaubensfragen beantworten können. Ich versuche den Mitgliedern immer klar zu machen, dass so etwas überzeugend ist.

 

RI: Was ist ihr persönlicher Eindruck vom BF?

 

Z1: Ich habe nur die einzige Richtlinie des Besuchs.

 

RI: Haben Sie mit dem BF Gespräche geführt?

 

Z1: Er ist ein sehr ruhiger Mensch. E würde mich wirklich freuen, wenn er jeden Sonntag kommen würde und etwas mehr lernen würde. Wir wurden aber schon oft getäuscht und ich habe die Meinung, dass wenn jemand nur ab und zu vorbeikommt, dass dieser nicht sehr an einer Konversion interessiert ist, das ist aber, wie gesagt, nur meine persönliche Meinung.

 

RI: Wollen Sie noch etwas vorbringen?

 

Z1: Nein, danke.

 

Zur heutigen Situation:

 

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

 

BF: Ich bin als schiitischer Moslem geboren und bin jetzt Protestant.

 

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

 

BF: Derzeit lebe ich alleine, aber ich hatte früher eine Freundin, mit ich auch geschlafen habe, das war in Afghanistan. Das muss auch in meiner Akte stehen.

 

RI: Haben Sie Kinder?

 

BF: Das weiß ich nicht, vielleicht habe ich ein Kind, denn ich hatte eine geschlechtliche Beziehung mit dem Mädchen namens XXXX .

 

RI: Geben Sie bitte Anzahl und Aufenthaltsorte Ihrer näheren Angehörigen bekannt!

 

BF: Meine Eltern und meine fünf Schwestern leben alle im Iran.

 

RI: Seit wann leben sie im Iran?

 

BF: Ca. seit drei Jahren. Vielleicht auch länger, ich weiß es nicht genau.

 

RI: Wo sind Sie geboren und wo sind Sie aufgewachsen?

 

BF: Ich bin in Kabul-Stadt geboren und dort auch aufgewachsen.

 

RI: Sind aktuell noch irgendwelche anderen Angehörige in Afghanistan, wie z.B. Onkel und Tanten?

 

BF: Ich hatte nur einen Onkel väterlicherseits, der in Ghazni gelebt hat, aber mittlerweile auch nicht mehr dort lebt, sondern nach Pakistan gegangen ist.

 

RI: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass eine Ihrer Schwestern in den USA lebt, stimmt das?

 

BF: Ja, sie heißt XXXX .

 

RI: Welchen Aufenthaltsstatus hat sie dort und wie ist sie dorthin gekommen?

 

BF: Sie hat geheiratet und deswegen ist sie dort hingegangen und hat auch einen Aufenthaltsstatus dort. Sie lebt in Virgina. Sie ist nicht berufstätig, ihr Mann arbeitet.

 

RI: Verfügen Sie auch über Schwager im Iran?

 

BF: Eine Schwester namens XXXX war verheiratet und ist mittlerweile Witwe. Die drei anderen sind ledig.

 

RI: Arbeitet Ihr Vater im Iran? Ernährt er die Familie? Wenn er arbeitet, als was arbeitet er?

 

BF: Früher, als wir noch in Afghanistan gelebt haben, ging es uns finanziell gut, es war nicht schlecht. Derzeit weiß ich allerdings nicht, was mein Vater für eine Arbeit hat, denn wir haben keinen guten Kontakt zueinander und außerdem ist er jetzt etwas älter.

 

Haben Sie Kontakt zu Ihren Schwestern und der Mutter?

 

BF: Mit denen habe ich Kontakt.

 

RI: Da fragen Sie nicht, was Ihr Vater macht und wie es der Familie geht?

 

BF: Nein, bis jetzt habe ich noch nicht gefragt, aber ich glaube, dass sie irgendwo in etwas finanziert haben, sodass es ihnen finanziell nicht schlecht geht. Da mein Vater im Iran keine Papiere besitzt, kann er selber keine Firma gründen. Er hat für einen Freund in seine Firma investiert, es ist allerdings nicht sehr viel. Ich glaube, es handelt sich um irgendein Geschäft, an dem er mitbeteiligt ist.

 

RI: Wie Sie noch in Afghanistan gelebt haben, von was hat Ihre Familie gelebt?

 

BF: Mein Vater hatte ein Geschäft und ich habe ihm geholfen.

 

RI: Welches Geschäft?

 

BF: Ein Lebensmittelgeschäft.

 

RI: Was das Ihr Eigentum oder gepachtet?

 

BF: Es war gepachtet, aber er hatte es schon sehr lange.

 

RI: Hatten Sie in Kabul ein Haus oder eine Wohnung?

 

BF: Wir haben in Kabul ein Haus gehabt. Als sie dann in den Iran gegangen sind, haben sie es, glaube ich, verkauft.

 

RI: Haben Sie in Mazar-e Sharif auch Leute die Sie kennen?

 

BF: Nein, es gab allerdings einen Freund meines Vaters dort, aber ich kenne ihn nicht.

 

RI: Gibt es zu dem Onkel, der in Pakistan lebt, Kontakt von Ihrer Seite aus oder von der Familie?

 

BF: Ich habe keinen Kontakt mit ihm und weiß nicht, ob meine Familie mit ihm Kontakt hat.

 

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

 

BF: Ich habe in Afghanistan 12 Jahre lang die Schule besucht und nebenbei habe ich auch gearbeitet. Morgens habe ich die Schule besucht und nachmittags habe ich im Geschäft mitgeholfen.

 

RI: Ihr Vater ist also für den Lebensunterhalt aufgekommen und sie haben ihm geholfen?

 

BF: Ja.

 

RI: Wie hätten Sie die finanzielle Situation der Familie von damals und von heute eingeschätzt?

 

BF: Ich glaube, dass es jetzt schlechter geworden ist, denn damals hatten wir ein normales Leben.

 

RI: Haben Sie die Schule abgeschlossen?

 

BF: Nein, ich habe im letzten Jahr aufgehört und habe keine Matura.

 

RI: Haben Sie neben Dari und Deutsch eine andere Sprache gelernt?

 

BF: Ich kann ein wenig Paschtu und Englisch.

 

RI: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder Gruppierung?

 

BF: Nein.

 

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

 

BF: Ich kann mich an das genaue Datum nicht erinnern, aber es war Anfang 2014. Zu dem Zeitpunkt achtet niemand auf das genaue Datum, wenn man flüchtet. Ich selber lege auch keinen großen Wert auf ein Datum.

 

RI: Sie haben gesagt, dass Sie Anfang 2014 ausgeriest sind. Können Sie das im afghanischen Kalender sagen?

 

BF: Nein, ich habe es vergessen, ich kann das nicht. Ich kann mich weder an die Monate erinnern, noch an das genaue Datum. Auch die Monate hier bringe ich durcheinander.

 

RI: Sie haben Ihren Asylantrag aber November 2015 gestellt und haben gesagt, dass Sie zwei Monate unterwegs waren. Das heißt, Sie müssten ca. Mitte 2015 geflohen sein. Das ergibt einen Zeitunterschied eineinhalb Jahren.

 

BF: Ich habe mich ein Jahr im Iran aufgehalten, vielleicht ist da ein Missverständnis vorgekommen. Das habe ich auch bei der letzten Befragung gesagt, dass ca. nach fünf oder sechs Monaten, nachdem in im Iran war, meine Familie nachgekommen ist.

 

RI: Wie Sie da solange im Iran waren, was haben Sie da gemacht?

 

BF: Ich besaß im Iran keine legalen Dokumente und habe schwarz in einer Schneiderei gearbeitet.

 

RI: Sie haben gesagt, Sie haben nach der Schule immer im Geschäft bei Ihrem Vater gearbeitet, war dass das Geschäft Ihres Vaters?

 

BF: Nein, das war das Schneiderei-Geschäft meines Schwagers. Ich habe nicht im Geschäft des Vaters gearbeitet, ich war ihm nur finanziell behilflich.

 

RI: Sie haben gesagt, der Vater hat einen Freund in Mazar-e Sharif. Wissen Sie den Namen?

 

BF: Er heißt XXXX .

 

RI: Haben Sie diesen persönlich kennengelernt?

 

BF: Ja, habe ich.

 

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

 

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

 

BF: Nein.

 

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

 

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

 

BF: Ja, ein bisschen in spreche Deutsch.

 

RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf verständlichen Deutsch beantwortet hat.

 

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

 

BF (auf Deutsch): Ja, ich hätte gestern eine Prüfung gehabt. Heute habe ich ein Interview und habe deswegen eine Entschuldigung geschrieben.

 

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

 

BF: Derzeit nicht, aber sonntags habe ich einen Bekannten und er hat Probleme sich zu bewegen, er ist ein bisschen geistig behindert und ich helfe ihm. Wenn ich dann Zeit habe, besuche ich ihn manchmal, bekomme aber kein Geld dafür. Ich habe aber auch im Altersheim gearbeitet, auch dort bin ich freiwillig hin gegangen, um mein Deutsch zu verbessern und den Menschen dort zu helfen.

 

RI: Haben Sie seit Sie in Österreich sind Grundversorgung bezogen?

 

BF: Ja. Damals als ich noch bei dem Kindermuseum gearbeitet habe, habe ich ein Entgelt von 110,-- € monatlich erhalten.

 

RI: Wann hat diese Arbeit im Kindermuseum begonnen und wann haben Sie wieder aufgehört?

 

BF: Ich kann mir die genauen Daten nicht merken, aber soweit ich mich erinnere, muss es Ende 2017 begonnen haben und Ende 2018 war es aus. Die genauen Monate weiß ich aber nicht.

 

RI: Wie sind Sie zu dieser Arbeit gekommen?

 

BF: Durch die Freundin, die heute mitgekommen ist, sie heißt XXXX . Es gibt eine Gruppe die heißt XXXX , sie haben einen Vertrag mit dem Kindermuseum. Ich war nicht der einzige, der dort begonnen hat, wir waren 5 - 6 Personen.

 

RI: Was haben Sie bei dieser Arbeit gemacht?

 

BF: Es gab dort eine Ausstellung über Flüchtlinge, die nach Europa gekommen sind und es gab verschiedene Stationen und bei jeder Station musste jede etwas über seine Herkunft und Kultur erzählen. Es gab eine Station über Tanzen. Bei einer anderen Station wurde den Kindern Lesen und Schreiben auf Farsi, Dari und Arabisch beigebracht. Es gab noch eine Station, wo die Kinder gebacken haben und ich selbst habe Fingerzeichen auf Dari erklärt und auch über Fingerzeichen in anderen Ländern.

 

RI: Ich habe ein Schreiben von September 2017 bis Juni 2018.

 

BFV legt ein weiteres Schreiben vom XXXX vor, in dem der BF von September 2017 bis August 2018 gearbeitet hat.

 

BF: Es wurde langsam kalt, als ich aufgehört habe dort zu arbeiten.

 

RI: Haben Sie dort nur aus finanziellen Gründen gearbeitet oder weil es Ihnen auch Spaß gemacht hat?

 

BF: Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob ich dort ein Entgelt bekomme oder nicht. Ich bin dorthin gegangen, um mit Leuten Kontakt zu haben und mich der Gesellschaft anzupassen. Als ich dort zur Arbeit gegangen bin, war das für mich keine Arbeit und ich wartete die ganze Woche sehnsüchtig, damit ich Samstag und Sonntag dorthin gehen kann.

 

RI: Wenn Sie in Österreich bleiben dürften, welchen Beruf würden Sie gerne ergreifen?

 

BF: Ich habe eine Bewerbung an die ÖBB geschickt, um als Mechaniker hier zu arbeiten. Ich habe mich auch in Afghanistan ein wenig informiert. Sie haben mir auch zurückgeschrieben und ich bin zu einem Bewerbungsgespräch gegangen, aber leider sagten sie mir, da ich eine "weiße" Karte habe, bin ich nicht berechtigt eine Ausbildung zu machen. Sie sagten mir, falls ich einen positiven Bescheid erhalte, solle ich wiederkommen. Ich hatte alle Voraussetzungen, die sie forderten.

 

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

 

BF: Ich besuche ein Fitnessstudio hier. Ich spiele auch in einer Mannschaft, in der die Kindermuseum-Mitglieder dabei sind, Fußball. Ansonsten besuche ich einen B2-Kurs.

 

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

 

BF: Nein.

 

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

 

RI: Zu Ihrer Religion: Sie sind als schiitischer Moslem aufgewachsen. Wie haben Sie und die Familie diese Religion gelebt?

 

BF: Meine Familie ist grundsätzlich religiös, aber ich persönlich nicht. Ich war nicht religiös.

 

RI: Haben Sie nie die Moschee besucht oder gebetet oder den Ramadan eingehalten?

 

BF: Nein.

 

RI: Hat es nie Probleme mit Ihrer Familie oder anderen Leuten gegeben, weil Sie nie in die Moschee gegangen sind?

 

BF: Doch, ich hatte Probleme mit meinem Vater und Großvater. Sie haben mir deshalb immer wieder Probleme gemacht und sagten mir, ich sei ungläubig und solle doch beten.

 

RI: Haben Sie grundsätzlich an einen Gott geglaubt?

 

BF: Ja, ich glaubte an Gott, aber ich konnte den Islam nicht anerkennen. Ich hatte immer Probleme damit.

 

RI: Wenn Sie an Gott geglaubt haben, warum haben Sie dann nicht gebetet. Das ist ja etwas Privates?

 

BF: Ich hatte meinen eigenen Gott. Ich meine mit nicht beten, dass ich nicht in die Moschee gegangen bin und auch nicht gefastet habe.

 

RI: Haben Sie sich damals schon mit dem Christentum befasst?

 

BF: Als ich noch klein war, habe ich mir einen Film von Jesus Christus angeschaut. Auf Dari heißt das übersetzt "Die Probleme von Jesus". Dieser Film hatte einen großen Einfluss auf mich, ich war noch klein. Danach war ich ein bisschen neugierig und habe ein wenig über das Christentum studiert und es hat mir sehr gut gefallen, aber so dass ich mich genauer informieren konnte, geht in Afghanistan nicht.

 

RI: Wie sind Sie in Österreich mit dem Christentum in Kontakt gekommen und wie ist das abgelaufen?

 

BF: Als ich am Anfang angekommen bin, war ich in einem anderen Flüchtlingslager. Ich war mit zwei oder drei anderen Iranern dort in einem Zimmer. Einer von ihnen hieß WAHID und er war Christ und er hat sich immer wieder über das Christentum mit mir unterhalten. Er sagte mir, ich solle ihn einmal in die Kirche begleiten und mir das anschauen. Er sagte, wenn du davon überzeugt bist, dann werde doch Christ. Am Anfang habe ich auch gesagt, dass ich ihn dorthin nur begleitet habe und zugehört habe. Später gefiel mir das Christentum sehr gut, weil ich entdeckte, dass ich im Christentum das gefunden haben, was ich immer gesucht habe.

 

RI: Ist die Kirche, die Sie besuchen, auch die Kirche in der Sie mit Ihren Freund waren?

 

BF: Nein, ich habe verschiedene Kirchen besucht und war immer in Kirchen, wo auch Farsi gesprochen wurde. Die Kirche, wo ich jetzt bin, hat mir ein Freund vorgestellt. Am Anfang bin ich nur hingegangen und habe nur zugeschaut, wie die Leute beten. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass verschiedene Leute aus verschiedenen Nationen dort zusammen beten.

 

RI: Wann war das, dass Sie das erste Mal in einer Kirche waren?

 

BF: Das war im Jahr 2016. Nachgefragt gebe ich an, dass das Anfang 2016 war.

 

RI: Waren das alle protestantische Kirchen, die Sie besucht haben?

 

BF: Damals hatte ich nicht so ein genaues Wissen, um zu überblicken, was das für Kirchen waren. Ich hatte nicht so viele Informationen. Ich habe sonntags die Kirchen besucht mit einen anderen afghanischen Freund.

 

RI: Haben Sie sich jemals mit anderen Richtungen des Christentums auseinandergesetzt? Warum sind Sie Protestant geworden und nicht z. B. Katholik oder Orthodoxer.

 

BF: Wie gesagt, ich hatte am Anfang keine Informationen darüber, was Protestant, Katholik, etc. bedeutet.

 

RI: Sie wechseln Ihre Religion, das ist doch ein großer Schritt. Haben Sie sich nicht informiert?

 

BF: Ich hatte am Anfang keiner näheren Information. Ich bin dorthin gegangen, habe mich taufen lassen und den Unterricht besucht. Für mich macht es keinen Unterschied, ob man Protestant oder Katholik ist. Ich dachte, alle sind gleich.

 

RI: Warum haben Sie sich ausgerechnet für das Christentum entschieden? Es gibt ja noch andere Religion, wie Judaismus, Hinduismus, Buddhismus, etc.

 

BF: Wie ich bereits am Anfang gesagt habe, habe ich im Christentum das gefunden, was ich in meiner früheren Religion verloren hatte. Niemand hat mich gezwungen und es nichts Besonderes passiert, dass ich Christ geworden bin. Bevor ich Christ wurde, war ich verloren. Seitdem ich Christ bin fühle ich eine innere Ruhe.

 

RI: Was ist für Sie der Unterschied zwischen Islam und Christentum?

 

BF: Für mich persönlich kann ich Ihnen sagen, dass das Negativste für mich ist, dass die Frauen im Islam nicht respektiert werden. Das ist für mich nicht akzeptabel, denn Männer und Frauen sind gleich. Das war eine der Gründe. In der Kirche sind sehr hilfsbereite und nette Menschen. Die Frauen sind dort sehr aktiv. Ein anderer Grund ist, dass im Christentum Liebe und Freundschaft existiert.

 

RI: Und im Islam nicht?

 

BF: Ich persönlich habe das nicht so empfunden. Dort kann jeder persönlich ein Urteil fällen und über andere richten. Sie können sogar bestimmen, was du anziehst oder wie du aussehen sollst.

 

RI: Haben Sie sich zwischenzeitlich mit den Unterschieden zwischen Evangelismus und Katholizismus auseinandergesetzt?

 

BF: Ich habe keine Informationen darüber. Ich weiß nur, dass im Katholizismus Maria als Heilige gilt. Derzeit möchte ich mich ein bisschen mehr mit Katholizismus befassen, damit ich mehr weiß.

 

RI: Sie gehen schon drei Jahre in die Kirche und befassen sich erst jetzt mit dem Katholizismus? Wenn ich mich für den Islam interessieren würde, würde ich mich ja auch mit der sunnitischen und der schiitischen Richtung auseinandersetzen. Das haben Sie beim Christentum hier nicht gemacht. Mir kommt es so vor, dass Sie Protestant geworden sind, weil Ihre Freunde in die protestantische Kirche gegangen sind.

 

BF: Es kann nicht die Rede davon sein, dass die Freunde der Grund dafür waren. Ich wollte eigentlich mehr Deutsch lernen und mehr von der Kultur hier erfahren. Ich hatte damals noch nicht so ein Wissen.

Es gibt in unserer Sprache ein Sprichwort das besagt: "Wenn du einen Fisch fängst ist er immer frisch, Hauptsache du fängst ihn." Ich meine damit, es ist noch nicht zu spät.

 

RI: Sie haben im Museum offensichtlich von September 2017 bis August 2018 gearbeitet. Warum waren Sie z.B. dann den ganzen August 2017, einen Monat vorher und dann auch noch im November und Dezember 2018, kein einziges Mal in der Kirche bzw. haben sich nicht eingetragen. Erklären Sie mir das.

 

BF: Wie ich am Anfang gesagt habe, gab es bei den Gottesdiensten dort keinen Dolmetscher und diese wurden nur auf Deutsch gehalten. Ich bin zwar hingegangen, aber ich habe nichts verstanden und sonntags habe ich mich mit den anderen Freunden, die dort waren über die Gottesdienste unterhalten.

 

RI: Meiner Meinung nach, geht man auch in die Kirche, wenn man die Sprache nicht versteht, alleine aufgrund der Spiritualität und der Atmosphäre dort hingeht, insbesondere, wenn man sich frisch für einen Glauben interessiert und Konvertit ist.

 

BF: Es kann sein, dass Sie mir jetzt nicht glauben, aber so wie

Jesus gesagt hat: "Wenn sich vier Gläubige einfinden, dann ist es, wie wenn eine Messe abgehalten wird.". Deshalb habe ich mich in dieser Zeit öfters mit den anderen getroffen und darüber geredet, da können Sie auch gerne nachfragen. Deshalb haben wir uns auf Farsi unterhalten und diskutiert.

 

RI: Einerseits hat Ihnen die Abriet im Museum ja Spaß gemacht. Sie wollten ja das tun, um mit anderen Leuten in Kontakt zu treten. Durch diese Arbeit hat jedoch Ihr Besuch der Gottesdienste sehr darunter gelitten, wobei man ja auch bei diesen Gottesdiensten Leute trifft und mit ihnen in Kontakt tritt. Warum war Ihnen diese Arbeit wichtiger, als in den Gottesdienst zu gehen, wobei Sie ja von der Arbeit nicht finanziell abhängig waren.

 

BF: Wie ich bereits sagte, hätte ich auch während der Woche dorthin gehen können.

 

RI erklärt die Frage nochmals.

 

BF: So wie Jesus Christus sagt, ist handeln besser als reden und was ist daran schlimm, wenn ich den Kindern etwas beibringe und ihnen etwas zeige, damit sie auch ihren Glauben finden und für die Kinder war das damals auch interessant, dass ich dort war. Als sie mich dort fragten, was für eine Religion ich habe und ich sagte, ich sei Christ, war das sehr interessant für die Kinder. Ich bin grundsätzlich ein sehr ruhiger, zurückhaltender Mensch und ich merke manchmal, dass es Leute gibt, die in die Kirche gehen und Schauspielen. Das habe ich bemerkt.

 

RI: Haben Sie Ihrer Familie von der Konversion erzählt?

 

BF: Ja, vor zwei Jahren oder mehr. Ich habe nicht gesagt, dass ich Christ geworden bin. Ich sagte meiner Schwester, dass ich mich für das Christentum interessiere und konvertieren möchte.

 

RI: Ihren Eltern haben Sie nichts erzählt?

 

BF: Mit meinem Vater rede ich überhaupt nicht mehr, meine Mutter ist sehr religiös. Ich glaube, es ist nutzlos, wenn ich mit ihnen darüber rede.

 

RI: Sie haben hier eine Religionsaustrittsbescheinigung. Das heißt, Sie sind aus dem Islam ausgetreten. Ich entnehme dieses Dokument, dass Sie offiziell ohne religiöses Bekenntnis sind. Warum haben Sie das den Behörden nicht gesagt und sich als Protestant eintragen lassen?

 

BF: Als ich damals mit meinem Freund dorthin gegangen war, habe ich erklärt, dass ich Moslem bin und jetzt konvertieren will.

 

RI: Sie sind aber nicht offiziell dem Christentum beigetreten. Ihnen war ja bekannt, wie man austritt. Warum haben Sie die Gelegenheit nicht genutzt, um sich einzuschreiben?

 

BF: Das ist nicht meine Schuld. Ich habe das damals gesagt und mir den Zettel nicht durchgelesen und bin dann gleich zum BFA. Ich habe damals genau erklärt, dass ich früher Moslem war und ausgetreten bin und nunmehr Mitglied der christlichen Kirche bin. Meine Freundin kann das bestätigen.

 

RI: Wer hat die protestantische Kirche gegründet und wann ist sie entstanden?

 

BF: Der deutsche Martin Luther, seit 1592. Auf Nachfrage wiederholt der BF 1592.

 

RI: Erzählen Sie mir wann die Christen den Heiligen Geist feiern?

 

BF: Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.

 

RI erörtert die Frage.

 

BF: Das ist Pfingsten. Ungefähr 50 Tage nach Jesus Auferstehung wird das gefeiert, das ist die siebte Woche. Zu dieser Zeit erscheint Jesus Christus als Heiliger Geist und seine Jünger sprechen in verschiedenen Sprachen. Ich glaube, dass war früher auch ein jüdischer Feiertag.

 

RI: Was ist zu Ostern passiert?

 

BF: Ich verstehe die Frage nicht.

 

RI: Ist Ihnen der Begriff "Ostern" nicht bekannt?

 

BF: Habe ich nicht gehört.

 

RI: Auch nicht den deutschen Begriff?

 

BF: Nein.

 

RI: Als Christ muss ich den Begriff Ostern doch kennen.

 

BF: Sie meinen die Geburt Jesu Christu?

 

RI: Nein, wie nennt man die Geburt Jesus Christus?

 

BF: Auf unserer Sprache sagt man Christmas, also Weihnachten. Zu Ostern kann ich mich nicht erinnern.

 

RI: Das ist die Auferstehung von Jesus. Ein Christ sollte diesen Begriff kennen.

 

BF: Manche Wörter verlieren sich in der Übersetzung. Ich kenne mich aus, ich weiß, was die Wiederauferstehung ist.

 

RI: Warum ist Jesus gestorben?

 

BF: Er wollte damit sagen, dass jeder die Früchte seiner Taten nach dem Tod erntet und so hat er bewiesen, dass sterben und wiederauferstehen existiert. Er wollte damit beweisen, dass schon vor seiner zeit bei Moses, Ibrahim und Elias, dass sein Blut fließen soll, um unserer Sünden zu vergeben. Denn wenn das nicht eingetroffen wäre, wäre die göttliche Vorhersehung nicht eingetroffen.

 

RI: Haben Sie in der Bibel über einen Hahn gelesen, der gekräht hat?

 

BF: Das letzte Mal als Jesus seine Jünger um sich gesammelt hat, sagte er, dass einer seiner Jünger ihn verraten und umbringen wird. Einer von ihnen stand auf, nämlich Petrus und sagte, er wäre bereit für ihn ins Gefängnis zu gehen. Jesus sagte, dass du, bis morgen der Hahn kräht, mich dreimal verleugnen wirst.

 

RI: An welchen Tag feiern wir das letzte Abendmahl?

 

BF: Für das letzte Abendmahl gibt es kein genaues Datum. Es ist Sonntag, in der Messe.

 

RI: Ich meine das letzte Abendmahl zu Ostern.

 

BF: Das ist Freitag.

 

RI: Nein, Gründonnerstag. Was feiern wir am Freitag?

 

BF: In unserer Kirche werden nicht so viele Feiertage gefeiert, deshalb habe ich über die Feiertage nicht viele Informationen. Ich weiß nur vom letzten Abendmahl, weil ich es im letzten Unterricht gelernt habe.

 

RI: Das müsste man als Christ wissen. Wissen Sie, was am letzten Freitag vor Ostern passiert ist?

 

BF: Jesus Christus ist nach Jerusalem gegangen.

 

RI: Nein, Jesus wurde gekreuzigt.

 

BF: Sie haben gesagt, der letzte Freitag vor Ostern.

 

RI: Nein, aber da wäre Jesus auch nicht nach Jerusalem gekommen, das war am Palmsonntag.

 

RI: Um wie viel Uhr zu wievielten Stunde ist Jesus gestorben?

 

BF: Genau weiß ich es nicht, aber das zu Mittag gewesen sein.

 

RI: Wissen Sie wie die ersten Menschen geheißen haben?

 

BF: Adam und Eva.

 

RI: Wissen Sie warum die Menschen das Paradies verlassen mussten?

 

BF: Weil Gott Ihnen sagte, eine bestimmte Frucht nicht zu essen. Das haben sie getan und sind rausgeschmissen worden.

 

RI: Was sind die wichtigsten Dinge, die Moses getan hat?

 

BF: Er hat das Meer mit seinem Stock geöffnet.

 

RI: Wissen Sie warum?

 

BF: Die Ägypter waren hinter Ihnen her und sie waren auf der Flucht.

 

RI: Noch etwas?

 

BF: Sein Stock hat sich zu einer Schlange gewandelt.

 

RI: Aber was ist das Wichtigste, dass er je getan hat in seinem Leben?

 

BF: Er hat ein Schaf geopfert. Er hat uns die Tora gebracht, ein Buch.

 

RI: Es gibt eine Sache, die er uns gebracht hat, was genau ist das? Man spricht heute noch darüber. Das Wichtigste.

 

BF: Die 10 Gebote.

 

RI: Können Sie das Vater Unser auf Dari aufsagen?

 

BF sagt das Vater Unser auf.

 

RI: Wie sind Sie zum BF gekommen und wie lebt er seinen Glauben aus?

 

Z2: Ich habe ihn Ende 2015 kennengelernt, im November. Er war in einer Flüchtlingsunterkunft, in einem Kulturcafe bzw. Werkstatt und er hat sich dort engagiert. Das mit dem Museum war für ihn eine einmalige Möglichkeit mit dem Museum zu kooperieren und zwar in dem Sinne, dass 5 Mitglieder unseres Vereins, wie normale Mitarbeiter des Museums, dort arbeiten konnten. Meine Aufgabe war es die Vereinsmitglieder zu koordinieren. Der BF hat einigen aus dem Team, den Vortritt gelassen, damit diese nicht am Wochenende arbeiten mussten. Andere hatten Kurse und sie haben sich das untereinander ausgemacht. Ich habe ihn als Person erlebt, die sich dort im Museumbetrieb sehr schnell zurechtgefunden hat. Er hat auch sehr schnell Deutsch gelernt und seine psychische Gesundheit hat sich auch gebessert.

 

RI: Hat der BF auch mit Ihnen über seine Religion gesprochen?

 

Z2: Er hat das am Anfang nicht angesprochen. Erst als wir uns zu einem Kaffee getroffen, ca. im Jahr 2017, hat er gegenüber mir erwähnt, dass er sich für das Christentum interessieren würde und er die Kirche besucht. Wir sprachen über den Ablauf eines Gottesdienstes, den er mir aber nicht gut auf Deutsch erklären konnte, da der Gottesdienst auf Farsi ist. Es macht ihm sehr Spaß und ihm ist das Wohl der anderen immer wichtiger.

 

RI: Sehen Sie einen großartigen Unterschied zwischen dem BF und anderen Moslem, mit denen Sie zusammenarbeiten?

 

Z2: Ich arbeite mit besonderen Menschen zusammen, die das alles freiwillig machen. Auch sind einige der Moslem nicht strenggläubig. Unsere Beweggründe sind nicht religiös, es geht darum, etwas Gutes zu tun.

 

RV: Wann hat das Projekt mit dem Kindermuseum geendet?

 

Z2: Das war von September 2017 bis Ende August 2018.

 

RV: Hat sich der BF nach August 2018 in Ihrem Verein engagiert?

 

Z2: Ja.

 

RI: Auch am Wochenende? Gab es Gründe, warum er den Gottesdienst nicht wahrnehmen konnte?

 

Z2: Ja, es gab Veranstaltungen am Wochenende, wo er geholfen hat.

 

RV: Was ist der Zweck des Vereins XXXX ?

 

Z2: Vorurteile abzubauen und Menschen die keine Möglichkeiten haben zu helfen. Der BF hat auch z.B. Klavierunterricht erhalten. Es sind gemeinnützige Projekte.

 

RV: Profitiert der BF ausschließlich vom Verein oder bringt er selber Ideen in den Verein ein?

 

Z2: Ja, es war seine Idee eine neue Schneiderei zu eröffnen und man konnte auch das Handwerk bei ihm erlernen. Mit Schneiderei meine ich einen Vereinsraum, wo diverse Kurse angeboten wurden, und dort hatte er eine Nähmaschine und so konnte er anderen Leuten das Handwerk beibringen. Er möchte auch eine Ausstellung machen.

 

RI: Hat der BF bei dem Austritt der islamischen Glaubensgemeinschaft, auch gegenüber den Beamten erwähnt, dass er dem Christentum beitreten möchte?

 

Z2: Ich bin davon ausgegangen, dass das die Pfarre erledigen wird.

 

RI: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend alle Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe). Nehmen Sie sich dafür nun bitte ausreichend Zeit, alles vorzubringen.

 

BF: Der Grund, warum ich nicht nach Afghanistan zurück kann ist, weil mein Leben in Gefahr ist. Ich hatte in Afghanistan ein Mädchen namens XXXX kennengelernt, das war Anfang 2013. Wir hatten uns immer auf dem Schulweg getroffen und wir hatten auf den Weg zur Schule eine Änderungsschneiderei und wir hatten deswegen Arbeit. Sie war in Begleitung von ihrer Mutter und ihrer Bekannten. Sie wollten etwas für eine Hochzeit ändern lassen und bei dieser Gelegenheit habe ich ihr meine Visitenkarte mit meiner Nummer darauf gegeben. Ca. ein oder zwei Tage später hat sie mich angerufen und sagte, ich solle Acht geben und genau arbeiten. Ich haben sie dann gefragt, ob es sich bei dieser Nummer um ihre Nummer handelte. Sie sagte ja und so konnten wir uns gegenseitig kontaktieren. Wir haben uns immer wieder getroffen, meistens an ganz ruhigen Straßenecken.

 

RI: Ihre Freundin ist alleine zu diesen Treffen gekommen und das in der Öffentlichkeit?

 

BF: Sie hatte eine Freundin, die immer mit war und wir haben auch nichts Besonderes gemacht.

 

BF: Bis eines Tages mein Schwager einkaufen gehen wollte. Ich habe bei ihm im Geschäft gearbeitet und war dann alleine im Geschäft. Dann ist sie zu mir ins Geschäft gekommen und wir hatten dann im Geschäft Sex miteinander.

 

RI: Wann war das etwa?

 

BF: Zwei oder drei Monate nachdem wir uns kennengelernt haben.

 

RI: Sie haben sich vorher immer nur so getroffen und mehr ist da nicht gewesen, stimmt das?

 

BF: Ich hatte ein sehr gutes freundschaftliches Verhältnis mit meinem Schwager und habe ihn bereits erzählt, dass ich eine Beziehung mit einem Mädchen habe und vorhabe, um ihre Hand anzuhalten. Mein Schwager hat auch darüber mit meinem Vater gesprochen, aber er war nicht einverstanden, weil wir Schiiten waren. Wir waren dann zwei- bis dreimal bei den Eltern des Mädchens und haben um ihre Hand angehalten, aber er war nicht einverstanden und das letzte Mal als meine Eltern dort waren war XXXX Vater sehr unfreundlich zu meinen Eltern und dass er nicht mit der Heirat einverstanden sei und wir nicht mehr kommen sollen. XXXX sagte mir dann, wir sollten gemeinsam fliehen und ich sagte ihr, es ist noch nicht die Zeit dafür reif, lass uns ein wenig älter werden und es später nochmal versuchen, vielleicht willigen sie dann ein und wenn nicht können wir immer noch fliehen. Danach ist sie zu mir ins Geschäft gekommen und wir hatten Sex miteinander, danach ist sie nachhause gegangen und ich seitdem nie wieder etwas von ihr gehört. Ich weiß nicht, wie sie es erfahren haben, vielleicht war es diese Freundin, die es den Eltern verraten hat. Sie wurde dann von ihrem Vater geschlagen.

 

RI: Woher wussten Sie, dass ihr Vater Ihre Freundin geschlagen hat, wenn Sie keinen Kontakt mehr zu ihr hatten?

 

BF: Das hat mir die Freundin später erzählt. Ich habe die Freundin gefragt und ein, zwei Tage hat sie mir mitgeteilt, dass XXXX geschlagen wurde und dass sie über mich Bescheid wissen und dass ich mit XXXX im Geschäft war. Sie hat alles erzählt und sie wollen mich umbringen.

 

RI: Warum hat die beste Freundin von XXXX sie bei ihren Eltern verraten?

 

BF: Das weiß ich auch nicht, aber ich glaube, dass sie es unbewusst erzählt hatte.

 

RI: Wie ging es dann weiter?

 

BF: Sie sagte mir nur, pass auf. Sie wollen dich umbringen. Ich habe diese Sache aber nicht ernst genommen und dachte, jetzt wo sie es wissen, willigen sie vielleicht ein. Ungefähr zwei oder drei Monate danach wollte ich zu meinem Schwager nachhause gehen und hierbei möchte ich Ihnen sagen, dass bei der ersten Einvernahme vermerkt wurde, dass ich auf dem Weg zu XXXX war und nicht zu meinem Schwager. Es stimmt das, was bei der zweiten Einvernahme vermerkt wurde und dass ich auf den Weg zu meinem Schwager war.

 

RI: Sie hatten nach dem Treffen im Geschäft keinen Kontakt mehr zu XXXX und haben alles von ihrer Freundin gehört, stimmt das?

 

BF: Ja, seitdem sie nach dem Sex das Geschäft verlassen hat, habe ich von ihr nichts mehr gehört.

 

BF setzt fort: Es war gerade dunkel geworden und ein Auto ist von hinten mit hoher Geschwindigkeit gekommen und hat uns zusammengefahren, sodass mein rechtes Bein und mein linker Arm und auch ein bisschen mein Kopf verletzt wurde. Bedingt durch diesen Unfall hatte mein Schwager eine Gehirnerschütterung. Das Auto ist weitergefahren, ich war aber selber nicht bei Bewusstsein. Die Leute die uns halfen sagten, dass niemand mehr da war und das Auto weggefahren ist. Wir waren dann im Krankenhaus und mein Schwager hatte eine schwere Kopfverletzung. Die Ärzte sagten, dass sie ihn nicht heilen können und er solle lieber nach Pakistan. Er war dann sieben oder acht Tage im Krankenhaus in Pakistan, ist aber dann an seinen Verletzungen gestorben. Ich war damals noch im Spital, aber seinen Leichnam haben sie dann wieder nach Afghanistan gebracht. Meine Schwester hat herumgefragt, um wen es sich handeln konnte und wer dieses Auto fuhr. Mir ist dann eingefallen, dass die Familie von XXXX mich bedroht hat. Ich hatte ein ganz normales Leben und keine Feinde, so wie ich in Österreich seit drei Jahren unbehelligt lebe, war das Leben in Afghanistan auch.

 

RI: Wie lange waren Sie im Krankenhaus?

 

BF: Einen Monat lang.

 

RI: Konnten Sie am Begräbnis Ihres Schwagers teilnehmen oder waren Sie noch im Krankenhaus?

 

BF: Ich konnte daran nicht teilnehmen, ich war noch im Spital.

 

BF setzt fort: Ich habe dann meiner Schwestern von XXXX und ihrer Familie erzählt. Danach hat der Bruder meines Vaters den Vater von XXXX angezeigt, aber sie leugneten das.

 

RI: Hat nur der Bruder eine Anzeige erstattet?

 

BF: Nein, beide gemeinsam sind hingegangen.

 

BF setzt fort: Sie haben uns dann aber angezeigt, weil wir ihrer Ehre geschadet haben. Danach ist es langsam dazu gekommen, dass sie persönlich zu uns nachhause gekommen sind und bedroht haben. Der Vater selber ist nicht gekommen, weil, ich glaube, dass der Vater eine wichtige Person war. Sie lebten in den reicheren Viertel in Kabul. Er hat andere Personen zu uns nachhause geschickt, die uns gedroht haben.

 

RI: Was waren das für Leute?

 

BF: Das waren Militärpersonen, die Einfluss hatten. Sie haben uns bedroht.

 

RI: Hatten Sie Uniform und Waffen?

 

BF: Nein, man hat anhand der Kleidung nicht gesehen, dass sie für das Militär arbeiten. Das ist aber in Afghanistan üblich, dass diese Personen eine bestimmte Art von Kleidung tragen und sie hatten solche Kleider an. Sie haben uns bedroht. Sie haben Feuerwerkskörper zu uns in den Hof geschmissen. Mein Vater sagte, dass es besser wäre, wenn ich Kabul einige Zeit verlasse. Ich bin dann nach Mazar-e Sharif geflüchtet. Dort lebte der Freund meines Vaters, XXXX , ich war einige Wochen dort. Sie hatten Grundstücke und Felder und da ich nichts zu tun hatte, habe ich ihnen einmal am Feld geholfen. Eines Tages als ich auf dem Weg nachhause war, sagte der Freund meines Vaters, dass einer meiner "Freunde" bei der Tür bei uns war und nach mir gefragt hätte. Ich kannte außer dem Freund meines Vaters niemanden, schon gar keine Freunde. Ich habe dann mit meinem Vater gesprochen, er meinte, es ist besser, wenn du nach Kabul zurückkommst und er werde meine Flucht in den Iran organisieren. Ich bin dann nach Kabul zurück. Mein Vater hatte einen Schlepper organisiert, mit dem ich über Pakistan in den Iran gegangen bin.

 

RI: Wie lange war Ihre Familie nach Ihrer Flucht noch in Afghanistan?

 

BF: Fünf bis sechs Monate. Sie sind dann auch ausgereist, weil die Drohungen zugenommen haben. Meine Schwester konnten dann auch nicht mehr in die Schule gehen. Ich selbst frage mich auch, wie man mich in Mazar-e Sharif entdecken konnte, aber ich weiß es nicht. Meiner Meinung nach, da der Vater eine einflussreiche Person war, dass er für den Geheimdienst gearbeitet hat, weil die Polizei hielt auch zu ihnen.

 

RI: War bei Ihnen Kabul dann tatsächlich die Polizei oder nur diese Männer in Zivil?

 

BF: Am Anfang ist die Polizei gekommen, mit Personen, die uns auch bedroht haben. Unser normales Leben kippte plötzlich um.

 

RI: Wurden Sie persönlich jemals bedroht?

 

BF: Ja, ich bin ja persönlich bedroht worden, denn es ging ja um mich. Nachgefragt gebe ich an, dass sie mich nicht gefunden haben, weil ich versteckt war. Sie sagten, wir bringen dich um. In Afghanistan ist es üblich, dass man die Älteren und die Frauen und Kinder in Ruhe lässt. Das Hauptziel war ich.

 

RI: Über welchen Zeitraum hat sich das erstreckt?

 

BF: Vier, fünf Monate lang.

 

RI: Was haben Sie in den vier, fünf Monaten gemacht? Haben Sie sich versteckt?

 

BF: Als ich noch in Kabul war, habe ich alle zwei bis drei Tage meinen Standort gewechselt und bin zu Freunden gegangen. Manchmal bin auch nachhause gegangen. Mein Vater wurde immer damit konfrontiert und die Personen sagten, dass er mich ihnen ausliefern soll. Einen Monat war ich ja auch von diesen vier, fünf Monaten im Spital.

 

RI: War das ein Spital in Kabul?

 

BF: Ja.

 

RI: Und da hat Sie niemand bedroht oder hat versucht Sie umzubringen?

 

BF: Das war währenddessen, als mein Schwager verstorben ist und dann später in Afghanistan beerdigt wurde. Sie rechneten nicht damit, dass ich weiß, dass sie das waren. Später als sie angezeigt wurden, war es offiziell.

 

RI: Sie haben gesagt, Sie waren bei Freunden. Haben die Sie kostenlos bei Ihnen schlafen lassen?

 

BF: Ja, sie haben mir geholfen. Ich hatte viele Freunde damals. Ich weiß aber nicht mehr, ob sie in Kabul sind, denn ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen. Mein Handy ist in Griechenland ins Meer gefallen.

 

RV: Sie haben heute gesagt: "Wir sind zu den Eltern von XXXX gegangen." Wen meinen Sie mit "Wir"?

 

BF: Ich meine damit meine Eltern, persönlich war ich nicht dabei. Das ist in Afghanistan nicht üblich, zuerst gehen die Eltern.

 

RV: Kannten Sie XXXX bereits vom Sehen, bevor sie mit ihrer Familie zu ihnen ins Geschäft gekommen ist?

 

BF: Ja, wir haben uns permanent auf dem Schulweg gesehen.

 

RV: Wie lange ist sie Ihnen aufgefallen?

 

BF: Schon seit längerer Zeit, genau kann ich das nicht sagen. Wir haben uns immer gesehen, aber es gab nie eine Möglichkeit, damit wir uns unterhalten konnten. Ich bin selber schüchtern und es ist schwer sich in der Öffentlichkeit mit einem Mädchen zu unterhalten."

 

Der BF legte folgende Unterlagen vor:

 

 

 

1.12. Am 03.03.2019 langte ein Schreiben des Pastors der " XXXX " beim BVwG ein.

 

1.11. Mit Schreiben vom 18.07.2019 wurden eine Gewerbeanmeldung des BF und eine Bestätigung der Baptistengemeinde übermittelt. Darin wurde vorgebracht, dass der BF mit 01.08.2019 eine selbstständiges Gewerbe, nämlich Änderungsschneiderei, ausübe. Seit Ende Februar 2019 besuche er den Gottesdienst der Baptistengemeinde. Es werde beantragt, den BF zu seiner Tätigkeit und zum Wechsel zur Baptistengemeinde erneut einzuvernehmen und auch den Gemeindeältesten als Zeugen zu befragen.

 

2. Beweisaufnahme:

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 22.11.2015 und der Einvernahmen vor dem BFA am 20.07.2017 und vom 11.09.2018 sowie die Beschwerde vom 27.12.2018

 

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation)

 

* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 20.02.2019

 

* Einsicht in die vom BF vorgelegten Schriftstücke

 

* Einsichtnahme in folgende vom BVwG zusätzlich eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:

 

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 samt Aktualisierungen)

 

o diverse Berichte zur Lage in Mazar-e Sharif und Herat und einen Bericht über die Folgen der Dürre in diesen Städten

 

o Auszug aus den EASO-Richtlinien 2018 betreffend Afghanistan.

 

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

 

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

 

3.1. Zur Person des BF:

 

3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitischen Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht auch Paschtu, Englisch und Deutsch (A2).

 

Der BF ist in Kabul, Afghanistan, geboren und aufgewachsen. Er hat dort zwölf Jahre lang eine Schule besucht und in der Schneiderei seines Schwagers gearbeitet.

 

Die Eltern und Schwestern des BF halten sich aktuell im Iran auf. Die finanzielle Situation der Familie stellt sich als gut dar.

 

Laut Angaben des BF besteht zu Schwestern und Mutter im Iran Kontakt.

 

3.1.2. Der BF ist jung und männlich. Der BF hat im Verfahren keine ärztlichen Befunde vorgelegt und keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen geltend gemacht. Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten haben sich daher zum aktuellen Zeitpunkt keine ergeben.

 

Der BF hat zwölf Jahre eine Schule besucht und verfügt über Berufserfahrung als Schneider.

 

3.1.3. Der BF reiste im Jahr 2015 aus Afghanistan über den Iran und die Türkei nach Europa und stellte am 22.11.2015 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

3.1.4. Der BF hält sich seit November 2015 in Österreich auf und spricht Deutsch auf dem Niveau A2. Er hat mit Wirksamkeit 01.08.2019 ein Gewerbe (Änderungsschneiderei) angemeldet. Er bezieht aktuell Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er hat von September 2017 bis August 2018 im XXXX gearbeitet, ist im Verein XXXX aktiv, hat diverse Kurse absolviert und pflegt Kontakte zu österreichischen Personen. Er hat in Österreich keine Verwandten und ist strafrechtlich unbescholten.

 

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Der BF hat sein Vorbringen, aufgrund einer außerehelichen Beziehung von der Familie der Frau verfolgt zu werden, nicht glaubhaft gemacht.

 

Der BF ist nicht nach reiflicher Überlegung und aus innerer Glaubensüberzeugung zum Christentum konvertiert. Der BF wurden am 15.01.2017 in der " XXXX " in Wien getauft. Er erklärte am 28.09.2018 seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft.

 

Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

 

Grund für die Ausreise des BF aus seinem Herkunftsstaat waren die dortige unsichere persönliche und allgemeine Situation und die Suche nach besseren - auch wirtschaftlichen - Lebensbedingungen im Ausland.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Religion bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara bzw. der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

 

3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.

 

3.3.2. Der BF ist im erwerbsfähigen Alter und männlich. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden.

 

3.3.3. Dem BF ist es aber möglich und zumutbar, sich in der Hauptstadt Kabul, in der er geboren und aufgewachsen ist, oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Er ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und mit zwei in Afghanistan gesprochenen Sprache (Dari und Paschtu) vertraut. Er hat zwölf Jahre lang eine Schule besucht und einen Beruf erlernt. Dem BF ist aus eigenem der Aufbau einer Existenzgrundlage in diesen Städten möglich. Der BF kann seine Existenz in Kabul oder Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei festzuhalten ist, dass der BF bereits in einer Schneiderei in Kabul gearbeitet gearbeitet hat und in Österreich diesem Beruf weiterhin nachgehen will. Zudem verfügt der BF über ein familiäres Netzwerk, mit dem er in Kontakt steht. Die Familie des BF ist im Iran aufhältig und stellt sich ihre finanzielle Situation als stabil dar. Somit besteht die Möglichkeit, dass die Familie in der Lage ist, dem BF - zumindest zu Beginn als Starthilfe - finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in Kabul oder Mazar-e Sharif möglich. Der BF ist auch in der Lage, in Kabul oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe zu erhalten. Als alleinstehender, gesunder und leistungsfähiger Mann im berufsfähigen Alter samt Berufserfahrung im Schneidergewerbe ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf liefe der BF auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF leidet an keinen Erkrankungen.

 

3.3.4. Der BF kann die Hauptstadt Kabul und die Stadt Mazar-e Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

 

3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

 

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

 

3.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", Schreibfehler teilweise korrigiert):

 

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

 

Kl vom 08.01.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

 

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

 

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

 

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

 

Am 06.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 06.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 06.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 08.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 08.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 07.01.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

 

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.04.2019 auf den 20.07.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u. a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018)

 

[...]

 

2. Politische Lage

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

 

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

 

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

 

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9 .2016).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).

 

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).

 

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5 .2018).

 

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).

 

Parteien

 

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

 

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).

 

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).

 

Parteienlandschaft und Opposition

 

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).

 

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).

 

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

 

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).

 

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151 .2016; vgl. AB 295 .2017).

 

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess

 

Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

 

Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).

 

Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).

 

[...]

 

3. Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)

 

[...]

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.2016).

 

[...]

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.08.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.02.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.02.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.02.2018).

 

[...]

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 06.06.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.02.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.02.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.02.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.02.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.02.2018, NZZ 21.03.2018, UNGASC 27.02.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.03.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 01.06. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.02.2018; vgl. Slate 22.04.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.03.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.03.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.01.2018; vgl. BBC 29.01.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.01.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.01.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.05.2018; AD 20.05.2018).

 

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.02.2018), [...]

 

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

 

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei zwölf Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 07.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 07.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 07.11.2017)

 

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

 

[...]

 

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

 

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.05.2018; vgl. DW 06.05.2018, AJ 06.05.2018, Tolonews 06.05.2018, Tolonews 29.04.2018, Tolonews 220.4.2018).

 

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Zivilist/innen

 

[...]

 

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 01.01.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 01.01.2018 - 31.03.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.04.2018).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.04.2018).

 

[...]

 

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.01.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 Verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

 

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräften zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

 

[...]

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

 

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

 

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.08.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.03.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.03.2017).

 

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

 

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

 

Taliban

 

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.04.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.04.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

 

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.04.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.03.2018; vgl. LWJ 20.04.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.03.2018; vgl. LWJ 20.04.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.03.2018; vgl. Reuters 30.03.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.03.2018).

 

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.03.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 05.02.2018).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.03.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.01.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 09.03.2018).

 

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten, die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.01.2018; vgl. AJ 30.04.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

 

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 05.02.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 05.02.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 05.02.2018).

 

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

 

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

 

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 06.03.2018).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 01.07.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk, seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern, und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

 

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt, finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 01.07.2017).

 

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban hat das Netzwerk [Verbindungen] mit mehreren anderen aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansäßigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

 

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.03.2018; vgl. AJ 08.03.2018, UNGASC 27.02.2018).

 

Al-Qaida

 

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen, sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 01.06. - 20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

 

Drogenanbau

 

In den Jahren 2016 - 2017 haben sich die Flächen zum Mohnanbau für Opium um 63% vergrößert und kommen nun auf 328.000 Hektar; insgesamt verstärkte sich die Opiumproduktion um 87% und damit auf 9.000 metrische Tonnen - die größte Menge in der afghanischen Geschichte. Die stärkste Expansion der Mohanbauflächen war in der Provinz Helmand zu verzeichnen, die als Zentrum der Opiumproduktion erachtet wird: eine Fläche von 144.000 Hektar ist dort dem Mohnanbau gewidmet. Der Mohnanbau hat sich landesweit verstärkt, auch in nördlichen Provinzen, wie z.B. Balkh und Jawzjan (UNODC 11.2017).

 

Unterstützt von ihren internationalen Partnern führt die afghanische Regierung weiterhin Operationen zur Drogenbekämpfung durch. Im gesamten Jahr 2017 wurden von afghanischen Exekutivbehörden 445 solcher Einsätze durchgeführt. Beschlagnahmt wurden dabei: 391 kg Heroin, 31 kg Morphium, 8.141 kg Opium, 2 kg Methamphitamine, 38.547 kg Haschisch, 1.256 kg fester Vorläuferchemikalien, 1.437 flüssige Vorläuferchemikalien und 1.590 Tabletten synthetischer Drogen (MDMA - 3,4-methylenedioxymethamphetamine); diese Beschlagnahmungen führten zu 531 Verhaftungen. Die beschlagnahmte Menge an Opiaten ist die höchste registrierte Menge seit dem Jahr 2012. Auch hat sich der Preis für Opium erheblich reduziert (-41%), was mit einer großen Ernte in Verbindung gebracht wird; reduziert hat sich auch der Heroinpreis (-7%) (UNGASC 27.02.2018).

 

Im letzten Quartal 2017 wurden 750 Hektar Mohnanbauflächen in den Provinzen Nangarhar, Kandahar, Badakhshan, Balkh, Kunar, Kapisa, Laghman, Ghor, Herat, Badghis, Nimroz, Takhar, und Kabul vernichtet. Der UN zufolge wurden in den letzten drei Jahren in den nördlichen Regionen keine Mohnanbauflächen vernichtet, außer in den Provinzen Sar-e Pul und Balkh im Jahr 2017 - wo insgesamt 25 Hektar zerstört wurden. Ebenso wurden im Jahr 2017 im Süden des Landes keine Mohnanbauflächen zerstört; die Ausnahme bildet Kandahar - dort wurden 48 Hektar zerstört (SIGAR 30.01.2018).

 

[...]

 

3.1. Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.03.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.03.2018).

 

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.09.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

 

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.03.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.03.2018; vgl. UNGASC 27.02.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.03.2018; vgl. FAZ 22.04.2018, AJ 30.04.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.03.2018; vgl. VoA 19.03.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.04.2018, AJ 30.04.2018).

 

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert [...].

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

 

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.01.2018; vgl. AT 18.03.2018, RS 28.02.2018; vgl. MF 18.03.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.03.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 07.02.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 06.08.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 07.02.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 01.03.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 07.02.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.03.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.02.2018; vgl. RFE/RL 17.03.2018, Dawn 31.01.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.01.2018; vgl. NYT 09.03.2018, VoA 01.06.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 05.02.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.01.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 05.02.2018).

 

Für den Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.02.2018).

 

[...]

 

5. Sicherheitsbehörden

 

[...]

 

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25.04.2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.05.2018; vgl. E1 02.12.2017).

 

[...]

 

3.5. Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

[...]

 

14. Todesstrafe

 

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 5 .2018). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.02.2018 in Kraft getreten ist, sieht die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen usw. vor (MoJ 15.05.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.05.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AA 5 .2018).

 

Die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen wurde durch den neuen Kodex signifikant reduziert (HRC 21.02.2018). So ist bei einigen Straftaten statt der Todesstrafe nunmehr lebenslange Haft vorgesehen (AI 22.02.2018).

 

Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch). Berichten zufolge wurden im Jahr 2017 elf Menschen zu Tode verurteilt (AA 5 .2018). Im November 2017 wurden fünf Männer im Pul-e-Charki-Gefängnis hingerichtet (AI 22.02.2018; vgl. HRC 21.02.2018). Des Weiteren fand am 28.01.2018 die Hinrichtung von drei Menschen statt. Alle wurden aufgrund von Entführungen und Mord zum Tode verurteilt. Zuvor wurden 2016 sechs Terroristen hingerichtet (AA 5 .2018). Im Zeitraum 01.01 - 30.11.2017 befanden sich weiterhin 720 Person im Todestrakt (HRC 21.02.2018).

 

In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können. Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, die die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiter Todesurteile vollstreckt werden (AA 5 .2018).

 

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16. Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.01.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.01.2018). Schätzungen zufolge sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.01.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.01.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.04.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.04.2018).

 

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16.2. Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Ausführliche Informationen zu Angriffen auf schiitische Gedenkstätten, sind dem Kapitel Sicherheitslage zu entnehmen; Anmerkung der Staatendokumentation.

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

 

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

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20. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs) (UN GASC 27.02.2018). Im Zeitraum 2012 - 2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen (IOM/DTM 26.03.2018).

 

Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (UN OCHA 15.05.2018).

 

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Zwischen 01.01.2018 und 29.04.2018 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Kunduz und Faryab (USAID 30.04.2018). Mit Stand Dezember 2017 waren die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Binnenvertriebenen Herat, Nangarhar, Kabul, Kandahar, Takhar, Baghlan, Farah, Balkh, Herat, Kunduz, Kunar, Khost, Nimroz, Logar, Laghman und Paktya (IOM 08.05.2018; vgl. IOM/DTM 26.03.2018). Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (USAID 30.04.2018).

 

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Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz (USDOS 20.04.2018). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (UN OCHA 12.2017).

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (AA 5 .2018).

 

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und rechtzeitigen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen. Berichten zufolge werden viele Binnenvertriebene diskriminiert, haben keinen Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie anderen grundlegenden Dienstleistungen und leben unter dem ständigen Risiko, aus ihren illegal besetzten Quartieren delogiert zu werden (USDOS 20.04.2018).

 

Binnenvertriebene, Flüchtlinge und Rückkehrende sind wegen des Mangels an landwirtschaftlichem Besitz und Vermögen besonders gefährdet. Berichten zufolge brauchen mehr als 80% der Binnenvertriebenen Nahrungsmittelhilfe (USAID 30.04.2018). Die afghanische Regierung kooperierte mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern (USDOS 20.04.2018). Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw. (UN OCHA 27.05.2018; vgl. UN OCHA 20.05.2018, UN OCHA 21.01.2018).

 

Organisationen wie Afghanaid, Action Contre La Faim (ACF), Agency for Technical Cooperation and Development (ACTED), Afghan Red Crescent Society (ARCS), Afghanistan National Disaster Management Authority (ANDMA), CARE, Danish Committee for Aid to Afghan Refugees (DACAAR), IOM, Danish Refugee Council (DRC), New Consultancy and Relief Organization (NCRO), Save the Children International (SCI), UN's Children Fund (UNICEF), UNHCR, World Food Programme (WFP) bieten u.a. Binnenvertriebenen Hilfeleistungen in Afghanistan an (UN OCHA 27.05.2018; vgl. UN OCHA 20.05.2018).

 

Flüchtlinge in Afghanistan:

 

Die afghanischen Gesetze sehen keine Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus vor, und es existiert kein staatliches System zum Schutz von Flüchtlingen aus anderen Ländern (USDOS 20.04.2018).

 

In Afghanistan leben pakistanische Flüchtlinge, die 2014 aus Nord-Waziristan in die Provinzen Khost und Paktika geflüchtet sind.

42.262 dieser Flüchtlinge sind in der Provinz Khost registriert: Das Gulan-Flüchtlingslager in Khost beherbergt 13.167 pakistanische Flüchtlinge, und der Rest lebt in anderen Distrikten der Provinz Khost. In der Provinz Paktika wurden 2016 35.949 pakistanische Flüchtlinge registriert (UNHCR 4.2018; vgl. UNHCR 06.06.2018). In den Provinzen Khost und Paktika wurden ca. 76.925 pakistanische Flüchtlinge aus Nord-Waziristan registriert und verifiziert. In den urbanen Zentren leben ungefähr 505 Asylwerber, die auf die Verabschiedung eines Asylgesetzes warten. Ihre lokale Integration ist aus rechtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und anderen Gründen derzeit unmöglich; auch bleiben die Umsiedlungsmöglichkeiten eingeschränkt (UNHCR 4.2018).

 

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21. Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 08.12.2017; vgl. WB 10.04.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.05.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.04.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 08.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4% bzw. 1,8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.02.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.05.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016 - 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 - 2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.04.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.05.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.05.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt, und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.05.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.02.2018). Darunter fällt u. a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u.a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.04.2018.; vgl. GEC 29.01.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.02.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z.B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

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23. Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012 - 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012 - 2015 um 24% erhöht und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.03.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt

98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.03. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 07.07.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

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Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.04.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung, die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2,1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z.B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils zwei - drei Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 01.01.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance), eine gemeinnützige Organisation, bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen, welche einen Rechtsbeistand benötigen, an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen -,sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

[...]

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden, und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt, und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

3.4.2. Feststellungen zur Lage in der Stadt Mazar-e Sharif:

 

Allgemeines

 

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt der Provinz Balkh, die sich im Norden Afghanistans befindet. Die Bevölkerung von Balkh ist heterogen, wobei Tadschiken und Paschtunen die größten Gruppen bilden, gefolgt von Usbeken, Hazara, Turkmenen, Arabern und Belutschen. Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif wird auf 368.000 bis 693.000 geschätzt und zeichnet sich durch ihre ethnische und sprachliche Vielfalt aus. Die Zentrale Statistische Organisation schätzt die Bevölkerung auf 402.806 Einwohner. Laut einer Umfrage vom Januar 2015 sind etwa 38% der Mazar-e Sharif-Bevölkerung Migranten. Die meisten von ihnen stammen aus anderen afghanischen Provinzen. Nur 17% der Migranten sind Rückkehrer aus dem Ausland. Laut UNHCR hat die Provinz Balkh seit Anfang 2015 19.764 konfliktinduzierte Binnenvertriebene erhalten: 2.509 im Jahr 2015 und 17.227 im Jahr 2016, von denen die meisten im städtischen und semi-urbanen Gebiet Mazar-e Sharif identifiziert wurden. Die steigende Zahl der Binnenvertriebenen in der Provinz Balkh ist ein Indikator für die sich verschlechternde Sicherheitslage in einer großen Zahl von Provinzen im Norden und Nordosten. Zusammenfassend hat die Provinz Balkh, meist Mazar-e Sharif, in den letzten zwei Jahren etwa 26.000 Menschen aufgenommen.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017 [in Folge:

"EASO-Bericht Sozioökonomie"], abrufbar unter:https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_IPA_August2017.pdf , abgerufen am 08.10.2018; Pkt. 1.3.)

 

Mazar-e Sharif ist eines der größten Handels- und Finanzzentren Afghanistans, das auch als das "de facto politische, wirtschaftliche und administrative Zentrum Nordafghanistans" bezeichnet wird. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Stadt liegt außerdem an einer wichtigen Ost-West-Verbindung zwischen Herat im Westen und Kabul und Kundus im Osten. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. An der Grenze zu Usbekistan liegt der wichtige wirtschaftliche Trockenhafen Hairatan.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation, Dezember 2017 [in Folge: "EASO-Bericht Sicherheitslage"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Afghanistan_security_situation_2017.pdf , abgerufen am 08.10.2018, Pkt. 2.1. und LIB, Pkt. 4.5. "Balkh").

 

Armut

 

Nur etwa 15 % der Einwohner von Mazar-e Sharif leben oberhalb der Armutsgrenze. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015 hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Einkommensverdienern, die nur ein unregelmäßiges Leben in allen fünf Großstädten führen. Bei der Definition von Armut als Anteil der Haushalte, die mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, sticht Mazar-e Sharif hervor, wobei über die Hälfte der Bevölkerung mehr als 60 % ihres Einkommens für Lebensmittel ausgibt, vermutlich, weil es in Mazar-e Sharif teurer ist. Die Haushalte in Mazar-e Sharif meldeten auch die geringste Ernährungsvielfalt. Das Hauptproblem für Mazaris ist nicht die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, sondern die Erschwinglichkeit einer Vielzahl von Lebensmitteln. Balkh ist daher die Ausnahme von dem Trend, dass mehr städtische Provinzen im Allgemeinen eine niedrigere offizielle Armutsquote haben als ländliche Provinzen.

 

(Auszug aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.3.8.)

 

Sicherheit

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen.

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 4.5. "Balkh")

 

Im Jahr 2017 gab es in der Provinz 9 zivile Opfer pro 100.000 Einwohner. Hinsichtlich der Art der Methoden und Taktiken zeigen Länderinformationen, dass die Hauptursache für zivile Opfer IEDs (Non-Suicide), Bodenziele und nicht explodierte Munition/Minen waren. Weitere Auswirkungen auf das zivile Leben waren z.B.:

Missbrauch durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppen, Schwierigkeiten bei der Gesundheitsversorgung in einigen Gebieten aufgrund der Anwesenheit von Aufständischen, Behinderung der Polioimpfung. Einige konfliktbedingte Binnenvertreibungen fanden im Zeitraum Januar 2017 bis März 2018 aus der Provinz statt, mit 150 Binnenvertriebenen pro 100.000 Einwohner. Andererseits wurde über eine erhebliche Vertreibung nach Balkh und insbesondere nach Mazar-e Sharif berichtet.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], abrufbar hier:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , abgerufen am 08.10.2018, Pkt. III.b.)

 

Laut UNAMA verursachten die Kämpfe zwischen regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen 2017 einen zivilen Toten in der Provinz Balkh. Es gab mehrere Berichte über Sicherheitsmaßnahmen, die in der Provinz Balkh durchgeführt wurden. Medienberichten zufolge hatte der amtierende Gouverneur und prominente Politiker Atta Mohammad Noor mehrere Operationen in einigen abgelegenen Bezirken der Provinz gestartet.

 

Im Januar 2017 kündigte die NDS an, eine Bombenfabrik der Taliban in der Balkprovinz entdeckt und beseitigt zu haben.

 

Im Oktober 2016 explodierte ein IED in der Nähe einer Moschee im Gebiet Khwaja Ghulak im Balkhdistrikt, wo sich schiitische Gläubige während der Ashura (einem religiösen Trauertag) versammelt hatten, tötete 18 Zivilisten und verletzte 67 weitere, darunter 36 Kinder. Während mehrere Quellen angaben, dass keine Gruppe die Verantwortung für den Angriff übernommen hat, gaben andere an, dass ISKP dies tat.

 

Regierungsfeindliche Elemente waren in der Lage, high-profile Angriffe in Mazar-e Sharif durchzuführen:

 

Es gab Berichte über IED-Explosionen in Mazar-e Sharif, die im Herbst 2016 zivile Opfer forderten. Medienquellen berichteten, dass Sicherheitskräfte des amtierenden Provinzgouverneurs Atta Mohammad Noor im Februar 2017 einen Mann am Steuer eines Autos getötet haben, der in Richtung der Residenz des amtierenden Gouverneurs raste. Die Umstände des Vorfalls waren unklar und es wurde eine Untersuchung eingeleitet. Es wurden keine weiteren Informationen über die Ergebnisse der Untersuchung gefunden. Ein Insiderangriff innerhalb des 209. Shaheen Military Corps wurde im Juni 2017 gemeldet, der zur Verletzung von 7 US-Soldaten führte. Im August 2017 wurde über einen Konflikt zwischen Anhängern von Atta Mohammad Noor und dem Mitglied des Provinzialrats Asif Mohmand berichtet. Zwei Menschen starben an den Folgen der Zusammenstöße kurz vor der Landung von Asif Mohmand auf dem Flughafen Mazar, wo er verhaftet wurde. Es war unklar, wer seine Verhaftung angeordnet hatte.

 

Die Taliban haben sich für einen Angriff auf das deutsche Konsulat in der Balkh-Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif am 10. November 2016 verantwortlich erklärt, bei dem 4 Zivilisten starben und 131 Zivilisten verletzt wurden, darunter 29 Kinder und 19 Frauen. Infolge einer selbstmörderischen fahrzeuggetragenen IED-Explosion erlitt das Konsulatsgebäude schwere Schäden. Es gab auch erhebliche Schäden am umliegenden Eigentum. Die Taliban erklärten, dass der Angriff als Vergeltung für die Luftangriffe in Kunduz Anfang November 2016 durchgeführt wurde, bei denen 32 Zivilisten getötet und 36 weitere verletzt wurden. Am 21. April 2017 führten die Taliban einen Großangriff auf einen afghanischen Armeestützpunkt in der Nähe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif durch, in dem sich das

209. Korps der afghanischen Armee sowie ein Kontingent der Bundeswehr befinden. Der Angriff führte zu einer der tödlichsten Zölle bei einem Angriff der Taliban auf die afghanische Armee, wobei mehr als 100 Soldaten getötet und viele verletzt wurden.

 

(Auszug aus EASO-Bericht Sicherheitslage, Pkt. 2.5.)

 

Aufständische konnten mehrere Angriffe in Mazar-e Sharif durchführen: Im Oktober starben Schützen auf einem Motorrad den Sprecher des Gouverneurs bei einem gezielten Angriff in Mazar-e Sharif. Im November 2017 zielte ein Selbstmordattentäter auf eine bekannte Person und Stammesälteste in Mazar-e Sharif, tötete den Mann und verletzte zwei weitere. Später in diesem Monat wurde ein weiterer Mann bei einer Explosion in seinem Auto in Mazar-e Sharif getötet, und im Dezember 2017 wurden neun Zivilisten und zwei Polizisten verletzt, als eine Bombe am Straßenrand ein Polizeifahrzeug traf. Ein Zivilist wurde getötet und zwei weitere verletzt, als eine Magnetbombe ihr Fahrzeug in der Provinzhauptstadt traf.

 

(Auszug aus EASO, COI Report: Afghanistan: Security Situation - Update, Mai 2018 [in Folge: "EASO-Sicherheitsupdate Mai 2018", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan-security_situation_2018.pdf , abgerufen am 08.10.2018], S. 49)

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen von Mazar-e Sharif, der 2013 eröffnet wurde, ist auch als Mazar Mawlana Jalaluddin Balkhi International Airport bekannt. Turkish Airlines bietet seit 2013 Direktflüge von und nach Istanbul von Mazar-e Sharif an. Der Flugplan von Kam Air listet 2017 internationale Flüge von Mazar-e Sharif nach Istanbul und Mashhad, entsprechend dem Online-Flugplan. Flüge nach Delhi und Dubai sind ebenfalls gelistet, jedoch mit dem Datum 2015. Im März 2017 führte Kam Air auch einen Dienst zwischen Herat und Mazar-e Sharif als über den Flug RQ-006 aktiv an.

 

Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 4.35. "Erreichbarkeit - Flugverbindungen" und "EASO-Bericht Sozioökonomie"], Pkt. 5.3.3.)

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Rückkehrer aus anderen Staaten

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt und war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten.

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung.

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird.

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben.

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden.

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen.

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können.

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen.

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Pkt. 24. "Rückkehr")

 

Versorgung mit Lebensmitteln

 

Generell gibt es in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul keine Nahrungsmittelknappheit. Die wichtigste Variable beim Zugang zu Nahrungsmitteln sind die dem Antragsteller zur Verfügung stehenden Existenzmittel, die im Falle von Vertriebenen ein besonderes Anliegen sein können.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.4.)

 

Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan aus dem Jahr 2018:

 

1. Wie wirkt sich diese Dürre auf die Versorgungslage der Bevölkerung im Hinblick auf die Wasserversorgung sowie auf die Versorgung mit Lebensmitteln in den Städten Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) und Herat (Hauptstadt der Provinz Herat) aus?

 

Den Quellen ist zu entnehmen, dass es im Umland von Mazar-e-Sharif, Provinz Balkh, zu Wasserknappheit und einer unzureichenden Wasserversorgung kommt. Über die Situation in Mazar-e-Sharif selbst wird nicht berichtet. Zur Wasserversorgung in der Provinz Herat konnte ein Bericht gefunden werden, demzufolge Zahlungen an die Wasserversorgungsanstalt in der Höhe von 208 Mio. Afghanis ausstehen. Aufgrund der ausstehenden Zahlungen musste die Wasseranstalt Infrastrukturprojekte verschieben. Über die konkrete Versorgungslage in Herat-Stadt wurde nicht berichtet.

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte in Afghanistan dieses Jahr deutlich geringer ausfallen als in den vergangenen Jahren. Gemäß einer Quelle lagen die Getreidepreise auf den Märkten in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund guter Ernten im Iran und Pakistan im Mai 2018 dennoch nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.

 

2. Gibt es bedingt durch diese Dürre in den Provinzen Balkh und Herat eine Landflucht in die Provinzhauptstädte?

 

Es kann davon ausgegangen werden, dass von Mai bis Mitte August rund 12.000 Familien, unter anderem aufgrund der Dürre, aus den Provinzen Badghis und Ghor nach Herat-Stadt geflohen sind. Zur Lage in Mazar-e-Sharif wurde nichts berichtet.

 

3. Falls ja,

 

a. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Möglichkeit der Wohnraumbeschaffung für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Gemäß den Quellen handelt es sich bei den Personen, welche vor der Dürre nach Herat-Stadt geflohen sind, um Personen, die ihren gesamten Besitz verloren haben. Sie leben in behelfsmäßigen Zelten in den armen Gegenden am westlichen Stadtrand von Herat. Über den Wohnungsmarkt, oder auch Versuche dieser Personen, erschwinglichen Wohnraum in Herat-Stadt zu finden, konnten keine Berichte gefunden werden.

 

b. Wie wirkt sich die durch die Dürre bedingte Landflucht in den Städten Mazar-e Sharif und Herat auf die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler in diesen Städten aus?

 

Der Quelle kann entnommen werden, dass die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt lagen. Damit steht die Lohnentwicklung in Herat-Stadt im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans. In Mazar-e-Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

 

4. Gibt es staatliche oder internationale Hilfsmaßnahmen für die in den Dürregebieten lebenden Personen?

 

Gemäß mehreren Berichten gibt es insbesondere von internationaler Seite Hilfe für die von der Dürre betroffenen Personen. Das Humanitarian Country Team (HCT) der UN hat den Humanitarian Response Plan (HRP) für 2018 aufgrund der anhaltenden Dürre aktualisiert. Dementsprechend benötigt Afghanistan in diesem Jahr rund 547 Mio. Dollar an Hilfsgeldern, wobei Ende Juli rund ein Drittel dieses Plans finanziert war. Bislang hat OCHA an die von der Dürre betroffene Bevölkerung unter anderem Trinkwasser und Nahrungsmittel verteilt. Weiters erhielten Betroffene auch Geld, über welches sie selbst verfügen können. In jenen Zentren, in denen sich von der Dürre Geflohene ansiedelten (Herat-Stadt, Qala-e-Naw und Chaghcharan) wurden unter anderem auch Zelte verteilt.

 

Das World Food Programme (WFP) gab Ende Juli an, über 400.000 Personen in den von der Dürre betroffenen Provinzen Badghis, Faryab, Ghor, Herat und Jowzjan mit Nahrungsmittelsoforthilfe unterstützen zu wollen. Australien sagte eine Zahlung von 3,6 Mio. Dollar an das WFP zu. Auf Betreiben der WHO sind in Herat mobile Gesundheitsteams im Einsatz.

 

Die afghanische Regierung verteilte in Chaghcharan, Provinz Ghor, Getreide an 155.000 Familien.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.09.2018, "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre")

 

Wohnungsmarkt in Mazar-e Sharif

 

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 besitzt die Mehrheit der Einwohner in Mazar-e Sharif ihre Häuser während 24,5 % ihre Wohnungen mieten. Mehr als die Hälfte der Häuser in der Stadt sind aus Schlamm oder Erde mit Holzbalken gebaut, der Rest aus Kalk mit Ziegeln und Metall, Zement oder anderen Materialien. Die meisten haben Erdboden (70 %) oder Zement (26 %). Die Haushalte in Mazar-e Sharif werden mit Holz, Holzkohle oder Kohle beheizt. Der Strom ist in der Regel in der Stadt verfügbar (93 % der Haushalte haben Zugang). Die meisten Menschen haben Zugang zu verbesserten Trinkwasserquellen (76 %), meist in Rohrleitungen oder aus den Brunnen. 92 % der Haushalte verfügen über verbesserte sanitäre Einrichtungen. Laut IOM lagen die Mietkosten in Mazar-e Sharif im Jahr 2014 zwischen 150-250 USD für eine Dreizimmerwohnung in einem sicheren Bereich. Der Preis für eine ähnliche Wohnung betrug USD 40.000. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 haben etwa 94 % der Haushalte Zugang zum Handy, 91 % haben einen Fernseher, 51 % einen Kühlschrank, 28 % einen Computer, 20 % haben ein Auto, 20 % Zugang zum Internet.

 

In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sog. "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen, die zudem einen wichtigen Treffpunkt und Schauplatz für Sozialisation darstellen.

 

Darüber hinaus gibt es seit 2016 in Mazar-e Sharif keine humanitären Organisationen mehr, die bei der Unterbringung von Rückkehrern und konfliktbedingten Binnenvertriebenen helfen. Die Provinzbehörden in Mazar-e Sharif und der Balkh-Provinz hatten in der Vergangenheit Land zugewiesen, um die Rückkehr und Wiedereingliederung afghanischer Flüchtlinge, die aus Pakistan und dem Iran zurückkehren, zu unterstützen. Der größte Teil des von den Provinzbehörden zugewiesenen Landes war jedoch nicht förderlich für eine effektive und nachhaltige Wiedereingliederung, da es sich in abgelegenen geografischen Gebieten und in Gebieten befand, die von militanten Gruppen angefochten wurden. Dies führte dazu, dass einige Standorte von Rückkehrern und Binnenvertriebenen verlassen wurden, die in das Stadtzentrum von Mazar-e Sharif zogen und heute unter prekären Bedingungen mit Verwandten oder in provisorischen Unterkünften leben.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks, Februar 2018 [in Folge:

"EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf , abgerufen am 08.10.2018, Pkt. 4.2. und EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.7.6.).

 

Sanitäre Situation

 

Der Zugang zu Trinkwasser ist oft eine Herausforderung, vor allem in den Slums und Binnenvertriebenen-Siedlungen in Kabul. In Mazar-e Sharif haben die meisten Menschen Zugang zu verbesserten Wasserquellen und verbesserten Sanitäranlagen.

 

(Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.7.3.1.)

 

Arbeitsmarkt

 

Die Bevölkerung von Mazar-e Sharif liegt bei etwa 590.000 Einwohnern und steht angesichts seiner "starken und relativ diversifizierten Volkswirtschaften, einschließlich eines robusten Bau-, Verarbeitungs- und Dienstleistungssektors", "unter erheblichem Urbanisierungsdruck". Die relativ friedliche Situation in der Provinz Balkh im ersten Jahrzehnt nach dem Übergang ermöglichte einen wirtschaftlichen Aufschwung und einen "Wirtschaftsboom" nach 2004. Die Wirtschaftsleistung von Mazar-e Sharif hat viele Arbeitskräfte aus dem ländlichen Raum, aus benachbarten Bezirken, Provinzen und noch weiter entfernt angezogen. Eine Studie von Samuel Hall aus dem Jahr 2014 zur städtischen Armut ergab, dass die Stadt den mit Abstand größten Anteil an Wirtschaftsmigranten aller fünf Großstädte Afghanistans hatte. Durch die Anbindung an Zentralasien und die vorteilhafte zentrale Lage im Norden Afghanistans ist Mazar-e Sharif ein wichtiges Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan. Mazar-e Sharif ist auch ein Industriezentrum mit einer großen Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen und mehreren großen Produktionsunternehmen. Im Vergleich zu anderen Großstädten hat Mazar-e Sharif den größten Anteil an Selbstständigen, gefolgt von Angestellten und Tagelöhnern. Nach Angaben der afghanischen Regierung ist die KMU-Industrie in Mazar-e Sharif gut entwickelt und bietet Qaraqul-Haut, Kunsthandwerk und Teppiche. Auch Bergbau, Textilien und landwirtschaftliche Erzeugnisse gewinnen an Bedeutung. Die boomende städtische Wirtschaft von Mazar-e Sharif hat vielen Haushalten eine Quelle nichtlandwirtschaftlichen Einkommens gebracht, die jedoch seit etwa 2013 deutlich zurückgegangen ist. Dies ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, vor allem auf den Rückgang der internationalen Finanzströme, der die Beschäftigung auf Militärstützpunkten und im Baugewerbe eingeschränkt hat. So verloren schätzungsweise 7.000 Menschen ihren Arbeitsplatz durch die Schließung von zwei Militärbasen in und um Mazar-e Sharif. Auch hier hat die Unsicherheit aufgrund der politischen Instabilität in der Regierung der Nationalen Einheit die Wirtschaft von Mazar-e Sharif beeinflusst. Geschäftsleute nahmen eine abwartende Haltung ein. Das Geschäftsklima in der Provinz Balkh ist seit der zweiten Jahreshälfte 2015 weitgehend negativ, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsfaktoren Während es keine formalen Wirtschaftsstatistiken gibt, gab es laut Analyst Paul Fishstein klare Indikatoren, dass Bau, Investitionen und Handel in Mazar-e Sharif rückläufig waren, wobei Gelegenheitsarbeiter weniger Arbeit und stagnierende oder niedrigere Löhne fanden. Diejenigen, die zur Gelegenheitsarbeit nach Mazar-e Sharif kommen, sind gegenüber denjenigen, die besser bekannt sind und ihre Netzwerke besser nutzen, um Arbeit zu finden, benachteiligt. Im Jahr 2013 lag die Arbeitslosenquote der Provinzen über dem nationalen Durchschnitt, während die Unterbeschäftigungsquote darunter lag. Laut einer Studie von Mercy Corps und Samuel Hall aus dem Jahr 2011 ist der wichtigste Rekrutierungskanal in Mazar-e Sharif, wie in anderen Städten, das soziale Netzwerk: 85 % der Werktätigen gaben an, durch Freunde oder Familienangehörige rekrutiert worden zu sein, entweder als Arbeitgeber oder als Arbeitnehmer. Nur 7 % der Mitarbeiter gaben an, einen formellen Arbeitsvertrag zu haben. Dies unterstreicht den informellen Charakter der Arbeitsbeziehungen in Afghanistan. Sie bestätigt auch die Annahme, dass es sich bei den meisten Unternehmen um Familienunternehmen handelt, bei denen kein Vertrag als notwendig erachtet wird. Die Gehälter in Mazar-e Sharif liegen nahe am Durchschnitt anderer nördlicher Städte. Laut Afghanistan Rights Monitor: Baseline Report vom April 2016 wird hier einheitlich behauptet, dass der Zugang zur Beschäftigung durch Korruption und Vetternwirtschaft stark beeinträchtigt wird. Bestechung ist eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung, auch wenn ein Kandidat über die erforderlichen Qualifikationen verfügt. Es wird behauptet, dass gewöhnliche Regierungspositionen für bis zu 60.000 Afghanen verkauft werden.

 

Der Zugang zu Beschäftigung für Binnenvertriebene und Rückkehrer in Mazar-e Sharif

 

UNHCR erklärte 2017, dass sowohl Binnenvertriebene als auch Rückkehrer vor großen Herausforderungen stehen, wenn es darum geht, sinnvolle Beschäftigungs- und Lebenschancen zu erhalten. Binnenvertriebene, die meist ehemalige Bauern sind und ihr Vieh und ihre Ernte an Ort und Stelle verloren haben, sind oft auf tägliche Lohnarbeit angewiesen. Diese Jobs sind in der Herbst- und Wintersaison begrenzter. Auch Rückkehrer sind meist auf tägliche Lohnarbeit angewiesen. Das durchschnittliche Tageseinkommen für Rückkehrer und Binnenvertriebene liegt zwischen 50 und 100 AFS.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO-Bericht Sozioökonomie, Pkt. 2.2.7.)

 

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit hoch. So wuchs in den Jahren 2016-2017 die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen.

 

Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

 

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, ungeregelten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Eine lokale Botschaft beschreibt, wie Tagelöhner von der Straße angeworben werden.

 

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Pkt. 22. "Grundversorgung und Wirtschaft" sowie dem EASO-Bericht Netzwerke, Pkt. 4.1.)

 

4. Beweiswürdigung:

 

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

 

4.1. Zur Person des BF:

 

Die Feststellungen zur Identität des BF (Name und Geburtsdatum) ergeben sich aus seinen diesbezüglich konsistenten, übereinstimmenden und nachvollziehbaren Angaben vor dem BFA, im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

 

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zu den Lebensumständen des BF stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

 

Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

 

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Afghanistan und betreffend die Aufenthaltsorte seiner Angehörigen und derer Lebensumstände beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des BF.

 

Die Feststellungen zur Schulbildung und Erwerbstätigkeit des BF beruhen auf seinen eigenen, unbestrittenen Angaben.

 

4.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

 

Das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen bzw. zur Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ergibt sich insbesondere aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA, aus dem Beschwerdeschriftsatz sowie aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.

 

Festzuhalten ist, dass die von ihm vorgebrachten Verfolgungsgründe weder bewiesen noch ausreichend belegt worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des BF und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

 

Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF hat vor allem zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Vortrags zu seinen Fluchtgründen die Wahrheit gesagt hat; auch ist die Beachtung der in § 15 AsylG normierten Mitwirkungspflichten gemäß § 18 Abs. 2 AsylG und die sonstige Mitwirkung des BF im Verfahren zu berücksichtigen.

 

Im Einzelnen ist zum Fluchtvorbringen des BF Folgendes festzuhalten:

 

4.2.1. Bezüglich einer möglichen Verfolgungssituation in Afghanistan aufgrund der Beziehung zu einer Frau ist festzuhalten, dass der BF im Verfahren mehrfach Angaben tätigte, die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Fluchtgeschichte aufkommen lassen:

 

Der BF gab in seiner Erstbefragung am 22.11.2015 zu seinen Fluchtgründen an, dass er drei Jahre eine geheime Beziehung zu einem Mädchen gehabt habe. Kurz vor seiner Flucht habe er das Mädchen geschwängert und ihre Familie habe davon erfahren. Das Vorbringen in der Erstbefragung weicht also in zwei Punkten gravierend von seinem späteren Vorbringen ab, wonach die Beziehung nur einige Monate gedauert habe und der BF nichts von einer Schwangerschaft wusste. Auch wenn sich die Angaben in der Erstbefragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen haben (vgl. VfGH 27.06.2012, U 98/12), sind diese ersten, unmittelbar nach Asylantragstellung gemachten Angaben doch relevant und ein erstes Indiz dafür, dass sich der BF einer erfundenen Fluchtgeschichte bediente, deren Details er sich erst im Laufe des Verfahrens zurechtlegte.

 

Bei einem Vergleich der Aussagen des BF in den Einvernahmen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung traten weitere Widersprüche zutage.

 

Der BF schilderte auf völlig unterschiedliche Weise, wie die Eltern seiner Freundin von der Beziehung erfahren hätten. Vor dem BFA gab er dazu an, dass eine Freundin von XXXX (auch XXXX oder XXXX ) sie beim Betreten seines Geschäfts beobachtet und dies gleich den Eltern erzählt hätte ("Als mein Schwager einkaufen gegangen ist, lud ich XXXX in das Geschäft ein. Eine Freundin von ihr erfuhr von unserer Beziehung und hat es gleich XXXX Eltern erzählt." Aktenseite 53, "Eine Bekannte von XXXX hat gesehen, dass sie zu mir gekommen ist und sie hat den Vorfall den Eltern mitgeteilt." AS 293). In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gab der BF hingegen an, dass diese Freundin sie nicht zufällig gesehen habe, sondern von Anfang an bei ihren Treffen dabei gewesen sei ("RI: Ihre Freundin ist alleine zu diesen Treffen gekommen und das in der Öffentlichkeit?

BF: Sie hatte eine Freundin, die immer mit war und wir haben auch nichts Besonderes gemacht." Verhandlungsprotokoll Seite 22). Während er vor dem BFA noch ausdrücklich vorbrachte, diese Freundin habe sie beobachtet und es den Eltern verraten, sprach er in der Verhandlung nur von einer Vermutung dahingehend ("Ich weiß nicht, wie sie es erfahren haben, vielleicht war es diese Freundin, die es den Eltern verraten hat. (...) RI: Warum hat die beste Freundin von XXXX sie bei ihren Eltern verraten? BF: Das weiß ich auch nicht, aber ich glaube, dass sie es unbewusst erzählt hatte." VHP S 23). Diese Änderung in der Aussage wurde durch das neue Vorbringen notwendig, wonach die Freundin sie nicht heimlich beobachtet und sofort mit dieser Information zu den Eltern gegangen sei, sondern vielmehr von Anfang an in die geheime Beziehung eingeweiht gewesen sei und daher bei XXXX eine Vertrauensposition eingenommen habe. Einer Vertrauensperson würde man einen solch schweren Verrat nicht ohne weitere zutrauen. Die unterschiedlichen Angaben des BF zu einem solch wichtigen Element des Fluchtvorbringens sind jedoch nur damit zu erklären, dass diese Ereignisse in Wahrheit nie stattgefunden haben.

 

Zu weiteren Widersprüchen kam es bei der Frage, ob der BF von der Familie seiner Freundin angezeigt worden sein soll. Schon in der ersten Einvernahme machte der BF dazu widersprüchliche Angaben, indem er zunächst behauptete, er sei nicht angezeigt worden, dann jedoch schon von einer Anzeige sprach (" XXXX Familie gingen nicht zu den Behörden, weil sie die Angelegenheit als Beleidigung ansahen. Die Behörden und Polizisten haben uns nicht geholfen. Dann wurde ich angezeigt, weil ich Sex mit XXXX hatte, und viele Polizisten standen an unserer Türe." AS 53). In der zweiten Einvernahme gab er an, er selbst sei nicht angezeigt worden ("F: Wurden Sie in Afghanistan angezeigt? A: Nein. Am Anfang hat meine Schwester eine Anzeige erstattet, die Geschichte hat sich umgedreht, deswegen habe ich gedacht, dass es nichts bringt, wenn ich selbst eine Anzeige schalte. Die Polizei hat unseren Vorfall nicht gut behandelt." AS 297). In der Verhandlung sprach der BF jedoch von sich aus eine Anzeige gegen ihn an ("Sie haben uns dann aber angezeigt, weil wir ihrer Ehre geschadet haben." VHP S 24).

 

Auch auf die Frage, welches Mitglied seiner Familie Anzeige gegen die Familie seiner Freundin erstattet habe, gab der BF unterschiedliche Antworten: seine Schwester und der Bruder seines Schwagers (As 53), seine Schwester allein ("F: War Ihre Schwester alleine bei der Polizei und hat Anzeige erstattet? A: Ja. Anm:

Dolmetsch wiederholt die Frage. A: Sie hat alleine die Anzeige erstattet, aber sie war nicht alleine dort. Sie war mit dem Bruder unseres Schwagers dort." AS 297) und schließlich der Bruder seines Vaters ("Danach hat der Bruder meines Vaters den Vater von XXXX angezeigt, aber sie leugneten das." VHP S 24).

 

Zu weiteren Widersprüchen kam es bei der Frage nach dem letzten Kontakt zwischen dem BF und XXXX . In der Einvernahme vor dem BFA gab der BF zu Protokoll, dass er von XXXX eine Nachricht erhalten habe, nachdem ihre Eltern von der Beziehung erfahren hätten ("Später habe ich eine Mitteilung von XXXX bekommen, sie hat mir geschrieben, dass ihre Familie plant mich umzubringen." AS 293). In der Verhandlung behauptete er jedoch, nach dem letzten persönlichen Treffen nichts mehr von ihr gehört zu haben ("Danach ist sie zu mir ins Geschäft gekommen und wir hatten Sex miteinander, danach ist sie nachhause gegangen und ich seitdem nie wieder etwas von ihr gehört. (...) RI: Sie hatten nach dem Treffen im Geschäft keinen Kontakt mehr zu XXXX und haben alles von ihrer Freundin gehört, stimmt das?

BF: Ja, seitdem sie nach dem Sex das Geschäft verlassen hat, habe ich von ihr nichts mehr gehört." VHP S 23). Besonders dieser letzte Widerspruch unterstreicht, dass es sich bei der vom BF präsentierten Fluchtgeschichte um ein frei erfundenes Szenario handelt. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die letzte Kontaktaufnahme mit einem geliebten Menschen besonders deutlich im Gedächtnis bleibt. Dies umso mehr, als der BF ja von seiner Freundin erfahren haben soll, dass ihre Familie ihn töten wolle. Dass sich der BF in der mündlichen Verhandlung nun nicht nur an diese letzte Kontaktaufnahme mit seiner Freundin, sondern auch an die Todesdrohung ihrer Familie nicht mehr erinnern sollte, ist unter keinen Umständen nachvollziehbar.

 

Zu den Bedrohungen durch die Familie von XXXX gab der BF vor dem BFA an, dass die Familie Leute zu seiner Familie geschickt habe, die sie bedroht hätten ("Ich kannte den Status der Familie nicht, aber es kam jeden Tag eine andere Person und hat uns bedroht." AS 53, "Sie sind nicht direkt zu uns gekommen, sondern haben uns indirekt über andere Leute bedroht." AS 294). In der Verhandlung brachte er erstmals vor, dass es sich bei diesen Personen um Angehörige des Militärs gehandelt habe ("Er hat andere Personen zu uns nachhause geschickt, die uns gedroht haben. RI: Was waren das für Leute? BF:

Das waren Militärpersonen, die Einfluss hatten. Sie haben uns bedroht. RI: Hatten Sie Uniform und Waffen? BF: Nein, man hat anhand der Kleidung nicht gesehen, dass sie für das Militär arbeiten. Das ist aber in Afghanistan üblich, dass diese Personen eine bestimmte Art von Kleidung tragen und sie hatten solche Kleider an. Sie haben uns bedroht. Sie haben Feuerwerkskörper zu uns in den Hof geschmissen." VHP S 24). Der BF muss sich daher auch eine Steigerung seines Vorbringens vorwerfen lassen.

 

Der BF hat laut eigenen Angaben zwölf Jahre eine Schule besucht, verfügt also über für afghanische Verhältnisse überdurchschnittlich gute Schulbildung. Umso weniger verständlich sind daher die unterschiedlichen zeitlichen Angaben in seiner Aussage, etwa zum Zeitraum zwischen dem Auffliegen der heimlichen Beziehung und dem Autounfall - zwei Monate (AS 53), zwei Wochen (AS 293), zwei bis drei Monate (VHP S 23) - oder zu seinem eigenen Aufenthalt im Krankenhaus - eine Woche (AS 53, AS 293) oder einen Monat (VHP S 24).

 

Eine zeitliche Differenz ergibt sich auch zwischen den angeblich fluchtauslösenden Ereignissen und der Ankunft des BF in Österreich. Der BF gab im gesamten Verfahren an, der Unfall, bei dem sein Schwager getötet worden sei, habe sich Ende 2013 ereignet. Hierzu legte er auch medizinische Unterlagen von Mitte August 2013 vor. Der BF stellte den gegenständlichen Asylantrag jedoch erst im November 2015. Laut seinen Angaben in der Erstbefragung am 22.11.2015 zur Reiseroute habe er Afghanistan vor etwa zwei Monaten verlassen und sei über den Iran und die Türkei nach Europa gereist. Laut Angaben des BF habe er sich nach dem Tod seines Schwagers noch einige Monate in Afghanistan aufgehalten. Dies ergibt jedoch eine zeitliche Diskrepanz von etwa einem bis eineinhalb Jahren. Diese wurde in den Einvernahmen vor dem BFA nicht aufgegriffen und der BF erwähnte auch von sich aus keine längeren Aufenthalte außerhalb Afghanistans. In der mündlichen Verhandlung antwortete er auf die entsprechende Nachfrage des Richters, dass er sich etwa ein Jahr im Iran aufgehalten habe. Dieser lange Aufenthalt ist weder logisch nachvollziehbar noch steht er in Einklang mit den Angaben in der Erstbefragung. Die Angabe des BF ist daher als Schutzbehauptung zu werten, um sein Fluchtvorbringen mit den vorgelegten Dokumenten und dem zeitlichen Ablauf seiner Ausreise in Einklang bringen zu können.

 

Zu den vom BF vorgelegten Unterlagen, die von der Behandlung seines Schwagers in Pakistan vor seinem Tod stammen sollen, ist auszuführen, dass nicht festgestellt werden kann, ob es sich bei dem Patienten überhaupt um den Schwager des BF handelt bzw. woher die behandelten Verletzungen stammen. Bei dem "Death Certificate" handelt es sich um ein handschriftlich ausgefülltes Formular, das daher nicht fälschungssicher ist. Darin wird angeführt, dass der Patient am 08.08.2013 eingeliefert wurde und am 15.08.2013 verstarb. Als Todesursache wurde "cardiac arrest, temporal lobe bleed secondary to trauma" angeführt. Auf der ebenfalls vorgelegten "Patient Invoice" wird jedoch als Behandlung nur "Physiotherapy" vom

12. bis 14.08. und "Ventilator" am 15.08.2013 angeführt. Auch sonst gehen aus der Rechnung nur Untersuchungen und medikamentöse Behandlungen hervor. Weshalb ein Unfallopfer mit schweren Kopfverletzungen mit Physiotherapie behandelt worden sein soll, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht. Diese Unterlagen waren daher nicht geeignet, das Fluchtvorbringen des BF zu untermauern.

 

Abschließen ist noch darauf hinzuweisen, dass sich der BF auch während der mündlichen Verhandlung selbst widersprach, indem er zunächst angab, den in Mazar-e-Sharuf wohnenden Freund seines Vaters nicht zu kennen ("RI: Haben Sie in Mazar-e Sharif auch Leute die Sie kennen? BF: Nein, es gab allerdings einen Freund meines Vaters dort, aber ich kenne ihn nicht." VHP S 9), wenig später behauptete, ihn doch zu kennen ("RI: Sie haben gesagt, der Vater hat einen Freund in Mazar-e Sharif. Wissen Sie den Namen? BF: Er heißt XXXX . RI: Haben Sie diesen persönlich kennengelernt? BF: Ja, habe ich." VHP S 11) und schließlich im Zuge seiner Fluchtgeschichte angab, mehrere Wochen bei diesem Freund gelebt zu haben ("Ich bin dann nach Mazar-e Sharif geflüchtet. Dort lebte der Freund meines Vaters, XXXX , ich war einige Wochen dort." VHP S 25). Diese Angaben unterstreichen die Tatsache, dass es sich bei dem Fluchtvorbringen um eine frei erfundene Geschichte handelt, da der BF ansonsten nicht zu Beginn der Verhandlung angegeben hätte, einen Freund seines Vaters, bei dem er mehrere Wochen gewohnt habe, nicht zu kennen.

 

Aufgrund dieser zahlreichen Widersprüche (von denen hier nur einige exemplarisch herausgegriffen wurden) kann dem Vorbringen des BF keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden.

 

4.2.2. Bezüglich seiner Behauptung, sich nunmehr in Österreich dem Christentum zugewandt zu haben, ist Folgendes auszuführen:

 

Der BF gab an, nunmehr einer protestantischen Kirchengemeinschaft anzugehören. Er wurde am 15.01.2017 in Wien getauft.

 

Der BF weiß, dass eine Konversion zum Christentum in Afghanistan streng bestraft wird. Er müsste daher glaubhaft begründen können, weshalb es für ihn nicht möglich war, weiterhin als nicht besonders religiöser Moslem in Afghanistan zu leben, sondern er aufgrund seiner Überzeugung geradezu gezwungen war, nunmehr hier in Österreich zu konvertieren.

 

Im gesamten Verfahren zeigt sich zwar eine distanzierte Haltung des BF zum Islam, und wurde der BF auch getauft und besucht er gelegentlich den Gottesdienst. Eine Hinwendung zum christlichen Glauben aus innerer Überzeugung konnte der BF jedoch nicht glaubhaft machen.

 

So konnte der BF nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb gerade die Beschäftigung mit dem Christentum eine tiefe Religiosität ausgelöst haben soll. Ein besonderer Auslöser dafür konnte vom BF nicht benannt werden, so sprach er lediglich davon, dass er im Flüchtlingsheim mit einem Christen ein Zimmer geteilt habe, den er in die Kirche begleitet habe. Weshalb er sich schließlich dem Christentum zugewandt habe, konnte der BF nicht schlüssig begründen, er machte dazu nur vage und inhaltsleere Angaben ("Später gefiel mir das Christentum sehr gut, weil ich entdeckte, dass ich im Christentum das gefunden haben, was ich immer gesucht habe." VHP S 14, "RI: Warum haben Sie sich ausgerechnet für das Christentum entschieden? Es gibt ja noch andere Religion, wie Judaismus, Hinduismus, Buddhismus, etc. BF: Wie ich bereits am Anfang gesagt habe, habe ich im Christentum das gefunden, was ich in meiner früheren Religion verloren hatte. Niemand hat mich gezwungen und es nichts Besonderes passiert, dass ich Christ geworden bin. Bevor ich Christ wurde, war ich verloren. Seitdem ich Christ bin fühle ich eine innere Ruhe." VHP S 15). Auch zu einem Film über Jesus Christus, den der BF als Kind gesehen haben will, konnte er nicht angeben, was ihn daran beeindruckt bzw. ihm gut gefallen haben soll ("Als ich noch klein war, haeb ich mir einen Film von Jesus Christus angeschaut. Auf Dari heißt das übersetzt "Die Probleme von Jesus". Dieser Film hatte einen großen Einfluss auf mich, ich war noch klein. Danach war ich ein bisschen neugierig und habe ein wenig über das Christentum studiert und es hat mir sehr gut gefallen, aber so dass ich mich genauer informieren konnte, geht in Afghanistan nicht." VHP S 13). Grundsätzlich blieben die Antworten des BF zu den Beweggründen seiner Konversion vage, beschränkten sich auf Allgemeinplätze und bezogen sich weniger auf die Religion als auf zwischenmenschliche Beziehungen ("RI: Was ist für Sie der Unterschied zwischen Islam und Christentum? BF: Für mich persönlich kann ich Ihnen sagen, dass das Negativste für mich ist, dass die Frauen im Islam nicht respektiert werden. Das ist für mich nicht akzeptabel, denn Männer und Frauen sind gleich. Das war eine der Gründe. In der Kirche sind sehr hilfsbereite und nette Menschen. Die Frauen sind dort sehr aktiv. Ein anderer Grund ist, dass im Christentum Liebe und Freundschaft existiert." VHP S 15).

 

Darüber hinaus gab der BF bezüglich seiner Hinwendung zum Protestantismus lediglich an, dass er sich mit den Unterscheiden in den Konfessionen überhaupt nicht auseinandergesetzt habe, auch bis heute nur wenig über die Unterschiede wisse und auch keine wirkliche Motivation habe, sich über die Unterschiede zu informieren ("RI:

Waren das alle protestantische Kirchen, die Sie besucht haben? BF:

Damals hatte ich nicht so ein genaues Wissen, um zu überblicken, was das für Kirchen waren. Ich hatte nicht so viele Informationen. Ich habe sonntags die Kirchen besucht mit einen anderen afghanischen Freund. RI: Haben Sie sich jemals mit anderen Richtungen des Christentum auseinandergesetzt? Warum sind Sie Protestant geworden und nicht z.B. Katholik oder Orthodoxer. BF: Wie gesagt, ich hatte am Anfang keine Informationen darüber, was Protestant, Katholik, etc. bedeutet. RI: Sie wechseln Ihre Religion, dass ist doch ein großer Schritt. Haben Sie sich nicht informiert? BF: Ich hatte am Anfang keine näheren Information. Ich bin dorthin gegangen, habe mich taufen lassen und den Unterrich besucht. Für mich macht es keinen Unterschied, ob man Protestant oder Katholik ist. Ich dachte, alle sind gleich." VHP S 14, "RI: Haben Sie sich zwischenzeitlich mit den Unterschieden zwischen Evangelismus und Katholizismus auseinander gesetzt? BF: Ich habe keine Informationen darüber. Ich weiß nur, dass im Katholizimus Maria als Heilige gilt. Derzeit möchte ich mich ein bisschen mehr mit Katholizismus befassen, damit ich mehr weiß. RI: Sie gehen schon drei Jahre in die Kirche und befassen sich erst jetzt mit dem Katholizismus? Wenn ich mich für den Islam interessieren würde, würde ich mich ja auch mit der sunnitischen und der schiitischen Richtung auseinandersetzen. Das haben Sie beim Christentum hier nicht gemacht. Mir kommt es so vor, dass Sie Protestant geworden sind, weil Ihre Freunde in die protestantische Kirche gegangen sind. BF: Es kann nicht die Rede davon sein, dass die Freunde der Grund dafür waren. Ich wollte eigentlich mehr Deutsch lernen und mehr von der Kultur hier erfahren. Ich hatte damals noch nicht so ein Wissen. Es gibt in unserer Sprache ein Sprichwort das besagt: "Wenn du einen Fisch fängst ist er immer frisch, hauptsache du fängst ihn." Ich meine damit, es ist noch nicht zu spät." VHP S 15).

 

Der BF besitzt bezüglich der Unterschiede zwischen den christlichen Glaubensrichtungen keinerlei Wissen und konnte daher keine konkreten Angaben dazu machen, weshalb er sich ausgerechnet für den Protestantismus entschieden hat. Angesichts der doch großen Unterschiede in der Glaubensauffassung, Bibelauslegung und den Ritualen der christlichen Konfessionen unterstreicht diese Gleichgültigkeit des BF, dass er sich nicht tiefer mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt hat, sondern lediglich Gottesdienste besuchte, ohne über die Inhalte zu reflektieren.

 

Dass die Beschäftigung des BF mit dem Christentum nicht über gelegentliche Besuche des Gottesdienstes hinausgeht, wird auch durch die Anwesenheitsliste des BF, die dem erkennenden Gericht durch den Pastor der " XXXX " übermittelt wurde, unterstrichen. Daraus geht hervor, dass der BF im Jahr 2017, also unmittelbar nach seiner Taufe, noch 25 Mal den Gottesdienst besuchte, im Jahr 2018 jedoch nur zwölf Mal, wobei im November und Dezember gar keine Besuche verzeichnet sind. Der BF begründete seine Abwesenheit vom Gottesdienst einerseits mit dem Fehlen von Dolmetschern und andererseits mit seiner Mitarbeit bei einer Ausstellung des Kindermuseums. Wie aus dem Verzeichnis der Gottesdienste hervorgeht und in der Verhandlung auch vom Pastor bestätigt wurde, bietet die Kirche jedoch auch Gottesdienste auf Farsi an. Diese Rechtfertigung des BF geht daher ins Leere. Auch die Arbeit im Kindermuseum stellt kein Hindernis für den Besuch der Kirche dar, da die Kirche auch mittwochabends einen Gottesdienst mit Bibelstunde und samstagabends ein Gebet anbietet, wobei sich diese Termine nicht mit den Öffnungszeiten des Kindermuseums (laut Homepage täglich außer montags von 08:45/09:45 bis 16:00) überschneiden. Des Weiteren wäre zu erwarten, dass sich ein gerade getaufter, gläubiger Christ, der sich aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt hat, bemüht, den Gottesdienst regelmäßig zu besuchen. Einerseits wäre das Kindermuseum sicher bereit gewesen, für den Gottesdienstbesuch des BF am Sonntag einen späteren Dienstbeginn zu vereinbaren, andererseits besuchte der BF auch im November und Dezember 2018, als die Ausstellung schon vorbei war, kein einziges Mal den Gottesdienst. Gerade in der für Christen so wichtigen Vorweihnachtszeit ist der Besuch des Gottesdienstes von großer Bedeutung und unterstreicht die Abwesenheit des BF sein Desinteresse an einer tatsächlichen Konversion. Auch wenn dem BF seine Tätigkeit im Museum offensichtlich wichtig war, wäre doch von einem neu getauften Christen zu erwarten, dass er seiner Pflicht als Gläubiger, nämlich den Besuch des Gottesdienstes, Priorität einräumt. Dies war jedoch nicht der Fall, der BF meldete sich sogar freiwillig für die Arbeit am Wochenende, wie aus der Aussage der Zeugin in der mündlichen Verhandlung hervorgeht ("Der BF hat einigen aus dem Team den Vortritt gelassen, damit diese nicht am Wochenende arbeiten mussten." VHP S 20).

 

Aufgrund des fehlenden Engagements des BF in der Kirche fiel auch die Aussage des Pastors in der mündlichen Verhandlung nicht zugunsten des BF aus: "RI: Wie sind Sie mit dem BF in Kontakt getreten? Z1: Ich habe den BF im Jahr 2018 kennengelernt, aber er ist mir nie wirklich aufgefallen, weil er nicht oft da war. Besonders im Jahr 2018 war er insgesamt nur 12 Mal hier. Es hat sehr große Löcher in seiner Anwesenheit gegeben. Auffällig ist, dass dann ab Jänner, wo die Verhandlung ausgeschrieben wurde, die Regelmäßigkeit wieder angefangen hat. Ich habe auch mit ihm darüber gesprochen, dass meine Zeugenaussage auch nicht sehr positiv sein wird und er hat gemeint, er wird das Gericht entsprechend überzeugen. RI: Ist der BF auch in die Phase bei Ihrer Kirchengemeinde gefallen, wo im Gegensatz zu heute, gleich zu Beginn alle an Jesus Interessierten getauft wurden und erst danach in den Glaubenssätzen unterrichtet wurden? Z1: Ja, das stimmt. Er wurde am 15.01.2017 getauft. RI: Auch vor dem 15.01.2017 war er zu Besuch?

Z1: Das weiß ich nicht. Damals wurden noch keine Namenslisten geführt. Der BF war aber ab 06.01. jedes Mal am Sonntag da. RI: Hat er Ihnen erzählt, warum der BF nicht so oft anwesend war? Z1: Er hat es mir erklärt, aber es ist mir nicht genau erinnerlich. Ich habe ihm auch gesagt, dass er selbst das Gericht überzeugen muss. Wenn man an einem Religionswechsel interessiert ist, muss einen die Religion brennend interessieren und wenn man wirklich daran interessiert ist, dann findet man einen Weg um die Kirche zu besuchen." (VHP S 2/3) "RI: Haben Sie mit dem BF Gespräche geführt?

Z1: Er ist ein sehr ruhiger Mensch. E würde mich wirklich freuen, wenn er jeden Sonntag kommen würde und etwas mehr lernen würde. Wir wurden aber schon oft getäuscht und ich habe die Meinung, dass wenn jemand nur ab und zu vorbeikommt, dass dieser nicht sehr an einer Konversion interessiert ist, das ist aber, wie gesagt, nur meine persönliche Meinung." (VHP S 5). Aus der Aussage des Pastors geht hervor, dass der BF sich nach der Taufe (die ohne Taufkurs oder andere Vorbereitung stattfand) kaum in der Kirche engagierte, nur selten den Gottesdienst besuchte und offenbar auch keine anderen Anstrengungen unternahm, mehr über seinen neuen Glauben zu lernen. Aus den Aussagen der Zeugin in der Verhandlung geht hervor, dass sich der BF wesentlich mehr im Verein XXXX , bei dem es sich nicht um einen christlichen Verein handelt, engagiert, als in der Kirchengemeinde.

 

Aus der Befragung des BF zum Christentum in der mündlichen Verhandlung ist abzulesen, dass sich der BF zwar ein gewisses theoretisches Wissen zu einzelnen Aspekten des Christentums, etwa dem Inhalt der Bibel, angeeignet hat, er jedoch auffallende Wissenslücken bei weit einfacheren Fragen aufwies, die bei einem praktizierenden Christen nicht erklärbar sind. So kannte der BF weder auf Deutsch noch auf Farsi das Wort "Ostern". Der BF besucht laut eigenen Angaben seit Anfang 2016 die Kirche, müsste daher zum Zeitpunkt der Verhandlung schon drei Mal Ostern gefeiert haben (2016, 2017, 2018). Dass dem BF das Wort für das wichtigste Fest im Christentum nicht geläufig ist, ist daher in kleinster Weise nachvollziehbar. Laut Anwesenheitsliste der Kirche besuchte der BF den Ostergottesdienst zwar 2017, nicht aber 2018.

 

Der BF konnte weiters nicht angeben, wann das letzte Abendmahl gefeiert wird (Gründonnerstag) und was am Freitag vor Ostern geschah (Kreuzigung Christi). Insgesamt belegen die Antworten des BF eine Beschäftigung mit der Bibel, der jedoch keine Glaubenspraxis und keine für das Christentum so wichtige gemeinsame Feier (ob Gottesdienste oder wichtige Feiertage) gegenübersteht.

 

Ein weiteres Indiz für eine Scheinkonversion des BF ist die Tatsache, dass er zur Kenntnis seiner Familie von seiner Konversion unterschiedliche Angaben machte. In seiner Einvernahme am 11.09.2018 gab er an, dass er seiner Familie nichts von seiner Konversion erzählt habe: "F: Wissen Ihre Angehörigen, warum Sie einen Asylantrag gestellt haben? A: Ja, wegen dem Thema was ich erzählt habe. Über meine Religion wissen sie nichts. F: Wem haben Sie von Ihrer Konvertierung erzählt? A: Meinen engen Freunden. Es ist egal, verschiedene Nationalitäten, Iraner, Afghanen etc. Einige haben damit kein Problem, einige haben den Kontakt abgebrochen. F: Wer im Heimatland weiß von Ihrer Konvertierung? A: Niemand. F: Warum haben Sie es der Familie nicht erzählt? A: Weil meine Familie sehr streng ist, wenn sie davon erfahren, werden sie mich verstoßen." (AS 301). Nur etwa vier Monate später, in der mündlichen Verhandlung am 20.02.2019, gab er hingegen an, dass seine Schwestern schon seit zwei Jahren von seiner Konversion wüssten: "RI: Haben Sie Ihrer Familie von der Konversion erzählt? BF: Ja, vor zwei Jahren oder mehr. Ich habe nicht gesagt, dass ich Christ geworden bin. Ich sagte meiner Schwester, dass ich mich für das Christentum interessiere und konvertieren möchte." (VHP S 16/17). Diese Aussage unterstreicht erneut, dass der BF bereit ist, auch vor Gericht falsche Angaben zu machen, um einen günstigen Verfahrensabschluss zu erreichen.

 

Dass die Beschäftigung des BF mit dem Christentum nur zu dem Zweck erfolgt, den Status eines Asylberechtigten in Österreich zu erlangen, wird auch durch das Verhalten des BF nach der Verhandlung unterstrichen. Wie aus einem Schreiben des Pastors der " XXXX " vom 03.03.2019 hervorgeht, machte der BF dem Pastor nach dessen Aussage bei der Verhandlung deswegen Vorwürfe und verhielt sich ihm gegenüber aggressiv. Die anschließende Bibelstunde habe er mehrmals durch die Frage, wie lange das noch dauern würde, er habe etwas Besseres zu tun, unterbrochen. Der BF habe dann vom Pastor eine Bestätigung darüber, dass er seit 2017 getaufter Christ sei, gefordert, da er eine andere Kirche besuchen wolle. Er brauche diese Bestätigung für den Anwalt und das Gericht.

 

Tatsächlich langte am 18.07.2019 ein Schreiben bei Gericht ein, wonach der BF seit Ende Februar 2019 den Gottesdienst einer Baptistengemeinde besuche. Der Wechsel der Kirche unmittelbar nach der Verhandlung, in der der Pastor nicht im Sinne des BF aussagen konnte, unterstreicht die Beurteilung des erkennenden Gerichts, dass der BF eine Konversion nur zur Erlangung des Asylstatus vortäuschte. Der BF versucht offenbar, mit einer neuen Kirchengemeinde und möglicherweise regelmäßigeren Besuchen des Gottesdienstes doch noch einen positiven Verfahrensabschluss zu erreichen.

 

Zusammengefasst ist kein tiefergehendes Interesse des BF am Christentum erkennbar, geschweige denn eine von innerer Überzeugung getragene Hinwendung zum Christentum, zumal die vom BF gegebenen Antworten bezüglich christlicher Begriffe und Feiertage von nur wenig Wissen geprägt waren und er im Jahr vor der Verhandlung nur selten die Kirche besuchte. Weiters konnte der BF nicht begründen, weshalb er sich der protestantischen Glaubensrichtung des Christentums zugewandt hat und schilderte er eine ausschließlich auf Zufällen basierende Entscheidung ohne jegliche Reflektion. Die Ausführungen des BF in Zusammenhang mit dem von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck in der Verhandlung zeigen, dass bei ihm von einer Verwurzelung des christlichen Glaubens, die wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden sei, keine Rede sein kann. Der Wechsel der Kirche unmittelbar nach der Verhandlung belegt vielmehr eine Scheinkonversion aus rein asyltaktischen Gründen. Dass der BF den inneren Entschluss gefasst hätte, nach dem christlichen Glauben zu leben, und entschlossen sei, dies nach einer Rückkehr nach Afghanistan auch weiterhin zu tun und nach außen zur Schau zu tragen, konnte dieser daher nicht glaubhaft vermitteln.

 

4.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

 

Die Feststellungen, dass der BF an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leidet, stützen sich auf die Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Ärztliche Befunde wurden im Verfahren nicht vorgelegt.

 

Dass der BF in einem Ausmaß erkrankt sei, welches die Erwerbstätigkeit des BF massiv einschränken oder verhindern würde, konnte somit nicht festgestellt werden. Zudem ergibt sich aus den eingebrachten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.4.), dass in der Hauptstadt Kabul bzw. auch in Mazar-e Sharif sowohl Medikamente auf dem Markt erwerblich sind und Krankenhäuser kostenfreie medizinische Versorgung bieten, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass der BF - wenn auch nicht so problemlos wie im Bundesgebiet - bei Bedarf Zugang zu einem Arzt und Medikamenten finden wird.

 

Hinweise, dass er körperlich nicht in der Lage sein könnte, zu arbeiten bzw. wieder eine Tätigkeit in einer Schneiderei auszuüben, haben sich somit nicht ergeben, zumal der BF in Österreich auch ein Schneidergewerbe anmeldete.

 

Dass der BF bislang in Kabul geboren und aufgewachsen ist, entspricht seinen Angaben im Verfahren.

 

Für eine existenzielle Gefährdung des BF bestehen keine Hinweise. Der BF kann lesen und schreiben und hat vor seiner Reise nach Europa in einer Schneiderei gearbeitet. Folglich kann der erwerbsfähige BF auch nach Rückkehr nach Afghanistan eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Es gibt keinen Anhaltspunkt, wieso er in Kabul oder Mazar-e Sharif nicht in der Lage sein sollte, seine Existenz - etwa auch durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten - zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Auch ergibt sich unter Zugrundelegung der Länderberichte unter dem Aspekt der Sicherheitslage in Kabul bzw. Mazar-e Sharif keine besondere Gefährdungssituation für den BF. Aufgrund der Erwerbsfähigkeit und praktischen Berufserfahrung ist die Lebensgrundlage bei Rückkehr in urbanes Gebiet ausreichend gesichert, um den Aufbau einer Existenz bei einer Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif zu gewährleisten. Er hat damit realistische Chancen, sich am Arbeitsmarkt zu integrieren und in diesen Städten eine Unterkunft zu finden.

 

Es ist zudem notorisch, dass der BF bei einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang Rückkehrhilfe bzw. zusätzlich die Aufnahme in ein Reintegrationsprojekt beantragen kann: In Österreich stehen für afghanische Staatsangehörige zwei spezielle Reintegrationsprojekte zur Verfügung (ERIN oder RESTART II). Beide Angebote zielen effektiv auf die Wiedereingliederung im Heimatland ab und können erst nach Ankunft im Herkunftsland bezogen werden. Ziel ist es, den Rückkehrer vor allem durch Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, sowie Start Ups den Neustart im Heimatland zu erleichtern. Die Sachleistung beträgt bei ERIN 3.000 EUR; in bar erhalten die Personen 500,- EUR; beim IOM-Projekt (RESTART II) besteht die Sachleistung aus 2.800,- EUR und der Barwert aus 500,-

EUR. Je nach Bedarf stellt hier IOM auch Leistungen wie Family Assessment, temporäre Unterkunft nach der Ankunft und die Weiterreise zum Zielort zur Verfügung (sämtliche Informationen dazu können auch jederzeit aktuell auf www.voluntaryreturn.at in diversen Sprachen abgerufen werden).

 

Bei einer zwangsweisen Außerlandesbringung stellt Österreich die sogenannte "Post Arrival Assistance" zur Verfügung. Die International Organization for Migration (IOM) führt dieses EU-finanzierte Unterstützungsprogramm im Auftrag der Europäischen Kommission (Directorate General for International Cooperation and Development) aus. Im Detail umfasst die Post-Arrival-Assistance die vorübergehende Unterkunftnahme, Hilfestellung beim weiteren Transport, sowie ggf. medizinische und psychosoziale Betreuung. Der Fremde erhält im Rahmen des Kontaktgespräches im Zuge der Abschiebevorbereitung eine Information über die Möglichkeiten der "Post Arrival Assistance" und ein Informationsblatt mit den Kontaktdaten von IOM in Kabul. IOM Afghanistan wird vom BFA über die jeweiligen Ankünfte vorab informiert. Bei nicht vorhandenen Eigenmitteln erhält der zwangsweise Rückzuführende zusätzlich seitens des BFA 50,00 EUR als sogenanntes Zehrgeld zur Sicherung des Fortkommens in den ersten Tagen nach seiner Rückführung. Eine Betragserhöhung ist im Einzelfall möglich.

 

Unbeschadet dessen, dass auch ohne Inanspruchnahme dieser Unterstützungsmechanismen im Fall des BF bei einer Rückkehr keine Anhaltspunkte für eine Existenzbedrohung hervorgekommen sind, stellt die Möglichkeit der Inanspruchnahme (einer) dieser Unterstützungen sicher, dass er bei einer Rückkehr nicht auf sich alleine gestellt ist, sondern bei zusätzlichem Bedarf Hilfestellung bekommt.

 

Die Stadt Kabul ist über den dortigen Flughafen sicher erreichbar. In Kabul ist nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, und die afghanische Regierung behält die Kontrolle über diese Städte, auch wenn es auch dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Innerhalb Kabuls existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Die Aussage in den Länderberichten, wonach in der Provinz Kabul, speziell in der Stadt Kabul, die höchste Zahl ziviler Opfer verzeichnet wird, bezieht sich auf die absolute Opferzahl - diese ist jedoch nicht isoliert zu sehen, sondern wird der gegenständlichen Bewertung in Relation zur ungefähren Einwohnerzahl der Stadt Kabul von etwa fünf Millionen betrachtet. Insofern ergibt die Opferzahl keine überdurchschnittliche Bedrohungslage für in der Stadt Kabul lebende Zivilisten. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich auch, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschlägen hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGO¿s sowie gezielt auf (internationale) Sicherheitskräfte ereignen, dies aus Gründen der Propaganda und der hohen medialen Aufmerksamkeit. Wenn es auch zu zivilen Opfern kommt, so sind in erster Linie Regierungsinstitutionen und internationale Einrichtungen Anschlagsziele. In Kabul Stadt geht aber nicht für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, die sich in der Person des BF so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Die dargestellten Umstände rechtfertigen aus Sicht des erkennenden Gerichtes im Lichte einer Gesamtbetrachtung die Annahme, dass sich der BF auch ohne ein familiäres Netzwerk vor Ort in Kabul oder auch Mazar-e Sharif - jedoch vor dem Hintergrund eines familiären Netzwerkes im Iran und zu diesem Kontakt besteht - aus eigenem eine Existenz aufbauen und sichern kann. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Tatsache, dass der BF in der Lage war, völlig auf sich alleine gestellt über ihm unbekannte Länder die Flucht bis nach Österreich zu meistern, wobei er sicherlich ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis stellen musste.

 

4.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

 

Die diesem Erkenntnis zugrundegelegten Länderfeststellungen (siehe oben Punkt 3.4.) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln

 

Darüber hinaus hat das BVwG zusätzlich weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren eingebracht und dem BF Gelegenheit gegen, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

 

Der BF hat die ihm in der Verhandlung ausgehändigten Feststellungen nicht in substantiierter Weise bestritten, bezüglich der von der Rechtsvertretung getätigten, allgemein gehaltenen Ausführungen zur Sicherheitslage in Afghanistan wird auf die Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage und Rückkehrsituation verwiesen (vgl. dazu oben Punkt 4.3.).

 

Ergänzend ist festzuhalten, dass jüngeren Berichten (EASO vom Juni 2018, UNHCR-Guidelines vom August 2018) eine weitere allgemeine Verschärfung der Sicherheitslage in Kabul sowie insgesamt eine deutliche Verschärfung der Situation von Rückkehrern ohne familiäre/soziale Anknüpfungspunkte - insbesondere unter dem Aspekt der Unterkunftsmöglichkeit und der Existenzsicherung - in Kabul zu entnehmen ist. Diese sind dementsprechend amtswegig in die Entscheidung - insbesondere im Rahmen der folgenden rechtlichen Beurteilung - einzubeziehen. Ein grundlegender Widerspruch zu den entsprechenden Informationen im oben bezeichneten Länderinformationsblatt ist gleichwohl nicht ersichtlich, weil auch in diesem die genannte Problematik aufgezeigt wird und die eine (unstrittige) "volatile Sicherheitslage" zwangsläufig eine wellenförmig abweichende allgemeine Gefährdungsintensität bedeutet. Insbesondere nicht zu entnehmen ist den Berichten allerdings eine schwerwiegende Veränderung der Versorgungssituation von Personen wie dem BF, der in Kabul aufgewachsen ist, daher dort über ein soziales Netzwerk verfügt und hinter dem ein familiäres Netzwerk steht, welches ihm - wenn auch aus der Ferne- finanziell Unterstützung zukommen lassen kann.

 

4.5. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des BF in Österreich:

 

Die Feststellung zur Aufenthaltsdauer, zur Lebenssituation und Integration des BF in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, insbesondere die vorgelegten Schriftstücke und die Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung, dass der BF Deutsch spricht, beruht auf der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der Beschwerdeverhandlung und den vorgelegten Teilnahmebestätigungen. Die Gewerbeanmeldung wurde vom BF vorgelegt. Dass der BF aktuell Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus einem Auszug des Betreuungsinformationssystems. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem Strafregisterauszug.

 

5. Rechtliche Beurteilung:

 

5.1. Anzuwendendes Recht:

 

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

 

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

 

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

5.2. Rechtlich folgt daraus:

 

Zu Spruchteil A):

 

5.2.1. Die gegenständliche und zulässige Beschwerde wurde rechtzeitig beim BFA eingebracht und ist nach Vorlage am 14.02.2018 beim BVwG eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

 

5.2.2. Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Dem BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die Einvernahme - alle jeweils unter Zuhilfenahme geeigneter Dolmetscher - ausreichend rechtliches Gehör gewährt.

 

Die belangte Behörde befragte den BF in der Einvernahme insbesondere zu der von ihm behaupteten Gefahrensituation in Afghanistan und legte ihrer Entscheidung umfangreiche Berichte unbedenklicher Stellen über die Situation in Afghanistan zu Grunde. Weiters hatte das BVwG mehrere zusätzliche Erkenntnisquellen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in das Verfahren einzubringen.

 

5.2.3. Zur Beschwerde:

 

Das Vorbringen in der Beschwerde war ebenfalls nicht geeignet, das Antragsvorbringen des BF zu unterstützen.

 

Des Weiteren erschöpft sich das Beschwerdevorbringen in der Wiederholung seines vagen und allgemein gehaltenen Fluchtvorbringens, welches der BF bereits vor der Erstbehörde vorgebracht hatte. Soweit die allgemeine Menschenrechtssituation in Afghanistan dargestellt wurde, verkennt der BF, dass diese nicht geeignet ist, ein konkretes asylrelevantes Vorbringen zu ersetzen, sondern allenfalls im Zusammenhang mit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten Berücksichtigung finden könnte.

 

5.2.4. Zu den Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides:

 

5.2.4.1. Zu § 3 AsylG (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung) verweist.

 

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

 

Die mit 01.01.2016 in Kraft getretenen Abs. 4 bis 4b des § 3 AsylG, die gemäß § 75 Abs. 24 für Asylanträge gelten, die nach dem 15.11.2015 gestellt worden sind, lauten:

 

"(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

 

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

 

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet."

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, 98/01/0370; VwGH 22.10.2002, 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, 98/20/0399; VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).

 

Innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative:

 

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. z.B. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; VwGH 15.03.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, VwGH 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

5.2.4.1.1. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr aus Gründen, die sich in Afghanistan zugetragen haben sollen:

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen konnte vom BF jedoch nicht glaubhaft gemacht werden. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.

 

Da der BF die behaupteten Fluchtgründe, nämlich die - aktuell drohende - Verfolgung durch die Familie seiner Freundin, nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor. Soweit er eine Verfolgung durch Private behauptet, fehlt es überdies an einem ausreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund.

 

5.2.4.1.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr aufgrund von Konversion zum Christentum:

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es gerade bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 17.09.2008, 2008/23/0675 und 14.11.2007, 2004/20/0485; siehe auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12.12.2013, U 2272/2012). Das BVwG hätte daher im Hinblick auf das zulässige neue Sachverhaltsvorbringen (Hinwendung zum christlichen Glauben) des Asylwerbers nicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung absehen dürfen (vgl. VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0084, mwN).

 

Mit der Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Konversion zum Christentum hat sich der Verwaltungsgerichtshof wiederholt befasst (vgl. VwGH 24.10.2001, Zl. 99/20/0550; VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0675, je mwN). Entscheidend ist demnach, ob der Fremde bei weiterer Ausführung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit dieIntensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Ob die Konversion bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist, ist nicht entscheidend (vgl. VwGH 30.06.2005, Zl. 2003/20/0544; VwGH 23.06.2015, Zl. Ra 2014/01/0120 zum Herkunftsstaat Marokko).

 

Es kommt nach der Rechtsprechung des EuGH darauf an, ob der Asylbewerber aufgrund der Ausübung der Religionsfreiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (vgl. das Urteil des EuGH vom 05.09.2012, C-71/11 bzw. C-99/11 ).

 

Für die Frage des Vorliegens des geltend gemachten Nachfluchtgrundes der Konversion des Fremden, eines Staatsangehörigen des Iran, zum Christentum kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Fremde schon im Iran mit dem Christentum in Berührung gekommen ist (vgl. VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0675).

 

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG können beim Erstantrag die subjektiven Nachfluchtgründe - müssen aber nicht - Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sein (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 3, K64).

 

Wie oben beweiswürdigend dargelegt, konnte der BF nicht glaubhaft darlegen, dass er aufgrund des von der Rechtsprechung geforderten inneren Entschlusses zum Christentum konvertiert ist und dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan weiterhin den christlichen Glauben ausüben würde. Das diesbezügliche Vorbringen des BF war als unglaubwürdig zu qualifizieren, weswegen es auch nicht der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist.

 

Der BF besucht gelegentlich die Kirche. Aufgrund der durchgeführten Beweiswürdigung steht aber für das erkennende Gericht fest, dass es sich im Fall des BF um eine Scheinkonversion handelt und ist nicht davon auszugehen, dass der BF das Bedürfnis oder die Fähigkeit hat, im Falle einer Rückkehr die christliche Religion zu praktizieren, nach außen zu tragen oder gar missionarisch tätig zu sein. Der BF ist nicht in leitender Funktion exponiert und hat auch nicht glaubhaft vorgebracht, dass er missionierend tätig wäre, was auch schon anhand seiner geringen Kenntnisse über den christlichen Glauben denkunmöglich erscheint. Dass der BF, welcher nur zum Schein konvertierte, in Afghanistan den christlichen Glauben ausübt, ist auszuschließen, und es kann auch umso weniger davon ausgegangen werden, dass es dem BF ein Anliegen ist, missionierend tätig zu sein bzw. sind auch seine Kenntnisse der christlichen Glaubenslehre nur als äußerst gering einzustufen.

 

5.2.4.1.3. Weiters ist zu prüfen, ob der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Eine konkrete individuelle Verfolgung seiner Person auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams wurde vom BF nicht geltend gemacht.

 

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der Hazara bzw. der religiösen Minderheit der Schiiten im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das BVwG jedoch nicht finden:

 

Im Hinblick auf die spezifische Situation des BF waren keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der BF als Angehöriger der Ethnie der Hazara alleine wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit (und/oder wegen seiner schiitischen Glaubensrichtung) in Afghanistan aktuell einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre (siehe dazu auch die Länderfeststellungen unter Punkt 3.4.). Nach ständiger Rechtsprechung (des BVwG wie auch des VwGH) kann von einer generellen (asylrelevanten) Verfolgung von Angehörigen der Hazara aufgrund ihrer Ethnie in Afghanistan nicht ausgegangen werden.

 

Auch der Europäische Gerichthof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Entscheidung vom 12.07.2016, 29094/09, A.M./Niederlande, ausgesprochen, dass weder die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara noch die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan als solche zu einem derart hohen Risiko führen würde, dass bei einer Rückkehr automatisch die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bestehe.

 

Das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf die Volksgruppe der schiitischen Hazara in Afghanistan ist daher zu verneinen.

 

5.2.4.1.4. Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung - zusammenhängt (siehe auch BVwG 15.12.2014, W225 1434681-1/31E). Derartiges hat der BF jedoch nicht einmal behauptet.

 

5.2.4.1.6. Da sich auch sonst keine konkrete gegen den BF gerichtete Verfolgung in seinem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

5.2.4.2. Zu § 8 AsylG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

5.2.4.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 idF FrÄG 2009 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 idF FrÄG 2009 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

5.2.4.2.2. Das BVwG hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, 2002/20/0582; VwGH vom 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG (nunmehr: § 50 Abs. 1 FPG bzw. § 8 Abs. 1 AsylG 2005) gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 AsylG 1997 iVm. § 57 Abs. 1 FrG (nunmehr: § 8 Abs. 1 AsylG 2005) die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG (nunmehr: § 50 Abs. 1 FPG bzw. § 8 Abs. 1 AsylG 2005) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443;

13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164;

16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).

 

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs (im Folgenden: VwGH) ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

 

Hinsichtlich der Bezugspunkte bei der Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes hat der VfGH in seinem Erkenntnis vom 13.09.2013, U370/2012 folgendes ausgeführt:

 

"Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.03.2013, U1674/12; 12.06.2013, U2087/2012)."

 

5.2.4.2.3.1. Nach § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Die Inanspruchnahme der Innerstaatlichen Fluchtalternative muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15).

 

5.2.4.2.3.2. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht dergestalt, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. EGMR Urteil Husseini v. Sweden vom 13.10.2011, Beschwerdenummer 10611/09, Ziffer 84 sowie das rezente Erkenntnis des EGMR, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoße: EGMR AGR/Niederlande, 12.01.2016, 13.442/08 und das dementsprechende Erkenntnis des VwGH vom 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7).

 

5.2.4.2.3.3. Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat auch der VwGH mehrfach auf die Rechtsprechung des EGMR hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des EGMR).

 

Der VwGH verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Beschwerdeführer konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zu gewärtigen hat (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Vor diesem Hintergrund ging der VwGH jüngst mitunter auch davon aus, dass betreffend die Beschwerdeführer in den konkreten Verfahren - auf Basis der darin getroffenen Feststellungen - keine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul dargetan worden sei (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert nämlich im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Der VwGH hat in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa das Urteil des EGMR vom 5. September 2013, I. gg. Schweden, Nr. 61204/09, Vgl. hiezu insbesondere auch VwGH 13.09.2016, Ra 2016/01/0096). Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu das Erkenntnis vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN).

 

Im Erkenntnis vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, führte der VwGH im Fall eines aus der Provinz Nangarhar stammenden Afghanen (erwerbsfähig, langjährige Schulbildung, aber keine Berufserfahrung), der über keine sozialen Netzwerke in anderen Landesteilen Afghanistans verfügt und in dessen Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Kabul angenommen wurde und ihm subsidiärer Schutz gewährt wurde, aus, dass das BVwG mit seinen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zwar die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat aufgezeigt hat, dies bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht. Die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK wird damit aber nicht dargetan (vgl. dazu die Erkenntnisse des VwGH vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096).

 

Im Erkenntnis vom 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, führte der VwGH zudem aus, nicht zu verkennen, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt ist. Davon zu unterscheiden ist aber das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert. Durch die im angefochtenen Erkenntnis des BVwG festgestellten mangelnden tragfähige Beziehungen und fehlenden Ortskenntnissen in Großstädten, aufgrund derer das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vom BVwG verneint wurde, fand der Verwaltungsgerichtshof nicht angezeigt, weshalb er dadurch und insbesondere aufgrund mangelnder Ortskenntnisse in Großstädten trotz Vertrautheit mit den kulturellen Gegebenheiten und der Sprache aber in eine Situation ernsthafter individueller Bedrohung des Lebens käme.

 

Im Erkenntnis vom 08.08.2017, Zl. Ra 2017/19/0118, hielt der VwGH im Fall eines arbeitsfähigen, gesunden, ledigen afghanischen Staatsangehörigen mit Schulbildung und Berufserfahrung als Landwirt ohne Anknüpfungspunkte außerhalb seiner Herkunftsprovinz Maidan Wardak aus, dass sich aus diesen Feststellungen zu den persönlichem Umständen keine Beurteilung dahingehend ableiten lasse, dass ihm eine Neuansiedelung in Kabul nicht zugemutet werden kann; vielmehr entsprechen die konkret auf die Person des Mitbeteiligten bezogenen Feststellungen den von UNHCR geforderten "bestimmten Umständen", nach denen es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben. Damit bejahte der Verwaltungsgerichtshof in dieser Konstellation die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative auch ohne Vorliegen eines sozialen Netzes am Verweisort (Kabul). Dabei verwies der Verwaltungsgerichtshof für die Frage einer IFA für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen auf den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096 (Revisionszurückweisung; Annahme einer IFA in Kabul auch ohne soziales Netz im Fall eines Afghanen, der seit dem siebten Lebensjahr in Pakistan lebte).

 

Im Erkenntnis vom 20.09.2017, Zl. Ra 2017/19/0205 (Stattgabe einer Amtsrevision nach Zuerkennung subsidiären Schutzes durch BVwG), zum Fall eines aus der Provinz Ghazni, Distrikt Qaragabh stammenden BF, der im Kindesalter in den Iran übersiedelte, dort drei Jahre die Schule besuchte und Hilfstätigkeiten verrichtete, dessen Familie im Iran lebt und der keine Anknüpfungspunkte in Afghanistan hat, verwies der VwGH auf VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, zum Kriterium einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung insb. betreffend Lage in Afghanistan, und VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, zur Auseinandersetzung mit UNHCR-RL und hielt fest, dass sich aus dort genannten Gründen die Entscheidung des BVwG als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet erweist (Rz 9 und 10). Zudem wurde festgehalten, dass die angespannte Sicherheitslage und Wirtschaftssituation vom Prüfkalkül des Art. 3 EMRK (Grundbedürfnisse menschliche Existenz bedrohende Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen) zu unterscheiden sind (Rz 11). Schließlich führte der VwGH aus, in Bezug auf die IFA Kabul ist eine schwierige Situation aufgezeigt worden (dabei primär auf Fehlen sozialer/familiärer Kontakte in Afghanistan und Fehlen ausreichender Kenntnisse der örtlichen/infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul abgestellt), aber die Annahme, aufgrund der individuellen Umstände bestehe bei Rückkehr auch in Kabul eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK, ist eine rechtliche Beurteilung, die in den Feststellungen keine Deckung findet (Rz 12).

 

In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, hat sich der VwGH ausführlich mit der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative auseinandergesetzt:

 

Demnach unterscheidet § 11 AsylG nach seinem Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist.

 

Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen.

 

Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthaltes ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (oder aufgrund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen.

 

Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

 

Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann (vgl. etwa UNHCR Richtlinien Nr. 4., Rz 22 ff; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie [2009], 226 ff).

 

Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG; vgl. auch die im Wesentlichen gleichlautenden Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie). Marx (a.a.O., 227) argumentiert, die zentrale Frage laute, ob bei Berücksichtigung sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten vom Asylwerber vernünftigerweise verlangt werden könne, einen anderen Ort innerhalb seines Herkunftslandes aufzusuchen. Der dort zur Verfügung stehende Schutz müsse angemessen und erreichbar sein. Zusätzlich zu konkreten Sicherheitsfragen erfordere dies eine Berücksichtigung grundlegender ziviler, politischer und sozioökonomischer Rechte. Kontroversen kämen indes auf, wenn es um konkrete Fragen, wie etwa den Zugang zu angemessenen Arbeitsmöglichkeiten und um soziale Unterstützung gehe. Insoweit bestehe lediglich Übereinstimmung, dass die soziale und wirtschaftliche Existenz am Ort der innerstaatlichen Schutzalternative sichergestellt sein müsse.

 

Der UNHCR formuliert in seinen Richtlinien Nr. 4, Rz 24 ff., dass die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängt. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens führt der UNHCR u.a. aus, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

Der VwGH hielt weiters fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein.

 

5.2.4.2.4. In der aktuellen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (im Folgenden: VfGH) vom 12.12.2017, E 2068/2017-17, wies der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde im Fall eines im Jänner 1997 im Iran geborenen afghanischen Staatsangehörigen, der den Hazara angehört, im Iran die Schule besuchte, arbeitete und der keine Angehörigen in Afghanistan hat, und bei dem das BVwG eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul annahm, ab. Dazu hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass das BVwG einerseits feststellte, dass der BF nicht in Afghanistan geboren ist, dort nie gelebt hat und auch keine Angehörigen in Afghanistan hat, er dort die Schule nicht besuchte, sondern seine Schulbildung im Iran, wo er auch aufgewachsen ist, in Farsi erhalten hat, und andererseits feststellte, dass der BF gesund und Kabul über den dortigen Flughafen erreichbar sei. Wenn das BVwG daran anschließend ausführte, dass keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan bestünden, so ist ihm aus verfassungsrechtlicher Sicht auch im Hinblick auf den im Iran geborenen und aufgewachsenen BF nicht entgegenzutreten.

 

5.2.4.2.5.1. Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes verweist in Art. 10 zur Anforderung an die Prüfung von Anträgen gleichrangig auf die Heranziehung von Quellen wie EASO und UNHCR:

 

"Artikel 10

 

[...]

 

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Asylbehörde ihre Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz nach angemessener Prüfung trifft. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass

 

a) die Anträge einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft und entschieden werden;

 

b) genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen, wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschenrechtsorganisationen, eingeholt werden, die Aufschluss geben über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller und gegebenenfalls in den Staaten, durch die sie gereist sind, und diese Informationen den für die Prüfung und Entscheidung der Anträge zuständigen Bediensteten zur Verfügung stehen;

 

[...]"

 

5.2.4.2.5.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken (s. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118; zur "Indizwirkung" vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

 

UNHCR ist in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (siehe oben Punkt 3.4.3.) der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung, wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. [Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, gleichlautend auch in den UNHCR-RL vom 30.08.2018, vgl. dort S. 110].

 

In den aktuellen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 äußert UNHCR angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul die Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt "generell" nicht zur Verfügung stehe (arg. S. 114:

"UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city.").

 

UNHCR änderte damit in Relation zu den Richtlinien vom 19.04.2016 seine Schlussfolgerung zur Relevanz und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul, dies auf Basis der (sofern nichts Anderes angegeben) dem UNHCR am 31.05.2018 bekannten Informationen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien).

 

Nach den aktuellen Richtlinien vom 30.08.2018 ist UNHCR außerdem vor dem näher dargestellten Hintergrund der Ansicht, dass eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar) ist, wenn die Person Zugang zu Unterkünften, grundlegenden Dienstleistungen, wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder nachgewiesene und nachhaltige Unterstützung für den Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard hat. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden, bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

 

UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten (wie näher beschrieben) vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 109 f.).

 

Insofern ergibt sich aus den aktualisierten UNHCR-Richtlinien, ausgenommen der Stadt Kabul, keine maßgeblich andere Schlussfolgerung hinsichtlich innerstaatlichen Fluchtalternativen in urbanen Gebieten als aus jenen zum Stand 19.04.2016.

 

5.2.4.2.5.3. Das europäische Asyl- Unterstützungsbüro EASO geht in seiner Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], abrufbar hier:

https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/easo-country-guidance-afghanistan-2018.pdf , vgl. dort S. 30) generell davon aus, dass in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif interne Schutzalternativen für "Single able-bodied adult men" als zumutbar angesehen werden können, auch wenn der Antragsteller in der jeweiligen Region kein unterstützendes Netzwerk hat. Obwohl die Situation in Bezug auf die Ansiedlung in den drei Städten mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, kann, so der Leitfaden, dennoch der Schluss gezogen werden, dass diese Antragsteller ihren Lebensunterhalt, Unterkunft und Hygiene unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ihre individuellen Umstände keine zusätzlichen Vulnerabilitäten darstellen, gewährleisten können.

 

5.2.4.2.6. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind:

 

Nach den Ergebnissen des Verfahrens muss - wie oben bereits dargestellt - davon ausgegangen werden, dass der BF weder aus "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" aus einem der in der GFK angeführten Asylgründe sein Land verlassen hat, noch ihm bei einer Rückkehr eine solche Verfolgung drohen würde, sodass unter diesem Gesichtspunkt keine für den Refoulementschutz relevante erhöhte Gefährdung des BF anzunehmen ist.

 

Der BF kann aus folgenden Gründen in zumutbarer Weise auf die Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul oder auch Mazar-e Sharif verwiesen werden:

 

5.2.4.2.6.1. Zur Rückkehrmöglichkeit in die Stadt Kabul:

 

Wie bereits in der Beweiswürdigung angeführt, ist in Kabul nach den vorliegenden Länderberichten die allgemeine Lage als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, und die afghanische Regierung behält die Kontrolle über diese Stadt, auch wenn es auch dort zu vereinzelten Anschlägen kommt (vgl. dazu ausführlich oben Punkt 3.4.). In Kabul Stadt geht nach diesen Erwägungen nicht für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, die sich in der Person des BF so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen auszuführen, dass dort auch allgemein der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Die Erkenntnisquellen machen auch ersichtlich, dass die Rückkehrsituation für alleinstehende Rückkehrer ohne direkte Anknüpfungspunkte schwieriger ist als für Personen, die in den Familienverband zurückkehren.

 

Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es allerdings nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (konkret: Kabul) zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

Die auch in der Stadt Kabul aufgrund verschiedener Faktoren wirtschaftlich angespannte Situation erreicht nicht das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (vgl. abermals VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Im Falle seiner Rückkehr ist der BF vor diesem Hintergrund aufgrund seiner individuellen Verhältnisse auch nicht einer "realen Gefahr" iSd Art 2 oder Art 3 EMRK ausgesetzt, die subsidiären Schutz notwendig machen würde. Der BF hat zwar ein zumindest ansatzweises Vorbringen zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan erbracht, es ist ihm jedoch nicht gelungen, den mit Blick auf die Rechtsprechung des VwGH erforderlichen Nachweis hinsichtlich des Vorliegens von in seiner Person gelegenen, exzeptionellen Umständen im Hinblick auf eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch seine Rückführung in den Herkunftsstaat zu erbringen (vgl. dazu VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

 

Solche Umstände vermochte der BF im Verfahren jedoch nicht darzulegen:

 

Beim BF handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter mit Lese- und Schreibkenntnissen und Berufserfahrung im Schneidergewerbe, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er wuchs in Kabul auf und verfügt daher dort über ein soziales Netz, auf das er bei der Rückkehr zurückgreifen kann. Zudem gehört der BF keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Er stammt darüber hinaus aus einem Kulturkreis, in dem auf den familiären Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Familienkreis großer Wert gelegt wird. Es ist daher möglich, dass ihm seine im Iran aufhältige Familie zumindest zu Beginn als Starthilfe finanzielle Unterstützung zukommen lassen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung die Angehörigen des BF außer Stande setzen sollte, ihn finanziell zu unterstützen. Außerdem kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Kabul das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er dort mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei ihm seine Berufserfahrung zu Gute kommen kann.

 

Dem BF ist es aufgrund der dargelegten Umstände auch ohne unmittelbar in Kabul bestehende familiäre Anknüpfungspunkte möglich, sich dort eine Existenz aufzubauen und diese zu sichern sowie eine (einfache) Unterkunft zu finden. Dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt ist, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

 

Bei dieser Beurteilung verkennt das erkennende Gericht nicht, dass UNHCR nach seiner aktuellen Richtlinie eine innerstaatliche Schutzalternative in Kabul "generell" ausschließt. Der Einschätzung und Schlussfolgerung kommt zweifelsohne bei der Beurteilung der Situation vor Ort Gewicht zu, insofern wird der Richtlinie besondere Beachtung geschenkt. Das erkennende Gericht geht insoweit mit der Schlussfolgerung der UNHCR-Richtlinie konform, als es die Sicherheitslage und die sozio-ökonomische Situation in Kabul als stark angespannt sieht. Die gleiche Schlussfolgerung ergibt sich auch aus dem oben angesprochenen EASO-Leitfaden.

 

Dass es sich sowohl bei der Frage, ob im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK besteht, als auch bei der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative jeweils um eine rechtliche Beurteilung handelt, welche freilich in den Feststellungen Deckung finden muss, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt (vgl. etwa VwGH 27.06.2017, Ra 2016/18/0277; 21.03.2018, Ra 2017/18/0372; 02.08.2018, Ra 2017/19/0229). Diese rechtliche Beurteilung kann durch die Richtlinien des UNHCR (ebensowenig wie durch die EASO-Leitfäden, die zu einem anderen Schluss kommen als UNHCR) nicht vorweggenommen werden.

 

Auf Basis der bereits dargestellten Judikatur des EGMR, des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs führt aufgrund des festgestellten Sachverhalts die Prüfung der maßgeblichen Kriterien daher entgegen der allgemeinen Einschätzung des UNHCR (und gleichzeitig in Übereinstimmung mit dem EASO-Leitfaden) im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF bei Inanspruchnahme der innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul keine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Die Rückkehr nach Kabul ist dem BF auch zumutbar, da es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten dort Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

5.2.4.2.6.2. Zur Rückkehrmöglichkeit in die Stadt Mazar-e Sharif:

 

Auch in Mazar-e Sharif besteht für den BF weder wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK noch sind in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben.

 

Unter Berücksichtigung der soeben ausführlich dargelegten persönlichen Umstände des BF und auch unter dem Aspekt der Sicherheit wäre diesem (auch) die Inanspruchnahme der Ansiedlung in Mazar-e Sharif zumutbar.

 

Was die allgemeine Sicherheitslage betrifft ist zunächst festzuhalten, dass die Stadt Mazar-e Sharif nach den Länderfeststellungen jedenfalls als unter Kontrolle der afghanischen Regierung stehend zu betrachten ist. Auch ergibt sich daraus nicht, dass dort von einem aktiven Konflikt zwischen der Regierung bzw. deren Kräften und regierungsfeindlichen Kräften auszugehen wäre. Grundsätzlich zählt die Provinz Balkh zu den ruhigen Provinzen in Nordafghanistans mit im Jahr 2017 neun zivilen Opfern auf 100.000 Einwohnern.

 

Allerdings übersieht das erkennende Gericht nicht, dass es auch in der Stadt Mazar-e Sharif wiederkehrend zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt. Aus dem Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge bzw. sonstige sicherheitsrelevante Vorfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter ("high-profile"-Ziele) wie insbesondere Regierungseinrichtungen oder Armeestützpunkte, in der Stadt Mazar-e Sharif nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch begründet aus Sicht des BVwG allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Vorfall ausgelöst durch regierungsfeindliche Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für den BF noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der

 

Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (dazu VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, m. w.N.):

 

Die in Mazar-e Sharif verzeichneten Anschläge ereigneten sich hauptsächlich im Nahebereich der dargestellten "high-profile"-Ziele. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten und auch bei Berücksichtigung bestimmter, üblicherweise zu erwartender Bewegungen des BF nach seiner Neuansiedlung (insbesondere der Weg zu Orten des Einkaufs von Gegenständen des täglichen Bedarfs, zu [möglichen, zukünftigen] Arbeitsstätten oder medizinischen Einrichtungen) nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass von einem bereits erreichten Gewaltausmaß, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch der Beschwerdeführer tatsächlich und durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt Mazar-e Sharif Opfer eines Gewaltaktes werden würde, gesprochen werden muss. Dies insbesondere, wenn man dabei die Häufigkeit der dargestellten Anschläge dem Gesamtgebiet und der gesamten Einwohnerzahl von Mazar-e Sharif (rund 500.000) gegenüberstellt. Auch EASO geht (vgl. dazu EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 99) vor dem Hintergrund von Art. 8 Statusrichtlinie grundsätzlich davon aus, dass das Ausmaß der willkürlichen Gewalt in Mazar-e Sharif nicht ein so hohes Niveau erreicht, dass ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit dort einem tatsächlichen Risiko eines schweren Schadens ausgesetzt wäre.

 

Der BF könnte Mazar-e Sharif von Kabul aus sicher erreichen: Was die Reise in Gebiete außerhalb der Hauptstadt Kabul betrifft, ist auszuführen, dass angesichts der auf den meisten Hauptverkehrsrouten gestiegenen Unsicherheit grundsätzlich zwar nicht erwartet werden kann, dass afghanische Staatsangehörige von Kabul aus auf dem Landweg durch unsichere Gebiete reisen müssen, um ihren endgültigen (sicheren) Zielort zu erreichen. Im gegenständlichen Fall ist jedoch festzuhalten, dass dem BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die Möglichkeit offen steht, auf dem Luftweg von Kabul nach Mazar-e Sharif zu gelangen, auch wenn diese Art der Reise mit höheren Kosten als die Anreise auf dem Landweg verbunden ist. Wie sich aus den Länderberichten ergibt, stehen in der Hauptstadt Kabul mehrere Transportmöglichkeiten in andere Gebiete Afghanistans zur Verfügung. Die Entfernung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif beträgt auf dem Landweg ca. 425 km (Wegzeit ca. 6 bis 7 Stunden). Es besteht auch eine Flugverbindung zwischen Kabul und Mazar-e Sharif. Kam Air, eine afghanische Fluggesellschaft mit Sitz in Kabul, bietet für diese Verbindung zwei Flüge am Tag an; die Kosten für einen Inlandsflug von Kabul nach Mazar-e Sharif belaufen sich einer Internet-Recherche zufolge derzeit auf etwa ca. 81 USD (= 75 EUR).

 

Es kann dem BF unter Berücksichtigung seiner bereits dargelegten persönlichen Verhältnisse durchaus zugemutet werden, die Kosten für diesen Flug aus Eigenem aufzubringen.

 

5.2.4.2.6.3. Vor dem Hintergrund dieser individuellen Situation des BF ist diesem die Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif aus folgenden Gründen zumutbar:

 

Aus den soeben dargestellten persönlichen Verhältnissen des BF sind keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer bei einer Rückkehr die Gefahr reale existenzbedrohender Verhältnisse anzunehmen wäre. Er hat bereits Berufserfahrung und ist erwerbsfähig, sodass er in Kabul oder Mazar-e Sharif durch Arbeitstätigkeit seine Existenz sichern kann. Es bestehen insgesamt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der BF in Kabul oder Mazar-e Sharif einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist.

 

Dass der BF an Erkrankungen leidet, die ihn daran hindern, erwerbstätig zu sein, kann nicht festgestellt werden, zumal er keinerlei ärztliche Befunde vorlegte und angab, in Österreich seinen erlernten Beruf wieder ausüben zu wollen.

 

Ferner ergibt sich aus den eingebrachten Länderfeststellungen, dass der BF in Kabul bzw. Mazar-e Sharif hinreichend medizinisch versorgt werden kann. Dass die in diesen Städten bestehenden Behandlungsmöglichkeiten nicht österreichischem Standard entsprechen, schwerer zugänglich und kostenintensiver sind, ist unerheblich, zumal grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten bestehen (vgl. dazu VfGH 06.03.2008, B 2400/07).

 

Exzeptionelle Umstände, die eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK durch seine Rückführung in den Herkunftsstaat indizieren würden, hat der BF nicht vorgebracht, auch sonst sind solche nicht hervorgekommen.

 

Auch wenn bei einer Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif die Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation für den BF besteht, dies bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, ist damit die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht dargetan (vgl. dazu die Erkenntnisse des VwGH vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, und vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, bzw. zur Frage einer innerstaatlichen Fluchtalternative für einen gesunden und arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen den Beschluss vom 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; sowie das Erk vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307). Der Klarstellung des Verwaltungsgerichts folgend, dass von der wirtschaftlichen angespannten Situation in Afghanistan das Prüfungskalkül des Art. 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert, zu unterscheiden ist (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095), ist für den gegenständlichen Fall entscheidend, dass beim BF aufgrund obenstehender Erwägungen eine solche Situation nicht gegeben ist.

 

Zusammenschauend ergibt sich, dass für den BF bei Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif die Möglichkeiten für eine den durchschnittlichen afghanischen Verhältnissen entsprechende Lebensführung realistisch sind und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bei einer Rückkehr einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung und damit einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt ist.

 

Aufgrund der den BF erwartenden Lebenssituation, in dem es ihm möglich ist, als arbeitsfähiger Mann in einer hinreichend sicheren afghanischen Großstadt durch eigene Erwerbstätigkeit seine Existenz zu sichern, er also für seine Grundbedürfnisse aufkommen und für sein Fortkommen sorgen kann, sowie im Hinblick darauf, dass er zusätzlich Unterstützung durch seine Verwandten bekommen und auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann, ist ihm die Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif auch zumutbar. Weitere Faktoren, die gegen die Zumutbarkeit der Rückkehr nach Kabul oder Mazar-e Sharif sprechen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden vom BF auch nicht vorgebracht.

 

In Zusammenhang mit der notwendigen Beschäftigung mit dem Zumutbarkeitskalkül wertete der VwGH im Erkenntnis vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063, die Situation, dass der Mitbeteiligte bisher keine Berufserfahrung hatte und nicht über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul verfügte, als am Boden der bisherigen Feststellungen zur Situation in Kabul für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht ausreichend. Vor diesem Hintergrund sind im gegenständlichen Fall, in dem der BF über praktische Berufserfahrung sowie ein familiäres Netzwerk (welches ihn auch aus der Ferne unterstützen kann) verfügt und darüber hinaus in Kabul geboren und aufgewachsen ist, keine für die Unzumutbarkeit des Verweises sprechenden Umstände ersichtlich.

 

Auch die - zwischenzeitlich verschlechterte - Sicherheitslage in Kabul hat noch nicht ein Ausmaß erreicht, dass von einer allgemein unzumutbaren Sicherheitssituation für jegliche Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit ausgegangen werden kann. Soweit man geneigt ist, den jüngsten UNHCR-Guidelines eine solche Situation zu entnehmen, ist festzuhalten, dass EASO aus dem gleichen Sachverhalt andere Schlüsse zieht und im Übrigen beide Einschätzungen nicht bindende Wertungen darstellen. Der BF konnte auch (sonst) keinerlei Umstände glaubhaft machen, die ihn individuell als besonders vulnerabel erscheinen lassen würden. Insbesondere in Hinblick auf die oben dargestellten Erkenntnisse des VwGH vom 20.09.2017, Zl. Ra 2017/19/0205, bzw. vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, und des VfGH vom 12.12.2017, E 2068/2017-17, ergeben sich im gegenständlichen Fall keine Faktoren, die eine von den dortigen Erwägungen abweichende Beurteilung zuließen.

 

5.2.4.2.7. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem BF bei einer Rückkehr in Städte Kabul oder Mazar-e Sharif keine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte droht.

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

5.2.4.3. Zu den Spruchpunkten III., IV. (Rückkehrentscheidung), V. und VI. des angefochtenen Bescheides:

 

Das Verfahren wird bezüglich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides nach § 10 AsylG in der geltenden Fassung geführt.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in der geltenden Fassung ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.

 

5.2.4.3.1. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Der BF befindet sich erst seit November 2015 im Bundesgebiet, und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG ergangen.

 

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) und der VwGH haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

In Österreich bestehende familiäre, soziale oder sonstige Beziehungen und finanzielle oder sonstige Abhängigkeiten hat der BF nicht angegeben.

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

5.2.4.3.2. Der BF hat fast sein gesamtes Leben in Afghanistan verbracht. Er hält sich erst seit November 2015 durchgehend in Österreich auf, sodass die Dauer des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet als relativ kurz zu bezeichnen ist. Sie wird dadurch weiter dadurch relativiert, dass sein Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF bewusst gewesen sein. Wie bereits oben dargelegt, besteht kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu einer in Österreich aufhältigen Person.

 

Der BF verfügt über gewisse Deutschkenntnisse und hat vor kurzem ein selbstständiges Gewerbe angemeldet, bezieht aber noch Grundversorgung. Er pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern, ist Mitglied in einem Verein und engagiert sich ehrenamtlich. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden.

 

Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben belegt. Daraus ist zu entnehmen, dass der BF von seinem sozialen Umfeld als engagiert, gewissenhaft und lernwillig wahrgenommen wird.

 

Auch wenn der BF somit erfolgreich erste integrative Schritte setzte, sind diese in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aber insofern zu relativieren, als die Umstände, dass ein Fremder Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

 

Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine relevante Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung privater Kontakte in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass er sich bei seinem Aufenthalt im Bundesgebiet stets seines unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus bewusst sein musste: Er durfte sich hier bisher nur aufgrund seines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der als unbegründet abzuweisen war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347, 26.02.2004, 2004/21/0027, 27.04.2004, 2000/18/0257; vgl. auch EGMR 08.04.2008, Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der VfGH misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

In Anbetracht der dargelegten Umstände ist zusammenfassend davon auszugehen, dass im Falle des BF ein nur geringer Grad an Integration erreicht worden ist. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben.

 

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Der BF ist erwerbsfähig und gesund. Es liegt aufgrund seiner Lebenssituation im Falle seiner Verbringung in seinen Herkunftsstaat mangels außerordentlicher Integration keine Verletzung des Art. 8 EMRK vor.

 

5.2.4.3.3. Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen war dem BF nicht zu erteilen. Im Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, welche auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufenthaltsberechtigung aus den in § 57 AsylG angeführten Gründen hätten schließen lassen. Ferner sind auch keine Umstände bekannt, welchen zufolge gegenständlich von einem Anwendungsfall des § 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG gesprochen werden könnte.

 

Daher war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, und 57 AsylG sowie §§ 52 und 55 FPG, in der jeweils geltenden Fassung, als unbegründet abzuweisen.

 

Zu Spruchteil B):

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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