BVwG W146 1252245-3

BVwGW146 1252245-321.4.2023

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W146.1252245.3.00

 

Spruch:

 

W146 1252245-3/20E

 

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

 

 

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.02.2022, Zahl 297625601/211026185, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte VII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

 

Erstes Verfahren:

 

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste als Minderjähriger in Begleitung seiner Tante illegal aus Ungarn kommend unter dem Namen XXXX , geb. XXXX , in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.07.2003 unter den Nationalen XXXX geboren, einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, dass in Tschetschenien Krieg herrsche und die Jugend getötet werde. Außer, dass seine Eltern krank seien, habe er selbst keine Probleme gehabt. Sein Fluchtgrund sei, in Sicherheit in die Schule gehen zu können.

 

Mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 02.08.2004, Zl. 03 21.132-BAT, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 für zulässig erklärt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer zur Gänze Beschwerde.

 

Mit Erkenntnis des damaligen Asylgerichtshofes vom XXXX wurde die Beschwerde gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG 1997 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 mit der Maßgabe, wonach der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen werde, abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründe keine Asylrelevanz habe und es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in asylrelevanter oder sonstiger Form in der Russischen Föderation verfolgt worden sei. Es habe im Entscheidungszeitpunkt keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden können. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine ersthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde. Eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund in der Russischen Föderation sei nicht gegeben gewesen. Festgehalten wurde, dass der Asylgerichtshof nicht verkenne, dass das Regime von Kadyrow diktatorische Züge habe und weiterhin mannigfaltige Bedrohungsszenarien bestanden hätten und auch schwere Menschenrechtsverletzungen geschehen haben können. Die allgemeine Lage in Tschetschenien habe jedoch auch die Erlassung von negativen Entscheidungen zur Abschiebung in Fällen erlaubt, in denen eine solche individuelle Verfolgung nicht bestanden habe. Individuelle Fluchtgründe seien nicht vorgebracht worden.

Zur Ausweisung des Beschwerdeführers wurde festgehalten, dass trotz der im Bundesgebiet aufhältigen Tante kein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK bestehe. Ein Privatleben werde zwar angenommen, jedoch sei die nach Art 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung zu Lasten des Beschwerdeführers ausgegangen und stelle die Ausweisung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff iSd Art 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Zweites Verfahren:

 

Am 24.05.2011 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, dass die Fluchtgründe aus dem Erstverfahren noch aufrecht und aktuell seien. Als neuen Fluchtgrund gab er an, dass er im Falle einer Rückkehr für oder gegen Kadyrow kämpfen müsse. Er habe Familie in Österreich, sei hier zu Hause und kenne seine Heimat nicht mehr.

 

Mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 16.07.2011, Zl. 11 05.008-EAST Ost, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 24.05.2011 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt II.).

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zur Gänze Beschwerde.

 

Mit Erkenntnis des damaligen Asylgerichtshofes vom XXXX wurde die Beschwerde gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer eingeräumt habe, dass seine Asylgründe aus dem ersten Verfahren weiterhin aufrecht bzw aktuell seien. Aufgrund der Abweisung der gegen den im ersten Verfahren ergangenen Bescheid erhobenen Beschwerde sei das Vorverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen. Der Beschwerdeführer habe neue Fluchtgründe geschildert, jedoch bereits in seinem ersten Asylverfahren sämtliche Gründe vollständig schildern können, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe. Das Vorbringen in diesem Verfahren bewirke jedenfalls keine Sachverhaltsänderung, die asylrelevant wäre und einen glaubhaften Kern aufweise. Die geänderten familiären Verhältnisse in Österreich seien in keiner Weise von Asylrelevanz, sondern lediglich für die Frage der Ausweisung des Beschwerdeführers von Bedeutung. Auch, dass er in Tschetschenien keine Verwandten mehr habe und daher im Rückkehrfall auf sich alleine gestellt sei, sei nicht asylrelevant. Kein Glauben könne dem Vorbringen geschenkt werden, wonach er im Falle einer Rückkehr eingesperrt werden würde, da Leute, die im Ausland um Asyl angesucht hätten, vom russischen Inlandsgeheimdienst verfolgt werden würden bzw könne darin kein neuer Sachverhalt erkannt werden, zumal der Beschwerdeführer dies lediglich behauptet habe, ohne Beweise dafür vorzulegen. Zum Vorbringen, dass der Beschwerdeführer für oder gegen Kadyrow kämpfen müsse, wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer diese Angaben erst im Rahmen der Einvernahme beim Bundesasylamt getätigt und mit keinem Wort in der Erstbefragung erwähnt habe, weshalb davon auszugehen sei, dass auch dies kein tatsächlicher Fluchtgrund sei. Der Beschwerdeführer sei seit dem rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens nicht in die Russische Föderation zurückgekehrt und sei daher davon auszugehen, dass sich in der Russischen Föderation kein neuer Sachverhalt ergeben habe, über welchen nicht bereits im früheren Asylverfahren rechtskräftig abgesprochen worden sei. Auch hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat haben sich keine Änderungen ergeben. Hinsichtlich der Ausweisung hielt der Asylgerichtshof fest, dass die Ausweisung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das in Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstelle. Zur im Bundesgebiet asylberechtigten Tante bestehe keine besondere Beziehungsintensität. Zur vorgebrachten Lebensgefährtin bestehe ebenfalls kein Familienleben iSd Art 8 EMRK. Ein Privatleben bestehe bereits aufgrund seines achtjährigen Aufenthaltes, jedoch falle die nach Art 8 Abs 2 EMRK gebotene Abwägung jedenfalls zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stelle die Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff iSd Art 8 Abs. 2 EMRK dar.

 

Drittes Verfahren:

 

Am 27.07.2021 stellte der Beschwerdeführer den hier maßgeblichen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag stattfindenden Erstbefragung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass ein Verwandter von ihm im Jahr 2013 nach Syrien gegangen sei, um für den IS zu kämpfen. Er sei im Kampf gestorben. Die tschetschenischen Behörden würden glauben, dass auch der Beschwerdeführer mit ihm mitgereist sei und sich nach wie vor in Syrien aufhalte, weil er damals aus Tschetschenien ausgereist sei. Die Schwester dieses Verwandten habe den Beschwerdeführer davon unterrichtet, dass die tschetschenischen Behörden glauben, dass er sich in Syrien aufhalte. Er sei jedoch nie in Syrien gewesen. Er habe inzwischen drei Kinder in Österreich bekommen, wovon zwei verstorben seien. Er habe in Österreich am 21.06.2016 nach islamischen Recht geheiratet.

 

Am 02.12.2021 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er im Wesentlichen aus, dass er gemeinsam mit einem Verwandten und seiner Tante Tschetschenien verlassen habe und zugleich einen Asylantrag gestellt habe. Der Verwandte habe einen positiven Asylbescheid bekommen und sei später gemeinsam mit seiner Gattin und deren kleinen Sohn nach Syrien gegangen, um sich dem IS anzuschließen. Er sei radikal gewesen, was den tschetschenischen Behörden bekannt geworden sei. Später sei der Beschwerdeführer von den tschetschenischen Behörden mehrmals angerufen und ihm von diesen mitgeteilt worden, dass er bei seiner Rückkehr nach Tschetschenien sofort getötet werde. Er sei dazu gezwungen worden, seinen Aufenthalt in Österreich per Videotelefonat zu beweisen. Später sei der Verwandte des Beschwerdeführers gefallen. Was mit dessen Familie passiert sei, wisse er jedoch nicht. Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zu 99,9% spurlos verschwinden würde. Seine Ehefrau und sein Sohn, mit welchen der Beschwerdeführer gemeinsam in einem Haushalt lebe, seien beide anerkannte Flüchtlinge und haben einen Schutzstatus. Er sei jedoch nur nach islamischen Recht verheiratet, weil er sich eine standesamtliche Hochzeit nicht leisten könne.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.02.2022 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.07.2021 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der nunmehrige Folgeantrag auf internationalen Schutz mit einem Vorbringen begründet sei, welches keinen glaubhaften, neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt begründe. Der Beschwerdeführer beziehe sich im gegenständlichen Verfahren nach wie vor auf Rückkehrhindernisse, welche bereits im Kern im Vorverfahren zur Sprache gebracht worden seien. Erweitert sei das Vorbringen damit worden, dass die tschetschenische Regierung ihn verdächtige, dass er gemeinsam mit einem Verwandten nach Syrien gereist sei, um sich dem IS anzuschließen. Von dieser Verdächtigung wisse er bereits seit dem Jahr 2015. Dieses Vorbringen werde als nicht glaubhaft gewertet, zumal es nicht nachvollziehbar sei und der Beschwerdeführer keine Beweismittel vorbringen habe können, welche geeignet seien, seine Fluchtgründe zu untermauern. Auch hätten sich keine Änderungen hinsichtlich der in den Vorverfahren getroffenen Feststellungen zur Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation ergeben und werde diese weiterhin als zulässig erachtet.

Der Beschwerdeführer lebe zwar mit seiner nach muslimischen Recht verheirateten Frau und dem gemeinsamen Sohn in einem Haushalt, jedoch sei der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer habe das Familienleben erst nach dem negativen Ausgang seines ersten Asylverfahrens begründet, sodass ihm die Ungewissheit des Fortbestandes des Familienlebens bewusst sein habe müssen. Im Falle einer Außerlandesschaffung sei der Beschwerdeführer nicht gezwungen, die familiären Kontakte zu seiner Familie gänzlich einzustellen. Der Beschwerdeführer habe aufgrund seines bisherigen Aufenthaltes auch ein Privatleben im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer habe jedoch mehrere Anträge auf internationalen Schutz gestellt und sei ihm nie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zugekommen. Auch bestehe kein durch besondere Umstände qualifiziertes privates Interesse an einem Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Die lange Dauer seines Aufenthaltes sei ausschließlich auf sein Verhalten, welches in letzter Konsequenz rechtswidrig gewesen sei, zurückzuführen. Ein Einreiseverbot sei schließlich aufgrund der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers zu erlassen. Sein Unterhalt sei lediglich durch staatliche Unterstützungsleistungen gewährleistet. Mangels wirtschaftlicher und sozialer Integration ergebe sich zweifelsfrei eine negative Zukunftsprognose.

 

Gegen diesen am 25.02.2022 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche am 11.03.2022 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt worden sei. Die belangte Behörde habe nicht ermittelt, ob eine solche Praxis, wie sie der Beschwerdeführer vorgebracht habe, in Tschetschenien vorkomme. Es gebe mehrere Berichte, die Bedrohungen von Angehörigen von Personen, die mit terroristischen oder extremistischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, belegen würden. Die belangte Behörde hätte zu dem Ergebnis kommen müssen, dass keine res iudicata vorliege. Hinsichtlich der erlassenen Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit seiner Frau und seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Das Kindeswohl sei von der belangten Behörde nur sehr kurz berücksichtigt worden. Hinsichtlich des Einreiseverbots habe die belangte Behörde keine Gefährdungsprognose durchgeführt. Die belangte Behörde habe nicht schlüssig und nachvollziehbar begründet, inwiefern der Beschwerdeführer ein derart gravierendes Fehlverhalten gesetzt habe, dass dies das Ausmaß einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit erreiche. Des Weiteren wurde ein ergänzendes Vorbringen geltend gemacht. So müsse angesichts der russischen Invasion in der Ukraine und des anhaltenden Krieges auch die Situation bezüglich einer möglichen Zwangsrekrutierung bzw einer Bestrafung bei einer Weigerung bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden. Es gebe mehrere Berichte, dass Kadyrow etliche tschetschenische Soldaten in den Ukrainekrieg schicke und laufend junge, wehrfähige Männer rekrutiere.

 

Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.03.2022 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

 

Mit Eingabe vom 23.03.2022 legte die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers eine Einstellungszusage für den Beschwerdeführer vor.

 

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.11.2022 in der gegenständlichen Rechtssache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer im Beisein seiner rechtlichen Vertretung teilnahm. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde als Zeugin einvernommen.

 

Mit Schriftsatz vom 22.12.2022 legte der Rechtsvertreter eine Einstellungszusage und eine A2 Prüfungsbestätigung vom 22.12.2022 vor.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Ethnie und führt die im Spruch genannten Daten. In Tschetschenien besuchte er 8 Jahre die Schule.

 

Der Beschwerdeführer ist im Juli 2003 im Alter von 15 Jahren mit seiner Tante illegal nach Österreich gekommen. 2004 hat er 1 Jahr die Schule im Bundesgebiet besucht. Er hat keinen österreichischen Schulabschluss.

 

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

 

Der Beschwerdeführer stellte am 14.07.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit dem Krieg in Tschetschenien begründete. Dem Vorbringen wurde keine Asylrelevanz zugesprochen, weshalb der Antrag abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom XXXX ab.

 

Am 24.05.2011 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, welchen er mit denselben Fluchtgründen des ersten Verfahrens und dem Fluchtgrund, dass er im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat für oder gegen Kadyrow kämpfen müsse, begründete. Dem Vorbringen wurden keine Sachverhaltsänderung und kein glaubhafter Kern zugesprochen, weshalb der Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom XXXX ab.

 

In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer am 27.07.2021 den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag begründete der Beschwerdeführer damit, dass sein Cousin mit seiner Gattin und deren kleinen Sohn aus Österreich nach Syrien gegangen sei, um sich dem IS anzuschließen. Dieser sei radikal gewesen, was den tschetschenischen Behörden bekannt geworden sei. Später sei der Beschwerdeführer von den tschetschenischen Behörden mehrmals angerufen und ihm von diesen mitgeteilt worden, dass er bei seiner Rückkehr nach Tschetschenien sofort getötet werde. Er sei dazu gezwungen worden, seinen Aufenthalt in Österreich per Videotelefonat zu beweisen. Die Ehefrau und sein Sohn, mit welchen der Beschwerdeführer gemeinsam in einem Haushalt lebe, seien beide anerkannte Flüchtlinge. Er sei jedoch nur nach islamischen Recht verheiratet, weil er sich eine standesamtliche Hochzeit nicht leisten könne.

 

Die allgemeine Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, speziell in Tschetschenien, hat sich in Bezug auf die bereits im mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX abgeschlossenen Asylverfahren behandelten Aspekte nicht geändert. Im Gegenteil ist nunmehr von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen nicht mehr auszugehen. Da der Beschwerdeführer im ersten Verfahren lediglich den Krieg als Fluchtgrund und im zweiten Verfahren vage Befürchtungen zu einer Teilnahme von Kämpfen „für oder gegen Kadyrow“ angab, ist von einer Verfolgung aufgrund der vergangenen Kriege keine Rede, umso mehr ist eine aktuelle Verfolgung seiner Person auszuschließen. Im Falle seiner Rückkehr nach Tschetschenien hat der Beschwerdeführer keine Übergriffe von staatlicher oder privater Seite zu erwarten. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine die Existenz bedrohende Notlage geriete.

 

Der Cousin des Beschwerdeführers, der mit ihm 2003 gemeinsam in das Bundesgebiet einreiste, wird per Fahndungsausschreibung von Interpol wegen Teilnahme beim syrischen IS gesucht. Gemäß dieser Ausschreibung vom XXXX hat der Cousin Russland 2015 (ein genaues Datum sei unbekannt) nach Syrien verlassen, um sich dort einer terroristischen Struktureinheit des IS anzuschließen. Bis zum Ausschreibungszeitpunkt sei diese Teilnahme nicht beendet. Dass der Cousin in Syrien getötet worden sei – wie vom Beschwerdeführer behauptet – konnte nicht festgestellt werden.

 

Das neue Vorbringen, die tschetschenischen Behörden würden den Beschwerdeführer verdächtigen, in Syrien für den IS gekämpft zu haben, weshalb er einer Verfolgungsgefahr durch die tschetschenischen Behörden ausgesetzt sei, enthält keinen glaubhaften Kern.

 

Das Vorbringen, dem Beschwerdeführer drohe aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine eine Zwangsrekrutierung, enthält ebenfalls keinen glaubhaften Kern. Gemäß Judikatur des VwGH ist ein neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde aber ohnehin von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich.

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner ersten Antragstellung am 14.07.2003 durchgehend im Bundesgebiet.

 

Der Beschwerdeführer befand sich für die Dauer seines ersten Asylverfahrens von Juli 2003 bis März 2010 knapp sieben Jahre lediglich aufgrund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung seines letztlich unberechtigten Asylantrags im Bundesgebiet. Der verfügten Ausreiseverpflichtung kam er nicht nach. Für die Dauer seines zweiten Verfahrens verfügte er bloß über faktischen Abschiebeschutz. Der abermals verfügten Ausweisung kam der Beschwerdeführer wiederum nicht nach, sondern verblieb illegal in Österreich. Da auch das gegenständliche Verfahren nicht zugelassen wurde, verfügt der Beschwerdeführer auch derzeit über keinen berechtigten Aufenthalt im Bundesgebiet. Seit der rechtswirksamen Zustellung des Bescheides am 25.02.2022 liegt auch eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor.

 

Der Beschwerdeführer war von 11.08.2003 bis zum 03.12.2012 fast durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Von 12.02.2016 - 12.10.2016 war er als obdachlos gemeldet. Von 27.07.2021 - 03.08.2021 war er in einem Flüchtlingsquartier gemeldet. Von 08.09.2021 - 21.11.2022 war der Beschwerdeführer als Nebenwohnsitz bei seiner Lebensgefährtin gemeldet. Seit 21.11.2022 – somit 11 Tage nach der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht – ist der Beschwerdeführer schließlich an dieser Adresse als Hauptwohnsitz gemeldet. Laut Abschluss-Bericht des LKA XXXX vom 23.06.2022 verliefen die durchgeführten Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer bis dato alle negativ. An seinem gemeldeten Nebenwohnsitz konnte er nicht angetroffen bzw. wahrgenommen werden.

 

Gegen den Beschwerdeführer besteht eine aufrechte Aufenthaltsermittlung der Staatsanwaltschaft XXXX unter der Aktenzahl XXXX wegen der §§ 83, 84, 109, 125, 146, 127 StGB.

 

Zur selben Aktenzahl besteht eine weitere Aufenthaltsermittlung gegen den Beschwerdeführer wegen § 28a/1 SMG, Vorfallszeit 01.01.2019. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft XXXX wurde das Verfahren aufgrund des nicht bekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers unterbrochen. Laut Auskunft der StA XXXX vom 14.03.2023 wird das Verfahren wieder aufgenommen.

 

Der Beschwerdeführer ist seit 21.10.2016 mit Frau XXXX nach islamischen Ritus verheiratet; eine standesamtliche Eheschließung liegt nicht vor. Die beiden haben einen gemeinsamen Sohn, XXXX , im Alter von sieben Jahren. Sowohl die Lebensgefährtin als auch der Sohn sind russische Staatsangehörige. Die Lebensgefährtin bekam mit Bescheid des BFA vom 22.06.2004 Asyl im Wege der Erstreckung. Der Sohn erhielt den Status des Asylberechtigten mit Bescheid des BFA vom 28.11.2015 im Familienverfahren. Beide sind im Besitz von Konventionsreisepässen.

 

Seit wann und ob der Beschwerdeführer tatsächlich mit den beiden im gleichem Haushalt wohnt, konnte nicht festgestellt werden. Zumindest vor 2019 lebte der Beschwerdeführer nicht mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt.

 

Zu seinen weiteren Verwandten im Bundesgebiet besteht kein Abhängigkeitsverhältnis.

Über darüber hinausgehende substantielle soziale Kontakte verfügt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht. Der Beschwerdeführer spricht Deutsch und legte am 22.12.2022 die Deutschprüfung Niveau A2 erfolgreich ab. Der Beschwerdeführer war nie legal im Bundesgebiet erwerbstätig. Er ist nicht krankenversichert. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt über eine bedingte Einstellungszusage des Unternehmens „ XXXX “, mit der Adresse XXXX . An dieser Adresse firmiert die XXXX , welche laut Homepage ein Business der XXXX ist. Die XXXX beschäftigt sich mit Personalmanagement, ist also eine Personalleasingfirma. Es handelt sich dabei um ein Gefälligkeitsschreiben, welchen es an wesentlichen Inhalten mangelt.

 

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer ist weder ehrenamtlich tätig noch Mitglied in einer sozialen Organisation oder einem Verein.

 

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus den Länderinformationen der Staatendokumentation – Russische Föderation, Version 9 vom 10.10.2022

 

Politische Lage

Letzte Änderung: 06.10.2022

 

Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 1.10.2021a). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2022; vgl. Economist 9.2.2022, UG 3.2022, FH o.D., Russland-Analysen 1.10.2021a). Der in der Verfassung vorgesehenen Gewaltenteilung steht in der Praxis die alle Bereiche dominierende zentrale Rolle des Staatspräsidenten gegenüber. Dieser kann die Regierung entlassen und hat weitreichende Vollmachten in der Außen- und Sicherheitspolitik (AA 1.10.2021b). Der Staatspräsident ernennt (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Vorsitzenden der Regierung und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte sowie anderer Gerichtshöfe vor. Der Präsident ernennt nach Beratung mit dem Föderationsrat den Generalstaatsanwalt und Staatsanwälte und entlässt sie. Darüber hinaus ernennt und entlässt er die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus (RI 4.7.2020). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2022). Der Präsident der Russischen Föderation wird für eine Amtszeit von 6 Jahren von den Bürgern direkt gewählt (RI 4.7.2020). Die letzte Präsidentschaftswahl fand am 18.3.2018 statt. Ein echter Wettbewerb fehlte. Auf kritische Stimmen wurde Druck ausgeübt (OSZE 6.6.2018). Putins einflussreicher Rivale Alexej Nawalnyj durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Nawalnyj war zuvor in einem als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden (FH 28.2.2022). Es wurden Transparenzmängel bei der Präsidentenwahl 2018 festgestellt (OSZE 6.6.2018). Die Geldquellen für Putins Wahlkampagne waren undurchsichtig (FH 28.2.2022). Auch kam es zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Einhaltung des Wahlgeheimnisses. Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 67,47 %. Als Sieger der Präsidentenwahl 2018 ging Putin mit 76,69 % der abgegebenen Stimmen hervor (OSZE 6.6.2018). Regierungsvorsitzender sowie Stellvertreter des Staatsoberhaupts ist Michail Mischustin (AA 1.10.2021a).

 

Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (RI 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 28.2.2022). Unter anderem erhält durch die jüngste Verfassungsreform das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich. Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten in Russland und international für Kritik (KAS 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020, RI 4.7.2020).

 

Der Einfluss des Zweikammerparlaments, bestehend aus der Staatsduma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus), ist beschränkt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Die Mitglieder des Föderationsrates werden normalerweise für eine Amtszeit von 6 Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören: Bestätigung des präsidentiellen Erlasses (Ukas) über die Verhängung des Ausnahmezustands und des Kriegszustands; Amtsenthebung des Präsidenten (RI 4.7.2020). Die 450 Mitglieder der Duma werden für eine Amtszeit von 5 Jahren direkt gewählt (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, RI 4.7.2020). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSZE 25.6.2021; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Duma-Wahlen beruhen auf einem gemischten Wahlsystem. Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von beträchtlichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet, darunter Stimmenkauf, Fälschung von Wahlprotokollen und Druck auf Wähler (FH 28.2.2022; vgl. SWP 14.10.2021, Russland-Analysen 1.10.2021a, KAS 21.9.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BS 2022). Laut der Zentralen Wahlkommission betrug die Wahlbeteiligung 52 % (FH 28.2.2022; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a, Ria.ru 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 28.2.2022). Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als kremltreue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen 1.10.2021a). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS 21.9.2021). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):

 Einiges Russland (Edinaja Rossija): 325 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)

 Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)

 sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 28 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)

 Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)

 Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Aleksej Netschaew)

 2 Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an (Duma o.D.).

 

Die föderale Struktur der Russischen Föderation ist in der russischen Verfassung festgeschrieben. Der Status von Föderationssubjekten kann in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Art. 66 der Verfassung) (RI 4.7.2020). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 1.10.2021b). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates. Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOIS 3.11.2021). Im September 2021 fanden parallel zur Parlamentswahl regionale Wahlen statt. Die Bürger wählten Gouverneure von neun Subjekten sowie 39 Regionalparlamente (Russland-Analysen 1.10.2021b; vgl. Tass 20.9.2021).

 

Die 2014 erfolgte Annexion der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland ist international nicht anerkannt (AA 1.10.2021b). Am 21.2.2022 wurden die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk von Putin als unabhängig anerkannt. Am 24.2.2022 startete Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (EU-Rat 16.8.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie in den ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über den Beitritt zur Russischen Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Lugansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Die 'Referenden' in den vier von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet und international nicht anerkannt (UN 27.9.2022; vgl. Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN 27.9.2022). Die 'Stimmabgaben' erfolgten unter Zwang und unter Zeitdruck (Rat 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN 27.9.2022). Nach dem Ende der Scheinreferenden baten die Anführer der prorussischen Separatisten in den ukrainischen Regionen Lugansk und Cherson den russischen Präsidenten Putin um Annexion dieser Regionen (NDR/Tagesschau.de 28.9.2022). Am 29.9.2022 wurde die 'staatliche Souveränität' und 'Unabhängigkeit' der Regionen Cherson und Saporischschja von Putin per Erlass anerkannt (RI 30.9.2022a; vgl. RI 30.9.2022b). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zum Russland-Beitritt der 'Volksrepubliken' Donezk und Lugansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kremlin.ru 30.9.2022). Am 3. und 4.10.2022 stimmten die beiden russischen Parlamentskammern der Annexion zu (Tass 4.10.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).

 

Russland begeht im Krieg gegen die Ukraine schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (OHCHR 5.7.2022; vgl. HRW 21.4.2022). Als Reaktion auf diese Vorgänge verhängte die EU Sanktionen gegen Russland, nämlich: Wirtschaftssanktionen; Aussetzung der Visaerleichterungen für russische Diplomaten sowie andere russische Beamte und Geschäftsleute; Sanktionen gegen Mitglieder der Staatsduma, gegen Putin, den Außenminister Sergej Lawrow, gegen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrats und gegen weitere Personen (EU-Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022).

 

Tschetschenien

Letzte Änderung: 29.08.2022

 

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen (FR o.D.b). Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrov sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil dieser Personen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB 30.6.2021).

 

Kadyrov ist seit dem Jahr 2007 in Tschetschenien an der Macht (Dekoder 10.2.2022). Er kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) aufseiten der Unabhängigkeitsbefürworter. Im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wechselte Kadyrov die Seite (ORF 30.3.2022). In Tschetschenien gilt Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021, FH 28.2.2022, RFE/RL 3.2.2022, HRW 9.2.2022). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt (ÖB 30.6.2021). Kadyrov bekundet jedoch immer wieder seine absolute Treue gegenüber dem Kreml (ÖB 30.6.2021; vgl. SZ 3.3.2022). Beobachter stufen Tschetschenien zunehmend als Staat im Staat ein, in dem das Moskauer Gewaltmonopol vielfach unwirksam ist (Dekoder 10.2.2022). Kadyrov besetzt hohe Posten in Tschetschenien mit Familienmitgliedern (KK 15.3.2022). Das Republikoberhaupt ist für die Regierungsbildung zuständig. Die Regierung ist dem Republikoberhaupt gegenüber rechenschaftspflichtig (FR o.D.b). Premierminister Tschetscheniens ist Muslim Chučiev (KR 9.5.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022).

 

Die Gesetzgebung wird vom Parlament Tschetscheniens ausgeübt. Das Parlament besteht aus 41 Abgeordneten, welche mittels Verhältniswahl gewählt werden (FR o.D.b). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 96,13 % der Stimmen. Die Partei "Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit" errang 0,93 %, die Kommunistische Partei (KPRF) 0,75 %, Neue Leute 0,24 %, und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) gewann 0,11 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 94,42 % (Russland-Analysen 1.10.2021c; vgl. Ria.ru 6.10.2021). Zeitgleich fand in Tschetschenien die Direktwahl des Republikoberhauptes statt (Ria.ru 21.9.2021; vgl. FR o.D.b). Dessen reguläre Amtszeit beträgt fünf Jahre (FR o.D.b). Kadyrov, welcher die Partei Einiges Russland präsentierte, gewann 99,7 % der Stimmen. Der Kandidat der Kommunistischen Partei errang 0,12 % und der Kandidat der Partei Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit 0,15 % (Ria.ru 21.9.2021). Vor allem im Nordkaukasus ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2022).

 

Tschetschenische Sicherheitskräfte gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Prekär ist auch die Lage von Regimekritikern und Oppositionspolitikern (AA 21.5.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrov unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 28.2.2022; vgl. AA 21.5.2021, ER 3.6.2022). Solche Handlungen finden manchmal auch außerhalb Russlands statt. Kadyrov wird verdächtigt, die Ermordung von beispielsweise politischen Gegnern, welche im Exil leben, angeordnet zu haben (FH 28.2.2022). Kadyrov wurde von der Schweiz, Kanada, der EU und den USA mit Sanktionen belegt (KK 15.3.2022; vgl. OFAC 8.8.2022, EUR-Lex 25.7.2014).

 

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 01.09.2022

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland (auch außerhalb der Kaukasus-Region) zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 5.8.2022). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Metro, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 4.5.2022).

 

Für die Russische Föderation stellen Terrorismusbekämpfung und der Umgang mit extremistischen islamischen Gruppen (darunter Gruppen mit Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat (IS) sowie Kämpfer, die aus Syrien zurückkehren) eine Priorität dar (USDOS 16.12.2021). Seit November 2020 wurden wegen angeblicher Zugehörigkeit zu Hizb ut-Tahrir mindestens acht Personen verurteilt und mehrere Dutzend Personen festgenommen. Hizb ut-Tahrir ist eine islamistische Bewegung, welche gewaltlos ein Kalifat errichten will. Russland hat Hizb ut-Tahrir aufgrund von Terrorismusvorwürfen im Jahr 2003 verboten (HRW 13.1.2022). Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2022), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 44. Rang von insgesamt 93 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf mittlerem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 3.2022). Russland ist ein Mitglied des Globalen Forums zur Terrorismusbekämpfung (Global Counterterrorism Forum) (USDOS 16.12.2021; vgl. GCTF o.D.).

 

Am 24.2.2022 begann Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine (Rat 16.8.2022). In russischen Regionen nahe der Ukraine kam es in letzter Zeit zu mehreren Vorfällen, darunter größere Brände in Belgorod und bei einem Öldepot in Brjansk im April 2022 (Gov.uk 25.8.2022). In fünf russischen Regionen nahe der Ukraine (Rostow, Krasnodar, Saratow, Woronesch und Wolgograd) wurde der Notstand ausgerufen (AA 5.8.2022). In der russischen Region Kursk, welche an die Ukraine grenzt, werden mehrere grenzüberschreitende Artilleriebeschüsse von ukrainischer und russischer Seite sowie Sabotageakte gegen Infrastruktureinrichtungen gemeldet. Die Situation in Kursk wird zunehmend volatil (ACLED 18.8.2022). Das Kriegsrecht wurde in Russland bislang nicht ausgerufen (MT 8.6.2022). Stattdessen spricht Russland von einer 'Spezialoperation' in der Ukraine (Presse 11.8.2022). Die folgenden zwei Karten stellen sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 24.2.-12.8.2022 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (schwarz) und Explosionen/Ferngewalt (rot).

 

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 01.09.2022

 

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich dies nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB 30.6.2021; vgl. Gov.uk 25.8.2022, RUSI 30.7.2021). Im Allgemeinen ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus schwer einzuschätzen (ER 3.6.2022). Niederschwellige militante terroristische Aktivitäten sowie vermehrte Anti-Terror-Aktivitäten und Bemühungen um eine politische Konsolidierung sind feststellbar (OSAC 8.2.2021). Ein Risikomoment für die volatile Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat (ÖB 30.6.2021). Das Kaukasus-Emirat und außerdem der Kongress der Völker Itschkerijas und Dagestans gehören zu denjenigen Organisationen, welche von der Russischen Föderation als Terrororganisationen eingestuft werden (NAK o.D.a). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus deutlich zurückgegangen ist (ÖB 30.6.2021). Gemäß dem Online-Medienportal 'Kaukasischer Knoten' fielen zwischen Juli 2021 und Juli 2022 insgesamt 12 Personen dem bewaffneten Konflikt im Nordkaukasus zum Opfer. Vier dieser Personen wurden in Dagestan getötet, zwei in Karatschai-Tscherkessien, fünf in Kabardino-Balkarien und eine Person in Tschetschenien (KK 4.8.2022; vgl. KK 6.7.2022, KK 5.4.2022, KK 4.1.2022, KK 11.10.2021). Terroranschläge ziehen staatlicherseits u.a. kollektive Bestrafungsformen nach sich. Dies bedeutet, Familienangehörige werden für die Taten ihrer Verwandten zur Verantwortung gezogen (RUSI 30.7.2021) und müssen gemäß gesetzlichen Vorgaben Schadenersatz leisten (USDOS 12.4.2022).

 

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022) und gehen rigoros gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige vor (ÖB 30.6.2021). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen von sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Anti-Terror-Operationen durchgeführt (KK 10.7.2021). Tschetschenische Behörden wenden kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen regelmäßig an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 12.4.2022). In Tschetschenien gibt es eine Anti-Terrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Kadyrow ist (NAK o.D.c). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KK 15.11.2021).

 

Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein

Letzte Änderung: 02.03.2022

 

Die tschetschenische Führung unterdrückt weiterhin rücksichtslos jede Form von Dissens (HRW 13.1.2022). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2021). Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher (AA 2.2.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend (AA 2.2.2021). Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen bzw. mit deren Ideologie zu sympathisieren, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigung, Entführung, Misshandlung und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft) (ÖB Moskau 6.2021). Die Mitverantwortung wurde sogar durch Bundesgesetze festgelegt, so z.B. ein 2013 verabschiedetes Gesetz, das Familienangehörige von Terrorverdächtigen verpflichtet, für Schäden, die durch einen Anschlag entstanden sind, aufzukommen, und die Behörden in diesem Zusammenhang auch zur Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Familien ermächtigt (ÖB Moskau 6.2020). Es kommt vor, dass Personen, welchen die Unterstützung von Terroristen vorgeworfen wird, von Sicherheitskräften drangsaliert werden. Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen können ihre Arbeitsstelle verlieren, Kinder können Schwierigkeiten bei der Aufnahme in die Schule haben, jugendliche und erwachsene Söhne können Schwierigkeiten mit den tschetschenischen Sicherheitsorganen bekommen (inkl. unrechtmäßiger Festnahmen, Prügel, etc.) (ÖB Moskau 6.2021). Weiters hat Ramsan Kadyrow im Jänner 2017 die Sicherheitskräfte angewiesen, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in 'die Irre geführt wurden' (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor (Meduza 31.10.2017). Grundsätzlich können Tschetschenen an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens flüchten und dort leben, solange sie nicht neuerlich ins Blickfeld der tschetschenischen Sicherheitskräfte rücken. Die freie Wahl des Wohnorts gilt für alle Einwohner der Russischen Föderation, auch für jene des Nordkaukasus. Wird eine Person allerdings offiziell von der Polizei gesucht, so ist es den Sicherheitsorganen möglich, diese zu finden. Dies gilt nach Einschätzung von Experten auch für Flüchtlinge in Europa, der Türkei und so weiter, falls das Interesse an der Person groß genug ist. Insgesamt schwanken die mitunter ambivalenten Aussagen von Kadyrow zur Migration nach Westeuropa zwischen Toleranz und Kritik. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie lebten, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Das tschetschenische Oberhaupt hat auch verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Vereinzelt sind Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt. Prominente Beispiele sind die Brüder Yamadayev, von denen einer in Moskau (2008) und ein anderer in Dubai (2009) getötet wurde, während ein dritter sich mit Kadyrow ausgesöhnt haben soll, oder Umar Israilow, welcher 2009 in Wien ermordet wurde. Aus menschenrechtlicher Perspektive herrscht die Einschätzung vor, dass tatsächlich Verfolgte sowohl im Inland als auch im Ausland in Einzelfällen einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sein können. Auf das Potential zur Instrumentalisierung dieser im Einzelfall bestehenden Gefährdungslage wird allerdings auch dann zurückgegriffen, wenn sozio-ökonomische Motive hinter dem Versuch der Migration nach Westeuropa stehen, wie auch von menschenrechtlicher Seite eingeräumt wird. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Auch innerhalb Russlands werden immer wieder Fälle bekannt, in denen tschetschenische Sicherheitsorgane außerhalb der Republik tätig werden (ÖB Moskau 6.2021): Im September 2020 wurde Salman Tepsurkajew, Moderator des Kadyrow-kritischen Telegram-Kanals '1Adat', aus Gelendschik (Region Krasnodar) entführt und nach Tschetschenien gebracht, wo er gefoltert und öffentlich erniedrigt wurde (ÖB Moskau 6.2021; vgl. AA 2.2.2021). Im Februar 2021 wurden zwei Personen von Polizisten aus Nischnij Nowgorod entführt, wohin sie mit Hilfe des LGBT-Netzwerks geflohen waren, und nach Tschetschenien gebracht, wo ihnen 'Zusammenarbeit mit illegalen bewaffneten Gruppen' vorgeworfen wird. Im Juni 2021 wurde die Tschetschenin Chalimat Taramowa, welche wegen häuslicher Gewalt und Drohungen aus Tschetschenien geflohen war, von Polizisten in einem Krisenzentrum für Frauen in Dagestan festgenommen und zurück nach Tschetschenien gebracht, wo sie den Familienangehörigen, vor welchen sie u.a. wegen ihrer sexuellen Orientierung geflohen war, übergeben wurde. Der Vater ist Berichten zufolge ein hochrangiger tschetschenischer Beamter (ÖB Moskau 6.2021).

 

Salafisten werden als aktive oder potenzielle Extremisten und Terroristen wahrgenommen. Die Verfolgung von Salafisten passiert zu einem großen Teil über außergesetzliche Mechanismen, vor allem in Tschetschenien, wo seit Anfang der 2000er Jahre zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen von Vertretern eines 'nicht traditionellen Islam' stattfanden, der jedoch oft keine Verbindung zum terroristischen Untergrund hatte (Memorial 10.2020). Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand sein Zentrum hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens und bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Von tschetschenischen Sicherheitskräften werden Entführungen begangen. In Tschetschenien selbst ist der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan. Die Kämpfer würden im Allgemeinen auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Nach dem terroristischen Anschlag auf Grosny am 4.12.2014 nahm Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des 'Komitees gegen Folter', dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden sind (Standard.at 14.12.2014; vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 niedergebrannte Häuser (The Telegraph 17.1.2015; vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall ist das 2016 niedergebrannte Haus von Ramasan Dschalaldinow. Er hatte sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über Behördenkorruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RL 18.5.2016). Ebenso wurden im Jahr 2016 nach einem Angriff von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grosny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US Department of States (US DOS), Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grosny vom Dezember 2014. Für die Jahre 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 gab es in den einschlägigen Berichten keine Hinweise auf das Niederbrennen von Häusern (AI 22.2.2018; vgl. US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018, US DOS 13.3.2019, HRW 17.1.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, AI 16.4.2020, AA 2.2.2021, HRW 13.1.2022, AI 7.4.2021).

 

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Laut einer Analyse des Journalisten Vadim Dubow aus dem Jahr 2016 emigrierten die meisten Tschetschenen aus rein ökonomischen Gründen: Tschetschenien ist zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht erstreckt sich allerdings nicht über die Grenzen Tschetscheniens hinaus. Dieser Analyse wird von anderen Experten widersprochen. Wirtschaftliche Gründe spielten demnach eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidung, Tschetschenien zu verlassen. Andere Kommentatoren verweisen wiederum auf die Rivalität zwischen verschiedenen islamischen Strömungen in Tschetschenien, insbesondere zwischen dem traditionellen Sufismus und dem als Fremdkörper kritisierten Salafismus. Menschenrechtsaktivisten wiederum sehen in der Darstellung von Asylwerbern aus Tschetschenien als Wirtschaftsflüchtlinge eine Strategie des regionalen Oberhaupts Kadyrow (ÖB Moskau 6.2021). Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht (CACI 25.2.2020). Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben (Tagesschau.de 28.8.2019). Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen (HRW 13.1.2021).

 

Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Blogger wegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch' einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten (AI 16.4.2020). Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der in Europa lebende Blogger Tumso Abdurachmanow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen (Deutschlandfunk.de 11.3.2019; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Mitte 2019 erklärte der Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments und enger Vertrauter von Ramsan Kadyrow, Magomed Daudov (auch bekannt als 'Lord'), dem Blogger die Blutfehde (BBC 27.2.2020), nachdem Abdurachmanow den verstorbenen Vater von Ramsan Kadyrow, Achmad Kadyrow, als Verräter bezeichnet hatte (RFE/RL 27.2.2020). Im Februar 2020 wurde Abdurachmanow in seiner Wohnung von einem mit einem Hammer bewaffneten Mann angegriffen. Er konnte den Angreifer abwehren und hat überlebt (BBC 27.2.2020; vgl. RFE/RL 27.2.2020). Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille aufgefunden (SZ 4.2.2020; vgl. Zeit.de 5.7.2020, ÖB Moskau 6.2021). Der aus Tschetschenien stammende Imran Aliew war als Blogger unter dem Namen 'Mansur Stary' bekannt (Caucasian Knot 28.5.2020). Nach einem Bericht des kaukasischen Internetportals Caucasian Knot hatte der Blogger sich in seiner früheren Heimat unbeliebt gemacht. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert (Kleine Zeitung 3.2.2020). Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet (Kurier.at 23.7.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021). Der Mann, der sich Anzor aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen (Kurier.at 23.7.2020). Ein weiteres Beispiel ist der prominente Menschenrechtsaktivist und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien, Ojub Titiew, der nach Protesten aus dem In- und Ausland inzwischen unter Auflagen aus der Haft entlassen wurde. Er war wegen (wahrscheinlich fingierten) Drogenbesitzes im März 2019 zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Er selbst und Familienangehörige haben nach Angaben von Memorial Tschetschenien verlassen (AA 2.2.2021).

 

Ein Sicherheitsrisiko für Russland stellt die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen. Der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB informierte im Dezember 2019, dass ca. 5.500 russische Bürger sich im Ausland einer terroristischen Organisation angeschlossen und an Kriegshandlungen teilgenommen haben und dass gegenüber 4.000 in Russland eine Strafverfolgung eingeleitet wurde. Etwa 3.000 der insgesamt 5.000 Kämpfer stammten aus dem Nordkaukasus. Offiziellen russischen Vertretern zufolge kehren angesichts einer drohenden gerichtlichen Verfolgung in Russland nur wenige FTFs (foreign terrorist fighters) nach Russland zurück. Frauen und Kinder von FTFs, die keine Verbrechen begangen haben, werden von Russland zurückgeholt (v.a. Kinder), diese werden soweit möglich rehabilitiert und resozialisiert. Laut einem Bericht des Conflict Analysis & Prevention Center vom März 2020 wurde von den Tausenden Kämpfern, die aus dem Nordkaukasus nach Syrien oder in den Irak zogen, der Großteil getötet. In den letzten Jahren repatriiert Russland aktiv die Kinder und zum Teil auch die Ehefrauen dieser Kämpfer zurück nach Russland. Laut einer Pressemeldung vom August 2020 wurden bisher 122 russische Kinder aus dem Irak und 35 aus Syrien nach Russland zurückgebracht, die Rückholung weiterer Kinder ist geplant. Der Umgang mit Familienangehörigen von (ehemaligen) Kämpfern variiert von Region zu Region. Die Maßnahmen reichen von Beobachtung, über soziale Diskriminierung bis zu strafrechtlichen Verurteilungen. In Tschetschenien war es weiblichen Rückkehrern gestattet, nach Hause zurückzukehren. In Dagestan wurden Frauen – angesichts aktiver weiblicher Beteiligung im Aufstand - als Sicherheitsrisiko wahrgenommen und zu 7 – 7,5 Jahren Haft verurteilt, wobei die Haftstrafen aufgrund von Fürsorgepflichten für kleine Kinder aufgeschoben wurden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. Vor dem Verbot des sogenannten IS war die Rückkehr nach Russland einfacher (auch für Männer) und die Konsequenzen milder. Grundsätzlich werden betroffene Familienangehörige als Hochrisikogruppe betrachtet und befinden sich unter Aufsicht der Behörden. Formen der Diskriminierung sind etwa Verweigerung eines Kindergarten- oder Schulplatzes oder Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden (ÖB Moskau 6.2021).

 

Laut einem Experten für den Kaukasus kehren nur sehr wenige IS-Anhänger nach Russland zurück. Bei einer Rückkehr aus Gebieten, die unter Kontrolle des sogenannten IS stehen, werden sie strafrechtlich verfolgt. Nachdem der sogenannte IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen wurde, besteht die Möglichkeit, dass überlebende IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus kann sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben (ÖB Moskau 6.2021).

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 10.10.2022

 

Gemäß § 22 des föderalen Gesetzes 'Über die Wehrpflicht und den Militärdienst' werden alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen (RI 14.7.2022a). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB 30.6.2021). Es gibt in Russland zweimal jährlich eine Stellung. Im Frühling 2022 wurden russlandweit 134.500 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen. Ein Jahr zuvor waren 134.650 Personen eingezogen worden (Spiegel 31.3.2022). Nach der derzeitigen Gesetzeslage muss eine Einberufung dem Einzuberufenden persönlich gegen Unterschrift übergeben werden. Seit 2018 gibt es einen Gesetzesentwurf, wonach die persönliche Übernahme durch die Absendung eines eingeschriebenen Briefes ersetzt werden soll (ÖB 17.5.2022).

 

Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 21.3.2022). Frauen dürfen freiwillig Militärdienst leisten (CIA 18.8.2022). Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 25.8.2022 wird ab 1.1.2023 die russische Armee auf einen Personalstand von 2.039.758 Bediensteten aufgestockt, davon 1.150.628 Militärbedienstete und der Rest Zivilpersonal wie Verwaltungsangestellte usw. (RI 25.8.2022; vgl. ORF 25.8.2022). Im Jahr 2021 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (SIPRI o.D.). Gemäß der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (RI 4.7.2020).

 

Neben dem Grundwehrdienst gibt es die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen. Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB 30.6.2021). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. GS o.D.). Wie viele Zeit- bzw. Vertragssoldaten (Kontraktniki) es aktuell in Russland gibt, ist unklar. Für 2020 wurde deren Anzahl mit 400.000 angegeben. Damals plante man eine Aufstockung auf 500.000 Vertragssoldaten (BBC 14.4.2022). Bislang kamen als Vertragssoldaten russische Staatsbürger im Alter von 18-40 Jahren sowie Ausländer zwischen 18 und 30 Jahren infrage. Im Mai 2022 wurden diese Altersgrenzen fallengelassen (Duma 25.5.2022; vgl. NZZ 25.5.2022).

 

Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, welche ein Studium absolvieren oder einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (v. a. staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB 30.6.2021). Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. USD 25 [ca. EUR 25] pro Monat, wohingegen Vertragssoldaten ca. USD 1.100 [ca. EUR 1.094] erhalten (MT 23.5.2022). Gemäß gesetzlichen Vorgaben müssen Wehrpflichtige eine mindestens viermonatige Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen entsandt werden zu können (ISW 5.3.2022). Jedoch im Falle der Ausrufung des Kriegsrechts oder einer Generalmobilmachung könnten Neueinberufene oder mobilisierte Reservisten sofort zum Einsatz kommen (ISW 5.3.2022; vgl. EUAA 5.4.2022).

 

Präsident Wladimir Putin verkündete mit 21.9.2022 eine Teilmobilmachung (RI 21.9.2022). Nach Angaben von Verteidigungsminister Schojgu werden im Rahmen der Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einberufen (RG 21.9.2022). Reservisten dürfen ihren Wohnort nicht mehr verlassen (Standard 22.9.2022; vgl. Kremlin.ru 14.7.2022). Gemäß dem präsidentiellen Erlass (Ukas) vom 21.9.2022 werden mobilisierte Staatsbürger Vertragssoldaten gleichgestellt, auch hinsichtlich der Besoldung. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einberufenen Staatsbürger. [Anzumerken ist auch, dass der Punkt 7 des Erlasses nicht veröffentlicht wurde und dem 'Dienstgebrauch' dient. Sein Inhalt ist unbekannt. - Anm. der Staatendokumentation] Die Umsetzung der Mobilmachung obliegt den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung sind gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden, Personen, welche rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden (RI 21.9.2022), außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Kommersant 23.9.2022). Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, welche im Verteidigungsindustriesektor arbeiten (RI 21.9.2022), und für Studierende (Kremlin.ru 24.9.2022). Folgende Personengruppen sind ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen: Pflegende Angehörige; Betreuer von Personen mit bestimmten Beeinträchtigungen; kinderreiche Familien (mindestens vier Kinder unter 16); Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben; pensionierte Veteranen, welche nicht mehr im Militärregister aufscheinen; und Personen, welche nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen (Meduza 22.9.2022). Der Kreml räumt Fehler bei der bisherigen Umsetzung der Teilmobilmachung ein. So wurden Personen einberufen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen sind, beispielsweise Krebskranke und Studierende (Kommersant 26.9.2022). Die Teilmobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (OWD-Info o.D.; vgl. Standard 22.9.2022) sowie zu einer Ausreisebewegung. Es wird berichtet, dass seit Verkündung der Teilmobilmachung zehntausende Männer Russland verlassen haben (WP 28.9.2022).

 

Es existieren widersprüchliche Aussagen hinsichtlich der Anzahl der russischen Wehrpflichtigen, welche in der Ukraine an Kampfhandlungen teilnehmen (ÖB 17.5.2022; vgl. CPTI 5.2022). Die russische Regierung hat die Entsendung Wehrpflichtiger zu Kampfeinsätzen in der Ukraine geleugnet. Es standen Behauptungen im Raum, einige Wehrpflichtige seien durch Unterzeichnung von Militärverträgen zur Teilnahme an Kampfeinsätzen gezwungen worden. Der Kreml gab später den Einsatz Wehrpflichtiger zu (EUAA 5.4.2022). Gemäß Berichten werden Wehrpflichtige unter Druck gesetzt, ihre Dienstzeit durch Freiwilligenverträge zu verlängern (RFE/RL 14.7.2022). In Tschetschenien laufen Rekrutierungskampagnen für den Ukraine-Krieg, und das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow droht Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KK 17.7.2022). Zu den Kämpfern in der Ukraine zählt die russische Söldner-Gruppe 'Wagner' (Deutschlandfunk 27.7.2022). Auch syrische Söldner wurden zur Unterstützung Russlands für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat 22.7.2022). Der Kriegs- und Ausnahmezustand wird durch präsidentiellen Erlass (Ukas) verhängt, was vom Föderationsrat bestätigt werden muss (RI 4.7.2020). Das Kriegsrecht wurde bislang nicht verhängt (Tass 21.9.2022).

 

Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 12.4.2022). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. Auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') – ein System der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen sich ausgeliefert fühlender Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und kein Ausgang bzw. kaum Urlaub - dürfte eine maßgebliche Ursache sein (AA 28.9.2022). Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008–2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, ist die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich gesunken. Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen dennoch von hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt oder geduldet (ÖB 30.6.2021). Gemäß einer Liste, welche der Föderale Sicherheitsdienst (FSB) im September 2021 veröffentlichte, werden Personen, die auf Straftaten in der Armee aufmerksam machen, als 'ausländische Agenten' eingestuft (AI 29.3.2022). Die Diskreditierung der Armee ist gemäß § 280.3 des Strafgesetzbuches strafbar (RI 25.3.2022). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie übliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).

 

Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB 30.6.2021).

 

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 02.03.2022

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 1.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 2.2.2021):

 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

 Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

 Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

 Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

 Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)

 Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).

 

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlugen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 2.2.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 6.2021).

 

Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikane bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.4.2020; vgl. ÖB Moskau 6.2021).

 

Einerseits wird in Russland soziales Engagement und freiwillige soziale Arbeit (etwa auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie) begrüßt und unterstützt. Sogenannte 'Bürgerkammern' sollen als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat dienen. Andererseits wurde der Freiraum für eine kritische Zivilgesellschaft seit den Protesten 2011/2012 immer weiter eingeschränkt. Im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet. Kritische inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2021) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 6.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2022). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 2.2.2021).

 

Rassismus und Xenophobie richten sich in Russland traditionell vor allem gegen Migranten aus Zentralasien, Personen aus dem Kaukasus und vermehrt auch gegen dunkelhäutige Personen. Weitere Opfer von Hassverbrechen sind ideologische Gegner (Angriffe v.a. der nationalistischen Gruppierung SERB), LGBTIQ-Personen und Obdachlose. Die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren ist gesunken, und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen sind beträchtlich zurückgegangen. Anti-LGBTIQ-Rhetorik ist nunmehr eine der am weitesten verbreiteten Formen von Hassreden. Der Islam wird häufig mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die häufigsten Opfer rassistischer Gewalt sind Zentralasiaten, andere 'nicht-slawisch' aussehende Personen, Roma und dunkelhäutige Personen. Die Zahl der Opfer bei Hassverbrechen ist zwar klar geringer als noch vor 10 Jahren, dennoch aber nicht unbedeutend. Keinen Rückgang gab es bei Angriffen gegen Mitglieder oppositioneller Gruppierungen (ÖB Moskau 6.2021).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 2.2.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019).

 

Tschetschenien

Letzte Änderung: 02.03.2022

 

NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren (ÖB Moskau 6.2021). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppen mit einem Fadenkreuz überzogen und auf Instagram veröffentlicht, teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie Feinde des tschetschenischen Volkes seien, oder er ruft ganz unverhohlen dazu auf, sie umzubringen. Nach einem kritischen Artikel über mangelnde Hygiene-Vorkehrungen gegen COVID-19 drohte Kadyrow der Journalistin Jelena Milaschina öffentlich (AA 2.2.2021).

 

Tendenzen zur verstärkten Verwendung von Scharia-Recht haben in den letzten Jahren zugenommen. Es herrscht ein Rechtspluralismus aus russischem Recht, traditionellem Gewohnheitsrecht (adat) einschließlich der Tradition der Blutrache und Scharia-Recht. Hinzu kommt ein Geflecht an Loyalitäten, das den Einzelnen bindet. Nach Ansicht von Kadyrow stehen Scharia und traditionelle Werte über den russischen Gesetzen. Nach wie vor gibt es Clans, welche Blutrache praktizieren (AA 2.2.2021). Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen (ÖB Moskau 6.2021; vgl. BAMF 11.2019).

 

2017 und laut der NGO LGBTI Network in geringem Ausmaß bis 2019 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 2.2.2021; vgl. ÖB Moskau 6.2021, HRW 17.1.2019). Es gibt Berichte über Personen, die nach Folterungen gestorben sind [vgl. Kapitel Sexuelle Minderheiten] (FH 3.3.2021). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angeblichen außergerichtlichen Tötungen von 27 Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Im März 2018 entschied das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation, kein Strafverfahren in der Sache zu eröffnen. Die russische Menschenrechtsombudsperson wurde Berichten zufolge bei der Untersuchung dieser Vorgänge in Tschetschenien bewusst getäuscht. Im März 2021 publizierte die Nowaja Gazeta die Aussagen eines tschetschenischen Polizisten, welcher Augenzeuge der Festnahmen und außergerichtlichen Tötungen war (ÖB Moskau 6.2021).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Caucasian Knot, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von der unabhängigen Tageszeitung Nowaja Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen homosexuelle Männer berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Nowaja Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht (AI 22.2.2018). Schikanen, Strafverfahren und körperliche Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger werden weiterhin begangen (AI 7.4.2021). Im Februar 2020 wurden die bekannte Journalistin der Nowaja Gazeta, Jelena Milaschina, und eine Menschenrechtsanwältin angegriffen und mit Schlägen traktiert. Die Nowaja Gazeta verlangte eine Entschuldigung des Republiksoberhauptes von Tschetschenien. Die Union der russischen Journalisten und das Helsinki Komitee verurteilten diesen Vorfall aufs Schärfste. Auch die OSZE und die russische Menschenrechtsorganisation Komitee gegen Folter verlangen von den russischen Behörden eine Aufklärung des Vorfalls (Moscow Times 7.2.2020). In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten (ÖB Moskau 6.2020). [Bezüglich Morde bzw. Vorfälle gegen tschetschenische Kritiker in Europa und Russland siehe Kapitel Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein].

 

Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 2.2.2021).

 

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 13.09.2022

 

Wirtschaft:

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu verschärften Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten in der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl und raffinierte Erdölerzeugnisse (Rat 16.8.2022). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem u. a. die USA, Kanada, Großbritannien, Japan (WZ 27.6.2022) und die Schweiz (SW 3.8.2022). Die wirtschaftliche Entwicklung ist durch die Sanktionen des Westens beeinträchtigt (WIIW o.D.). Die Sanktionen haben zu einem Braindrain und einer Kapitalflucht geführt (HF o.D.). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland ist derzeit schwierig (NDR/Tagesschau.de 2.8.2022).

 

Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Diensts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 % gesunken (Reuters 12.8.2022; vgl. FAZ 28.7.2022). Die Inflation betrug im August 2022 15 % (Interfax 10.8.2022). Der Rubel wurde durch Maßnahmen der Zentralbank (Erhöhung der Zinssätze usw.) stabilisiert (FT 19.8.2022; vgl. WIIW o.D.). Der Finanzsektor wird von staatlich kontrollierten Banken beherrscht (HF o.D.).

 

Korruption ist weit verbreitet (BS 2022; vgl. HF o.D.). Eine Herausforderung für den Staat stellt die Schattenwirtschaft dar (BS 2022). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im Juni 2022 3,9 % (Rosstat o.D.; vgl. Tass 27.7.2022). Russland zählt zu den weltweit größten Weizenexporteuren (WZ 9.6.2022). Die Wirtschaft ist wenig diversifiziert (BS 2022) und stark von Öl- und Gasexporten abhängig (HF o.D.). Exporte von Öl und Gas machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus (WKO 4.2022). Im Jahr 2022 ist der Ölpreis infolge der russischen Invasion in der Ukraine stark gestiegen (HB 7.7.2022). Es gelten Exportbeschränkungen für Holzwaren und Agrarprodukte (WKO 4.2022). Um die sinkenden Exporte in die Europäische Union auszugleichen, handelt Russland verstärkt mit China, Indien und der Türkei (FT 19.8.2022).

 

Die meisten Hilfsprogramme zur Bekämpfung der Folgen der COVID-Pandemie sind Ende 2020 ausgelaufen (WKO 25.7.2022). Laut einem Bericht der Menschenrechts-Ombudsperson haben 4,5 Millionen kleine und mittlere Unternehmen während der Pandemie aufgehört zu existieren (ÖB 30.6.2021).

 

Grundversorgung:

Die Anzahl derjenigen Russen, welche in Armut leben, stieg gemäß der russischen Regierung zwischen dem vierten Quartal 2021 und dem ersten Quartal 2022 um 8,5 Millionen (ERev 3.7.2022). Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Russen unter der Armutsgrenze 11 % (Rosstat 27.4.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (v. a. Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen 21.2.2020a).

 

Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Im Jahr 2021 wurden mehr als 450 Trinkwasserversorgungseinrichtungen und Wasseraufbereitungsanlagen errichtet und modernisiert. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Bürger, welche mit hochwertigem Trinkwasser versorgt werden, auf 86 % (NP o.D.). Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2020 (aktuellste verfügbare Daten) 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 21.5.2021). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 7.2022).

 

Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 7.2022). Der Mindestlohn darf das Existenzminimum nicht unterschreiten (Ria.ru 27.6.2022). Das Existenzminimum wird per Verordnung bestimmt (AA 21.5.2021). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 15.172 [ca. EUR 251], für Kinder RUB 13.501 [ca. EUR 223] und für Pensionisten RUB 11.970 [ca. EUR 198] (Rosstat 22.6.2022). Der Mindestlohn beträgt seit 1.6.2022 RUB 15.279 [ca. EUR 251] und kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein. In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 23.508 [ca. EUR 386] (Ria.ru 27.6.2022). Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen (AA 21.5.2021). Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit mehreren Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung wird vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20 % für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen verstärkt (AA 21.5.2021).

 

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 13.09.2022

 

Die sozialwirtschaftlichen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, darunter der Nordkaukasus, ist von Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2022). Im Vergleich zu den meisten anderen Regionen Russlands weist der Nordkaukasus eine hohe Armutsrate (BP 3.9.2021) und eine sehr hohe Arbeitslosigkeit auf (ÖB 30.6.2021). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen 21.2.2020a). Bei einer Sitzung der Regierungskommission zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 wurde ausgeführt, dass in etwa die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung der Region im informellen Sektor beschäftigt ist (Government.ru 15.6.2021). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2022). Im Jahr 2020 zählten Dagestan, Tschetschenien sowie andere nordkaukasische Regionen zu denjenigen russischen Regionen mit dem niedrigsten Bruttoregionalprodukt (Statista 3.2022).

 

Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (BP 3.9.2021). Dennoch ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben (AA 21.5.2021). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig. Mehr als 80 % des Budgets stammen aus Zuwendungen (ORF 30.3.2022). Die Reallöhne der tschetschenischen Bevölkerung sind im Jahr 2021 um beinahe 5 % gesunken. Am besten bezahlt werden Beamte und Mitarbeiter im Finanzbereich (KR 29.8.2022). Im Juni 2022 betrug das Existenzminimum in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung pro Kopf RUB 14.565 [ca. EUR 241], für Kinder RUB 12.962 [ca. EUR 214] und für Pensionisten RUB 11.492 [ca. EUR 190] (Rosstat 22.6.2022). Im Jahr 2021 lebten 19,9 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 27.4.2022).

 

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung: 16.11.2021

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an (IOM 2020). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.6.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 1.2021c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 1.2021c).

 

Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 2.2.2021).

 

Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht notwendig. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2020). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.2.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 2.2.2021).

 

Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie ältere Menschen (IOM 2020). Das von EASO betriebene europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);

 Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);

 Familien mit geringem Einkommen;

 Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.2.2020a).

 

Familienbeihilfe

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2020). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.2.2020a).

 

Arbeitslosenunterstützung

Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert (IOM 2020). Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 €) (IOM 2020; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Außerdem darf die Person nicht in eine andere Region ziehen. Sollte die Person Fortbildungen zur Selbstständigkeit besuchen oder eine Rente beziehen, ist die Person von diesen Vorteilen ausgeschlossen. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2020).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen

Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Personen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2020).

 

Rückkehr

Letzte Änderung: 29.08.2022

 

Gemäß der Verfassung und gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (RI 4.7.2020; vgl. RI 14.7.2022, ÖB 4.4.2022). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente, wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2021). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB 30.6.2021; vgl. EUR-Lex 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB 30.6.2021).

 

Rückkehrende haben wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Im Allgemeinen stehen Rückkehrer, insbesondere im Nordkaukasus, vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Auch gibt es bürokratische Schwierigkeiten, beispielsweise bei der Beschaffung von Dokumenten. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB 30.6.2021).

 

Nach Einschätzung eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB 30.6.2021; vgl. AA 21.5.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2021). Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 21.5.2021).

 

Kurzinformation der Staatendokumentation: Update zu den wichtigsten Ereignissen in der Russischen Föderation aufgrund des Angriffes auf die Ukraine:

Am 23. Februar 2022 hat sich der Rat der Europäischen Union auf ein erstes Sanktionspaket als Reaktion auf die Anerkennung der Unabhängigkeit der von der Ukraine abtrünnigen selbsternannten „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“ durch Russland geeinigt. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden Sanktionen gegen bestimmte russische Personen und Organisationen erlassen, ein Verbot von Transaktionen mit der russischen Zentralbank, Luftraumsperren für russische Luftfahrtunternehmen [Details siehe weiter unten] (Rat der EU 3.3.2022) und der Ausschluss von russischen Banken aus dem internationalen Finanz-Kommunikationssystem Swift. Zudem dürfen mit etlichen russischen Bankhäusern keine Geschäfte mehr gemacht werden, und ihre Vermögen werden eingefroren. Die EU verbietet weiters den Verkauf, die Lieferung, die Weitergabe oder die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien in die Russische Föderation, u.a. Technologie für die Ölveredelung, Mikroprozessoren, etc.). Die russischen Staatsmedien RT und Sputnik werden in der EU verboten, um die "giftige und schädliche Desinformationen in Europa" zu untersagen (ZDF 28.2.2022).

 

Der Luftraum über allen EU-Staaten ist für russische Flugzeuge komplett gesperrt. Auch Kanada, Großbritannien, Norwegen, Nordmazedonien und Island haben sich der Luftraumsperre angeschlossen. Die Verbote gelten für alle in Russland registrierten und von Russland kontrollierten Flugzeuge, auch für Privatjets. Ausgenommen sind Flüge zu humanitären Zwecken, und das nur nach einer Genehmigung der Regierung (ORF.at 28.2.2022a). Auch die USA haben am 3.3.2022 ihren Luftraum für alle Flugzeuge, die sich im Besitz eines russischen Staatsbürgers befinden oder die von einem Russen geleast, gechartert oder betrieben werden, gesperrt (Handelsblatt 3.3.2022). Als Reaktion auf die Luftraumsperren dürfen künftig Flugzeuge aus 36 Staaten nicht mehr über Russland fliegen. Unter diesen Staaten befindet sich auch Österreich (ORF.at 28.2.2022b) [Anm. der Staatendokumentation: Zum Zeitpunkt der Erstellung der Kurzinformation steht Reaktion Russlands zur amerikanischen Luftraumsperre noch aus.]

 

Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hat verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu nutzen (Tagesspiegel 2.3.2022). Derartige Begriffe sollen aus den Berichten gelöscht werden, ebenso wie alle Hinweise auf von den russischen Streitkräften in der Ukraine getötete Zivilisten (Arte.tv 26.2.2022). Der kritische Internetsender Doschd und der Radiosender Echo Moskwy wurden von russischen Behörden gesperrt. Der Generalstaatsanwalt gab an, die beiden Sender würden "absichtlich falsche Informationen" über den russischen Einmarsch in die Ukraine verbreiten. Nach zahlreichen Drohungen haben der Chefredakteur von Doschd und weitere fünf führende Redaktionsmitglieder Russland verlassen (Zeit Online 2.3.2022).

 

Der Krieg in der Ukraine löste zahlreiche Demonstrationen in Russlands Städten aus (FR 2.3.2022). Mit Stand 2.3.2022 sollen schon über 7.000 Demonstranten festgenommen worden sein, angeblich waren darunter auch Kinder in Begleitung ihrer Mütter (T-Online 2.3.2022). Die meisten Demonstranten wurden in Moskau festgenommen (FR 2.3.2022). Die russischen Sicherheitskräfte gehen vielerorts brutal gegen Demonstranten vor (Tagesschau 28.2.2022). Auch der inhaftierte Kremlkritiker Alexej Nawalny hat die Russen zu Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine aufgerufen (Tagesspiegel 2.3.2022).

 

Im Krieg in der Ukraine sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau bisher 498 russische Soldaten getötet worden. Zudem seien 1.597 Soldaten verletzt worden, teilte das Ministerium mit. Die Ukraine sprach zuletzt von rund 7.000 getöteten russischen Soldaten. Russland weist diese Zahl als falsch zurück. Auf ukrainischer Seite soll es laut offiziellen russischen Zahlen bislang 2.870 getötete "Soldaten und Nationalisten" sowie etwa 3.700 verletzte Menschen geben. Das russische Verteidigungsministerium erklärte außerdem, dass weder Wehrpflichtige noch Kadetten an der Operation in der Ukraine beteiligt seien und wies damit entsprechende Medienberichte zurück (Tagesschau 3.3.2022).

 

Auch Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow muss erstmals Tote melden. Laut Kadyrow seien zwei tschetschenische Kämpfer getötet und sechs weitere verletzt worden. Ob und in welcher Truppenstärke Tschetschenen im Ukrainekrieg mitkämpfen, ist unklar (Spiegel 1.3.2022). Kadyrow erwähnte, dass bis zu 70.000 Freiwillige bereit stünden (BZ 28.2.2022). Der Einsatz von tschetschenischen Eliteeinheiten in der Ukraine wird von einigen Beobachtern als eine Art „psychologische Kriegsführung“ Russlands gewertet. Die tschetschenischen Kämpfer sind für ihre Brutalität berüchtigt und sollen wohl Angst in der ukrainischen Bevölkerung wecken. Das Bild des brutalen Tschetschenen ist ein gern gepflegtes Klischee nicht nur in Tschetschenien sondern auch von Russland selbst (Tagesspiegel 1.3.2022). [Anmerkung: Informationen zur Anzahl von Tschetschenen auf russischer Seite sind nicht verifizierbar].

 

Laut eines Berichts des Nachrichtenportals Moscow Times steigt die Zahl der Menschen, die Russland verlassen wollen, deutlich an. Doch vor allem Männer mit russischem Pass müssen dazu offenbar weitere Kontrollen über sich ergehen lassen. Wie die Moscow Times und das russischsprachige Portal MediaZona berichten, wurden etliche Personen an russischen Flughäfen aufgehalten und ihnen die Ausreise verweigert. Die Männer seien abgeführt und anschließend vom russischen Geheimdienst FSB verhört worden. Ein Mann berichtete, dass die Geheimdienstler dabei grob vorgegangen seien. Er soll als Anarchist und Landesverräter bezeichnet worden sein und dass er in die Ukraine müsste, um dort zu kämpfen (FR 3.3.2022)

 

2. Beweiswürdigung

 

Der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers konnten aufgrund fehlender unbedenklicher Personaldokumente nicht festgestellt werden. Die im Spruch angeführten Personendaten beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in seinen Verfahren und der Kopie einer Geburtsurkunde. Sie gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Ethnie gründen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers.

 

Die Feststellungen zu den Schulbesuchszeiten des Beschwerdeführers in Tschetschenien und in Österreich sowie dass der Beschwerdeführer über keinen österreichischen Schulabschluss verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen Angaben vor der belangten Behörde, weshalb auch die Feststellung zu treffen war, dass er arbeitsfähig ist.

 

Die getroffenen Feststellungen rund um die bereits geführten Verfahren in Österreich ergeben sich aus der Aktenlage. Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründen stützen sich auf seine Angaben in den Asylverfahren sowie dem gegenständlichen Verfahren. Dass der Beschwerdeführer im Kern dieselben Asylgründe wie im ersten Verfahren auch im gegenständlichen Verfahren vorbringt, ist aus seinen Ausführungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Behörde zweifelsfrei ersichtlich. Der Beschwerdeführer gab an, dass die Fluchtgründe aus den vorgegangenen – bereits rechtskräftig abgeschlossenen – Verfahren weiterhin aufrecht seien. Damit steht fest, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich keinen geänderten Sachverhalt behauptete.

 

Hinsichtlich der vorgebrachten Verfolgungsgefahr durch die tschetschenischen Behörden, wonach diese annehmen würden, dass der Beschwerdeführer in Syrien für den IS kämpft oder gekämpft hat, ist auszuführen, dass diese Angaben äußerst vage waren und es sich dabei nur um Vermutungen des Beschwerdeführers handelt.

 

Dass der Cousin wegen seiner Teilnahme am IS von Interpol gesucht wird, ergibt sich aus der vom BFA auf Anfrage vorgelegten Fahndungsausschreibung vom XXXX . Daraus ergibt sich aber auch, dass der Cousin 2015 von Russland aus nach Syrien gegangen ist. Die Behauptung des Beschwerdeführers, der in Österreich aufenthaltsberechtigte Cousin sei 2013 mit seiner Familie aus Österreich nach Syrien gegangen, findet darin keine Deckung. Auch ergibt sich daraus nicht, dass der Beschwerdeführer von den russischen Behörden gesucht wird.

 

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft darlegen, weshalb er davon ausgeht. Auch ergab sich in diesen Ausführungen ein Widerspruch, zumal er in der Erstbefragung angegeben hat, dass er dies von der Schwester des Cousins wisse und vor der belangten Behörde dazu ausführte, dass ihm dies ein Freund des Verwandten mitgeteilt habe. Nicht plausibel ist, dass der Beschwerdeführer diese Verfolgungsgründe, welche ihm seinen Schilderungen nach bereits seit Jahren bekannt seien erstmals im Jahr 2021 vorbringt. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, hätte er tatsächlich bereits 2015 davon gewusst, dass er von tschetschenischen Behörden gesucht werde, unverzüglich einen neuen Asylantrag stellt und alles unternimmt, um einen Schutzstatus im Bundesgebiet zu erlangen. Auch zeigte der Beschwerdeführer nicht substantiiert auf, weshalb er von den tschetschenischen Behörden gesucht werde. Dass er bloß aufgrund des Umstandes, dass ein Verwandter von ihm in Syrien gekämpft hat, verdächtigt wird, ebenfalls in Syrien gekämpft zu haben und daher gesucht zu werden, ist mangels einer Begründung nicht nachvollziehbar.

 

Weiters hat der Beschwerdeführer angegeben, dass er von tschetschenischen Behörden kontaktiert worden sei, um seinen Aufenthalt in Österreich zu beweisen. Unter der Annahme der Behauptung des Beschwerdeführers, dass er den Behörden per Videotelefonie seinen Aufenthalt in Österreich nachgewiesen hat, ist es nicht plausibel, weshalb diese nach wie vor davon ausgehen sollten, dass sich der Beschwerdeführer in Syrien aufhält. Festzuhalten ist, dass es auch nicht plausibel ist, dass die tschetschenischen Behörden den Beschwerdeführer per Videotelefonie anrufen und sich seinen Aufenthalt zeigen lassen. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer diese Behauptung auch nicht nachweisen oder glaubhaft darlegen, da er die Telefonnummer der Behörden nicht mehr habe. Auch in diesem Zusammenhang ist es nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer, der bereits im Jahr 2018 von den tschetschenischen Behörden kontaktiert worden sei, dies erst rund drei Jahre später vorbringt, sondern wäre zu erwarten gewesen, dass er dies bereits unmittelbar nach der Kontaktaufnahme durch die tschetschenischen Behörden im Wege eines Asylantrages den österreichischen Behörden kundtut. Der Beschwerdeführer konnte auch keinen Nachweis darüber bringen, dass er einen solchen Anruf tatsächlich erhalten hat, sondern rechtfertigte sich damit, dass er eine neue Rufnummer habe. Dem Beschwerdeführer hätte aus den vorausgegangenen Asylverfahren bewusst sein müssen, dass es in einem etwaigen neuen Asylverfahren von Bedeutung sein kann, seine Angaben auf eine geeignete Art und Weise nachzuweisen bzw zu untermauern. Im gegenständlichen Fall wäre ein solches Mittel ein Bildschirmfoto seines Mobiltelefons gewesen, welches den Anruf einer solchen Nummer dokumentiert. Ein solches Bild hätte er auch dann weiterhin zu Verfügung gehabt, wenn er die Telefonnummer oder sogar das gesamte Mobiltelefon tauscht. Unter dem Blickwinkel, dass der Beschwerdeführer bereits zwei Asylverfahren angestrengt hat und ihm daher die Bedeutung eines Mittels, welches seine Angaben bekräftigt, bekannt gewesen sein muss, in Zusammenschau damit, dass er eine Verfolgung aus diesen Anrufen fürchtet, ist es nicht nachvollziehbar und nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer den Anruf nicht mittels geeigneter Mittel, etwa einem Bildschirmfoto, gesichert hat. Abgesehen von der Beweiskraft erscheint es auch nicht lebensnah solch eine Nummer nicht zu behalten, um bei einem weiteren Anruf auf den Inhalt des Gesprächs bereits vorbereitet zu sein.

Wie der Beschwerdeführer in der Verhandlung behauptete, sei er alle 2 bis 3 Monate angerufen worden. Von aktuellen Anrufen ist im Vorbringen des Beschwerdeführers keine Rede mehr.

 

Darüber hinaus ergibt sich aus diesem Vorbringen auch ein gravierender Widerspruch zum angeblichen Anrufer namens XXXX .

Vor dem BFA behauptete der Beschwerdeführer:

„LA: Wer hat Sie darüber unterrichtet, dass die tschetschenischen Behörden glauben, dass

Sie ebenfalls nach Syrien gereist wären?

VP: In unserem Dorf gibt es zwei Männer mit den Namen XXXX und XXXX . Wir sind alle

zusammen aufgewachsen. XXXX hat mich angerufen und erzählt, dass Gerüchte

existieren, dass ich gemeinsam mit dem XXXX nach Syrien gereist bin und er hat

gefragt, ob dies wahr ist oder nicht. Der XXXX und auch der XXXX sind keine Polizisten.

LA: Kennen Sie nicht den genauen Namen dieser zwei Männer?

VP: (denkt mehre Sekunden nach) Zu 100% kann ich es nicht sagen, aber ich denke, das

XXXX mit dem Vornamen XXXX heißt. Den Vornamen vom XXXX weiß ich leider

nicht. Beide sind ca. 5-6 Jahre älter als ich.“

 

Anlässlich der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der Beschwerdeführer an:

„RI: Angeblich wurden Sie von den tschetschenischen Behörden angerufen. Die wussten ja, dass Sie in Österreich sind und nicht in Syrien.

BF: Ein gewisser XXXX aus unserem Dorf, er ist ein Teil dieser Kadyrow Struktur, er ist ein Anhänger, der hat mich angerufen und mich bedroht. Er behauptete, dass ich dageblieben bin, in der Annahme, dass ich genauso wie XXXX oft nach Syrien gefahren bin und wieder zurück nach Österreich gekommen bin. Ich musste sogar beweisen, ich musste die Kamera einschalten, ich musste zeigen, dass ich mich in Österreich und nicht in Syrien befinde. Alle 2 – 3 Monate musste ich es ihm beweisen. Er hat mir nicht geglaubt.“

 

War der Anrufer also vor der BFA noch eine Privatperson und kein Polizist, so ist er vor Gericht „Teil dieser Kadyrow Struktur“. Ein solch eklatanter Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers lässt also nur den Schluss zu, dass das Vorbringen der Verfolgung des Beschwerdeführers als IS Sympathisant nicht den Tatsachen entsprechen kann. Es enthält keinen glaubhaften Kern und es liegt daher kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vor.

 

Die in der Beschwerde erstmals vorgebrachte Gefahr einer Zwangsrekrutierung aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine deckt sich nicht mit den Länderberichten. Zwar ergibt sich aus Medienberichten, dass tschetschenische Gruppen in der Ukraine kämpfen. Dass es jedoch zu Zwangsrekrutierungen kommt und wehrfähige junge tschetschenische Männer rekrutiert und anschließend in den Krieg in die Ukraine geschickt werden, ergibt sich nicht aus den Länderberichten. Darüber hinaus beschränken sich die Kampfhandlungen in Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine derzeit auf das Gebiet der Ukraine, weshalb auch in diesem Kontext kein Rückkehrhindernis erkennbar ist. (vgl. VwGh E 21.12.2022, Ra 2022/19/0309)

 

Die Feststellungen zur Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers und zu seinen vorläufigen Aufenthaltsrechten/faktischen Abschiebeschutz bzw. illegalen Aufenthalten im Bundesgebiet und zu gegen ihn erlassenen Ausreise- bzw. Rückkehrverpflichtungen ergeben sich unstrittig aus der Aktenlage.

 

Die Feststellungen zu den Wohnsitz-Meldungen und den Zeiten ohne polizeilichen Meldungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einem aktuellen ZMR-Auszug. Die Angaben der Lebensgefährtin in der Verhandlung, wonach der Beschwerdeführer seit 2019 bei ihr lebe, ist angesichts seiner ersten Anmeldung an ihrer Adresse am 08.09.2021 nicht plausibel. Ob sich der Beschwerdeführer jemals bzw. aktuell an der Adresse der Lebensgefährtin aufhält, erscheint fraglich, da der Beschwerdeführer aufgrund zweier Aufenthaltsermittlungen von der Staatsanwaltschaft XXXX gesucht wird und laut Abschluss-Bericht des LKA XXXX vom 23.06.2022 die durchgeführten Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer bis dato alle negativ verlaufen seien. Er habe an der gemeldeten Adresse nicht angetroffen bzw. wahrgenommen werden können.

 

Die Feststellungen zu den Aufenthaltsermittlungen und Verfahren gegen den Beschwerdeführer ergeben sich aus dem Akteninhalt in Zusammenhang mit diesbezüglichen Anfragen des Bundesverwaltungsgerichts an die zuständige Polizeidienststelle und Staatsanwaltschaft.

 

Die Feststellungen zur in Österreich aufhältigen Lebensgefährtin und zum Sohn des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben, der Zeugenaussage der Lebensgefährtin, IZR und ZMR-Auszügen. Die Feststellung zur islamischen Eheschließung ergibt sich aus der Urkunde des Islamischen Zentrums XXXX .

 

Eine besondere Nahebeziehung oder ein Abhängigkeitsverhältnis zu anderen in Österreich dauerhaft aufhältigen Personen wurden im Verfahren nicht behauptet.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Deutsch spricht, ergibt sich aus der Verhandlung und dem vorgelegten Sprachprüfungszeugnis A2 vom 22.12.2022.

 

Die Feststellungen zur bisher mangelnden Erwerbstätigkeit und dem fehlenden Versicherungsschutz des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie dass er keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergeben sich aus einem AJ Web- und GVS Auszug.

 

Die Feststellung zur bedingten Einstellungszusage ergibt sich aus dieser; dass die angeführte Firma eine Personalleasingfirma ist, ergibt sich aus deren Homepage.

 

Dem vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vorgelegten und an das AMS gerichtete Schreiben vom 28.11.2022 – somit 18 Tage nach der Verhandlung abgefertigt – als „Einstellungszusage“ tituliert, kann das erkennende Gericht keine Relevanz zumessen und handelt es sich hierbei um ein Gefälligkeitsschreiben. Laut ständiger Judikatur des VwGH muss eine Einstellungsbestätigung bzw. eine Einstellungszusage zum Zwecke des Nachweises ausreichend vorhandener Finanzmittel im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG jedoch glaubwürdig und ausreichend konkret sein, was bei der gegenständlichen Bestätigung beides nicht der Fall ist. Dies deshalb, weil - wie bei arbeitsrechtlichen Vorverträgen - auch bei „Einstellungszusagen“ Formerfordernisse zu beachten sind, die einen direkten Einfluss auf die Verbindlichkeit derselben haben.

Wie arbeitsrechtliche Vorverträge müssen auch „Einstellungszusagen“ zumindest den Arbeitgeber unwiderruflich binden. Obzwar Optionen, wie Einstellungszusagen, im ABGB nicht geregelt sind, werden die Bestimmungen des § 936 ABGB über Vorverträge auch auf Optionen angewendet.

Das bedeutet, dass auch Einstellungszusagen schon wesentliche Punkte eines Arbeitsvertrages zu enthalten haben. Sollte daher eine „Einstellungszusage“ als tragfähige Grundlage für das Vorliegen (künftiger) notwendiger Unterhaltsmittel herangezogen werden, so hat laut Judikatur des VwGH eine Einstellungszusage, ebenso wie arbeitsrechtliche Vorverträge, zumindest zwei inhaltliche Kriterien – neben der Anführung der Vertragspartner – zu erfüllen:

1. Inhaltliche Bestimmtheit (Art der Beschäftigung, Höhe des Bruttolohnes, Anzahl der Wochenstunden, Sozialversicherung, Arbeitszeit, Dauer der geplanten Beschäftigung) und

2. Zeitbestimmung.

 

Der vorgelegten Einstellungszusage einer Personalleasingfirma mangelt es an allen wesentlichen Inhalten, wie der Zusicherung bzw. Spezifizierung einer sozialversicherungsrechtlichen Anmeldung, der konkreten Arbeitszeitaufteilung, eines zur Anwendung kommenden Kollektivvertrages und der Dauer der geplanten Beschäftigung, sodass sie inhaltlich nicht ausreichend bestimmt und sohin nicht effektuierbar ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein reines Gefälligkeitsschreiben, welches nicht geeignet ist eine positive Zukunftsprognose zu stützen.

 

Die Feststellungen zu den sonstigen sozialen Kontakten sowie jene, dass der Beschwerdeführer keinen ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgeht, stützt sich auf das mangelnde Vorbringen des Beschwerdeführers diesbezüglich und darauf, dass keine solchen im Verfahren hervorgekommen sind.

 

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit konnte nach der Einsichtnahme in das Strafregister getroffen werden.

 

Die Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation ergeben sich aus den zitierten Quellen. Sie gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu Spruchteil A)

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber der Vorentscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN).

 

Infolge des in § 17 VwGVG normierten Ausschlusses der Anwendbarkeit des 4. Hauptstücks des AVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, welcher auch die in § 68 Abs. 1 AVG normierte Zurückweisung wegen entschiedener Sache umfasst, kommt eine unmittelbare Zurückweisung einer Angelegenheit aufgrund der genannten Bestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Davon unberührt bleibt, dass das Verwaltungsgericht im Verfahren über Bescheidbeschwerden zur Überprüfung der rechtmäßigen Anwendung von § 68 AVG in Bescheiden durch die Verwaltungsbehörde berufen ist (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K10.; vgl. auch VfSlg. 19.882/2014). Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit zunächst die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht die neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

Bei einer Überprüfung einer gemäß § 68 Abs. 1 AVG bescheidmäßig abgesprochenen Zurückweisung eines Asylantrages hat es lediglich darauf anzukommen, ob sich die Zurückweisung auf ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage stützen dürfte. Dabei hat die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausschließlich anhand jener Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht worden sind. Derartige Gründe können im Rechtsmittelverfahren nicht neu geltend gemacht werden (s. zB VwSlg. 5642A; VwGH 23.05.1995, 94/04/0081; zur Frage der Änderung der Rechtslage während des anhängigen Berufungsverfahrens s. VwSlg. 12799 A). Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

 

Hier ist vor allem auf die aktuelle Judikatur des VwGH vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, hinzuweisen, in welcher dargelegt wurde, dass eine Zurückweisung von Folgeanträgen wegen entschiedener Sache bei nova reperta fortan nur möglich (unter Einhaltung der Vorgaben von Kapitel II der VerfahrensRL) ist, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen bzw. nicht vorgebracht wurden oder mangels maßgeblicher Sachverhaltsveränderung von vornherein zu keiner anderslautenden Entscheidung führen können (Rz 75ff) oder auch, wenn Vorbringen bereits früher schuldhaft nicht erstattet wurden mangels Umsetzung von Art. 40 Abs 4 VerfahrensRL in einer Sondernorm (Rz 78).

 

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

 

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

 

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist somit nur die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

Ob der Folgeantrag des Beschwerdeführers vom 27.07.2021 in der Sache zu behandeln ist, richtet sich im vorliegenden Fall danach, ob sich jene Sach- oder Rechtslage maßgeblich geändert hat, die dem ersten Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX zugrunde lag, mit welchem dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten und jener des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde. Denn dieses Erkenntnis stellt sich als die letzte rechtskräftige Sachentscheidung darüber dar, ob dem Beschwerdeführer der Status des Asyl- oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist.

 

Der Beschwerdeführer hat im gegenständlichen Verfahren kein Vorbringen erstattet, das nicht bereits Gegenstand des genannten Asylverfahrens gewesen wäre; wiederum hat der Beschwerdeführer eine Bedrohung auf die bloße Anwesenheit in Tschetschenien gestützt, um zu begründen, weshalb er in der Russischen Föderation bedroht wäre. Betreffend dieses Vorbringen wurde im Asylverfahren nach eingehender Prüfung festgestellt, dass dieses Vorbringen nicht glaubhaft ist. Eine inzwischen tatsächliche Änderung dieses Umstandes hat der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren nicht glaubhaft gemacht (siehe Beweiswürdigung). Es wurden auch keine Nachweise über das angebliche Interesse der tschetschenischen Behörden am Beschwerdeführer oder die angebliche telefonische Kontaktaufnahme der tschetschenischen Behörden mit dem Beschwerdeführer vorgelegt.

 

Entgegen der in der gegenständlichen Beschwerde vertretenen Auffassung behauptet der Beschwerdeführer somit keinen neuen Sachverhalt im Sinne der dargelegten Judikatur, sondern macht den selben Fluchtgrund unter Bekräftigung des schon zuvor angeführten Sachverhalts geltend. Er behauptet letztlich bloß dessen "Fortbestehen und Weiterwirken" (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) und beabsichtigt im Ergebnis dessen erneute sachliche Behandlung trotz des rechtskräftigen Erkenntnisses vom XXXX . Somit hat der Beschwerdeführer auch inhaltlich kein Vorbringen erstattet, das gegen die Annahme einer entschiedenen Sache spräche.

 

Somit liegt – wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt hat – entschiedene Sache iSd § 68 Abs. 1 AVG vor, deren Rechtskraft einer neuerlichen Sachentscheidung entgegensteht.

 

Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich aber auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daher sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).

 

Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, wonach die Rückführung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zu einer Situation führen würde, die eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK im Sinne des subsidiären Schutzes mit sich brächte. So ergeben sich aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation keine Gründe für die Annahme, dass jeder zurückkehrende Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Art. 2 und 3 EMRK auszugehen ist.

 

Aus den Länderberichten zur Russischen Föderation ergibt sich, dass derzeit ganz allgemein in der Russischen Föderation keine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Artikel 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Artikel 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

 

Dem Bundesamt ist aufgrund der herangezogenen Länderberichte darin beizupflichten, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im Asylverfahren nicht wesentlich geändert hat. Dasselbe gilt für die individuellen Gegebenheiten des Beschwerdeführers: Auch hinsichtlich seines Gesundheitszustands brachte der Beschwerdeführer keine maßgeblichen Änderungen vor; insbesondere brachte der Beschwerdeführer vor, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Auch betreffend seine individuelle Versorgungslage, welche den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat erwartet, sind keine maßgeblichen Änderungen eingetreten; zwar befinden sich keine unmittelbar nahen Verwandten im Herkunftsgebiet, jedoch ist der Beschwerdeführer inzwischen volljährig und kann für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen. Die Kampfhandlungen in Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg beschränken sich derzeit auf das ukrainische Staatsgebiet und eine besorgniserregende Versorgungslage der russischen Bevölkerung etwa aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen des Westens haben sich bis dato (noch) nicht bemerkbar gemacht.

 

Auch in Hinblick auf die allgemeine (Sicherheits-)Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers kann keine entscheidungsmaßgebliche Verschlechterung erkannt werden. Die Behörde ging unter Berücksichtigung aktuellen Länderberichtsmaterials in zutreffender Weise davon aus, dass die entscheidungsrelevante Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers keine maßgebliche Veränderung erfahren hat. In der gegenständlichen Entscheidung wird die russische Invasion in der Ukraine berücksichtigt, jedoch ergibt sich daraus keine maßgebliche Lageänderung in Russland respektive Tschetschenien.

 

Da weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar im Hinblick sowohl auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, als auch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist - noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen scheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch zu entscheiden ist. Die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache erfolgte durch das Bundesamt daher zu Recht.

 

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides war daher als unbegründet abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:

 

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war zu keinem Zeitpunkt geduldet, er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung auch auf Fälle, mit denen der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen wird, siehe VwGH E vom 19.11.2015, Ra 2015/20/0082.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers betrifft, lässt sich das BVwG von nachstehenden Erwägungen leiten:

 

Der Beschwerdeführer ist seit Juni 2016 mit einer russischen Staatsangehörigen nach muslimischen Recht verheiratet und geht aus dieser Beziehung ein gemeinsames siebenjähriges Kind hervor. Der Beschwerdeführer ist seit September 2021 an einer gemeinsamen Adresse mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn, welche jeweils über einen aufrechten Asylstatus in Österreich verfügen, gemeldet. Ob er tatsächlich dort aufhältig ist, konnte nicht festgestellt werden. Abgesehen davon besteht ein iSd Art 8 EMRK schützenswertes Familienleben.

 

Eine wichtige Rolle spielt die Vorhersehbarkeit der ausländerrechtlichen Maßnahme zum Zeitpunkt der Begründung der Familienbeziehung im Sinn der Konvention (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4, 224, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 28. Mai 1985, Abdulaziz u.a. gg. Großbritannien).

 

Der Beschwerdeführer begründete sein Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt, als sein Aufenthalt nicht legalisiert war. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens war auch während der Verfahren ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Verfahrens beschränkt. Der Beschwerdeführer hat sein Familienleben im Bundesgebiet zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem er sich des illegalen Aufenthalts bewusst gewesen sein musste, bereits zwei Ausweisungsentscheidungen vorlagen und er mit der Fortsetzung des Familienlebens im Bundesgebiet nicht rechnen durfte. Diesfalls müssten nach der Judikatur des EGMR "außergewöhnliche Umstände" vorliegen, damit das Familienleben schützenswert iSd Art. 8 EMRK erschiene (siehe VwGH E vom 18.03.2010, 2008/22/0006 unter Hinweis auf EGMR Urteil vom 28. November 1996, Ahmut gegen die Niederlande, NL 1996, 171, EGMR Urteil vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gg. Norwegen, NL 2008, 229).

 

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Rechtsprechung des EGMR ist der Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers zulässig. Die Trennung von seiner Familie - sofern ihm nicht seine Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Kind in sein Heimatland folgt - hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Zuwanderungsrechts in Kauf zu nehmen.

 

Diesbezüglich gab die Lebensgefährtin als Zeugin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an:

„RV: Sind Sie auf die Unterstützung Ihres Mannes angewiesen? Wie wäre es, wenn er Österreich verlassen müsste?

Z: Zuerst will ich nicht, dass mein Mann von da wegfährt. Sollte es aber so weit kommen, dass er das Land verlassen muss, würde ich auch mit ihm mitfahren müssen, ich möchte, dass unser Sohn in einer Familie aufwächst.

RI: Mit dem Konventionsreisepass geht das aber nicht. Haben Sie einen russischen Reisepass?

Z: Ich kann einen „Asylstopp“ machen und wegfahren. Dann müsste ich auf den Aufenthalt in Österreich verzichten und wegfahren. Es wäre gut, wenn er irgendein Dokument hier in Österreich bekommt. Weil was sollen wir dort zuhause machen?

(…)

RV: Sie haben den Status der Asylberechtigten und würden, wenn Sie das Land verlassen würden, den Status verlieren.

Z: Ich weiß, aber ich will nicht von Österreich weggehen.

RI: Sie würden aber das Land verlassen, wenn der BF das Land verlassen muss?

Z: Ja, was soll ich sonst machen? Ich will, dass mein Sohn in einer Familie aufwächst.“

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind die Auswirkungen der Rückkehrentscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auf das Kindeswohl zu berücksichtigen (vgl. VfGH 24.09.2018, E 1416/2018-14). Daher sind nachfolgend im Rahmen einer Einzelfallprüfung die Auswirkungen der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers in Bezug auf seinen siebenjährigen Sohn zu erörtern:

 

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt (vgl. EGMR

21.6.1988, Fall Berrehab, Appl. 10.730/84 [Z 21]; 26.5.1994, Fall Keegan, Appl. 16.969/90 [Z 44]). Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden (EGMR 19.2.1996, Fall Gül, Appl. 23.218/94 [Z 32]).

 

Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (vgl. VfSlg. 16.777/2003 mit Hinweis auf EGMR 25.2.1992, Fall Margareta und Roger Andersson, Appl. 12963/87 [Z 72] mwN; zu den Voraussetzungen für ein [potentielles] Familienleben zwischen einem Kind und dessen Vater siehe auch EGMR 15.9.2011, Fall Schneider, Appl. 17.080/07 [Z 81] mwN).

 

Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen (vgl. VfGH 28.2.2012, B 1644/10 mit Hinweis auf EGMR 31.1.2006, Fall Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Appl. 50.435/99 sowie insbesondere EGMR 28.6.2011, Fall Nunez, Appl. 55.597/09; 12.10.2016, E 1349/2016).

 

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl eines Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 9.6.2016, E 2617/2015; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 14.3.2018, E 3964/2017; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018; 11.6.2018, E 435/2018). Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, es sei lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könne (vgl. dazu VfGH 25.2.2013, U 2241/12; 19.6.2015, E 426/2015; 12.10.2016, E 1349/2016; 11.6.2018, E 343/2018, E 345/2018).

 

Im speziellen Fall ist von keiner nachhaltigen Gefährdung des Kindeswohls auszugehen, wenn der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zurückkehrt. Der Beschwerdeführer lebt laut ZMR Auskunft erst seit September 2021 mit seinem Sohn im gemeinsamen Haushalt, die ersten 6 Lebensjahre bestand kein Haushalt. Selbst wenn man den Angaben der Kindesmutter folgt, lebt der Beschwerdeführer erst seit 2019 bei ihnen, die ersten 4 Lebensjahre seines Sohnes bestand also kein gemeinsamer Haushalt. Der Beschwerdeführer war nie legal erwerbstätig und kann daher finanziell zum Unterhalt seiner Familie nichts beitragen.

 

Die seit 18 Jahren asylberechtigte Lebensgefährtin hingegen ist Hauptmieterin an der gemeldeten Adresse, der Beschwerdeführer lediglich bei ihr gemeldet. Die Lebensgefährtin hat den Deutschprüfungsstatus B1, war bis September 2022 erwerbstätig, derzeit ist sie arbeitslos. Arzttermine muss die Mutter laut ihren Angaben absolvieren, da der Beschwerdeführer keine Dokumente besitzt.

 

Weder kann der Beschwerdeführer seiner Kernfamilie finanziell unterstützen noch aufgrund fehlender Dokumente und jahrelangen illegalen Aufenthalts administrative Tätigkeiten erfüllen. Seine Anwesenheit im Bundesgebiet ist somit weder für die Versorgung noch Vertretung der Familie erforderlich.

 

Zweifellos hat der Sohn des Beschwerdeführers ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des Familienlebens. Insbesondere soll es auch ihm ermöglicht werden, die Beziehung zu seinem Vater zu sichern. Andererseits ist es zweifelhaft, inwieweit es dem Beschwerdeführer möglich sein soll, seiner Vorbildfunktion als Vater aufgrund seines Lebens im Verborgenen, seiner Verstöße gegen Meldeverpflichtungen, seines illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet, zweier Aufenthaltsermittlungen und seiner mangelnden beruflichen Integration gerecht zu werden.

 

Die Mutter gab in der Verhandlung vor Gericht bekannt bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers ebenso mit dem gemeinsamen Sohn nach Tschetschenien zurückzukehren und einen „Asylstopp“ zu machen.

Ebenso möglich wären aber auch Treffen in Drittstaaten und den Kontakt einstweilen über moderne Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten. Nach Rechtsprechung des VfGH ist es lebensfremd anzunehmen, dass der Kontakt zwischen Kleinkindern und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könnte (vgl dazu VfGH vom 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).

Der Sohn des Beschwerdeführers befindet sich nunmehr mit einem Alter von siebeneinhalb Jahren nicht mehr im Kleinkindalter, weshalb der Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und ihm während einer einstweiligen Trennung durch moderne Telekommunikation und elektronische Medien aufrechterhalten werden könnte.

 

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass es dem Beschwerdeführer bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG nicht verwehrt ist, wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren (so auch VfSlg. 19.086/2010 unter Hinweis auf Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 861).

 

Auch zu seiner in Österreich lebenden Tante und Onkel hat sich keine besondere Abhängigkeit ergeben, sodass diesbezüglich entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes von keinem Familienleben auszugehen ist, diese Bindungen aber jedenfalls als Privatleben zu berücksichtigen sind.

 

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

 

Der Beschwerdeführer befindet sich seit knapp 20 Jahren im Bundesgebiet. Wie in den Feststellungen detailliert ausgeführt, gründet sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers teilweise auf ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht und großteils auf illegalen Aufenthalt.

 

Zu seinen Lasten wirkt sich weiters aus, dass der Beschwerdeführer während seines langjährigen Aufenthalts in Österreich nur 1 Jahr die Schule besuchte, keinen Schulabschluss besitzt, erst vor wenigen Wochen die Sprachprüfung A2 absolvierte und er noch nie legal beschäftigt war. Der Beschwerdeführer war daher im Bundesgebiet nie selbsterhaltungsfähig und liegt auch aktuell keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor. Gerade vor dem Hintergrund seines langjährigen Aufenthalts, hätte der Beschwerdeführer Möglichkeiten gehabt, sich beruflich weiterzuentwickeln und zu integrieren. Der Beschwerdeführer hat diese lange Zeit für seine berufliche Integration nicht genutzt. Die vorgelegte Einstellungszusage einer Personalleasingfirma ist nicht verfahrensrelevant. Sonstige Aus-, Fort- oder Weiterbildungsbemühungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet wurden beschwerdeseitig nicht behauptet. Auch ist der Beschwerdeführer in Österreich in keinem Verein oder einer sonstigen Organisation Mitglied.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden zwar regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen und es kann grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden (vgl etwa VwGH vom 23.2.2017, Ra 2016/21/0340). Was den gegenständlichen Fall betrifft, ist einerseits festzuhalten, dass diese Rechtsprechungslinie nur Konstellationen betroffen hat, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH vom 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; VwGH vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; VwGH vom 31.8.2017, Ra 2017/21/0120; VwGH vom 5.10.2017, Ra 2017/21/0174; VwGH vom 10.9.2018, Ra 2018/19/0169-10).

 

Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen (vgl. VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0005; VwGH vom 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, mwN) zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser, integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165, und vom 10. November 2015, Ro 2015/19/0001, sowie die Beschlüsse vom 3. September 2015, Ra 2015/21/0121, und vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (wie etwa das Ausländerbeschäftigungsgesetz; siehe das Erkenntnis vom 16. Oktober 2012, 2012/18/0062, sowie den Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. den Beschluss vom 20. Juli 2016, Ra 2016/22/0039, sowie das zitierte Erkenntnis Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. die zitierten Erkenntnisse Ra 2015/21/0249 bis 0253 sowie Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. das Erkenntnis vom 31. Jänner 2013, 2012/23/0006).

 

Vor dem Hintergrund dieser Judikatur ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar seit über 10 Jahren im Bundesgebiet aufhält, jedoch nie über ein (über ein vorübergehendes hinausgehendes) Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügte. Gegen ihn erlassene Ausweisungen hat er beharrlich nicht befolgt. Der Beschwerdeführer reiste illegal und unter Angabe einer anderen Identität in das Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat in den 20 Jahren im Bundesgebiet keine unbedenklichen Identitätsdokumente vorgelegt. Er hat auch kaum Anstrengungen unternommen, konkrete Integrationsschritte in Österreich zu setzen. Der Beschwerdeführer hat nur 1 Jahr Schulbildung und dementsprechend keinen Abschluss in Österreich, war nie erwerbstätig, war bzw. ist weder vereinsmäßig, noch ehrenamtlich aktiv und hat außer den Sprachprüfungen A1 und A2 (vor wenigen Wochen abgelegt) auch sonst keine Aus-, Fort-, oder Weiterbildungen im Bundesgebiet absolviert. Der Beschwerdeführer lebt seit dem Jahr 2012 überwiegend im Verborgenen, wobei er seiner gesetzlichen Meldeverpflichtung in Österreich nicht oder nur unzureichend nachgekommen ist. Jahrelang verfügte der Beschwerdeführer über keinerlei Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet. Gegen den Beschwerdeführer bestehen zwei Aufenthaltsermittlungen der Staatsanwaltschaft XXXX wegen §§ 83, 84, 109, 125, 146, 127 StGB und § 28a/1 SMG.

 

Der Beschwerdeführer hat 15 Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation verbracht, im Rahmen derer er ebendort aufgewachsen ist und 8 Jahre die Schule besucht hat. Der Beschwerdeführer spricht die tschetschenische und russische Sprache, weshalb er mit den kulturellen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates gut vertraut ist. Es ist davon auszugehen, dass der volljährige Beschwerdeführer in der Lage sein wird, im Herkunftsstaat, allenfalls durch die Unterstützung seiner Familie, das Auslangen zu finden. Auch ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Verbringung in die Russische Föderation mit unzumutbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre bzw. ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass er bei Rückkehr in den Herkunftsstaat, in dem die Grundversorgung gesichert und auch Rückkehrern Sozialbeihilfen zukommen, in eine aussichtlose Lage geraten wird.

 

Dem bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Im Fall des Beschwerdeführers, der für seine sehr lange 20-jährige Aufenthaltsdauer mäßig nennenswerte Integrationsschritte in Österreich vorzuweisen hat, kommt hinzu, dass er viele Jahre lang im Verborgenen gelebt hat und gegen seine Meldeverpflichtung verstoßen hat. Er hat zwei Ausreiseverpflichtungen nicht erfüllt, ist seit 13 illegal im Bundesgebiet aufhältig und ist von der Staatsanwalt XXXX zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Nicht verkannt wird, dass ein Sohn des Beschwerdeführers im Bundesgebiet lebt, doch ist dieser bereits 7 Jahre alt und kann der Kontakt durch Besuche bzw. Treffen in Drittstaaten und inzwischen im Wege moderner Telekommunikation aufrechterhalten werden. Es sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach eine Rückkehrentscheidung trotz der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers auf Dauer unzulässig wäre.

 

Es ist unbestritten, dass aufenthaltsbeendigende Maßnahmen auch unter dem Aspekt der Verhinderung von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu sehen sind. Der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers beeinträchtigte gewichtige Grundinteressen der Gesellschaft.

 

Vor diesem Hintergrund gefährdet sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit, zumal in Anbetracht seiner Situation weiterhin mit einem Leben im Verborgenen im Bundesgebiet gerechnet werden muss, zumal er weiterhin von der Staatsanwaltschaft gesucht wird.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar und ist zurecht erlassen worden.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides:

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 FPG entsprechen jenen des § 8 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG entsprechen jenen des § 3 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint.

 

„In Anbetracht der vorrangigen Funktion der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FrPolG 2005, (lediglich) den Zielstaat der Abschiebung festzulegen, ist es nicht Aufgabe des BFA bzw. des VwG, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme letztlich ein Verfahren durchzuführen, das der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz gleichkommt“ (VwGH E vom 31.08.2016, Ra 2016/21/0367).

 

Es besteht auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, welche eine Abschiebung in die Russische Föderation für unzulässig erklärt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation ist daher zulässig.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides:

 

§ 55 Abs. 1a FPG normiert als Konsequenz einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise entfällt. Folglich ist auch der Ausspruch über das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu beanstanden, weshalb sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. ebenfalls als unbegründet erweist.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG kann vom Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden. Das Bundesamt hat bei der Bemessung der Dauer das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen miteinzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

 

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu erlassen, sondern nur dann, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl. auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

 

Ein Tatbestand, der bisher die Erlassung eines Einreiseverbots rechtfertigen konnte, war die Mittellosigkeit (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG).

 

Mit Erkenntnis vom 06.12.2022, G 264/2022-7, im Bundesgesetzblatt kundgemacht am 27.12.2022, hob der Verfassungsgerichtshof § 53 Abs. 2 Z 6 FPG als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten und die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden sei.

 

Das BFA begründete die Erlassung des Einreiseverbotes mit der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers (aufgehobene Z 6) und eines unbegründeten und missbräuchlichen Antrags auf internationalen Schutz, was zwar nicht in den genannten Ziffern des § 53 Abs. 2 subsumiert werden könne, jedoch geeignet sei die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden und auch den Interessen des Art. 8 EMRK widerlaufe.

 

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Ziffern 1 bis 9 laut Regierungsvorlage zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 einen Katalog darstellen, der lediglich "demonstrativ" Beurteilungskriterien für das Verhalten des Drittstaatsangehörigen aufstellt (vgl. RV 1078 BlgNR XXIV GP , 30). In diesem Zusammenhang wird aber auch davon auszugehen sein, dass zur Verwirklichung des Tatbestandes, der die Annahme einer Gefährdung der öffentliche Ordnung oder Sicherheit rechtfertigt, die Erfüllung eines annähernd zu den Z 1 bis 9 gleichwertig zu qualifizierenden Tatbestandes vorauszusetzen ist (vgl. dazu etwa VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332).

 

Der bloße unrechtmäßige Aufenthalt stellt nach dem System der Rückführungsrichtlinie noch keine derartige Störung der öffentlichen Ordnung dar, dass dies immer die Erlassung eines Einreiseverbotes gebieten würde (VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125). Der Verwaltungsgerichtshof konkretisierte erst kürzlich, dass bei Vorliegen einer qualifizierten Verletzung der Ausreiseverpflichtung daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 2 FPG abzuleiten sein kann (vgl. VwGH 04.03.2020, Ra 2019/21/0192).

 

Das BFA stellte richtig fest, dass der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkam, inwieweit eine Qualifikation dieser Verletzung vorliegt, wurde nicht ausgeführt und ist auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erkennen bzw. finden sich keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer eine Außerlandesbringung vereitelt hätte oder einer sonstigen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen wäre. Der Beschwerdeführer wurde während seines Aufenthaltes auch nicht straffällig oder wegen Verwaltungsübertretungen bestraft.

 

Der Verhängung eines Einreiseverbotes hat weiterhin eine Abwägung der privaten und familiären Interessen des Fremden im Sinne des Art. 8 EMRK voranzugehen. Im Bundesgebiet bestehende private und familiäre Interessen können gegebenenfalls bereits im Rahmen der durchzuführenden Gefährdungsprognose (zusätzliche) Bedeutung finden. Aufgrund der höheren Eingriffsintensität eines Einreiseverbotes, als Verbot, für einen bestimmten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zurückzugehen, hat die vorzunehmende Interessensabwägung gesondert gegenüber der im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung bereits vorgenommenen Interessensabwägung zu erfolgen und ist konkret zu prüfen, inwiefern private oder familiäre Interessen des Fremden der Verhängung des Einreiseverbotes in der konkreten Dauer gegebenenfalls entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschofer, Asyl- und Fremdenrecht Stand: 15.01.2016, § 53 FPG, K12).

 

Im Lichte dieser Ausführungen und einer – zur Rückkehrentscheidung – gesonderten Interessensabwägung unter Berücksichtigung einer höheren Eingriffsintensität in die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kommt das Gericht zum Schluss, dass durch die Verhängung eines zweijährigen Einreiseverbots in das Familienleben des Beschwerdeführers, im Besonderen seiner Nahebeziehung zur Lebensgefährtin und zum siebenjährigen Sohn, in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen würde, weshalb sohin der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. stattzugeben und dieser zu beheben war.

 

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

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