VwGH 90/09/0162

VwGH90/09/016221.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Germ als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz , über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 29. August 1990, Zl. OB 117-169.095-002, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung von Pflegezulage wegen entschiedener Sache, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
KOVG 1957 §18 Abs1;
KOVG 1957 §64 Abs2;
VwGG §48 Abs1 Z1;
VwRallg;
AVG §68 Abs1;
KOVG 1957 §18 Abs1;
KOVG 1957 §64 Abs2;
VwGG §48 Abs1 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Nach Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens steht der im Jahre 1921 geborene Beschwerdeführer auf Grund des Bescheides des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland (LIA) vom 13. Juli 1960 wegen der als Dienstbeschädigung anerkannten Gesundheitsschädigung "Teilverlust des rechten Oberarmes im oberen Drittel" im Bezug einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957) entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v.H.

Mit Bescheid des LIA vom 21. April 1986 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 13. Februar 1985 auf Gewährung einer Pflegezulage gemäß § 18 KOVG 1957 abgewiesen.

Mit Bescheid vom 8. April 1987 gab die Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Versorgungsbehörde zweiter Rechtsstufe der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte gemäß § 66 Abs. 4 AVG den erstinstanzlichen Bescheid. Der Begründung dieses Bescheides ist folgende Beurteilung vom medizinischen Standpunkt zu entnehmen:

"Als DB ist der Verlust des rechten Oberarmes im oberen Drittel anerkannt.

Darüberhinaus konnten folgende akausale Leiden beim BW festgestellt werden: Omarthrose, links stärker als rechts; Spondylarthrose; Coxarthrose; Gonarthrose; beträchtliche neurotisch-depressiv-hypochondrische Fixierung.

Unter Berücksichtigung des Gesamtleidenszustandes ist der BW in der Lage, lebenswichtige Verrichtungen ohne fremde Hilfe durchzuführen. Er kann sich alleine an- und auskleiden, die Körperreinigung vornehmen, die Notdurft verrichten und allein die Nahrung zu sich nehmen. Der BW ist nicht hilflos im Sinne des § 18 KOVG 1957."

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des LIA vom 23. April 1987 wurde dem Beschwerdeführer eine Hilflosenzulage gemäß §§ 18a Abs. 1 und 51 KOVG 1957 mit der Begründung gewährt, daß der Beschwerdeführer ständig der Wartung und Hilfe einer anderen Person bedürfe.

In der Folge wurde der neuerlich gestellte Antrag des Beschwerdeführers vom 4. September 1987 auf Gewährung einer Pflegezulage mit Bescheid des LIA vom 26. November 1987 gemäß § 68 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 86 Abs. 1 KOVG 1957 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom 25. Oktober 1988 gab die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Bescheid des LIA.

Mit Schreiben vom 21. September 1989 stellte der Beschwerdeführer unter Anschluß eines ärztlichen Zeugnisses des Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Dr. R, erneut einen Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage, weil sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert habe und er nicht mehr ohne ständige fremde Hilfe die täglich notwendigen persönlichen Verrichtungen durchführen könne.

Das LIA holte daraufhin zu diesem Antrag ein ärztliches Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. K ein. Mit Bescheid vom 25. Jänner 1990 wies das LIA den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Pflegezulage gemäß § 68 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 86 Abs. 1 KOVG 1957 wegen entschiedener Sache zurück. Zur Begründung wurde nach Wiedergabe der Rechtslage (§ 86 Abs. 1 KOVG 1957 und § 68 Abs. 1 AVG) ausgeführt, der Antrag des Beschwerdeführers vom 22. September 1989 stütze sich im wesentlichen auf den gleichen Sachverhalt, der schon der rechtlichen Beurteilung im Bescheid vom 8. April 1987 zugrundegelegt worden sei. Auch nach dem eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten Dris. K vom 1. Dezember 1989 sei im Leidenszustand des Beschwerdeführers keine wesentliche Änderung eingetreten. Nach wie vor sei der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seines Gesamtleidenszustandes in der Lage, alle lebenswichtigen Verrichtungen, wie die Körperreinigung vorzunehmen, sich An- und Ausziehen, die Notdurft zu verrichten und die anschließende Reinigung sowie das Essen ohne die Hilfe einer anderen Person durchzuführen. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage lägen daher weiterhin nicht vor. Auf Grund dieser Sachlage sei daher das neuerliche Anbringen gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer niederschriftlich Berufung, in der er vorbrachte, daß er nicht in der Lage sei, lebenswichtige Verrichtungen, wie An- und Auskleiden sowie die Körperreinigung durchzuführen, weil sein linker Arm in der Beweglichkeit wesentlich eingeschränkt sei. Die Bewegungseinschränkung nehme seit 1987 ständig zu.

Die belangte Behörde holte im Berufungsverfahren dazu einen Röntgenbefund von Dr. Z vom 16. Mai 1990 sowie ein ärztliches Sachverständigengutachten des praktischen Arztes Dr. A vom 15. Mai 1990 ein. Als akausale Leiden stellte Dr. A mäßiggradige Omarthrose links, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, sowie Varicen an beiden Unterschenkeln fest. Weiters führte er in seinem Gutachten aus, daß gegenüber dem letzten Gutachten ABL 205/5-7 (dabei handelt es sich um das Gutachten, welches dem Bescheid der belangte Behörde vom 25. November 1988 zugrunde gelegt worden ist) im derzeitigen Leidenszustand keine Änderung eingetreten sei und das erstinstanzliche medizinische Beweisverfahren keine Mängel aufweise.

Der Beschwerdeführer erhielt im Rahmen des Parteiengehörs von diesem Gutachten Kenntnis. In seiner niederschriftlichen Stellungnahme vom 10. Juli 1990 brachte er hiezu vor, daß bei ihm entgegen den Behauptungen des ärztlichen Sachverständigen sehr wohl eine starke Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk bestehe. Dadurch bedingt sei er nicht in der Lage, sich ohne fremde Hilfe an- bzw. auszukleiden oder die tägliche Körperreinigung durchzuführen. Da er allein lebe, sei es notwendig, für diese Verrichtungen eine Pflegeperson zu bezahlen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 29. August 1990 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Bescheid der Versorgungsbehörde erster Instanz. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde von dem von ihr eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. A aus, woraus sich folgende medizinische Beurteilung ergebe:

"Auf Grund der erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunde kann der Behauptung, der BW sei nicht in der Lage, die lebensnotwendigen Verrichtungen, wie An- und Auskleiden und die Körperreinigung durchzuführen, nicht zugestimmt werden. Die Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk wird offenkundig demonstriert, es besteht eine Aggravationstendenz. Nach dem Röntgenbefund von Dr. Z vom 16. Mai 1990 besteht eine mäßiggradige Omarthrose links. Der linke Arm ist daher vom medizinischen Standpunkt aus voll gebrauchsfähig."

Dieses Gutachten sei als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Danach sei in dem den Entscheidungen der belangten Behörde vom 8. April 1987 und vom 25. Oktober 1988 zugrunde gelegten Sachverhalt keine maßgebliche Änderung eingetreten, sodaß der neuerliche Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage nach den Bestimmungen des § 68 Abs. 1 AVG zu Recht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem dem § 18 KOVG 1957 entspringenden Recht, wegen Hilflosigkeit die vorgesehene Pflegezulage zu erhalten, sowie ferner in seinem Recht auf Durchführung eines mängelfreien Verwaltungsverfahrens verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 18 Abs. 1 KOVG 1957 wird zur Beschädigtenrente eine Pflegezulage gewährt, wenn der Beschädigte infolge der Dienstbeschädigung so hilflos ist, daß er für lebenswichtige Verrichtungen der Hilfe einer anderen Person bedarf.

Voraussetzung für die Zuerkennung der Pflegezulage ist zunächst, daß die Hilflosigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 KOVG 1957 ursächlich auf die Dienstbeschädigung zurückzuführen ist. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn die Dienstbeschädigung eine wesentliche Bedingung der Hilflosigkeit ist. Sind an der Hilflosigkeit des Beschädigten auch andere Bedingungen beteiligt, dann ist der ursächliche Zusammenhang im Sinn des § 18 Abs. 1 KOVG 1957 dann gegeben, wenn die Dienstbeschädigung in ihrer Wirkung den anderen Bedingungen nach Bedeutung und Tragweite zumindest annähernd gleichwertig ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. April 1984, Zl. 83/09/0222, und die dort angeführte Rechtsprechung).

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 und 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Diese Bestimmung ist auf Grund des § 86 Abs. 1 KOVG 1957 auch in den Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung anzuwenden.

Aus § 68 Abs. 1 AVG folgt, daß Ansuchen, die offenbar die Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, auch dann wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen sind, wenn das Begehren nicht ausdrücklich auf Aufrollung der entschiedenen Sache lautet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist Voraussetzung für die Zurückweisung wegen "entschiedener Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG die tatsächliche Identität der Sache. Haben sich seit der Erlassung des rechtskräftigen Bescheides wesentliche Änderungen im Sachverhalt ergeben, so liegt keine Identität der Sache vor (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Februar 1986, Zl. 84/09/0118)

Gegenstand der aus der formellen Rechtskraft folgenden materiellen Rechtskraft ist nur der im Bescheid enthaltene Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, und zwar auf Grund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen maßgebenden Sachverhalt zum Ausdruck kommt, und der Rechtslage, auf die sich die Behörde gestützt hat.

Die von der belangten Behörde im Instanzenzug ausgesprochene Zurückweisung des Antrages auf Gewährung der Pflegezulage bei unveränderter Rechtslage hatte somit zur Voraussetzung, daß der von der belangten Behörde in ihrem Bescheid vom 8. April 1987 festgestellte und als maßgebend erachtete Sachverhalt unverändert geblieben ist. Die Rechtskraft dieses Bescheid steht der meritorischen Entscheidung über den neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers dann nicht entgegen und berechtigt daher die Behörde nicht zur Zurückweisung des Antrages, wenn in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt eine Änderung eingetreten ist. Dabei kann nur eine solche Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluß zuläßt, daß nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. u.a. die Erkentnnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1984, Zl. 82/09/0150 und vom 22. Mai 1985, Zl. 84/09/0080).

Auf Grund dieser rechtlichen Erwägungen wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, in der Bescheidbegründung den seinerzeit von ihr als entscheidungswesentlich angesehenen Sachverhalt und jenen Sachverhalt festzustellen, der seit der neuerlichen Antragstellung des Beschwerdeführers gegeben ist und der für die Zuerkennung der Pflegezulage in Betracht kommt. Die Behörde hat dies unterlassen und statt dessen all jene Feststellungen getroffen und Überlegungen angestellt, die ihrer Auffassung nach für die Abweisung des Antrages auf Pflegezulage, also für eine negative Entscheidung in der Sache selbst, sprechen. Damit hat aber die belangte Behörde die durch § 68 Abs. 1 AVG gegebene Rechtslage verkannt (vgl. hiezu das oben zitierte Erkenntnis vom 30. Jänner 1984).

Der angefochtene Bescheid war somit schon auf Grund dieser Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das restliche Beschwerdevorbringen.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. IA Z. 1 der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. NR. 206/1989. Die Abweisung des Mehrbegehrens geht darauf zurück, daß das Gesetz einen gesonderten Ersatz der Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand nicht vorsieht, und daß auch Vollmachten in Angelegenheiten der Durchführung der Kriegsopferversorgung gemäß § 64 Abs. 2 KOVG 1957 von Gebühren befreit sind (vgl. das Erkennntis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1989, Zl. 89/09/0020).

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