AsylG 2005 §15b
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L523.2227542.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Tanja DANNINGER-SIMADER über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX (BF1), XXXX , geb. XXXX (BF2) und XXXX , geb. XXXX (BF3), alle StA. Aserbaidschan, BF2 und BF3 gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX (BF1), alle vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle West, vom 18.12.2019, Zlen. XXXX , XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.07.2022, zu Recht erkannt:
A)
1. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I., II., III., IV., V. und VI. werden als unbegründet abgewiesen.
2. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt VII. der jeweils angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Aserbaidschan. Die BF1 stellte für sich und ihre minderjährigen Töchter (BF2 und BF3) nach Einreise in das Bundesgebiet am 19.11.2019 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Zuge der Erstbefragung am 19.11.2019 gab die BF1 zum Fluchtgrund zusammengefasst an, dass sie in ihrem Herkunftsstaat ein Kopftuch tragen habe müssen. Sie habe die christliche Religion nicht öffentlich ausüben können. Ihre Kinder seien in der Schule gemobbt/angespuckt worden, weil sie kein Kopftuch getragen hätten. Ihre Schwiegermutter, welche dem „ISID“ (gemeint wohl: ISIS, Islamischer Staat) angehöre, habe sie beim Beten gesehen und sie bei der „ISID“ gemeldet. Sie sei dann von ihr in ein Zimmer eingesperrt worden. Sie habe gewusst, dass sie entweder in den Irak abgeschoben oder ermordet werden würde, da die Schwiegertochter ihrer Nachbarn deswegen auch ermordet worden sei. Ihr Mann sei am Abend zu ihr gekommen und habe ihr zur sofortigen Flucht verholfen. Ihre Kinder seien auch geflüchtet, da sie sonst als Ehefrauen verkauft werden würden, da sie Kinder von Christen seien.
Im Rahmen der Erstbefragung legte die BF1 ihre Personalausweise vor, welche sichergestellt wurden.
2. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG wurde der BF1 am 19.11.2019 die Verpflichtung mitgeteilt, zu einem näher bezeichneten Quartier binnen drei Tagen anzureisen und dort durchgehend Unterkunft zu nehmen.
3. Am 27.11.2019 wurde die BF1 vor dem BFA zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dessen legte sie eine georgische Taufurkunde der orthodoxen Christen vor, welche in Kopie zum Akt genommen wurde.
Die BF1 führte aus, dass es für sie und ihre Kinder zu Schwierigkeiten gekommen sei, da sie kein Kopftuch getragen haben und in ihrer Region die Wahhabiten an der Macht seien. Ihre älteste Tochter sei von anderen Kopftuchträgerinnen angespuckt und als Ungläubige bezeichnet worden. Als ihre Tochter ihr Kopftuch in der Schule abgenommen habe, sei sie von einem Mädchen verspottet worden und deren Vater habe sie auch mit dem Umbringen bedroht. Die BF1 sei zur Polizei gegangen, ihr sei dort jedoch nicht geholfen worden. Der Vater des Mädchens sowie drei weitere Männer hätten ihr danach den Weg abgeschnitten. Der Vater habe ihr eine Ohrfeige verpasst und ihr im Falle einer nochmaligen Kontaktaufnahme mit der Polizei mit dem Umbringen gedroht. Sie habe ihrem Ehemann von diesem Vorfall nichts erzählt, da er nichts unternehmen hätte können. Seine Familie sei auch von dieser Gruppierung.
Weiters schilderte die BF1 in der Einvernahme, dass sie von ihrer Schwiegermutter zwei Tage lang in ein Zimmer eingesperrt worden sei, als diese erfahren habe, dass sie zum Christentum übergetreten sei. Ihre Schwiegermutter habe dem Oberhaupt der Wahhabiten von ihrer Konversion berichtet. „Sie“ hätten sie entweder umgebracht oder in den Irak zum IS geschickt. Ihr Ehemann habe ihr und ihren Töchtern zur Flucht verholfen, da „sie“ ihre Tochter abgeholt und verheiratet hätten. Ihre Tochter hätte zwangsverheiratet werden sollen, da sie zum Christentum konvertiert sei.
4. Mit Aktenvermerk vom 27.11.2019 wurde vom BFA festgehalten, dass eine Internet-Recherche ergeben habe, dass muslimische Mädchen als religionsmündig gelten, sobald sie zum ersten Mal ihre Periode bekommen. Ab diesem Tag würden viele Musliminnen auch ein Kopftuch tragen. Zu diesem Zeitpunkt seien die meisten von ihnen zwischen elf und dreizehn Jahre alt. Einer weiteren Quelle sei zu entnehmen, dass es Konsens in allen muslimischen Denkschulen sei, dass Mädchen vor der Pubertät kein Kopftuch tragen müssen.
5. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 02.12.2019, der BF1 persönlich überreicht am 04.12.2019, wurde ihr gemäß § 29 Abs. 3 Z 5 AsylG die Absicht der Behörde, ihren Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, mitgeteilt. Unter einem wurde ihr mitgeteilt, dass sie ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen hat. Zugleich wurde sie an einen Rechtsberater verwiesen. Ihr wurden zudem Länderinformationen des BFA zum Herkunftsstaat ausgehändigt.
6. Am 09.12.2019 fand im Beisein eines Rechtsberaters eine weitere niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA statt. Im Zuge dessen spielte die BF1 ein Video vor, auf dem ihre Taufzeremonie zusehen war. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen führte sie aus, dass sie von einer Menschenmenge, die sich vor ihrem Haus versammelt habe, als Ungläubige beschimpft worden sei. Die Menschen haben auch ihr Haus „gesteinigt“. Auch die Polizei habe sie als Ungläubige und Barbarin bezeichnet, da sie kein Kopftuch getragen habe. Die vier Männer, die ihr den Weg abgeschnitten haben, haben ihr auch gedroht sie zu vergewaltigen. Zudem habe sie sich für Frauen eingesetzt und sei deswegen von „allen Gegnern“ geschlagen worden. Männer der „Scharia Polizei“ haben ihr auch eine Glatze geschnitten, als sie sich mit weiteren Frauen in einer Reihe aufstellen habe müssen.
7. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA jeweils vom 18.12.2019 wurden ihre Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Mit Spruchpunkt VII. wurde ihnen gemäß § 15b Abs. 1 AsylG aufgetragen, ab 19.11.2019 im Quartier XXXX Unterkunft zu nehmen.
Das BFA konnte nicht feststellen, dass die Beschwerdeführerinnen in Aserbaidschan aufgrund der behaupteten Gründe einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen wären. Die Behörde konnte weiters nicht feststellen, dass die BF1 aus innerster Überzeugung zum orthodoxen Christentum konvertiert sei. Darüber hinaus stellte das BFA fest, dass Konvertiten keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt seien.
Beweiswürdigend führte die Behörde aus, dass die BF1 bereits bei ihren Reisemodalitäten im Zusammenhang mit der Erlangung eines Visums nicht die Wahrheit angegeben habe, sodass ihre persönliche Glaubwürdigkeit erschüttert sei. Ihre Aussagen betreffend den Vorfall in der Schule haben sich widersprüchlich gestaltet und sei mit den behördlichen Erhebungen zur Frage, ab wann Kinder in der Schule ein Kopftuch zu tragen haben, nicht in Einklang zu bringen. Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer konstruierten Fluchtgeschichte sei der Umstand, dass ihre älteste Tochter bei der behördlichen Einvernahme auf Wunsch der BF1 den Raum verlassen habe müssen. Es sei anzunehmen, dass sie damit verhindern habe wollen, dass sich ihre Tochter bei der Einvernahme unerwartet einmische. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, dass, wenn ihre Tochter kein Kopftuch tragen würde, dies ein Grund wäre, die BF1 mit dem Umbringen oder der Vergewaltigung zu drohen. Selbst bei Wahrunterstellung sei den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass die Polizei willens und fähig sei in einem solchen Fall ausreichend Schutz zu gewähren.
Widersprüchlich seien auch ihre Ausführungen im Zusammenhang mit ihrer Schwiegermutter gewesen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass sie nach einer zehnjährigen Ehe mit einem Wahhabiten aus Überzeugung konvertiert wäre und sich nunmehr als „Aktivistin“ für das Christentum einsetze. Vor dem Hintergrund des von der BF1 gezeigten Videos stellte das BFA die Taufe an sich nicht in Abrede, jedoch habe die Behörde aufgrund des nur sehr oberflächlichen und rudimentären Wissens über den christlichen Glauben der BF1 eine innere Überzeugung nicht feststellen können.
Nicht glaubhaft sei es auch, dass ihr Ehemann, wenn er der Wahhabiten Gemeinschaft angehören sollte, ihr bei der Flucht geholfen habe.
Die von der BF1 geschilderte Bedrohungslage durch die Wahhabiten und die vermeintlichen Übergriffe seien zu wenig detailreich und konkret gewesen. Wäre der BF1 tatsächlich unter Zwang eine Glatze geschnitten worden, sei es nicht nachvollziehbar, warum sie keine Beweisfotos von ihr gemacht habe. Wie es ihr gelungen sein soll, die Leute davon abzuhalten, ihrer Tochter die Haare abzuschneiden, sei von der BF1 nicht nachvollziehbar aufgezeigt worden. Aus den herangezogenen Länderberichten ergebe sich keine Gefahr, dass religiöse Fanatiker die BF1 zum IS in den Irak zwingen bzw. dass Kinder einer Zwangsehe ausgesetzt wären. Auch das von der BF1 behauptete gewaltsame Vorgehen der Wahhabiten sei den Länderfeststellungen nicht zu entnehmen. Es sei der BF1 insgesamt nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft darzulegen. Zudem stehe ihr selbst bei Wahrunterstellung ihres Fluchtvorbringens eine innerstaatliche Fluchtalternative in Baku zur Verfügung.
Das BFA stellte weiters fest, dass den Beschwerdeführerinnen auch keine Gefahren drohen, die eine Gewährung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG seien nicht vorgelegen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung verletze nicht ihr Recht auf ein Privat- und Familienleben im Bundesgebiet.
Der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt VII. war zu entnehmen, dass aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung der gestellten Anträge auf internationalen Schutz den Beschwerdeführerinnen eine Unterkunftnahme angeordnet worden sei.
8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 18.12.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG den Beschwerdeführerinnen amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
9. Die Bescheide wurden den Beschwerdeführerinnen am 19.12.2019 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen durch ihre damalige Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben wurde.
Darin wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die BF1 in ihrer Heimat massiv bedroht, eingeschüchtert und unmenschlich behandelt worden sei, weil sie als Christin ihre Religion normal und frei ausleben habe wollen. Die Diskriminierung der BF1 habe bereits in ihren jungen Lebensjahren begonnen. Obwohl sie intelligent und gut gebildet sei, sei ihr als Frau die berufliche Karriere verwehrt worden. Sie habe bei ihrem Mann zu Hause bleiben müssen. Sie habe sich aus innerer Überzeugung als Christin taufen lassen und habe ihren Glauben auch nach außen frei zeigen wollen. Sie sei als Ungläubige und Abtrünnige beschimpft worden. Man habe ihr auch ihre Töchter wegnehmen wollen, um sie von den christlichen „Unglauben“ fortzubringen. Die Beschwerdeführerinnen würden einer Minderheit angehören. Soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in einem anderen Landesteil würden sich nicht bieten. Schutzeinrichtungen für christliche Frauen mit Kindern seien in Aserbaidschan nicht vorhanden. Das BFA habe sich nicht mit den Länderberichten und auch nicht mit dem Kindeswohl ausreichend auseinandergesetzt.
10. Am 14.01.2020 reichte das BFA eine von der BF1 am 10.01.2020 unterfertigte Übernahmebestätigung dem Bundesverwaltungsgericht nach. Darin bestätigte die BF1 die „Übernahme der Verfahrensanordnung Aufhebung § 15b AsylG“.
11. Am 01.06.2022 gab die nunmehrige Vertretung ihre Bevollmächtigung bekannt.
12. Mit Schreiben vom 15.06.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes und räumte den Beschwerdeführerinnen eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hierzu ein.
13. Am 20.06.2022 reichte das BFA die Niederschrift der Erstbefragung des zwischenzeitlich nach Österreich eingereisten Ehemannes der BF1 bzw. Vaters der BF2 und BF3 nach.
14. Mit Schreiben vom 29.06.2022 teilte die Vertretung mit, dass das übermittelte Länderinformationsblatt zur Kenntnis genommen werde und hierzu keine Stellungnahme erstattet werde.
15. Die Vertretung der Beschwerdeführerinnen nahm am 11.07.2022 beim Bundesverwaltungsgericht Einsicht in den Verfahrensakt.
16. Im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelte ihre Vertretung am 13.07.2022 mehrere Unterlagen zur Vorbereitung auf die am 26.07.2022 anberaumte Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht.
17. Am 26.07.2022 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache der Beschwerdeführerinnen eine öffentlich mündliche Verhandlung in Anwesenheit der BF1 und der ihrer Vertretung. In dieser wurde der BF1 die Gelegenheit gegeben neuerlich ihre Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie ihre Lebensumstände in Österreich zu erläutern. Ihr wurde auch die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zu den übermittelten aktuellen Länderfeststellungen zu Aserbaidschan eingeräumt.
Im Zuge der Beschwerdeverhandlung wurden die bereits am 13.07.2022 übermittelten Unterlagen erneut vorgelegt.
18. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Feststellungen zu den Personen (BF1 bis BF3)
Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht fest. Sie sind Staatsangehörige von Aserbaidschan und gehören der Volksgruppe der Sahur an. Sie sprechen muttersprachlich Sahur, die BF1 spricht auch Türkisch, Englisch und Russisch. Die BF1 ist zum Christentum konvertiert. Sie ist seit 10.09.2018 orthodoxe Christin. BF2 und BF3 gehören der Glaubensgemeinschaft des Islams an.
Die BF1 wurde in Russland geboren, wuchs jedoch in Aserbaidschan bei ihren Eltern auf. Die BF1 ist verheiratet. Vor ihrer Ausreise aus Aserbaidschan lebte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann, ihren zwei gemeinsamen Töchtern (BF2 und BF3) und ihrer Schwiegermutter im Dorf XXXX im Rayon Zaqatala.
In Aserbaidschan besuchte die BF1 elf Jahre die Grundschule und absolvierte eine vierjährige universitäre Ausbildung. Sie ist ausgebildete Englischlehrerin. Sie war in Aserbaidschan nicht erwerbstätig. Ihr Ehemann hat in einem Lebensmittelgeschäft gearbeitet und kam für den Unterhalt der Familie auf.
In Aserbaidschan leben nach wie vor die Eltern und eine Schwester der BF1. Sie sind in Zaqatala wohnhaft. Die Schwester der BF1 ist Ärztin, die Eltern befinden sich bereits in Pension. Der Familie geht es nach den dortigen Verhältnissen finanziell gut. Die BF1 steht mit ihren Familienangehörigen in telefonischem Kontakt. In Aserbaidschan lebt auch nach wie vor die Schwiegermutter der BF1.
Die BF1 verließ gemeinsam mit ihren minderjährigen Töchtern (BF2 und BF3) Aserbaidschan legal mit einem jeweils von 16.11.2019 bis 18.12.2019 gültigen Visum der Kategorie C, ausgestellt von der österreichischen Botschaft in Baku, über den Luftweg nach Österreich, wo sie am 19.11.2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten und sich seither hier aufhalten.
Ihr nachgereister Ehemann stellte am 15.04.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung ist sein Verfahren beim BFA anhängig.
Die BF1 ist bislang in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die Beschwerdeführerinnen beziehen seit 20.11.2019 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Seit 05.02.2020 wohnen sie in einem gewerblich betriebenen Quartier der Grundversorgung. Seit 01.06.2022 wohnt dort auch der Ehemann der BF1 bzw. der Vater der minderjährigen Beschwerdeführerinnen.
Die BF1 verfügt über gute Deutschkenntnisse. Sie hat am 22.03.2022 die Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) erfolgreich absolviert. Im Jahr 2019 hat sie an einem Deutschkurs auf dem Sprachniveau A2 teilgenommen. Aktuell besucht sie einen B1-Deutschkurs.
Die BF1 engagiert sich aktiv in der römisch-katholischen Pfarrgemeinde ihres Wohnortes. Sie besucht regelmäßig den Gottesdienst. Sie ist seit April 2020 bei der XXXX ehrenamtlich tätig. Sie hilft auch ehrenamtlich in ihrer Grundversorgungsunterkunft als Dolmetscherin aus. Die BF1 verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines österreichischen Freundes- und Bekanntenkreises. Die BF1 beabsichtigt am 12.10.2022 an der Infoveranstaltung „Heimhelfer Lehrgang“ teilzunehmen. Die Beschwerdeführerinnen sind keine Mitglieder in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation.
Die BF2 besuchte zuletzt die 2. Klasse der Mittelschule und ist in ihrer Klassengemeinschaft gut integriert. Obwohl sie bereits sehr gut Deutsch spricht, hat sie das Unterrichtsfach Deutsch im Schuljahr 2021/2022 nicht positiv abschließen können. Sie wird im Herbst zur Wiederholungsprüfung antreten. Die BF3 geht in die Volksschule.
Bei der BF2 wurde eine XXXX , eine XXXX und eine XXXX diagnostiziert. Sie ist seit März 2022 in der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie in XXXX in ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Zusätzlich wurde ihr die Einnahme von XXXX und XXXX verordnet.
Die BF1 nimmt XXXX gegen Schlafstörungen ein. Die BF3 ist gesund. Die Beschwerdeführerinnen leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.
Die BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. BF2 und BF3 sind strafunmündig.
1.2. Länderfeststellungen
Hinsichtlich der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Aserbaidschan legt das erkennende Gericht seiner Entscheidung die aktuelle Version der Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Aserbaidschan vom 27.05.2022 zu Grunde. Jene Länderfeststellungen wurden auch in Wahrung des Parteiengehörs den Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 15.06.2022 übermittelt und die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt, worauf ihre Vertretung mit Schreiben vom 29.06.2022 verzichtete. Der BF1 wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
Auszugsweise werden aus den herangezogenen Länderfeststellungen insbesondere folgende Feststellungen explizit angeführt:
„Covid-19
Bei der Einreise muss bereits beim Check-in ein Nachweis über das Vorliegen einer vollständigen Impfung oder ein Genesungsnachweis (mit QR-Code) vorgelegt werden (WKO 11.5.2022; vgl. BMEIA 27.5.2022). Die Einreise nur mit PCR-Test (ohne Impf- und Genesungszertifikat) wird verweigert (BMEIA 27.5.2022; vgl. WKO 11.5.2022).
Die Staatsgrenze über den Land- und Wasserweg bleibt bis auf weiteres geschlossen (WKO 11.5.2022; vgl. BMEIA 27.5.2022). Eine Einreise aus Europa ist praktisch nur per Flugzeug über Istanbul, Ankara und Berlin bzw Moskau möglich. Für Transitreisende via Türkei gibt es keine Einschränkungen (WKO 11.5.2022). Der Flughafen Baku ist normal operativ (BMEIA 27.5.2022).
Es bestehen Erleichterungen bei der Einreise für Geimpfte bei Vorlage eines offiziellen Impfnachweises über eine vollständige Immunisierung (in der Regel je nach Impfstoff also 2 Impfdurchgänge). Die zweite Impfung muss mindestens 14 Tage vor Einreise erfolgt sein. Mündlichen Informationen nach werden alle in der EU zugelassenen Impfstoffe anerkannt. Es gibt aus Erleichterungen für Genesene. Der Genesungsnachweis darf nicht älter als 6 Monate sein. Es ist kein Test mehr für die Einreise erforderlich. Daher gibt es auch keine Erleichterungen für Getestete. (WKO 11.5.2022)
Museen und Ausstellungen sind geöffnet, Shoppingcenter, Restaurants, Friseur- und Kosmetiksalons und religiöse Einrichtungen sind geöffnet. Schwimmbäder, Sport- Gesundheits- und Fitnesscenter sind geöffnet. Mindestens 80 % der Angestellten aller staatlicher und privater Unternehmen und Organisationen müssen ab 1.9.2021 geimpft sein. Der Eintritt in Hotels, Shoppingcenters und Restaurants ist nur mit gültigem Covid-19 Pass möglich. Die sportlichen Wettkämpfe im Freien sind erlaubt (WKO 11.5.2022).
[…]
Politische Lage
Die aserbaidschanische Verfassung sieht eine Republik mit einer präsidialen Regierungsform vor (USDOS 12.4.2022). Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 7 Abs. 3), wonach die Nationalversammlung („Milli Mejlis“) die gesetzgebende, der Staatspräsident die vollziehende und die Gerichte die rechtsprechende Gewalt ausüben. In den ländlichen Gebietsverwaltungskörperschaften (sog. „Rayons“) üben die vom Präsidenten eingesetzten lokalen Gouverneure die politische Macht aus (AA 25.3.2022).
In der Praxis dominiert der Staatspräsident das politische Leben. Er wird direkt für eine Amtsperiode von sieben Jahren gewählt und kann seit einer Verfassungsänderung unbegrenzt oft wiedergewählt werden. Er ernennt und entlässt mit Zustimmung der Nationalversammlung den Ministerpräsidenten; ohne Beteiligung der Nationalversammlung ernennt und entlässt er die Minister sowie die Gouverneure und Vize-Gouverneure der regionalen Verwaltungsbezirke (Rayons). Das Einkammerparlament besteht aus 125 nach absolutem Mehrheitswahlrecht gewählten Abgeordneten. Das legislative Vorschlagsrecht haben der Präsident, das Oberste Gericht, das Parlament der Autonomen Republik Nachitschewan und der Generalstaatsanwalt. In der Praxis gehen die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze oft auf Initiativen des Präsidialamtes zurück. Diskussionen zu streitigen Themen finden selten statt (AA 25.3.2022).
Bei den Präsidentschaftswahlen vom 11. April 2018 wurde Präsident Aliyev erwartungsgemäß im Amt bestätigt (86,0 %) (AA 25.3.2022).
2019 löste der Präsident die Nationalversammlung nach einem entsprechenden Aufruf der Nationalversammlung auf und kündigte für Februar 2020 vorgezogene Wahlen für das Gremium an. Einige Oppositionsparteien boykottierten die Wahlen unter Hinweis auf das restriktive Umfeld, während andere Oppositionsparteien und -gruppen an den Wahlen teilnahmen. Nach Angaben der Wahlbeobachtungsmission des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), verhinderten die restriktive Gesetzgebung und das politische Umfeld einen echten Wettbewerb bei den Wahlen im Februar 2020 (USDOS 12.4.2022). Lediglich ein Vertreter der (echten) Opposition, in diesem Fall der REAL-Partei, wurde ins Parlament gewählt (AA 25.3.2022).
Obwohl die Verfassung den Bürgern die Möglichkeit einräumt, ihre Regierung durch freie und faire Wahlen in geheimer Abstimmung und auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zu wählen, schränkte die Regierung diese Möglichkeit weiterhin ein, indem sie den Wahlprozess behinderte (USDOS 12.4.2022). Die regierende Neue Aserbaidschanische Partei dominierte weiterhin das politische System. Einheimische Beobachter berichteten, dass Mitglieder der Regierungspartei Vorteile erhielten, z. B. Vorrang bei der Vergabe öffentlicher Ämter. Im Laufe des Jahres setzte ein Beamter der Präsidialverwaltung die direkte Kommunikation mit einigen der 58 registrierten politischen Parteien und Gruppen des Landes fort. Der Beamte hielt das ganze Jahr über Treffen mit politischen Persönlichkeiten ab, darunter auch mit Vertretern ausgewählter Oppositionsparteien. Trotz des Dialogs gab es jedoch weiterhin Beschränkungen für die politische Beteiligung (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sicherheitslage
Vor Reisen in die Region Bergkarabach (einschließlich der von Aserbaidschan kontrollierten Teile), die übrigen ehemaligen besetzten Gebiete und das gesamte Grenzgebiet zu Armenien wird gewarnt. Der bewaffnete Konflikt um die Region Bergkarabach sowie die im Südwesten und Westen Aserbaidschans gelegenen, bisher von armenischen Streitkräften besetzten Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar, ist durch den Waffenstillstand aufgrund der dreiseitigen Erklärung zwischen Aserbaidschan, Armenien und Russland vom 9. November 2020 zunächst zwar beendet, ein Befahren und Betreten dieser Bezirke ist ohne Genehmigung der aserbaidschanischen Behörden aus Sicherheitsgründen weiterhin untersagt (AA 27.5.2022; vgl. EDA 27.5.2022). (BMEIA 27.5.2022). Minen- und Sprengstoffgefahr gilt in gleichem Maße für die aserbaidschanisch-armenische Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien (AA 27.5.2022).
Demonstrationen und Proteste der Opposition finden in den übrigen Landesteilen gelegentlich statt und haben meist ein starkes Aufgebot von Sicherheitskräften zur Folge. Vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen können insbesondere bei nicht genehmigten Protestaktionen nicht ausgeschlossen werden (AA 27.5.2022). Die Kriminalitätsrate ist niedrig (AA 27.5.2022).
[…]
Bergkarabach
Das ehemalig „Autonome Gebiet Bergkarabach“ und die sieben angrenzenden Bezirke wurden 1992-1994 von Armenien militärisch besetzt. Seit 1994 herrschte ein Waffenstillstand, der regelmäßig von beiden Seiten entlang der sog. „Kontaktlinie“ verletzt wurde. Die de facto „Republik Arzach“ (bis 2017: Republik Bergkarabach) wird von keinem Staat anerkannt und ist in jeder Hinsicht von der Republik Armenien abhängig. Aserbaidschan hat von September bis November 2020 mit Militärgewalt vier der besetzten Bezirke und einen Teil von Bergkarabach zurückerobert (AA 25.3.2022). Am 9. November 2020 unterzeichneten die Regierungschefs beider Länder auf russische Vermittlung eine „Dreiseitige Erklärung“, die u.a. einen Waffenstillstand ab 10. November 2020 (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022) mit einem Zeitplan für die Rückgabe der drei übrigen Bezirke, der Rückkehr der Flüchtlinge und dem Einsatz von russischen Friedenstruppen vorsieht. Die sieben zurückerhaltenden Bezirke sind seit 1994 weitgehend entsiedelt und zerstört, ein Wiederaufbau wird mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die aserbaidschanische Regierung hat erhebliche Mittel für entsprechende Infrastrukturarbeiten vorgesehen (AA 25.3.2022).
Der Waffenstillstand von 2020, der den sechswöchigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan in und um Bergkarabach beendete, hielt weitgehend, doch sorgten regelmäßige Zwischenfälle für eine instabile Situation an den Nachkriegsfronten. Der Waffenstillstand ermöglichte den Beginn des Wiederaufbaus in Gebieten, in denen Aserbaidschan die Kontrolle wiedererlangt hatte (HRW 13.1.2022).
Es gab glaubwürdige Berichte, wonach aserbaidschanische und ethnisch-armenische Kräfte während und in einigen Fällen nach den Kämpfen im November 2020 rechtswidrige Tötungen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen vornahmen (USDOS 12.4.2022; vgl. HRW 13.1.2022).
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bearbeitete Fälle von Personen, die im Zusammenhang mit dem Bergkarabach-Konflikt vermisst wurden, und arbeitete mit der Regierung zusammen, um eine konsolidierte Liste der Vermissten zu erstellen. Nach Angaben des IKRK werden seit den 1990er Jahren mehr als 5.000 Aserbaidschaner und Armenier als Folge des Konflikts vermisst (USDOS 12.4.2022).
Die Staats- und Regierungschefs Armeniens und Aserbaidschans haben sich am 23.5.2022 bei einem Treffen in Brüssel darauf geeinigt, die Gespräche über einen Friedensvertrag für die Region Bergkarabach „voranzutreiben“. Bei einem weiteren Treffen der „Grenzkommissionen“ sollen Fragen des Grenzverlaufs und der „bestmöglichen Gewährleistung einer stabilen Situation“ behandelt werden. Die Staats- und Regierungschefs waren sich auch einig, dass die Verkehrsverbindungen zwischen den Ländern wieder freigegeben werden müssen (ORF 23.5.2022).
Bei der Untersuchung von Kriegsverbrechen und anderen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht während des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020 und unmittelbar danach sowie bei der Verurteilung der mutmaßlichen Täter wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt (AI 29.3.2022). Die Mehrheit der 40.000 aserbaidschanischen Zivilisten, die während des Konflikts im Jahr 2020 in die von der Regierung kontrollierten Gebiete vertrieben wurden, kehrte in ihre Heimat zurück (AI 29.3.2022).
[…]
Rechtsschutz, Justizwesen
Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt. Das 1998 errichtete Verfassungsgericht besteht aus neun Richter, die von der Nationalversammlung auf Vorschlag des Staatspräsidenten ernannt werden. Es kann von verschiedenen Verfassungsorganen sowie von allen Personen angerufen werden, die sich von einem Akt hoheitlicher Gewalt in ihren Grundfreiheiten verletzt fühlen (AA 25.3.2022).
Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch (AA 25.3.2022).
In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen (AA 25.3.2022).
Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Ethnie, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Es gibt Anhaltspunkte für politisch motivierte Strafverfahren (AA 25.3.2022).
Obwohl das Gesetz grundsätzlich rechtsstaatliche Bestimmungen und Verfahren (Zugang zu Rechtsbeistand und Rechtsmittel, Kontakt mit Angehörigen, Anhörung vor einem Richter, Unschuldsvermutung, begrenzte Untersuchungshaft etc.) garantiert, hielt sich die Regierung im Allgemeinen nicht immer an diese Vorgaben, insbesondere in allen Fällen, die als politisch motiviert galten (USDOS 12.4.2022).
Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach dem mutmaßlichen Verbrechen und den Erfordernissen der Ermittlungen (USDOS 12.4.2022).Es gab zwar ein formelles Kautionssystem, aber die Richter machten im Laufe des Jahres keinen Gebrauch davon (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die aus strafrechtlichen oder anderen Gründen festgenommen oder inhaftiert wurden, das Recht haben, die Rechtsgrundlage, die Dauer oder den willkürlichen Charakter ihrer Inhaftierung vor Gericht anzufechten und eine unverzügliche Freilassung und Entschädigung zu erwirken, wenn sich herausstellt, dass sie unrechtmäßig festgehalten wurden. Die Justiz entschied in solchen Fällen jedoch nicht unabhängig (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, waren die Richter funktionell nicht von der Exekutive unabhängig. Die Justiz war nach wie vor weitgehend korrupt und ineffizient. Glaubwürdigen Berichten zufolge nahmen Richter und Staatsanwälte insbesondere in politisch heiklen Fällen Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium entgegen. (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung die Verwendung unrechtmäßig erlangter Beweise verbietet, gaben einige Angeklagte an, dass die Polizei und andere Behörden Zeugenaussagen durch Folter oder Missbrauch erlangt hätten. Menschenrechtsbeobachter berichteten außerdem, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen und es keinen unabhängigen gerichtsmedizinischen Sachverständigen gab, der die Behauptungen über den Missbrauch hätte bestätigen können. Die Ermittlungen konzentrierten sich häufig darauf, Geständnisse zu erlangen, anstatt physische Beweise gegen Verdächtige zu sammeln (USDOS 12.4.2022).
Die Bürger haben das Recht, wegen Menschenrechtsverletzungen Schadenersatz oder die Beendigung von Menschenrechtsverletzungen einzuklagen. Alle Bürger haben das Recht, innerhalb von sechs Monaten nach Ausschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsmittel, einschließlich einer Berufung beim Obersten Gerichtshof und dessen Entscheidung, den EGMR anzurufen (USDOS 12.4.2022).
Das Justizministerium berichtete, dass die Behörden im Laufe des Jahres mehr als 2.500 Bürgern die Verwendung von GPS-fähigen elektronischen Überwachungsarmbändern erlaubt haben, wodurch sie der Inhaftierung entgehen konnten (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Lande zuständig und unterstehen direkt dem Präsidenten (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Das Innenministerium beaufsichtigt die lokalen Polizeikräfte und unterhält die internen Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für inländische Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Angelegenheiten des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. Der Staatliche Migrationsdienst und der Staatliche Grenzdienst sind für die Migration und die Durchsetzung der Grenzkontrollen zuständig (USDOS 12.4.2022).
Die zivilen Behörden behielten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 12.4.2022).
Es gab weiterhin Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen in Polizeigewahrsam. Die Generalstaatsanwaltschaft ist befugt, zu untersuchen, ob die von den Sicherheitskräften begangenen Tötungen gerechtfertigt waren, und die Strafverfolgung zu betreiben (USDOS 12.4.2022).
Das Land verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 12.4.2022).
[…]
Folter und unmenschliche Behandlung
Obwohl die Verfassung und das Strafgesetzbuch derartige Praktiken verbieten und eine Verurteilung mit bis zu 10 Jahren Haft bestrafen, gab es weiterhin glaubwürdige Vorwürfe über Folter und andere Misshandlungen (USDOS 12.4.2022: vgl. AI 29.3.2022). Die meisten Misshandlungen fanden während des Polizeigewahrsams statt, wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden anwandten, um Geständnisse zu erzwingen (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022, HRW 13.1.2022).
Es gibt Hinweise darauf, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind (AA 25.3.2022).
Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwindenlassen“ liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nach Kenntnis des Auswärtigen Amts nicht praktiziert (AA 25.3.2022).
[…]
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung setzte das Gesetz nicht wirksam um, so dass Beamte häufig ungestraft korrupte Praktiken ausübten. Die Regierung erzielte zwar einige Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene bei der Erbringung staatlicher Dienstleistungen, doch gab es immer wieder Berichte über Korruption durch Regierungsbeamte, auch auf höchster Ebene (USDOS 12.4.2022).
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2021 den 128. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2022). Ähnlich wie in den Vorjahren bestraften die Behörden weiterhin Personen, die Korruption in der Regierung aufdeckten (USDOS 12.4.2022).
[…]
NGOs, Menschenrechtsaktivisten/Ombudsperson
Die Regierung schränkte die Tätigkeit inländischer und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung der Aktivitäten von NRO und anderer Druckmittel blieb auf demselben hohen Niveau wie in den letzten Jahren. Aktivisten berichteten auch, dass die Behörden sich weigerten, ihre Organisationen zu registrieren oder Zuschüsse zu gewähren, und dass sie die Aktivitäten ihrer Organisationen weiterhin untersuchten. Einige Menschenrechtsverteidiger konnten aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie den eingefrorenen Bankkonten, ihre beruflichen Aufgaben nicht wahrnehmen (USDOS 12.4.2022).
Die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern und Nichtregierungsorganisationen wird nach wie vor durch übermäßige gesetzliche und praktische Beschränkungen behindert. Im November empfahl der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Aserbaidschan, "alle Rechtsvorschriften aufzuheben, die die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen unangemessen einschränken" (AI 29.3.2022).
Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NRO kommunizierte und auf deren Anfragen reagierte, kritisierte sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NRO und Aktivisten und schüchterte sie ein. Das Justizministerium verweigerte weiterhin die Registrierung oder erlegte Menschenrechts-NROs aus willkürlichen Gründen schwerwiegende administrative Beschränkungen auf (USDOS 12.4.2022).
Führende Menschenrechtsorganisationen sahen sich einem feindlichen Umfeld gegenüber, wenn sie Menschenrechtsfälle untersuchten und ihre Erkenntnisse darüber veröffentlichten (USDOS 12.4.2022).
Bürger können sich bei Verstößen des Staates oder von Einzelpersonen an die Ombudsperson für Menschenrechte für Aserbaidschan oder die Ombudsperson für Menschenrechte der Autonomen Republik Nachitschewan wenden. Die Ombudsperson kann die Annahme von Missbrauchsfällen verweigern, die mehr als ein Jahr alt oder anonym sind oder bereits von der Justiz bearbeitet werden. Menschenrechtsorganisationen kritisierten, dass es der Ombudsstelle in Fällen, die als politisch motiviert angesehen werden, an Unabhängigkeit und Wirksamkeit mangelt (USDOS 12.4.2022).
Auch die Menschenrechtsbüros in der Nationalversammlung und im Justizministerium nahmen Beschwerden entgegen, führten Untersuchungen durch und gaben Empfehlungen an die zuständigen Regierungsstellen ab, wurden aber ebenfalls beschuldigt, Verstöße in politisch heiklen Fällen zu ignorieren (USDOS 12.4.2022).
[…]
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung enthält in den Art. 24 bis 71 einen umfassenden Menschenrechtskatalog (AA 25.3.2022).
Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Rechte und Freiheiten für alle, ungeachtet der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, des Vermögens, des Berufs, der Überzeugungen oder der Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder anderen öffentlichen Vereinigungen. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten aus Gründen der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, der Weltanschauung oder der politischen oder sozialen Zugehörigkeit sind verboten (USDOS 12.4.2022).
Allerdings gab es laut USDOS-Bericht glaubwürdige Berichte über unterschiedliche Menschenrechtsprobleme wie: rechtswidrige oder willkürliche Tötung; Folter harte und mitunter lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Inhaftierung; politische Gefangene; weit verbreitete Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in Konflikten, einschließlich des Verschwindenlassens von Personen, Folter und anderer körperlicher Misshandlungen; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medien und des Internets, ein faktisches Verbot des Rechts, sich friedlich zu versammeln, und erhebliche Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; schwerwiegende Einschränkungen der politischen Partizipation; systemische Korruption in der Regierung; polizeiliche Brutalität gegen Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung; erhebliche Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit von Arbeitnehmern; und schlimmste Formen der Kinderarbeit (USDOS 12.4.2022).
Nach Ansicht unabhängiger Beobachter und Menschenrechtsverteidiger, hat sich die Menschenrechtslage speziell im Bereich der politischen Rechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit) nach deutlicher Verschlechterung 2013 bis 2015 nicht wieder grundsätzlich verbessert. In den Bereichen wie Frauenrechte und Inklusion von Menschen mit Behinderung zeigt Aserbaidschan allerdings Interesse (AA 25.3.2022).
Jeder Staatsangehörige, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 25.3.2022).
Die Schätzungen zu der Anzahl politischer Gefangener in aserbaidschanischen Gefängnissen variieren in der Größenordnung zwischen 20 (laut Europarat) und über 100 (NRO-Listen) (AA 25.3.2022).
Die Regierung hat die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen und Korruptionshandlungen begangen haben, nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft; Straffreiheit ist nach wie vor ein Problem (USDOS 12.4.2022).
[…]
Meinungs- und Pressefreiheit
Obwohl das Gesetz das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch für Mitglieder der Presse und anderer Medien, vorsieht und die Pressezensur ausdrücklich verbietet, hat die Regierung diese Rechte regelmäßig verletzt (USDOS 12.4.2022; vgl AA 25.3.2022).
In der Rangliste der Pressefreiheit 2022 liegt Aserbaidschan auf Platz 154 von 180 Plätzen (RSF ohne Datum).
Die Medien – insbesondere staatlich kontrollierte Druckpresse und Fernsehen – werden gelegentlich für Hetzkampagnen gegen regierungskritische Organisationen oder Individuen missbraucht (AA 25.3.2022).
Journalisten, Redakteure und unabhängige Blogger waren Einschüchterungsversuchen ausgesetzt und wurden bisweilen verprügelt und inhaftiert. Darüber hinaus kam es zu verdächtigen Gewalttaten außerhalb des Landes. Im Laufe des Jahres übten die Behörden weiterhin Druck auf Medien, Journalisten, Blogger und Aktivisten im Land und im Exil sowie auf deren Angehörige aus, damit sie keine Kritik an der Regierung übten (USDOS 12.4.2022).
Nicht nur die offiziellen, sondern auch die meisten privaten Medien berichten tendenziell positiv über die Regierung und den Präsidenten und üben sich in Selbstzensur (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Lokale Beobachter berichteten, dass Journalisten unabhängiger Medien Schikanen und Cyberangriffen ausgesetzt waren. Die Schikanen richteten sich vor allem gegen Journalisten von Radio Liberty, Azadliq und anderen oppositionellen und halb unabhängigen Zeitungen sowie von Meydan TV, Obyektiv Television und Mikroskop Media (USDOS 12.4.2022).
Eine unmittelbare Zensur findet nicht statt. Journalisten und Herausgeber setzen sich jedoch im Falle kritischer Berichterstattung der Gefahr aus, aufgrund ihrer Tätigkeit Nachteile bis zu Gefängnishaft zu erleiden (AA 25.3.2022).
Dem Fernsehen kommt als bevorzugter Informationsquelle nach wie vor eine besondere Bedeutung zu. Dieses wird durch staatliche oder staatsnah berichtende aserbaidschanische Sender und russische sowie türkische Sender dominiert (AA 25.3.2022). Ausländischen Radiosendern wurde die direkte Ausstrahlung generell untersagt (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung vorsieht, unterdrückte die Regierung weiterhin Personen, die sie als politische Gegner oder Kritiker ansah, oder versuchte, sie einzuschüchtern (USDOS 12.4.2022).
Die Nutzung des Internets hat in Aserbaidschan stark zugenommen. Der Zugang zu Internetseiten ist im Wesentlichen frei und auch zu kritischen oder armenischen Websites problemlos möglich (AA 25.3.2022). Es gibt eine aktive Blogger- und Facebook-Aktivistenszene. Verfasser von Beiträgen in Blogs und bei Facebook müssen allerdings mit staatlicher Überwachung rechnen (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Internationale Nachrichten-Websites und solche, die mit Oppositionsgruppen in Verbindung stehen, wurden im Laufe des Jahres für unterschiedlich lange Zeit blockiert (USDOS 12.4.2022).
Im Juli deckte eine gemeinsame Untersuchung mit Journalisten, Medienorganisationen und anderen auf, dass die aserbaidschanischen Behörden Hunderte von lokalen Aktivisten und Journalisten mit Hilfe der Spionagesoftware Pegasus ausspionierten (AI 29.3.2022).
Die Verfassung verbietet Hassreden, definiert als "Propaganda, die rassische, nationale, religiöse und soziale Zwietracht und Feindseligkeit hervorruft" sowie "Feindseligkeit und andere Kriterien". Propaganda, Verleumdung und Hassreden wurden jedoch ungestraft gegen Oppositionsführer, Blogger, unabhängige Journalisten und Dissidenten eingesetzt (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht für Personen, die wegen Verleumdung oder übler Nachrede verurteilt werden, hohe Geldstrafen und bis zu drei Jahre Haft vor. Die Verurteilung wegen Beleidigung des Präsidenten wird mit bis zu zwei Jahren Strafarbeit oder bis zu drei Jahren Haft bestraft
Beleidigungs- und Verleumdungsgesetze wurden routinemäßig angewandt, um Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen (USDOS 12.4.2022).
[…]
Versammlungsfreiheit
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind zahlreichen Beschränkungen unterworfen. Dies gilt besonders für die Versammlungsfreiheit, obwohl Art. 49 der Verfassung dieses Grundrecht garantiert und vorsieht, dass jeder sich nach rechtzeitiger Anmeldung friedlich und ohne Waffen versammeln kann (AA 25.3.2022).
Obwohl die Verfassung vorsieht, dass sich Gruppen nach vorheriger Anmeldung bei der zuständigen Regierungsstelle friedlich versammeln dürfen, legte die Regierung diese Bestimmung weiterhin so aus, dass nicht nur eine vorherige Genehmigung erforderlich ist. Die örtlichen Behörden verlangten, dass alle Kundgebungen im Voraus genehmigt und an bestimmten Orten abgehalten wurden, die weit vom Stadtzentrum von Baku entfernt und nur begrenzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar waren (USDOS 12.4.2022).
Die Regierung schränkte die Freiheit, sich friedlich zu versammeln, konsequent und stark ein und schuf damit Bedingungen, die de facto einem Versammlungsverbot gleichkamen. Die Behörden reagierten auf friedliche Proteste und Versammlungen bisweilen mit Gewalt oder der Festnahme von Demonstranten (USDOS 12.4.2022; AI 29.3.2022). In der Praxis werden Versammlungen in der Innenstadt von Baku nicht gestattet (AA 25.3.2022).
Sofern regierungskritische Kundgebungen unangemeldet oder trotz behördlichen Verbots durchgeführt werden, löst die Polizei Menschenansammlungen notfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs auf. Regelmäßig werden Teilnehmende an solchen Aktionen festgenommen, aber meistens nach wenigen Stunden (oder zuweilen Tagen) wieder auf freien Fuß gesetzt. Es kann auch mit „vorbeugenden“ administrativen Arresten vor angekündigten Demonstrationen gerechnet werden (AA 25.3.2022).
Für Versammlungen in geschlossenen/privaten Räumen sieht das Gesetz keine Beschränkungen vor. Die Anmietung von Konferenzräumen ist jedoch für kritische Zivilgesellschaftsvertreter oder Oppositionelle insbesondere in den Gebieten außerhalb der Hauptstadt so gut wie unmöglich. Auch wird von Druck auf die Vermieter von Büroflächen berichtet, Mietverträge mit NROs, die kritischen Veranstaltungen Raum geben, vorzeitig zu beenden. In Einzelfällen werden Vermieter, die diesem Druck nicht nachgeben, mit faktischem Eigentumsentzug konfrontiert (AA 25.3.2022).
Das Gesetz räumt den meisten Beschäftigten des privaten Sektors das Recht auf legale Streiks ein, verbietet jedoch Streiks im öffentlichen Dienst (USDOS 12.4.2022).
[…]
Vereinigungsfreiheit
Vielfältigen faktischen Einschränkungen in der Rechtswirklichkeit unterliegt auch die in Artikel 58 der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit. So müssen NROs, um finanzielle Zuwendungen oder Spenden erhalten zu können, als NRO registriert sein und auch jede einzelne Zuwendung in einem umständlichen Verfahren beim Justizministerium registrieren. Kritische NROs, die im Bereich Menschenrechte/Demokratie agieren, erhalten regelmäßig keine Registrierung als NRO und sind somit vom Rechtsverkehr – insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Zuwendungsverträgen – ausgeschlossen. Zuwendungen von westlichen Geldgebern an unabhängige NROs werden mit schwer erfüllbaren Registrierungsauflagen belegt; der Zuwendungsgeber muss ebenfalls registriert werden. Zudem lehnen einige Geschäftsbanken es ab, Girokonten für NROs zu führen. Zahlreiche herausgehobene Vertreter regierungskritischer NROs haben ihre Tätigkeiten eingestellt oder das Land verlassen. Alternativ melden sich mitunter NROs als „gemeinnützige Unternehmen“ an. Damit können sie zwar einfacher agieren, unterliegen aber den für Gewerbebetriebe geltenden Buchführungs- und Publikationspflichten (AA 25.3.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Eine Reihe von Rechtsvorschriften erlaubt es der Regierung, die Aktivitäten von politischen Parteien, religiösen Gruppen, Unternehmen und NROs zu regulieren, einschließlich der Verpflichtung für NROs, sich beim Justizministerium registrieren zu lassen, wenn sie den Status einer "Rechtspersönlichkeit" anstreben. Obwohl die Regierung gesetzlich verpflichtet ist, Anträge auf Registrierung von NRO innerhalb von 30 Tagen nach Eingang zu bearbeiten (oder innerhalb weiterer 30 Tage, wenn weitere Untersuchungen erforderlich sind), führten vage, schwerfällige und undurchsichtige Registrierungsverfahren weiterhin zu langen Verzögerungen, die das Recht der Bürger auf Vereinigung einschränkten. Andere Gesetze schränken die Vereinigungsfreiheit ein, indem sie beispielsweise vorschreiben, dass stellvertretende Leiter von NRO-Zweigstellen Staatsbürger sein müssen, wenn der Leiter der Zweigstelle ein Ausländer ist (USDOS 12.4.2022).
Das Justizministerium ist gesetzlich befugt, die Aktivitäten von NRO zu überwachen und Inspektionen bei NRO durchzuführen. Das Gesetz enthält nur wenige Bestimmungen zum Schutz der Rechte von NRO und sieht erhebliche Geldstrafen für NRO vor, wenn diese nicht kooperieren. Weiters sind die Bildung und der Beitritt zu Gewerkschaften gesetzlich erlaubt. Uniformierten Militärs, Polizisten und leitenden Angestellten ist ein Gewerkschaftsbeitritt untersagt (USDOS 12.4.2022).
[…]
Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde mit Gesetz vom 28.Oktober 1998 abgeschafft. Die bis zu diesem Zeitpunkt verhängten Todesurteile sind in lebenslange Haft umgewandelt worden (AA 25.3.2022).
[…]
Religionsfreiheit
Die Verfassung garantiert die Religions- und Bekenntnisfreiheit (Art. 48 Abs. 2) und knüpft damit an eine historisch gewachsene Tradition der Toleranz in Religionsfragen an. So leben im heutigen Aserbaidschan zahlreiche Religionen in Eintracht miteinander. Laut Religionsgesetz ist für alle die Religionsgemeinschaften betreffenden Fragen ein Staatskomitee zuständig, das weitreichende Vollmachten hat: So muss jede Religionsgemeinschaft sich beim Staatskomitee registrieren lassen. Das Staatskomitee kontrolliert auch die Einfuhr, den Druck und die Verbreitung religiöser Literatur. Die Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft ohne Registrierung ist illegal. In der Praxis des Staatskomitees ist insbesondere die Unterscheidung zwischen traditionellen und neuen Religionsgemeinschaften von Bedeutung. Klerikale Tätigkeit im Ausland ausgebildeter Theologen ist offiziell verboten, wird aber oft geduldet. Die Geldstrafen für Verstöße gegen Vorschriften der Religionsgesetzgebung wurden durch eine Gesetzesänderung Ende 2010 im Durchschnitt verzehnfacht (AA 25.3.2022).
Staatlich anerkannte nichtmuslimische Glaubensgemeinschaften berichten dagegen von einem allgemein verbesserten Klima und davon, in ihrer Gemeindearbeit von staatlichen Stellen weitestgehend unbehelligt zu sein. In früheren Jahren vorkommende polizeiliche Schikanen seien kaum noch zu beobachten (AA 25.3.2022).
Es gab keine Berichte über antisemitische Handlungen (USDOS 12.4.2022).
Nicht registrierte islamische, in der Praxis vor allem islamistische Gruppierungen, werden besonders streng observiert und in ihren Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt (AA 25.3.2022).
Religionswechsel – auch vom Islam zum Christentum oder von einer islamischen Konfession zu einer anderen – wird akzeptiert und führt zu keinerlei Benachteiligungen. Offene Missionstätigkeit wird allerdings nicht geduldet (AA 25.3.2022).
Aserbaidschan ist ein säkularer Staat, und die Rechtsordnung wird durch das Zivilrecht bestimmt. Religiösen Organisationen und Mitgliedern des Klerus ist die Teilnahme an Wahlen untersagt. Obwohl die Gesellschaft ihren überwiegend säkularen Charakter bewahrt hat, versuchen religiöse Gruppen von Zeit zu Zeit, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen (BTI 2022).
[…]
Religiöse Gruppen
Die aserbaidschanische Bevölkerung ist mehrheitlich (zu 95 %) muslimischen Glaubens (das Schia-Sunni-Verhältnis wird dabei auf 65 zu 35 geschätzt). Weiter sind die russisch-orthodoxe Kirche, verschiedene Strömungen des Judentums, eine sehr kleine katholische Gemeinde, Baha’i, Krischnaiten, die evangelisch-lutherische Gemeinde sowie freikirchliche Bewegungen und Zeugen Jehovas vertreten (AA 25.3.2022; vgl. USCIRF 4.2022).
Die jüdische Gemeinde des Landes wurde auf 20.000 bis 30.000 Personen geschätzt (USDOS 12.4.2022).
[…]
Minderheiten
In Aserbaidschan leben neben der Titularnation der Aserbaidschaner weitere ethnische Gruppen (schätzungsweise 1,3 % Russen, 2,0 % Lesginer, 1,3 % Armenier, 1,3 % Talyschen sowie Kurden, Georgier, Awaren usw.) (AA 25.3.2022; vgl. CIA 17.5.2022). Die Lebensbedingungen dieser Minderheiten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen der Aserbaidschaner. Die Sprachen Lesginisch, Georgisch, Awarisch und Talysch werden in den Schulen im traditionellen Siedlungsgebiet dieser Volksgruppen unterrichtet. Die russische Sprache gilt gerade in Baku weiterhin als die Sprache der Bildungs- und Verwaltungselite (AA 25.3.2022).
Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Rechte und Freiheiten für alle, ungeachtet der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, des Vermögens, des Berufs, der Überzeugungen oder der Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Gewerkschaften oder anderen öffentlichen Vereinigungen. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten aus Gründen der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, der Sprache, des Geschlechts, der Herkunft, der Weltanschauung oder der politischen oder sozialen Zugehörigkeit sind verboten (USDOS 12.4.2022).
Einige Gruppen, darunter die Talysh im Süden und die Lezgins im Norden, berichteten, dass die Regierung keine offiziellen Schulbücher in ihren lokalen Muttersprachen zur Verfügung stellt (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022).
Die religiöse oder ethnische Herkunft scheint kein Faktor zu sein, der die Beschäftigung behindert, aber der regionale Hintergrund spielt in Aserbaidschan immer noch eine wichtige Rolle: Aserbaidschaner aus Armenien und der Exklave Nachitschewan haben im Allgemeinen einen privilegierten Zugang zu öffentlichen Ämtern und Beschäftigung (BTI 2022).
[…]
Relevante Bevölkerungsgruppen
Das Gesetz verbietet die Diskriminierung von Menschen mit körperlichen, sensorischen, geistigen oder psychischen Behinderungen, aber die Regierung hat diese Bestimmungen nicht wirksam durchgesetzt. Das Gesetz fordert einen verbesserten Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Sozialschutz und Justiz sowie das Recht auf Teilnahme am politischen Leben (USDOS 12.4.2022).
Frauen
Trotz verfassungsmäßig garantierter Gleichberechtigung, ist die gesellschaftliche und beschäftigungsbezogene Diskriminierung (nach Angaben des Staatlichen Komitees für Statistik lag das durchschnittliche Monatsgehalt von Frauen im Jahr 2020 bei 63 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts von Männern sowie höhere Arbeitslosenquoten) weiterhin ein Problem, wobei es diesbezüglich ein großes Stadt-Landgefälle gibt (AA 25.3.2022; vgl. BTI 2022, USDOS 12.4.2022).
Die Repräsentanz von Frauen in Regierung und Parlament stagniert (22 von 125 Parlamentariern sind weiblich); sie sind im Bildungs- und Gesundheitssektor jedoch stark vertreten (AA 25.3.2022; vgl. BTI 2022).
Das Gesetz schließt Frauen von 678 Berufen in 38 Branchen aus, die als von Natur aus gefährliche Arbeitsplätze eingestuft werden. Viele dieser Stellen waren höherrangig und besser bezahlt als Stellen, die Frauen in denselben Branchen besetzen durften. Auch durften Frauen nicht in gleicher Weise wie Männer nachts arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Frauenrechtsaktivistinnen, Journalistinnen und Frauen, die mit der politischen Opposition in Verbindung stehen, wurden erpresst und waren erniedrigenden geschlechtsspezifischen Verleumdungskampagnen ausgesetzt, nachdem ihre Konten in den sozialen Medien gehackt und private Informationen einschließlich Fotos und Videos online veröffentlicht worden waren (AI 29.3.2022).
Das Gesetz legt einen Rahmen für die Untersuchung von Beschwerden über häusliche Gewalt fest, definiert ein Verfahren für den Erlass von einstweiligen Verfügungen und fordert die Einrichtung eines Schutz- und Rehabilitationszentrums für Überlebende. Einige Kritiker des Gesetzes über häusliche Gewalt behaupteten, dass das Fehlen klarer Durchführungsrichtlinien die Wirksamkeit des Gesetzes beeinträchtigt. Aktivisten berichteten, dass die Polizei häusliche Gewalt nach wie vor als Familienangelegenheit betrachte und nicht wirksam zum Schutz der Überlebenden eingreife, auch nicht in Fällen, in denen Ehemänner ihre Frauen misshandelten oder töteten (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Es mangelt an Hilfsangeboten und Trainingsmöglichkeiten für den Umgang mit häuslicher Gewalt etwa unter den Polizeikräften (AA 25.3.2022).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist nach wie vor weit verbreitet, wird aber zu selten gemeldet (HRW 13.1.2022; vgl. AI 29.3.2022). Der SCFWCA (State Committee for Family, Women, and Children Affairs) ging das Problem der häuslichen Gewalt an, indem er Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit durchführte und sich für die Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Überlebenden häuslicher Gewalt einsetzte. Im November 2020 genehmigte der Präsident den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt für 2020- 23. Die Regierung und eine unabhängige NRO betreiben jeweils eine Unterkunft, die Überlebenden von Menschenhandel und häuslicher Gewalt Hilfe und Beratung bietet. Im Dezember 2020 richtete der SCFWCA zusammen mit dem UN-Bevölkerungsfonds eine Notfall-Hotline für geschlechtsspezifische Gewalt ein. Über die Hotline konnten Anrufer kostenlosen Rechtsbeistand, Beratung und Informationen über geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt in Anspruch nehmen. Die Regierung verwies Opfer sexueller Gewalt an eine kostenlose medizinische Versorgung, einschließlich sexueller und reproduktiver Dienste. Notfallverhütungsmittel waren im Rahmen der klinischen Behandlung von Vergewaltigungen nicht verfügbar (USDOS 12.4.2022).
Vergewaltigung ist illegal und wird mit einer Höchststrafe von 15 Jahren Gefängnis geahndet. Die Vergewaltigung in der Ehe ist ebenfalls illegal, aber Beobachter stellten fest, dass die Polizei solchen Vorwürfen nicht wirksam nachgeht (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022).
Die Regierung hat das Verbot der sexuellen Belästigung nur selten durchgesetzt oder rechtliche Schritte gegen Personen eingeleitet, die der sexuellen Belästigung beschuldigt wurden (USDOS 12.4.2022).
Das Auswärtige Amt hat keine Kenntnis über in Aserbaidschan vorkommende weibliche Genitalverstümmlung (AA 25.3.2022).
[…]
Kinder
Kinder erhalten die Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land oder von ihren Eltern (USDOS 12.4.2022).
Obwohl die Schulbildung bis zum Alter von 17 Jahren obligatorisch, kostenlos und universell ist, legten große Familien in verarmten ländlichen Gebieten manchmal mehr Wert auf die Ausbildung der Jungen und ließen die Mädchen zu Hause arbeiten (USDOS 12.4.2022).
Laut dem UNICEF-Bericht über den Zustand der Kinder in der Welt 2021 wurden 11 % der Mädchen im Land verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt waren. Das Problem der Frühverheiratung setzte sich im Laufe des Jahres fort. Das Gesetz sieht vor, dass Buben und Mädchen mit 18 Jahren bzw. Mädchen mit 17 Jahren mit Genehmigung der örtlichen Behörden heiraten können (USDOS 12.4.2022).
Das Gesetz sieht hohe Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren für die Verurteilung wegen Zwangsheirat mit einem minderjährigen Kind vor. Mädchen, die im Rahmen religiöser Eheverträge heirateten, bereiteten besondere Besorgnis, da diese Verträge nicht der staatlichen Aufsicht unterlagen und die Frau im Falle einer Scheidung keinen Anspruch auf Anerkennung ihres Status hatte (USDOS 12.4.2022).
In ländlichen Gebieten können illegale Zwangsverheiratungen von jungen Mädchen (13–15 Jahre) nicht ausgeschlossen werden (AA 25.3.2022).
Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist strafbar. Das Gesetz sieht auch Strafen für Kinderarbeit und andere Misshandlungen von Kindern vor. Die Anwerbung von Minderjährigen zum Zwecke der kommerziellen sexuellen Ausbeutung (Beteiligung eines Minderjährigen an unsittlichen Handlungen) wird mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft. Das Gesetz verbietet Pornografie, ihre Herstellung, ihren Vertrieb oder ihre Werbung, und eine Verurteilung wird mit drei Jahren Haft bestraft. Das Mindestalter für einvernehmlichen Sex liegt bei 16 Jahren. Die Verurteilung wegen Unzucht mit Minderjährigen wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft (USDOS 12.4.2022).
In den meisten Fällen erlaubt das Gesetz, dass Kinder ab 15 Jahren mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag arbeiten. Kinder, die 14 Jahre alt sind, dürfen in Familienbetrieben oder, mit Zustimmung der Eltern, tagsüber nach der Schule arbeiten, wenn dies keine Gefahr für ihre Gesundheit darstellt. Kinder, die jünger als 16 Jahre sind, dürfen nicht mehr als 24 Stunden pro Woche arbeiten; Kinder, die 16 oder 17 Jahre alt sind, dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Das Gesetz verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 18 Jahren unter schwierigen und gefährlichen Bedingungen und nennt bestimmte Arbeiten und Branchen, in denen Kinder verboten sind, darunter die Arbeit mit giftigen Stoffen und unter Tage, bei Nacht, in Bergwerken und in Nachtclubs, Bars, Kasinos oder anderen Betrieben, in denen Alkohol ausgeschenkt wird (USDOS 12.4.2022).
Im Juli 2020 genehmigte der Präsident den Nationalen Aktionsplan 2020-2024 zur Bekämpfung des Menschenhandels. Der Plan beauftragte die zuständigen Regierungsstellen, ihre Bemühungen fortzusetzen, um: Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit, einschließlich Kinder, zu identifizieren; spezielle Arbeit mit bettelnden Kindern durchzuführen; allgemeine Standards für die Kommunikation mit Opfern von Kinderhandel zu entwickeln; Schulungen zur Identifizierung und zum Schutz von Opfern von Kinderhandel durchzuführen; und Sensibilisierungsarbeit bei Unternehmern und Arbeitgebern zu leisten, um die Ausbeutung von Kinderarbeit zu verhindern (USDOS 12.4.2022).
Das Auswärtige Amt hat keine Kenntnis über spezifische Menschenrechtsverletzungen an Kindern in Aserbaidschan. Hinweise auf systematisch begangenen Kinderhandel oder sexuelle Ausbeutung von Kindern bzw. Kinderarbeit liegen nicht vor (AA 25.3.2022).
Es gibt keine Kindersoldaten (AA 25.3.2022).
Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet (Art. 20 Abs. 1 des aserbaidschanischen StGB). Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z. B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig (Art. 20 Abs. 2). Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren existieren für den Fall einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Das „Übereinkommen des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs“ wurde Ende 2019 von Aserbaidschan ratifiziert (AA 25.3.2022).
Beträchtliche Investitionen der Regierung in Binnenvertriebenengemeinden haben das Problem zahlreicher vertriebener Kinder, die unter prekären Bedingungen leben und keine Schule besuchen können, weitgehend gelindert (USDOS 12.4.2022).
Es herrschte nach wie vor die Meinung, dass Kinder mit Behinderungen krank seien und von anderen Kindern getrennt und in Heimen untergebracht werden müssten. Das Bildungsministerium und das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz setzten ihre Bemühungen fort, um die Eingliederung von Kindern mit Behinderungen in Regelklassen, insbesondere im Primarbereich, zu verbessern (USDOS 12.4.2022).
[…]
Bewegungsfreiheit
Nach zuverlässigen Angaben von NROs sind staatliche Repressionen in den Regionen außerhalb der Hauptstadt tendenziell eher stärker ausgeprägt als im Großraum Baku. Als besonders streng gilt in dieser Hinsicht die autonome Exklave Nachitschewan (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht Freizügigkeit von Reisen im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung vor. Die Regierung respektierte im Allgemeinen viele dieser Rechte, schränkte jedoch weiterhin die Bewegungsfreiheit einiger prominenter Oppositioneller, Aktivisten und Journalisten ein. Familienangehörige und Verwandte von politischen Gefangenen berichteten über Reiseverbote aufgrund der politischen Aktivitäten ihrer Familienmitglieder (USDOS 12.4.2022).
[…]
Meldewesen
Es existiert zwar ein Melderegister, in dem alle in Aserbaidschan lebenden Personen erfasst sind, die registrierten Adressen entsprechen jedoch häufig nicht den tatsächlichen Adressen und werden auch bei längerfristiger Ausreise aus Aserbaidschan nicht zwangsläufig geändert. Bei der Adresse wird üblicherweise der Stadtbezirk (Rayon) mitangegeben (AA 25.3.2022).
Ein zentrales Personenstandsregister und auch ein Passregister sind vorhanden. Beide sind jedoch öffentlich nicht zugänglich. Ein zentrales Fahndungsregister existiert nicht. Es gibt ein öffentlich zugängliches Register über Gerichtsentscheidungen sowie eine Datenbank über Ausreisesperren (AA 25.3.2022).
[…]
IDPs und Flüchtlinge
Die Regierung arbeitete mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen, Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylbewerbern, Staatenlosen und anderen betroffenen Personen Schutz und Hilfe zu bieten (USDOS 12.4.2022).
Das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) meldete zur Jahresmitte 653.921 registrierte Binnenflüchtlinge im Lande. Die große Mehrheit von ihnen floh zwischen 1988 und 1994 infolge des Bergkarabach-Konflikts aus ihrer Heimat (USDOS 12.4.2022; vgl. AA 25.3.2022). Die Binnenvertriebenen hatten Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, ihre Arbeitslosenquote lag jedoch über dem Landesdurchschnitt. Einige internationale Beobachter stellten weiterhin fest, dass die Regierung die Integration der Binnenvertriebenen in die Gesellschaft nicht angemessen förderte (USDOS 12.4.2022).
Im Rahmen staatlicher Programme wurden laut offiziellen Angaben seit 2004 58.000 neuerrichtete Wohneinheiten den Binnenvertriebenenfamilien (rd. 272.000 Personen) übergeben. Das Staatsbudget sieht zudem große Anteile für den Wiederaufbau der zurück erhaltenen Gebiete vor (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht die Gewährung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus vor, und die Regierung hat ein System zur Gewährung von Schutz für einige Flüchtlinge durch die Abteilung zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus beim Staatlichen Migrationsdienst eingerichtet, die für Flüchtlingsangelegenheiten zuständig ist. Obwohl das UNHCR einige Verbesserungen der Bedingungen für Flüchtlinge feststellte, einschließlich des Zugangs zu öffentlicher Bildung und des Rechts auf Arbeit, entsprach das System zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus nicht den internationalen Standards (USDOS 12.4.2022).
Seit 2019 haben alle Asylbewerber Zugang zu Asylverfahren. Darüber hinaus haben seit 2020 alle Flüchtlinge, die unter dem Mandat des UNHCR stehen, legalen Zugang zum Arbeitsmarkt und werden wie aserbaidschanische Staatsangehörige von den nationalen Gesundheitsdiensten (einschließlich kostenloser Covid-Impfung) abgedeckt. Alle diese betroffenen Personen haben jedoch noch immer keinen formalen Rechtsstatus (USDOS 12.4.2022).
Obwohl das Gesetz das Recht vorsieht, den Status eines Staatenlosen zu beantragen, konnten einige Personen die für den Antrag erforderlichen Unterlagen nicht beschaffen und blieben daher formell nicht anerkannt. Staatenlose genossen im Allgemeinen Freizügigkeit im Land. Staatenlose erhielten jedoch keine Reisedokumente und wurden nicht wieder zugelassen, wenn sie das Land verließen (USDOS 12.4.2022). Nach der nationalen Gesetzgebung haben Staatenlose Zugang zu allen Rechten und Dienstleistungen, die Bürgern und Ausländern im Land zur Verfügung stehen, mit Ausnahme bestimmter Rechte, die nur Bürgern vorbehalten sind. Nach Angaben des UNHCR hatten jedoch nur diejenigen Zugang zu diesen Rechten und Dienstleistungen, die mit einem Staatenlosenausweis der aserbaidschanischen Regierung oder einem UNHCR-Schutzdokument ausgestattet waren. Diejenigen, die keine Ausweisdokumente besaßen, hatten auch keinen Zugang zu grundlegenden Rechten, insbesondere wegen der Ausweitung des elektronischen Verwaltungssystems des Landes (USDOS 12.4.2022).
[…]
Grundversorgung und Wirtschaft
Die Wirtschaft Aserbaidschans ist abhängig von der Entwicklung des Ölpreises. Um die hohe Abhängigkeit von der Ölindustrie zu verringern, investiert der Staat seit ein paar Jahren in die Entwicklung des Nicht-Energiesektors und in den Ausbau der Infrastruktur, um eine Diversifizierung der Wirtschaft zu erreichen. In den letzten Jahren setzt man einen verstärkten Fokus unter anderem auf die Entwicklung der Landwirtschaft, Tourismus, Logistik und Umwelttechnik (WKO 4.2022).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (AA 25.3.2022).
Die Armut ist in den letzten Jahren durch die stark angestiegenen Einkommen der Bevölkerung erheblich zurückgegangen (AA 25.3.2022). Als Armutsgrenze gilt ein Einkommen unterhalb von 160 Aserbaidschan Manat [ca 88 €] (IOM 2021).
Die Arbeitslosenquote im Jahr 2021 lag bei rund 5,95 % (WKO 4.2022; vgl. statista 4.2022). Die Inflation für das Jahr 2021 wurde mit 6,7 % errechnet (WKO 4.2022; vgl. laenderdaten.info ohne Datum).
Das offizielle Existenzminimum liegt nach offiziellen Berechnungen derzeit bei 196 AZN (Aserbaidschan Manat) pro Kopf und Monat. Für Angestellte ist das monatliche Durchschnittseinkommen 2020 auf 890 AZN gestiegen. Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts gibt es unter den Arbeitgebern die verbreitete Praxis, neben einem offiziellen, versteuerten Gehalt einen monatlichen Barbetrag auszuzahlen (AA 25.3.2022).
Das Gesetz sieht eine 40-Stunden-Woche vor. Beschäftigte in gefährlichen Berufen dürfen nicht mehr als 36 Stunden pro Woche arbeiten, jedoch hat die Regierung die Gesetze über annehmbare Arbeitsbedingungen nicht wirksam durchgesetzt (USDOS 12.4.2022).
[…]
Sozialbeihilfen
Die Sozialleistungen werden in Form von monatlichen oder einmaligen Zahlungen bestimmt und ausgezahlt, um bestimmten Personengruppen soziale Unterstützung zu gewähren. Staatenlose und Ausländer mit ständigem Wohnsitz in Aserbaidschan haben, sofern internationale Verträge, bei denen Aserbaidschan Vertragspartei ist, nichts anderes vorsehen, das Recht, monatliche und einmalige Leistungen zu den Bedingungen zu erhalten, die im Gesetz vorgeschrieben sind (IOM 2021).
Die gezielte Sozialhilfe (TSA) ist ein monatlicher Zuschuss, der vom Staat an Familien mit geringem Einkommen gezahlt wird. Die Sozialhilfe wird aus dem Staatshaushalt finanziert. Die TSA wird für 2 Jahre gewährt, beginnend mit dem Monat, in dem der Antrag eingegangen ist. Familien mit geringem Einkommen haben das Recht, mehrmals einen Sozialhilfe zu beantragen. Familien, die mit ihrem Pro-Kopf- Einkommen unter der Armutsgrenze (derzeit 160 AserbaidschanManat) liegen, haben einen Anspruch auf die TSA (IOM 2021).
Staatliche Unterstützungsleistungen erhalten die über 600.000 (Binnen-)Vertriebenen, die im Zuge des Bergkarabach-Konflikts aus ihren bisherigen Wohnorten in den ehemals besetzten Gebieten vertrieben wurden oder geflohen sind (AA 25.3.2022).
[…]
Medizinische Versorgung
Die Gesundheitsversorgung in Aserbaidschan wird von öffentlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen erbracht und durch das Ministerium für Gesundheitswesen geregelt (BTI 2022). Die öffentlichen Krankenhäuser in Aserbaidschan werden staatlich geführt und bieten eine kostenlose medizinische Versorgung für aserbaidschanische Bürger an. Zu den öffentlichen Einrichtungen gehören Polikliniken, die ambulante Leistungen anbieten sowie Krankenhäuser, Ambulanzen und Spezialkliniken, die sowohl ambulante als auch stationäre Leistungen anbieten (IOM 2021).
Die medizinische Versorgung entspricht nicht überall westeuropäischem Standard und ist außerhalb der Stadt Baku oft unzureichend (AA 27.5.2022; vgl. BMEIA 27.5.2022, EDA 27.5.2022).
In den letzten Jahren hat die Regierung erhebliche Investitionen im Gesundheitswesen vorgenommen. Nach wie vor befinden sich die größten staatlichen Krankenhäuser und Spezialkliniken wie Kinderkrankenhäuser, Herzkliniken und psychiatrische Einrichtungen in Baku. Doch wurden in den letzten Jahren auch zentrale Krankenhäuser in den Regionen gebaut. Problematisch ist nach wie vor der relativ niedrige Ausbildungsstand der lokalen Ärzte (AA 25.3.2022).
Am 1. April 2021 wurde die wegen der Covid-19-Pandemie verschobene allgemeine Krankenversicherung eingeführt (AA 25.3.2022; vgl. IOM 2021). Alle ärztlichen Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten sollen damit abgedeckt werden. Behandlungsbedürftige Personen sollen sich an die Polyklinik an Ihrem Wohnort wenden und erhalten dort die notwendigen Medikamente und (fach-)ärztliche Versorgung (AA 25.3.2022).
Dringende medizinische Hilfe wird in Notfällen gewährt (was den Krankentransport und die Aufnahme in ein staatliches Krankenhaus einschließt); mittellose Patienten wurden in der Vergangenheit minimal versorgt, dann aber nach einigen Tagen „auf eigenen Wunsch“ entlassen, wenn sie die Behandlungskosten und „Zuzahlungen“ an die Ärzte und das Pflegepersonal nicht aufbringen können. In diesem Fall erfolgt dann die weitere Behandlung ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte (AA 25.3.2022).
Neben der staatlichen Gesundheitsversorgung bildete sich in den vergangenen Jahren ein florierender privater medizinischer Sektor heraus (AA 25.3.2022; vgl. IOM 2021), der gegen Barzahlung medizinische Leistungen auf annähernd europäischem Standard bietet und mit privaten Krankenversicherungen kooperiert (AA 25.3.2022).
Die einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind i. d. R. erhältlich sowie die Behandlung von regelmäßigen Krankheitsbildern wie z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen usw. in Aserbaidschan möglich. Seit der Einführung der administrativen Preisobergrenzen nach der ersten Währungsabwertung im Zuge der Wirtschaftskrise im Februar 2015 wird regelmäßig von Engpässen bei einigen Medikamenten berichtet. Kostengünstigere Ersatzmedikation wird aus Russland, der Türkei oder Pakistan eingeführt, soll aber teilweise von minderwertiger Qualität sein (AA 25.3.2022). Die Kosten für staatlich registrierte Medikamente sind durch den so genannten Tarif-Rat der Republik Aserbaidschan vorgegeben (IOM 2021).
[…]
Rückkehr
Rückgeführte und freiwillig zurückreisende aserbaidschanische Staatsangehörige müssen wegen ihrer Asylanträge im Ausland bei ihrer Rückkehr in der Regel nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen rechnen. Es gibt jedoch immer wieder Berichte, wonach Rückkehrende zu den Gründen für ihren Asylantrag befragt wurden (AA 25.3.2022).
Es gibt keine staatlichen oder sonstigen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer. Abgeschobene Personen erhalten bei Ankunft am Flughafen lediglich eine Beratung zu Ansprechpartnern u. ä., die Erstaufnahme nach Rückkehr erfolgt üblicherweise im Familienverband (AA 25.3.2022).
[…]“
1.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation – Aserbaidschan – Kopftuchverbot
„Zusammenfassung, Quellenlage/Quellenbewertung:
Es konnten zahlreiche Informationen in den zur Verfügung stehenden Internetquellen, darunter auch einige Standardquellen der Staatendokumentation, zur Fragestellung gefunden werden, deshalb wurde von einer Kontaktaufnahme mit einem Vertrauensanwalt abgesehen. Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen kann davon ausgegangen werden, dass es, seit in Baku im Dezember 2010 ein Verbot gegen das Tragen des "islamischen Kopftuchs" (Hidschab) in den Schulen verhängt wurde, zu mehreren Demonstrationen gekommen ist. Auch im Jänner 2013 hat eine Reihe von vereinzelten Protesten stattgefunden, wobei hier allerdings nicht nur gegen das Kopftuchverbot, sondern u.a. auch gegen den Machtmissbrauch und Korruption der Regierung demonstriert wurde. Für einen besseren Überblick werden nachfolgend Informationen ab Dezember 2010 angeführt.
Einzelquellen:
Islamic Invitation Turkey berichtete im Dezember 2010, dass tausende Menschen in Aserbeidschan gegen das „Kopftuchverbot“ protestierten. Die friedliche Demonstration in Baku uferte in Gewalt aus, nachdem Sicherheitskräfte Schlagstöcke und Tränengas einsetzten um die Demonstration aufzulösen.
Thousands of people in Azerbaijan have protested restrictions on hijab in the country as a pro-Islamic sentiment continues to grow in the former Soviet state. The demonstrators took to streets of Baku on Friday and gathered in front of the education ministry building to protest against illegal restrictions for hijab-wearing students and women in Azerbaijan, a Press TV correspondent reported. The peaceful demonstration turned violent when police and security forces used batons and tear gas to disperse slogan-chanting protesters. The street protests came on the heels of remarks by Azeri Education Minister Misir Mardanov who, commenting on some schoolgirls wearing headscarves, said all children must wear school uniforms. Azerbaijan reintroduced Soviet-era uniforms to secondary school students this year, sparking outrage in the predominantly Muslim country. “What does it mean when a 16-year-old girl sits in a class with her head covered?" Mardanov questioned. “There is a school uniform and children should come to school in these clothes." “Everyone can wear whatever they want outside the school, but there are some rules and laws in the classroom." The minister’s secular comments come while dozens of students wearing scarves have been banned from school in the past two weeks. The Friday protests were held amid tightened security in Baku and a heavy police presence on the streets of the capital. The Israeli embassy in the Baku, which is not located in the immediate vicinity of the education ministry office, was also heavily guarded by Azeri security forces amid fears of escalating anti-Zionist and anti-Israeli sentiments in the country. Muslim communities in Azerbaijan blame the growing secularism in the country on Tel Aviv and accuse Israel of being behind anti-Islamic programs during the Shia mourning month of Muharram and the Muslim fasting month of Ramadan. Azeri police arrested more than 10 people during the Friday demonstrations.
Islamic Invitation Turkey (10.12.2010): Azeris protest illegal hijab ban, http://www.islamicinvitationturkey.com/2010/12/10/azeris-protest-illegal-hijab-ban/ , Zugriff 15.1.2014
Islamic Invitation Turkey berichtete dazu weiter im Jänner 2011, dass Baku im Dezember 2010 ein Verbot gegen das Tragen des "islamischen Kopftuchs" (Hidschab) in den Schulen verhängte, was zu wütende Proteste im muslimischen Land führte. Es gab seither eine Reihe von Demonstrationen im Land; mehr als 50 Personen wurden dabei festgenommen.
Hundreds of people have staged a demonstration in Azerbaijan’s capital, urging the government to overturn a decree banning Islamic headscarves in schools. The protesters who were mostly the parents of Muslim students chanted slogans against the anti-Islamic law. Baku imposed a ban on wearing the Islamic veil, or hijab, at schools in December, sparking angry protests across the Muslim country. There have been a series of rallies against the controversial issue of the hijab ban in the country since the law came into effect.
On December 24, hundreds of Muslims held a peaceful demonstration in Azerbaijan’s second largest city of Ganja after the Friday prayers, but the police resorted to force and also detained more than 50 people.
A similar protest was held on December 10 in front of the Education Ministry building in Baku in reaction to comments by Azerbaijan’s Education Minister Misir Mardanov, who said that girls should comply with official rules on school uniforms, which forbid wearing headscarves. The Azeri government has refused to lift the ban, defending it as part of its attempt to revive Soviet-era school uniforms in public education. The disputed hijab law comes in contrast to the country’s constitution which entitled Muslim students to wear headscarves at schools.
Islamic Invitation Turkey (20.1.2011): Azerbaijani Muslims protest hijab ban, http://www.islamicinvitationturkey.com/2011/01/20/azerbaijani-muslims-protest-hijab-ban-2/ , Zugriff 15.1.2014
Gemäß dem nachfolgenden Artikel von Islamic Invitation Turkey kam es auch im Mai 2011 in Aserbaidschan zu einem Protest gegen das Verbot von Kopftüchern in den Schulen, bzw. gegen die Weigerung der Regierung, das Verbot aufzuheben. Mehr als tausend Demonstranten versammelten sich vor dem Bildungsministerium in der Hauptstadt Baku um ihren Widerstand gegen das Dekret zu äußern. Die Polizei hat die Demonstranten mit Schlagstöcken angegriffen und eine unbestimmte Zahl von Personen verhaftet. Seit der Ankündigung des umstrittenen Verbots von Bildungsminister Misir Mardanovs im Dezember 2010 kam es zu regelmäßigen Zusammenkünften vor dem Bildungsministerium. Alle friedlichen Demonstrationen wurden mittels Polizeieinsatz beendet. Rund 98 Prozent der Bevölkerung in Aserbaidschan ist muslimisch und ein Verbot der islamischen Kleiderordnung ist in der Verfassung nicht erwähnt.
People in Azerbaijan have staged a protest against the government’s refusal to lift a ban on Islamic hijab, prohibiting headscarves in the country’s schools. More than a thousand protested gathered outside the Education Ministry building in the capital, Baku, on Friday to voice their opposition against the decree, a Press TV correspondent reported. The demonstrators were holding placards reading slogans in support of the Islamic dress code and in condemnation of the government’s use of force to disperse pro-hijab rallies and Muslim activists. They also called for the resignation of Education Minister Misir Mardanov, who is seen heading the anti-hijab campaign in Azerbaijan’s educational centers. Friday’s peaceful gathering soon turned violent when police forces assaulted demonstrators with batons and injured tens of people and arrested an unspecified number of others. Pro-hijab protests broke out following Mardanov’s announcement of the controversial ban in December, with regular gatherings in front of the Education Ministry. The peaceful demonstrations ended up with police intervention on all occasions. In January, Baku made an attempt to dampen the pro-hijab movement the former Soviet republic by rounding up Muslim activists and pressing unsubstantiated charges against them. Around 98 percent of the population in Azerbaijan is Muslim and a ban on Islamic dress code is not mentioned in the country’s constitution.
Islamic Invitation Turkey (6.5.2011): Protesters slam hijab ban in Azerbaijan, http://www.islamicinvitationturkey.com/2011/05/06/protesters-slam-hijab-ban-in-azerbaijan/ , Zugriff 15.1.2014
Auch EurasiaNet berichtete im nachfolgenden Artikel vom Mai 2011 über die beiden Massenproteste im Dezember 2010 und im Mai 2011 und führte u.a. an, dass während dem Protest am 6. Mai 2011 laut dem Sprecher des Innenministeriums, Ekhsan Zahidov, 45 "radikale Gläubige" verhaftet wurden. Vierzig Personen wurden am nächsten Morgen wieder frei gelassen, während die übrigen fünf Personen für 12-15 Tage wegen Rowdytums, Widerstand gegen die Festnahme und Störung der öffentlichen Ordnung inhaftiert wurden. Beim Zusammenstoß zwischen der Polizei und den Demonstranten wurden angeblich 26 Polizisten verletzt; fünf wurden ins Krankenhaus eingeliefert.
Two weeks after a surprise pro-hijab protest by scores of Muslim believers outside Azerbaijan’s Ministry of Education, authorities are still trying to figure out who organized the show of defiance. Protesters on May 6, nearly all young men, called for the resignation of Education Minister Misir Mardanov over the informal ban on wearing hijabs in schools and universities. The demonstration culminated in a melee, with truncheon-wielding police battling protesters for about an hour before order could be restored. It was the second unauthorized mass protest against Azerbaijan’s unofficial hijab policy since December 2010, when roughly 1,000 believers staged similar protests outside the ministry. Forty-five so-called “radical believers" were arrested during the May 6 protest, according to Interior Ministry spokesperson Ekhsan Zahidov. Forty detainees were released the next morning, while the remaining five were jailed for 12-15 days on administrative charges of hooliganism, resisting arrest and disturbing public order. Twenty-six policemen were allegedly injured during the confrontation; five were hospitalized. Journalists at the scene reported that scores of demonstrators, in turn, were beaten by police. The General Prosecutor’s Office later issued a statement that authorities were working to “reveal and punish the organizers of this crime." But, to date, officials have been unable to connect a group or politically oriented entity, such as the banned Islamic Party of Azerbaijan or the Center of Freedom of Religion (DEVAMM), to the protests. Demonstrators have told journalists that they attended the rally voluntarily and denied the existence of any organizing body. The notion of a spontaneous protest is an unusual one in Azerbaijan, where demonstrators are often known to be youth activists or opposition party members and supporters. The country’s only religious political party – the banned Islamic Party of Azerbaijan (IPA), whose leader were arrested in early January – has denied that it had anything to do with the May 6 protest. “We also demand lifting the ban [on hijab in schools], but the IPA did not take any part in that protest of believers," IPA Deputy Chairman Natig Kerimov told EurasiaNet.org. Similarly, the DEVAMM center, led by imam and human rights defender Ilgar Ibrahimoglu, an outspoken government critic, also denied any organizational role in the May 6 event. Attention, though, has lingered on the IPA. Since the end of March, the IPA has tried unsuccessfully to get government permission for a rally in Baku. So far, permission has been denied, even for an event on the city outskirts. The party has also requested a meeting with President Ilham Aliyev to “discuss the Karabakh conflict’s resolution and other problems;" no public response has been made. Despite the party’s denials, pro-government political analyst Mubariz Akhmedoglu, president of the Center of Political Technologies and Innovations, believes the IPA, with the support of Iran, which is sympathetic to the group, “secretly" staged the protests. Akhmedoglu’s assertion is disputed by other experts. Hikmet Hajizade - president of FAR-Center, a non-governmental research group that has studied Islam-related topics - says that with the social networking tools currently available to Azerbaijanis, including Twitter and Facebook, the idea of a spontaneous protest is plausible. “In politics, it is called a self-organization mechanism," Hajizade said, adding that SMS messages and email could have also been used to mobilize participants. “I think that the protest was organized by believers themselves, by the parents of girls who are not allowed to attend classes in hijab, by their friends and people who go to the same mosques with them," Hajizade added. Hajizade is skeptical that Iran, which is frequently suspected of meddling in Azerbaijan, would have helped organize the demonstration. “Of course, we could allege that some mysterious ayatollah or imam is behind it, or even that some Iranian spy gives orders to believers. But it would be cheap speculation for which there are no facts to support it," he said.
EurasiaNet (20.5.2011): Officials Still Searching for Hijab Protest Planners, http://www.eurasianet.org/node/63529 , Zugriff 15.1.2014
Gemäß dem nachfolgenden Artikel von Islamic Invitation Turkey kam es im Jahr 2011 noch zu weiteren Protesten in Aserbaidschan gegen das Hijab - Verbot der Regierung. Im Oktober 2011 hat ein Gericht in Baku, der „Baku City Narimanov District Court“, vier pro-islamische Hijab-Aktivisten zu Gefängnisstrafen verurteilt, wodurch die Anzahl der im Jahr 2011 inhaftierten Aktivisten auf 35 gestiegen ist.
Amid continued protests in Azerbaijan over the government ban on hijab in schools, a state court in Baku has sentenced four pro-Islamic Hijab activists to prison. The Baku City Narimanov District Court sentenced four Islamist Hijab advocates to prison terms, which brings the number of activists arrested in 2011 to 35, IRIB reported on Tuesday. On October 8, Baku’s Court for Serious Crimes handed heavy jail sentences to the Head of the Islamic Party of Azerbaijan (AIP) Movsum Samadov and six other members of the organization after charging them with subversion. The Azeri party members were detained in January after protesting against the government-imposed ban on Hijab in the country’s secondary and high schools. Hundreds of people have joined protests against the state-sponsored prohibition of wearing headscarves in schools since Azeri Education Minister Misir Mardanov announced the controversial ban in December 2010. Around 98 percent of Azerbaijan’s nearly nine million population is Muslim. The government under President Ilham Aliyev is strictly secular and has close relations with the West. A ban on Islamic dress code is not included in Azerbaijan’s constitution.
Islamic Invitation Turkey (18.10.2011): Baku jails four Azeri pro-hijab activists, http://www.islamicinvitationturkey.com/2011/10/18/baku-jails-four-azeri-pro-hijab-activists/ , Zugriff 15.1.2014
Turkish Weekly berichtete im Februar 2013 über abgehaltene Demonstrationen im Jänner 2013 in Aserbeidschan.
Demonstrations that started in January agitated against the Azerbaijani government. On January 12 [2013], hundreds of people staged a demonstration against the suspicious death of eighteen-year-old soldier Jeyhun Gubadov. According to army authorities, the cause of Qubadov’s death was a heart attack. However, the people took to the streets after Azadliq newspaper published photographs of his body, which showed evidence of violence. Security authorities interfered in this “illegal" protest although demonstrators did not object to the existence of the administration. A second demonstration staged in the city of Ismayilli, some 175 kilometers from the capital Baku. According to an ANS (Azerbaijan News Service) report, the revolt began when Emil Shamsaddinov, a 22-year-old local hotel owner, picked a fight with a taxi driver after a minor car accident. It caused Ismayilli residents to get angry. Then they set fire to the hotel (Chyrag Hotel), and the residence of the governor's son. The continuing revolt was quashed after police used water cannons, tear gas, and rubber bullets send the angry protesters into disarray. After this revolt, the opposition press propagated that the incidents had sprung to Baku and other regions. Even though there are bribes, pressure on citizens and corruption, the expectations of the adversaries of the current regime were not met. The reason is that the Ismayilli incident was not planned beforehand, and citizens formed doubts for both defiance and the administration. On January 26, some minor demonstrations were organized to show solidarity with the residents of Ismayilli, but the protests misfired. These instances were interpreted by some groups as an extension of the Arab Spring. With this trend, Aliyev regime will collapse in the near future. However, experts stressed that these demonstrations cannot take place without the support of external forces.
Turkish Weekly (9.2.2013): January 2013 protests: Azerbaijani spring? http://www.turkishweekly.net/news/147086/january-2013-protests-azerbaijani-spring.html , Zugriff 15.1.2014
Das Hijab - Verbot wurde gemäß der nachfolgenden Quelle vom März 2013 auf Universitäten ausgeweitet.
The extension of a ban on the wearing of hijab to universities is inviting the ire of Muslims in Azerbaijan. “How can the officials justify the new ban that is extended to the university students, teachers, etc.?" religious expert Haj Zolfaqar Mikaeilzadeh told on March 9. He lamented that the ban on the Muslim headscarf at high schools is now being extended to universities. Students at the Azerbaijan State Oil Academy (ASOA) have been banned from entering the campus for wearing hijab. Mais Gul Aliev, leader of Azerbaijan Green Party, described the hijab ban at universities as “illegal". He called for an end to what he called unconstitutional measures. Islam sees hijab as an obligatory code of dress, not a religious symbol displaying one’s affiliations. Muslims, mostly Shiite, make up more than 93 percent of the former Soviet republic’s population of 8.3 million people. The rest of the population adheres to other faiths or are non-religious. Like much of the ex-Soviet Union, Azerbaijan has witnessed a limited religious revival since independence in 1991. The government of President Ilham Aliyev has been facing accusations of tightening controls on the Muslim religion in the country. In mid-February 2010, the government ordered all state employees to remove Islam-related symbols -– like Qur’anic verses — from their offices. In December 2010, the secular government introduced a standard school uniform which precludes the wearing of hijab, an obligatory Muslim code of dress. The move has triggered uproar in the country, with many Muslims taking to the streets to protest against the restriction. In January 2011, Baku attempted to undermine the pro-Hijab movement in the country by rounding up Muslim activists and pressing unsubstantiated charges against them.
University News (14.3.2013): Hijab ban extended to Azeri universities, http://www.universitiesnews.com.previewdns.com/2013/03/14/hijab-ban-extended-to-azeri-universities/ , Zugriff 15.1.2014
RFE/RL führte im nachfolgenden Artikel vom April 2013 an, dass die Anzahl der Proteste in Aserbaidschan für die Freiheit, das Kopftuch (Hijab) zu tragen, ansteigt. Das Kopftuch wurde an öffentlichen Schulen durch das Bildungsministerium im Jahr 2010 verboten, und die Proteste gegen das Verbot verliefen im Oktober 2012 gewalttätig. Einige Demonstranten waren bewaffnet und gemäß der aserbaidschanischen Polizei wurden Dutzende inhaftiert, nachdem sie Widerstand gegen die Festnahme leisteten.
The number of protests in Azerbaijan for the freedom to wear the hijab is growing, as are the questions surrounding those demonstrations—like who is behind them? The hijab, or headscarf, was banned in public schools by the Ministry of Education in 2010, and protests against the ban became violent in October, 2012. Some protestors were armed with wooden polls, and Azerbaijani police say dozens were detained after resisting arrest. Critics of the regime are suspicious, however, and accuse the government of using the hijab controversy to manipulate Western governments’ fear that a radical Islamic state will emerge if democratic change comes to Azerbaijan.
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (8.4.2013): Hijab Protests in Azerbaijan, http://www.rferl.org/media/video/24950961.html , Zugriff 15.1.2014
Die Regierung hat im Jahr 2012 keine rechtlichen Schritte zur Umsetzung der Direktive, welche den Mädchen das Recht, ein Hijab oder Kopftuch an Grund- und Sekundarschulen zu tragen, abspricht, getätigt. Die Mehrheit der Schulverwaltung im ganzen Land hat diese Richtlinie nicht umgesetzt.
[…] The government took no legal steps to implement the government directive prohibiting the right of girls to wear the hijab, or headscarf, in primary and secondary schools, and the majority of school administrators throughout the country did not implement the directive.
USDOS - US Department of State (20.5.2013): 2012 International Religious Freedom Report - Azerbaijan, http://www.ecoi.net/local_link/247584/371169_de.html , Zugriff 15.1.2014
Gemäß OSW hat in Aserbaidschan auch im Jänner 2013 (12., 19., 24. und 26. Januar) eine Reihe von Protesten stattgefunden. Verschiedene soziale Gruppen haben sich beteiligt: Jugendliche, Händler und Bewohner des Ismayilli. Die Proteste waren Basisbewegungen - voneinander unabhängige einzelne Gruppen von Demonstranten, welche ihre Aktionen nicht gegenseitig koordinierten. Was diese Proteste gemeinsam hatten, war ihr Widerstand gegen den Machtmissbrauch und Korruption der Regierung.
A series of protests have taken place in Azerbaijan since the beginning of this year (12, 19, 23–24 and 26 January). Various social groups have been involved in them: young people, merchants and residents of Ismayilli. These were grassroots protests, independent of each other – individual groups of protesters were not mutually coordinating their actions. What these protests had in common was their resistance to the government’s abuse of power and corruption. OSW - Centre for Eastern Studies (30.1.2013): A series of protests in Azerbaijan, http://www.osw.waw.pl/en/publikacje/analyses/2013-01-30/a-series-protests-azerbaijan , Zugriff 15.1.2014
[…]“
1.4. Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerinnen
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen vor ihrer Ausreise einer individuellen Verfolgung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan einer solchen ausgesetzt sind.
Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführerinnen aufgrund der Konvertierung der BF1 zum Christentum eine individuelle Verfolgung durch Wahhabiten droht.
Eine anderweitige Bedrohung oder Verfolgung konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung einer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt sind oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Die Beschwerdeführerinnen leiden an keiner Krankheit, die in Aserbaidschan nicht behandelbar wäre. Es steht ihnen im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan das dortige Gesundheitssystem offen.
1.5. Feststellungen zur Anordnung der Unterkunftnahme
Mit Verfahrensanordnung des BFA gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG wurde der BF1 am 19.11.2019 die Verpflichtung mitgeteilt, binnen drei Tagen in das Quartier XXXX anzureisen und dort durchgehend bis zur rechtskräftigen Erledigung ihres Antrages auf internationalen Schutz, solange ihr dieses Quartier zur Verfügung gestellt wird, Unterkunft zu nehmen. Der BF1 wurde zugleich ein Mitteilungsblatt über die Folgen der Missachtung der Anordnung der Unterkunftnahme ausgehändigt.
Über die Verfahrensanordnung wurde im Spruchpunkt VII. der bekämpften verfahrensabschließenden Bescheide vom 18.12.2019 abgesprochen.
Die Aufhebung der Anordnung der Unterkunftnahme wurde der BF1 nachweislich am 10.01.2020 mitgeteilt.
Von 20.11.2019 bis 10.01.2020 waren die Beschwerdeführerinnen in der Bundesbetreuungseinrichtung XXXX und von 10.01.2020 bis 05.02.2020 in der Bundesbetreuungseinrichtung XXXX im Rahmen der Grundversorgung untergebracht. Die Beschwerdeführerinnen sind seit 06.02.2020 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet meldepolizeilich registriert.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der BF1 vor der belangten Behörde, der bekämpften Bescheide und des Beschwerdeschriftsatzes sowie durch Einsichtnahme in die vorgelegten Beweismittel, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformationssystem sowie dem Strafregister.
2.1. Zu den Personen BF1 bis BF3:
Die Identität der Beschwerdeführerinnen konnte anhand der sichergestellten aserbaidschanischen Personalausweise und aufgrund einer Abfrage im VIS-System des Bundesministeriums für Inneres festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF1, woraus wiederum auf jene ihrer minderjährigen Kinder zu schließen war, da diesbezüglich auch kein anderes Vorbringen erstattet wurde.
Dass die BF1 zum Christentum konvertiert ist, wurde bereits vom BFA im Rahmen der Beweiswürdigung nicht in Abrede gestellt (AS 220). Die BF1 belegte die Vollziehung ihrer Taufe vor einem orthodoxen Priester mit einem Video, welches dem Behördenvertreter im Zuge der Einvernahme am 09.12.2019 vorgespielt wurde (AS 129). Zudem legte sie bei der Einvernahme am 27.11.2019 ihre georgische Taufurkunde der orthodoxen Christen vor (AS 81ff) und führte aus, dass sie am 10.09.2018 in Georgien getauft worden sei (AS 75). Die Konversion der BF1 wird auch vom Bundesverwaltungsgericht nicht in Zweifel gestellt. Ein Taufschein bescheinigt die erfolgte Taufe und die damit begründete Zugehörigkeit des Getauften zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Die Wirksamkeit dieses nach kirchenrechtlichen Vorschriften vollzogenen Aktes wird dadurch unter Beweis gestellt (VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440). In der Einvernahme am 27.11.2019 gab die BF1 auch an, dass ihre Töchter (BF2 und BF3) nicht konvertiert seien (AS 73), sodass festzustellen war, dass sie nach wie vor der Glaubensgemeinschaft des Islams angehören.
Die Feststellungen zur Herkunft, zu ihren privaten, familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen im Herkunftsland und dem Bildungsweg der BF1 gründen sich auf deren glaubhaften Angaben. Die Feststellungen zu den aktuellen Lebensumständen ihrer in Aserbaidschan wohnhaften Familienangehörigen gründen auf den im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 26.07.2022 gemachten Aussagen der BF1.
Ein im Behördenakt der BF1 einliegender Auszug aus dem VIS-System des Bundesministeriums für Inneres (AS 47ff) und die in den jeweiligen Behördenakten einliegenden Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister haben ergeben, dass den Beschwerdeführerinnen von der österreichischen Botschaft in Baku ein Visum der Kategorie C für acht Tage im Zeitraum 16.11.2019 bis 08.12.2019 erteilt worden war. Wie bereits die belangte Behörde zutreffend ausführte (AS 218), war vor dem Hintergrund dieses Ermittlungsergebnis zu erkennen, dass die BF1 offensichtlich unwahre Angaben zu den Reisemodalitäten gemacht hat. So vermeinte sie, dass ein Schlepper das Visum besorgt (AS 17, 21) und sie nicht um ein Visum angesucht habe (AS 69, 73). Das BFA führte dazu aus, dass es dem Amtswissen nach neben der Erfüllung der Visumserteilungsvoraussetzungen auch eines unterfertigten Antragsformulars, die Bereitstellung von Passbildern, die Abgabe von Fingerabdrücken und das persönliche Erscheinen, um die Reisepässe wieder abzuholen, bedarf (AS 218). Die behauptete Beantragung eines Visums bei der österreichischen Botschaft durch einen Schlepper sei daher nicht möglich. Das Bundesverwaltungsgericht folgt dieser Würdigung des BFA. Ihre Angaben werden schließlich auch dadurch erschüttert, dass aus dem Verwaltungsakt der BF1 hervorging, dass ein Abgleich ihrer Fingerabdrücke mit bereits gespeicherten erkennungsdienstlichen Daten der BF1 zu einem VIS-Treffer führte („VIS-Treffer zu FABL= XXXX “; „CSSearchByFingerPrint.html“; AS 47), sodass zu erkennen ist, dass es im Zuge der Beantragung des Visums zu einer Erfassung ihrer Fingerabdrücke kam. Dem Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister war wiederum zu entnehmen, dass es bereits am 16.10.2019 („Datum Speicherersuchen“) unter der Ausschreibungsart „Erteilung Visum C“ zu einer Datenverarbeitung im System kam, was wiederum den Eindruck einer geplanten Ausreise als den einer überstürzten Flucht wegen einer drohenden Gefahr durch Wahhabiten vermittelte. Mit diesen Ermittlungsergebnissen standen ihre Angaben betreffend die Erlangung des Visums eklatant in Widerspruch, sodass –wie auch das BFA zutreffend ausführte – bereits zu Beginn erhebliche Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit der BF1 entstanden.
Dass der Ehemann der BF1/der Vater der minderjährigen Beschwerdeführerinnen am 15.04.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und sein Verfahren beim BFA anhängig ist, geht aus der vom BFA übermittelten Niederschrift seiner Erstbefragung vom 16.04.2022 (OZ 12) und aus einem aktuell eingeholten Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister ihn betreffend hervor.
Die Inanspruchnahme der staatlichen Grundversorgung ergibt sich aus den Auszügen aus dem Betreuungsinformationssystem. Dass die BF1 keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen ist, ergibt sich aus dem Akteninhalt. Dass der Ehemann der BF1 seit 01.06.2022 in derselben Unterkunft wohnhaft ist, geht aus einem Abgleich der ZMR-Auszüge hervor. In der Beschwerdeverhandlung am 26.07.2022 führte die BF1 auch aus, dass sie nunmehr mit ihm zusammenleben würden (Seite 6 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022).
Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen der BF1 stützen sich auf den persönlichen Eindruck des erkennenden Gerichtes in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, im Zuge welcher eine einfache Kommunikation auf Deutsch mit ihr gut möglich war (Seite 7 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022). Dass sie die A2-Integrationsprüfung erfolgreich absolviert hat und Deutschkurse besucht, geht aus den vorgelegten Unterlagen hervor (OZ 17). Die Feststellungen zu ihrem ehrenamtlichen Engagement, ihrer aktiven Teilnahme in der Pfarrgemeinde und ihrer Teilnahmeabsicht an einer Informationsveranstaltung beruhen auf dem vorgelegten Schreiben der Pfarre XXXX vom 27.06.2022, dem Schreiben des Quartierbetreibers vom 25.06.2022, der Bestätigung der XXXX vom 16.09.2021 und der vorgelegten Anmeldebestätigung des Wirtschaftsförderungsinstituts vom 23.05.2022 (OZ 17). Die Feststellung, dass die BF1 in Österreich Freunde und Bekannte hat, war unter Berücksichtigung ihrer Angaben in der Verhandlung und ihrem ehrenamtlichen Engagement zu treffen. Mangels entsprechender Bestätigungen war festzustellen, dass die Beschwerdeführerinnen keine Mitglieder in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation sind.
Die Feststellungen zum Schulbesuch der minderjährigen Beschwerdeführerinnen geht aus einem Bericht der Klassenvorständin und einem Bericht der Schulleiterin (OZ 17) sowie aus den Angaben der BF1 unstrittig hervor.
Der Gesundheitszustand der BF2 ergibt sich aus den vorgelegten Ambulanzberichten vom 03.05.2022 und 08.06.2022 (OZ 17).
In der Beschwerdeverhandlung am 26.07.2022 gab die BF1 an, XXXX gegen Schlafstörungen einzunehmen. Im gesamten Verfahren wurden keine medizinischen Unterlagen der BF1 vorgelegt. Es konnte daher davon ausgegangen werden, dass sie an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leidet. Dass die BF3 gesund ist, geht aus den Angaben der BF1 in der Beschwerdeverhandlung hervor.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF1 ergibt sich aus einem Strafregisterauszug der Republik Österreich. Die minderjährigen Beschwerdeführerinnen sind angesichts ihres Alters strafunmündig.
2.2. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerinnen
Das BFA konnte keine glaubhafte Bedrohung und individuelle Verfolgung der Beschwerdeführerinnen in Aserbaidschan feststellen. Für das erkennende Gericht war nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, insbesondere nach Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, im Ergebnis dieser Feststellung zu folgen.
2.2.1. In der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.06.2020, Ra 2019/18/0440, wird zur asylrelevanten Verfolgung wegen einer Konversion wie folgt festgehalten:
„Dem Faktum der Taufe bzw. der Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft käme aus asylrechtlicher Sicht nur dann Bedeutung zu, wenn bereits der (formale) Religionswechsel für sich betrachtet mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrechtliche Verfolgung im Herkunftsstaat nach sich ziehen würde, und zwar ungeachtet der Frage, ob der Konvertit diesen ernsthaft oder nur zum Schein vorgenommen hat. […]
Wie der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 5. September 2012, C-71/11 und C-99/11, Y und Z, in ständiger Rechtsprechung bereits erkannt hat, liegt eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vor, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf seine persönlichen Umstände vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, u.a.). Wesentlich ist somit, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. jüngst VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0053, mwN).
Der EuGH hat in der zitierten Entscheidung auch ausdrücklich hervorgehoben, dass die Behörden bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling dem Antragsteller nicht zumuten können, auf diese religiöse Betätigung zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 5.9.2012, C-71/11 und C-99/11, Rz 78 f). Das setzt freilich voraus, dass die Konversion nicht bloß – aus opportunistischen Gründen – zum Schein erfolgt ist. Läge nämlich eine sogenannte Scheinkonversion vor, wäre im Allgemeinen nicht zu erwarten, dass der Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat ihn gefährdende religiöse Betätigungen vornehmen würde und könnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihn der Verzicht auf das Bekenntnis zu der neuen Glaubensgemeinschaft bzw. zu (weiteren) religiösen Betätigungen unzumutbar belasten würden.
Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr sowie der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN).
Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350, oder VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441).
Die Ermittlung und Bewertung solcher Gesichtspunkte im Rahmen von Anträgen auf internationalen Schutz, die mit der Furcht vor Verfolgung aus religiösen Gründen begründet werden, ist auch nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlich. Demnach sind neben der individuellen Lage und den persönlichen Umständen des Antragstellers u.a. dessen religiöse Überzeugungen und die Umstände ihres Erwerbs, die Art und Weise, in der der Antragsteller seinen Glauben bzw. Atheismus versteht und lebt, sein Verhältnis zu den doktrinellen, rituellen oder regulatorischen Aspekten der Religion, der er nach eigenen Angaben angehört bzw. den Rücken kehren will, seine etwaige Rolle bei der Vermittlung seines Glaubens oder auch ein Zusammenspiel von religiösen Faktoren und identitätsstiftenden, ethnischen oder geschlechtsspezifischen Faktoren zu berücksichtigen (EuGH 4.10.2018, C-56/17, Bahtiyar Fathi, Rz 88). Dabei muss der Antragsteller sein Vorbringen zu seinem Religionswechsel gebührend substantiieren (EuGH 4.10.2018 C-56/17, Rz 84). Der Umfang des Wissens über die neue Religion wird freilich maßgeblich von den individuellen Voraussetzungen des Antragstellers, seiner Persönlichkeit und seinem Bildungsniveau bestimmt, die bei der Beweiswürdigung daher angemessen Berücksichtigung finden müssen (vgl. in diesem Sinne jüngst etwa auch dt. BVerfG 3.4.2020, 2 BvR 1838/15, Rz 36, sowie das dt. BVerwG 25.8.2015, 1 B 40.15, Rz 14).“
Das gegenständliche Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass der BF1 in ihrem Herkunftsland keine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Konversion zum Christentum droht. Bereits der formale Religionswechsel führt für sich betrachtet mit keiner maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu einer asylrechtlichen Verfolgung in Aserbaidschan. Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt geht unmissverständlich hervor, dass ein Religionswechsel – auch vom Islam zum Christentum – akzeptiert wird und zu keinerlei Benachteiligungen führt. Der Ansicht der Vertretung der Beschwerdeführerinnen in der Verhandlung am 26.07.2022, wonach es im Länderinformationsblatt kaum Feststellungen zur Konversion gebe, kann daher nicht gefolgt werden. Ein substantielles gegenteiliges Vorbringen wurde dazu auch nicht erstattet.
Aus den getroffenen Länderfeststellungen zu Aserbeidschan geht weiters hervor, dass die dortige Verfassung die Religions- und Bekenntnisfreiheit garantiert und eine historisch gewachsene Toleranz in Religionsfragen besteht. Im heutigen Aserbaidschan leben zahlreiche Religionen in Eintracht miteinander. Den Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass sich eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Ethnie, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, grundsätzlich nicht feststellen lässt. Staatlich anerkannte nichtmuslimische Glaubensgemeinschaften berichten von einem allgemein verbesserten Klima und davon, in ihrer Gemeindearbeit von staatlichen Stellen weitestgehend unbehelligt zu sein.
Anhand einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2014 konnte auch festgestellt werden, dass an den Schulen und Universitäten in Baku ein Kopftuchverbot besteht, was darauf schließen lässt, dass eine allgemein gesellschaftliche Toleranz gegenüber Frauen, die kein Kopftuch tragen, besteht.
Die Vertretung der Beschwerdeführerinnen hob in der Verhandlung weiters hervor, dass eine offene Missionstätigkeit nach dem Länderinformationsblatt nicht geduldet sei und dass nicht näher angeführt werde, was genau darunter zu verstehen sei. Das Missionieren gehöre zur freien Religionsausübung (Seite 14 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022). Dazu sei zunächst angemerkt, dass keine Hinweise hervorgekommen sind, dass die BF1 einer Tätigkeit nachgeht bzw. nachgegangen ist, die darauf abzielt, Personen anderer Religionen zum Übertritt in das Christentum zu bewegen. Dem Schreiben der Pfarre XXXX vom 27.06.2022 war zu entnehmen, dass sie in Österreich aktiv am „pfarrlichen Leben“ teilnehme und auch als Lektorin mitgewirkt habe, daraus kann jedoch nicht automatisch auf eine missionierende Tätigkeit geschlossen werden. Auch im gesamten Verfahren kam anhand der Aussagen der BF1 nicht hervor, dass sie im Herkunftsland die christliche Glaubenslehre anderen Menschen nähergebracht hätte. Ungeachtet der Frage, ob die BF1 die Konversion ernsthaft oder nur zum Schein vorgenommen hat, ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen jedoch auch nicht anzunehmen, dass sie nach einer Rückkehr selbst bei religiöser Betätigungen einer tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist. Im Länderinformationsblatt wird lediglich festgehalten, dass offene missionierende Tätigkeiten nicht geduldet werden. Dass missionierende Christen aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt werden, kann den Länderfeststellungen nicht entnommen werden. Es fehlt sohin jedenfalls an der für eine individuelle Verfolgung notwendigen Eingriffsintensität.
Eine asylrelevante Verfolgung wegen der Konversion der BF1 zum Christentum konnte sohin nicht festgestellt werden.
2.2.2. Die BF1 brachte als fluchtauslösenden Vorfall vor, dass sie von ihrer Schwiegermutter für mehrere Tage eingesperrt worden sei, da sie von ihrem Religionswechsel erfahren habe. Die Familie ihres Ehemannes sei den Wahhabiten zugehörig. Ihre Schwiegermutter habe dem Oberhaupt der Wahhabiten von ihrer Konversion berichtet. „Sie“ hätten die BF1 entweder umgebracht oder in den Irak zum IS geschickt. Ihr Mann habe ihr und ihren gemeinsamen Töchtern schließlich zur Flucht verholfen.
Der von der BF1 geschilderten Vorfall konnte der Entscheidung mangels Glaubhaftigkeit nicht zugrunde gelegt werden. Es entstand im Laufe des Asylverfahrens vielmehr der Eindruck eines konstruierten Vorbringens.
Zunächst wird darauf hingewiesen, dass den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass nicht registrierte islamische, in der Praxis vor allem islamistische Gruppierungen, besonders streng observiert und in ihren Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Dass – wie von der BF1 vorgebracht wurde – die Wahhabiten in Aserbaidschan einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft bzw. den Staat haben („Zu einer Festnahme ist es nie gekommen, aber da die Wahabische Gruppe in unserer Region regiert und ich und meine Kinder kein Kopftuch trugen, kam es zu Schwierigkeiten.“, AS 71; „Der Staat …. [sie schüttelt den Kopf] hat einen Staat im Staat gegründet und wird von den Wahhabiten beherrscht.“, AS 75; „[…] Das war vor 19 Jahren, als ich meinen Mann noch so kennenlernte, jetzt sind die Wahhabiten eine Herrschaft und es ist eine Diktatur.“, AS 135), kann mit der Länderberichtslage zu Aserbaidschan nicht in Einklang gebracht werden.
Widersprüchlich waren in diesem Zusammenhang auch ihre Aussagen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. So führte sie dort aus, dass der Ort Zagatala von Wahhabiten beherrscht werde und es ihr nicht möglich gewesen sei als Englischlehrerin zu arbeiten. In der Beschwerdeschrift wurde ebenso angemerkt, dass die vermeintlich erlittenen Diskriminierungen der BF1 bereits in ihren jungen Lebensjahren begonnen hätte. Ihr sei trotz Ausbildung zur Englischlehrerin die berufliche Karriere verwehrt worden. Sie habe bei ihrem Ehemann, dessen Familie zu den Wahhabiten gehöre, zu Hause bleiben müssen (AS 259). Mit diesem geschilderten freiheitsbeschränkenden Vorgehen Frauen gegenüber stand jedoch der berufliche Werdegang ihrer Schwester, welche nach wie vor in Zagatala wohnhaft und als Ärztin tätig ist, auffallend in Widerspruch. Sollten die Wahhabiten tatsächlich wie von der BF1 angeführt wurde in Zagatala an der Macht sein, so ist es nicht nachvollziehbar, dass ihre Schwester unbehelligt ihrer beruflichen Karriere als Ärztin nachgehen kann.
Das Vorbringen der BF1 gestaltete sich zudem äußert oberflächlich und vage. Stichhaltigere Ausführungen zur befürchteten Ermordung durch einen Mulla oder zur befürchteten Verbringung in den Irak fehlten. Es war ihr auch nicht möglich, eine zusammenhängend schlüssige Darstellung des konkreten Vorfalles zu schildern. Wie es ihrem Ehemann gelungen sein soll, sie aus dem Zimmer zu befreien, ohne selbst in Schwierigkeiten zu geraten, wurde von ihr nicht dargelegt. Ihre Schilderungen blieben in weiten Teilen äußerst oberflächlich, was den Verdacht eines vorgetäuschten Fluchtgrundes erhärtete.
Wie bereits oben im Zusammenhang mit der Erlangung eines Visums der österreichischen Botschaft ausgeführt wurde, war ersichtlich, dass es bereits am 16.10.2019 zu einer elektronischen Datenerfassung im Zusammenhang mit einer Beantragung eines Visums kam. Mit diesem Ermittlungsergebnis waren ihre Angaben, wonach sie kein Visum beantragt habe, sie am 09.11.2019 in das Haus des Schleppers nach Georgien gebracht worden und eine Woche später, am 16.11.2019, schließlich geflüchtet seien, nicht in Einklang zu bringen. Es ist davon auszugehen, dass die BF1 den Entschluss zur Ausreise schon zumindest ein Monat vor ihrer tatsächlichen Ausreise gefasst haben muss und die Ausreise entsprechend vorbereitet hat, was einer gegründeten Furcht vor Verfolgung im Ausreisezeitpunkt entgegensteht. Dass – wie sie vor der Behörde vermeinte – alles sehr schnell gegangen sei, sodass sie nicht einmal ihren Goldschmuck vor ihrer Flucht verkaufen habe können (AS 73), war nicht glaubhaft.
Es war auch eine Steigerung im Fluchtvorbringen zu erkennen, was ebenfalls zulasten ihrer Glaubhaftigkeit in Anschlag zu bringen war. So führte sie im erstinstanzlichen Verfahren aus, dass (nur) sie entweder umgebracht oder zum IS in den Irak geschickt werden würde (AS 73). In der Beschwerdeverhandlung gab sie nunmehr an, dass ihre Schwiegermutter zu ihr gesagt habe, dass man sie und ihre Kinder mit Hilfe eines Mullas umbringen werde (Seite 10 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022). Ihre vermeintlich drohende Verbringung in den Irak kam nicht mehr zur Sprache. Es war ihr sohin auch nicht möglich, ihr Fluchtvorbringen gleichbleibend zu schildern, weshalb weitere erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt ihres Vorbringens entstanden.
2.2.3. Als weiteren Fluchtgrund führte die BF1 einen Vorfall in der Schule ihrer ältesten Tochter an. Die BF2 habe einer Freundin das Kopftuch heruntergerissen und sei deswegen von deren Vater, welcher ein Wahhabit sei, mit dem Umbringen bedroht worden. Die BF1 habe diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt, ihr sei jedoch nicht geholfen worden. Der Vater des Mädchens sowie drei weitere Männer hätten ihr danach den Weg abgeschnitten. Der Vater habe ihr eine Ohrfeige verpasst und ihr im Falle einer nochmaligen Kontaktaufnahme mit der Polizei mit dem Umbringen gedroht.
Auch dieses Fluchtvorbringen konnte mangels gleichbleibender Schilderung nicht als glaubhaft festgestellt werden. Im erstinstanzlichen Verfahren gab die BF1 zunächst an, dass die Polizei bei ihrer Anzeigenerstattung auf sie nicht eingegangen sei (AS 71). Konkret dazu befragt führte sie später aus, dass sich der Staat um solche Angelegenheiten nicht kümmern würde, egal ob einem der Weg abgeschnitten oder man mit dem Umbringen bedroht werde. Die Polizei beschäftige sich nur mit politischen Fällen (AS 77). In der zweiten behördlichen Einvernahme führte sie aus, dass die Polizisten sie als Ungläubige und Barbarin bezeichnet hätten, da sie kein Kopftuch getragen habe (AS 129). Wiederum anders führte sie in der Beschwerdeverhandlung aus, dass man ihr bei der Polizei gesagt habe, dass man ihre Anzeige nicht aufnehme, da sie eine Frau sei (Seite 10 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022).
Nicht nachvollziehbar war auch ihre Vorgehensweise: So gab sie vor der Behörde an, dass sie den Vorfall der Polizei und der Schulleitung berichtet habe, ihrem Ehemann jedoch nicht (AS 71). Als sie in der Beschwerdeverhandlung befragt wurde, warum ihr Ehemann ihr in dieser Situation nicht geholfen habe, erwähnte sie nicht, dass sie ihm davon nicht berichtet habe und blieb ihre Antwort auffallend ausweichend und allgemein abschweifend („Wie soll ich das sagen? Wenn ich die Wahrheit sage, dann hat mein Mann Angst vor diesen Leuten. Dort verschwinden Menschen grundlos. Es ist auch so, dass Hände abgehackt werden, Frauen gesteinigt werden öffentlich, wenn sie Ehebruch begehen. Das sind Dinge, die der Staat nicht sieht bzw. nicht hinschaut. Der Staat will keinen Schaden erleiden und schaut weg, er tut so, als wären diese Dinge nie geschehen. Ich bin hierhergekommen, weil ich am Leben bleiben möchte und auf eigenen Beinen stehen. Ich möchte nicht, dass meine Töchter als zweite oder dritte Ehefrau verkauft werden. Meine Töchter haben das Recht, wie Menschen zu leben und eine Zukunft zu haben.“ Seite 10 der Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2022). Aufgrund ihrer Aussage, wonach ihr Ehemann Angst vor „diesen Leuten“ (gemeint Wahhabiten) habe und offensichtlich mit massiven Sanktionen zu rechnen sei, rückt ihre Vorgehensweise in ein zweifelhaftes Licht, musste ihr doch bei einer Anzeigenerstattung bei der Polizei und dem Vorsprechen in der Schule bewusst sein, sich und ihre Familie dadurch erst recht in eine Gefahr zu bringen.
Über diese Erwägungen hinaus war aus ihrem sehr vage gebliebenen Vorbringen auch nicht ersichtlich inwiefern dieser Vorfall im zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus dem Heimatstaat stand. Wann der Vorfall in der Schule oder die angebliche Bedrohung durch vier Männer gewesen sein soll, wurde von ihr nicht näher konkretisiert.
Insgesamt war das Fluchtvorbringen der BF1 als unglaubwürdig zu werten.
2.2.4. Im Hinblick auf die Verfolgungsbefürchtungen der BF2 und BF3, wonach diese mit Sanktionen zu rechnen hätten, da ihre Mutter zum Christentum konvertiert sei, war festzuhalten, dass es sich bei diesem Vorbringen lediglich um vage Behauptungen ohne Tatsachensubstrat der BF1 handelte. Die knapp gehaltenen Angaben der BF1, wonach ihr Mann davon gehört habe, dass „sie“ die älteste Tochter abholen und verheiraten würden (AS 73), waren mangels Detailliertheit wenig überzeugend. Auffallend war auch, dass sie in der Beschwerdeverhandlung diese vermeintlich unmittelbar drohende Zwangsverheiratung der BF2 nicht mehr erwähnte, sondern als Fluchtgrund den Vorfall mit ihrer Schwiegermutter und die Bedrohung durch den Vater einer Schulfreundin der BF2 angab.
Auffallend war auch, dass sie nicht stringent angab, was konkret ihren Töchtern drohen würde. So sprach die BF1 zunächst von einer Zwangsverheiratung, später von einer Entführung, einem Verkauf und schließlich auch von einer Ermordung ihrer Töchter.
Auch der von der BF1 angegebene Grund, dass den Töchtern eine Zwangsverheiratung drohe, da diese zu Musliminnen gemacht werden sollen (AS 73), war angesichts der Tatsache, dass ihre Töchter nie zum Christentum übergetreten sind, nicht einleuchtend.
Es wird nicht übersehen, dass in ländlichen Gebieten illegale Zwangsverheiratungen vorkommen, jedoch sind davon junge Mädchen im Alter von 13 bis 15 Jahren betroffen, die BF2 war zum fluchtauslösenden Zeitpunkt erst neun Jahre alt. Auch unter diesem Gesichtspunkt war die drohende Zwangsverheiratung als unwahrscheinlich zu werten.
2.2.5. Die in der Beschwerdeverhandlung seitens der Vertretung der Beschwerdeführerinnen beantragte Einvernahme des Ehemannes der BF1 bzw. Vaters der BF2 und BF3 als Zeuge konnte unterbleiben, da selbst bei Wahrunterstellung seiner zwischenzeitlich erfolgten Konversion zum Christentum kein maßgeblicher Sachverhalt für die Zuerkennung von Asyl für die Beschwerdeführerinnen vorliegt. Aus den Länderberichten ging nicht hervor, dass Kindern von konvertierten Elternteilen – egal ob Mutter oder Vater – eine Verfolgung droht. Bereits im gegenständlichen Verfahren war festzustellen, dass ihre Mutter (BF1) konvertiert ist. Es wird wiederholt darauf hingewiesen, dass aus dem aktuellen Länderinformationsblatt klar hervor, dass ein Religionswechsel vom Islam zum Christentum akzeptiert wird und zu keinerlei Benachteiligungen führt. Die Einvernahme des Vaters hätte sohin zu keinem anderen Ergebnis geführt. Aus den Länderberichten geht auch nicht hervor, dass die Ehefrau eines zum Christentum konvertierten Ehemannes Verfolgungshandlungen ausgesetzt wäre.
2.2.6. Dem Vorbringen der BF1 war schließlich auch zu entnehmen, dass sie sich für Frauenrechte eingesetzt und nie wie eine Muslima gelebt habe. Aufgrund ihrer Haltung sei es zu Diskriminierungen und Misshandlungen gekommen. Belastet wurde die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens aber durch ihr im Laufe des Verfahrens massiv gesteigertes Fluchtvorbringen. Erst in der zweiten behördlichen Einvernahme führte die BF1 erstmals aus, dass sich eine Menschenmenge vor ihrem Haus versammelt habe. Es sei von ihr verlangt worden, das Haus zu verlassen. Sie sei als Ungläubige beschimpft und das Haus mit Steinen beworfen worden (AS 129). Sie habe auch auf die Frauen immer wieder eingeredet, dass sie Gewalt und Zwang in der Religion nicht tolerieren sollen. Obwohl sie von den Frauen bespuckt und geschlagen worden sei, habe sie nichts von ihren Gedanken abgebracht (AS 135). Die Wahhabiten seien eines Tages auch zu ihr nach Hause gekommen, als diese mitbekommen hätten, dass sie sich für Frauen einsetze. Sie hätten mit ihrer Schwiegermutter und ihrem Ehemann gesprochen. Sie sei daraufhin von „allen Gegnern“ geschlagen worden (AS 135). Gegen Ende der Einvernahme führte sich schließlich aus, dass im März 2018 die „Scharia Polizei“ sie und weitere Frauen und Mädchen mit Gewalt aus den Häusern geholt hätten. Sie hätten in einer Reihe stehen müssen und es sei ihnen eine Glatze geschnitten worden (AS 137).
Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese vermeintlich erlittenen Diskriminierungen und Misshandlungen nicht bereits im Rahmen ihrer ersten Einvernahme zu Wort kamen. Es wäre von ihr zu erwarten gewesen, dass sie derart gravierende Erlebnisse, die mit massiven Misshandlungen einhergegangen seien, zumindest ansatzweise bereits in der ersten behördlichen Einvernahme erwähnt, sofern sie tatsächlich geschehen wären. Über diese Misshandlungen verlor die BF1 letztendlich auch in der Beschwerdeverhandlung kein Wort, sodass im Unterlassen dieser Schilderung eine Unglaubwürdigkeit ihres Fluchtvorbringens zu erblicken ist und sich diese Geschehnisse in Wahrheit nicht ereignet haben. Wie auch die belangte Behörde zutreffend anmerkte, erscheint es lebensfremd, dass sie nicht zumindest ein Lichtbild von ihrer Person, nachdem ihr unter Anwendung von Gewalt eine Glatze geschnitten worden sein soll, gemacht habe, um so ihre erlittenen Misshandlungen zu dokumentieren. Dass sie sich in einem so hässlichen Zustand nicht zeigen habe wollen (AS 137), erscheint wenig überzeugend.
Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, dass sich die BF1, konfrontiert mit der Absicht der Behörde ihren Antrag abzuweisen, in der behördlichen Einvernahme am 09.12.2019 eines zum Zweck der Erlangung von internationalen Schutz konstruierten und gesteigerten Vorbringens bediente.
Zusammengefasst war sohin auch für das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis zu gelangen, dass aufgrund der mehrmaligen Steigerungen im Fluchtvorbringen und der vagen sowie nicht nachvollziehbaren Angaben der BF1 von keiner glaubhaften Verfolgungsgefahr für die Beschwerdeführerinnen auszugehen ist.
2.3. Gegenständlich konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt sind oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen steht einer Rückkehr nach Aserbaidschan nicht entgegen, zumal sie an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden und eine ausreichende medizinische Versorgung in Aserbaidschan besteht.
Dem vorgelegten Ambulanzbericht vom 08.06.2022 betreffend die BF2 ist zu entnehmen, dass es aufgrund der komplexen Traumatisierung, einschließlich Entwurzelung, der Entwicklung einer schweren Depression gemischt mit Angst dringend empfohlen werde, die BF2 weiter in der Gesellschaft, in der sie bereits begonnen habe Fuß zu fassen, zu belassen, andernfalls sei eine akute Selbstgefährdung mit Suizidakt nicht auszuschließen. Das Suizidrisiko sei bei depressiv Erkrankten etwa 30-mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Eine adäquate Behandlung sei in ihrem Heimatland nicht gewährleistet, wobei die BF2 ein Anrecht auf diese habe und auch in der Therapie eine hohe Motivation zur Behandlung zeige. Im vorgelegten Ambulanzbefund geht nicht hervor, worauf sich die Annahme, dass eine adäquate Behandlung in Aserbaidschan nicht gewährleistet sei, stützt. Dass die Fachärzte über ein entsprechendes Länderwissen zu Aserbaidschan verfügen, wird nicht aufgezeigt. Die Aussagekraft der getroffenen Empfehlung ist unter diesem Gesichtspunkt kritisch zu hinterfragen.
Es sei an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei dem der Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedenster Quellen handelt, wodurch ein möglichst umfassendes Bild – auch von der medizinischen Versorgungslage im Herkunftsland der Beschwerdeführerinnen – aufgezeigt wird. Im Länderinformationsblatt werden Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Aserbaidschan ergeben, angeführt. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Aus dem Länderinformationsblatt geht hervor, dass die Gesundheitsversorgung in Aserbaidschan von öffentlichen und privaten Gesundheitseinrichtungen erbracht wird. Öffentliche Krankenhäuser bieten eine kostenlose medizinische Versorgung. In den letzten Jahren hat die Regierung erhebliche Investitionen im Gesundheitswesen vorgenommen. Es gibt Kinderkrankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen in Baku. Es wurden auch zentrale Krankenhäuser in den Regionen gebaut. Am 01.04.2021 wurde eine allgemeine Krankenversicherung eingeführt, damit sollen alle ärztlichen Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten abgedeckt werden. Aus dem Länderinformationsblatt geht ebenso hervor, dass die Behandlung von regelmäßigen Krankheitsbildern wie zB. Depressionen in Aserbaidschan möglich ist. Die einschlägigen auf dem europäischen Markt registrierten Medikamente sind grundsätzlich erhältlich. Zwar wird nicht übersehen, dass die medizinische Versorgung nicht überall westeuropäischem Standards entspricht, jedoch – wie noch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt werden wird – führt dies nach der Rechtsprechung des EuGH nicht zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Darüber hinaus bietet der private medizinische Sektor Leistungen auf annähernd europäischem Standard an. Vor dem Hintergrund dieser Länderberichtslage ist davon auszugehen, dass die BF2 in Aserbaidschan eine ausreichende medizinische Versorgung erhalten wird.
Zweifel an der grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit der BF1 sind während des gesamten Verfahrens nicht aufgekommen. Die BF1 verfügt über eine Berufsausbildung als Englischlehrerin. Es konnte anhand dem Länderinformationsblatt zu Aserbaidschan festgestellt werden, dass Frauen vor allem im Bildungssektor stark vertreten sind und die religiöse oder ethnische Herkunft keine Rolle beim Beschäftigungszugang spielt. Die BF1 wuchs in Aserbaidschan auf, hat dort ihre Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen und hat erst mit 33 Jahren ihr Herkunftsland verlassen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut ist und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit am Arbeitsmarkt Fuß fassen wird können.
Die Kinder der BF1 befinden sich im schulpflichtigen Alter. Die Schulbildung ist in Aserbaidschan bis zum Alter von 17 Jahren verpflichtend und kostenlos, sodass ihr zumindest die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung auch möglich sein wird.
Die Beschwerdeführerinnen verfügen auch über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsland. Die Eltern, eine Schwester und die Schwiegermutter der BF1 sind weiterhin in Aserbaidschan wohnhaft. Die finanzielle Lage ihrer Familienangehörigen gestaltet sich gut. Die BF1 steht mit ihrer Familie auch in Kontakt. Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerinnen bei ihrer Rückkehr von ihrem Familienverband Unterstützung erhalten werden und sie auch bei ihnen – zumindest anfänglich – wohnen können, sodass sie von keiner Obdachlosigkeit bedroht sind.
Es kann sohin nicht erkannt werden, dass der erwerbsfähigen BF1, die in Aserbaidschan über ein familiäres Netz verfügt, von dem sie unterstützt werden kann, im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan dort die notwendigste Lebensgrundlage für sie und ihre minderjährigen Beschwerdeführerinnen entzogen und dadurch die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in den Länderfeststellungen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die unter 1.4. getroffenen Feststellungen zum Kopftuchverbot beruhen auf einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2014. Auch das BFA hat diese Länderfeststellungen den bekämpften Bescheiden bereits zugrunde gelegt.
Es handelt sich hierbei um Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen. Diese Quellen liegen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vor und decken sich im Wesentlichen mit dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich aus der ständigen Beachtung der aktuellen Quellenlage (Einsicht in aktuelle Berichte zur Lage im Herkunftsstaat) ergibt.
Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen – sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges – handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten – immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse – der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen – allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden – aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 01.08.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zur den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 04.04.2001, Gz. 2000/01/0348).
Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt werden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Insofern aus dem Akteninhalt hervorgeht, dass den Beschwerdeführerinnen zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.01.2014 im erstinstanzlichen Verfahren das Parteiengehör versagt wurde, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach eine im erstinstanzlichen Verfahren erfolgte Verletzung des Parteiengehörs durch die mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden kann, wenn der damit bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben hat (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056; VwGH 29.01.2015, Ra 2014/07/0102). Diese Anforderung an den Bescheid des BFA ist erfüllt, eine allfällige Verletzung des Parteiengehörs ist daher durch die Möglichkeit der Stellungnahme in der Beschwerde als saniert anzusehen. In der Beschwerdeschrift findet sich jedoch keine substantiierte Bestreitung der vom BFA getroffenen Länderfeststellungen insbesondere zum Kopftuchverbot.
Im Beschwerdeverfahren wurde den Parteien das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation übermittelt und ein Parteiengehör dazu eingeräumt. Die Vertretung der Beschwerdeführerinnen teilte mit Schreiben vom 29.06.2022 (OZ 15) mit, dass eine Stellungnahme nicht erstattet werde. Die BF1 ist mit ihrer Stellungnahme in der Beschwerdeverhandlung den angeführten getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat nicht substantiiert entgegengetreten. Ihre Ausführungen beruhten lediglich auf bloßen Behauptungen.
Insofern ihre Vertreterin anmerkte, dass in dem aktuellen Länderinformationsblatt kaum Angaben zu den Wahhabiten und deren Praktiken zu finden seien und daher eine Anfrage an die Staatendokumentation angebracht sei, wird angemerkt, dass angesichts der unmissverständlichen Länderberichtslage im Länderinformationsblatt eine gesonderte Anfrage nach Ansicht der erkennenden Richterin nicht erforderlich war.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keine stichhaltigen Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendende Rechtsvorschriften
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Sonderbestimmungen für das Familienverfahren im Inland
§ 34 AsylG lautet:
„§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG).“
§ 2 Abs. 1 Z 22 AsylG sieht folgende Legaldefinition eines „Familienangehörigen“ vor:
„22. Familienangehöriger:
a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;
b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat;
c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und
d. der gesetzliche Vertreter eines minderjährigen ledigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten sowie ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind, für das einem Asylwerber, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten die gesetzliche Vertretung zukommt, sofern die gesetzliche Vertretung jeweils bereits vor der Einreise bestanden hat.“
Gemäß § 34 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist gegenständlich von einem Familienverfahren auszugehen. Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerinnen BF2 und BF3. Demnach sind ihre beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren unter einem zu führen.
Gegenständlich ist auch zu beachten, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den am 15.04.2022 gestellten Asylantrag des nachträglich nach Österreich eingereisten Ehemannes der BF1 bzw. des Vaters der BF2 und BF3 – und sohin über einen Antrag eines Familienangehörigen – noch nicht erstinstanzlich entschieden wurde.
Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG ist es, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dient die Bestimmung des § 34 AsylG der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Dem Gesetz ist jedoch keine Anordnung zu entnehmen, dass sämtliche Verfahren im Familienverband, die bereits in verschiedenen Instanzen anhängig sind, ebenfalls unter einem geführt werden müssen (VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, Rz 8). § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ist dahingehend auszulegen, dass eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen hat, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim BVwG anhängig sind (VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, Rz 15).
In Anbetracht der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis hielt auch der Verfassungsgerichtshof seine im Erkenntnis vom 18. September 2015, E1174/2014, geäußerte Auffassung nicht mehr weiter aufrecht: In seinem Erkenntnis vom 07.03.2019, E5157/2018, verwies dieser auch auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 04.10.2018, Rs. C-652/16, Ahmedbekova, und führte aus, dass er vor diesem Hintergrund entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr davon ausgehe, dass Verfahren betreffend mehrere Familienangehörige gemäß § 34 Abs. 4 AsylG in jedem Fall, dh auch dann, wenn sich die Verfahren in unterschiedlichen Verfahrensebenen (zB Verwaltungsbehörde einerseits und Bundesverwaltungsgericht andererseits) befinden, gemeinsam geführt werden müssen. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union im genannten Urteil hervorhebe (vgl. Rz 61), müsse in einem Fall getrennter Verfahrensführung aber zumindest eine „zeitliche Nähe“ zwischen den verschiedenen Verfahren gewährleistet werden, damit die Behörde – falls einem Familienmitglied ein Schutzstatus zuerkannt wird – in der Lage sei, „innerhalb kurzer Zeit zu beurteilen, ob die Familienangehörigen dieser Person aufgrund der familiären Bindung untereinander ebenfalls bedroht seien“ (vgl. VfGH 07.03.2019, E5157/2018, Rz 5).
Entsprechend der zitierten Judikatur der Höchstgerichte ist die getrennte Verfahrensführung gegenständlich sohin zulässig.
Es sei an dieser Stelle auch angemerkt, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Schutzgewährung des Ehemannes/Vaters aufgrund dieser neu entstandenen Tatsache gestützt auf § 34 Abs. 1 AsylG einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stellen können, weil in diesem Fall hinsichtlich § 34 Abs. 2 und 3 AsylG keine entschiedene Sache vorliegt (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, Rz 16).
Zu A)
3.3. Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Darüber hinaus darf keiner der in § 6 Abs. 1 AsylG genannten Ausschlussgründe vorliegen, andernfalls der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Im Hinblick auf die Neufassung des § 3 AsylG 2005 im Vergleich zu § 7 AsylG 1997 wird festgehalten, dass die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zu den Kriterien für die Asylgewährung in Anbetracht der identen Festlegung, dass als Maßstab die Feststellung einer Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK gilt, nunmehr grundsätzlich auch auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 anzuwenden ist.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
3.2.2. Eine gegen die Beschwerdeführerinnen gerichtete Verfolgungsgefahr aus einem der Konventionsgründe konnte weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht werden. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird diesbezüglich auf die Ausführungen unter Punkt 2.2. verwiesen.
Wie bereits in der Beweiswürdigung erörtert wurde, war dem Fluchtvorbringen der BF1 insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH 20.06.1990, Zl. 90/01/0041).
Im Asylverfahren muss das Vorbringen des Antragstellers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden. Ungeachtet der gesetzlichen Verpflichtung der Asylbehörde bzw. des Asylgerichtshofes, im Einklang mit den im Verwaltungsverfahren geltenden Prinzipien der materiellen Wahrheit und des Grundsatzes der Offizialmaxime, den maßgeblichen Sachverhalt amtswegig (§ 39 Abs 2 AVG, § 18 AsylG 2005) festzustellen, obliegt es in erster Linie dem Asylwerber auf Nachfrage alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.1987, 87/01/0299; 13.04.1988, 87/01/0332; 19.09.1990, 90/01/0133; 07.11.1990, 90/01/0171; 24.01.1990, 89/01/0446; 30.01.1991, 90/01/0196; 30.01.1991, 90/01/0197; vgl. zB auch VwGH 16.12.1987, 87/01/0299; 02.03.1988, 86/01/0187; 13.04.1988, 87/01/0332; 17.02.1994, 94/19/0774) und glaubhaft zu machen (VwGH 23.02.1994, 92/01/0888; 19.03.1997, 95/01/0525). Es ist in erster Linie Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30.11.2000, 2000/01/0356).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von der BF1 behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 09.05.1996, Zl. 95/20/0380).
Eine Verfolgung aus religiösen Gründen konnte nicht festgestellt werden. Der BF1 drohen wegen ihrer Konversion zum Christentum vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen keine von staatlichen oder nichtstaatlichen Organen ausgehenden Verfolgungshandlungen. Ihre Töchter haben angesichts ihres Glaubensübertrittes ebenso wenig mit Sanktionen zu rechnen.
Die Beschwerdeführerinnen zählen zu einer Minderheit in Aserbaidschan. Eine Gruppenverfolgung konnte angesichts der Länderberichtslage nicht erkannt werden und wurde von den Beschwerdeführerinnen auch nicht vorgebracht.
Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass sich aus der generellen Lage von Frauen in Aserbaidschan keine Verfolgungsgefahr abgeleitet werden kann. Aus den Länderfeststellungen ergeben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkreter und individueller Verfolgung ausgesetzt wären. Darüber hinaus mangelt es an einer deutlich abgegrenzten Identität.
Aus den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur Lage von Kindern ergeben sich ebenso keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend, dass sie einer systematischen Verfolgung ausgesetzt wären.
Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht existiert.
Folglich war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der bekämpften Bescheide als unbegründet abzuweisen.
3.4. Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffene Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
3.3.2. Dass die Beschwerdeführerinnen im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.
Da sich Aserbaidschan nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die Beschwerdeführerinnen als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerinnen in manchen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Bei der BF2 wurde eine XXXX , eine XXXX und eine XXXX diagnostiziert. Sie ist seit März 2022 in der Ambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie in XXXX in ärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung. Zusätzlich wurde ihr die Einnahme von XXXX und XXXX verordnet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist (vgl. VwGH 11.08.2021, Ra 2020/18/0309; VwGH 21.02.2017, Ra 2017/18/0008). Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 26.01.2021, Ra 2020/14/0587, mwN; VwGH 23.9.2020, Ra 2020/01/0146, jeweils mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (VwGH 23.03.2017, Ra 2017/20/0038, mit Verweis auf die Beschlüsse vom 21.02.2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und Rz 189 ff).
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet es für entscheidend, welche Haltung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur Frage von krankheitsbedingten Abschiebehindernissen und einer ausreichenden medizinischen Versorgung in den Zielstaaten unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK im Rahmen seiner authentischen Interpretation dieser Konventionsbestimmung einnimmt. Zu diesem Zweck ist auf die einschlägige Rechtsprechung des EGMR in den folgenden Judikaten abzustellen:
GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06
AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05
PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03
RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03
HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05
OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04
AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04
NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03
Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:
Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien- Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigenhielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms, diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.
In der Entscheidung RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande vom 10.11.2005, Rs 35989/03 wurde die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Mazedonien für zulässig erklärt, da Psychotherapie eine gängige Behandlungsform in Mazedonien ist und auch verschiedene therapeutische Medizin verfügbar ist, auch wenn sie nicht dem Standard in den Niederlanden entsprechen möge.
Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".
In der Beschwerdesache AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04, stellte der EGMR fest, dass in Togo eine grundsätzliche adäquate Behandlung der noch nicht ausgebrochenen AIDS-Erkrankung gegeben ist und erklärte die Abschiebung des Beschwerdeführers für zulässig.
In der Beschwerdesache NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03, sprach der EGMR aus, dass in Tansania Behandlungsmöglichkeiten auch unter erheblichen Kosten für die in 1-2 Jahren ausbrechende AIDS-Erkrankung des Beschwerdeführers gegeben seien; es lagen auch familiäre Bezüge vor, weshalb die Abschiebung für zulässig erklärt wurde. Die beiden letztgenannten Entscheidungen beinhalten somit, dass bei körperlichen Erkrankungen im allgemeinen (sofern grundsätzliche Behandlungsmöglichkeiten bestehen; bejaht zB für AIDS in Tansania sowie Togo und für Down-Syndrom in Bosnien-Herzegowina) nur Krankheiten im lebensbedrohlichen Zustand relevant sind.
In Bezug auf psychische Erkrankungen, wie zB schweren Depressionen und PTBS mit suizidaler Einengung, haben nachfolgende, sich ebenfalls aus der Rechtsprechung des EGMR ergebende, Überlegungen (vgl. auch VfGH v. 6. März 2008, B 2400/07 sowie Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren" mwN auf die Judikatur des EGMR) für eine Art 3-EMRK-konforme Entscheidung mit einzufließen:
Schwere psychische Erkrankungen erreichen solange nicht die erforderliche Gravität, als es nicht zumindest einmal zu einer Zwangseinweisung in eine geschlossene Psychiatrie gekommen ist. Sollte diese allerdings schon länger als ein Jahr zurückliegen und in der Zwischenzeit nichts Nennenswertes passiert sein, dürfte von keiner akuten Gefährdung mehr auszugehen sein. Die lediglich fallweise oder auch regelmäßige Inanspruchnahme von psychiatrischen oder psychotherapeutischen Leistungen einschließlich freiwilliger Aufenthalte in offenen Bereichen psychiatrischer Kliniken indizieren eine fehlende Gravität der Erkrankung.
Mentaler Stress, der durch eine Abschiebungsentscheidung hervorgerufen wird, rechtfertigt nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung.
Auch wenn eine akute Suizidalität besteht, ist ein Vertragsstaat nicht dazu verpflichtet, von der Durchführung der Abschiebung Abstand zu nehmen, wenn konkrete risikominimierende Maßnahmen getroffen werden, um einen Selbstmord zu verhindern. Die Zusicherung von Garantien, welche von der die Abschiebung durchführenden Polizei zu beachten sind (zB die Charterung eines eigenen, mit einem ärztlichen Team ausgestatteten Flugzeuges), reiche hierzu aus. Dies gilt auch für den Fall bereits mehrerer vorangegangener Suizidversuche.
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Es wird nicht übersehen, dass aus dem vorgelegten Ambulanzbericht vom 08.06.2022 hervorgeht, dass es aufgrund der komplexen Traumatisierung, einschließlich Entwurzelung, der Entwicklung einer schweren Depression gemischt mit Angst dringend empfohlen werde, die BF2 weiter in der Gesellschaft, in der sie bereits begonnen habe Fuß zu fassen, zu belassen, andernfalls sei eine akute Selbstgefährdung mit Suizidakt nicht auszuschließen. Lediglich allgemein gehalten heißt es im Bericht weiter, dass das Suizidrisiko bei depressiv Erkrankten etwa 30-mal höher sei als in der Allgemeinbevölkerung. Eine von der EuGH Rechtsprechung geforderte Gravität der Erkrankung lässt sich aus diesem Bericht nicht ableiten.
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, besteht laut den herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen eine ausreichende medizinische Versorgung in Aserbaidschan, welche auch kostenlos ist. Die Behandlung von regelmäßigen Krankheitsbildern wie zB. Depressionen ist möglich. Die Grundversorgung mit nahezu allen gängigen Medikamenten ist sichergestellt.
Dass generell die diesbezüglichen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland allenfalls schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise „erhebliche Kosten“ verursachen, ist gemäß der EGMR-Judikatur nicht ausschlaggebend.
Selbst wenn die BF2 in Aserbaidschan mit erheblichen finanziellen Belastungen zu rechnen hätte, kann unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK kein wesentlicher Aspekt erblickt werden, zumal davon ausgegangen werden kann, dass sie familiäre und soziale Unterstützung im Herkunftsstaat findet. Es ist davon auszugehen, dass ihre Mutter (BF1) ihr weiterhin die erforderliche Fürsorge zukommen lassen wird und ihr einen Zugang zu medizinischen und therapeutischen Maßnahmen ermöglichen wird. Die Beschwerdeführerinnen sind weder von Obdachlosigkeit noch extremer Armut und daraus resultierendem gänzlich fehlenden Zugang zu medizinischen Leistungen bedroht. In Aserbaidschan halten sich die Großeltern der BF2 auf. Der Familie der BF1 geht es finanziell auch gut.
Im gegenständlichen Fall mag es somit zwar sein, dass die Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat hinter denen in Österreich zurückbleiben, aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens ist jedoch bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen festzustellen, dass hierdurch im gegenständlichen Fall die vom EGMR verlangten außerordentlichen Umstände nicht gegeben sind (vgl. hierzu insbesondere auch weiters Urteil des EGMR vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599, Case of Bensaid v. The United Kingdom oder auch VwGH v. 7.10.2003, 2002/01/0379).
Eine akute lebensbedrohende Krankheit der Beschwerdeführerinnen – die BF1 und die BF2 sind grundlegend gesund –, welche eine Überstellung nach Aserbaidschan gemäß der herrschenden Judikatur verbieten würde, liegt im konkreten Fall jedenfalls nicht vor.
Gegenständlich kam auch nicht hervor, dass die Beschwerdeführerinnen in Bezug auf Covid-19 einer Risikogruppe angehören, sodass – im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer Covid-19-Erkrankung – keine exzeptionellen Umstände vorliegen, die die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen (vgl. VwGH 06.07.2020, Ra 2020/01/0176).
Auch eine Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen zur Lage in Aserbaidschan als gesichert angenommen werden. Die BF1 befindet sich im erwerbsfähigen Alter, hat eine Berufsausbildung als Englischlehrerin abgeschlossen und verfügt über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für Aserbaidschan. Bei der BF1 kann eine Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzlich vorausgesetzt werden. Im Bildungssektor sind Frauen stark vertreten, sodass es als maßgeblich wahrscheinlich angesehen werden kann, dass sie in diesem Bereich eine Arbeit finden wird. Diskriminierungen beim Beschäftigungszugang waren nicht festzustellen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die BF1 im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, für sich und ihre Kinder ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Die Kinder der BF1 befinden sich im schulpflichtigen Alter, sodass auch unter Berücksichtigung der Obsorgepflichten zumindest die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung für die BF1 möglich sein wird.
Der Schulbesuch ist in Aserbaidschan kostenlos, sodass mit keinen Ausgaben zu rechnen sein wird. Die Beschwerdeführerinnen verfügen auch über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsland. Es ist davon auszugehen, dass ihnen im Falle ihrer Rückkehr auch im Rahmen ihres Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteil wird und sie weder von Obdachlosigkeit noch von extremer Armut betroffen sein werden.
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Aserbaidschan gewährleistet. Bei Bedarf kann die BF1 auch auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen (gezielte Sozialhilfe [TSA] für Familien mit geringem Einkommen).
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt somit nicht vor.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführerinnen somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden.
Insoweit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
3.5. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:
3.5.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Die Beschwerdeführerinnen befinden sich seit November 2019 im Bundesgebiet, wobei ihr Aufenthalt nicht in obigem Sinne geduldet ist. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.
Die Beschwerdeführerinnen sind als aserbaidschanische Staatsangehörige keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Mit der erfolgten Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz endet das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
3.5.2. Eingriff in das Privat- oder Familienleben
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt.
Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB. zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, 2004/01/0220, mwN; 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, 97/21/0778; 26.06.2007, 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine „hinreichend starke Nahebeziehung“ besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).
Nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u. a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
Sofern durch eine Ausweisung eines Fremden in gewissem Maße in sein Familien- oder/und in sein Privatleben eingegriffen wird, bedarf es folgerichtig einer Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen des Fremden an einem Verbleib im Aufnahmeland im Hinblick auf die Frage, ob dieser Eingriff iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, wobei vorauszuschicken ist, dass die Ausweisung eines Asylwerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich nehmen grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren.
Zu einem möglichen Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerinnen ist zunächst anzuführen, dass von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Mutter (BF1) und ihre minderjährigen Töchter (BF2 und BF3) gemeinsam betroffen sind. In Österreich lebt seit April 2022 jedoch auch der Ehemann der BF1 bzw. der Vater der BF2 und BF3. Sie teilen seit 01.06.2022 mit ihm auch einen gemeinsamen Haushalt. Sein Verfahren über seinen am 15.04.2022 gestellten Antrag auf internationalen Schutz ist aktuell beim BFA anhängig. Darüber hinaus haben die Beschwerdeführerinnen keine weiteren Verwandten in Österreich.
Die aufenthaltsbeendende Maßnahme stellt einen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, da es zu einer Trennung der Beschwerdeführerinnen von ihrem nach § 13 AsylG vorläufig aufenthaltsberechtigten Ehemann bzw. Vater kommt. Unter dem Blickwinkel des durch Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens ist daher zu prüfen, ob die gegen die Beschwerdeführerinnen erlassene Rückkehrentscheidung und die darauf aufbauenden Aussprüche aus überwiegenden öffentlichen Interessen geboten sind und die Familie eine vorübergehende, ihnen zuzumutende Trennung in Kauf nehmen muss (vgl. VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004, Rz 17).
Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens der Beschwerdeführerinnen im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Bezogen auf die Beschwerdeführer:
Es ist zunächst zu beachten, dass die Familie über einen sehr langen Zeitraum voneinander getrennt gelebt hat und diese Trennung von den Eltern auch bewusst in Kauf genommen wurde. Die Beschwerdeführerinnen befinden sich seit November 2019 im Bundesgebiet. Der Ehemann der BF1 bzw. der Vater der BF2 und BF3 kam erst im April 2022 nachträglich nach Österreich. Die BF1 nahm während der mehr als zweijährigen Trennung die persönliche Fürsorge der minderjährigen Beschwerdeführerinnen alleine wahr. Angesichts der langen Dauer ihrer Trennung kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein sehr enges Band zwischen den Beschwerdeführerinnen und dem Ehemann/Vater besteht. Eine vorübergehende Trennung von ihrem Ehemann bzw. Vater, der lediglich über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG verfügt, ist in Kauf zu nehmen. Sollte ihm in weiterer Folge ein Schutzstatus zuerkannt werden, steht es den Beschwerdeführerinnen offen einen Antrag auf Familienzusammenführung nach § 35 AsylG zu stellen. Der Kontakt kann zwischenzeitlich auch über moderne Kommunikationsmittel (wenn auch in reduzierter Form) aufrechterhalten werden. In diesem Zusammenhang wird nicht verkannt, dass der Verweis auf Kommunikation über moderne Medien bei Kleinkindern unzulässig ist (vgl. VfGH vom 25.02.2013, U2241/12; VfGH vom 19.06.2015, E426/2015), jedoch handelt es sich bei den minderjährigen Beschwerdeführerinnen um keine Kleinkinder mehr.
Neben ihrer familiären Anbindung war hinsichtlich des bisher entstandenen Privatlebens der Beschwerdeführerinnen in Österreich zu bedenken, dass die Dauer ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet seit ihrer legalen Einreise im November 2019 als noch nicht lange zu bemessen ist. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang zentral auf VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger – auf die Stellung eines Asylantrages gestützter – Aufenthalt im Bundesgebiet (regelmäßig) noch keine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat begründet sowie auch auf das Urteil des EGMR vom 8. April 2008, Nr. 21878/06 (NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich), in welchem der EGMR im Rahmen der Interessensabwägung zum Ergebnis gelangt, dass grundsätzlich das öffentliche Interesse an einer effektiven Zuwanderungskontrolle bei erfolglosen Asylanträgen höher wiegen muss als ein während des Asylverfahrens begründetes Privatleben.
Die Dauer des Aufenthalts wird weiter dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war, was den Beschwerdeführerinnen bewusst gewesen sein muss. Die Beschwerdeführerinnen begründeten somit ihr hier relevantes Privatleben zu einem Zeitpunkt, zudem ihr Aufenthalt ungewiss und auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt war. Ihre Interessen werden auch dadurch gemindert, dass ihr Aufenthalt lediglich auf – wie sich im Verfahren zeigte –unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479 mwN). Wenngleich minderjährigen Kindern der unsichere Aufenthaltsstatus nicht vorzuwerfen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (vgl. VfGH 10.3.2011, B1565/10 ua; VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0044-0046; VwGH 28.2.2020, Ra 2019/14/0545-0548; VwGH 9.3.2022, Ra 2022/14/0044-0047; VwGH 13.6.2022, Ra 2021/17/0201-0204 mwN).
Als Stärkung der persönlichen Interessen ist zu berücksichtigen, dass die BF1 mittlerweile über gute Deutschkenntnisse verfügt und sich ehrenamtlich engagiert. Sie verfügt in Österreich auch über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines österreichischen Freundes- und Bekanntenkreises.
In diesem Zusammenhang ist jedoch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach die Umstände, dass selbst ein Fremder der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029).
Die Beschwerdeführer sind keine Mitglieder in einem Verein oder in einer sonstigen Organisation.
Die BF1 ist in Österreich bisher noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, wiewohl sie arbeitsfähig wäre und ihre minderjährigen Kinder die Schule besuchen. Alle Beschwerdeführerinnen beziehen für ihren Lebensunterhalt seit ihrer Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und wohnen in einer organisierten Unterkunft. Die Beschwerdeführerinnen sind auf die staatliche Unterstützung für Asylwerber angewiesen.
Zudem ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerinnen nicht gezwungen sind, nach einer Ausreise allenfalls bestehende Bindungen zur Gänze abbrechen zu müssen. So stünde es ihnen frei, diese durch briefliche, telefonische, elektronische Kontakte oder durch gegenseitige Besuche aufrecht zu erhalten (vgl. Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74 mwN).
Bezüglich der Bindungen der BF1 zu ihrem Herkunftsstaat ist auszuführen, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass bereits eine Entwurzelung vom Herkunftsland stattgefunden hat. Die BF1 verbrachte den überwiegenden Teil ihres Lebens in Aserbaidschan, wurde dort sozialisiert und ausgebildet. Ebenso war festzustellen, dass in Aserbaidschan ihre Eltern und ihre Schwester sowie ihre Schwiegermutter wohnhaft sind und sie nach wie vor mit ihrer Familie in Kontakt steht.
Nach der Rechtsprechung des VwGH sind gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205 unter Hinweis auf VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR).
Weiter hat der VwGH festgehalten, dass der Umstand, dass ein minderjähriges Kind keine oder nur mehr eine äußerst geringe Bindung zum Herkunftsstaat aufweist, in der Regel dafür spricht ihm den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, sofern es unbescholten ist und in Österreich einen ausreichenden Grad an Integration erreicht hat. Ein derartiger Grad an Integration ist anzunehmen, wenn sich das minderjährige Kind während der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet bereits soweit integriert hat, dass aus dem Blickwinkel des Kindeswohls mehr für seinen Verbleib im Bundesgebiet spricht als für die Rückkehr in den Herkunftsstaat und dieses private Interesse mit dem öffentlichen Interesse eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Herkunft und damit des Zusammenhalts der Gesellschaft korreliert. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob sich das minderjährige Kind gute Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet hat, seine Aus- und Weiterbildung entsprechend dem vorhandenen Bildungsangebot wahrgenommen hat und sich mit dem sozialen und kulturellen Leben in Österreich vertraut gemacht hat um dem jeweiligen Alter entsprechend daran teilnehmen zu können. Überdies ist minderjährigen Kindern der weitere Aufenthalt jedenfalls dann zu ermöglichen, wenn nicht in zumutbarer Weise erwartet werden kann, dass sie sich im Falle der Rückführung an die Verhältnisse im Heimatland wieder anpassen können. In einer derartigen Konstellation ist auch einer verhältnismäßig kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich großes Gewicht beizumessen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070).
Auch jüngst hat der VwGH unter Hinweis auf mehrere Vorentscheidungen deutlich gemacht, dass die Auswirkungen auf das Kindeswohl einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber Minderjährigen hinreichend berücksichtigt werden müssen (vgl. VwGH 26.02.2020 Ra 2019/18/0456).
Zu den minderjährigen Beschwerdeführerinnen ist festzuhalten, dass sie im Alter von neun (BF2) bzw. vier Jahren (BF3) nach Österreich kamen. Die mittlerweile zwölfjährige BF2 und die mittlerweile siebenjährige BF3 gehen in Österreich zur Schule. Die BF2 besuchte zuletzt die 2. Klasse der Mittelschule und ist in ihrer Klassengemeinschaft gut integriert. Obwohl sie bereits sehr gut Deutsch spricht, hat sie das Unterrichtsfach Deutsch im Schuljahr 2021/2022 nicht positiv abschließen können und muss zur Wiederholungsprüfung antreten. Die BF3 geht in die Volksschule. Der Schulbesuch in Österreich bildet das vergleichsweise stärkste Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet. Wie aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ersichtlich, führt auch der überwiegende oder gänzliche Schulbesuch in Österreich nicht zu einem Überwiegen der privaten Interessen am Verbleib in Österreich (VwGH 09.03.2022, Ra 2022/14/0044-0047 mwN). Zudem war auch zu berücksichtigen, dass die minderjährigen Beschwerdeführerinnen in Aserbaidschan geboren und dort auch bereits bis zu ihrem 9. bzw. 4. Lebensjahr sozialisiert wurden. Es ist auch davon auszugehen, dass sie über ihre Mutter die Kultur und Sprache ihres Herkunftslandes über den Zeitpunkt der Ausreise hinaus vermittelt bekamen (vgl. VwGH 16.6.2021, Ra 2020/18/0457, mwN). Für die minderjährigen Beschwerdeführerinnen ist auch ein kostenloser Schulzugang in Aserbaidschan gewährleistet. Sie verfügen in ihrem Herkunftsland zudem über familiäre Anknüpfungspunkte. Von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist darüber hinaus auch ihre Mutter (BF1) betroffen, die in den letzten Jahren ausschließlich für ihre Fürsorge zuständig war. Die minderjährigen Beschwerdeführerinnen müssten sohin nicht alleine in ihr Heimatland zurückkehren. Durch die gemeinsame Ausreise bleibt die wichtigste Bezugsperson für sie erhalten und eine kontinuierliche Pflege und Obsorge durch diese gewahrt. Nach Ansicht des Gerichtes würde eine Rückkehr in ihr Heimatland für die minderjährigen Beschwerdeführerinnen keine unzumutbare Härte darstellen. Sie befinden sich entsprechend der Judikatur in einem anpassungsfähigen Alter (das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen wird vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.), sodass auch ihre Interessen erheblich gemindert sind. Im Hinblick auf die Erkrankung der BF2 ist anzumerken, dass eine ausreichende medizinische Versorgung in ihrem Heimatland existiert, sodass auch davon ausgegangen werden kann, dass es zu keinem Therapieabbruch kommen wird. Ihre Mutter kümmerte sich bis dato um eine medizinische Versorgung der BF2, es ist davon auszugehen, dass sie ihrer Tochter auch in Aserbaidschan eine medizinische Versorgung zukommen lassen wird. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohls führt nach Ansicht des Gerichtes zu keiner Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung.
Es wird auch nicht verkannt, dass Kinder grundsätzlich ein Recht auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen haben (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134 mwN; VwGH 06.10.2020, Ra 2019/19/0332). Persönliche, physische Kontakte mit ihrem Vater würden im Falle einer Abschiebung der minderjährigen Beschwerdeführerinnen in ihr Heimatland zwar naturgemäß erschwert werden, es steht den Beschwerdeführerinnen bzw. ihrer gesetzlichen Vertretung aber offen, im Falle einer Schutzgewährung des Vaters eine Familienzusammenführung nach § 35 AsylG zu beantragen.
Das BFA wird angehalten sein, eine möglichst rasche Entscheidung in dem anhängigen Verfahren des Vaters zu treffen, um die Dauer der Trennung der Familie möglichst kurz halten zu können.
Hinsichtlich des Umstandes, dass sich die BF1 Österreich bis dato wohl verhalten hat, ist darauf hinzuweisen, dass die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen darstellt (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420).
Ein Aufenthalt der auf überlangen Verzögerungen, welche den Behörden zurechenbar wären, begründet ist, konnte seitens des erkennenden Gerichtes nicht festgestellt werden, wenngleich im gegenständlichen Fall vor dem Hintergrund der Auslastung des ho. Gerichts und der belangten Behörde davon auszugehen ist, dass eine raschere Entscheidung bei Vorhandensein entsprechender Ressourcen mitunter möglich gewesen wäre.
Es sind – unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, welche nicht die von Art. 3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen, sind an Art. 8 EMRK zu messen (VfGH 21.09.2015, E332/2015, unter Hinweis auf die Entscheidung EGMR 13.05.2008, Juhnke, Appl. 52.515/99).
Die BF2 leidet an psychischen Erkrankungen. Es konnte festgestellt werden, dass in Aserbaidschan eine ausreichende medizinische Versorgung besteht, sodass sie dort ihre ärztliche, medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung ihrer Erkrankungen fortsetzen wird können. Die BF2 verfügt über ein familiäres Netzwerk in Aserbaidschan, wodurch auch eine Unterstützung gewährleistet ist.
Die BF1 hat in ihrem Herkunftsland eine Ausbildung zur Englischlehrerin absolviert. Trotz fehlender Berufserfahrung ist davon auszugehen, dass ihr als grundsätzlich erwerbsfähige Frau die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich und zumutbar ist. Es deutet nichts darauf hin, dass es ihr im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Darüber hinaus kann sie bei Bedarf auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsland – letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich – im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.04.2010, 2009/21/0055).
Ergebnis der Interessensabwägung:
Unter Heranziehung der einschlägigen und höchstgerichtlichen Judikatur kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu. Nur beim Vorliegen von außergewöhnlichen, besonders zu berücksichtigenden Sachverhalten kann sich ergeben, dass den Fremden, welche rechtswidrig in das Bundesgebiet einreisten oder sich rechtswidrig in diesem aufhalten, ihre Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes nachgesehen und ein Aufenthaltsrecht erteilt wird. Derartige Umstände liegen gegenständlich nicht vor. Nach Maßgabe der Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerinnen am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die Beschwerdeführerinnen erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Es würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Angesichts der – somit in ihrem Gewicht geminderten – Gesamtinteressen der Beschwerdeführerinnen am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes klar die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich neben den gefährdeten Sicherheitsinteressen insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. war daher abzuweisen.
3.6. Zulässigkeit der Abschiebung
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Im gegenständlichen Fall liegen keine derartigen Abschiebehindernisse vor. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird diesbezüglich insbesondere auf die Ausführungen dieses Erkenntnisses in Punkt 3.4. (subsidiärer Schutz) verwiesen.
Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerinnen in ihren Herkunftsstaat ist somit letztlich gegeben, da nach den die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. war daher abzuweisen.
3.7. Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55 FPG lautet:
(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) […]
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) […]
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
Mangels Vorliegen besonderer Umstände entspricht die vom BFA festgelegte Frist für die freiwillige Ausreise der gesetzlichen Regelung und war daher nicht zu beanstanden. Die Beschwerde war daher auch gegen Spruchpunkt VI. abzuweisen. 3.8. Zu Spruchpunkt VII. der angefochtenen Bescheide (Anordnung der Unterkunftnahme)
3.8.1. § 15b AsylG lautet:
(1) Einem Asylwerber kann mittels Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) des Bundesamtes aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz aufgetragen werden, in einem von der für die Grundversorgung zuständigen Gebietskörperschaft zur Verfügung gestellten Quartier durchgängig Unterkunft zu nehmen. Über die Verfahrensanordnung ist im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(2) Bei der Beurteilung, ob Gründe des öffentlichen Interesses oder der öffentlichen Ordnung vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob
1. Voraussetzungen zum Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 2 oder für eine Entscheidung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B 2005 vorliegen,
2. der Antrag auf internationalen Schutz sich auf einen Staat gemäß § 19 BFA-VG bezieht oder
3. vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine Rückkehrentscheidung gegen den Drittstaatsangehörigen rechtskräftig erlassen wurde.
(3) Bei der Beurteilung, ob aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz die Unterkunftnahme anzuordnen ist, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Asylwerber seinen Mitwirkungsverpflichtungen gemäß § 15 nachgekommen ist oder ob weitere Erhebungen zur Identität erforderlich sind.
(4) Die Anordnung der Unterkunftnahme gilt bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz, solange dem Asylwerber das Quartier zur Verfügung gestellt wird, es sei denn, dem Asylwerber wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt oder ein Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück erteilt. Bezieht sich die Anordnung auf eine Betreuungseinrichtung des Bundes, so tritt sie mit Zuweisung des Asylwerbers an eine Betreuungsstelle eines Bundeslandes außer Kraft.
(5) Dem Asylwerber sind die Anordnung gemäß Abs. 1 und die Folgen einer allfälligen Missachtung nachweislich zur Kenntnis zu bringen.
Gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG hat ein Asylwerber dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht, auch nachdem er Österreich, aus welchem Grund auch immer, verlassen hat, seinen Aufenthaltsort und seine Anschrift sowie Änderungen dazu unverzüglich bekannt zu geben. Hierzu genügt es, wenn ein in Österreich befindlicher Asylwerber seiner Meldepflicht nach dem Meldegesetz nachkommt.
3.8.2. Die Bestimmung des § 15b AsylG trat erstmals mit dem FrÄG 2017 (BGBl I 84/2017) in Kraft. Das BFA kann demnach einem Asylwerber mittels Verfahrensanordnung – in Anlehnung an Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahme-RL; vgl. IA 2285/A XXV. GP , 78; ErlRV 189 BlgNR XXVI. GP , 23) – aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz auftragen, in einem von der für die Grundversorgung zuständigen Gebietskörperschaft zur Verfügung gestellten Quartier durchgängig Unterkunft zu nehmen.
Den Gesetzeserläuterungen zu § 15b AsylG ist zu entnehmen:
„Liegen die Tatbestandsmerkmale des § 15b vor, hat somit – nach entsprechender Verhältnismäßigkeitsprüfung und unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse Minderjähriger auch im Sinne der Jugendwohlfahrt – eine Anordnung der Unterkunftnahme zu erfolgen. Dabei sind jedoch – vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK – die konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen, unter anderem ist das Bestehen familiärer Strukturen zu berücksichtigen. Die Anordnung darf daher nur unter Berücksichtigung und möglichster Wahrung der Familieneinheit ergehen, sofern dies nicht dem Zweck der Anordnung oder dem Wohl bzw. der körperlichen Unversehrtheit eines Familienmitgliedes – hier ist etwa an Fälle eines Betretungsverbotes nach § 38a Sicherheitspolizeigesetz (SPG) zu denken – zuwiderlaufen würde. Verfügt der Asylwerber zu diesem Zeitpunkt bereits über eine private Unterkunft und befindet sich somit in geordneten Wohnverhältnissen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass eine weitere Gefährdung der öffentlichen Interessen bzw. der öffentlichen Ordnung sowie eine weitere Verfahrensverzögerung nicht (mehr) anzunehmen ist. Im Sinne der Verhältnismäßigkeit kann in derart gelagerten Fällen von einer Anordnung der Unterkunftnahme Abstand genommen oder die Anordnung in Bezug auf diese Unterkunft erlassen werden. Wesentlich ist, dass die Anordnung der Unterkunftnahme – anders als die Wohnsitzbeschränkung nach § 15c – nicht auf alle Asylwerber Anwendung finden soll, sondern nur nach einer individuellen Prüfung nur bei Vorliegen bestimmter Umstände angeordnet werden kann.“ (IA 2285/A XXV. GP , 78)
Weiters heißt es zu § 15b Abs. 3 AsylG:
„In Einklang mit der Aufnahme-RL können – neben Gründen des öffentlichen Interesses oder der öffentlichen Ordnung (Abs. 2) – auch Gründe der Verfahrensökonomie die Erlassung einer Anordnung nach Abs. 1 rechtfertigen. In diesem Fall erfolgt die Anordnung der Unterkunftnahme – angelehnt an den Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 Aufnahme-RL – zum Zweck einer zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz. Gemäß Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.06.2013 S. 60 (im Folgenden: „Verfahrens-RL“), sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das Verfahren – unbeschadet einer angemessenen und vollständigen Prüfung – so rasch als möglich zum Abschluss gebracht wird. In diesem Sinne muss es der Behörde gerade im Falle verfahrensverzögernder Handlungen seitens des Asylwerbers möglich sein, durch entsprechende Maßnahmen eine wirksamere Überwachung und somit zügige Bearbeitung des Antrages gewährleisten zu können. Da vor allem dann, wenn der Asylwerber seinen Mitwirkungsverpflichtungen nach § 15 AsylG 2005 nicht nachkommt, vielfach eine Verfahrensverzögerung eintritt und das Verfahren daher aus Gründen, die dem Asylwerber zuzurechnen sind, nicht mit der von der Verfahrens-RL geforderten Raschheit abgeschlossen werden kann, soll in diesen Fällen eine Anordnung der Unterkunftnahme möglich sein. Eine Anordnung der Unterkunftnahme soll somit insbesondere dann erlassen werden können, wenn sie aus Gründen der Verfahrensökonomie und zur Beschleunigung des Verfahrens zweckmäßig bzw. erforderlich erscheint. Dadurch soll erreicht werden, dass der Asylwerber dem Bundesamt bzw. dem BVwG nunmehr regelmäßig für die jeweiligen Verfahrensschritte zur Verfügung steht und keine weiteren Verzögerungen eintreten können.
Da es sich bei Abs. 3 ebenfalls um eine demonstrative Aufzählung handelt, können auch hier weitere Umstände in Betracht kommen, die eine Anordnung der Unterkunftnahme zwecks zügiger Bearbeitung und wirksamer Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz rechtfertigen oder erfordern können.“ (IA 2285/A XXV. GP , 80)
3.8.3. Das BFA brachte der BF1 am 19.11.2019 die Anordnung der Unterkunftnahme mittels Verfahrensanordnung sowie die Folgen einer allfälligen Missachtung mittels eines Informationsblattes nachweislich zur Kenntnis. Im verfahrensabschließenden Bescheid sprach das BFA über die Verfahrensanordnung ab und stellte wie folgt fest: „Sie erfüllten zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung die Voraussetzungen des § 15b Abs. 1, weshalb eine Anordnung der Unterkunftnahme in der XXXX verfügt wurde.“ Die Behörde führte dazu beweiswürdigend aus, dass die Beschwerdeführerinnen zum Zeitpunkt der Stellung der Asylanträge über keinerlei Wohnsitz im Bundesgebiet verfügt hätten. Aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrages auf internationalen Schutz sei daher eine Anordnung zur Unterkunftnahme gemäß § 15b Abs. 1 AsylG angeordnet worden. Die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde erschöpfte sich in der Wiedergabe der Bestimmung des § 15b AsylG und der formelhaften Begründung, dass aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Asylantrages die Unterkunftnahme in einem bestimmten Quartier anzuordnen war.
In der Beschwerde fanden sich hierzu keine Ausführungen.
Für das erkennende Gericht ergaben sich bei der amtswegig durchgeführten Überprüfung Indizien, die auf eine Rechtswidrigkeit der Anordnung der Unterkunftnahme schließen ließen.
Zunächst war der Behörde anzulasten, dass aus dem Verwaltungsakt nicht hervorging, dass sie vor Erlassung der Verfahrensanordnung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung – wie in den Gesetzeserläuterungen ausgeführt – durchgeführt hat. Die Unterkunftnahme wurde von der belangten Behörde noch am selben Tag der Antragstellung durch die Beschwerdeführerinnen angeordnet. Es finden sich weder im Verwaltungsakt noch in der betreffenden Verfahrensanordnung selbst Hinweise, weshalb die belangte Behörde diese Anordnung verfügt hat.
Die Behörde stützte sich im verfahrensabschließenden Bescheid erkennbar auf die Bestimmung des § 15b Abs. 3 AsylG. Inwiefern der von der Behörde in der Beweiswürdigung angemerkte und offensichtlich zur Begründung herangezogene Umstand, dass die Beschwerdeführerinnen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung keinen Wohnsitz in Österreich hatten, zu einer ihnen anzulastenden Verfahrensverzögerung geführt habe und daher eine Anordnung der Unterkunftnahme aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung erforderlich sei, wurde nicht näher dargelegt.
Welche konkrete Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG den Beschwerdeführerinnen anzulasten sei, wurde von der Behörde nicht explizit aufgezeigt. Zwar wird nicht übersehen, dass nach § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG Asylwerber verpflichtet sind, ihren Aufenthaltsort und ihre Anschrift dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich bekannt zu geben, wobei ein Nachkommen der Meldepflicht nach dem Meldegesetz hierfür genügt. Jedoch trifft diese Mitwirkungspflicht nur Fremde, deren Antrag auf internationalen Schutz als bereits eingebracht gilt (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 15 AsylG, K1). Dass die BF1 nicht sofort nachdem sie ins Bundesgebiet eingereist ist, ihren Wohnsitz angemeldet bzw. dem Bundesamt ihren Aufenthaltsort bekanntgegeben hat, kann ihr nicht als Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung nach § 15 AsylG angelastet werden, da sie erst am 19.11.2019 die gegenständlichen Anträge eingebracht hat.
Es war jedoch auch festzustellen, dass die Beschwerdeführerinnen erst seit 06.02.2020 im Bundesgebiet meldepolizeilich registriert sind, was zunächst eine Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG naheliegend erscheinen lässt. Einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung war zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerinnen von 20.11.2019 bis 05.02.2020 in Betreuungseinrichtungen des Bundes XXXX grundversorgt wurden. Dem Verwaltungsakt waren keine Hinweise zu entnehmen, dass sie jemals als unstet gemeldet worden seien. Es war auch zu erkennen, dass die Zustellungen von behördlichen Schriftstücken der BF1 stets durch Sachbearbeiter der XXXX erfolgten (AS 61ff; AS 121ff; AS 253; OZ 1). Es besteht für das Bundesverwaltungsgericht Grund zur Annahme, dass die Grundversorgungsstelle eine Anmeldung im Zentralen Melderegister unterließ. Sofern sich der Antragsteller in Grundversorgung befindet, wird er gleichwohl darauf vertrauen dürfen, dass entsprechende Meldungen durch die zuständige Grundversorgungsstelle erfolgen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 15 AsylG, K7). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist demnach den Beschwerdeführerinnen keine mangelnde Mitwirkung am Verfahren im Sinne des § 15 Abs. 1 Z 4 AsylG anzulasten. Es kamen auch keine Hinweise auf sonstige Verletzungen der Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG hervor.
Aus dem Verwaltungsakt ging hervor, dass auch keine weiteren Erhebungen zur Identität der Beschwerdeführerinnen notwendig waren. Bereits im Zuge der Erstbefragung wurden ihre aserbaidschanischen Personalausweise sichergestellt und stellte das BFA anhand dieser bzw. anhand der Visumausstellung ihre Identität in den bekämpften Bescheiden fest.
Zwar befanden sich die Beschwerdeführerinnen zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in keinen geordneten Wohnverhältnissen, jedoch zeigte das BFA nicht auf, dass dadurch auch eine Gefährdung der öffentlichen Interessen bzw. der öffentlichen Ordnung anzunehmen sei. Schließlich ist dabei auch zu beachten, dass nach den erläuternden Bemerkungen die Bestimmung des § 15b AsylG nicht auf alle Asylwerber Anwendung finden soll, sondern nur nach einer individuellen Prüfung nur bei Vorliegen bestimmter Umstände. Ausgehend davon, dass es grundsätzlich der Regelfall ist, dass Fremde bei der erstmaligen Asylantragstellung noch über keine geordneten Wohnverhältnisse im Bundesgebiet verfügen, kann nach Ansicht des erkennenden Gerichtes die Anordnung nach § 15b AsylG in einem solchen Fall gerade nicht der Intention des Gesetzgebers entsprechen. Hinsichtlich allfälliger Gründe des öffentlichen Interesses bzw. der öffentlichen Ordnung sei auch angemerkt, dass Hinweise auf das Vorliegen einer der Tatbestände nach § 15b Abs. 2 AsylG ebenso wenig hervorkamen.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist den Beschwerdeführerinnenn keine mangelnde Mitwirkung am Verfahren im Sinne des § 15b Abs. 3 AsylG anzulasten und fanden sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte für ein Vorgehen nach § 15b AsylG, weshalb sich die Anordnung der Unterkunftnahme als rechtswidrig erwies.
Den Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte VII. der angefochtenen Bescheide war daher stattzugeben.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen im gegenständlichen Erkenntnis zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht klar hervor, dass das Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Auslegung des Begriffs des internationalen Schutzes, des subsidiären Schutzes sowie des durch Art. 8 EMRK geschützten Rechtes auf ein Privat- und Familienleben abgeht.
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