VwGH Ra 2020/01/0176

VwGHRa 2020/01/01766.7.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Gnilsen, über die Revision des B A, in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2020, W104 2190738‑1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §28
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010176.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Februar 2020, das dem Revisionswerber am 2. April 2020 zugestellt wurde, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Sache den Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

2 Das BVwG verneinte eine Verfolgungsgefahr aufgrund des vom Revisionswerber vorgebrachten Fluchtgrundes (Abfall vom islamischen Glauben); es stellte fest, dass dem Revisionswerber die Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni aufgrund der prekären Sicherheitslage nicht möglich sei, bejahte aber die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif und Herat.

3 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

Zur Verweigerung des Status des Asylberechtigten:

6 Soweit sich die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung der Sache nach gegen die Beweiswürdigung wendet, ist ihr entgegen zu halten, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig und zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwaVwGH 20.5.2020, Ra 2020/01/0131, mwN). Eine derart krasse Fehlbeurteilung des BVwG wird in der Revision nicht aufgezeigt.

7 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang Ermittlungsmängel (durch Unterlassen näherer Befragungen des Revisionswerbers) geltend macht, zeigt sie damit die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht hinreichend konkret auf (vgl. zum Erfordernis der Relevanzdarlegung im Zusammenhang zur behaupteten Verfolgung wegen Apostasie etwa VwGH 14.1.2020, Ra 2019/01/0495, mwN; vgl. weiters etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2020/20/0058, mwN).

Zur Nichtzuerkennung des Status des susidiär Schutzberechtigten

8 Die Revision rügt, das BVwG habe sich nicht mit den aktuellen Entwicklungen aufgrund der Covid‑19‑Pandemie in Afghanistan auseinandergesetzt; es habe näher zitierte Berichte (insbesondere: „Friederike Stahlmann: Risiken der Verbreitung von SARS‑CoV‑2 und schweren Erkrankung an Covid‑19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“ vom 27. März 2020) nicht berücksichtigt.

9 Das BVwG hat seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach‑ und Rechtslage auszurichten. Dieser Zeitpunkt ist bei der Entscheidung durch einen Einzelrichter der Zeitpunkt der Zustellung (oder Verkündung) der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes (vgl. etwa VwGH 23.5.2017, Ra 2016/05/0143, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Wenn diese Vorgabe ‑ wie hier ‑ verletzt wird, stellt dies einen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa VwGH 17.2.2020, Ra 2020/01/0048, mwN).

11 Werden jedoch Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. zu den Auswirkungen der Covid‑19‑Pandemie etwa VwGH 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, mwN).

Dieser Anforderung wird die vorliegende Revision nicht gerecht:

12 Beim Revisionswerber handelt es sich unstrittig um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann. Dass der Revisionswerber in Bezug auf Covid-19 einer „Risikogruppe“ angehören würde, wird in der Revision nicht vorgebracht.

13 Der Verwaltungsgerichtshof verweist auf die ständige Judikatur des EGMR, wonach es ‑ abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde ‑ grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde.

14 Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend(vgl. zum Ganzen etwa VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0068, mit Hinweis auf VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, sowie zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

15 Der Revisionswerber legt nicht dar, dass ‑ im Hinblick auf die bloße Möglichkeit einer Covid‑19‑Erkrankung ‑ solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die die reale Gefahr einer Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellten (vgl. etwa VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, Rn. 19).

16 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, 2020/01/0140, mwN).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

18 Davon ausgehend zeigt die Revision mit ihrem Vorbringen zu der durch die Covid-19-Pandemie bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage ‑ die Revision verweist insbesondere auf steigende Lebensmittelpreise, die sukzessive Schließung von Teehäusern und die fehlende Möglichkeit zur Erlangung von Unterstützungshilfen ‑ nicht auf, dass dem jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre (vgl. abermals die zitierten Beschlüsse VwGH Ra 2020/20/0188, Rn. 19, zu Mazar-e Sharif, und Ra 2020/01/0182, Rn. 11).

19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. Juli 2020

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