VfGH E332/2015

VfGHE332/201521.9.2015

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung nach Armenien und Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise mangels Auseinandersetzung mit der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8
AsylG 2005 §3, §8, §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
BFA-VG §9
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8
AsylG 2005 §3, §8, §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
BFA-VG §9

 

Spruch:

I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch Spruchteil A) des angefochtenen Erkenntnisses, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I Nr 68/2013, die Feststellung, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß §46 leg.cit. zulässig sei, sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 leg.cit. abgewiesen worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 1.740,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin, eine armenische Staatsangehörige, reiste am 6. Mai 2014 in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Oktober 2014 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012, abgewiesen und der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß §8 Abs1 leg.cit. nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§55 und 57 leg.cit. wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA‑VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung nach §52 Abs2 Z2 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß §46 leg.cit. zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 leg.cit. wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung vorgesehen.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 29. Dezember 2014 gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1, 10 Abs1 Z3, 55 und 57 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG bzw. §§52 Abs2 Z2 und Abs9, 46 und 55 FPG als unbegründet ab. Zu der im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Schwangerschaft der Beschwerdeführerin führt das Bundesverwaltungsgericht unter Punkt II.3.3. (Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat) Folgendes aus:

"Im vorliegenden Fall konnten somit seitens der bP keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Armenien belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Bundesverwaltungsgerichts. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf das Vorliegen (schwerer) Erkrankungen ersichtlich. Ebenso stellt die Schwangerschaft kein Überstellungshindernis dar."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses Abstand genommen und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §10 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 68/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

"Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. […]

2. […]

3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4. […]

5. […]

und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 vorliegt.

(2) […]"

2. Die §§46, 46a, 50, 52 und 55 FPG, BGBl I 100/2005 idF BGBl I 87/2012 bzw. 68/2013, lauten (auszugsweise):

"Abschiebung

§46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

(2) Verfügt der Fremde über kein Reisedokument und kann die Abschiebung nicht ohne ein solches durchgeführt werden, hat das Bundesamt bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen auszustellen. §97 Abs1 gilt. (2a) Das Bundesamt ist berechtigt, Personen, für die das Bundesamt ein Ersatzreisedokument bei der zuständigen ausländischen Behörde für die Abschiebung einzuholen hat, vorzuladen. §19 Abs2 bis 4 AVG gilt.

(3) Das Bundesamt hat alle zur Durchführung der Abschiebung erforderlichen Veranlassungen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (insbesondere Abs2 und 4) ehestmöglich zu treffen, insbesondere hat es sich vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Fremden zu vergewissern, dass dieser einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann. Amtshandlungen betreffend Fremde, deren faktischer Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, sind prioritär zu führen.

(4) – (6) […]

Duldung

§46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist geduldet, solange deren Abschiebung gemäß

1. §§50 und 51 oder

2. §§8 Abs3a und 9 Abs2 AsylG 2005 unzulässig ist.

(1a) Darüber hinaus ist der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet geduldet, wenn das Bundesamt von Amts wegen feststellt, dass die Abschiebung des Betroffenen aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist, es sei denn, dass nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §5 AsylG 2005 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt. Diese Duldung kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden, sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§63 Abs2 AVG) mitzuteilen. §56 gilt sinngemäß.

(1b) […]

(1c) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist ebenfalls geduldet, wenn das Bundesamt festgestellt hat, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Hinblick auf §9 Abs1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist.

(2) – (3) […]

Verbot der Abschiebung

§50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) – (3) […]

Rückkehrentscheidung

§52. (1) […]

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. […]

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. […]

4. […]

und kein Fall der §§8 Abs3a oder 9 Abs2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) – (8) […]

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß §46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

(10) […]

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß §9 Abs3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß §9 Abs1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

Frist für die freiwillige Ausreise

§55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß §18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. §37 AVG gilt.

(4) – (5) […]"

3. §9 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß §61 FPG, eine Ausweisung gemäß §66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß §52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§45 und 48 oder §§51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) – (6) […]"

III. Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG, gegen die Feststellung, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß §46 leg.cit. zulässig sei sowie gegen die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 leg.cit. richtet, ist sie auch begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001)oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:

3.1. Nach §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 ist mit der Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eine Rückkehrentscheidung oder eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Nach §52 Abs2 Z2 FPG ist in einem Fall wie dem hier vorliegenden eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Gemäß §9 Abs1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Über die Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist nach §9 Abs3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf abzusprechen, ob diese gemäß §9 Abs1 leg.cit. auf Dauer unzulässig ist, wovon dann auszugehen ist, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- oder Familienlebens auf Umständen beruht, die von ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Liegen hingegen Umstände vor, welche die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung wegen einer drohenden Verletzung des Privat- oder Familienlebens nach Art8 EMRK nur vorübergehend befürchten lassen, ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorübergehend für unzulässig zu erklären; der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist diesfalls gemäß §46a Abs1c FPG geduldet.

3.2. Art8 Abs1 EMRK gewährleistet die Achtung des Privatlebens, wobei Schutzgut u.a. die psychische und physische Integrität des Einzelnen und damit auch die körperliche Unversehrtheit ist (vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention5, 2012, §22, Rz 7). Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, welche nicht die von Art3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen, sind folglich an Art8 EMRK zu messen (vgl. EGMR 13.5.2008, Fall Juhnke, Appl. 52.515/99, NVwZ2009, 1547, Z69 ff.).

3.3. Bei der nach Art8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung kommt sohin etwa auch dem Umstand Bedeutung zu, dass die körperliche Integrität einer Frau im Stadium der fortgeschrittenen Schwangerschaft durch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt damit verbundener Abschiebung gefährdet bzw. verletzt sein könnte.

3.4. Vor diesem Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht sich im vorliegenden Fall mit der – im Entscheidungszeitpunkt fortgeschrittenen – Schwangerschaft der Beschwerdeführerin auseinandersetzen müssen.

3.5. Mit dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch Spruchteil A) des angefochtenen Erkenntnisses, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG, die Feststellung, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß §46 leg.cit. zulässig sei, sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 leg.cit. abgewiesen worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das angefochtene Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere (diesen Spruchteil betreffende) Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw. §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 250,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

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