VwGH Ra 2020/14/0587

VwGHRa 2020/14/058726.1.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache der A B, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6, Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2020, W196 2171982‑1/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140587.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Ukraine und Angehörige der Volksgruppe der Jesiden, stellte gemeinsam mit ihrem Ehemann am 23. Oktober 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Begründend brachte sie vor, eines Morgens seien Soldaten mit Maschinengewehren gekommen und hätten sie und ihren Ehemann aufgefordert zu verschwinden, andernfalls würden sie umgebracht werden. Sie seien daher nach Österreich gereist, wo seit 2006 ihre Tochter und mittlerweile auch ihre Enkel lebten.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. September 2017 ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG habe keine aktuellen Länderberichte zur Lage der Jesiden und zur Situation vor dem Hintergrund der COVID‑19‑Pandemie herangezogen. Die Feststellungen zur Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung in der Ukraine seien nicht ausreichend. Das BVwG habe außerdem zu Unrecht das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK verneint.

8 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Feststellungsmängel im Zusammenhang mit der Situation der Jesiden, der COVID‑19‑Pandemie und der Verfügbarkeit medizinischer Versorgung ‑ als Zulassungsgründe geltend gemacht, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0258).

9 Das BVwG ist jeweils mit näherer Begründung davon ausgegangen, dass die Revisionswerberin keine individuelle Verfolgung glaubhaft gemacht habe und ihr eine solche auch nicht schon wegen der bloßen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Jesiden drohe. Es hat überdies festgehalten, dass die medizinische Versorgung in der Ukraine teilweise nicht das österreichische Niveau erreiche und mit Kosten verbunden sein könne, jedoch ‑ vor dem Hintergrund des festgestellten gesundheitlichen Zustandes der Revisionswerberin und der eingeholten Berichte zur Behandelbarkeit der Erkrankungen und Verfügbarkeit der Medikamente ‑ allfällige Schwierigkeiten bei der Gewährleistung einer entsprechenden medizinischen Behandlung im Herkunftsstaat im vorliegenden Fall die Schwelle des Art. 3 EMRK nicht erreichten.

10 Indem die Zulässigkeitsbegründung lediglich vorbringt, bei Heranziehung aktueller und einschlägiger Länderberichte wäre das Bundesverwaltungsgericht zu einer anderen, für die Revisionswerberin günstigen Entscheidung gelangt, wird sie den Anforderungen an die Relevanzdarstellung des behaupteten Verfahrensmangels nicht gerecht.

11 Soweit sie in diesem Zusammenhang weiters vorbringt, erforderliche fachärztliche Kontrollen und eine benötigte medikamentöse Behandlung würden der Revisionswerberin in der Ukraine nicht (mehr) zur Verfügung stehen und sie würde unter die „Risikogruppe“ im Hinblick auf die COVID‑19‑Pandemie fallen, vermag sie auch nicht fallbezogen aufzuzeigen, dass exzeptionelle Umstände vorlägen, welche zu einer für den Verfahrensausgang relevanten drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK führen würden:

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat allgemein kein Fremder ein Recht, in Österreich zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung in seinem Herkunftsstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, soweit der Betroffene tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung hat. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Herkunftsstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 21.1.2020, Ra 2018/14/0440, unter Verweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10).

13 Ob außerhalb des Bereiches des insbesondere zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden im Sinne des Art. 8 EMRK ein Familienleben vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen ab, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung sind. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/20/0035, mwN).

14 Das BVwG berücksichtigte in Anwendung dieser Judikatur die in Österreich lebenden Verwandten (Tochter und Enkel) der Revisionswerberin, regelmäßige Kontakte zu ihnen und eine finanzielle Unterstützung durch sie. Es kam jedoch angesichts des fehlenden gemeinsamen Haushaltes und des Umstandes, dass die Revisionswerberin vor ihrer Einreise nach Österreich bereits acht Jahre von ihrer erwachsenen Tochter getrennt war und ein allfälliges Familienleben daher erst im Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltsstatus (wieder) begründet worden sei, zum Ergebnis, dass keine besondere Beziehungsintensität und damit kein ungerechtfertigter Eingriff in ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliege.

15 Dass diese Beurteilung des BVwG im Einzelfall unvertretbar wäre, vermag die Revision mit dem Hinweis auf eine behauptetermaßen aktenkundige herausragende emotionale Ausprägung der Beziehung zur Tochter und einer erkrankungsbedingten Angewiesenheit auf Unterstützung nicht dazulegen.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 26. Jänner 2021

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