BVwG W247 2164396-1

BVwGW247 2164396-11.2.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W247.2164396.1.00

 

Spruch:

1.) W247 2164400-1/9E

 

2.) W247 2164399-1/9E

 

3.) W247 2164396-1/7E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.12.2017, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF., als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.12.2017, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF., als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

3.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert-Peter HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter, diese vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.12.2017, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF., § 9 BFA-VG idgF., und §§ 52, 55 FPG idgF., als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

Die beschwerdeführenden Parteien sind afghanische Staatsangehörige und der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind miteinander verheiratet und Eltern der drittbeschwerdeführenden Partei (BF3). Die BF2 ist gesetzliche Vertreterin der minderjährigen BF3.

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF2) reisten spätestens am 15.01.2016 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen der BF1 und die BF2 am 15.01.2016 vor der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt wurden. Nach Zulassung ihrer Verfahren wurden die Beschwerdeführer 1 und 2 am 30.05.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX, jeweils im Beisein eines den Beschwerdeführern einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache DARI niederschriftlich einvernommen. Die BF3 wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter am 13.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2.1. Der BF1 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass er in XXXX geboren sei, er zuletzt jedoch im Iran gelebt habe, von wo aus er auch nach Europa gereist sei. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab er an, dass er illegal im Iran aufhältig gewesen wäre und, wenn er erwischt worden wäre, das Land hätte verlassen müssen. In Afghanistan sei er Bauer gewesen und es würden in seiner Gegend Hazara bzw. Schiiten verfolgt und getötet. Im Iran habe er niemanden und besitze er keine Dokumente. Er würde nach Afghanistan abgeschoben und es herrsche dort Krieg.

 

2.2. Die BF2 brachte im Rahmen ihrer Erstbefragung vor, dass sie in XXXX geboren wäre, und zuletzt im Iran gelebt habe. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, dass sie zu Hause wegen ihrer Rasse und Religion durch die Taliban und den IS verfolgt würden. Die Frauen würden vergewaltigt und umgebracht. Sie hätten ein ruhiges Leben führen wollen und hätten deswegen noch keine Kinder "gemacht", weil sie vorher in Sicherheit leben hätten wollen.

 

3.1. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 30.05.2017 machte der BF1 geltend, dass er in XXXX in Afghanistan geboren wäre, im Winter XXXX geheiratet habe und mit seiner Frau im Sommer 2014 in den Iran gezogen wäre. Er sei dort als Schneiderlehrling angestellt gewesen. Sie wären dann nach 1,5 Jahren nach Europa gereist. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab der BF1 zusammenfassend an, dass er in der Landwirtschaft gearbeitet habe und eines Tages einen Anruf von jemandem erhalten habe, der alles über ihn gewusst habe, dass er XXXX heiße und einen Kuhstall habe. Danach habe der Anrufer aufgelegt und am zweiten Tag wieder angerufen. Dieser sagte, er heiße XXXX und sei von den islamischen Emiraten. Dieser Mann habe vom BF1 gewollt, dass er ihn unterstütze, konkret habe er seinen Kuhstall haben wollen. Er habe darin Waffen und sonstige Dinge lagern wollen und dem BF1 gesagt, dass dieses Gespräch unter ihnen bleiben müsse. Weiters habe dieser Mann ihm mitgeteilt, dass er Freiheitskämpfer wäre und das Land von den Kuffar befreien wolle. Der BF1 selbst habe am Telefon gesagt, dass er so etwas nicht mache und aufgelegt und in der Folge auch seine SIM-Karte weggeworfen. 2 Tage später sei seine Frau mit einem Brief zu ihm gekommen, den sein Großvater vor dem Haus entdeckt habe. Der BF1 sei mit dem Brief und seiner Frau zu dem Haus eines Freundes seines Vaters gegangen, der ihm gesagt habe, dass der Brief in Paschtu geschrieben wäre. Im Brief wäre gestanden, der BF1 sei ein Kuffar und habe nicht mitgearbeitet und ihr "Blut zu vergießen" wäre erlaubt. Der Freund habe gesagt, dass jeder, der so einen Brief erhalte, getötet werde und der BF1 solle fliehen. Sie hätten dann dort Mittag gegessen und es habe ein Nachbar auf der alten SIM des BF1 angerufen, der ihm mitgeteilt habe, dass vier vermummte Männer aufgetaucht seien, seinen Großvater aus dem Haus gezerrt und mit zwei Kugel getötet hätten. Danach hätten sie das Haus angezündet. Der Nachbar habe ihm gesagt, dass sie keinesfalls kommen sollten, da sie andernfalls auch getötet würden. Sie seien dann wieder zurück zum Vater seines Freundes gegangen, wo sie die Nacht verbracht hätten. Dann seien sie nach XXXX, von dort weiter nach XXXX und schließlich in den Iran gereist. Den Iran hätten sie dann verlassen, weil sie keine Dokumente gehabt hätten. Sie hätten den BF1 entweder nach Afghanistan abgeschoben oder nach Syrien in den Krieg geschickt.

 

3.2. Die BF2 gab im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem BFA am 30.05.2017 an, dass sie in XXXX geboren sei, nie die Schule besucht habe und im Jahr 2014 mit ihrem Mann in den Iran gezogen wäre. Hinsichtlich der Fluchtgründe aus dem Iran gab die BF2 an, dass sie wegen der Taliban Afghanistan verlassen hätten. Ein Mann habe ihren Ehegatten angerufen und ihm gesagt, dass er alles über ihn wüsste. Dieser Mann habe ihm gesagt, dass er seinen Kuhstall benötigen würde um einige Sachen zu machen. Ihr Mann habe Angst gehabt, da der Anrufer gesagt habe, dass er niemanden von dem Gespräch erzählen dürfe, da sonst er und die Familie getötet würden. Ihr Mann habe aus Angst die SIM-Karte weggeworfen. Einen Tag später habe "er einen Drohbrief im Hof geworfen". Die BF2 sei zu Hause gewesen und der BF1 arbeiten. Der Großvater habe den Drohbrief entdeckt und ihn der BF2 gebracht. Die BF2 habe den Brief nicht lesen können, da sie ungebildet sei. Da die Felder in der Nähe gewesen wären, habe die BF2 den Brief dem BF1 gebracht. Dieser haben ihn auch nicht lesen können und beide seien in ein anderes Dorf zu einem Freund gegangen.

Die Freunde von ihm hätten ihn lesen können. . In dem Brief wäre

gestanden, dass der BF1 nicht auf sie gehört habe und den Kuhstall ihnen nicht gegeben habe. Der BF1 sei in dem Brief bedroht worden. Der Mann, der den Brief geschrieben habe, würde sie töten. Deshalb hätten sich die Beschwerdeführer nicht nach Hause getraut. Der Freund, der ihnen den Brief übersetzt habe, habe ihnen geraten, zu flüchten. Kurz nachdem sie von diesem weggegangen wären, hätten sie einen Anruf von den Nachbarn bekommen, der erzählt habe, er glaube, dass die Taliban das Haus angezündet und den Großvater ermordet hätten. Sie seien daher sofort zu jenem Freund zurückgekehrt und hätten große Angst gehabt. Dieser Freund habe ihnen Geld gegeben und sie wären dann in den Iran geflüchtet. Im Iran wäre es schwierig für sie gewesen. Sie hätten keine Aufenthaltsberechtigung gehabt. Hätte die Polizei sie erwischt, hätte man sie nach Afghanistan abgeschoben.

 

Die minderjährigen BF3 wurde aufgrund ihres kindlichen Alters nicht niederschriftlich einvernommen.

 

Es wurden seitens der Beschwerdeführer keine gesundheitlichen Beschwerden geltend gemacht.

 

Die Beschwerdeführer brachten erstinstanzlich folgende Dokumente/Unterlage in Vorlage:

 

* Heiratsurkunde vom XXXX des Standesamtes XXXX

 

* diverse private Empfehlungsschreiben

 

* Kursbesuchsbestätigung der BF2 betreffend einen Deutschkurs A1

 

* Empfehlungsschreiben des Netzwerkes "XXXX"

 

* ein Foto der BF2 mit einer anderen Person

 

* ein Zeitungsartikel der Zeitung "XXXX XXXX" der Ausgabe 14/2017

 

* Bestätigungsschreiben des Vereins XXXX XXXX betreffend den BF1

 

* Konvolut an Fotos, die den BF1 mit anderen Personen zeigen

 

* ÖSD Zertifikat A1 betreffend den BF1

 

* Vereinbarung betreffend einer gemeinnützigen Beschäftigung des BF1 der Stadtgemeinde XXXX sowie Bestätigungsschreiben

 

* Bestätigung des Besuchs eines Deutschkurses A1 des XXXX XXXX betreffend den BF1

 

* Empfehlungsschreiben des XXXX XXXX betreffend den BF1

 

4.1. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 23.06.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

 

4.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte aus, dass die von den Beschwerdeführern vorgebrachte Furcht vor Verfolgung nicht festzustellen sei. Die von ihnen vorgebrachten Gründe für das Verlassen Afghanistans seien nicht glaubhaft. Es liege eine allgemeine Gefährdungslage für die Beschwerdeführer in der Heimatprovinz vor. Im Fall der Beschwerdeführer bestünde zudem eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Sie könnten ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten.

 

4.3. Beweiswürdigend führte das BFA in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführer keine individuelle Bedrohungs- bzw. Gefährdungslage glaubhaft vorgebracht hätten, welcher sie in Afghanistan ausgesetzt gewesen wären. Sie hätten in ihrer freien Erzählphase lediglich vage davon gesprochen, Drohungen ausgesetzt gewesen zu sein und einen Drohbrief erhalten zu haben. Sie hätten jedoch, selbst als sie aufgefordert gewesen wären, diese Umstände detailliert zu schildern, nur vage Angaben getätigt und sie hätten keinerlei Details vorbringen können. So hätten sie die gängigen Merkmale eines solchen Drohbriefes nicht angeben können, weshalb davon ausgegangen werde, dass sie nie einen solchen Brief gesehen hätten. Auch hätten die Beschwerdeführer auf die weitere Frage nach dem Verbleib des Briefes nur ausweichende Angaben getätigt. Es sei auch nicht logisch, dass sie einen Drohbrief erhalten hätten und noch am selben Tag ein Angriff auf das Haus stattfinden würde. Üblicherweise würde in einem Drohbrief eine Frist gesetzt. Es sei unlogisch, dass in einem Brief stünde, dass jemand getötet werden sollte und dann nicht vor der Durchführung der Tötung gewarnt würde. Der komplett geschilderte Ablauf, der Erhalt des Drohbriefes sowie der Angriff auf das Haus und die Tötung des Großvaters seien unglaubhaft. Zudem gehe die belangte Behörde auch nicht von einer aktuellen Gefährdungslage aus, da der Vorfall mittlerweile über drei Jahre zurückliege. Ein weiteres Indiz für die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens sei es, dass die Beschwerdeführer in der Erstbefragung jeweils keine Hinweise auf das in der späteren Einvernahme erstattet Vorbringen gegeben hätten. Dass die BF2 einen westlichen Lebensstil angenommen habe, sei insgesamt nicht glaubhaft.

 

4.4. Dass sie den Lebensunterhalt in Kabul bestreiten könnten, habe aufgrund der entsprechenden Länderfeststellungen festgestellt werden können. Die Beschwerdeführer könnten auf ein soziales Netzwerk in ihrem Herkunftsstaat zurückgreifen. Der BF1 sei arbeitsfähig und könnte in Kabul Hilfsarbeiten jeder Art verrichten, zumal er auch im Iran für seinen Unterhalt sowie jenen seiner Frau aufkommen habe können.

 

4.5. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätten. Es sei nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer realen Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte gemäß Art. 3 EMRK ausgeliefert seien. Zudem sei ihnen eine Rückkehr nach Kabul jedenfalls zumutbar und könnten sie in Kabul Arbeit, Sicherheit und zumutbare Lebensbedingungen vorfinden.

 

4.6. Demnach - so die belangte Behörde - könnten die von den Beschwerdeführern behaupteten Fluchtgründe nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen. Aus deren Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder sonst extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer besonderen Integration der Beschwerdeführer in Österreich hervorgekommen, zumal diese weder ausreichend Deutsch sprechen noch über private Kontakte verfügen würden, die sie an Österreich binden würden. Auch ihr erst kurzer Aufenthalt in Österreich spreche gegen seine solche Bindung, sodass eine Rückkehrentscheidung zulässig wäre.

 

5. Mit Verfahrensanordnung vom 23.06.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

 

6. Mit für alle Beschwerdeführer gleichlautendem fristgerecht eingebrachten Schriftsatz wurde durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter für alle Beschwerdeführer Beschwerde gegen die gegenständlichen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III. und IV. wegen unrichtiger Feststellungen, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens eingebracht. Begründend wurde von Beschwerdeseite ausgeführt, dass der belangten Behörde vorzuwerfen sei, dass diese pauschal davon ausgehe, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer unglaubhaft sei. Auch sei darauf hinzuweisen, dass die BF2 einen westlichen Lebensstil angenommen habe, den sie in Afghanistan nie gehabt habe und welchen sie nun in Österreich auslebe. Aufgrund des mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens habe die belangte Behörde die Bescheide nicht nachvollziehbar begründet und würden sich diese als grob rechtswidrig erweisen. Die Beschwerdeführer würden weiters Deutschkurse besuchen und seien diese bestrebt, die deutsche Sprache zu erlernen. Zudem würden sie in Österreich einer Beschäftigung nachgehen wollen. Die afghanischen Behörden seien nicht in der Lage, Privatpersonen vor Übergriffen durch die Taliban oder private Feinde zu schützen. Die Beschwerdeseite beantragte sinngemäß, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft zusprechen, 2.) allenfalls subsidiären Schutz gewähren, 3.) in eventu ihre Ausweisung für dauerhaft unzulässig erklären, 4.) in eventu die bekämpften Bescheide beheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz zurückverweisen.

 

7. Die Beschwerdevorlagen vom 11.07.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 14.07.2017 ein.

 

8. Mit Schriftsatz vom 24.11.2017 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern folgende Berichte

 

 

 

 

und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu bis einlangend zum 04.12.2017 Stellung zu nehmen.

 

9. Mit Schriftsatz vom 04.12.2017 brachten die Beschwerdeführer durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter in ihrer Stellungnahme im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu entnehmen sei, dass es für Frauen in Afghanistan weiterhin sehr schwierig bis unmöglich sei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Weiters stehe fest, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor sehr schlecht wäre. Öffentlichkeitswirksame Angriffe in Kabul würden zeigen, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen würden. Die afghanischen Sicherheitsbehörden seien nicht mehr in der Lage, Privatpersonen vor Übergriffen durch die Taliban oder private Feinde zu schützen. Die Afghanistan-Spezialistin XXXXstelle richtigerweise fest, dass eine Eingliederung in die Gesellschaft, eine Wohnungssuche sowie eine Jobsuche ohne soziale und familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan kaum möglich sei.

 

10. Am 11.12.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung einer Dolmetscherin für DARI eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

 

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

 

"Beginn der Befragung des BF1:

 

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten haben.

 

BF1: Ich heiße XXXX. Ich wurde im Jahre XXXX, das ist der Zeitraum XXXX, in Afghanistan in der Provinz XXXX im XXXX geboren. Ich habe in meinem Heimatdorf gelebt. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Meine Frau und ich haben in Afghanistan geheiratet. Sieben Monate nach unserer Heirat, gingen wir beide in den Iran. Eineinhalb Jahre blieben wir im Iran. - 6 -

 

RI: Was war Ihre letzte Wohnadresse im Iran?

 

BF1: Im Iran lebten wir in der Provinz Teheran in der Stadt XXXX.

 

RI: Und von dieser Adresse sind Sie direkt nach Österreich gereist?

 

BF1: Ja.

 

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

 

BF1: Ich bin Hazara und spreche Dari/Farsi.

 

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

 

BF1: Ja, ich bin Moslem. Ich bin Schiite.

 

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Afghanistan oder aus dem Iran, welche Ihre Identität beweisen?

 

BF1: Nein, wir haben keine Dokumente. In Afghanistan lebten wir in einem Dorf. Im Iran bekommen Afghanen keine Dokumente.

 

RI: Habe Sie nie solche Dokumente besessen oder sind diese unterwegs verloren gegangen?

 

BF1: Ich hatte ein Schreiben von den Taliban, welches ich verloren habe. Eine Tazkira habe ich nie besessen.

 

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt?

 

BF1: Ich habe keine Schule in Afghanistan besucht. Ich war in Afghanistan ein Landwirt. Im Iran war ich Schneiderlehrling. Im Iran habe ich keine Schule besucht. Unsere Unterkunftsgeberin im Iran hat meiner Ehefrau und mir das Schreiben und Lesen beigebracht.

 

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort im Iran auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

 

BF1: Nein.

 

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Afghanistan und in welcher Stadt?

 

BF1: Ich habe keine Angehörigen. Meine Angehörigen wurden alle getötet. Auch im Iran habe ich keine Verwandtschaft.

 

RI: Wie haben Sie mit Ihrer Familie im Iran den Lebensunterhalt bestritten?

 

BF1: Im Iran hatte ich nur meine Ehefrau. Ich habe keine weiteren Angehörigen. Ich arbeitete als Schneiderlehrling. Meine Frau war immer zu Hause. Meine Ehefrau hat zu Hause gelebt und ich habe bei einem Schneider gearbeitet. Ich habe immer zeitig in der Früh das Haus verlassen und bin dann immer, wenn es dunkel wurde, nach Hause gekommen. Weil ich keine Dokumente hatte, hatte ich Angst von der Polizei angehalten zu werden.

 

RI: Was haben Sie als Schneiderlehrling verdient?

 

BF1: Ich habe zwischen 150.000 und 200.000 Toman verdient. 5.000 Toman sind ein Euro. Ich glaube, das sind 400 Euro.

 

RI: Wann und wo haben Sie Ihre Frau geheiratet?

 

BF1: In meinem Heimatdorf im XXXX im Hause meines Großvaters fand die Hochzeit statt.

 

RI: Wo lebt die Familie Ihrer Frau und haben Sie Kontakt zu dieser?

 

BF1: Ich habe keinen Kontakt zu der Familie meiner Ehefrau. Als wir noch im Heimatdorf waren, lebten sie auch dort.

 

RI: Wo leben Sie jetzt?

 

BF1: Ich habe keinen Kontakt zu meiner Schwiegerfamilie. Seit wir die Region verlassen haben, weiß ich nicht, wo die Familie sich aufhält.

 

RI: Warum haben Sie keinen Kontakt zur Familie Ihrer Frau?

 

BF1: Das ist eine lange Geschichte. Damals, als ich um die Hand meiner Ehefrau angehalten habe, war die Familie meiner Ehefrau, nämlich ihre Eltern, gegen die Heirat. Sie haben meinen Antrag abgelehnt. Ihre Eltern wollten sie mit einem wohlhabenden älteren Mann verheiraten. Meine Ehefrau wollte das nicht. Sie hat mich geliebt und wollte mich heiraten.

 

RI: Waren beide Eltern Ihrer Ehefrau gegen die Heirat?

 

BF1: Ja.

 

RI: War jemand von der Familie Ihrer Frau bei Ihrer Hochzeit anwesend?

 

BF1: Nur ihre Mutter war bei unserer Hochzeit anwesend. Anfänglich war sie gegen unsere Heirat. Später sagte sie zu meiner jetzigen Ehefrau, dass sie an der Hochzeit teilnehmen wird. Sie selbst sei unglücklich mit ihrem Ehemann und wünsche sich das Glück ihrer Tochter.

 

RI: Wenn die Mutter Ihrer Frau bei Ihrer Hochzeit war, aber der Vater Ihrer Ehefrau gegen die Heirat war, hat es da keinen Familienzwist in der Familie Ihrer Frau gegeben?

 

BF1: Was innerhalb der Familie war, weiß ich nicht, aber ihre Eltern haben ihr gesagt, dass sie enterbt wird. Falls sie mich heiraten sollte, wird sie nicht mehr als Tochter gezählt. Später sagte ihre Mutter, sie selbst sei mit ihrem Mann unglücklich und möchte nicht, dass ihre Tochter unglücklich wird.

 

RI: Wann später hat das die Mutter gesagt?

 

BF1: Meine Ehefrau hat davon erzählt. Wann das war, das weiß ich nicht.

 

RI: Heißt das, dass die Mutter Ihrer Ehefrau zum Schluss für die Eheschließung war?

 

BF1: Sie stand zu ihrer Tochter, hat ihr aber auch gesagt, dass ihr Vater sie enterbt hat und sie mit ihr abgebrochen haben. Ich habe vergessen, es vorhin zu erwähnen: Meine Ehefrau hat ihrer Familie gesagt, falls sie mich nicht heiraten darf, wird sie sich das Leben nehmen. Aus diesem Grund war dann ihre Mutter bei der Hochzeit anwesend.

 

RI: Wenn Sie sagen, dass die Mutter Ihrer Ehefrau bei Ihrer Hochzeit anwesend war und zu ihrer Tochter gestanden hat, warum gibt es dann keinen Kontakt mehr zwischen der Mutter der Ehefrau und Ihnen?

 

BF1: Ihre Eltern haben sie enterbt. Da meine Ehefrau, damit gedroht hat, sich das Leben zu nehmen, ist die Mutter bei der Hochzeit anwesend gewesen. Sie tat es auch deswegen, dass die Ehre der Familie nicht beschädigt wird.

 

RI: Inwiefern wäre die Ehre Ihrer Familie beschädigt worden, wenn die Mutter Ihrer Frau nicht anwesend gewesen wäre?

 

BF1: Das weiß ich nicht. Das, was ich Ihnen erzähle, hat mir meine Frau erzählt.

 

RI: Wie viele Leute waren bei Ihrer Hochzeit eingeladen?

 

BF1: Zwischen 20 und 25 Personen.

 

RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

 

BF1: Am 16.01.2016.

 

RI: Sind Sie oder Ihre Frau seit Ihrer Ausreise aus Afghanistan im Jahre 2014 wieder einmal in Afghanistan gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

 

BF1: Nein.

 

RI: Sind Sie oder Ihre Frau seit Ihrer Ausreise aus dem Iran im Jahre 2016 wieder einmal im Iran gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

 

BF1: Nein.

 

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

 

BF1: Ich war in Afghanistan ein Landwirt. Sechseinhalb Monate nach unserer Heirat war ich auf den Feldern. Ich habe gearbeitet. Ich bekam einen Anruf. Es war an einem Samstag. Ich bekam einen Anruf. Der Anrufer fragte mich, ob ich XXXX bin. Ich bejahte es und fragte, wer der Anrufer ist. Daraufhin hat der Anrufer aufgelegt. Er hat zwar Dari gesprochen. Mit einem Akzent.

 

RI: Was für ein Akzent?

 

BF1: Er hat sich schwer getan Dari zu sprechen. Man hat aber erkennen können, dass seine eigentliche Sprache Paschto ist. Am nächsten Tag, nämlich am Sonntag, passierte gar nichts. Es war an einem Montag. Ich war wieder auf den Feldern. Ich bekam einen Anruf. Der Anrufer stellte sich vor als "XXXX". Er sagte, dass er vom islamischen Emirat Afghanistan ist. Er sagte mir, dass sie wissen, dass ich einen sehr großen Kuhstall besitze. Er sagte, dass sie diesen Kuhstall brauchen. Ich war verängstigt und fragte, wozu er diesen Stall bräuchte. Er sagte, er würde es mir sagen und es soll auch ein Geheimnis zwischen uns bleiben. Falls ich es jemanden erzählen würde, vor allem der Polizei oder sonst jemanden, dann würde meine Familie und ich eine harte Strafe bekommen. Ich fragte ihn, wozu sie den Kuhstall brauchen. Er sagte mir, dass sie in diesem Kuhstall Munition lagern wollen. Ich war verängstigt und sagte, dass ich dazu nicht bereit bin und er mich nicht mehr anrufen soll. Am Abend, als ich zu Hause war, erzählte ich meiner Ehefrau von diesem Telefonat und habe auch meine SIM-Karte weggeworfen. Ich habe dann meine alte SIM-Karte genommen. Am nächsten Tag war nichts, erst am Mittwoch war ich wieder auf den Feldern. Es war gegen Mittag, als meine Ehefrau zu mir auf die Felder gekommen ist. Sie brachte mir ein Schreiben und erzählte mir, dass sie das Schreiben von meinem Großvater bekommen hat. Man habe dieses Schreiben in unser Haus hineingeworfen. Mein Großvater hätte es ihr übergeben, damit sie es mir überbringt.

 

RI: War dieses Schreiben geöffnet, als Sie es von Ihrer Ehefrau erhalten haben?

 

BF1: Nein, es war noch im geschlossenen Kuvert. Da meine Ehefrau und ich nicht lesen konnten, habe ich dieses Schreiben zu einem Freund meines Vaters gebracht. Er hat im Dorf XXXX gelebt. Wir sind beide zum Freund meines Vaters gegangen. Der Freund meines Vates hatte Bildung und konnte lesen. Er hat das Kuvert aufgemacht und hat gelesen. Er sagte mir, dass das Schreiben in Paschto verfasst ist. Ich fragte ihn, was in diesem Brief steht. Er sagte mir, dass darin steht, dass wir vollkommene Ungläubige sind und, dass unsere Tötung ihre Pflicht ist. Wir hätten sie nicht unterstützt. Der Freund meines Vaters sagte, dass dieser Brief in Paschto verfasst ist und jeder, der so ein Schreiben erhalten hat, ist plötzlich verschwunden. Jeder, der so ein Schreiben erhalten hat, ist verschwunden. Man hat weder die Leiche gesehen, noch diese Person lebendig. Der Freund meines Vaters sagte: Ihr müsst von hier flüchten. Nachdem er uns diesen Brief vorgelesen hat, waren wir verängstigt. Wir wollten schnell nach Hause kommen, um unsere Sachen zu packen. Wir waren auf dem Weg nach Hause und waren noch in der Nähe des Hauses des Freundes meines Vaters, als ich einen Anruf von meinem Nachbarn erhalten habe. Er fragte mich, wo ich bin. Ich sagte ihm, dass ich in XXXX bin, da ich bei Freunden meines Vaters gewesen bin. Ich fragte ihn, warum er mich anruft. Er erzählte mir, dass zwei Personen mit verhüllten Gesichtern auf Motorräder in unser Haus eingedrungen sind. Sie hätten meinen Großvater aus dem Haus gezerrt und ihn erschossen. Unser Haus hätten sie in Brand gesetzt. Er sagte, wir sollen nicht nach Hause kommen, weil wir dann auch getötet werden. Wir kehrten zurück und gingen zum Freund meines Vaters. Ich war verängstigt und ich weiß auch nicht, was dann passiert ist. Ich hatte große Angst, vor allem auch, weil sie meinen Großvater getötet hatten. Ich erzählte dem Freund meines Vaters von diesem Vorfall. Der Freund meines Vaters sagte, ich solle die Nacht bei ihm verbringen. Er kenne einen Schlepper und würde mit ihm vereinbaren, uns gleich am nächsten Tag in den Iran zu bringen.

 

RI: Zwischenfrage: Der Vorfall mit dem Drohbrief, die Übersetzung beim Freund des Vaters und die Ermordung des Großvaters fand das alles am selben Tag statt?

 

BF1: Ja, es war alles an einem Tag. Es war an einem Mittwoch. Die Nacht haben wir bei einem Freund meines Vaters verbracht. Die ganze Nacht habe ich geweint. Zeitig in der Früh, es war noch dunkel, sind wir nach XXXX gefahren. Danach sind wir mit dem Linienbus nach XXXX gefahren. Von dort gingen wir dann in den Iran. Die Reise von XXXX bis in den Iran dauerte sieben Tage.

 

RI: Hatten Sie an diesem Tag genug Geld dabei? Sie sind ja ziemlich unverhofft in den Iran aufgebrochen?

 

BF1: Ich hatte nicht ausreichend Geld bei mir. Der Freund meines Vaters hat alles mit dem Schlepper vereinbart und sagte mir, dass er mit dem Schlepper abrechnen wird. Er gab mir etwas Geld für die Reise mit.

 

RI: Das Haus, das niedergebrannt wurde von den zwei Maskierten, war das Ihr Haus oder das Haus Ihres Großvaters?

 

BF1: Das Haus hat uns gehört. Das Haus hat meinem Großvater gehört. Meine Eltern haben auch in diesem Haus gelebt. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich weiterhin mit meinem Großvater und später dann mit meiner Ehefrau in diesem Haus gelebt.

 

RI: Was ist mit den Besitztümern Ihres Großvaters nach Ihrer Ausreise in den Iran, geschehen?

 

BF1: Ich habe alles dem Freund meines Vaters übergeben. Ich sagte ihm, solange mein Leben hier in Gefahr ist, brauche ich weder das Haus, noch die Grundstücke.

 

RI: Wie viele Grundstücke waren es?

 

BF1: Etwa 200 Jirib. Ein Jirib sind 2.000 Quadratmeter.

 

RI: Aber die Grundstücke und das Haus gehören offiziell noch Ihnen? Oder gehören sie nun dem Freund Ihres Vaters?

 

BF1: Ich habe alles dem Freund meines Vaters übergeben. Ich sagte ihm, dass ich das alles nicht brauche, da mein Leben in Gefahr ist.

 

RI: Hat der Freund Ihres Vaters Ihnen die Grundstücke abgekauft?

 

BF1: Nein, ich habe ihm die Grundstücke überlassen. Ich habe ihn nur gebeten, den Schlepper zu bezahlen und mir Geld für die Reise mitzugeben.

 

RI: Wie viel Geld hat er Ihnen für die Reise mitgegeben?

 

BF1: Den genauen Betrag weiß ich nicht mehr. Es reichte aber aus, dass wir unsere Reise bis in den Iran finanzieren konnten. Ich habe das alles mit dem Freund meines Vaters besprochen. Meine Frau ist darüber nicht informiert.

 

RI: Haben Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas vorzubringen?

 

BF1: Ich bin geflüchtet, da mein Leben in Gefahr war und wenn ich von dort nicht weggegangen wäre, hätte man mich getötet. Sie hatten die Absicht mich zu töten und deshalb waren sie auch in meinem Haus.

 

RI: Wie lange haben Sie dann im Iran gelebt?

 

BF: Eineinhalb Jahre.

 

RI: Was waren die Gründe für Sie vom Iran nach Österreich zu gehen?

 

BF1: Ich wurde im Iran belästigt, weil ich keine Dokumente hatte. Ich konnte nicht nach Afghanistan zurückkehren. Die Afghanen, die keine Dokumente haben, werden von der Polizei angehalten und direkt nach Syrien in den Krieg geschickt.

 

RI: VORHALTUNG: Bei Ihrer Einvernahme vor der LPD XXXX am XXXX haben

Sie zu Ihrem Fluchtgrund Folgendes vorgebracht: "Ich war illegal im Iran aufhältig, falls ich erwischt worden wäre, müsste ich das Land verlassen. In Afghanistan war ich Bauer und in unserer Gegend werden die Hazara/Schiiten verfolgt und getötet." Auf die Frage, was Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat befürchten würden meinten Sie: "Im Iran habe ich niemanden und besitze keine Dokumente. Ich werde nach Afghanistan abgeschoben und dort herrscht Krieg". Von Ihren vor dem BFA geäußerten Problemen mit den Taliban in Afghanistan haben Sie nichts erwähnt. Sie haben von keinen persönlichen Bedrohungen, weder per Telephon noch per Drohbrief gesprochen. Wieso haben Sie erstmals vor dem BFA, andereinhalb Jahre später, davon berichtet?

 

BF1: Die Reise vom Iran nach Österreich dauerte vierzehn oder fünfzehn Tage. Ich hatte vierzehn Tage lang nicht geschlafen. Wir hatten bei der Erstbefragung einen iranischen Dolmetscher. Dieser Dolmetscher sagte mir, ich solle meine Fluchtgründe nicht angeben, lediglich mich vorstellen und über die Reiseroute zu berichten sowie sollte ich erzählen, wie viel Geld ich ausgegeben hätte.

 

RI: Wie oft sind Sie telephonisch in Afghanistan bedroht worden?

 

BF1: Zweimal.

 

RI: Sie wurden beide Male bedroht?

 

BF1: Das erste Mal wurde ich nicht bedroht, sondern beim zweiten Mal. Es wurde mir gesagt, wenn ich das nicht tue, was sie verlangen, würden sie mich töten.

 

RI: War es immer der gleiche Anrufer? Kannten Sie ihn?

 

BF1: Ich kannte die Person nicht, aber von der Stimme, war es dieselbe Person.

 

RI: Was vermuten Sie, wer war dieser Anrufer oder von welcher Gruppierung war er? Hat er sich Ihnen gegenüber zu erkennen gegeben?

 

BF1: Wir haben in einer hazarabesiedelten Region gelebt. Die Taliban waren dort weit verbreitet. Ich habe viel gehört und auch gesehen, dass viele Hazara getötet wurden. Die Taliban sind keine Hazara. Sie sind Paschtunen. Der Anrufer hatte auch einen paschtunischen Akzent. Es ist klar, dass ich den Anruf von Taliban bekommen habe. Es wurde mir nämlich auch gesagt, dass der Anrufer von Islamischen Emirat Afghanistan ist.

 

RI: Was ist das Islamische Emirat Afghanistan?

 

BF1: Ich wusste es nicht. Der Freund meines Vaters sagte mir, dass der Brief von den Taliban ist.

 

RI: Woher wusste er das?

 

BF1: Das weiß ich nicht. In dieser Region gibt es sehr viele Taliban. In ganz Afghanistan gibt es sehr viele Taliban.

 

RI: Das heißt, Sie vermuten es nur, dass das Islamische Emirat Afghanistan von den Taliban ist?

 

BF1: Das ist alles dasselbe. Alle sind Taliban.

 

RI: Ging der Drohanruf auf Ihr Privathandy?

 

BF1: Ja.

 

RI: Wer hatte aller die Telephonnummer?

 

BF1: Jeder in meiner Region hatte meine Telefonnummer. Meine Nachbarn, meine Freunde und meine Bekannten. Vermutlich haben sie meine Telefonnummer von diesen Leuten genommen. Sicher bin ich mir nicht.

 

RI: Wie lange lagen die zwei Anrufe auseinander?

 

BF1: Der erste Anruf kam an einem Samstag. Der zweite Anruf kam am Montag.

 

RI: Sind Sie nach einem der Anrufe zu Polizei oder zum Dorfältesten gegangen?

 

BF1: Nein. Ich war verängstigt. Ich war in einem Schockzustand. Aus diesem Grund bin ich auch zu niemand gegangen.

 

RI: Wurde der Drohbrief per Bote überbracht oder per Post? Wie gelangte der Brief zu Ihnen?

 

BF1: Im Dorf gibt es keine Postzusendung. Ich glaube, dass jemand diesen Brief zwischen dem Türspalt ins Haus hineingeschoben hat. Wie genau es war, weiß ich nicht, weil ich nicht zu Hause war.

 

RI: Stand auf dem Brief Ihr Name drauf?

 

BF1: Mein Name stand nicht darauf. Es stand nur darauf, dass ich ein vollkommen Ungläubiger bin.

 

RI: Stand auf dem Kuvert des Briefes Ihr Name darauf?

 

BF1: Ich kann mich nicht genau daran erinnern. Ich weiß nur, dass ein Stempel darauf war.

 

RI: Was ist mit Ihrem Großvater genau geschehen? Wie ist er genau umgekommen?

 

BF1: Ich bekam einen Anruf von meinem Nachbarn. Er erzählte mir am Telefon, dass sie meinen Großvater aus dem Haus gezerrt haben. Man hätte ihn erschossen und getötet und unser Haus angezündet.

 

RI: Haben Sie ihren Großvater beerdigen können, bevor sie in den Iran gegangen sind?

 

BF1: Nein, ich konnte nicht zurückkehren.

 

RI: Wer hat Ihren Großvater beerdigt?

 

BF1: Das weiß ich nicht. Ich war verängstigt und befand mich in einer stressigen Situation. Ich hatte mich selbst verloren.

 

RI: Wie hieß Ihr Großvater?

 

BF1: Er war unter dem Namen XXXX im Dorf bekannt. Sein richtiger Name war XXXX.

 

RI: Und er starb am selben Tag, als Sie die Drohanrufe erhalten haben?

 

BF1: Ja.

 

RI: Ist es nicht merkwürdig, dass zwischen dem Erhalt des Drohbriefes und des Anschlages zu wenig Zeit vergangen ist. Der Drohbrief hätte Sie doch umstimmen sollen auf die Forderung des Bedrohers einzugehen. Da macht es doch wenig Sinn für den Bedroher unmittelbar zuzuschlagen. Damit hätte der Drohbrief ja noch keine Wirkung entfalten können?

 

BF1: Ich weiß nicht, was sie sich dabei gedacht haben und warum sie so vorgegangen sind.

 

RI: Haben Sie sich vor den Drohanrufen an Ihrem Wohnort sicher gefühlt?

 

BF1: Sicher habe ich mich dort nicht gefühlt. Ich habe nämlich gehört, dass die Taliban viele Hazara entführen. Sie haben auch die Schwester meiner Ehefrau entführt.

 

RI: Hatten Sie irgendwann Probleme mit der Familie Ihrer Frau? Hat es da jemals Bedrohungen oder Gewaltanwendungen gegeben?

 

BF1: Nein. Ich habe es nie verstanden, warum die Familie gegen die Heirat ihrer Tochter mit mir war und für die Heirat mit einem älteren Mann war.

 

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die eben Geschilderten?

 

BF1: Wir sind Hazara. Die Taliban töten die Hazara. Überall in Afghanistan werden die Hazara getötet. Auch mich wollten sie töten. Sie hatten die Absicht, mich zu töten, ich war aber nicht zu Hause, aber das war der Grund.

 

RI. Haben Ihre Frau und/oder Ihr Kind einen eigenen Fluchtgrund bzw. einen anderen Fluchtgrund als den von Ihnen Geschilderten?

 

BF1: Außer, dass meine Frau dieselben Fluchtgründe hat, wie ich, war ihre Familie sehr streng. Sie durfte nicht aus dem Haus gehen. Sie durfte nicht zur Schule gehen.

 

RI: Hatten Sie in Afghanistan Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

 

BF1: Wir haben Probleme mit den Taliban. Die Hazara haben Probleme mit den Taliban und ich glaube, dass die Hazara von den Taliban bedroht werden.

 

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan?

 

BF1: Mein Leben ist in Gefahr. Ich habe Angst. Außerdem haben meine Frau und meine Tochter hier ihre Freiheiten erlangt. Diese Freiheiten können sie in Afghanistan nicht haben.

 

RI: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, den Iran in Richtung Europa zu verlassen?

 

BF1: Zwei Wochen vor unserer Ausreise.

 

RI: Warum sind Sie nicht in eine andere Provinz Afghanistans geflüchtet, wo es für Sie und Ihre Familie sicherer gewesen ist als in XXXX?

 

BF1: Nirgendwo in Afghanistan ist es sicher. Nirgendwo ist es für die Hazara sicher. Wir hatte auch die Angst, woanders gefunden zu werden.

 

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

 

BF1: Nein. Ich wollte in ein sicheres Land. Der Schlepper sagte mir, dass es hier sicher ist und wir hier bleiben sollen. Ich hatte einen Freund im Iran, mit dem ich gemeinsam gearbeitet habe. Dessen Bruder hat in Österreich gelebt und der hat damals viel Gutes über Österreich erzählt. Als ich dann in Österreich war, bemerkte ich, dass er Recht hatte.

 

RI: Wo wollten Sie denn ursprünglich hin?

 

BF1: Ich wollte nach Europa. Ich wollte nach Österreich kommen. Mein Reiseziel war eigentlich Österreich. Ich habe nur Gutes von meinem Arbeitskollegen gehört. Auf der Reise in Richtung Europa haben wir viele Länder überquert. Auf den Zetteln der anderen Flüchtlinge stand als Reiseziel Schweden. Auf meinem Zettel stand Schweden, aber ich wollte nach Österreich.

 

RI: Warum stand Schweden auf Ihrem Zettel?

 

BF1: Die anderen Mitreisenden wollten nach Schweden. Ich wollte nach Österreich und habe es auch gesagt, aber man hat für mich das Land Schweden als Reiseziel niedergeschrieben.

 

RI: Wieviel hat die Flucht aus Afghanistan nach Europa insgesamt gekostet? D.h. die Kosten für die Reise zurück in den Iran und dann vom Iran nach Europa.

 

BF1: Vom Iran nach Europa haben wir pro Person vier Millionen iranische Toman bezahlt. Wie viel von Afghanistan in den Iran gezahlt wurde, weiß ich nicht, das hat der Freund meines Vaters gezahlt. Vom Iran nach Österreich haben wir pro Person vier Millionen iranische Toman bezahlt.

 

RI: Wieviel ist das in EURO?

 

BF1: 8.000 Euro pro Person. Damals hatte ein Euro den Wert von 4.000 Toman.

 

RI: Das ist eine stolze Summe. Wie konnten Sie sich das als einfacher Schneiderlehrling leisten?

 

BF1: Das Geld stammt von unseren Ersparnissen. Meine Frau hat von zu Hause aus gearbeitet und ich arbeitete bei einem Schneider.

 

RI: Wie lange haben Sie gebraucht um sich diese Geldsumme anzusparen?

 

BF1: Eineinhalb Jahre.

 

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder eine Klub in Österreich?

 

BF1: Ich habe in der XXXX XXXX gelebt. Dort habe ich XXXX gemacht und auch XXXX gespielt und habe auch für die Gemeinde gearbeitet. Ich habe auch die Unterlagen mit.

 

RI: Haben Sie in einem XXXX- und XXXX trainiert?

 

BF1: Ich war im Verein und bin dann umgezogen. Wir wurden dann nach XXXX transferiert.

 

RI: Sind Sie jetzt in einem Club oder Verein?

 

BF1: Ich besuche jetzt einen Kurs vom AMS.

 

RI wiederholt die Frage.

 

BF1: Nein, bin ich nicht, da ich ja jetzt umgezogen bin.

 

RI: Haben Sie österreichische Freunde?

 

BF1: Ja, sehr viele.

 

RI: Haben Sie in Österreich Sprachkurse besucht?

 

BF1: Ja.

 

RI: Welches Sprachniveau haben Sie bisher abgeschlossen?

 

BF1: A1 und A2 habe ich bereits abgeschlossen.

 

RI: Machen Sie gerne in Ihrer Freizeit?

 

BF1 auf Deutsch: Freizeit, ich Baby halten zu Hause. Meine Frau gehen in Stadt oder mit österreichischen Freunden spazieren gehen. Meine Frau kommt. Ich gehe Radfahren und Schwimmbad gehen und mit Baby gehen in Park. Im Winter Eislaufen gehen.

 

RI: Was gefällt Ihnen an Österreich?

 

BF1 auf Deutsch: Österreich gefallen mir Gesprächen, Coffehaus gegangen, Einladung österreichische zu Hause.

 

RI: Was haben Sie letztes Wochenende gemacht?

 

BF1 auf Deutsch: Ich habe gegangen nach XXXX. Zertifikat bringen.

 

RI wiederholt die Frage.

 

BF1 auf Deutsch: Am Samstag letztes Wochenende mit Baby spazieren gegangen und zu Hause Baby halten und meine Frau gehen.

 

RI: Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

 

BF1: In Afghanistan habe ich keine Schule besucht. Ich möchte und will hier die Schule besuchen, die Sprache lernen. Ich mache einen Vorbereitungskurs. Danach möchte ich den Hauptschulabschluss machen. Danach möchte ich eine Lehre machen. Ich habe mich über die Berufsausbildung als Elektroniker informiert. Vom AMS wurde mir gesagt, dass ich diese Lehre drei Jahre lang besuchen muss.

 

RI: Sie haben dann vor als Elektronikingenieur zu arbeiten?

 

BF1: Ich möchte die Lehre machen und danach arbeiten.

 

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?

 

BF1: Ja, ich bin gesund.

 

RI: Nehmen Sie Medikamente?

 

BF1: Nein.

 

RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

 

BF1: Nein, nach dem Deutschkurs leide ich an Kopfschmerzen, weil ich spät zu Mittag esse.

 

RI: Sind Sie arbeitsfähig?

 

BF1: Ja.

 

RI an BFV: Haben Sie Fragen an den BF1?

 

BFV: Ja.

 

BFV: Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Frau und Ihrer Tochter?

 

BF1: Ich möchte, dass sie ein westliches Leben führen, dass sie hier ihre Freiheiten haben. Ich möchte, dass meine Frau hier studiert. Ich möchte, dass sie die Sprache lernt und hier arbeitet. Ich möchte, dass meine Tochter in Sicherheit groß wird. Ich möchte, dass sie sich selbst einen Lebenspartner sucht. Ich möchte, dass sie sich einen Freund nimmt und über ihr Leben selbst entscheidet.

 

BFV: Wie würde das Leben Ihrer Frau und Ihrer Tochter aussehen, wenn sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

 

BF1: Sie haben Angst nach Afghanistan zurückzukehren. Ihr Leben ist in Gefahr. Die Freiheiten, die meine Tochter und meine Ehefrau hier haben, haben sie in Afghanistan nicht. Hier in Österreich geht meine Ehefrau mit ihren männlichen Freunden Kaffee trinken. Wenn sie das in Afghanistan tun würde, würde sie gesteinigt.

 

BFV: Wer sind die männlichen Freunde Ihrer Ehefrau?

 

BF1: Es sind unsere Freunde. Wir besuchen uns gegenseitig. Ich vertraue meiner Frau. Wenn ich im Deutschkurs bin, geht meine Ehefrau mit unseren Freunden Kaffee trinken.

 

BF1: Ich möchte mich beim österreichischen Staat bedanken, dass meine Ehefrau und meine Tochter hier in Österreich in Sicherheit leben können.

 

RI: Sie werden gebeten draußen Platz zu nehmen und die BF2 sofort in den Saal zu schicken.

 

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten haben.

 

BF2: Ich heiße XXXX. Ich bin XXXX Jahre alt und bin am XXXX in der Provinz XXXX im XXXX geboren. Ich bin afghanische Staatsangehörige. Zuletzt haben wir im Iran in Teheran, XXXX gelebt.

 

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

 

BF2: Ich bin Hazara und spreche Dari/Farsi.

 

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

 

BF2: Ich bin Schiitin. Ich bin Moslem.

 

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus Afghanistan oder aus dem Iran, welche Ihre Identität beweisen?

 

BF2: Im Iran hatte ich gar keine Dokumente. Aus Afghanistan besitze ich nichts.

 

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Wann haben Sie die Schule abgeschlossen? Wie alt waren Sie beim Schulabschluss? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt?

 

BF2: Ich habe in Afghanistan keine Schule besucht. Eineinhalb Jahre haben wir im Iran gelebt. Unsere Unterkunftsgeber war ein altes Ehepaar. Sie haben uns das Lesen und Schreiben beigebracht.

 

RI: VORHALTUNG: Bei Ihrer Ersteinvernahme am 15.01.2016 haben Sie angegeben, dass sie 12 Jahre zur Schule gegangen sind und mit Matura abgeschlossen haben? Wie kommt es nun, dass Sie angegeben keine Schule besucht zu haben? Sie müssen zugeben, dass sind schon sehr widersprüchliche Angaben? Wie kommt es dazu?

 

BF2: Ich hatte einen iranischen Dolmetscher. Mir wurde gesagt, dass ich alles kurz und schnell sagen soll. Von unserem Rechtsberater wurde uns die Erstbefragung noch einmal vorgelesen. Es ist uns dann aufgefallen, dass einiges nicht korrekt protokolliert wurde.

 

RI: Haben Sie diese Protokollmängel dokumentieren lassen?

 

BF2: Bezüglich unserer Sprache wurde protokolliert, dass wir Farsi sprechen. Das stimmt nicht. Wir sprechen Dari/Farsi. Über meine Schulbildung, dass ich 12 Jahre die Schule besucht habe, das stimmt nicht.

 

RI: Wurde Ihnen das Protokoll der Erstbefragung rückübersetzt?

 

BF2: Nein. Wir wurden gefragt, ob wir die Wahrheit angegeben haben. Wir bejahten es. Es wurde uns dann nicht mehr rückübersetzt.

 

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in Afghanistan und in welcher Stadt?

 

BF2: Meine Eltern haben in unserem Heimatdorf gelebt. Ich hatte eine Schwester. Sie wurde entführt und ist verschollen. Das war vor vier oder fünf Jahren. Ich habe noch einen Onkel mütterlicherseits. Er lebt auch in Afghanistan. Sonst habe ich niemanden.

 

RI: Leben Ihre Eltern immer noch in Ihrem Heimatdorf?

 

BF2: Als ich noch in Afghanistan war, lebten sie im Heimatdorf, aber zur Zeit, weiß ich nicht, wo sie leben.

 

RI: Wie haben Sie mit Ihrem Mann im Iran den Lebensunterhalt bestritten?

 

BF2: Mein Ehemann hat bei einem Schneider als Lehrling gearbeitet. Ich habe von zu Hause aus gearbeitet. Ich habe Schals und Kopftücher genäht.

 

RI: Hatten Sie eine Näherinnenausbildung?

 

BF2: Nein, ich konnte nur Kopftücher und Schals nähen.

 

RI: Wann und wo haben Sie Ihren Mann geheiratet?

 

BF2: Vor drei oder vier Jahren haben wir in Afghanistan geheiratet. In Österreich haben wir standesamtlich geheiratet. Wir haben beim Standesamt in XXXX geheiratet.

 

RI: Haben Sie noch irgendeinen Kontakt zu Ihrer in Afghanistan lebenden Familie?

 

BF2: Nein.

 

RI: Warum haben Sie keinen Kontakt mehr zu Ihrer Familie?

 

BF2: Ich habe gegen den Willen meiner Eltern geheiratet. Meine Mutter war zwar einverstanden, aber mein Vater nicht.

 

RI: War jemand von Ihrer Familie bei Ihrer Hochzeit?

 

BF2: Meine Mutter.

 

RI: Wenn Ihre Mutter einverstanden mit Ihrer Hochzeit war, warum haben Sie dann nicht noch Kontakt zu ihr?

 

BF2: Sie sagte mir, dass mich mein Vater enterbt hat. Eine Schwester von mir ist verschollen. Deshalb war meine Mutter bei meiner Hochzeit anwesend. Sie sagte mir, sie selbst habe ein unglückliches Leben und möchte nicht, dass ich unglücklich werde. Ich solle XXXX heiraten und sie wird aber auch zu mir keinen Kontakt halten, da mein Vater mich enterbt hat.

 

RI: Hat die Anwesenheit Ihrer Mutter bei Ihrer Hochzeit zu einem Familienzwist geführt? Weil, immerhin war Ihr Vater gegen die Hochzeit?

 

BF2: Mein Vater wollte, dass ich einen älteren Mann heirate. Ich sagte ihm, wenn er mir nicht erlaubt, XXXX zu heiraten, dann werde ich mir mein Leben nehmen. Ich bin seine einzige Tochter. Er sagte, ich solle XXXX heiraten, aber er wird mich enterben und ich bin auch nicht mehr seine Tochter.

 

RI: War die Heirat mit Ihrem Ehemann eine Liebesheirat?

 

BF2: Nein. Er war unser Nachbar. Er hat bei meiner Familie, um meine Hand angehalten. Er war jung. Ich sah es besser, einen jüngeren Mann zu heiraten, als einen älteren.

 

RI: Verstehe ich Sie richtig, dass Ihre Heirat mit Ihrem Ehemann eher eine Flucht vor der Heirat mit dem älteren Mann gewesen ist?

 

BF2: Ja.

 

RI: Wie viele Leute waren bei Ihrer Hochzeit eingeladen?

 

BF2: Etwa 25 Personen.

 

RI: Sind Sie oder Ihr Mann seit Ihrer Ausreise aus Afghanistan in 2014 wieder einmal in Afghanistan gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

 

BF2: Nein.

 

RI: Sind Sie oder Ihr Mann seit Ihrer Ausreise aus dem Iran in 2016 wieder einmal im Iran gewesen, sei es auf Besuch oder auf Urlaub?

 

BF2: Nein.

 

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

 

BF2: Unser Leben war in Gefahr. Es war nach unserer Heirat. XXXX hat als Landwirt gearbeitet. Sein Großvater und ich waren im Haus. Wir haben ein Schreiben erhalten. Da weder der Großvater, noch ich lesen konnten, habe ich den Brief zu XXXX auf das Feld gebracht. Bevor dieser Brief gekommen ist, hat XXXX zwei Anrufe bekommen. Zuerst kamen die Anrufe und danach der Brief. Beim ersten Anruf wusste der Anrufer alles über XXXX. Er wusste, wer er ist, wer sein Vater ist und der Anrufer wusste auch, dass wir einen Kuhstall haben. Am übernächsten Tag erhielt er wieder einen Anruf. Er wurde am Telefon bedroht. Ihm wurde gesagt, dass er vom Islamischen Emirat angerufen wurde und, dass man von ihm verlangt seinen Kuhstall ihnen zu überlassen. XXXX war verängstigt und hat deshalb seine SIM-Karte weggeworfen. Er hat wieder seine alte SIM-Karte benützt. Dann hat man hinter der Türe einen Brief hinterlegt. Da ich diesen Brief nicht lesen konnte, habe ich den Brief auf die Felder zu XXXX gebracht. Von dort gingen wir zum Freund des Vaters von XXXX. Dieser Freund hat für uns den Brief vorgelesen. Es war in Paschto. Wir waren verängstigt. Danach sind wir vom Freund des Vaters von XXXX weggegangen. Etwa zehn Minuten waren vergangen, als ein Bekannter von XXXX ihn angerufen hat. Ihm wurde gesagt, dass wir auf keinen Fall zurückkommen sollen. Zwei Männer sind auf Motorrädern gekommen. Sie hätten den Großvater getötet und das Haus in Brand gesetzt. Aus Angst sind wir nicht mehr nach Hause zurückgegangen. Wir flüchteten in den Iran.

 

RI: Wem gehörte der Stall, in dem die Waffen versteckt werden sollten?

 

BF2: Der Stall gehörte dem Vater von XXXX. Nach dem Tod seines Vaters hat er alles geerbt.

 

RI: Und das Haus? Gehörte das dem Großvater oder dem BF1?

 

BF2: Das Haus gehörte allen. Sie haben alle in einem Haus gelebt. Da XXXX keine weiteren Familienangehörigen hatte, lebte er bei seinem Großvater.

 

RI: Verstehe ich das richtig? Das Haus gehörte dem Großvater und der Stall Ihrem Ehegatten?

 

BF2: Der Vater von XXXX ist getötet worden. XXXX hat auf den Feldern und im Stall gearbeitet. Es hat ihnen gemeinsam gehört.

 

RI: Heißt das, der Stall hat nicht zum Anwesen des Großvaters des BF1 gehört?

 

BF2: Das weiß ich nicht. Nach meiner Heirat habe ich ungefähr sieben Monate lang dort gelebt. Das alles hat der Familie gehört.

 

RI: Wie groß waren die Grundstücke?

 

BF2: Sie hatten viele Grundstücke. Das Ausmaß weiß ich nicht.

 

RI: Wie viele Grundstücke waren es?

 

BF2: Es war ein großes Grundstück.

 

RI: Waren es ein oder mehrere Grundstücke?

 

BF2: Soweit ich weiß, hat er nur ein Grundstück bewirtschaftet. Ob er andere Grundstücke hatte, davon weiß ich nicht.

 

RI: VORHALTUNG: Sie haben in Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 30.05.2017 zum Drohbrief gesagt: "Einen Tag später warf er einen Drohbrief im Hof. Ich war an dem Tag zu Hause, XXXX war arbeiten."

Heute sagen Sie, dass der Brief hinter der Tür hinterlegt war. Wo ist der Brief gefunden worden? Im Hof oder hinter der Tür?

 

BF2: Man hat den Brief unterhalb des Tors in den Garten geschoben.

 

RI: In den Garten oder ins Haus?

 

BF2: In den Garten.

 

RI: VORHALTUNG: Bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 15.01.2016 haben Sie zu Ihrem Fluchtgrund Folgendes vorgebracht: "Wir werden zuhause wegen unserer Rasse und Religion durch die Taliban und den IS verfolgt. Die Frauen werden vergewaltigt und umgebracht. Wir wollten ein ruhiges Leben führen. Wir haben deswegen noch keine Kinder gemacht, weil wir vorher in Sicherheit leben wollten." Auf die Frage, was Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat befürchten würden, meinten Sie: "Verfolgung und Tötung durch Taliban und IS". Von Ihren vor dem BFA geäußerten konkreten Problemen in Afghanistan haben Sie nichts erwähnt. Sie haben von keinen persönlichen Bedrohungen, weder per Telephon noch per Drohbrief gesprochen. Wieso haben Sie erstmals vor dem BFA, andereinhalb Jahre später, davon berichtet?

 

BF2: Bei der ersten Einvernahme hatten wir einen iranischen Dolmetscher. Er sagte, wir sollen uns kurz fassen und uns beeilen. Bei der nächsten Einvernahme sollen wir dann alles genau erwähnen, deshalb haben wir nur das mit den Taliban erwähnt.

 

RI: Wie oft ist Ihr Mann telephonisch bedroht worden?

 

BF2: Zweimal wurde er angerufen.

 

RI: Und wie oft wurde er bedroht?

 

BF2: Zweimal wurde er angerufen und einmal bekam er einen Brief.

 

RI: War es immer der gleiche Anrufer? Kannten er ihn?

 

BF2: Als er den Brief erhalten haben, sind wir davon ausgegangen, dass der Brief von denen stammt.

 

RI: Was stand auf dem Kuvert?

 

BF2: Ich habe keine Bildung. Der Brief war in einem weißen Kuvert. Ich habe den Brief auch nicht herausgenommen. Ich überbrachte dieses Kuvert meinem Mann.

 

RI: War auf diesem Kuvert irgendetwas drauf?

 

BF2: Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich habe den Brief auch nicht herausgenommen.

 

RI wiederholt die Frage.

 

BF2: Es war nur ein Stempel.

 

RI: Was war das für ein Stempel?

 

BF2: Das weiß ich nicht.

 

RI: War das ein Poststempel?

 

BF2: Ich glaube nicht. Ich habe diesen Stempel nicht selbst gesehen. Mein Mann sagte mir, dass dieses Kuvert abgestempelt war. Das weiß ich nur von den Erzählungen von XXXX.

 

RI: Sie hatten ja diesen Brief in der Hand und haben diesen zu Ihrem Mann gebracht?

 

BF2: Ja.

 

RI: Da haben Sie diesen Stempel nicht gesehen?

 

BF2: Ich habe nicht darauf geachtet. XXXX erzählte mir, dass der Brief abgestempelt war.

 

RI: Das Kuvert war nicht abgestempelt?

 

BF2: Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern.

 

RI: Woher wissen Sie, dass der Anrufer ein Talib war?

 

BF2: XXXX sagte mir, dass der Anrufer vom Islamischen Emirat war und solche Vorfälle sind in der Region oft vorgekommen.

 

RI: Was wissen Sie über das Islamische Emirat?

 

BF2: Ich weiß, dass das Islamische Emirat die Taliban sind. Sie sind die Feinde des afghanischen Volkes. Sie vergewaltigen Frauen und verschleppen sie.

 

RI: Sind Sie oder Ihr Mann nach einem der Anrufe zur Polizei oder zum Dorfältesten gegangen?

 

BF2: Nein. Wir haben diesen Brief nur dem Freund von XXXX gebracht.

 

RI: Warum sind Sie nicht zur Polizei oder zu den Sicherheitskräften gegangen?

 

BF2: Wir waren verängstigt und hatten eine große Furcht.

 

RI: Hatten Sie den Brief zuerst in der Hand oder der Großvater Ihres Mannes?

 

BF2: Der Großvater, der hat mir dann den Brief übergeben und ich überbrachte diesen XXXX.

 

RI: Wann wurde der Brief erstmals geöffnet?

 

BF2: Beim Freund von XXXX.

 

RI: Hat Ihr Ehemann den Großvater beerdigen können, bevor sie in den Iran gegangen sind?

 

BF2: Nein, wir sind gar nicht zurückgegangen. Wir sind gleich geflüchtet.

 

RI: Wer hat den Großvater Ihres Ehemanns beerdigt?

 

BF2: Die Freunde und Nachbarn von XXXX haben ihn angerufen und haben gesagt, wir sollen nicht nach Hause zurückkommen. Darum kamen wir auch nicht nach Hause zurück.

 

RI: Was ist mit dem Haus, dem Stall und dem Grundstück des Großvaters Ihres Mannes passiert, als Sie in den Iran gegangen sind?

 

BF2: Wir haben vom Freund von XXXX Geld ausgeborgt. Wir sagten ihm, dass er das Haus von XXXX haben kann. Seit wir von dort wegegegangen sind, haben wir keinen Kontakt mehr nach Afghanistan. Wir gehen davon aus, dass Freunde und Nachbarn den Großvater beerdigt haben.

 

RI: Die Übermittlung des Drohbriefes, die Übersetzung des Drohbriefes durch den Freund Ihres Ehemannes und die Tötung des Großvaters sind am selben Tag passiert?

 

RI: Ist es nicht merkwürdig, dass zwischen dem Erhalt des Drohbriefes und des Anschlages so wenig Zeit vergangen ist. Der Drohbrief hätte Ihren Mann doch umstimmen sollen auf die Forderung des Bedrohers einzugehen. Da macht es doch wenig Sinn für den Bedroher unmittelbar zuzuschlagen. Damit hätte der Drohbrief ja noch keine Wirkung entfalten können?

 

BF2: Es war so. Sie hatten die Absicht XXXX zu töten und er war nicht zu Hause.

 

RI: Haben Sie und Ihr Mann sich vor den Drohanrufen an Ihrem Wohnort sicher gefühlt?

 

BF2: Nirgendwo in Afghanistan ist es sicher. Wir haben uns dort auch nicht sicher gefühlt.

 

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die eben Geschilderten?

 

BF2: Ich war eingeschränkt. Ich war wie eine Gefangene. Ich machte den Haushalt und habe eine Burka getragen. Aber der Hauptgrund für unsere Flucht, war der, wie ich Ihnen erzählt habe.

 

RI. Haben Ihr Mann und Ihr Kind einen eigenen Fluchtgrund bzw. einen anderen Fluchtgrund als den von Ihnen Geschilderten?

 

BF2: Das ist unser Hauptgrund. Es gibt auch die Taliban und die Daesh. Auch in dieser Hinsicht war unser Leben in Gefahr.

 

RI: Hatten Sie in Afghanistan Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie Probleme mit den Behörden in Ihrem Heimatland?

 

BF2: Nein. Die Hazara sind in Afghanistan etwas eingeengt.

 

RI: Was befürchten Sie konkret im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan?

 

BF2: Ich habe Angst. Dort ist mein Leben in Gefahr. Die Freiheiten, die ich hier habe und in Zukunft für XXXX mir vorstelle, werden wir dort nicht haben.

 

RI: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, den Iran in Richtung Europa zu verlassen?

 

BF2: Im Iran hatten wir keine Karten, ich meine Dokumente. Mein Mann konnte dort nicht arbeiten. Wenn die Polizei uns erwischt hätte, hätte man uns abgeschoben. Wenn sie XXXX erwischt hätten, hätten sie ihn abgeschoben.

 

RI: Warum sind Sie nicht in eine andere Provinz Afghanistans geflüchtet, wo es für Sie und Ihre Familie sicherer gewesen ist als in XXXX?

 

BF2: Nirgendwo in Afghanistan gibt es für uns Sicherheit. Wir haben auch nirgendwo in Afghanistan jemanden. Wir waren verängstigt, deshalb haben wir Afghanistan verlassen.

 

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

 

BF2: Wir haben Gutes über das Land Österreich gehört. Über Medien und auch über Nachbarn haben wir vieles gehört. Wir haben dem Schlepper gesagt, dass er uns in ein sicheres Land bringen soll. XXXX sagte dem Schlepper, dass er uns nach Schweden bringen soll, jedoch wollte ich nach Österreich.

 

RI: Warum wollte Ihr Mann nach Schweden?

 

BF2: Er hatte in Schweden Freunde und ich wollte nach Österreich. Wir waren auch nicht darauf vorbereitet, dass man uns am ersten Tag fragen wird, wohin wir reisen wollen. XXXX sagte Schweden. Ich sagte Österreich. Unsere Zetteln wurden kopiert, zusammengeheftet und Schweden wurde festgelegt.

 

RI: Ihr Mann hat vorhin ausgesagt, dass auch er von Anfang an Österreich als Ziel der Reise hatte. Was sagen Sie dazu?

 

BF2: Er hat Gutes von einem Freund über Österreich gehört. Eine Nachbarin erzählte mir auch Gutes über das Land. Wir sagten dem Schlepper, er soll uns in ein sicheres Land bringen. Er hat sich nicht festgelegt, wir haben Gutes über Österreich gehört und deswegen sind wir auch hier geblieben.

 

RI: Er hat sich schon festgelegt, sonst würde in den serbischen Unterlagen nicht Schweden als Zielland stehen.

 

BF2: Jeder wollte nach Schweden. Deswegen sagten wir, dass wir auch dorthin reisen werden.

 

RI: Wieviel hat die Flucht vom Iran nach Europa insgesamt gekostet?

 

BF2: Das weiß ich nicht, alles hat XXXX geregelt.

 

RI: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder eine Klub in Österreich?

 

BF2: Nein.

 

RI: Haben Sie österreichische Freunde?

 

BF2: Ja, sehr viele.

 

RI: Haben Sie männliche österreichische Freunde?

 

BF2: Ja.

 

RI: Gehen Sie auch alleine mit ihren Freunden Kaffee trinken oder nur mit Ihrem Mann gemeinsam?

 

BF2: Ich gehe oft alleine.

 

RI: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

 

BF2: Ich gehe mit XXXX einkaufen. XXXX besucht den Deutsch-Kurs. Wir gehen spazieren, wir gehen in den Park. Gelegentlich gehe ich schwimmen, wenn XXXX auf XXXX aufpasst.

 

RI: Wo gehen Sie da hin, wenn Sie schwimmen gehen?

 

BF2: In XXXX gibt es ein Schwimmbad. In meiner Freizeit gehe ich mit meinen Freunden Rad fahren. XXXX passt auf XXXX auf.

 

RI: Konnten Sie immer schon schwimmen oder haben Sie hier ein Schwimmkurs gemacht?

 

BF2: Hier habe ich es gelernt.

 

RI: War das ein gemischter Schwimmkurs oder ein Schwimmkurs nur für Frauen?

 

BF2: Ich habe keinen Schwimmkurs besucht.

 

RI: Wie haben Sie schwimmen dann gelernt?

 

BF2: Ich schwimme nicht im tiefen Wasser. Von der Unterkunft wurden viele Frauen zu einem Schwimmkurs gebracht, ich durfte damals nicht mit, weil ich schwanger war.

 

RI: Wie stellen Sie sich die Zukunft in Österreich vor?

 

BF2: Ich möchte hier etwas lernen, ich möchte die Sprache können und hier arbeiten.

 

RI: Was haben Sie vor in Österreich zu arbeiten?

 

BF2: Mir gefällt der Beruf der Kindergärtnerin und der Frisörin.

 

RI: Haben Sie sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen Sie für die Berufsausübung einer Kindergärtnerin oder einer Frisörin erfüllen müssen?

 

BF2: Ja, ich muss die Sprache lernen, danach den Hauptschulabschluss machen und drei Jahre die Lehrausbildung als Frisörin machen. Die Lehre dauert drei Jahre. Für den Kindergarten braucht man eine Matura.

 

RI: Bitte beschreiben Sie Ihre Erziehung in Ihrem Familienverband. Sind Sie religiös erzogen worden? Waren Ihre Eltern streng in der Erziehung der Kinder?

 

BF2: Mein Vater war streng. Ich durfte nicht aus dem Haus gehen. Ich durfte nichts lernen. Ich kannte nicht einmal die umliegenden Dörfer. Meine Schwester ist verschwunden und meine Eltern danach sehr vorsichtig. Die Gesellschaft erlaubte mir nicht, dass ich ein freies Leben führe, dass ich etwas lerne oder arbeite.

 

RI: Erziehen Sie Ihr Kind religiös?

 

BF2: Nein, ich möchte, dass sie ein freies westliches Leben führt und selbst eine Entscheidung trifft.

 

RI: Würden Sie sich selbst als religiös bezeichnen?

 

BF2: Ich bin zwar Muslima, aber ich faste nicht, ich verrichte das Gebet nicht und trage auch keinen Hijab. Wenn die Gesellschaft hier es mir erlaubt, möchte ich ein freies Leben führen.

 

RI: Bitte beschreiben Sie Ihr Leben in Afghanistan. Wie sah der normale Tagesablauf für Sie dort aus?

 

BF2: In Afghanistan war ich zu Hause. Ich konnte nicht hinausgehen, ich habe die Hausarbeiten gemacht, ich habe gekocht, Wäsche gewaschen, das war es mehr habe ich nicht gemacht.

 

RI: Konnten Sie in Afghanistan alleine das Haus verlassen?

 

BF2: Nein, überhaupt nicht.

 

RI: Wer hat in Afghanistan die Einkäufe erledigt?

 

BF2: Gelegentlich hat meine Mutter für mich etwas zum Anziehen gekauft.

 

RI: Seit Ihrer Heirat in Afghanistan?

 

BF2: Bin ich mit XXXX einkaufen gegangen. Wir sind nicht oft hinausgegangen, ich war oft zu Hause, denn sonst hätten die anderen schlecht über uns geredet, wenn ich hinausgegangen bin, habe ich eine Burka getragen.

 

RI: Bitte beschreiben Sie Ihr Leben im Iran. Wie sah der normale Tagesablauf für Sie in dort aus?

 

BF2: Ich habe im Iran von Zuhause aus gearbeitet, indem ich Schals und Kopftücher genäht habe. Die Nachbarin hat gelegentlich mit mir Farsi gelernt.

 

RI: Haben Sie Fortbildungskurse in Österreich besucht?

 

BF2: Den A1 Kurs habe ich abgeschlossen, jedoch durfte ich die Prüfung nicht machen, es war kurz vor der Entbindung. Ich habe den A2 Kurs bis zur Hälfte besucht, die Prüfung habe ich noch nicht abgelegt.

 

RI: Sprechen Sie schon ein wenig Deutsch?

 

BF2: (Ohne Übersetzung): Ein bisschen.

 

RI: (Ohne Übersetzung): Wie geht es Ihnen?

 

BF2: (Ohne Übersetzung): Gut, danke und Ihnen.

 

RI: (Ohne Übersetzung): Was haben Sie vergangenes Wochenende gemacht?

 

BF2: (Ohne Übersetzung): Am Wochenende, ich gehe spazieren gehen, manchmal Fahrrad fahren, Rad fahren.

 

RI: Was mögen Sie an Österreich, was gefällt Ihnen?

 

BF2: (Ohne Übersetzung): In Österreich, ich liebe Schwimmbad gehen, Sport machen und mit meiner Freunde Rad fahren.

 

RI: (Mit Übersetzung): Wie schaut Ihr Tagesablauf in Österreich aus? Beschreiben Sie bitte einen typischen Tag.

 

BF1: Zwischen 06:30 Uhr und 07:00 Uhr stehe ich auf. Ich kümmere mich um XXXX. XXXX bereitet das Frühstück vor. Zwischen 08:00 Uhr und 08:30 Uhr geht er zum Deutschkurs. Ich bleibe zu Hause, wenn wir etwas brauchen dann gehe ich einkaufen oder ich gehe mit meinen Freunden in den Park spazieren und wenn XXXX zu Hause ruhig ist, lerne ich Deutsch.

 

RI: Wer erledigt in Österreich die Einkäufe? Sie oder Ihr Mann?

 

BF2: Ich selbst.

 

RI: Wieviel kosten ein Liter Milch im Supermarkt?

 

BF2: Beim Penny kaufen wir, wenn Aktion ist Milch um 0.45 Cent, ansonsten um 1€. Es gibt aber auch Milch, welches auch 2€ kostet.

 

RI: Wann haben Sie das letzte Mal ein Kopftuch getragen?

 

BF2: Als ich in Österreich angekommen bin, habe ich gesehen, dass ich hier sicher bin und habe mein Kopftuch abgelegt und mit der Zeit habe ich mich verändert.

 

RI: Erlaubt Ihnen Ihr Mann im Bikini schwimmen zu gehen?

 

BF2: Mein Ehemann hat damit kein Problem.

 

RI: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie gesund?

 

BF2: Ich bin gesund.

 

RI: Nehmen Sie Medikamente?

 

BF2: Nein.

 

RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung?

 

BF2: Nein.

 

RI: Sind Sie arbeitsfähig?

 

BF2: Ja.

 

RI an BFV: Haben Sie Fragen an den BF2?

 

BFV: Kleiden Sie sich immer so wie heute, mit dekolletierten T-Shirt und viel Schmuck?

 

BF2: Ja, ich kleide mich so wie es mir gefällt. Hier fühle ich mich sicher, hier gibt es keine Gewalt gegen Frauen und gegen Kindern.

 

BFV: Wer kümmert sich um Ihre Tochter normalerweise?

 

BF2: XXXX und ich.

 

BFV: Was würden Sie sagen, wenn Ihre Tochter später einmal ein Österreicher heiratet?

 

BF2: Damit habe ich gar kein Problem, sie muss selbst entscheiden. Ich möchte, dass meine Tochter ein besseres Leben führt. Ich möchte, dass sie ein Freund hat und wie die anderen Österreicher ihr Leben führt. Ich möchte, dass sie einen Freund hat, dass sie ihn kennenlernt und erst dann entscheidet, ob sie ihn heiraten will oder nicht.

 

BF2: Wenn man in Afghanistan mit einem anderen Mann spricht oder mit ihm unterwegs ist, wird man besteinigt. In Afghanistan haben wir gar keine Sicherheit, hier ist meine Tochter in Sicherheit. Seit ich hier bin, bin ich sehr beruhigt. Hier fühle ich mich in meiner Wohnung wohl, wenn es hier ein Problem gibt, dann geht man zur Polizei und die Polizei löst dieses Problem. In Afghanistan ist es nicht so, dort gibt es keine Gesetze. Ich bin mittlerweile 20 Jahre alt, ich wollte auch einen Freund haben. Ich wollte mich schminken, ich wollte frei herumlaufen, das alles durfte ich nicht. Ich will, dass meine Tochter all dieses hat.

 

BF1 betritt den Verhandlungssaal.

 

RI: Ich möchte Ihnen abschließend die Gelegenheit geben zu einem Abschluss Statement?

 

BF2: Ich bin seit 2 Jahren hier in Österreich. Ich denke mir warum ich nicht schon früher ein solches Leben führen konnte, wie ich es jetzt führe. Wenn sie uns erlauben hier zu bleiben, dann werden wir unser Leben hier führen. Wenn sie es uns nicht erlauben, dann werden wir nach Afghanistan zurückkehren, obwohl unser Leben dort in Gefahr ist.

 

RI: Ihnen wurden zusammen mit der Ladung Länderfeststellungen und ein Gutachten von XXXX übermittelt. Sie haben mit Schreiben von 04.12., hier gerichtlich eingelangt am 05.12., Stellungnahme abgegeben. Möchten Sie dazu etwas noch angeben?

 

BF1: Wir schließen uns unserer Rechtsberaterin an.

 

Schluss der Verhandlung [...]"

 

Die Beschwerdeführer brachten im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Unterlagen/Dokumente ergänzend in Vorlage:

 

* ÖSD Zertifikat Deutsch A2 betreffend den BF1

 

* Teilnahmebestätigungen des BF1 und der BF2 an einem Werte- und Orientierungskurs vom 09.12.2016

 

* Bestätigung des Kursbesuches des BF1 und der BF2 des Integrationskurses vom 01.12.2017

 

* Kursbesuchsbestätigung eines Deutschkurses A1 betreffend die BF2

 

* Anmeldebestätigung der "XXXX" betreffend die BF2

 

* Teilnahmebestätigung des Kurses "XXXX" betreffend den BF1

 

* Bestätigung der Marktgemeinde Hof am Leithagebirge betreffend das Erbringen von gemeinnützigen Leistungen durch den BF1

 

* Bestätigungen bezüglich der Teilnahme an einem XXXX betreffend den BF1 und die BF2

 

* Diverse private Empfehlungsschreiben

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom, der Erstbefragung des BF1 und der BF2 vor der Landespolizeidirektion XXXX, der Einvernahmen des BF1 und der BF2 am 30.05.2017 vor dem BFA, der für die Beschwerdeführer eingebrachte Beschwerde vom 10.07.2017 gegen die angefochtenen Bescheide des BFA vom 23.06.2017, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte und den von den Beschwerdeführern vorgelegten Urkunden sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.12.2017 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

 

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Der BF1 und die BF2 wurden in Afghanistan in der Provinz XXXX geboren, beide sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen, in Österreich nachgeborenen BF3. Der BF1 und die BF2 heirateten im Jahr XXXX und zogen im Jahr 2014 in den Iran, wo sie bis zu ihrer Ausreise nach Europa gelebt haben. BF1 und BF2 haben am XXXX in XXXX standesamtlich geheiratet.

 

Der BF1 hat keine Schulbildung und hat in Afghanistan als Landwirt gearbeitet und im Iran eine Schneiderlehre absolviert. Die BF2 verfügt über keine Schulausbildung und hat im Iran Schals und Kopftücher genäht und diese verkauft. Darüber hinaus war die BF2 nicht berufstätig. Der BF1 verfügt weder in Afghanistan noch im Iran über Angehörige. Die Eltern der BF2 sowie ein Onkel mütterlicherseits leben noch in Afghanistan. Die BF2 steht mit diesen Angehörigen jedoch nicht in Kontakt.

 

Die Beschwerdeführer verfügen im Bundesgebiet über keine Familienangehörigen. Der BF1 war Mitglied eines österreichischen XXXX- und XXXX in XXXX. Der BF1 hat seit Dezember 2016 für die Stadtgemeinde XXXX diverse gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet, z. B. Laubarbeiten im Sportzentrum, Straßenreinigung und die sonstige Reinigung von öffentlichen Flächen sowie Arbeiten in den städtischen Grünanlagen. Die Beschwerdeführer leiden nicht an lebensbedrohlichen Krankheiten. Der BF1 hat Deutschkurse auf dem Niveau A1 und A2 besucht, die BF2 hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

 

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffend die Furcht der Beschwerdeführer vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 seit ihrer Einreise nach Österreich im Jänner 2016 ein "westliches" Verhalten oder "westlichen" Lebensstil in einem Ausmaß angenommen hat, dass dadurch eine so intensive "westliche Orientierung" vorliegen würden, dass deren Aufgabe für sie entweder unmöglich wäre oder ihr einen unzumutbaren Leidensdruck auferlegen würde.

 

Den Beschwerdeführern steht eine zumutbare, innerstaatliche Schutz- bzw. Fluchtalternative in der Stadt Kabul zur Verfügung.

 

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat

 

Im Falle einer Verbringung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

 

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

 

1.4.1. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 25.09.2017 (Aktualisierung der Sicherheitslage -Q3.2107):

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

 

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

 

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle

 

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

 

[...]

 

1.4.2. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 22.06.2017 (Aktualisierung der Sicherheitslage -Q2.2107):

 

"[...]

 

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kundus, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

 

[...]

 

High-profile Angriffe:

 

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kundus (DW 31.5.2017).

 

Hauptstadt Kabul

 

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

 

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

 

[...]

 

1.4.3. Auszug aus der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 11.05.2017 (Aktualisierung der Sicherheitslage - Q1.2107):

 

[...]

 

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und XXXX; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kundus, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

 

[...]

 

1.4.4. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017:

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

Distrikt Kabul

 

 

Gewalt gegen Einzelpersonen

21

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

18

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

50

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

31

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

28

Andere Vorfälle

3

Insgesamt

151

  

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Provinz Kabul

 

 

Gewalt gegen Einzelpersonen

5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

89

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

30

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

36

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

161

  

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

[...]

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

[...]

 

XXXX

 

XXXX ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. XXXX liegt 145 km südlich von Kabul Stadt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan liegen im Norden, während die Provinzen Paktia, Paktika und Logar im Osten liegen; Zabul grenzt gemeinsam mit Uruzgan an den Westen der Provinz. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist sie die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.249.376 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 2016).

 

XXXX ist in folgende Distrikte unterteilt: Jaghuri, Malistan, Nawur, Ajiristan, Andar, Qarabagh, Giro, Muqur, Waghaz, Gelan, Ab Band, Nawa, Dih Yak, Rashidan, Zana Khan, Khugiani, Khwaja Omari, Jaghatu und XXXX City (Vertrauliche Quelle 15.9.2015). XXXX wird aufgrund ihrer strategischen Position, als Schlüsselprovinz gewertet - die Provinz verbindet durch die Autobahn, die Hauptstadt Kabul mit den bevölkerungsreichen südlichen und westlichen Provinzen (HoA 15.3.2016).

 

 

Gewalt gegen Einzelpersonen

39

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

952

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

140

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

155

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

4

Andere Vorfälle

2

Insgesamt

1.292

  

 

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz XXXX 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in XXXX festgehalten; gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Im Dezember 2016 verlautbarte der CEO Afghanistans den baldigen Beginn militärischer Spezialoperationen in den Provinzen XXXX und Zabul, um Sympathisanten des Islamischen Staates und Talibanaufständische zu vertreiben (Khaama Press 23.1.2017).

 

XXXX zählt zu den volatilen Provinzen in Südostafghanistan, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Operationen durchführen (Khaama Press 15.10.2016; Khaama Press 8.7.2016; vgl. auch: Truthdig 23.1.2017). Die Bevölkerung der Provinz kooperiere bereits mit den Sicherheitskräften. Ein Mitglied des Provinzrates verlautbarte, dass sich die Sicherheitslage verbessern könnte, wenn die Polizei mit notwendiger Ausrüstung versorgt werden würde (Pajhwok 8.1.2017). Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA 2016 keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in XXXX. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet; dies wird als Abschreckung gewertet (UNMA 6.2.2017).

 

In der Provinz werden regelmäßig Militäroperationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 15.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 8.1.2017; Tolonews 26.12.2016; Pajhwok 21.11.2016; Afghanistan Times 25.8.2016; Afghanistan Times 21.8.2016), auch in Form von Luftangriffen (Pajhwok 18.6.2017; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 8.6.2016). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (Sputnik News 30.11.2016). Unter anderem wurden Taliban Kommandanten getötet (Khaama Press 9.1.2017; Sputnik News 26.12.2016; Khaama Press 17.10.2016; Afghanistan Spirit 18.7.2016; Pajhwok 18.6.2016; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 7.6.2016).

 

Im Februar 2017 bestätigte der afghanische Geheimdienst (NDS) den Tod eines hochrangigen al-Qaida Führers: Qari Saifullah Akhtar, war vom NDS in einer Razzia im Jänner 2017 getötet worden. Berichten zufolge, war Qari Saifullah Akhtar jahrzehntelang am Aufstand beteiligt; ihm werden direkte Verbindung zu Osama bin Laden und dem pakistanischen Geheimdienst nachgesagt (LWJ 19.2.2017; vgl. auch:

ATN News 19.2.2017).

 

Rückkehr

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017).

 

Afghanische Rückkehrer/innen, afghanische Flüchtlinge und nicht registrierte Afghan/innen

 

[...]

 

Iran

 

Seit 1. Jänner 2016 sind insgesamt 461.112 nicht-registrierte Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. In der zweiten Jännerwoche 2017 sind insgesamt 9.378 nicht registrierte Afghan/innennach Afghanistan durch Herat oder XXXX zurückgekehrt; von diesen sind 3.531 freiwillig und 5.847 im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt - 2% der nicht registrierten Afghan/innen, die in den Transitzentren in Herat oder XXXX ankamen, wurden von IOM unterstützt. Dazu zählten 101 UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge), denen IOM eine besondere Unterstützung zukommen ließ, inklusive medizinischer Behandlung, sichere Unterkünfte und die Suche nach Familienangehörigen (IOM 15.1.2017).

 

Ein UNHCR-Vertreter berichtete, dass afghanische Flüchtlinge in Gegenden zurückkehrten, in denen der Friede wieder hergestellt wurde. Dennoch sei es schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge eines Jahres zu verteilen, da der Iran afghanische Migrant/innen zurückschickt und Afghanistan eine Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (Pakistan Observer 2.1.2017). Die IOM-Transitzentren in Grenznähe bieten elementare Unterkünfte, Schutz für unbegleitete Minderjährige, Haushaltsgegenstände (Töpfe und Pfannen), sowie Transportmöglichkeiten für Familien, um sich in ihren Wunschgebieten ansiedeln zu können (DAWN 12.1.2017).

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsenden Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen, Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt - um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkindern aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen - insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

1.4.5. Auszug aus dem Gutachten von XXXX vom 05.03.2017 (Aktualisierung vom 15.05.2017):

 

Zusammenfassend wird festgestellt, dass sich aus den Fragen I bis VIII keine Gründe ergeben, welche die Rückkehr nach Afghanistan von männlichen Einzelpersonen unmöglich machen, ein besonderes Erschwernis darstellen oder eine Gefährdung der Rückkehrer bedeuten würden. Die Rückreise nach Kabul und Mazar-e Sharif aus Europa ist direkt möglich (über Dubai oder Istanbul) sowie nach Herat über Kabul. Tickets kosten zwischen 380 bis 500€.

 

Der Drang der afghanischen Flüchtlinge nach Europa war und ist sehr stark beeinflusst von den falschen Vorstellungen und Erwartung der Flüchtlinge sowie den geschäftigen Versprechungen der Schlepper. Aber ebenso ist die Erwartung in Europa über Afghanistan durch falsche, einseitige Berichterstattung der Medien bzw. einen Teil der Meinungsmacher und Unkenntnis geprägt. Kabul hat ähnlich Probleme wie jede schnellwachsende Mega City eines Entwicklungslandes. Herat und Mazar-e Sharif sind zwei aufstrebende, unter den gegebenen Umständen, gut verwaltete Städte.

 

Der Integrationserfolg eines Rückkehrers in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat hängt ausschließlich vom Willen des Rückkehrers ab. Eine Rückkehrberatung und Hilfe bei der Ankunft in der Zielstadt würden die Integration beschleunigen. Je länger der Rückkehrer in Europa war, desto schwieriger die Integration in Afghanistan.

 

[...]

 

I.a) Wie stellt sich die allgemeine Versorgungslage in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat dar (etwa: Möglichkeit der Beschaffung von Wohnraum und Lebensmittel, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur dar)?

 

Die allgemeine Versorgungslage und allgemeine Infrastruktur ist in Summe als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden, und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage.

 

b) Gibt es diesbezüglich merkbare Unterschiede zwischen den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat?

 

Zwischen den Städten Kabul, Mazar e Sharif und Herat gibt es keine wesentlichen Unterschiede. Durch die geringere Bevölkerung in Herat und Mazar-e Sharif ist die Infrastruktur in weiten Teilen etwas besser als in Kabul.

 

II. Wie stellen sich die Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrer ohne soziale/familiäre Anknüpfungspunkte in diesen Städte, differenziert anhand folgender Kriterien, dar?

 

a) erwerbsfähige Rückkehrer ohne relevante Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

b) erwerbsfähige Rückkehrer mit grundlegender Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

c) erwerbsfähige Rückkehrer mit fundierter Schul- und/ oder Berufsausbildung

 

Eine differenzierte Beantwortung von a) bis c) ist nicht möglich und hat keine Auswirkung auf die Möglichkeiten. Die Verdienstmöglichkeiten für männliche Rückkehrer ohne soziale/familiäre Anknüpfungspunkte sind ohne Einschränkung in den Punkten a) bis c) gegeben.

 

d) Fragestellung a) bis c), wenn bereits Arbeitserfahrung (in oder außerhalb Afghanistans) gesammelt wurde (etwa: Landwirtschaft, handwerkliche Tätigkeit, Fabrikarbeit, Verkaufstätigkeit, Gelegenheitsarbeit)?

 

Arbeitserfahrung ist auch in Afghanistan von Vorteil (für Auslandserfahrung ist anzumerken, dass Berufsbilder nicht immer nach Afghanistan übertragen werden können).

 

e) Besteht die Möglichkeit der Verrichtung allenfalls minderqualifizierter Tätigkeit auch für jene Rückkehrer, die über keine hinreichende Schul- und/oder Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung verfügen?

 

In der Regel wird kein Unterschied gemacht, ob es sich um einen Rückkehrer handelt oder nicht, solange der Rückkehrer bereit ist, unter afghanischen Bedingungen zu arbeiten, dies gilt auch für Rückkehrer ohne entsprechender schulischen oder beruflichen Qualifikation. Die Verrichtung allenfalls minderqualifizierter Tätigkeit ist auch für Rückkehrer, die über keine hinreichende Schul- und/oder Berufsausbildung oder Arbeitserfahrung verfügen, uneingeschränkt möglich.

 

III.a) Wie hoch sind die Lebenshaltungskosten in den Großstädten für die Sicherung existenzieller Bedürfnisse (Nahrung, Behausung)?

 

Hiezu gibt es keine zeitnahen, offiziellen Statistiken, auf Grund der langjährigen Erfahrung des SV im Nahrungsbereich in Afghanistan erscheint das Ergebnis der Befragung realistisch.

 

Die Frage nach den Kosten/Monat in US $ wurde wie folgt beantwortet:

 

Kabul Herat Mazar-e Sharif

 

 

 

 

b) ist die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit (differenziert nach den Gruppen II.a) bis c)) realistisch?

 

Die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit ist in den Gruppen II.a) bis c) als realistisch anzusehen. Für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung gibt es Arbeitsmöglichkeiten. Der Rückkehrer wird allerdings eine Zeit von 3 bis 6 Monate benötigen, um sich zu orientieren und Arbeit zu finden.

 

IV. Gibt es Belege für

 

a) andauernde schwerste körperliche Beeinträchtigung oder

 

b) Todesfälle

 

von an sich erwerbsfähigen und gesunden Rückkehrern (etwa durch: Hungersnöte, Obdachlosigkeit bei Kälte) aufgrund nur mangelnder Deckung der grundlegenden Existenzbedürfnisse?

 

Wenn ja: Handelt es sich dabei um Ausnahmefälle bzw. sind nähere Umstände hiezu eruierbar?

 

Wenn nein: ist eruierbar, wodurch a) und b) vermieden werden konnten?

 

Zu dieser Frage wurden hinsichtlich der Rückkehrer aus Europa keine Anhaltspunkte gefunden, weder positive noch negative. Eine Ursache, warum keine Beispiele gefunden werden konnten, dürfte im Umstand liegen, dass es noch nicht so viele Rückkehrer aus Europa gibt und das familiäre Netzwerk besser funktioniert als in Europa dargestellt.

 

Betrachtet man den Befund der Fragen I bis VIII, gibt es auch keinen Grund, warum solche Ereignisse in einer der drei Städte auftreten sollten.

 

[...]

 

V.c) Bestehen funktionierende Unterstützungsmöglichkeiten für Rückkehrer durch Familienangehörige, die sich in anderen Teilen Afghanistans aufhalten (etwa: Bankverbindungen, Übermittlung von Sachleistungen/Geld, Hawala)?

 

Der Familienzusammenhalt in Afghanistan ist noch sehr stark, und daher gibt es immer Unterstützung für die Rückkehrer. Geldzuwendungen sind unwahrscheinlich, Sachleistungen herrschen vor. Übermittlung von Sachleistungen innerhalb von Afghanistan ist problemlos möglich.

 

[...]

 

V.d) Erscheint es realistisch, auch von Verwandten Unterstützung zu bekommen, zu denen seit langem oder bisher noch gar kein Kontakt bestand?

 

Grundsätzlich möglich, allerdings im Bereich der Sachleistungen wie Unterkunft, Essen und nur für eine beschränkten Zeitraum. Festgestellt konnte in diesen Zusammenhang in Gesprächen werden, das der Kontakt zwischen Familienmitgliedern und Verwanden nie abreißt. Mit großer Überzeugung konnten in Afghanistan verbleibente Familien immer erklären wo deren Verwandte und Familienmitglieder in Ausland gerade sind, welchen Status im Asylverfahren diese gerade haben etc. Viele Afghanen sind mit ihren sich im Ausland aufhaltenden Familienmitgliedern und Verwandten im permanenten Kontakt.

 

VI. a) Inwiefern unterscheidet sich die Lebenssituation aus dem Ausland zurückkehrender Afghanen von der in Kabul ansässigen Bevölkerung?

 

Nach einer kurzen Orientierungsphase (2 bis 4 Wochen) gibt es keinen erkennbaren Unterschied zwischen der Lebenssituation der Rückkehrer und der in Kabul ansässigen Bevölkerung. Selbiges ist auch für Mazar-e Sharif und Herat feststellbar.

 

b) Verunmöglicht die Unkenntnis der örtlichen/infrastrukturellen Gegebenheiten (etwa Rückkehrer, die sich noch nie zuvor in afghanischen Großstädten aufgehalten haben; lange Abwesenheit aus Afghanistan) eine Existenzsicherung?

 

Die Integration von Rückkehrern, die noch nie in einer afghanischen Großstadt gelebt hatten, behindert die Existenzsicherung nicht. Nach einer 2 bis 4 wöchigen Orientierungsphasen kennen die Rückkehrer die Situation in der jeweiligen Stadt.

 

VII. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Rückkehrsituation je nach Zugehörigkeit zu bestimmten Volksgruppen (Paschtunen/Hazara/Tadschiken/Usbeken/Aimaken/Turkmenen/Belutschen) variiert bzw. die Existenzsicherung für Angehörige einer bestimmten Volksgruppe ungleich schwieriger ist?

 

Abgesehen von dem Bestreben der Minister, im öffentlichen Bereich in ihren Ministerien und politischen Einflussbereich, jeweils bevorzugt Angehörige der eigenen Ethnie einzustellen, gibt es keine Benachteiligungen einer bestimmten Ethnie. [...]

 

Strafverfolgung und Unterstützung

 

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9 .2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9 .2016; vgl. USDOS 13.4.2016).

 

[...]

 

1.4.6. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017:

 

[...]

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

[...]

 

Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

 

[...]

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, XXXX, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9 .2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9 .2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9 .2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

 

[...]

 

Frauen

 

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

 

Bildung

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

 

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

 

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

 

[...]

 

Berufstätigkeit

 

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

 

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

 

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9 .2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9 .2016).

 

Ehrenmorde

 

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

 

Legales Heiratsalter:

 

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9 .2016).

 

Frauenhäuser

 

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9 .2016).

 

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

 

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

 

[...]

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

[...]

 

Kinder

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9 .2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9 .2016).

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016).

 

[...]

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

 

2.2. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Nationalität, Volksgruppe, Herkunft und Familienverhältnissen der Beschwerdeführer gründen auf deren insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, sowie in deren Beschwerden und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gemachten Angaben. Die Beschwerdeführer haben im Verfahren keine unbedenklichen Dokumente zu deren Identität vorgelegt, weshalb die Feststellungen ausschließlich für die Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren gelten.

 

2.3. Die Feststellung zur unrechtmäßigen Einreise nach Österreich stützt sich auf die Tatsache, dass die Beschwerdeführer in Umgehung der für die Einreise geregelten Vorschriften - ohne die erforderlichen Dokumente - spätestens am 15.01.2016 nach Österreich eingereist sind.

 

2.4. Primär ist festzuhalten, dass das BFA ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Den Beschwerdeführern wurde ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, ihre persönlichen Fluchtgründe in Bezug auf ihren Herkunftsstaat geltend zu machen und es kann daher nicht der belangten Behörde angelastet werden, wenn die Beschwerdeführer davon nicht mit Erfolg Gebrauch gemacht haben.

 

2.5. Zu den Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:

 

2.5.1. Soweit die Beschwerdeführer erstinstanzlich, sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht als Gründe für die Ausreise aus dem Iran ins Treffen geführt haben, dass sie sich - mangels Aufenthaltsdokumenten - illegal im Iran aufgehalten hätten und zudem in ständiger Angst gelebt haben nach Afghanistan abgeschoben zu werden, so waren diese Angaben - auch vor dem Hintergrund des notorischen Amtswissens zur Lage im Iran - schlüssig und plausibel.

 

2.5.2. Mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Parteien zur Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat Afghanistan vermochten die Beschwerdeführer eine asylrelevante Bedrohung nicht darzutun:

 

Die von Beschwerdeseite vorgebrachte Gefährdungslage des BF1 und der BF2 beruht auf der Behauptung, dass der BF1 einem ihm persönlich nicht bekannten Anrufer, namens XXXX, die Nutzung seines Kuhstall telephonisch verweigert habe und dann von diesem einen Drohbrief erhielt. Am Tage des Drohbriefes sei dann der Großvater von Unbekannten getötet und das Haus niedergebrannt worden. Die Beschwerdeführer würden daher eine weitere Bedrohung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan befürchten.

 

2.5.2.1. Zunächst gilt es festzuhalten, dass weder der BF1 noch die BF2 bei der Frage nach ihren Fluchtgründen im Rahmen der Erstbefragung von den erst in der späteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ins Treffen geführten Umständen hinsichtlich der Drohungen und der Ermordung des Großvaters auch nur ansatzweise berichtet haben. So gab etwa der BF1 anlässlich seiner Erstbefragung auf Nachfrage, weswegen er aus Afghanistan geflüchtet sei, nur allgemein an, dass er Bauer gewesen wäre und in seiner Gegend Hazara bzw. Schiiten verfolgt und getötet würden (Seite 23). Die BF2 wiederum brachte im Rahmen ihrer Erstbefragung in Bezug auf die auf Afghanistan bezogenen Fluchtgründe lediglich vor, dass sie zu Hause wegen ihrer Rasse und Religion durch die Taliban und den IS verfolgt würden (Aktenseite 17).

 

Befragt vom erkennenden Gericht, warum der BF1 erstmalig vor dem BFA seinen nunmehrigen, gegenständlichen Fluchtgrund vertreten habe, meinte er auf Seite 12 des hg Protokolls: "Die Reise vom Iran nach Österreich dauerte vierzehn oder fünfzehn Tage. Ich hatte vierzehn Tage lang nicht geschlafen. Wir hatten bei der Erstbefragung einen iranischen Dolmetscher. Dieser Dolmetscher sagte mir, ich solle meine Fluchtgründe nicht angeben, lediglich mich vorstellen und über die Reiseroute zu berichten sowie sollte ich erzählen, wie viel Geld ich ausgegeben hätte". Die BF2 antwortete auf die gleiche Frage des erkennenden Gericht auf Seite 25 des hg Protokolls: "Bei der ersten Einvernahme hatten wir einen iranischen Dolmetscher. Er sagte, wir sollen uns kurz fassen und uns beeilen. Bei der nächsten Einvernahme sollen wir dann alles genau erwähnen, deshalb haben wir nur das mit den Taliban erwähnt"

 

Grundsätzlich hält das erkennende Gericht den Beschwerdeführern zu Gute, dass eine Ersteinvernahme in einem fremden Land eine für jeden Asylwerber außergewöhnliche Situation ist. Eine gewisse, anfängliche Verlegenheit in der Erzählung persönlicher Erlebnisse ist daher im Allgemeinen verständlich, vor allem wenn es sich - so wie im vorliegenden Fall von Beschwerdeseite behauptet - um traumatische Erlebnisse handelt. Ebenso ist klar, dass im Rahmen einer Ersteinvernahme in keine allzu große Detailtiefe bei der Schilderung des eigentlichen Fluchtgrundes vorgestoßen werden kann. Trotzdem trifft auch den Schutzsuchenden im Asylverfahren eine Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, über welche die Beschwerdeführer im Rahmen der Ersteinvernahme nachweislich aufgeklärt worden sind. Das von den Beschwerdeführern im Rahmen der Ersteinvernahme erfolgte Weglassen wesentlicher Aspekte des gegenständlichen Fluchtgrundes steht dieser Mitwirkungspflicht klar entgegen. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts kann es einem erwachsenen Menschen durchaus zugemutet werden, bei den Behörden jenes Landes, von dem er sich Schutz und Hilfe vor behaupteter Verfolgung und Tod erwartet, möglichst zeitnahe zum Antrag auf internationalen Schutz zumindest ansatzweise Angaben zu den eigentlichen Gründen der behaupteten, gegenständlichen Verfolgung im Heimatland zu machen, und sei es um nicht Gefahr zu laufen sich des Vorwurfes einer möglichen Steigerung des Fluchtvorbringens im weiteren Verfahren auszusetzen. Das o.a. Vorbringen des BF1, bei der Ersteinvernahme angehalten worden zu sein keine Angaben zu den Fluchtgründen zu machen, ist für das erkennende Gericht insofern nicht plausibel, als die BF2 auch in der Kürze ihrer ersteinvernahmlichen Angaben auf die von ihr empfundene prekäre Situation der Frau in Afghanistan sehr wohl einzugehen vermochte, jedoch nichts zu der vor dem BFA behaupteten individuellen Bedrohungssituation für ihre Familie vorzubringen im Stande war.

 

Es geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

 

2.5.2.2. Weiters wird festgehalten, dass die im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.12.2017 erfolgten beschwerdeseitigen Vorbringen in nicht unwesentlichen Aspekten von den Schilderungen der Beschwerdeführer zu den Fluchtgründen vor dem BFA vom 30.05.2017 abgewichen sind bzw. in sich selbst unstimmig oder lebensfern sind:

 

So enthielten etwa die beschwerdeseitigen Angaben zum Erhalt des sogenannten Drohbriefes zahlreiche Ungereimtheiten, da etwa der BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung angab, er glaube, dass der Brief durch den Türschlitz in das Haus geschoben worden sei (VH-Prot., Seite 14), wohingegen die BF2 erstinstanzlich angegeben hatte, dass man den Brief "in den Hof geworfen" habe (Aktenseite 101 des Verwaltungsaktes zur Zl. 2164399), sie weiters in der Beschwerdeverhandlung zunächst erklärte, dass man den Brief "hinter der Türe" hinterlegt habe, um dann schließlich zu anzugeben, dass man den Brief "unterhalb des Tors in den Garten" geschoben habe (VH-Prot., Seite 23 u. 24). Selbst wenn man den Beschwerdeführern zu Gute hält, dass dieser behauptete Drohbrief, wie beschwerdeseitig dargelegt, eigentlich vom Großvater des BF1 entdeckt worden sei und somit nur dieser wirklich Kenntnis vom genauen Fundort des Briefes haben könnte, so ist es für das erkennende Gericht unerklärlich, warum beide Beschwerdeführer sich wiederholt und selbst auf hg. Nachfrage auf die verschiedenen Fundortangaben festlegten und somit ihre dbzgl. Darlegungen mit dem Verdacht einer konstruierten Geschichte belasten.

 

Bezugnehmend auf den behaupteten Überfall auf den Großvater des BF1 und das Familienhaus gab der BF1 vor den BFA am 30.05.2017 Folgendes auf Seite 7 des Einvernahmeprotokolls an: "[...] Er fragte mich wo ich sei und das er mir eine traurige Nachricht überbringen muss. Es sind 4 vermummte Männer auf 2 Motorrädern aufgetaucht und haben meinen Großvater aus den Haus gezerrt und mit zwei Kugel getötet. [...]". Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.12.2017 gab er auf Seite 10 des Verhandlungsprotokolls Folgendes zum fluchtauslösenden Überfall an: "[...] Er fragte mich, wo ich bin. Ich sagte ihm, dass ich in XXXX bin, da ich bei Freunden meines Vaters gewesen bin. Ich fragte ihn, warum er mich anruft. Er erzählte mir, dass zwei Personen mit verhüllten Gesichtern auf Motorräder in unser Haus eingedrungen sind. Sie hätten meinen Großvater aus dem Haus gezerrt und ihn erschossen. Unser Haus hätten sie in Brand gesetzt. [...]". Auch wenn der BF1 nach eigenen Angaben bei diesem behaupteten Überfall selbst nicht zugegen gewesen war, so sind ihm die Einzelheiten der behaupteten Ermordung seines Großvaters - bis hin zu Anzahl der gefallenen Schüssen und der verwendeten Transportmittel der Angreifer - sehr zeitnahe zum Geschehen und in hinreichender Detailtiefe berichtet worden. Es ist daher unplausibel, dass der BF1 diese Schilderungen über die Tötung seines letzten Anverwandten nicht genau behalten hätte, hätte sich die fluchtauslösende Attacke auch so zugetragen und wäre diese ihm in der behaupteten Art geschildert worden. Wenn sich der BF1 also gerade hinsichtlich der ihm berichteten Anzahl der Angreifer, deren weiteren Zorn er im Falle seiner Rückkehr zu fürchten behauptet, derart selbst widerspricht, so ist er in seiner Darstellung des fluchtauslösenden Geschehens unglaubhaft.

 

Wenn die Beschwerdeseite im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Seite 11 und 27 des Verhandlungsprotokolls) darüber hinaus wiederholt, dass die Übergabe des sogenannten Drohbriefes und der behauptete Überfall, welcher mit dem Tod des Großvaters des BF1 und der Brandschatzung des Familienhauses geendet habe, am selben Tag geschehen sein soll, ist nach Ansicht des BVwG der belangten Behörde in ihrer Einschätzung recht zu geben, dass dieser Erzählablauf außerhalb der gängigen Lebenswirklichkeit zu werten ist. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass ein Drohbrief ein Druckmittel darstellt, welches dazu dienen soll vom Empfänger des Briefes ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu erwirken. Zudem wird in der Regel eine bestimmte Frist gesetzt, innerhalb derer der Briefempfänger den Wünschen des Bedrohers nachzukommen hat. Es ist daher objektiv betrachtet nicht nachvollziehbar und somit nicht plausibel, dass ein Verfasser eines Drohbriefes - quasi zeitgleich mit der Übermittlung der Nachricht - die darin geäußerte Drohung umgehend wahrmacht, da er sich damit selbst seines eigenen Druckmittels berauben würde, mittels Bedrohungsszenario das gewünschte Verhalten des Bedrohten zu erreichen.

 

Befragt nach dem Aussehen des behaupteten Drohbriefes hat der BF1 in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage auf Seite 14 des Protokolls erklärt, dass sich auf dem Kuvert des Briefs ein Stempel befunden habe. Vor dem BFA am 30.05.2017 hatte der BF1 noch auf Seite 8 des Protokolls das Kuvert des Briefes, wie folgt, beschrieben: "Es war ein weißes Kuvert, ich weiß nicht was da drinnen stand. Nachgefragt:

Auf dem Kuvert war nichts". Wenn man bedenkt, dass die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf Seite 87 dem BF1 eine mangelnde Detailtiefe in der Beschreibung gängiger Merkmale des Drohbriefes - wie z.B. Stempel - zur Last gelegt hat, ("[...]Sie konnten selbst auf behördliche Nachfrage keinerlei Details zu diesem Brief angeben, wie Erhalt, Aussehen, etc. Auch als Sie aufgefordert wurden das Aussehen des Briefes im Detail zu beschreiben, haben sie dies nicht einmal ansatzweise können, [...]. Sie haben in keinster Weise gängige Merkmale solcher Drohbriefe, wie z. B. Stempel, Logos, Briefkopf, Unterschriften, etc, erwähnt. [...]"), so hat der BF1 mit seiner nunmehrigen Aussage über einen vermeintlichen Stempel am Kuvert des Drohbriefes seiner erstinstanzlichen Erzählung eine weitere Erzählfacette hinzugefügt, wohl in der Hoffnung damit seiner bisherigen - wenig aussagekräftigen - Beschreibung des Drohbriefes mehr Glaubhaftigkeit zu verleihen.

 

Die BF2, welche den vermeintlichen Drohbrief vom Großvater des BF1 übernommen habe und - ohne diesen zu öffnen - trotzdem sofort davon ausgegangen sei, dass es sich um einen Drohbrief des Anrufers (siehe Seite 7 des Einvernahmeprotokolls vor dem BFA) handeln würde, brachte diesen zu ihrem Mann auf dem Feld, ohne ihn sich jedoch offenbar genau angesehen zu haben, da sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf Seite 25 des Verhandlungsprotokoll auf die Frage, ob auf dem Kuvert irgendetwas drauf stand, zuerst meinte: "Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich habe den Brief auch nicht herausgenommen". Auf wiederholte Nachfrage meinte Sie: "Es war nur ein Stempel". Auf Nachfrage, was es für ein Stempel gewesen sei, meinte Sie: "Ich weiss es nicht" um schließlich anzugeben: "[...] Ich habe den Stempel nicht selbst gesehen. Mein Mann sagte mir, dass das Kuvert abgestempelt war. Das weiß ich nur von den Erzählungen von XXXX". Mit der nunmehrigen erzählerischen Ausschmückung in der Beschreibung des behaupteten Drohbriefes war für die Beschwerdeseite jedoch nichts zu gewinnen, inbesondere da diese zwischen den Beschwerdeführern offenbar nicht hinreichend abgestimmt zu sein scheint und einen klaren Widerspruch zu den diesbezüglichen erstinstanzlichen Aussagen des BF1 aufzeigt.

 

Auch gilt es festzuhalten, dass die Ausführungen des BF1 auf Seite 14ff des Verhandlungsprotokolls, wonach dieser kein Wissen über den Verbleib des Leichnams seines Großvaters habe und das Land verlassen habe, ohne den Großvater beerdigt oder für dessen Bestattung auch nur im Entferntesten gesorgt zu haben, nach Ansicht des erkennenden Gericht fern der in Afghanistan herrschenden Lebensrealität sind. In einem derartig traditionsverhafteten Land - wie Afghanistan -, wo feinstrukturierte Familiengefüge und religiöse Moralvorstellungen und Rituale einen derart hohen Stellenwert haben, dass Vergehen dagegen zu Ehrverlust und in weiterer Folge zu Verfolgung und Tod führen, ist es unplausibel, dass im Falle des Ablebens eines Familienmitgliedes, vor allem wenn es sich -wie in casu - um den letzten vorhandenen Verwandten gehandelt haben soll, für dessen Beerdigung keine entsprechende Vorkehrungen getroffen worden seien bzw. der BF1 sich persönlich um diese Angelegenheit nicht gekümmert haben soll. Die Gebete, die rituelle Waschung des Leichnams und die Grablegung sind im ihrem Ablauf im Islam genau festgeschrieben. Es ist daher unglaubwürdig, dass ein Muslim bei einem nahen Verwandten, - selbst bei behaupteter Angst vor Verfolgung - diese Pflichten vernachlässigen würde.

 

In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der realitätsfernen Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft Es ist den Beschwerdeführern somit nicht gelungen ist, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

 

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass selbst bei einer hypothetischen Wahrunterstellung der behaupteten Fluchtgeschichte eine konkrete Bedrohung der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Flucht nach Österreich nicht mehr gegeben war, da letztlich ihren eigenen Angaben zu entnehmen ist, dass sich diese der behaupteten Bedrohung durch ihren Umzug in den Iran erfolgreich entziehen konnten. Es gelang den Beschwerdeführern im Iran 1,5 Jahre unbehelligt von den behaupteten Bedrohern in Afghanistan zu leben und sich dort eine Lebensgrundlage zu schaffen.

 

2.5.3. Unabhängig von der Glaubhaftigkeitsbeurteilung des Vorbringens, könnten die Beschwerdeführer vor einer Bedrohung der behaupteten Art durch eine Niederlassung in Kabul Sicherheit erlangen:

 

Aus den Länderberichten ergibt sich, dass es in Afghanistan grundsätzlich eine gesetzlich gewährleistete interne Bewegungsfreiheit gibt, die die Regierung jedoch gelegentlich aus Sicherheitsgründen einschränken kann. Es kann daher örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungshandlungen durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Weiters gibt es keine staatliche Meldepflicht in Afghanistan. Die Beschwerdeführer würden daher die Möglichkeit haben, vor einer behaupteten Verfolgung durch die Niederlassung in einem Landesteil ihres Heimatlandes außerhalb ihrer Herkunftsregion Sicherheit zu finden. Dies erscheint für die Beschwerdeführer zumutbar. Der BF1 hat Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft sowie eine Schneiderlehre absolviert, die BF2 hat ebenso im kleinen Rahmen als Schneiderin gearbeitet. Es wäre den Beschwerdeführern daher möglich und zumutbar, ihren Lebensunterhalt sowie den ihres Kindes durch etwaige Gelegenheitsjobs zu erwirtschaften. Die Beschwerdeführer konnten sich - nach eigenen Angaben - nach ihrer Ausreise aus Afghanistan im Iran eine funktionierende Existenzgrundlage schaffen, lernten Lesen und der BF1 ging einer Lehrausbildung als Schneider nach, welche es ihm ermöglichte Geld zu verdienen und die Familie zu versorgen. Die BF2 besorgte von zu Hause aus Näharbeiten. Dies alles war den Beschwerdeführern möglich, auch wenn sie unter der im Iran gegebenen Situation litten, dass deren Aufenthalt illegal war und ihnen jederzeit eine Abschiebung drohen könnte.

 

Es ist dem erkennenden Gericht also nicht nachvollziehbar, warum es den Beschwerdeführern nicht möglich und zumutbar sein soll sich im eigenen Heimatland, wo sie mit der Kultur, den Sitten und Gebräuchen und der Sprache vertraut sind und sich im Rahmen einer Großstadt rasch an die örtlichen Gegebenheiten anpassen können, ebenfalls eine Lebensgrundlage binnen kurzer Zeit für sich schaffen zu können. Vor allem, da die Beschwerdeführer durch ihren legalen Aufenthalt in ihrem Herkunfststaat nicht diesem bisher zusätzlichen Druck der Illegalität ausgesetzt wären, wie es in der Zeit im Iran der Fall gewesen ist.

 

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts sind die im Gutachten von XXXX enthaltenen Aussagen, wie etwa über die allgemeine Versorgungslage in Kabul, die Lebenserhaltungskosten, die Lebenssituation für aus dem Ausland zurückkehrender Afghanen im Vergleich zu der in Kabul ansässigen Bevölkerung, etc., von allgemeiner Natur und lassen sich daher sowohl für einzelne Rückkehrer als auch für rückkehrende Familien gleichermaßen heranziehen lassen. Da die Beschwerdeführer den Großteil ihres Lebens in Afghanistan verbracht haben, wo sowohl der BF1 als auch die BF2 (diese von zu Hause aus) berufstätig waren, sie letztlich nur 1,5 Jahre im Iran gelebt haben, unterscheidet sie das nicht wesentlich von anderen zurückkehrenden (Einzel‑)Personen, welche sich ebenfalls auf Arbeitssuche begeben müssen. Aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführer im Familienverband nach Kabul zurückkehren und schon dadurch wechselseitig einen familiären Rückhalt haben werden, wird die Familie aber eine ungleich besser sozial abgesicherte Ausgangsposition in Kabul haben, als rückkehrende Einzelpersonen, welche weder über Schulbildung, noch über Berufserfahrungen, noch über ein familiäres Netz vor Ort verfügen.

 

2.6. Zum Vorliegen eines Nachfluchtgrundes einer westlichen Orientierung:

 

Die Feststellungen zum Lebensumfeld der BF2 in Österreich ergeben sich aus den im Akt einliegenden Bestätigungen und sonstigen im Rahmen der Verhandlung vorgelegten und dem Akt angeschlossenen Unterlagen, sowie aus den Angaben der BF2 in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zu den mangelnden Deutschkenntnissen der BF2 beruht zudem auf dem einer innerhalb der Beschwerdeverhandlung vorgenommenen Versuch einer Unterhaltung in deutscher Sprache.

 

Die BF2 gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.12.2017 an, in Österreich einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht zu haben, die Prüfung jedoch nicht abgelegt zu haben, da sie kurz vor der Entbindung gestanden wäre. Weiters habe sie den Deutschkurs auf dem Niveau A2 zur Hälfte besucht, dies jedoch auch, ohne eine Prüfung abgelegt zu haben. Die BF2 gab in der Beschwerdeverhandlung an, in Österreich als Kindergärtnerin oder als Friseurin arbeiten zu können. Sie konnte auf Nachfrage zwar darlegen, bereits Erkundigungen über Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten in Österreich in Bezug auf die gewünschten Berufsfelder eingeholt zu haben, traf jedoch bislang offenbar noch keine Entscheidung, welchen beruflichen Weg sie nun konkret tatsächlich einschlagen möchte. Nicht nur bei der für das erkennende Gericht nicht sehr greifbaren, bisherigen inhaltlichen Auseinandersetzung der BF2 mit deren konkreten Jobvorstellungen, sondern auch bei dem mäßigen Erfolg in der Aneignung von Deutschkenntnissen konnte die BF2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht überzeugen.

 

Bei der mit der BF2 durchgeführten Befragung in deutscher Sprache war diese kaum in der Lage, selbst eine auf leichtem Sprachniveau geführte Unterhaltung zu führen. Insgesamt zeigte die BF2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine Sprachfertigkeit, welche in hinreichender und somit dem erkennenden Gericht wahrnehmbarer Art und Weise für den klaren Willen sprechen würde, in absehbarer Zeit in eine zielgerichtete Ausbildungs- und Schulungsphase eintreten zu wollen, einen Wille also, welcher ein erkennbares Zeugnis für eine selbstbestimmte, verwestlichte Lebensorientierung wäre.

 

Gerade bei jungen Menschen, wie bei der BF2, geht bekanntermaßen das Erlernen einer fremden Sprache leichter von der Hand, vor allem wenn man die Chance hat, von Muttersprachlern Vorort zu lernen. Aber auch bei Erwachsenen ist der regelmäßige Austausch mit Muttersprachlern eine gute Möglichkeit, Gelerntes gezielt in der Praxis anzuwenden und in greifbare Lernerfolge umzusetzen. Diese Chance war und ist für BF2 gegeben. Umso unerklärlicher erscheint es dem BVwG daher, dass die BF2, welche eigenen Angaben zufolge Kontakte mit deutschsprechenden Österreichern pflegt, diese Option zu einem vertiefenden Umgang mit der deutschen Sprache nicht oder in nicht hinreichendem Maße genützt hat. Es wird durchaus nicht verkannt, dass der Besuch von Kursen oder das Ablegen von Prüfungen mit einem Säugling auf erhöhte Schwierigkeiten stoßen mag, so ist es aber der BF2 nach Angaben des BF1 (auf Seite 18 des Verhandlungsprotokolls) dennoch auch in der jetzigen Familiensituation möglich ihre Sozialkontakte zu pflegen, während der Mann auf das Kind auspasste. Dass die BF2 diese Bereitwilligkeit ihres Mannes, das Kind zu hüten, nicht ebenso für ihre sprachliche Fortbildung hinreichend nutzte, ist ein Umstand, welcher für eine gewisse innerliche Lauheit der BF2 hinsichtlich ihrer Weiterbildungschancen, ihres persönlichen Weiterkommens und ihres Willens nach weiterer Integration spricht und steht nach Ansicht des BVwG einem erkennbaren Wunsch auf einen selbstbestimmten, ausbildungsorientierten und westlich geprägten Lebensstil entgegen. Dass eine "westliche Orientierung" bei der BF2 nicht feststellbar war, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass diese eigenen Angaben zufolge kaum ein Mitspracherecht in der Familie hat, über zentrale - die gesamte Familie betreffenden - Themen wie etwa die Ausreisekosten ebenso wenig Angaben zu erstatten wusste wie etwa über die Vermögensverhältnisse der Familie.

 

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beschwerdeführer erst seit Jänner 2016, also noch gerade zwei Jahre, in Österreich aufhalten (zur Berücksichtigung einer erst kurzen Aufenthaltsdauer siehe etwa AsylGH 15.02.2013, C1 422494-1/2011) und die Befragung vor dem Bundesverwaltungsgericht bereits am 11.12.2017 erfolgte. Diese sehr kurze Aufenthaltsdauer in Österreich (bzw. im "westlichen" Europa) fand demgemäß ihren Niederschlag im Auftreten (samt Auskünften) der BF2 in der mündlichen Verhandlung. Der Gesamteindruck ergab dabei keinesfalls das Bild einer bereits stark verinnerlichten "westlichen Orientierung" (zur Zulässigkeit der Einbeziehung der Aufenthaltsdauer siehe auch EGMR 20.07.2010, Appl. 23.505/09, N. gegen Schweden; im Anlassfall in der Länge von etwa sechs Jahren). Ausgehend davon, dass die BF2 bei der mündlichen Verhandlung ein Kopftuch trug, wird hg nicht verkannt, dass das Tragen eines Kopftuches allein noch keinen Grund darstellt, an der westlichen Orientierung zu zweifeln (vgl. VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/18/0388), jedoch erscheint bei einer Gesamtbetrachtung der bisherigen geringen Fortbildungsbemühungen der BF2, der durch den persönlichen Eindruck bei der Beschwerdeverhandlung zum Vorschein gekommenen gering ausgeprägten Selbständigkeit der Genannten, bei dieser insgesamt keine "westliche Orientierung" manifestierbar.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

3.3. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

3.5. Zum Spruchteil A

 

Der BF1 und die BF2 sind Eltern der minderjährigen BF3. Es liegt sowohl im Verhältnis der minderjährigen BF3 zu ihren Eltern als auch im Verhältnis der BF2 zu ihrem Ehegatten, dem BF1, ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 vor.

 

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

1) dieser nicht straffällig geworden ist;

 

2) die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Familienangehörigen, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

 

3) gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

 

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter der Voraussetzung der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Absätze 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

Familienangehörige sind gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familiengemeinschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

3.5.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 3 Abs 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

3.5.1.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten damit, dass die Beschwerdeführer keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnten.

 

3.5.1.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.

 

3.5.1.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht der Beschwerdeführer, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.

 

Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

 

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen konnte von den Beschwerdeführern jedoch nicht glaubhaft gemacht werden (vgl. Beweiswürdigung). Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.

 

3.5.1.4. Soweit die Beschwerdeführer in Bezug auf ihren Aufenthalt im Iran angeben, dass sie keine Aufenthaltsdokumente für den Iran gehabt hätten und somit in der Illegalität gelebt hätten und Angst vor Abschiebung in ihren Heimatstaat gehabt haben, so ist ihnen entgegenzuhalten, dass dieses Vorbringen zwar glaubhaft ist und der Beurteilung zu Grunde gelegt wird, dass aber § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsland Verfolgung nach der GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 17 AsylG 2005 jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Auf Grund der afghanischen Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer kann somit ihr Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

 

3.5.1.5. Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, wurde eine individuelle Verfolgung der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Afghanistan von Beschwerdeseite nicht substantiiert vorgebracht und noch glaubhaft gemacht.Die Beschwerdeführer berufen sich weiters auf die nach ihrer Meinung in Afghanistan allgemein bestehende Verfolgung von Personen, die der schiitischen Minderheit der Hazara angehören.

 

Es ist daher anhand der oben angeführten Länderberichte zu prüfen, ob eine solche Gruppenverfolgung vorliegt.

 

Nach den oben zitierten Länderberichten erreicht die Gefährdung der Volksgruppe der Hazara (die in der Regel ident ist mit der religiösen Minderheit der Schiiten) die asylrelevante Intensität nicht. Es kommt zweifelsohne zu Diskriminierung und Schikanen, wie sich aus den Berichten ergibt, auch gibt es gezielte Anschläge auf diese Personengruppe. Eine generelle Verfolgung von Schiiten und/oder Hazara in Afghanistan ist aber angesichts ihrer Repräsentation in Armee, Sicherheitsbehörden und Politik nicht zu bejahen. Auch fehlt die Schutzfähigkeit des Staates gegen Übergriffe auf diese Gruppe, abgesehen von den Gebieten, die sich in den Händen der Aufständischen befinden, nicht gänzlich.

 

3.5.1.6. Der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106, eine Gruppenverfolgung der Hazara mit der Begründung nicht aus, dass das Bundesverwaltungsgericht zur Lage der Hazara keine Feststellungen getroffen habe, welcher Umstand vorliegend jedoch hier nicht der Fall ist. In zahlreichen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes (teilweise auch nach Einholung länderkundlicher Sachverständigengutachten) wurde eine Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara durchgehend verneint (z.B. erst jüngst BVwG 24.10.2016, W191 2106225-2/10E; BVwG 09.05.2016, W119 2012593-1/20E, BVwG 18.04.2016, W171 2015744-1, BVwG 13.11.2015, W124 2014289-1/8E und viele andere mehr).

 

Der Verwaltungsgerichtshof judizierte in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan, zum Unterschied zur Region Quetta in Pakistan (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Es ist daher anzunehmen, dass der Verwaltungsgerichtshof, sollte er der Auffassung sein, dass eine Gruppenverfolgung - auch lokal - in Afghanistan aktuell festzustellen wäre, in der zahlreich zu Afghanistan ergangenen Judikatur dies auch festgestellt hätte (siehe auch jüngst BVwG 16.06.2016, W159 2105321-1/8E).

 

3.5.1.7. Es ist auch auf die Judikatur des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu verweisen, auch wenn dieser die Frage der Verfolgung der Hazara unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK geprüft hat. Dieser hat im oben zitierten Urteil A.M. v. THE NETHERLANDS ausgesprochen, dass er keine allgemeine Gefährdung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe sieht.

 

3.5.1.8. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auf die aktuelle internationale Rechtsprechung zu verweisen, die ebenfalls von keiner Gruppenverfolgung der Hazara ausgeht:

 

Das (schweizerische) Bundesverwaltungsgericht führt in seiner Entscheidung zur Provinz XXXX (= Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers) vom 11.01.2017, E-5136/2016, dazu aus:

 

"Inwiefern hinter den Entführungen und Tötungen von Hazara in Afghanistan - insbesondere in der Region XXXX - asylrelevante Verfolgungsmotive stehen, kann vorliegend aber letztendlich offenbleiben. So ist es nach dem zuvor Gesagten in jüngerer Zeit in der Heimatregion des Beschwerdeführers zwar immer wieder zu in asylrechtlicher Hinsicht genügend intensiven Übergriffen auf Zugehörige der Ethnie der Hazara gekommen. Indes kann die für die Anerkennung einer Kollektivverfolgung erforderliche Dichte der gewaltsamen Verfolgungshandlungen nicht bejaht werden: Im Verhältnis zur Grösse des Kollektivs der Hazara in XXXX (wie zuvor ausgeführt handelt es sich um rund 540'000 Personen) nehmen die gewalttätigen Angriffe auf diese Bevölkerungsgruppe bisher nicht eine zahlenmässig derart grosse Dimension ein und sind die bekannt gewordenen Über-griffe nicht derart häufig, dass jeder Angehörige dieser Minderheit in begründeter Weise befürchten müsste, objektiv mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls Opfer einer Gewalttat zu werden. Gemessen an der Anzahl in XXXX lebender Hazara erscheint die Zahl der Übergriffe derzeit nicht als genügend dicht, als dass von einer Kollektivverfolgung insbeson-dere durch Dritte ausgegangen werden müsste. Folglich kann eine Kollektivverfolgung der Hazara in der Provinz XXXX zum heutigen Zeitpunkt nicht bejaht werden."

 

Nach einem Beschluss des VGH München vom 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 unterliegen Hazara in Afghanistan zwar einer gewissen Diskriminierung, sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte iSv § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt. Das VG Lüneburg (3. Kammer, Urteil vom 06.02.2017, 3 A 126/16) gelangt nicht zu der Überzeugung, dass Hazara einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfende gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt sind (unter Verweis auf Bay. VGH, Beschl. v. 04.01.2017 - 13a ZB 16.30600 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 19.12.2016 - 13a ZB 16.30581 -, juris Rn. 4; VG Augsburg, Urt. v. 07.11.2016 - Au 5 K 16.31853 -, juris Rn. 33; VG Würzburg, Urt. v. 28.10.2016 - W 1 K 16.31834 -, juris Rn. 19). Die hierfür erforderliche Verfolgungsdichte ist nicht gegeben.

 

Abschließend ist auf eine Entscheidung des Upper Tribunal: MI vs THE SECRETARY OF STATE FOR THE HOME DEPARTMENT 27.08.2009 hinzuweisen, wo ausgeführt wird:

 

"A person of Hazara ethnicity or of the Ismaili faith or who is associated with the Nadiri family is not likely to be at a real risk of serious harm in Afghanistan by reason of any of these factors alone or a combination of any of them, although different considerations would apply if an Ismaili's own home area were to be in an area controlled by the Taliban, given the large scale massacre of Ismailis which took place when the Taliban took over the province of Baghlan in 1998. In such a case, however, he would ordinarily be safe in Kabul."

 

"... nonetheless we find that the effect of his opinion read as a whole and of the background material to which we have been referred is that a person of Hazara ethnicity is not likely to be treated by reason of that fact alone in Afghanistan in a way which would amount to persecution or a breach of his rights under article 3 of the

ECHR."

 

Aus diesen Gründen ist das Vorliegen einer Gruppenverfolgung im Hinblick auf Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan im Ergebnis zu verneinen.

 

3.5.1.9. Zum Vorbringen der Beschwerdeführer, wonach Hazara in Afghanistan verfolgt und getötet würden, ist anzuführen, dass solche Ereignisse auch vom BVwG nicht bestritten werden; diese Vorkommnisse liegen aber nicht in einer Intensität und Dichte vor, welche die Feststellung einer Gruppenverfolgung rechtfertigen würde.

 

3.5.1.10. Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer auch bei Wahrunterstellung der behaupteten Bedrohungssituation, wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, nicht im gesamten Staatsgebiet Verfolgung zu befürchten, weshalb ihnen keine Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK zukommt. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit im Falle der Beschwerdeführer, sich in Kabul niederzulassen, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zudem, dass der Integrationserfolg von Rückkehrern in Kabul ausschließlich vom Willen des Rückkehrers abhängt. Kabul ist zudem nicht als derart unsicher zu qualifizieren, dass es den Beschwerdeführern von vornherein verunmöglicht würde, dorthin zurück zu gelangen. Die BF1 und BF2 haben jeweils Arbeitserfahrung, sodass diese in der Lage wären, sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage kommen. Die Beschwerdeführer werden zudem behördlich nicht in ihrem Heimatstaat verfolgt. Es kann daher nicht erkannt werden, weshalb den Beschwerdeführern im engen Familienverband ein Aufenthalt außerhalb der engeren Heimat, als in einem anderen Gebiet Afghanistans, etwa in Kabul, nicht möglich und ihnen dies nicht zumutbar sein soll. Es sind somit die Voraussetzungen für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gegeben, weswegen auch aus diesem Grunde weder die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, noch die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Betracht kommen (vgl. VwGH 24.01.2008, 2006/19/0985)

 

In Zusammenhang mit der Thematik der "westlichen Orientierung" sei darauf verwiesen, dass bezogen auf Afghanistan - entgegen den Beschwerdeausführungen - nicht die Eigenschaft des Frau-Seins an sich in der Judikatur zur Gewährung von Asyl führte. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet. Eine solche vermochte die BF2 aber eben nicht glaubhaft darzutun, vielmehr hat das Ermittlungsverfahren ergeben, dass die Genannte kein freibestimmtes Leben nach westlichen Normen in der Weise verinnerlicht hat, dass es ein solcher wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden wäre, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung dieser konkreten Empfehlung VwGH 16.1.2008, 2006/19/0182 mwN).

 

3.5.1.11. Da die Beschwerdeführer sohin keine Verfolgungshandlungen in Bezug auf Afghanistan glaubhaft gemacht haben, liegen die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK geforderten Voraussetzungen nicht vor und war die Beschwerde jeweils gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide deshalb gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

3.5.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahin gehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.04.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten (oder anderer in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnter) Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000;

VwGH 25.11.1999, 99/20/0465; 08.06.2000, 99/20/0203; 08.06.2000, 99/20/0586; 21.09.2000, 99/20/0373; 25.01.2001, 2000/20/0367;

25.01.2001, 2000/20/0438; 25.01.2001, 2000/20/0480; 21.06.2001, 99/20/0460; 16.04.2002, 2000/20/0131). Diese in der Rechtsprechung zum AsylG 1997 erwähnten Fälle sind nun z.T. durch andere in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erwähnte Fallgestaltungen ausdrücklich abgedeckt. Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat (unter dem Gesichtspunkt des § 57 FremdenG, dies ist nun auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu übertragen) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, 98/21/0427).

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zahl 95/18/0049; 05.04.1995, Zahl 95/18/0530;

04.04.1997, Zahl 95/18/1127; 26.06.1997, Zahl 95/18/1291;

02.08.2000, Zahl 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zahl 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zahl 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zahl 98/01/0122; 25.01.2001, Zahl 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zahl 95/21/0294; 25.01.2001, Zahl 2000/20/0438; 30.05.2001, Zahl 97/21/0560).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich, Zahl 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zahl 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zahl 2000/01/0443;

13.11.2001, Zahl 2000/01/0453; 09.07.2002, Zahl 2001/01/0164;

16.07.2003, Zahl 2003/01/0059).

 

Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zahl 2001/21/0137).

 

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

3.5.2.1. Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, vermochten die Beschwerdeführer eine konkrete Verfolgungsgefahr in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan nicht glaubhaft zu machen, weshalb auf Grund des konkreten Vorbringens der Beschwerdeführer auch keinerlei Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG erkannt werden kann.

 

Zudem ist auch im gegebenen Zusammenhang die innerstaatliche Fluchtalternative einschlägig, sodass auf die bereits oben unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides getätigten und auch hier zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen verwiesen wird (siehe II. 2.5.3.). Es kommt daher auch aus dem Grunde des Vorliegens der innerstaatlichen Schutz- bzw. Fluchtalternative die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht in Betracht.

 

Im gegenständlichen Fall haben sich in einer Gesamtschau der Angaben der Beschwerdeführer und unter Berücksichtigung der zur aktuellen Lage in Afghanistan herangezogenen Erkenntnisquellen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach die unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht wären, dass sich daraus bei objektiver Gesamtbetrachtung für die Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit einer allenfalls drohenden extremen (allgemeinen) Gefahrenlage in Afghanistan reicht nicht aus, sondern es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; konkret zu Afghanistan: zB Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichts vom 29.06.2010, Zl. BVerwG 10 C 10.09; weiters EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 84; 20.12.2011, J.H. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 48839/09, Rz 55).

 

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Anzumerken ist in dem Zusammenhang, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre.

 

3.5.2.2. Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.5.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

3.5.3.1. Die beschwerdeführenden Parteien befinden sich erst seit Jänner 2016 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Keiner der Beschwerdeführer ist ein Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch nicht ein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

3.5.3.2. Die Beschwerdeführer sind als Staatsangehörige von Afghanistan keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst auch nicht formalisierte eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau; bei solchen ist normalerweise das Zusammenleben der beiden Partner in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich, es können aber auch andere Faktoren wie etwa die Dauer oder die Verbundenheit durch gemeinsame Kinder unter Beweis stellen, dass die Beziehung hinreichend konstant ist (EGMR vom 27.10.1994, 18535/91 Kroon und andere gg. die Niederlande, Z 30; EGMR vom 22.04.1997, 21.830/93, X,Y und Z gg. Vereinigtes Köngreich, Z 36).

 

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich;

31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande;

31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

 

Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, 48321/99, Slivenko gg. Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein.

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:

Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

3.5.3.3. Die beschwerdeführenden Parteien sind zum Aufenthalt in Österreich nur auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz, der sich als nicht begründet erwiesen hat, berechtigt gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass ihnen ein nicht auf asylrechtliche Bestimmungen gestütztes Aufenthaltsrecht zukäme, sind nicht ersichtlich. Wie bereits von der belangten Behörde festgestellt, wurden von den Beschwerdeführern in Österreich keine Verwandten behauptet. Ein schützenswertes Familienleben der Beschwerdeführer im Bundesgebiet im oben dargestellten Sinn liegt daher nicht vor.

 

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen:

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18. Oktober 2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Randnr. 58, und vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Randnr. 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Randnr. 66, vom 17. Februar 2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Randnr. 60, und vom 24. November 2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Randnr. 46; siehe dazu auch das hg. Erk. vom 17. Dezember 2007, 2006/01/0216 bis 0219) befinden (VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (Vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

 

Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreijährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, JZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von 3 Jahren jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Die Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer in Österreich beträgt ca. 2 Jahre und ist demnach im genannten Sinne als "kurz" zu bezeichnen. Nach der aktuellen Judikatur des VwGH kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen "kann" und somit schon alleine aufgrund des Aufenthalts von weniger als 3 Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber der privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 23.02.2016, Zl. Ra. 2015/01/0134-7).

 

3.5.3.4. Geht man nun im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben der Beschwerdeführer in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Lasten der Beschwerdeführer aus und würde die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen:

 

Die Beschwerdeführer halten sich (abseits der erst im April 2017 geborenen BF3) seit Jänner 2016 im Bundesgebiet auf und verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens. Die Beschwerdeführer sind illegal nach Österreich eingereist und stellten in weiterer Folge Anträge auf internationalen Schutz, welche sich als unberechtigt erwiesen haben. Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften, sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

 

Die Beschwerdeführer leben erst seit ca. 2 Jahren (d.h. seit Jänner 2016) in Österreich und somit noch deutlich unter den im zitierten Erkenntnis (VwGH vom 26.06.2007, 2007/10/0479) angesprochenen 3 Jahren. Zu Gunsten konkret etwa des BF1 spricht, dass dieser gemeinnützige Tätigkeiten für die Stadtgemeinde XXXX erbracht hat und Mitglied in einem österreichischen XXXX- und XXXX war (die Nachweise und Unterlagen, welche in der mündlichen Verhandlung beschwerdeseitig vorgelegt worden sind, liegen dem Akt bei). Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer in Österreich bereits Freundschaften geknüpft. Der BF1 und die BF2 haben weiters Bestätigungen vorgelegt, welchen zu entnehmen ist, dass sie Deutschkurse in Österreich besucht haben. Die Beschwerdeführer vermochten in der mündlichen Verhandlung bei direkter Befragung jedoch lediglich marginale Deutschkenntnisse darzutun. Ausgehend davon, dass die Beschwerdeführer zumindest eine Landessprache Afghanistans sprechen und über Arbeitserfahrung verfügen, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass für sie der Übergang zu einem Leben im Herkunftsstaat mit unzumutbaren Härten verbunden wäre. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die gesamte Familie gemeinsam in den Herkunftsstaat zurückkehrt. Zusammenschauend ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer gemeinsamen Verbringung in den Herkunftsstaat mit unzumutbaren Schwierigkeiten konfrontiert wären.

 

Eine darüber hinausgehende tatsächliche Integration der Beschwerdeführer ist nicht hervorgekommen.

 

Dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihrer bestehenden privaten Kontakte und das Interesse an der Weiterführung der Schulbildung bzw. Weiterbildung in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein mussten: Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Zur Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme trotz langjährigem Aufenthalt in Österreich und mangelnder Integration in Österreich ist insbesondere auf folgende höchstgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen: VwGH 17.11.2005, 2005/21/0370 (7-jähriger Aufenthalt mit "nicht stark ausgeprägter Integration" - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0348 (5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 3.7.2007, 2007/18/0361(5-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 26.9.2007, 2006/21/0288 (7-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (8-jähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 25.9.2007, 2007/18/0416 (4-jähriger Aufenthalt - "kein individuelles Bleiberecht" - Ausweisung zulässig), VwGH 28.2.2008, 2008/18/0087 (eineinhalbjähriger Aufenthalt - Ausweisung zulässig), VwGH 18.5.2007, 2007/18/0136 (11-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt (von insgesamt 15 Jahren) - Ausweisung zulässig), VwGH 8.11.2006, 2006/18/0316 (4-jähriger unrechtmäßiger Aufenthalt nach 4-jährigem Asylverfahren - Ausweisung zulässig), VfGH 29.9.2007, B 1150/07, EuGRZ 2007, 728 (11-jähriger Aufenthalt, zwei Scheinehen, zwei Asylanträge - Ausweisung zulässig).

 

Den schwach ausgeprägten, privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, ist die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Da der Antrag der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen wurde, liegt weder ein Fall des § 8 Abs. 3a noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vor. Die Beschwerdeführer gaben nicht an, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen.

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Das entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde im gegenständlichen Erkenntnis verneint.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 2 FPG unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seiner Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wären, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das entspricht dem Tatbestand des § 3 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde im gegenständlichen Erkenntnis verneint.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR ist die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 MRK verstoßen würde (vgl. VwGH vom 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, vgl. die Urteile des EGMR jeweils vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande: S.D.M., Nr. 8161/07; A.G.R., Nr. 13 442/08; A.W.Q. und D.H., Nr. 25 077; S.S., Nr. 39 575/06; M.R.A. u.a., Nr. 46 956/07).

 

Eine Abschiebung nach Afghanistan ist daher zulässig.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der belangten Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

3.6. B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides an.

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