VwGH 2006/19/0985

VwGH2006/19/098524.1.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des N, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. April 2006, Zl. 236.413/0-XIII/65/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger und Sikh aus dem Punjab, stellte am 19. Juni 2002 einen Asylantrag, den das Bundesasylamt mit Bescheid vom 25. März 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abwies; gleichzeitig erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Über die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers verhandelte die belangte Behörde am 16. März 2006. Der Beschwerdeführer wurde dabei (neuerlich) zu seinen Fluchtgründen vernommen und gab an, er habe in seiner Heimat eine Imbissstube geführt, in der regelmäßig "junge Männer" verkehrt hätten, die von der Polizei als "Terroristen" verdächtigt worden seien. Der Beschwerdeführer sei deshalb "sehr oft" festgenommen, mehrere Tag inhaftiert und befragt worden. Man habe von ihm Informationen über diese Männer gewollt, die er - mangels Wissens - nicht geben habe können. Während der Befragungen sei er geschlagen worden. Einmal hätten die Polizisten ihn sogar in der Weise verletzt, dass sie ihn auf den Boden gelegt und sein Bein so weit nach oben gehoben hätten, dass der Oberschenkel gebrochen sei. Derartige Verhöre hätten bis zu seiner Flucht angedauert. Er sei so "zwischen die Fronten geraten", weil ihn auch die "Terroristen" damit bedroht hätten, ihn zu töten, sollte er der Polizei "etwas" berichten. Für den Fall der Rückkehr nach Indien fürchte er sich deshalb vor der Polizei und vor den Terroristen. Dem Vorhalt, ob er sich nicht an einem anderen Ort in Indien niederlassen könne, begegnete der Beschwerdeführer nur mit dem Hinweis, er könne "nirgends in Indien leben", weil er sich "nirgends in Indien sicher" fühle.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß "§ 8 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei.

Sie traf unter anderem folgende Feststellungen (soweit im folgenden Zitat der "Berufungswerber" erwähnt wird, handelt es sich um den nunmehrigen Beschwerdeführer):

"Der Berufungswerber wurde in seinem Heimatbezirk immer wieder von der Polizei festgenommen, um von ihm Informationen über mutmaßliche Terroristen, die regelmäßig in seiner Imbissstube verkehrten, zu erhalten. Bei den Befragungen wurde er auch misshandelt. Er wurde jedes Mal wieder frei gelassen. Es wurde nie Anklage gegen ihn erhoben oder ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet.

Der Berufungswerber wurde von mutmaßlichen Terroristen bedroht, ihn zu töten, wenn er der Polizei etwas über sie erzähle.

Es wird nicht festgestellt, dass der Berufungswerber deshalb in seinem Heimatland landesweite Verfolgung durch die Polizei oder Terroristen zu befürchten hat.

...

Die indische Verfassung garantiert indischen Staatsangehörigen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet sowie das Recht auf Niederlassung und Aufenthalt in jedem Teil des

Landes. ... Es gibt keine Überprüfungen von Personen, die neu aus

einem Teil von Indien in einen anderen Teil von Indien ankommen, auch wenn es sich um einen Sikh aus dem Punjab handelt. Die lokalen Polizeidienststellen haben weder die Ressourcen noch die sprachlichen Fähigkeiten, um Hintergrundüberprüfungen über Personen, die aus anderen Teilen von Indien eintreffen, durchzuführen. Es gibt kein allgemeines Meldewesen und häufig haben die Menschen auch keine Identitätsausweise. (Quelle: UK Home Office, India Country Report, April 2005, Abschnitt 6.157-6.159).

Auch bei strafrechtlicher Verfolgung ist in der Regel ein unbehelligtes Leben in ländlichen Gebieten in anderen Teilen Indiens möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. In Neu Delhi wurden Separatisten aus dem Punjab nach mehreren Jahren friedlichen Aufenthaltes aufgespürt und verhaftet. (Quelle: AA Berlin: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien, Abschnitt II.4., Stand: September 2005).

Allerdings besteht die Gefahr, von staatlichen Behörden (strafrechtlich) verfolgt zu werden, in der Regel nur für hochrangige Führungspersonen separatistischer Bewegungen oder

militanter Organisationen ("high profile activists") ... und

weniger für "low profile activists". (Quellen: UK Home Office, India Country Report, April 2005, Abschnitt 6.160-6.161, ...)

...

Was Angehörige der Sikhs betrifft, so gelten sie als mobile und unternehmerische Gemeinschaft. In ganz Indien sind Sikhs in

verschiedenen Berufen ... und im öffentlichen Dienst anzutreffen.

Bedürftigen Sikhs wird zumindest vorübergehend in Sikh-Tempeln ... Nahrung und Unterkunft gewährt (Quelle: Mag. Christian Brüser, Gutachten Indien ..., Oktober 2003)

Es wird festgestellt, dass der Berufungswerber vor einer etwaigen, seinem Vorbringen im Verfahren entsprechenden Bedrohung, Sicherheit durch Verlegung seines Aufenthaltsortes in einen anderen Teil von Indien finden könnte."

In der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, die vom Beschwerdeführer "dargestellten Verfolgungsbehauptungen" könnten "nicht als offensichtlich unglaubhaft angesehen werden."

Das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative gründe sich "auf die Feststellungen zur Situation in Indien."

Rechtlich argumentierte die belangte Behörde wie folgt:

"Im vorliegenden Fall hat der Berufungswerber seinen Asylantrag auf eine erlittene und befürchtete Verfolgung durch die Polizei und mutmaßliche Terroristen gestützt.

Was die Festnahmen ... durch die Polizei ... betrifft, so handelt es sich dabei um Maßnahmen im Rahmen polizeilicher Untersuchungen gegen Personen, die als mutmaßliche Terroristen verdächtigt wurden. Die Polizei versuchte damit vom Berufungswerber Informationen über diese mutmaßlichen Terroristen zu bekommen, die in seiner Imbissstube regelmäßig verkehrten, sodass die Polizei - zu Recht - annahm, der Berufungswerber hätte etwas über diese Männer und ihre Aktivitäten erfahren können. Deshalb wurde er immer wieder von der Polizei zu Befragungen mitgenommen.

Es lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte finden, dass die Festnahmen durch die Polizei gezielt gegen die Person des Berufungswerbers gerichtet waren, weil sie ihn selbst einer Straftat beschuldigten oder ihn verdächtigten, ein Terrorist zu sein. Das geht auch daraus hervor, dass der Berufungswerber immer wieder freigelassen wurde und niemals Anklage gegen ihn erhoben wurde oder ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet wurde. ...

Generell ist festzuhalten, dass eine Gefährdungslage des Berufungswerbers - vor allem aufgrund der Misshandlungen in Polizeigewahrsam - allenfalls im Bundesstaat Punjab gegeben sein könnte, sich aber keinesfalls auf das gesamte Staatsgebiet Indiens erstreckt. ...

Dasselbe gilt für die vorgebrachte Bedrohung durch mutmaßliche Terroristen. Sofern sie überhaupt Interesse an der Person des Berufungswerbers hatten bzw. haben, da er der Polizei nach seinen Angaben ja keine Informationen geliefert hat, kann nicht angenommen werden, dass sich ihr Einflussbereich außerhalb des Punjab, auf ganz Indien, erstreckt und sie ihn im gesamten Gebiet Indiens suchen würden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Die Beschwerde wendet sich gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nur "Maßnahmen im Rahmen polizeilicher Untersuchungen" unterworfen worden, und verweist darauf, dass er nach seinen von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig eingestuften Angaben bei den Verhören "schwerst am Körper misshandelt wurde und auch einen

Oberschenkelbruch durch diese polizeilichen Übergriffe ... erlitt."

In diesem Zusammenhang sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zu folgender Klarstellung veranlasst:

Der belangten Behörde ist zwar zuzugeben, dass die Mitnahme des Beschwerdeführers zu polizeilichen Befragungen über die in seinem Lokal verkehrenden "Terroristen" aus asylrechtlicher Sicht noch nicht zu beanstanden wäre. Die Misshandlungen des Beschwerdeführers im Zuge der Verhöre, überschritten aber den Rahmen legitimer sicherheitsbehördlicher Maßnahmen in einem solchen Maße, dass sie als asylrelevante Verfolgung angesehen werden könnten. Voraussetzung ist allerdings, dass diese "Verfolgung" einen Bezug zu den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen aufwies. Wenn die belangte Behörde diesbezüglich argumentiert, es wären fallbezogen keine Anhaltspunkte dafür zu finden, dass die Sicherheitsbehörden bei ihrem Vorgehen den Beschwerdeführer selbst verdächtigt hätten, Terrorist zu sein, so ist ihr zu erwidern, dass die Häufigkeit der Verhöre und die dabei angewandten "Verhörmethoden" diesen Schluss nicht ohne Weiteres zulassen. Soweit dem Beschwerdeführer aber eine Komplizenschaft mit "Terroristen" (und damit eine staatsfeindliche politische Gesinnung) zumindest unterstellt worden sein könnte, ließe sich ein Bezug zu einem Konventionsgrund nicht von vornherein ausschließen (vgl. zur Asylrelevanz von Misshandlungen und Folter bei polizeilichen "Befragungen" etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Dezember 2001, 98/20/0330; und vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0498; zur unterstellten staatsfeindlichen bzw. oppositionellen Gesinnung etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0303, und - Indien betreffend - vom 26. Juli 2001, Zl. 2001/20/0064).

2. Ungeachtet dieser Richtigstellung der behördlichen Rechtsausführungen ist der angefochtene Bescheid im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung nämlich hilfsweise auch auf das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative. Die Beschwerde wendet dagegen ein, nach den von der Behörde zitierten Berichten des deutschen auswärtigen Amtes bzw. des UK Home Office wären Separatisten aus dem Punjab nach mehreren Jahren auch in Neu Delhi aufgespürt worden und manifestiere sich die Gefahr, von staatlichen Behörden verfolgt zu werden, auch für "low profile activists". Demnach könne sich der Beschwerdeführer nirgendwo in Indien sicher fühlen, zumal er in anderen Landesteilen über keinerlei Kontakte verfüge und auch aufgrund der verschiedenen Sprachdialekte sich nicht überall verständigen könne, was "zweifellos die Unmöglichkeit einer Existenzgründung" darstelle.

Dem ist entgegen zu halten, dass sich den genannten Berichten eine landesweite Verfolgungsgefahr für eine Person mit dem Profil des Beschwerdeführers nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit entnehmen lässt. Mit ihrem Einwand, die Übersiedlung in einen anderen Landesteil Indiens sei dem Beschwerdeführer wegen "Unmöglichkeit einer Existenzgründung" nicht zumutbar, setzt sich die Beschwerde ohne Begründung vor allem über die Länderfeststellungen der belangten Behörde betreffend den starken Zusammenhalt unter den Angehörigen der Sikhs hinweg.

Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 24. Jänner 2008

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