Normen
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnF;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein staatenloser Palästinenser aus dem Libanon, reiste am 17. Oktober 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 21. Oktober 1997 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23. Oktober 1997 gab er zu seinen Fluchtgründen zunächst Folgendes an:
"Ich hatte in Sidon einen Cousin namens M M. Dieser ist ein Mitglied der Jamaa Islamia.
Dieser Cousin wurde von einem libanes. Gericht zusammen mit weiteren Mitgliedern dieser Organisation wg. Mord und Bombenlegung vor ca. 5 Monaten zum Tode verurteilt.
In der Folge versteckte sich dieser im Palästinenserlager namens Ein El-Helwa.
Da es der libanes. Partei (gemeint wohl: Polizei) verwehrt ist, in jenes Lager einzudringen, wurde ich mehrmals von der Polizei aufgesucht und für einige Tage festgehalten, um mich nach den Plänen meines Cousins und dessen Kontaktpersonen zu befragen, damit man ihn außerhalb des Lagers verhaften kann.
Ich konnte dies nicht verkraften, weshalb mir meine Mutter Geld gab, damit ich das Land verlassen kann. Nachdem ich kurz vorher drei Monate in Bulgarien aufhältig war, entschloss ich mich zur Ausreise in diesen Staat.
Ich habe mich nie polit. betätigt und war auch niemals Mitglied einer Organisation; ich hatte auch keinerlei Probleme mit den libanes. Behörden."
Nach Ausführungen darüber, dass er im Libanon auch keine Berufschancen mehr gehabt habe - was der Beschwerdeführer mit seiner Entscheidung, den Libanon zu verlassen, aber nicht in Verbindung brachte - und der Protokollierung seiner Aussage, dass die Rückübersetzung richtig und vollständig sei und er "dem nichts hinzuzufügen" habe, gab der Beschwerdeführer noch Folgendes zu
Protokoll:
"F.:Wie oft wurden Sie befragt?
A.: Insgesamt dreimal; alle drei Einvernahmen fanden im August 1997 statt.
F.: Beschreiben Sie den Ablauf der Einvernahmen.
A.: Ich wurde 2-3 Tage angehalten; man brachte mich 2-3 mal
in ein Verhörzimmer, wo ich mit der Folter bedroht wurde. In der Nacht schlief ich in einem benachbarten Raum, der verschlossen wurde."
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 23. Oktober 1997 gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab, wobei es "auf Grund des amtswegigen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhalt mit Ihren Angaben" - aber ohne Ausführungen zur Beweiswürdigung - "folgende Feststellungen" traf:
"Sie haben den Libanon aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und sind nach zweimonatigem Aufenthalt in Bulgarien per Flugzeug am 17.10.1997 illegal am Flughafen Wien-Schwechat in Österreich eingereist."
In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes ging das Bundesasylamt davon aus, dass der Beschwerdeführer "als Grund" für seine Ausreise die "Befragungen" nach seinem Cousin genannt und "überdies" angegeben habe, er habe seine Werkstätte schließen müssen und keinen anderen Arbeitsplatz gefunden.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung ersuchte der Beschwerdeführer im Wesentlichen nur um die Berücksichtigung seiner "Lage".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Sie stellte - unter Bezugnahme auf das "diesbezüglich glaubwürdige Vorbringen" des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt - folgenden Sachverhalt fest:
"Der Asylwerber ist am 17.10.1997 illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 21.10.1997 einen Antrag auf Asylgewährung gestellt. Im August 1997 ist er dreimal für jeweils zwei bis drei Tage festgehalten und bezüglich seines Cousins und dessen Pläne und Kontaktpersonen befragt worden. Er hat sich nie politisch betätigt und ist niemals Mitglied einer Organisation gewesen. Im Juli 1996 hat er seine KFZ-Werkstatt mangels Aufträge schließen müssen. Da die wirtschaftliche Lage im Libanon allgemein sehr schlecht ist, hat er seine Heimat verlassen."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die kurzfristigen Anhaltungen und Befragungen des Beschwerdeführers seien keine Verfolgungshandlungen von asylrechtlich relevanter Intensität gewesen und überdies nicht aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt. Sie hätten "lediglich im Zusammenhang mit der Begehung strafbarer Handlungen des Cousins des Asylwerbers" stattgefunden. "Allein der Umstand, dass auf Grund eines bestimmten Sachverhaltes ein bestimmter Personenkreis in behördliche Ermittlungen einbezogen wird bzw. werden könnte", könne "nicht bewirken, dass ein Angehöriger dieses Personenkreises begründete Furcht vor Verfolgung aus den in der angeführten Gesetzesstelle aufgezählten Gründen mit Aussicht auf Erfolg geltend machen kann".
Auch die Angaben des Beschwerdeführers über seine schlechten Berufschancen im Libanon seien nicht geeignet, die Gewährung von Asyl zu rechtfertigen. Der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling, wobei der dafür maßgebende Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt sei, sodass sich die Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung erübrige.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zunächst kann schon angesichts der Kürze der vom Bundesasylamt getroffenen "Feststellungen" und auf Grund des von der belangten Behörde richtig erkannten Erfordernisses, darüber hinausgehende weitere Feststellungen zu treffen, nach den Maßstäben der an das Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, anknüpfenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht davon die Rede sein, dass sich die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung im vorliegenden Fall erübrigt hätte. Davon abgesehen entspricht aber auch die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe den Libanon (nicht wegen der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit seinem Cousin, sondern) auf Grund der allgemein sehr schlechten wirtschaftlichen Lage verlassen, nicht dem Inhalt seines in diesem Punkt anders lautenden, nach Ansicht der belangten Behörde glaubwürdigen Vorbringens.
Die Ansicht der belangten Behörde, den kurzfristigen Anhaltungen und Befragungen des Beschwerdeführers fehle die für eine asylrelevante Verfolgung notwendige Intensität, beruht insofern auf einer Verkennung der Rechtslage, als die belangte Behörde nicht berücksichtigt hat, dass sie sich mit diesen Vorfällen, die der Beschwerdeführer seinem Vorbringen zufolge "nicht verkraften" konnte, unter dem Gesichtspunkt der im Falle seines Verbleibens im Libanon zu erwartenden weiteren Entwicklung zu befassen gehabt hätte. In der Beschwerde wird in diesem Zusammenhang zutreffend hervorgehoben, dass die drei Vorfälle, bei denen der Beschwerdeführer jeweils zwei bis drei Tage lang angehalten worden sei, sich während eines einzigen Kalendermonats ereignet haben sollen, was für den Fall einer zu erwartenden Fortsetzung eines derartigen Vorgehens schon auf Grund der Dichte der Maßnahmen einer Berufung auf deren jeweilige "Kurzfristigkeit" entgegenstünde. Zur Annahme mangelnder Intensität der Eingriffe - insbesondere in Bezug auf die erforderliche Verfolgungsprognose - konnte die belangte Behörde, wie in der Beschwerde ebenfalls aufgezeigt wird, aber wohl auch nur kommen, weil das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei bei den Verhören "mit Folter bedroht" worden, in den Feststellungen zum Sachverhalt und in den Rechtsausführungen der belangten Behörde keine Erwähnung findet.
Dem entspricht in der weiteren Argumentation der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer beschriebenen "Befragungen" seien nicht aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe, sondern "lediglich" im Zusammenhang mit der "Begehung strafbarer Handlungen" seines Cousins erfolgt, das völlige Fehlen einer Bezugnahme auf den - in die Feststellungen zum Sachverhalt gleichfalls nicht aufgenommenen - Umstand, dass der Cousin des Beschwerdeführers der fundamentalistischsunnitischen Gruppierung Jamaa al-Islamiya angehört haben und seine Verurteilung offenbar wegen des Vorwurfs terroristischer Aktivitäten im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in dieser Gruppierung erfolgt sein soll.
Drohten dem Beschwerdeführer, was sich seinem erstinstanzlichen Vorbringen als Behauptung entnehmen lässt und in der Beschwerde ausdrücklich geltend gemacht wird, bei einem Verbleib im Libanon und anhaltender Ergebnislosigkeit der "Befragungen" nach seinem Cousin die Anwendung von Folter oder andere zumindest in der Summe asylrelevante Beeinträchtigungen, so ließe sich dem auch nicht mit dem Hinweis begegnen, "allein der Umstand", dass eine Person "in behördliche Ermittlungen einbezogen wird bzw. werden könnte", rechtfertige nicht die Gewährung von Asyl. Ein solcher Sachverhalt wäre vielmehr unter dem Gesichtspunkt der "Sippenhaftung" und somit der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 98/20/0312, mit weiteren Nachweisen), angesichts des Zusammenhanges zwischen der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers und der Flucht seines Cousins in ein Palästinenserlager aber auch unter dem Gesichtspunkt einer allenfalls mit der Nationalität des Beschwerdeführers im Zusammenhang stehenden Verfolgung zu prüfen gewesen (vgl. zu beiden Gesichtspunkten aus der Rechtsprechung zum Asylgesetz 1991 das Erkenntnis vom 26. Juni 1996, Zl. 95/20/0423). Die zum Asylgesetz 1991 zum Teil vertretene Ansicht, im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen den Asylwerber, die ihre Ursache etwa nur in der politischen Gesinnung eines von den Behörden gesuchten Angehörigen hätten, komme ohne Unterstellung einer eigenen politischen Gesinnung in Bezug auf den Asylwerber auch "Folterungen keine Relevanz zu" (Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0884), greift dem gegenüber zu kurz und orientiert sich zu sehr an subjektiven Motiven und Absichten des Verfolgers.
Sollte sich kein Zusammenhang zwischen der Volksgruppenzugehörigkeit und den Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer ergeben und sein Cousin die ihm zur Last gelegten Taten begangen haben, so würde sich aber die in dem Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 98/20/0312, offen gelassene Frage nach der Abhängigkeit der Asylrelevanz der Sippenhaftung von der hypothetischen Asylrelevanz der Maßnahmen gegen den - im vorliegenden Fall: gesuchten - Verwandten des Asylwerbers stellen. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dazu die Auffassung, dass die Annahme einer solchen Abhängigkeit - sofern man sie im Zusammenhang mit der Anwendung des Konventionsgrundes der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" beim Asylwerber für richtig halten wollte - nicht zur Anwendung eines den Angehörigen des Asylwerbers betreffenden Ausschließungsgrundes nach Artikel 1 Abschnitt F FlKonv auf den Asylwerber selbst führen dürfte. Sollte schon die gedanklich vorgelagerte Frage der Erfüllung der Kriterien des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv beim Angehörigen nur deshalb zu verneinen sein, weil die staatliche Reaktion auf sein politisch motiviertes Verhalten mit Rücksicht auf dessen überwiegend kriminellen Charakter nicht als diskriminierende Verfolgung zu werten ist, so könnte auch die auf diesen Umstand gegründete Verneinung der (hypothetischen) Asylrelevanz der Maßnahmen gegen den Angehörigen des Asylwerbers dem von "Sippenhaftung" bedrohten Asylwerber wegen seiner eigenen Betroffenheit von Maßnahmen, die den Rahmen legitimer Strafverfolgung jedenfalls sprengen, bei der Prüfung seines Anspruches unter dem Gesichtspunkt der "sozialen Gruppe" nicht entgegen gehalten werden.
Da die belangte Behörde wesentliche Gesichtspunkte des Falles - wie zuvor dargestellt - nicht erkannt und aus diesem Grund ungeprüft gelassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 43 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. Dezember 2001
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