VwGH 2000/20/0498

VwGH2000/20/04983.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1973, vertreten durch Dr. Friedrich Fuchs, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Köllnerhofgasse 6/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. September 2000, Zl. 216.183/0-II/39/00, betreffend §§ 7, 8 und 15 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Punjab stammender Staatsangehöriger Indiens, reiste am 25. September 1999 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er dazu an, er und zwei seiner Freunde seien in seiner Heimat von der Polizei misshandelt worden, nachdem sie am 10. Juli 1999 einen Polizisten, der den Bruder des Beschwerdeführers geschlagen hätte, zur Rede hätten stellen wollen und diesen dabei verletzt hätten. Der Beschwerdeführer und seine Freunde seien verhaftet, mit den Fäusten ins Gesicht und mit einem Schlagstock auf die Fußsohlen geschlagen worden. Nach dieser Misshandlung hätten der Beschwerdeführer und seine Freunde den Entschluss gefasst, sich an den Polizeibeamten zu rächen. Einer der Freunde habe eine Pistole gekauft und habe mit dieser aus einem fahrenden Fahrzeug, in dem auch der Beschwerdeführer gesessen sei, auf den Funkwagen der Polizeibeamten geschossen. Ob dabei ein Polizist verletzt worden sei, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Mit Bescheid vom 9. März 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte in einem weiteren Spruchteil fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die vom Beschwerdeführer begangenen Delikte seien allgemein-krimineller Natur und ließen sich keinem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Fluchtgründe zuordnen. Die Versagung des Refoulementschutzes begründete die Erstbehörde damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine "stimmige Schilderung" und "keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG" zu entnehmen seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und bekämpfte in einem ergänzenden Schriftsatz vom 1. April 2000 die Ansicht der Erstbehörde über das Fehlen einer asylrelevanten Verfolgung. Dazu brachte er vor, er habe bereits vor dem Bundesasylamt angegeben, dass er "aktives Mitglied der AISSF" sei und dass ihm diese Mitgliedschaft von der indischen Polizei während der Haft vorgeworfen worden sei. Unter Anführung gesetzlicher Bestimmungen Indiens verwies der Beschwerdeführer darauf, dass in seinem Heimatstaat für die Unterstützung sezessionistischer Bewegungen eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren drohe. Die Sicherheitskräfte im Punjab hätten auf Grund des "National Security Act" Sonderbefugnisse und die Möglichkeit, Verdächtige bis zu zwei Jahre in Präventivhaft zu nehmen, ohne eine formelle Anklage zu erheben und ohne ein formelles Gerichtsverfahren durchzuführen. Wie auch aus Berichten von Amnesty International hervorgehe, sei die Haft in Indien häufig mit Folter und Misshandlungen verbunden. Daher sei auch der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seine Heimat mit der sofortigen Verhaftung, schwerster Misshandlung und mit dem Umbringen bedroht. Er ersuche daher, den Bescheid der Erstbehörde zu beheben und - in eventu - ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG zu erteilen.

In der Berufungsverhandlung vom 2. August 2000 führte der Beschwerdeführer die Verhaftung in seiner Heimat auf den vorangegangenen Vorfall mit dem Polizeibeamten zurück und betonte unter neuerlichem Verweis auf seine aktive Mitgliedschaft bei der AISSF, dass er "auch als Mitglied der AISSF verfolgt werde, Hauptgrund ist jedoch der oben angeführte Vorfall mit der Polizei".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde einerseits die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG und andererseits den genannten Eventualantrag gemäß § 15 AsylG ab.

In der Begründung dieses Bescheides verwies die belangte Behörde zunächst auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, nach der der Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung allein die Anerkennung als Flüchtling nicht ausschließe, weil damit noch nicht gesagt sei, dass die vom Asylwerber zu erwartenden Sanktionen ihre Grundlage ausschließlich in strafrechtlichen Belangen und nicht darüber hinaus auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten seien, hätten. Daher sei durch Ermittlungen zu klären und festzustellen, in welchem Zusammenhang die dem Asylwerber vorzuwerfenden strafbaren Handlungen mit seiner politischen Tätigkeit bzw. Meinung stünden, um beurteilen zu können, ob die drohende Strafverfolgung nicht als eine solche wegen der politischen Gesinnung (oder aus einem anderen in der Flüchtlingskonvention angeführten Grund) angesehen werden könne. Im vorliegenden Beschwerdefall hätten sich derartige Anhaltspunke jedoch nicht ergeben, weil der Beschwerdeführer "die Festnahme und Misshandlungen durch Polizeibeamte nicht in Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung (AISSF)" gesehen habe, sondern auf die von ihm selbst gesetzten strafbaren Handlungen beziehe. "Somit", so die belangte Behörde weiter, liege gegenständlich kein Verfolgungsgrund im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention vor, da es das Recht und die Verpflichtung jedes Staates sein müsse, strafbaren Handlungen nachzugehen. In der mündlichen Verhandlung habe die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit internationalen Berichten über die Unabhängigkeit der Gerichte Indiens konfrontiert, denen der Beschwerdeführer nicht entgegentreten sei. Darüber hinaus sei "mangels geeignetem Vorbringen" auch nicht davon auszugehen, dass eine dem Beschwerdeführer allenfalls drohende Strafe schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen bemessen würde. "Im Übrigen" (offenbar gemeint: zur Entscheidung nach § 8 AsylG) schloss sich die belangte Behörde zustimmend der Begründung des Erstbescheides an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde zusammengefasst geltend, die belangte Behörde sei nicht auf seine Angaben über die Mitgliedschaft bei der AISSF eingegangen, auf die seine Misshandlungen im Wesentlichen zurückzuführen seien. Die Verhaftung des Beschwerdeführers sei daher sehr wohl politisch motiviert und damit asylrelevant gewesen.

Zunächst ist festzuhalten, dass dem angefochtenen Bescheid ausdrückliche Sachverhaltsfeststellungen nicht entnommen werden können. Dennoch ist nach der dargestellten Begründung, in der sich die belangte Behörde auf das Vorbringen des Beschwerdeführers stützte, unzweifelhaft, dass sie dessen Angaben ihrer Entscheidung als wahrheitsgemäß zugrundegelegt hat.

Die belangte Behörde geht in ihrer rechtlichen Beurteilung zunächst zutreffend davon aus, dass die dem Asylwerber in seiner Heimat drohende Verfolgung wegen einer von ihm begangenen Straftat seine Anerkennung als Flüchtling noch nicht zwingend ausschließt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0431, und vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0372). Fallbezogen meint die belangte Behörde jedoch, es fänden sich im Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte für eine ihm drohende, über die legitime Strafverfolgung seines Heimatstaates hinausgehende Verfolgung, weil der Beschwerdeführer die Misshandlungen seiner Person nicht auf die Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung zurückgeführt habe. Damit übergeht die belangte Behörde das bereits erwähnte Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung, er werde in Indien "als Mitglied der AISSF verfolgt", und der Vorfall vom 10. Juli 1999 sei nicht der alleinige Grund seiner Verfolgung gewesen.

Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf - dem Akt im Übrigen nicht angeschlossene - internationale Berichte über die Unabhängigkeit der Gerichte Indiens verweist, so ist für den angefochtenen Bescheid damit schon deshalb nichts zu gewinnen, weil das Schwergewicht im Vorbringen des Beschwerdeführers in der befürchteten (neuerlichen) Misshandlung durch Exekutivorgane seiner Heimat liegt. Vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers über die Rechtslage in Indien im Schriftsatz vom 1. April 2000 hätte die belangte Behörde daher zunächst Feststellungen insbesondere über die vom Beschwerdeführer genannte Organisation AISSF sowie darüber treffen müssen, inwieweit die Mitglieder dieser Organisation durch die vom Beschwerdeführer behaupteten (sonder)rechtlichen Ermächtigungen der Exekutive Indiens tangiert sein können. Dies gilt umso mehr, als der Begründung des Erstbescheides (der sich die belangte Behörde "im Übrigen" anschloss) zu entnehmen ist, dass es in Indien "gelegentlich" zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizeiorgane kommt und dagegen von staatlicher Seite nur teilweise Abhilfe geschaffen wird.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Wien, am 3. Juli 2003

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