AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z1
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L508.2252632.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr.in HERZOG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Staatenlos (Palästinensische Autonomiegebiete), vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.02.2022, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.05.2023, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 3 Z 2 iVm § 6 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 11.05.2021 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 3 Ziffer 2 in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Ziffer 13 und § 6 Absatz 1 AsylG 2005 abgewiesen.“
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatenloser aus Palästina/Gaza-Streifen und der arabischen Volksgruppe sowie der islamischen Religionsgemeinschaft sunnitischer Prägung zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 11.05.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensakts [im Folgenden: AS] 7).
2. Im Rahmen der Erstbefragung am Tag der Antragstellung (AS 5 - 17) gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass es in seiner Heimat Krieg gebe. Es sei alles sehr unsicher und gefährlich. Seine Familie und er würden von der Hamas verfolgt, weil er für das palästinensische Militär Ramallah dienen würde. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.
3. Im Rahmen einer Einvernahme im Asylverfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA) am 14.09.2021 (AS 67 - 103) gab der BF - zu seinen Ausreisegründen befragt - zu Protokoll, dass ihn die Hamas suche. Die Hamas-Leute hätten vor 2006 - als er noch gearbeitet habe - oft versucht, Raketen gegen die Israelis abzuschießen. Ihre Aufgabe - also die der Polizei - sei es gewesen, diese Personen festzunehmen. Dies habe sich alles vor der Grenze von Gaza abgespielt. Als es 2006 zur Machtübernahme durch die Hamas in ihrem Land gekommen sei, hätten sie mit der Zeit die Akten aufgemacht und erkannt, dass er Personen festgenommen und der Polizei übergeben habe. 2015 habe die Hamas das erste Mal seine Wohnung gestürmt und ihn gesucht. Er sei damals nicht zu Hause gewesen und seine Frau sei nach seinem Aufenthaltsort befragt worden. Außerdem hätten sie ihr gesagt, dass er bei der Hamas-Polizei vorsprechen müsse. Daraufhin sei er einen Monat nicht nach Hause gegangen. Danach habe er Geld bezahlt, um seine Akte zu schließen und damit man ihn nicht mehr suche. 2017 hätte er beschlossen, das Land zu verlassen, was aber mangels Geld nicht möglich gewesen sei. 2019 habe ihm ein Freund Bescheid gegeben, dass sein Akt abermals geöffnet worden sei. Dieser habe ihm gesagt, dass er aufpassen solle. Er würde veranlassen, dass sein Akt wieder geschlossen werde und er einen Monat Zeit habe, das Land zu verlassen. Länger wäre es nicht möglich, ihn zu schützen. Das Problem sei, dass seine Familie noch in Gefahr sei. Die Hamas-Leute seien oft bei ihnen zu Hause. Sie hätten das Mobiltelefon seiner Gattin mitgenommen und seinen Sohn bedroht. Sie hätten gesagt, er solle wieder nach Hause kommen, egal wo er jetzt sei. Bis heute bedrohe die Geheimpolizei der Hamas regelmäßig seine Familie. Weitere Angaben zu seinen ausreisekausalen Problemen machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen und Vorhalten durch den Leiter der Amtshandlung.
Im Übrigen brachte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem belangten Bundesamt einen bereits abgelaufenen Reisepass im Original, einen Personalausweis in Kopie, eine Geburtsurkunde in Kopie, eine Heiratsurkunde in Kopie, einen Personalausweis seiner Ehegattin in Kopie, die Geburtsurkunden seiner Kinder in Kopie, einen Pensionistenausweis in Kopie, eine Bestätigung bezüglich seines Ruhestandes in Kopie und eine Bestätigung über die Fortzahlung der monatlichen Rente während eines Auslandsaufenthalts in Kopie (Übersetzungen mit Ausnahme der beiden Reisepässe: AS 129 - 157) in Vorlage.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 03.02.2022 (AS 165 - 258) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gaza abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Gaza gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Dem Fluchtvorbringen wurde die Glaubwürdigkeit versagt (AS 234 ff). Des Weiteren wurde in der rechtlichen Beurteilung begründend dargelegt, warum der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung nach Gaza gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
5. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.02.2022 (AS 126 ff, 271 f) wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und dieser ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
6. Gegen den oa. Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 03.03.2022 (AS 285 ff) in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Hinsichtlich des genauen Inhalts der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
6.1. Zunächst wurde - nach kurzer Wiedergabe des Sachverhalts und des bisherigen Verfahrensgangs - moniert, dass die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen.
Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht entsprochen, zumal die belangte Behörde auf Seite 29 des angefochtenen Bescheides festgestellt habe, dass sich die Kernfamilie des BF - Ehefrau und sechs Kinder - in Syrien befinden würde, was falsch sei. Die Kernfamilie befinde sich nicht in Syrien, sondern weiterhin in Gaza. Ferner sei der belangten Behörde vorzuwerfen, nicht näher ermittelt zu haben, ob eine Wiedereinreise nach Gaza für den BF überhaupt möglich sei. Den in der Beschwerde angeführten Länderberichten sei zu entnehmen, dass sich die Sicherheitslage derzeit massiv verschärfe, die Grenzen zumeist geschlossen seien und vor allem bei der Anreise zu Grenzübergängen von Rafah aus mit massiven Menschenrechtsverletzungen zu rechnen sei. Das BFA beschäftige sich daher nicht damit, ob die Wiedereinreise auch praktisch möglich und dem BF auch zumutbar sei. Weder über Israel noch über Ägypten sei dem BF derzeit eine Wiedereinreise nach Gaza zumutbar. Weiters habe es das BFA unterlassen, Ermittlungen zum tatsächlichen Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu erheben. Das BFA habe nicht näher ermittelt, ob für den BF unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände und der aktuellen Sicherheitslage einer innerstaatliche Fluchtalternative existiere und daher das Ermittlungsverfahren mit erheblichen Mängeln belastet.
Ferner würden sich die getroffenen Länderfeststellungen nicht ausreichend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF befassen und würden sich die herangezogenen Länderberichte als unvollständig und teilweise veraltet erweisen. Die belangte Behörde berufe sich im Wesentlichen auf das veraltete Länderinformationsblatt „Palästinensische Gebiete – Gaza“ vom 29.04.2020, welches jedoch am 29.05.2020 eine Gesamtaktualisierung erfahren habe, welche im angefochtenen Bescheid keine adäquate Beachtung gefunden habe. Dem aktuellen Länderinformationsblatt sei zu entnehmen, dass es „keine Informationen“ zur Situation von Rückkehrern bzw. überhaupt zur Möglichkeit der Rückkehr vorhanden seien. Die Unmöglichkeit der Einholung entsprechender Informationen sei als Indiz für die außerordentlich gefährliche Lage in Gaza sowie den gesamten palästinensischen Autonomiegebieten zu sehen. Gesicherte Informationen über den Umgang mit Rückkehrern würden nicht vorliegen und hätte daher auf andere, aktuelle und öffentlich zugängliche Länderberichte zurückgegriffen werden müssen.
Zudem habe das BFA die veralteten Länderberichte nicht adäquat ausgewertet. Aus den Berichten gehe nämlich klar hervor, dass die Hamas de facto über den Gaza-Streifen herrsche und es keine rechtsstaatlichen Instrumente seitens des Staates gebe, die dem BF irgendeinen Schutz vor seinen Problemen mit der Hamas bieten könne.
Des Weiteren wurde auszugsweise bezüglich der Situation von Rückkehrern auf einen US-amerikanischen Internetartikel und bezüglich der Sicherheitslage und der Menschenrechtssituation im Gaza-Streifen auf den EASO-Bericht „Security situation, civilian casualties, damage to civilian infrastructure and displacement in the Gaza Strip, between 1 May 2020 and 31 May 2021“ vom 08.06.2021, den Amnesty International Report 2020/21 zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Palästina 2020 vom 07.04.2021, den Bericht „2020 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza“ des US Department of State vom 30.03.2021 und den Bericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 von Freedom House vom 03.03.2021 sowie bezüglich der Todesstrafe auf den World Report 2021 - Israel and Palestine von Human Rights Watch vom 13.01.2021 verwiesen.
Die erwähnten Berichte würden die fälschliche Annahme, UNRWA biete adäquaten Schutz gegen Übergriffe durch Mitglieder der Hamas oder sonstige palästinensische Behörden, lebensfern und undenkbar erscheinen lassen. Der BF wäre der Hamas und/oder sonstigen Sicherheitsbehörden im Falle seiner Rückkehr schutzlos ausgeliefert. UNRWA selbst könne keinen Schutz garantieren, da UNRWA eine vorrangig humanitäre Organisation mit eingeschränktem Mandat sei (Grundversorgung von palästinensischen Flüchtlingen). Eine Rückkehr in die palästinensischen Gebiete sei zudem praktisch unmöglich und mit unzumutbarem Risiko verbunden. Ein Rückkehrer hätte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör durch die Hamas zu befürchten. Im gegenständlichen Fall treffe dies umso mehr zu, als der BF lebensnah und schlüssig Probleme mit der Hamas als Fluchtgrund angeführt habe. Die Länderberichte würden belegen, dass im Gaza-Streifen, aber auch in den palästinensischen Autonomiegebieten insgesamt, ein Klima der Gewalt und Willkür seitens der Hamas und den sonstigen Sicherheitsbehörden herrsche. Der BF wäre dieser bei einer Rückkehr schutzlos ausgeliefert.
6.2. Ferner wurde moniert, dass die Feststellungen auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Befragung und Sachverhaltsermittlung basieren und § 60 AVG verletzen würden. Ein Abgleich mit einschlägigen und aktuellen Länderberichten sei der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen. Es sei jede Würdigung der Lage in dem Herkunftsland unterlassen worden, vor allem im Hinblick auf die Einreise in den Gaza-Streifen, sowie die Verfolgung durch die Hamas. Im Anschluss wurden Überlegungen zu den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffen.
6.3. Im Rahmen rechtlicher Ausführungen wurde schließlich dargelegt, dass das Fluchtvorbringen des BF als glaubhaft zu werten sei, da dieser nachvollziehbare Angaben machen habe können und sich sein Vorbringen mit aktullen und fallbezogenen Länderberichten decke. Die Furcht des BF sei wohlbegründet, wie sich aus dem glaubhaften Vorbringen, den bisherigen Verfolgungshandlungen und aktuellen, fallbezogenen Länderfeststellungen ergebe. Die Hamas übe im Gaza-Streifen de facto Regierungsgewalt aus und könnte der BF daher in seinem Herkunftsstaat keinen effektiven staatlichen Schutz vor den ihm drohenden Verfolgungshandlungen erhalten. Ebenso wenig stünde ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Ferner sei angesichts der aktuellen Sicherheitslage davon auszugehen, dass bereits die bloße Anwesenheit im Gaza-Streifen derzeit eine drohende Verletzung von Art. 3 EMRK begründe. In Hinblick auf den BF trete als Risikofaktor noch hinzu, dass er ehemaliger Polizist/Wachsoldat sei, im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit ca. 130 Hamas-Kämpfer inhaftiert habe und dadurch sein Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK wesentlich höher sei. Was die Rückkehrentscheidung betrifft, so sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig, da das BFA verkannt habe, dass durch eine Rückkehrentscheidung der BF in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werde. Das BFA habe eine mangelhafte Interessenabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig wäre. Der BF sei unbescholten und gefährde durch seinen Aufenthalt in Österreich weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Er sei um eine umfassende Integration bemüht und sehr engagiert. Der BF sei bemüht Deutsch zu lernen, engagiert sich auch ehrenamtlich in seiner Unterkunft und wolle auch, sobald es möglich sei, freiwillig arbeiten.
6.4. Gemäß Artikel 47 Abs. 2 GRC habe jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt werde.
In der gegenständlichen Beschwerde sei die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufgezeigt worden. Da das BVwG seiner Entscheidung aktuelle Länderberichte zugrunde zu legen habe und die Feststellungen des Bundesamtes zumindest insofern zu ergänzen haben werde, sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung schon allein aus diesem Grunde erforderlich. Zudem sei der Beweiswürdigung des Bundesamtes substantiiert entgegengetreten worden. Da die entscheidungswesentlichen Feststellungen von der Beurteilung der Glaubwürdigkeit abhängig seien, habe sich das BVwG einen persönlichen Eindruck vom BF zu verschaffen. Zweck einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sei darüber hinaus nicht nur die Klärung des Sachverhalts und die Einräumung von Parteiengehör zu diesem, sondern auch das Rechtsgespräch und die Erörterung der Rechtsfragen. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Rechtslage während des Verfahrens in einem entscheidungswesentlichen Punkt ändere, sich daraus eine Rechtsfrage ergebe, die im bisherigen Verfahren noch nicht erörtert worden sei und zu der der BF noch keine Gelegenheit zur Äußerung gehabt habe.
6.5. Abschließend wurde beantragt,
- eine mündliche Verhandlung anzuberaumen;
- den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen;
- hilfsweise den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen;
- hilfsweise den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes IV. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikels 8 EMRK erteilt werde;
- hilfsweise den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen sowie die ordentliche Revision zuzulassen.
6.6. Mit diesem Rechtsmittel wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, zu einer anderslautenden Entscheidung zu gelangen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 03.05.2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung an (OZ 17). Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte des Weiteren das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Palästinensische Gebiete -Westjordanland/Westbank (Gesamtaktualisierung am 03.06.2022) und stellte dem BF eine Stellungnahme hierzu bis spätestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung frei. Schließlich forderte das Bundesverwaltungsgericht den BF auf, bis spätestens eine Woche vor der Verhandlung eine Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben abzugeben, sowie sämtliche Unterlagen hinsichtlich seiner Integration in Vorlage zu bringen.
8. Mit Eingabe vom 24.04.2023 (OZ 18) brachte der BF im Wege der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation eine UNRWA-Registrierungsbestätigung seiner Person und seiner Familienangehörigen sowie einen ärztlichen Befundbericht vom 23.02.2022 in Vorlage. Bezüglich der mittels Ladung zur Beschwerdeverhandlung übermittelten Länderinformationsquellen wurde festgehalten, dass diese zur Kenntnis genommen werden. Was das Privat- und Familienleben betrifft wurde dargelegt, dass sich der BF stets bemüht gezeigt habe, einen Deutschkurs zu absolvieren, ihm dies aber bislang nicht gestattet worden sei. In seinen Quartieren habe der BF stets ehreamtlich bei der Reinigung mitgeholfen, geputzt oder Geschirr abgewaschen und verstaut. Im Zuge des Aufenthalts in XXXX habe der BF einmal für 18 Tage ehrenamtlich in einem Restaurant mitgeholfen. Eine österreichische Staatsangehörige mit dem Namen XXXX sei dem BF besonders vertraut. Diese habe Flüchtlinge in einem Quartier besucht und versucht, diese zu animieren und zu integrieren.
9. Am 03.05.2023 wurde vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten (OZ 20), an welcher der Beschwerdeführer, der mit einem Vertreter der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation erschienen ist, teilnahm. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter, beantragte jedoch die Abweisung der Beschwerde. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, Erörterung der aktuellen Länderberichte zur Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten sowie ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei.
10. Mit Note vom 15.05.2023 (OZ 21) übermittelte das Bundesverwaltungsgericht zur Wahrung des Parteiengehörs das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Palästinensische Gebiete – Gaza (Gesamtaktualisierung am 31.05.2022) an den BF und das BFA, zumal zuvor aufgrund eines Versehens in Vorbereitung auf die Verhandlung irrtümlicherweise das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Palästinensische Gebiete - Westjordanland/Westbank (Gesamtaktualisierung am 03.06.2022) versandt wurde. Dem BF und der belangten Behörde wurde diesbezüglich eine Stellungnahme innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung dieses Schreibens freigestellt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ließ diese Frist zur Stellungnahme ungenützt verstreichen.
11. Der BF teilte im Zuge einer Stellungnahme vom 16.05.2023 (OZ 22) mit, dass das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Palästinensische Gebiete – Gaza zur Kenntnis genommen werde.
12. Hinsichtlich des Verfahrenshergangs und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
1.3. Prüfungsumfang
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Zur Entscheidungsbegründung:
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gegenständlichen Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, der Dokumentenvorlagen und insbesondere der am 03.05.2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Ferner durch Einsichtnahme in die in Vorlage gebrachte UNRWA-Registrierungsbestätigung des BF und seiner Familienangehörigen.
Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.
Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsakts, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
2.1. Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangt das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen:
2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist staatenloser Palästinenser aus dem Gaza-Streifen, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist moslemischen Glaubens sunnitischer Prägung.
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen fehlt es an persönlicher Glaubwürdigkeit.
Der Beschwerdeführer wurde in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen geboren, wo er auch bis zuletzt vor der Ausreise seinen Wohnsitz hatte. Er wohnte dort mit seiner Ehegattin und seinen vier Töchtern und zwei Söhnen in einer Mietwohnung. Es kann nicht festgestellt werden, wie lange der BF vor seiner Ausreise in dieser Immobilie lebte.
Der BF besuchte im Gaza-Streifen mehrere Jahre die Schule. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Saudi-Arabien arbeitete der Beschwerdeführer nach seiner Ausbildung ab 1985 als Polizist bei den palästinensischen Sicherheitskräften. Seit 01. Juli 2017 befindet sich der BF im Ruhestand und erhält eine Pension in der Höhe von ca. Schekel 4.073,00 (umgerechnet etwa € 1.032,24). Ob der BF seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit nicht mehr aktiv ausübte, kann ebenso wenig festgestellt werden, wie sein konkreter Aufgabenbereich als Polizist.
Die Ehegattin, die vier Töchter und zwei Söhne des BF leben nach wie vor in den palästinensischen Autonomiegebieten/ Gaza-Streifen. Der BF steht mit seiner Ehegattin regelmäßig in Kontakt. Diese erhielt eine Krebsdiagnose. Die Ehegattin bestreitet ihren Lebensunterhalt mithilfe der Pension des BF. Die Familie bezieht auch Unterstützungsleistungen der UNRWA-Vertretung im Gaza-Streifen.
Der Vater, eine Schwester und etwa zehn Halbgeschwister des BF befinden sich in Jordanien.
Der BF verließ im Oktober 2019 den Gaza-Streifen legal, unter Verwendung seines von der palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten Reisepasses, auf dem Landweg nach Ägypten und reiste in der Folge - unter anderem nach einem nahezu einjährigen Aufenthalt in der Türkei - im Mai 2021 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo der BF am 11.05.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seither lebt der Beschwerdeführer in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist, ebenso wie seine im Gaza-Streifen lebenden Familienangehörigen, im Herkunftsgebiet bei der UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge UNRWA im Gaza-Streifen registriert. Vor seiner Flucht bezog er bzw. seine Familie Leistungen der UNRWA bzw. bezieht seine Familie aktuell Leistungen der UNRWA (Lebensmittel/ Sachleistungen). Er verfügt über einen palästinensischen Personalausweis in Kopie, eine palästinensische Geburtsurkunde in Kopie und wurde ihm von der palästinensischen Autonomiebehörde ein Reisepass ausgestellt.
Der vom BF vorgebrachte Fluchtgrund (Verfolgung und Bedrohung durch die Hamas) wird mangels Glaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens nicht festgestellt.
Es kann sohin nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.
Es war nicht feststellbar, dass der BF vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung aus in seiner Person gelegenen Gründen durch Organe der Hamas ausgesetzt war oder stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei einer Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen einer solchen ausgesetzt wäre.
Es war sohin auch nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen als staatenloser palästinensischer Flüchtling nicht den Beistand der UNRWA vor Ort in Anspruch nehmen könnte, sofern er diesen in Anspruch nehmen wollte.
Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde. Nicht feststellbar war, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat keine Existenzgrundlage zur Befriedigung seiner elementaren Lebensbedürfnisse hätte.
Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsland festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer ist - abgesehen von in der Vergangenheit aufgetretenen Rückenschmerzen - gesund. Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Aktuelle ärztliche bzw. medizinische Befunde, welche eine Behandlung in Österreich erforderlich erscheinen lassen, hat der Beschwerdeführer nicht in Vorlage gebracht, weshalb von keiner schwerwiegenden Erkrankung oder Behandlungsbedürftigkeit auszugehen ist. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an einer per se lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, die in den palästinensischen Autonomiegebieten/ Gaza-Streifen nicht behandelbar ist bzw. welche eine Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würde.
Der Beschwerdeführer verfügte noch nie über ein Aufenthaltsrecht für Österreich außerhalb des Asylverfahrens.
Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich. Der familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befindet sich in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen. Der Beschwerdeführer verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine Verwandten in Österreich. Der Beschwerdeführer führt im Bundesgebiet keine Beziehung.
Der Beschwerdeführer besucht(e) in Österreich weder einen Deutschkurs, noch hat er eine Deutschprüfung erfolgreich absolviert. Er verfügt allenfalls über geringste Deutschkenntnisse.
Der Beschwerdeführer knüpfte normale soziale Kontakte. Er verfügt hier über einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Bekannten/ Freunden besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung. Der Beschwerdeführer brachte keine Unterstützungserklärungen in Vorlage.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich in der Vergangenheit keine (beruflichen) Bildungsangebote in Anspruch genommen und keine (beruflichen) Aus-, Fort-, oder Weiterbildungen besucht.
Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Der BF war bzw. ist nicht legal erwerbstätig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Österreich selbsterhaltungsfähig ist. Der BF verfügt weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag.
Der Beschwerdeführer ist als erwerbsfähig anzusehen, etwaige - eine Teilnahme am Arbeitsleben ausschließende - gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig. In der Vergangenheit übernahm der BF in den Unterkünften für Asylwerber ehrenamtlich Reinigungsarbeiten und half er in XXXX für 18 Tage ehrenamtlich in einem Restaurant mit. Aktuell leistet er keine offizielle ehrenamtliche Tätigkeit und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation in Österreich.
Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.
Er hat mit Ausnahme seines nunmehrigen Aufenthalts in Europa sein Leben zum überwiegenden Teil in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen verbracht, wo er sozialisiert wurde und wo sich nach wie vor seine Ehegattin, seine Kinder und Freunde sowie Bekannte aufhalten.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr bei seiner Familie - etwa bei seiner Ehegattin - wohnen wird können. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer spricht Arabisch. Der Beschwerdeführer ist ein - abgesehen von den Rückenschmerzen - gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit mehrjähriger Schulbildung. Insoweit ist dem BF zumindest die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten im Rückkehrfall grundsätzlich ebenfalls möglich und zumutbar, wobei der BF aber ohnehin aufgrund seiner früheren beruflichen Tätigkeit bereits eine Pension in der Höhe von ca. Schekel 4.073,00 (umgerechnet etwa € 1.032,24) bezieht. Er kann auch weiterhin den Beistand der UNRWA in Anspruch nehmen.
Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen festzustellen ist.
2.1.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen war insbesondere festzustellen:
Zur aktuellen Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen werden unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen folgende - zuletzt mit Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.05.2023 (OZ 21) in das Verfahren eingeführte - Länderfeststellungen (LIB der Staatendokumentation vom 31.05.2022) dem Verfahren zugrunde gelegt:
Politische Lage
Die Palästinensischen Gebiete bestehen aus dem Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem (AA 3.2.2022a). Palästina hat den Status eines Völkerrechtssubjekts, wird aber von Österreich nicht als Staat im Sinne des Völkerrechts anerkannt (BMEIA 18.5.2022). 138 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) stimmten am 29.11.2012 für eine Aufwertung des völkerrechtlichen Status der Palästinenser zu einem „Beobachterstaat“. Konkret bedeutet der Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedstaat, den etwa auch der Vatikan innehat, mehr Mitspracherechte bei den Vereinten Nationen. Künftig können die Palästinenser im Sicherheitsrat und in der Generalversammlung – sofern sie betroffen sind – an Diskussionen teilnehmen und Resolutionen einbringen. Ein weiterer wichtiger Zugewinn ist der Zugang zu Unterorganisationen der UN wie dem Internationalen Strafgerichtshof. Dadurch hätten die Palästinenser das Recht, etwaige Militäroperationen der Israelis in den Palästinensergebieten oder die Siedlungspolitik der israelischen Regierung vor Gericht zu bringen (BPB 30.11.2012). Im Dezember 2014 stimmte das europäische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit (498 Stimmen dafür, 88 dagegen) für die „Quasi“-Anerkennung Palästinas als Staat. Dieses Votum ist rechtlich nicht bindend, aber stellt ein Signal an die internationale Gemeinschaft dar. Schweden ist einen Schritt weiter gegangen und hat Palästina offiziell als Staat anerkannt (BBC 17.12.2014).
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO – Palestinian Liberation Organisation) wurde 1964 gegründet, 1974 als einzig legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes von der UNO anerkannt und erhielt den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen (VP o.D.; vgl. Britannica o.D.). 1993 kam es zum Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO (BPB 17.7.2011). Im Jahr 1993 folgte die Anerkennung der PLO als einzige Vertreterin der Palästinenser durch Israel (Haaretz 9.9.1993). Die PLO ist die Dachorganisation für die verschiedenen palästinensischen Parteien und Bewegungen, darunter die Fatah, die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Arabische Befreiungsfront, die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), die Palästinensische Befreiungsfront (PLF) und die Palästinensische Volkspartei (PPP). Hamas und Islamischer Jihad sind nicht in der PLO vertreten (VP o.D.; vgl. SZ 12.1.2018).
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA – Palestinian Authority) wurde 1994 nach Abschluss der Osloer Verträge zwischen Israel und der PLO gegründet. Am 13.4.2019 wurde die neue PA unter Premierminister Mohammad Shtayyeh vereidigt. Grundpfeiler des politischen Systems sind der Präsident, die Regierung unter Vorsitz eines Premierministers sowie das Parlament, der sogenannte Legislativrat (Palestinian National Council – PLC) mit 132 Sitzen. Das Wahlrecht sieht Verhältniswahl (Landesebene) und Direktwahl (Bezirksebene) vor. Letzte Wahlen in der Westbank und Gaza fanden im Januar 2006 statt; die vierjährige Legislaturperiode ist seit 2010 abgelaufen. Der Legislativrat tagt seit der Machtübernahme der Hamas in Gaza im Juni 2007 nicht mehr. Am 22.12.2018 hat Präsident Abbas den PLC für aufgelöst erklärt (AA 3.2.2022b; vgl. FH 28.2.2022). Parlamentswahlen hätten in den folgenden sechs Monaten stattfinden sollen, was nicht passierte. Die Hamas lehnte die Entscheidung über die Auflösung des PLC ab. Im Januar 2021 kündigte Abbas nicht nur an, dass im Juli Präsidentschaftswahlen stattfinden würden, sondern rief auch PLC-Wahlen für Mai aus. Allerdings sagte er beide Wahlen im April ab, und es wurde kein neuer Termin festgelegt (FH 28.2.2022). Der Präsident der Palästinensischen Behörde wird vom Volk direkt gewählt. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Januar 2005 statt. Die Amtszeit von Präsident Abbas ist formal seit 2009 abgelaufen (AA 3.2.2022b; vgl. FH 28.2.2022). Präsident Abbas ist auch Vorsitzender der PLO und Generalkommandant der Fatah-Bewegung (USDOS 12.4.2022). Der Premierminister ist laut Verfassung gegenüber dem Präsidenten und dem Legislativrat für sein Handeln und das Handeln des Kabinetts verantwortlich (GIZ 11.2020a).
Nach dem Erdrutschsieg der Hamas [Anm.: bei den Wahlen im Jahr 2006] begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern von Hamas und Fatah, in deren Verlauf Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Ihren Höhepunkt fanden sie im Juni 2007 im Gazastreifen als die Hamas mit Gewalt die Kontrolle über alle Sicherheitseinrichtungen und Regierungsgebäude der PA übernahm (GIZ 11.2020a). Zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas flohen aus Gaza (Spiegel Online 13.6.2007; FAZ 3.8.2008). Von diesem Zeitpunkt an war Palästina zweigeteilt, in einen von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und ein von der Fatah kontrolliertes Westjordanland. In beiden Gebieten wurden Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt, deren Einrichtungen geschlossen, ihre Medien verboten und ihre Demonstrationen aufgelöst (GIZ 11.2020a). In den letzten Jahren sind mehrere Versöhnungsversuche zwischen Fatah und Hamas gescheitert (CGRS 6.3.2020).
Die ständige Verschiebung der Wahlen im Gaza-Streifen verhindert jede Möglichkeit für eine Änderung des politischen Status quo. Die Umsetzung des Versöhnungsabkommens von 2017, das schließlich zu Wahlen geführt hätte, scheiterte zum Teil an der Frage der Kontrolle über die innere Sicherheit des Gazastreifens, weil die Hamas ihren unabhängigen bewaffneten Flügel und eine dominante Sicherheitsposition im Territorium behalten wollte (FH 3.3.2021; vgl. CGRS 6.3.2020). Die regional geförderten Gespräche zur Überbrückung der Kluft zwischen Hamas und Fatah scheiterten zuletzt, nachdem die Palästinensische Autonomiebehörde im April 2021 angekündigt hatte, dass die für Mai geplanten palästinensischen Parlamentswahlen und die für Juli geplanten Präsidentschaftswahlen auf unbestimmte Zeit verschoben würden (FH 28.2.2022). Entscheidungen über die Durchführung von Wahlen sind stark politisiert. Die Hamas weigerte sich, an den Kommunalwahlen der PA 2017 teilzunehmen, die aufgrund von Streitigkeiten zwischen Hamas und Fatah über die Kandidatenlisten vom Vorjahr verschoben worden waren. Im Dezember 2021 wurden im Westjordanland erneut Kommunalwahlen abgehalten, eine zweite Runde ist für Anfang 2022 angesetzt. Die Hamas lehnte jedoch die Durchführung der Wahlen im Gazastreifen ab. Die Fähigkeit palästinensischer Regierungsvertreter, im Gazastreifen Politik zu machen und umzusetzen, ist durch israelische und ägyptische Grenzkontrollen, israelische Militäraktionen und die anhaltende Spaltung mit der PA im Westjordanland stark eingeschränkt (FH 28.2.2022).
Seit dem Bruch zwischen der Hamas und der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas regiert die Hamas allein im Gazastreifen und wird höchstens von noch radikaleren Kräften herausgefordert (DS 17.5.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). Obwohl die Gesetze der PA in Gaza formal gültig sind (USDOS 11.3.2020; vgl. EU 30.3.2022), gelten die von der PA im Westjordanland seit 2007 erlassenen Gesetze de facto nicht mehr für die Bürger des von der Hamas kontrollierten Gazastreifens, und die in Gaza erlassenen Gesetze gelten nicht im Westjordanland (ICHR 4.2022).
Kleinere Parteien – darunter [Anm.: die beiden Terrorgruppen] Islamischer Jihad und die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) sowie die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und eine von Präsident Abbas nicht unterstützte Fraktion der Fatah – werden in unterschiedlichem Maße von der Hamas toleriert. Einige dieser Gruppen verfügen über eigene Medien und veranstalten Kundgebungen und Versammlungen. Diejenigen, die mit Präsident Abbas und seinen Unterstützern in der Fatah verbunden sind, sind jedoch der Verfolgung ausgesetzt (FH 28.2.2022).
Zivilgesellschaftliche Organisationen in Gaza geben an, dass die Hamas und andere islamistische Gruppen keinen öffentlichen Dissens, keine Opposition, keinen bürgerlichen Aktivismus oder die Förderung von Werten, die der politischen und religiösen Ideologie der Hamas widersprechen, tolerieren (USDOS 12.4.2022).
Am 6. Mai 2017 wurde Ismail Haniyye zum neuen Vorsitzenden des Politbüros der Hamas gewählt. Er löste damit Khaled Mashaal ab, der das Amt seit 1996 innehatte (GIZ 11.2020a). Im August 2021 wurde Haniyye durch eine Wahl innerhalb der Hamas-Führung in dieser Funktion für weitere vier Jahre bestätigt, ebenso wie Yahya (al-)Sinwar als Vorsitzender der Hamas in Gaza und damit als de facto-Regierungschef des Gebiets im März 2021 bestätigt wurde (FH 28.2.2022).
2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht (DS 17.5.2018). Israel hat weiterhin die Kontrolle über Wasser, Elektrizität, Infrastruktur, Grenzübergänge, medizinische Behandlung, Exporte/Importe und viele andere Bereiche des täglichen Lebens. Die Palästinenser haben keine Souveränität über ihre Ressourcen (MEE 13.10.2019). Die Blockade des Gazastreifens seit 2007 durch Israel, die durch die ägyptischen Beschränkungen an der Grenze zum Gazastreifen noch verschärft wird, schränkt den Zugang der rund zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und Elektrizität ein. Achtzig Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind von humanitärer Hilfe abhängig (HRW 13.1.2022; vgl. BBC 1.7.2021). Die Bevölkerung in Gaza beläuft sich auf rund 2,1 Millionen, von denen etwa 1,4 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge sind (UNRWA o.D.).
Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021, EU 4.2.2022, USDOS 16.12.2021).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Israel und den Palästinensischen Gebieten ist wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt (AA 24.5.2022). Auch den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im besetzten Palästinensischen Gebiet auswirken (EDA 8.4.2022).
1994 begann Israel einen Grenzzaun zu bauen, der im Jahr 2000, während der Intifada, attackiert und danach durch eine Sicherheitsbarriere ersetzt wurde. Dabei richtete Israel auch eine Pufferzone auf dem Gebiet des Streifens ein (was ihn noch schmäler macht), in die laut israelischen Einsatzregeln scharf hineingeschossen werden kann. Die Breite der Zone, bis zu 300 Meter, wird variabel festgelegt – dort fanden in der Vergangenheit Aufmärsche statt. 2005 zog Israel sein Militär und die nach 1967 angesiedelten Israelis aus dem Gazastreifen ab, behielt jedoch die Kontrolle über Außengrenzen und Luftraum unilateral bei: Daraus resultiert der Rechtsstreit, ob der Gazastreifen noch besetzt ist oder nicht. Die letzten Jahre sind geprägt von einem Wechselspiel von Raketenangriffen auf Israel aus dem Gazastreifen, dem Bau von Schmuggel- und Angriffstunnels – und der immer wieder gelockerten und angezogenen Blockade durch Israel (DS 17.5.2018) sowie israelischen Militäroffensiven (AA 24.5.2022).
Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021, EU 4.2.2022, USDOS 16.12.2021). Seit der Übernahme der Kontrolle über den Gazastreifen im Jahr 2007 hat die Hamas die Verantwortung für zahlreiche Raketenangriffe auf Israel übernommen und organisierte Proteste an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel, die zu gewaltsamen Zusammenstößen, Opfern und militärischen Vergeltungsmaßnahmen der israelischen Streitkräfte führten. Der Palästinensische Islamische Jihad (PIJ) hat seit den 1980er Jahren ebenfalls zahlreiche Angriffe auf Israel verübt, darunter eine Reihe von Mörser- und Raketenangriffen im Jahr 2020, die ebenfalls zu Gegenschlägen der IDF führten (CIA 24.5.2022). Gemäß einer Einschätzung des israelischen Militärs vom April 2022 würde der Islamische Jihad derzeit keine Angriffe von Gaza aus nach Israel ohne Zustimmung der Hamas durchführen (Haaretz 18.4.2022a).
Im Frühjahr 2021 kam es in Ost-Jerusalem zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Israelis. Anlass war die geplante Zwangsräumung palästinensischer Häuser zugunsten von Siedlern sowie die Stationierung von Polizeieinheiten auf dem Tempelberg. Die Auseinandersetzungen breiteten sich auf die jüdisch-arabisch gemischten Städte in Israel, die besetzte Westbank und den Gaza-Streifen aus und eskalierten zu einem elftägigen Krieg zwischen der Hamas und Israel. Es war der vierte Krieg in vierzehn Jahren [Anm.: nach 2008-2009, 2012 und 2014 (ICG 10.8.2021)] (BPB 2.11.2021). Die im Gaza-Streifen regierende islamistische Hamas, die sich als Verteidigerin Jerusalems und der Al-Aqsa-Moschee stilisierte, beschoss israelisches Territorium mit Raketen und Mörsern. Die israelische Armee antwortete mit Bombenangriffen auf das Waffenarsenal, das Tunnelsystem sowie die militärische und politische Führung der Hamas. Mindesten 248 Palästinenser und 12 Israelis verloren in der jüngsten Eskalation ihr Leben (BPB 2.11.2021). Laut UN starben mindestens 129 palästinensische Zivilisten bei den israelischen Angriffen (OCHA 25.6.2021), wie auch 12 israelische Zivilisten und mindestens sieben Palästinenser im Gazastreifen durch Raketenangriffe der Hamas (HRW 13.1.2022). Mindestens 2.200 Palästinenser wurden verletzt, von denen manche möglicherweise Langzeitschäden erlitten haben (USDOS 12.4.2022).
Bei der „Guardian of the Walls“ genannten Operation der israelischen Streitkräfte im Mai 2021 wurden insgesamt fast 500 Gebäude im Gazastreifen zerstört oder schwer beschädigt, darunter mehrere Hochhäuser, in denen 33 Medienunternehmen ihre Büros hatten, unter ihnen lokale und internationale Pressebüros wie Al Jazeera und Associated Press. Ebenso wurden Bildungs- und medizinische Einrichtungen getroffen, und das Stromnetzwerk beschädigt. Der daraus resultierende Stromausfall wirkte sich auch auf die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung im Gazastreifen aus (ICG 10.8.2021). Auch wurde eine Wasserentsalzungsanlage bei einem israelischen Angriff getroffen, wodurch die Wasserversorgung für mehr als 250.000 Bewohner des Gazastreifens für rund 12 Tage eingestellt werden musste (AI 2022a). Die WHO warnte unter anderem vor einer verstärkten Ausbreitung von COVID-19, weil sich die vertriebenen Bewohner zum Schutz in Schulen drängten (ICG 10.8.2021).
Human Rights Watch dokumentierte nach eigenen Angaben schwerwiegende Verstöße gegen das Kriegsrecht und offensichtliche Kriegsverbrechen während der Feindseligkeiten (HRW 13.1.2022; vgl. AI 2022a). Bei den israelischen Angriffen wurden zahlreiche Zivilisten getötet und unter anderem vier Hochhäuser zerstört, ohne dass sich diese in der Nähe offensichtlicher militärischer Ziele befunden hätten, wie auch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen willkürliche Raketenangriffe auf israelische Städte durchführten (HRW 13.1.2022). Militante Gruppierungen feuerten aus zivilen Gebieten im Gazastreifen Raketen auf zivile Gebiete in Israel ab. Die israelische Regierung gab an, dass die Hamas und andere Gruppierungen in Gaza zivile Infrastruktur als Schutzschild verwenden würden (USDOS 12.4.2022). Am 21. Mai 2021 trat eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe in Kraft (BPB 2.11.2021).
Seit den Kampfhandlungen zwischen Israel und militanten Gruppierungen im Gazastreifen im Mai 2021 konnte noch kein dauerhafter Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien erreicht werden. Es kam zuletzt mehrfach zu Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, der zum Teil mit Luftschlägen der israelischen Streitkräfte beantwortet wurde (AA 24.5.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, Haaretz 18.4.2022b, Al-Jazeera 22.4.2022). Auch Demonstrationen und Zusammenstöße an der Sperranlage sind weiterhin möglich (AA 24.5.2022; vgl. USDOS 12.4.2022, Al-Jazeera 22.4.2022). Beispielsweise im April 2022 folgten tausende Bewohner im Norden des Gazastreifens Protestaufrufen der Hamas, nachdem die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zu Beginn des heiligen Monats Ramadan im Zentrum tagelanger Gewalt und erhöhter Spannungen gestanden war (Al-Jazeera 22.4.2022). Ende August/Anfang September 2021 warfen Palästinenser im Grenzbereich zwischen dem Gazastreifen und Israel Sprengkörper und die israelischen Streitkräfte setzten scharfe Munition ein, es kam zu Todesopfern und Verletzten (BAMF 6.9.2021, BAMF 23.8.2021). Das unmittelbar an den Gazastreifen angrenzende Gebiet kann von Feuerballons betroffen sein, die Brände auslösen (AA 24.5.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Seit dem 22.5.2021 und bis zum 8.5.2022 [Anm.: letzte verfügbare Daten] zählte das Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen insgesamt elf Todesopfer im Gazastreifen, darunter vier ZivilistInnen und drei Tote, deren Status umstritten ist, sowie 156 Verletzte [Anm.: insgesamt – hierbei keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten] (OCHA o.D.a).
Die Hamas verhaftete in der ersten Jahreshälfte 2019 Hunderte Salafisten. Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) sind im Gazastreifen momentan nicht stark organisiert, aber die Gefahr, dass sie hier Fuß fassen könnten, ist sehr groß (Zeit Online 8.7.2019). Die Hamas hat in den letzten Jahren IS-Elemente bekämpft, die versuchten, im Gazastreifen eine Präsenz aufzubauen, begrüßte jedoch im März 2022 öffentlich IS-inspirierte Angriffe in Israel (France 24 31.3.2022).
Rechtsschutz / Justizwesen
Rechtssicherheit wird in Palästina dadurch erschwert, dass immer noch Elemente des osmanischen, britischen, jordanischen, ägyptischen, israelischen (israelische Militärverordnungen) und palästinensischen Rechts (seit 1994) nebeneinander existieren. Darüber hinaus wird in Palästina Gewohnheitsrecht und religiöses Recht (insbesondere im Familienrecht) angewandt. Daneben werden die Beschlüsse des Obersten Palästinensischen Gerichtshofes nicht immer umgesetzt (GIZ 11.2020a). Obwohl die Gesetze der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in Gaza formal gültig sind, hat die PA nur wenig Autorität, und die Hamas verfügt über die de facto-Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. Spiegel Online 9.11.2021). Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf das Justizwesen aus. Nach der Spaltung untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Justizbehörden (und auch der Sicherheitskräfte) im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der palästinensischen Behörde bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Hamas stellte Ersatz-Staatsanwälte und Richter ein, die häufig keine entsprechende Ausbildung und Qualifikation für die Aufgaben hatten (GIZ 11.2020a).
Die Gesetze der PA sehen das Recht auf eine unabhängige Justiz sowie einen fairen und öffentlichen Prozess vor. Verfahren sind öffentlich, außer in Sonderfällen, etwa wenn es zum Schutz bestimmter Interessen nötig ist, das Verfahren nicht-öffentlich abzuhalten. Es gilt die Unschuldsvermutung und der Angeklagte hat das Recht, zeitnah über die gegen ihn vorliegende Anklage informiert zu werden. Gemäß Amnesty International werden diese Rechte manchmal nicht gewahrt. Rechtsbeistand ist vorgesehen, auf Kosten des Staates, wenn nötig. Die Angeklagten haben das Recht auf Berufung. Während die PA in der Westbank diese prozeduralen Rechte weitgehend gewährleistet, implementiert sie die Hamas-Behörde im Gazastreifen nur inkonsistent (USDOS 12.4.2022). Dem Gerichtssystem der Hamas gelingt es üblicherweise nicht, einen fairen Prozess zu gewährleisten und in manchen Fällen werden Zivilisten von speziellen Militärgerichten verurteilt (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Die Hamas unterhält ein ad hoc-Justizsystem, das getrennt von den Strukturen der PA funktioniert. Das System ist politischer Einflussnahme ausgesetzt, Richtern mangelt es an angemessener Ausbildung und Erfahrung (FH 28.2.2022). Von der Hamas ernannte Staatsanwälte und Richter arbeiteten de facto vor Gerichten, was die PA als illegal ansah. Die Bewohner des Gazastreifens können zivilrechtliche Klagen einreichen, auch wenn es um Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen geht; dies ist jedoch nicht üblich (USDOS 12.4.2022). Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Hamas sowie über politisch motivierte Festnahmen. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage gewesen wären, die Hamas als de facto-Autorität im Gazastreifen zur Rechenschaft zu ziehen (USDOS 12.4.2022). Die Hamas setzte auch weiterhin Beschränkungen für die Bevölkerung des Gazastreifens auf der Grundlage ihrer Auslegung des Islam und der Scharia durch, einschließlich eines von den Gerichten der PA getrennten Justizsystems (USDOS 12.5.2021).
Nach Angaben der israelischen NGO B'Tselem, die darauf hinweist, dass der Transport von Gefangenen außerhalb des besetzten Gebiets gegen internationales Recht verstößt, befanden sich Ende September 2020 etwa 254 palästinensische Sicherheitshäftlinge und Gefangene aus dem Gazastreifen in israelischen Gefängnissen. Die israelischen Militärgerichte, welche die Fälle dieser Gefangenen behandeln, verfügen nicht über die vollständigen Verfahrensgarantien ziviler Gerichte (FH 28.2.2022).
Bewohner des Gazastreifens können von der israelischen Regierung keine Wiedergutmachung oder Entschädigung für Sach- oder Personenschäden verlangen, weil der Gazastreifen nach israelischem Recht als „feindliches Gebiet“ eingestuft ist (USDOS 12.4.2022).
Stammesgerichte spielen in Gaza eine wichtige Rolle für die Stabilität in der Gesellschaft. Die Menschen in Gaza bringen ihre Fälle oftmals lieber vor Stammesgerichte, weil diese meist sehr schnell ein Urteil fällen. Die Stammesgerichte stehen nicht im Widerspruch zur offiziellen Gerichtsbarkeit, sie operieren mit Unterstützung der Letzteren. Problematisch ist, das die Stammesrichter (tribal arbitrators) nicht im selben Maße unparteiisch sind wie offizielle Richter (Al-Monitor 28.3.2018; vgl. USDOS 12.4.2022).
Das Personenstandsrecht ist grundsätzlich abhängig von Religions- und Konfessionszugehörigkeit (WCLAC/DCAF 5.2012; vgl. USDOS 12.4.2022). Islamische oder christliche religiöse Gerichte behandeln Angelegenheiten des Personenstandsrechts, einschließlich Erbschaft, Heirat, Scheidung und Kindesunterhalt. Für Muslime sind Sharia-Gerichte und für Christen geistliche Gerichte der anerkannten Konfessionen zuständig (USDOS 12.5.2021).
Sicherheitsbehörden
Im Gazastreifen hat die Hamas in allen Gesellschaftsbereichen de facto die Kontrolle. Es gibt keine rechtlichen oder unabhängigen Institutionen, die in der Lage sind, die Hamas zur Verantwortung bzw. Rechenschaft zu ziehen. Für die innere Sicherheit in Gaza zuständig sind Zivilpolizei, Wach- und Schutztruppen, eine interne Geheimdienst- und Ermittlungseinheit sowie der Zivilschutz. Für die nationale Sicherheit zuständig sind die nationalen Sicherheitskräfte, die Militärjustiz, die Militärpolizei, der medizinische Dienst und die Gefängnisbehörde. In einigen Fällen nutzen die „zivilen“ Hamas-Behörden de facto den militärischen Flügel der Hamas-Bewegung, um gegen interne Meinungsverschiedenheiten vorzugehen (USDOS 12.4.2022).
Die Hamas verfügt nicht über konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften, zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, den Izz al-Din al-Qassam-Brigaden. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas. Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gazastreifen operieren, vor allem die Al-Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Jihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 24.5.2022). Die Izz al-Din al-Qassam Brigade kann, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014, als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Einer Schätzung der CIA zufolge betrug ihre Stärke im Jahr 2021 20.000-25.000 Kämpfer (CIA 24.5.2022). Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021; EU 4.2.2022; USDOS 16.12.2021), genauso wie Izz al-Din al-Qassam und der Islamische Jihad von der EU als terroristische Gruppierungen eingestuft werden (EU 4.2.2022).
Die Auseinandersetzungen zwischen Fatah und Hamas wirken sich auch auf die Sicherheitskräfte
aus. Nach der Spaltung im Jahr 2007 untersagte die palästinensische Behörde ehemaligen Mitarbeitern der Sicherheitskräfte, im Gazastreifen für die Verwaltung der Hamas zu arbeiten. Sie wurden stattdessen von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bezahlt, ohne zu arbeiten. Die Arbeit der palästinensischen Sicherheitsdienste und der Polizei wird jedoch auch durch die israelische Armee behindert, z.B. zerstörte sie während des Gaza-Krieges im Dezember 2008 alle Gefängnisse und Haftzentren in Gaza durch Bombenangriffe (GIZ 11.2020a).
Folter und unmenschliche Behandlung
Palästina hat im März 2014 die UN-Konvention gegen Folter (UNCAT) unterzeichnet (EU 30.3.2022) und das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbietet Folter sowie die Ausübung von Gewalt gegen Gefangene. Folter und Misshandlungen kommen jedoch weiterhin in Gaza wie im Westjordanland vor (USDOS 12.4.2022; vgl. EU 30.3.2022) bzw. sind sie weit verbreitet (AI 2022b; vgl. HRW 29.5.2019).
Mit den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah ab 2007 wurden in beiden Gebieten Aktivisten der jeweils anderen Seite inhaftiert und misshandelt (GIZ 11.2020a). Die Hamas-Behörden im Gazastreifen verhaften und foltern routinemäßig friedliche Kritiker und Gegner. Bei der unabhängigen palästinensischen Menschenrechtskommission (ICHR) gingen zwischen Januar und September 2020 75 Beschwerden über willkürliche Verhaftungen und 72 über Folter und Misshandlungen gegen die Hamas-Behörden ein (HRW 13.1.2022).In den letzten vier Jahren wurden insgesamt 782 Beschwerden von Bürgern eingereicht, die angeben, von Vollzugsbeamten im Gazastreifen gefoltert und misshandelt worden zu sein. Unter anderem gingen bei der ICHR auch Beschwerden von Frauen und Kindern ein (ICHR 4.2022).
Korruption
Gesetzliche Regelungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) sehen Strafen für behördliche Korruption vor (USDOS 12.4.2022). Die von der Hamas kontrollierte Regierung verfügt über keine wirksamen oder unabhängigen Mechanismen zur Gewährleistung von Transparenz in Sachen Finanzierung, der Beschaffung oder ihrer Tätigkeit. Der Hamas wird Korruption bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und der Verteilung von Hilfsleistungen vorgeworfen (FH 28.2.2022). Im Gazastreifen werfen örtliche Beobachter und NGOs der Hamas Fälle von Mittäterschaft bei korrupten Vorgängen vor, einschließlich Vergünstigungen bei Einkaufskonditionen für Immobilien und der Generierung von Einnahmen in Zusammenhang mit Gebührenforderungen gegenüber Importeuren in den Gazastreifen. Internationale Organisationen wiesen auch auf die Korruption bei der Einstellungspraxis der Hamas hin, das ein System des Klientelismus schuf, welches das Wirtschaftswachstum behindert (USDOS 12.4.2022).
Laut Korruptionsbericht 2021 der palästinensischen Vereinigung AMAN – Coalition for Accountability and Integrity blieben Machtmissbrauch, „Wasta“ oder Vetternwirtschaft und Klientelismus 2021 die häufigste Form der Korruption in Palästina [Anm.: Wasta = gute Beziehungen]. Auch wurde von wirtschaftlicher Korruption wie Geldwäsche, Steuervermeidung und der Anpreisung von verdorbenen/abgelaufenen Lebensmitteln berichtet. AMAN registrierte Verbesserungen bei der Transparenz von öffentlichen Beschaffungen durch die palästinensischen Behörden. Im Gazastreifen ist die Veröffentlichung von Verträgen auf der Website des Finanzministeriums nach wie vor unvollständig (AMAN 2022).
Wehrdienst und Rekrutierungen
Die Hamas hat kein konventionelles Militär im Gazastreifen, sondern unterhält verschiedene Einheiten von Sicherheitskräften zusätzlich zu ihrem bewaffneten Flügel, der Izz al-Din al-Qassam
Brigade. Dieser militärische Flügel untersteht dem politischen Büro der Hamas (CIA 24.5.2022).
Es gibt mehrere andere militante Gruppierungen, die im Gaza-Streifen operieren, vor allem die Al-Quds-Brigaden des Palästinensischen Islamischen Jihad, die normalerweise, aber nicht immer, der Autorität der Hamas unterstehen (CIA 24.5.2022). Die Izz al-Din al-Qassam Brigaden können, gemäß Informationen aus dem Jahr 2014 als etwa 7.000 Mann starke „stehende Armee“ gesehen werden, mit einem Mobilisierungspotential von etwa 25.000 Mann (GS 1.5.2017). Laut CIA wurde ihre Mannstärke im Jahr 2021 auf 20.000-25.000 Kämpfer geschätzt (CIA 24.5.2022).
Im Jahr 2021 wurde berichtet, dass die Hamas Sommercamps unter dem Motto „Jihad“ abhielt, allerdings gibt es laut dem US-amerikanischen Außenministerium für das Jahr keine Berichte, dass die Hamas Kindersoldaten rekrutierte oder einsetzte (USDOS 12.4.2022). Die Vereinten Nationen verifizierten hingegen im Jahr 2020 die Rekrutierung und den Einsatz von zwei Kindersoldaten durch die al-Qassam-Brigaden (UNSC 6.5.2021).
Die EU, Israel und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein (BBC 1.7.2021; EU 4.2.2022; USDOS 16.12.2021), ebenso wie ihre Izz al-Din al-Qassam Brigaden und der Islamische Jihad von der EU als terroristische Gruppierungen eingestuft werden (EU 4.2.2022).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Hamas übt im Gazastreifen die de facto-Kontrolle aus und legt der Bevölkerung Restriktionen gemäß ihrer Interpretation des Islam und der Scharia auf (USDOS 12.5.2021). Es wird berichtet von ungesetzlichen oder willkürlichen Tötungen, Folter und willkürlicher Inhaftierung durch Beamte der Hamas, willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriffen in die Privatsphäre, Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Internetfreiheit, Gewaltandrohungen, Verhaftungen und Verfolgungen von Journalisten, Zensur, Sperren von Websites, wesentlichen Eingriffen in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, Einschränkungen der politischen Partizipation, Korruption, Gewalt und Gewaltandrohungen gegen LGBTI-Personen, etc. (USDOS 12.4.2022).
Die Religionsfreiheit ist im Gazastreifen eingeschränkt. Das Grundgesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) erklärt den Islam zur offiziellen Religion Palästinas und besagt, dass „Respekt und Heiligkeit aller anderen himmlischen Religionen (Judentum, Christentum) gewahrt werden sollen“. Blasphemie ist ein kriminelles Vergehen. Die Hamas-Behörden setzen konservative sunnitische islamische Praktiken durch und versuchen, politische Kontrolle über Moscheen auszuüben. Sie erzwingen jedoch keine Gebete in Schulen und zwingen Frauen nicht dazu, einen Hidschab zu tragen, wie es in den ersten Jahren der Kontrolle durch die Hamas üblich war (FH 28.2.2022).
Die Sicherheitskräfte und Kämpfer der Hamas nehmen regelmäßig willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen vor. Das von der Hamas beaufsichtigte Gerichtssystem gewährleistet in der Regel keine ordnungsgemäßen Verfahren, und in einigen Fällen werden Zivilisten von speziellen Militärgerichten vor Gericht gestellt (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Es ist unklar, wie viele Palästinenser sich in Untersuchungshaft befinden, jedoch sind Berichte über Inhaftierungen ohne Anklage oder Prozess weit verbreitet (USDOS 12.4.2022).
Die Hamas-Behörden führten willkürliche Verhaftungen aufgrund von politischer Zugehörigkeit durch (USDOS 12.4.2022) und verhafteten Gegner und Kritiker wegen ihrer friedlichen Äußerungen. Einige von ihnen wurden in Gewahrsam gefoltert (HRW 13.1.2022). Es gab zahlreiche Berichte darüber, dass die Hamas palästinensische Journalisten zu Unrecht festnahm und Palästinenser verhaftete, die im Internet Kritik an der Hamas im Gazastreifen äußerten. Ungerechtfertigte Inhaftierungen durch die Hamas sind weit verbreitet, insbesondere von Aktivisten der Zivilgesellschaft, Fatah-Mitgliedern, Journalisten und Personen, die beschuldigt wurden, die Hamas zu kritisieren. Auch Personen, die verdächtigt werden, Verbindungen zu Israel zu haben, wurden von der Hamas zu Unrecht inhaftiert (USDOS 12.4.2022).
Die Einschüchterung durch militante Hamas-Kämpfer und andere bewaffnete Gruppen hat Auswirkungen auf die persönliche Meinungsäußerung und private Diskussionen in Gaza. Die Behörden der Hamas überwachen soziale Medien auf kritische Inhalte. Ein HRW-Bericht aus dem Jahr 2018 dokumentierte eine Reihe von Vorfällen, bei denen die Hamas Personen aufgrund ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien oder ihrer Teilnahme an politischen Veranstaltungen eingeschüchtert, inhaftiert oder misshandelt hat, vor allem diejenigen, welche als Unterstützer der Fatah oder als Gegner der Hamas-Regierung wahrgenommen wurden. So wurden beispielsweise Personen inhaftiert und zu Social-Media-Beiträgen befragt, die sich kritisch über die Hamas-Führung und deren Umgang mit der Stromknappheit äußerten (FH 28.2.2022). Zivilgesellschaftliche Organisationen berichteten, dass die Hamas im Gazastreifen Fernsehsendungen und schriftliches Material wie Zeitungen und Bücher zensiert (USDOS 12.4.2022).
Es gibt ein breites Spektrum an palästinensischen NGOs und zivilgesellschaftlichen Gruppen, und die Hamas unterhält ein großes Netzwerk für soziale Dienste. Allerdings hat die Hamas die Aktivitäten von Organisationen, die sich nicht ihren Vorschriften unterwerfen, eingeschränkt, und viele zivilgesellschaftliche Vereinigungen wurden seit der Spaltung der PA im Jahr 2007 aus politischen Gründen geschlossen. Die Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen von NGOs nach dem Konflikt mit Israel im Jahr 2014 wurden zum Teil durch Meinungsverschiedenheiten über den Zugang der internationalen Gemeinschaft und der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Gazastreifen sowie die Kontrolle über die Grenzübergänge behindert. Die israelische Regierung schränkt auch den Zugang von Menschenrechtlern und NGO-Mitarbeitern zum Gazastreifen ein (FH 28.2.2022).
Die Aktivitäten der Fatah-nahen Palestinian General Federation of Trade Unions, der größten Gewerkschaftsorganisation in den palästinensischen Gebieten, wurden in Gaza eingeschränkt. Die Hamas greift manchmal in Gewerkschaftswahlen oder in die Aktivitäten von Berufsverbänden ein, die mit der Fatah verbunden sind. Die Hamas hat ihre eigenen, parallelen Berufsverbände gegründet, um mit bestehenden Organisationen zu konkurrieren. Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, der extrem hohen Arbeitslosigkeit und des dysfunktionalen Gerichtssystems, das die Durchsetzung des Arbeitsschutzes behindert, haben die Arbeitnehmer bei Arbeitskonflikten kaum eine Handhabe (FH 28.2.2022).
Die Haftbedingungen in Gefängnissen im Gazastreifen sind Berichten zufolge schlecht und die Gefängniszellen überbelegt. NGO-Berichten zufolge mangelt es in allen Gefängnissen an ange-messenen Einrichtungen und spezieller medizinischer Versorgung für Häftlinge und Gefangene mit Behinderungen. Laut Human Rights Watch führten Mechanismen, mit denen Mitarbeiter und Verwaltungsangestellte zur Rechenschaft gezogen werden sollten, selten, wenn überhaupt, zu Konsequenzen für schwerwiegende Missbräuche. Im Gazastreifen wird dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) Zugang zu Häftlingen gewährt, um Behandlung und Haftbedingungen zu bewerten. Menschenrechtsorganisationen führen Gefängnisbesuche durch. Zu hochrangigen Häftlingen wird der Zugang allerdings verwehrt (USDOS 12.4.2022).
Die israelische Menschenrechtsorganisation B'Tselem weist darauf hin, dass die Verbringung von Gefangenen aus dem besetzten Gebiet gegen internationales Recht verstößt. Laut ihren Angaben befanden sich Ende September 2020 rund 254 palästinensische Sicherheitshäftlinge und Gefangene aus dem Gazastreifen in israelischen Gefängnissen. Die israelischen Militärgerichte, welche die Fälle dieser Gefangenen behandeln, verfügen nicht über die vollständigen Verfahrensgarantien ziviler Gerichte (FH 28.2.2022; vgl. AI 2022b). Unter anderem waren palästinensische Gefangene langer Isolationshaft und unzureichender medizinischer Behandlung ausgesetzt (AI 2022).
Menschenrechtsorganisationen beklagen auch zahlreiche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch Israel in Palästina. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem wurden vom 19.01.2009 bis zum 31.12.2019 im Westjordanland und im Gazastreifen 3.512 Palästinenser durch israelische Sicherheitskräfte getötet, darunter 794 Minderjährige. Bei der israelischen Militäroperation "Protective Edge" im Gazastreifen im Juli/August 2014 kamen nach UN-Angaben mindestens 1.473 Zivilisten ums Leben (GIZ 11.2020a). 2021 war in dieser Hinsicht das tödlichste Jahr seit 2014: israelische Sicherheitskräfte töteten in diesem Jahr laut B’Tselem im Gazastreifen 236 Palästinenser (B’Tselem 4.1.2022). Laut dem Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen wurden zwischen 1.1.2020 und 8.5.2022 [Anm.: dzt. verfügbarer Letztstand] im Gazastreifen im Kontext mit dem Konflikt und der Besetzung 271 Palästinenser getötet, davon 138 Zivilisten, 55 Personen, deren Zugehörigkeit umstritten war, sowie 78 Kombattanten. 2.433 weitere Palästinenser [Anm.: keine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten] wurden verletzt (OCHA o.D.a).
Während der Kämpfe im Mai 2021 wurden laut dem Ministerium für Arbeit und Wohnraum in Gaza rund 2.200 Wohneinheiten durch israelische Angriffe schwer beschädigt. Unter anderem bombardierte Israel vier Hochhäuser in Gaza, wodurch die Bewohner ihre Wohnungen und Unternehmer ihre Geschäfte verloren. Israel informierte zwar die Eigentümer der Türme über seine Absichten, gab den Bewohnern und Geschäftsleuten laut der NGO B’Tselem jedoch nicht genügend Zeit, um ihr Hab und Gut aus den Gebäuden zu entfernen. In den Gebäuden untergebrachte Medienorganisationen verloren teure Ausrüstung und über Jahre gesammeltes Material (B’Tselem 15.12.2021).
Israels de facto-Blockade des Gazastreifens, regelmäßige militärische Übergriffe und Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit haben die Zivilbevölkerung in große Bedrängnis gebracht, ebenso wie die strenge Kontrolle der Südgrenze durch Ägypten (FH 28.2.2022). Während der Feindseligkeiten im Mai 2021 und bis August des Jahres untersagten die israelischen Behörden die Einfuhr von Baumaterialien und anderen lebenswichtigen Gütern und schränkten den Zugang zu den Hoheitsgewässern des Gazastreifens für palästinensische Fischer ein – Maßnahmen, welche sich gegen die allgemeine Zivilbevölkerung des Gazastreifens richteten, und laut Human Rights Watch (HRW) „einer rechtswidrigen kollektiven Bestrafung“ gleichkommen (HRW 13.1.2022).
Die Palästinenser im Gazastreifen protestierten im August 2021 mehrfach am Zaun zwischen dem Gazastreifen und Israel, um politische und humanitäre Forderungen zu stellen, darunter den Wiederaufbau im Gazastreifen und die Wiedereröffnung der Grenzübergänge [Anm.: Israel hindert Personen auch mit scharfer Munition daran, diese Pufferzonen in der Nähe der Grenze zu betreten (FH 28.2.2022)]. Hunderte nahmen am 21. und 25. August an den Protesten teil, darunter bewaffnete Kämpfer wie auch unbewaffnete Demonstranten. Medienberichten zufolge tötete das israelische Militär während der Proteste drei Personen: einen Kämpfer der Al-Quds-Brigade (AQB), einen 12-jährigen Buben und einen weiteren Mann. Auch ein israelischer Grenzschutzbeamter wurde bei den Protesten getötet (USDOS 12.4.2022).
Todesstrafe
Im Jahr 2018 unterzeichnete der „Staat Palästina“ die International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), welche den Einsatz der Todesstrafe stark einschränkt (FH 28.2.2022). Die Hamas-geführten Behörden verhängten Todesurteile ohne ordnungsgemäße Verfahren oder adäquate Berufungsmöglichkeiten (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.3.2022). Laut Gesetz muss der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde jedes Todesurteil ratifizieren. In den vergangenen Jahren führte die Hamas jedoch die Hinrichtungen ohne die Zustimmung des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde durch (USDOS 12.4.2022; vgl. Spiegel 9.11.2021, FH 28.2.2022).
Die Hamas-Behörden haben 25 Hinrichtungen durchgeführt, seit sie im Juni 2007 die Kontrolle über den Gazastreifen übernommen haben. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem haben die Gerichte in Gaza seit Juni 2007 141 Menschen zum Tode verurteilt (B’Tselem 20.3.2022; vgl. HRW 13.1.2022). Im Jahr 2021 verurteilte die Hamas 21 Personen zum Tod, allerdings wurden laut der Menschenrechtsorganisation Democracy and Media Center (SHAMS) keine Hinrichtungen durchgeführt. Von den zum Tode Verurteilten sollen acht Personen mit Israel kollaboriert haben, und ein Angeklagter wurde wegen Drogendelikten verurteilt. Nach Angaben der SHAMS gibt es weder im Westjordanland noch im Gazastreifen ein Gesetz, einen Erlass oder eine Rechtsvorschrift, die Drogendelikte mit der Todesstrafe ahndet. Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte (Palestinian Center for Human Rights, PCHR) hatte zuvor festgestellt, dass die Anzahl der verhängten Todesurteile im Gazastreifen seit 2007 erheblich zugenommen hat (USDOS 12.4.2022).
Trotz der Unterzeichnung des Zweiten Protokolls des ICCPR ist die Todesstrafe u.a. im Strafgesetzbuch aus der britischen Mandatszeit (Gesetz Nr. 74 (1936)) in Kraft, was derzeit 15 Fälle im Gazastreifen betrifft. Auf Basis des Militärstrafgesetzes liegen weitere 44 Fälle im Westjordanland und dem Gazastreifen vor. Deshalb müssten diese Gesetze geändert werden. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation al-Haq fordert daher eine Klarstellung der ergriffenen Maßnahmen zur Abschaffung der Todesstrafe in Übereinstimmung mit dem Zweiten Optionalen Protokoll des ICCPR (Al-Haq 2.5.2022).
Die israelischen Militärgerichte – die sich auch mit Fällen befassen, in denen Palästinenser im besetzten Westjordanland involviert sind – können die Todesstrafe verhängen (Reuters 3.1.2018), obwohl diese nie ausgeführt wurde (Stroum 31.3.2022). Anfang 2018 gab das israelische Parlament jedoch eine vorläufige Zustimmung zu einem Gesetz, das es einem Gericht erleichtern würde, ein Todesurteil gegen Angreifer zu verhängen, die wegen Mordes in als Terrorismus eingestuften Anschlägen verurteilt wurden (Reuters 3.1.2018).
Bewegungsfreiheit
Innerhalb des Gazastreifens: In dem Bemühen, die Verbreitung von COVID-19 zu bekämpfen, setzte die Hamas gelegentlich Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Gazastreifen durch (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Der Druck, sich der Auslegung der islamischen Normen durch die Hamas anzupassen, schränkte im Allgemeinen die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, die oft in Gruppen reisen mussten, wenn sie bestimmte öffentliche Bereiche wie den Strand besuchten. Vereinzelt wurde berichtet, dass Sicherheitsbeamte von Männern den Nachweis verlangten, dass es sich bei einer Frau, die sie an einem öffentlichen Ort begleitete, um ihre Ehefrau handelte (USDOS 12.4.2022).
Ein- und Ausreise aus dem Gazastreifen: Die Bewegungsfreiheit der Bewohner des Gazastreifens ist stark eingeschränkt, die Bedingungen haben sich in den letzten Jahren weiter erschwert. Sowohl Israel als auch Ägypten überwachen die Grenzgebiete streng, und die Hamas verhängt ihre eigenen Beschränkungen (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Kurzfristige und unangekündigte Totalsperrungen des Gazastreifens sind jederzeit möglich (BMEIA 24.5.2022). Im Februar 2021 erließen die Hamas-Behörden neue Beschränkungen, die es männlichen Vormunden erlauben, die örtlichen Behörden zu ersuchen, unverheiratete Frauen an der Ausreise aus dem Gazastreifen zu hindern, wenn eine solche Reise „absoluten Schaden“ verursachen würde (HRW 13.1.2022; vgl. USDOS 12.4.2022).
Die Hamas setzte im Gazastreifen gelegentlich Bewegungsbeschränkungen für Palästinenser durch, die versuchten, den Gazastreifen über die Grenzübergänge Erez nach Israel und Rafah nach Ägypten zu verlassen. Sie verlangte Ausreisegenehmigungen von Palästinensern, die den Gazastreifen über den israelischen Grenzübergang Erez verlassen wollten. Sie hinderte einige Palästinenser an der Ausreise aus dem Gazastreifen, wobei sie sich auf den Zweck ihrer Reise berief oder die Zahlung von Steuern und Geldbußen erzwingen wollte (USDOS 12.4.2022).
Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, werden regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört (USDOS 12.4.2022).
Palästina verfügt über keinerlei Souveränitätsrechte, was die Einreise und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern betrifft. Allein zuständig für die Erteilung von Visa ist der Staat Israel (GIZ 11.2020d). Aber die Hamas schränkte dennoch die Einreise von Ausländern in den Gazastreifen ein, es sei denn, eine anerkannte örtliche Einrichtung beantragte die Einreise vor der Ankunft. Die Hamas hat mehreren internationalen Journalisten die Einreise verweigert, weil es keine lokalen Agenturen oder Personen gab, die in ihrem Namen Genehmigungen beantragten (USDOS 12.4.2022).
Israelische Beamte verhängten aufgrund von Sicherheits- und Wirtschaftsbedenken Beschränkungen für den Material-, Waren- und Personenverkehr in und aus dem Gazastreifen, wobei auch NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch, sowie die Vereinten Nationen, berichteten, dass ihre Mitarbeiter von den Einschränkungen betroffen waren und keine Genehmigungen erhielten. Die israelische Regierung erklärte, dass alle Anträge auf Ausreise aus dem Gazastreifen von Fall zu Fall unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten geprüft werden, die sich aus der de facto-Kontrolle der Hamas über den Gazastreifen ergeben (USDOS 12.4.2022).
Israel hält eine starke Sicherheitspräsenz an den Land- und Seegrenzen des Gazastreifens aufrecht und hindert Personen auch mit scharfer Munition daran, die Pufferzonen in der Nähe dieser Grenzen zu betreten (FH 28.2.2022). Im September 2021 hat Israel eine Lockerung der Auflagen für das palästinensische Küstengebiet angekündigt. So wurde die Fischereizone vor dem palästinensischen Gazastreifen auf 15 Seemeilen (knapp 28 Kilometer) ausgeweitet, der Warenübergang Kerem Schalom in das blockierte Gebiet wieder vollständig geöffnet, und Israel will die Zahl der Einreisegenehmigungen für Geschäftsleute aus dem Gazastreifen von 5.000 auf 7.000 erhöhen (Spiegel 1.9.2021).
Korruption und Bestechung an den Grenzübergängen sind weit verbreitet (FH 28.2.2022).
Reise von/nach Israel und die Westbank:
Israel hat weitreichende Beschränkungen des Personen- und Warenverkehrs in und aus dem Gazastreifen verhängt, wobei Israels Abriegelungspolitik laut Human Rights Watch von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht auf einer individuellen Bewertung des Sicherheitsrisikos einer Person basiert (HRW 13.1.2022). Israel verweigert den Einwohnern des Gazastreifens oft aus Sicherheitsgründen die Erlaubnis, das Gebiet zu verlassen, und erlaubt nur bestimmten Patienten aus medizinischen Gründen sowie anderen Personen die Ausreise. Universitätsstudenten haben Schwierigkeiten, die notwendigen Genehmigungen zu erhalten, um das Gebiet zu verlassen und im Ausland zu studieren (FH 28.2.2022). Ansuchen auf eine Umsiedlung in die Westbank werden normalerweise abgelehnt (Hamoked/B’Tselem 1.2014). Der Gaza-Streifen ist seit Juni 2007 für den allgemeinen Personenverkehr von und nach Israel fast vollständig abgeriegelt. Der einzige Personenübergang zwischen Israel und dem Gaza-Streifen, Erez, ist zurzeit insbesondere für humanitäre Fälle und internationale Organisationen geöffnet (AA 24.5.2022). Die Einreise nach Israel aus dem Gazastreifen via Erez-Checkpoint ist nur möglich, wenn die Ausreise aus Israel nach Gaza ebenso dort erfolgte. Personen, die nach Gaza über Rafah (Ägypten) einreisen, müssen wieder über Rafah ausreisen (BMEIA 24.5.2022).
Im Jahr 2021 verließen insgesamt 90.421 Menschen den Gazastreifen via Erez Richtung Israel, rund 87.000 reisten über diesen Weg nach Gaza ein. In den ersten vier Monaten des Jahres 2022 reisten rund 114.000 Menschen via Erez aus Gaza aus und rund 113.000 reisten ein. Die Zahl der Grenzübertritte lag zwischen Jänner und April 2022 deutlich höher als in den meisten anderen Monaten seit 2008 (OCHA o.D.b). Mit Stand April 2022 hat Israel rund 12.000 Ausreiseerlaubnisse zu Arbeitszwecken für Bewohner des Gazastreifens nach Israel ausgestellt. Als Ende April 2022 Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert wurden, hat Israel den Grenzübergang Erez zwei Tage lang für Arbeiter und Händler gesperrt (Gisha 26.4.2022), im Mai 2022 folgte eine weitere Grenzschließung (Gisha 11.5.2022).
Tausende von Familien im Gazastreifen haben Verwandte, die im Westjordanland oder innerhalb der Green Line [Anm.: im Staat Israel] leben. Jedoch gibt es laut der israelischen NGO Gisha (Legal Center for Freedom of Movement) Hindernisse und Beschränkungen für die Erteilung von Genehmigungen zum Besuch von Verwandten im Gazastreifen oder außerhalb. Anträge können nur gestellt werden, um einen Verwandten ersten Grades (ein Elternteil, Geschwister, Kind oder Ehepartner) bei Heirat, kritischer Krankheit oder Todesfall zu besuchen (Gisha 18.11.2021). Nach Angaben von Gisha verweigerten die israelischen Behörden einige Ausreiseanträge von Einwohnern des Gazastreifens mit der Begründung, die Antragsteller seien „Verwandte ersten Grades von Hamas-Aktivisten“ (USDOS 12.4.2022).
Die israelischen Behörden lehnten palästinensische Anträge auf Reisegenehmigungen für den Erez-Übergang unter Anführung von Sicherheitsbedenken häufig ab oder reagierten nicht auf sie, auch nicht für Patienten auf der Suche nach medizinischer Versorgung, die im Gazastreifen nicht verfügbar war (USDOS 12.4.2022). Von den mehr als 15.000 Anträgen auf Erteilung einer Patientengenehmigung aus dem Gazastreifen im Jahr 2021 wurden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 37 % verzögert oder abgelehnt. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete z.B im April 2022 von dem Fall einer Patientin im Kleinkindalter, die verstarb, während sich die Genehmigung zur Ausreise für eine lebenserhaltende Operation verzögerte (Haaretz 14.4.2022). Ein Teenager aus Gaza brach im März 2022 sterbend im PA-Gesundheitsministerium in Ramallah zusammen, weil er zu spät die Genehmigung für eine Behandlung in der Westbank erhalten, und die PA die Kosten für die Behandlung trotz vorheriger Garantie nicht übernommen hatte (BBC 27.3.2022).
Gemäß NGOs besitzen 40.000 bis 50.000 Personen im Gazastreifen keine Identifikationskarten, die von Israel anerkannt werden. Einige dieser Personen sind im Gazastreifen geboren, aber Israel
hat sie nie als Einwohner Gazas anerkannt, andere wiederum waren im Krieg von 1967 aus Gaza geflohen oder hatten Gaza nach 1967 aus verschiedenen Gründen verlassen, und sind später zurückgekehrt. Eine kleine Gruppe ist in Gaza geboren und nie von dort weggegangen und besitzt ausschließlich Identifikationskarten, die von der Hamas ausgestellt wurden. Gemäß den Osloer Abkommen verwaltet die PA das palästinensische Bevölkerungsregister, obwohl Statusänderungen im Register der Zustimmung der israelischen Regierung bedürfen. Die israelische Regierung hat seit dem Jahr 2000 keine Änderungen des Registers mehr vorgenommen (USDOS 12.4.2022).
Das Office for the Coordniation of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen berichtete, dass einigen seiner Mitarbeiter die Ausreisegenehmigung aus dem Gazastreifen verweigert wurde, weil OCHA mit der Hamas als de facto-Regierung im Gazastreifen zusammenarbeitete, um die Ein- und Ausreise sowie den Transport von UN-Mitarbeitern zu erleichtern. In anderen Fällen berichtete OCHA, dass seine Mitarbeiter Ausreisegenehmigungen erhielten, die israelischen Behörden ihnen jedoch nach stundenlangem Warten an den Grenzübergängen die Ausreise verweigerten (USDOS 12.4.2022).
Reisen von/nach Ägypten:
Der Grenzübergang Rafah stellt die hauptsächliche Ausreisemöglichkeit für den Großteil der zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens dar, weil israelische Ausreisegenehmigungen für die beiden anderen, von Israel kontrollierten Grenzübergänge [Anm.: Erez für den Personenverkehr und Kerem Shalom für den Warenverkehr] schwer zu erhalten sind. Im Zuge der COVID-19-Pandemie war der Grenzübergang zeitweise geschlossen (Al-Jazeera 10.2.2021). Der Grenzübergang Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wurde 2021 regelmäßiger geöffnet als 2020, aber die Bedingungen blieben weitgehend unvorhersehbar und restriktiv (FH 28.2.2022). Die von Israel 2007 verschärfte Blockade des Gazastreifens wird inzwischen auch von Ägypten mitgetragen, wobei Ägypten dies, wie auch Israel, mit Sicherheitsinteressen begründet. Beispielsweise im August 2021 war der Grenzübergang nach gewaltsamen Zusammenstößen zwischen israelischen Sicherheitskräften und Palästinensern für einige Tage geschlossen (Spiegel 26.8.2021). Politische Entwicklungen in Ägypten haben direkte Auswirkungen auf den Gazastreifen, indem die ägyptischen Behörden die Grenze ohne Vorwarnung auf unbestimmte Zeit abriegeln (EDA 8.4.2022).
Der Grenzübergang kann nach Angaben der ägyptischen Behörden regulär nur von Palästinensern mit gültigen Ausweispapieren der PA benutzt werden. Für die Ausreise aus dem Gazastreifen bedarf es der Zustimmung der ägyptischen und palästinensischen Grenzbehörden (AA 24.5.2022). Hier kann es auch bei erst kürzlich erfolgter Einreise in den Gazastreifen zu Wartezeiten von mehreren Wochen bei der Ausreise kommen (AA 24.5.2022; vgl. Gisha 1.9.2021). Personen, die via Rafah aus Gaza ausreisen wollen, müssen gemäß ägyptischen Vorgaben unter die folgenden Kategorien fallen, außerdem ist eine Vorabregistrierung erforderlich: Einwohner des Gazastreifens mit ausländischem Wohnsitz oder Reisepass, Patienten mit Überweisung zur medizinischen Behandlung in Ägypten und Personen mit Studien-, Arbeits- oder Familienbesuchsvisa für Drittländer. Viele derjenigen, die durch Ägypten reisen möchten, erfüllen diese Kriterien nicht (Gisha 1.9.2021). Die Vereinten Nationen und mehrere internationale NGOs berichteten, dass es für die Palästinenser im Gazastreifen äußerst schwierig war, von der Hamas-Regierung und der ägyptischen Regierung die Erlaubnis zu erhalten, durch Rafah zu reisen, und dass häufig Schmiergelder an die örtlichen Behörden gezahlt werden mussten (USDOS 12.4.2022).
Im Jahr 2021 reisten insgesamt rund 100.000 Personen via Rafah aus dem Gazastreifen aus und rund 81.000 reisten ein. In den ersten vier Monaten des Jahres 2022 reisten rund 39.000 Personen aus Gaza aus und rund 41.000 reisten ein. Dies sind mehr monatliche Grenzübertritte als in allen anderen Monaten seit 2013 (OCHA o.D.b).
IDPs und Flüchtlinge
Im Gazastreifen leben rund 2,1 Millionen Menschen, davon etwa 1,4 Millionen palästinensische Flüchtlinge (UNRWA 5.2021), die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betreut werden (GIZ 11.2020c). Acht offizielle palästinensische Flüchtlingslager der UNRWA erstrecken sich über den Gaza-Streifen und weisen eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt auf (UNRWA 5.2021).
Auf dem Höhepunkt der Kämpfe im Mai 2021 suchten rund 113.000 Binnenvertriebene in Gaza Schutz in Schulen der UNRWA oder bei Gastfamilien (USDOS 12.4.2022). Rund 8.250 von ihnen waren auch im Oktober 2021 noch binnenvertrieben, vor allem, weil ihre Häuser zerstört oder schwer beschädigt waren (HRW 13.1.2022; USDOS 12.4.2022). Während der Kämpfe zwischen Israel und bewaffneten palästinensischen Gruppen im Jahr 2014 haben laut OCHA mit Stand April 2019 über 12.000 Palästinensern ihr Heim verloren (HRW 14.1.2020).
UNRWA beschäftigt über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gazastreifen und bietet registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe. Die Zahl der Palästina-Flüchtlinge, die von Nahrungsmittelhilfe der UNRWA abhängig sind, ist von weniger als 80.000 Menschen im Jahr 2000 auf fast eine Million gestiegen (UNRWA 5.2021). Die sozioökonomischen Bedingungen in Gaza haben die Flüchtlinge schwer getroffen. UNRWA berichtete, dass die Ernährungssicherheit weiterhin gefährdet sei. Im März [2020] setzte UNRWA die Verteilung von Nahrungsmitteln in seinen offiziellen Verteilungszentren vorübergehend aus, um eine Ausbreitung von COVID-19 zu vermeiden, begann aber bald darauf mit der Haus-zu-Haus-Lieferung als Alternative (USDOS 12.4.2022). Unter anderem wird UNRWA 2022 in Gaza Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten (UNRWA 2022).
Mehr als 80 Prozent der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (HRW 13.1.2022). UNRWA und andere humanitäre Organisationen versorgten Binnenvertriebene im Gazastreifen und im Westjordanland, allerdings mit einigen Einschränkungen aufgrund der israelischen Beschränkungen der Bewegungsfreiheit. Humanitäre Akteure, darunter UNRWA, das Internationale Rote Kreuz und NGOs, berichteten, dass sie während des Konflikts im Mai 2021 im Gazastreifen Schwierigkeiten hatten, Hilfe zu leisten. Gründe dafür waren unter anderem die Intensität der Bombardierung des Gazastreifens durch das israelische Militär, Schwierigkeiten bei der Koordinierung mit der israelischen Regierung, Beschränkungen des Waren- und Personenverkehrs durch die israelischen Behörden und – in einem bemerkenswerten Fall, in dem Israelis humanitäre Hilfslieferungen über den Kerem-Shalom-Übergang zuließen – ein Mörserangriff der Hamas (USDOS 12.4.2022).
Im Herbst 2018 hat US-Präsident Trump die Hilfen für UNRWA eingestellt. Die USA hatten bis dahin 30 Prozent zum UNRWA-Budget beigesteuert, so viel wie kein anderes Land. Es mussten Einsparungen vorgenommen werden (Zeit 8.7.2019; vgl. DW 18.2.2022). Unter Trumps Nachfolger, US-Präsident Biden, wurden die Zahlungen an UNRWA 2021 wieder aufgenommen, jedoch gab UNRWA Anfang 2022 bekannt, dass es immer noch unterfinanziert sei (DW 18.2.2022). Es gibt Andeutungen seitens des UNRWA-Chefs bezüglich einer möglichen Auslagerung von UNRWA-Aufgaben an andere UN-Organisationen angesichts der weiterhin prekären Finanzierungslage der Organisation (EURACTIV 9.5.2022).
Im Gazastreifen kooperierten die de facto-Behörden der Hamas im Allgemeinen mit UNRWA und erlaubten dieser, ungehindert zu arbeiten. Nach dem Konflikt im Mai 2021 und einem umstrittenen Interview des UNRWA-Direktors für den Gazastreifen kündigte die Hamas an, nicht länger für seine Sicherheit und die seines Stellvertreters garantieren zu wollen, wodurch die beiden ranghöchsten UNRWA-Vertreter aus dem Amt gedrängt wurden (USDOS 12.4.2022).
Grundversorgung und Wirtschaft
In den Jahren der vollständigen israelischen Besatzung ist die palästinensische Wirtschaft ein reiner Zulieferbetrieb für Israel, eine eigenständige Wirtschaftsentwicklung gibt es nicht. Auch nach der Schaffung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) blieb die wirtschaftliche Entwicklung von Israel abhängig. Bis heute sind alle Exporte und Importe von der Zustimmung und Genehmigung der israelischen Behörden abhängig (GIZ 11.2020e). Die Blockade des Gazastreifens seit 2007 durch Israel, die durch die ägyptischen Beschränkungen an der Grenze zum Gazastreifen noch verschärft wird, schränkt den Zugang der fast zwei Millionen dort lebenden Palästinenser zu Bildung, wirtschaftlichen Möglichkeiten, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und Elektrizität ein (HRW 13.1.2022; vgl. FH 28.2.2022).
Israelische Behörden schränken den Verkehr von Material, Waren und Personen in den und aus dem Gazastreifen ein (USDOS 12.4.2022), sowohl auf dem Land- als auch auf dem Seeweg. Für den Waren- und Personenverkehr nach bzw. aus Gaza gibt es drei Grenzübergänge: Rafah, Erez und Kerem Shalom (UNRWA o.D.). Kerem Shalom ist der einzige vom Handel genutzte Grenzübergang für den Warenverkehr zwischen dem Gazastreifen und Israel und damit de facto auch für das Westjordanland, obwohl er nie für diese Funktion ausgelegt war. Im Februar 2018 öffnete Ägypten den Grenzübergang Salah a-Din. Der Übergang wird von privaten Unternehmen auf beiden Seiten unter der Aufsicht des ägyptischen Militärs bzw. der Hamas-Behörden im Gazastreifen verwaltet. Er wird nur für den Warentransfer in eine Richtung, nach Gaza, und nur in begrenztem Umfang genutzt (Gisha 3.2020). Die „Coronavirus-Sperre“, die Israel über mehr als ein Jahr am Grenzübergang Erez verhängt hat, hat zusätzlich zu den seit Jahren bestehenden Beschränkungen des Personen- und Warenverkehrs den Verkehr von Händlern, Geschäftsleuten und Arbeitern unterbunden (Gisha 13.4.2021). Der Gazastreifen ist mit großen Einschränkungen im Warenverkehr konfrontiert. Ebenso limitiert Israel die Fischereizone. Vor dem Hintergrund der israelischen Versuche, den Konflikt einzudämmen, wurde 2021 erstmals nach vielen Jahren die Zahl der Arbeitserlaubnisse für Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel erhöht (ADA 4.2022).
Seit Verhängung der Blockade durch Israel 2007 sank die Zahl der Unternehmen in Gaza von rund 3.500 auf geschätzte 250. Mehr als 600 Fabriken wurden geschlossen. Aufgrund von drei großen militärischen Angriffen [Anm.: Stand 2020] übersteigt die Produktionskapazität der verbleibenden Einrichtungen nicht mehr als 16 Prozent der früheren Kapazität. Es wird geschätzt, dass der Privatsektor in Gaza in diesem Zeitraum Verluste in Höhe von etwa 11 Milliarden Dollar erlitten hat (EMHRM 1.2020). Die Blockade des Gazastreifens hat die wirtschaftlichen Möglichkeiten in dem Gebiet stark eingeschränkt. Israels zeitweilige Beschränkungen für die Einfuhr von Baumaterialien haben das Wachstum und die Erholung von den Konflikten behindert, und israelische Patrouillen schränken die Landwirtschaft in der Nähe des Grenzzauns sowie die Fischerei in den Küstengewässern ein. Die Hamas hat Preiskontrollen eingeführt, was die Wirtschaftstätigkeit weiter dämpfen könnte (FH 28.2.2022).
Die palästinensische Wirtschaft stagnierte und die sozioökonomische Lage war bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 schwierig. Dies wird auf die israelischen Beschränkungen (in Bezug auf Handel, Freizügigkeit und Zugang), die wiederkehrenden Feindseligkeiten, die interne Spaltung und den Rückgang der Hilfslieferungen zurückgeführt. Zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen besteht ein erhebliches regionales Gefälle bei der Wirtschaftstätigkeit und dem Pro-Kopf-Einkommen. Die Armut ist in Gaza deutlich höher: 46 Prozent der Bevölkerung lebten 2016/17 (aktuellste offizielle Erhebung) unter der Armutsgrenze, verglichen mit nur 9 Prozent im Westjordanland (WB 14.4.2022). Im November 2021 schätzte die Weltbank die Armutsrate in Gaza auf 59 % (TRT 9.11.2021). Die wirtschaftlichen Folgen der russischen Invasion in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen könnten den Wirtschaftsausblick durch zunehmenden Inflationsdruck beeinträchtigen, ebenso wie die anhaltende Pandemie (WB 14.4.2022). Die Preise für Lebensmittel sind in Gaza in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 gestiegen. Der Status der Ernährungssicherheit hat sich im Gazastreifen nach Angaben des World Food Programme (WFP) zuletzt verschlechtert: Der Anteil der Haushalte mit schwerer Ernährungsunsicherheit lag im März 2022 bei 40,7 %. Damit stieg der Gesamtanteil der Haushalte mit schwerer oder mittelschwerer Ernährungsunsicherheit im Gazastreifen auf 64,4 % (WFP 29.4.2022).
Die Hälfte der Bevölkerung von Gaza ist unter 18 Jahren alt (Gisha 1.9.2021). Im dritten Quartal 2021 waren 50 Prozent der Erwerbsbevölkerung des Gazastreifens arbeitslos, wobei die Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren bei 70,4 Prozent lag (FH 28.2.2022; vgl. ILO 2022). Frauen waren häufiger arbeitslos als Männer (ILO 2022; vgl. Gisha 13.4.2021). Das Pro-Kopf-Einkommen liegt aktuell unter dem Wert von 1996. Vor allem im Gazastreifen geht die Wirtschaftsleistung weiterhin zurück (ADA 4.2022). Der durchschnittliche Monatslohn im Gazastreifen beträgt laut der palästinensischen Statistikbehörde 682 Neue Israelische Schekel (NIS) (~207 USD), im Westjordanland dagegen 1.062 NIS (~323 USD). Von den Beschäftigten im Gazastreifen arbeiten 39,2 % im öffentlichen Sektor, entweder für die Palästinensische Autonomiebehörde oder für die lokale Regierung des Gazastreifens. Viele dieser Beschäftigten sind auf Teilzeitbasis angestellt und verdienen im Durchschnitt 96 NIS (~29 USD) pro Tag. Die übrigen Arbeitsplätze befinden sich im privaten Sektor, wo die Beschäftigten im Durchschnitt nur 36,3 NIS (~11 USD) pro Tag verdienen. 79 % der Beschäftigten im privaten Sektor verdienen weniger als 1.450 NIS (~440 USD) pro Monat, was dem Mindestlohn in Gaza entspricht (Gisha 13.4.2021).
80 % der Bevölkerung im Gazastreifen sind von humanitärer Hilfe abhängig (HRW 13.1.2022; vgl. FH 28.2.2022). Zwei Drittel der Bevölkerung Gazas sind palästinensische Flüchtlinge, die vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) betreut werden (GIZ 11.2020e). Die Zahl der palästinensischen Flüchtlinge, die auf die Nahrungsmittelhilfe von UNRWA angewiesen sind, ist von weniger als 80.000 im Jahr 2000 auf heute fast eine Million gestiegen (UNRWA 5.2021). Der Hamas wird Korruption bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und der Verteilung von Hilfsleistungen vorgeworfen (FH 28.2.2022).
Die Versorgungslage im Gazastreifen ist schwierig (AA 24.5.2022).Der Zugang zu sauberem Wasser und Elektrizität ist nach wie vor krisenanfällig und wirkt sich auf fast jeden Aspekt des Lebens in Gaza aus. Sauberes Wasser ist für 95 Prozent der Bevölkerung nicht verfügbar (UNRWA 5.2021). Durch die israelische Abriegelung des Gazastreifens ist es schwierig, Geräte und Material für die Wiederinstandsetzung der Wasserinfrastruktur in den Küstenstreifen zu bekommen (Gisha 22.3.2022; vgl. Haaretz 14.7.2021). Aufgrund der Schäden, die während der Eskalation im Gazastreifen im Mai 2021 entstanden sind, ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen für einen großen Teil der Bevölkerung nach wie vor ein täglicher Kampf (UNICEF 8.2.2022). Der reguläre Betrieb aller Anlagen – der Brunnen, Entsalzungs- wie auch Kläranlagen – war gestört, weil die konfliktbedingten Schäden vom Mai 2021 nicht behoben werden konnten und es an Ersatzteilen, Materialien für die regelmäßige Wartung der Rohre, Pumpen und Strom mangelte. Bei den Auseinandersetzungen im Mai 2021 wurde ein Drittel der Wasserrohre beschädigt, was zu offenen Abwasseransammlungen und dem Eindringen von Abwässern ins Grundwasser führte. Laut dem Wasserwerk des Gemeindeverbands von Gaza sank der häusliche Wasserverbrauch pro Person – zum Trinken, Baden und Reinigen – aufgrund der Schäden an der Infrastruktur von etwa 80 Litern pro Tag vor dem Konflikt auf 50-60 Liter pro Tag (die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Mindestmenge liegt bei 100 Litern pro Tag). Auch die Qualität des Wassers hat sich verschlechtert, da der Chloridgehalt erheblich gestiegen ist (Haaretz 14.7.2021). Für Dezember 2021 meldete UNOCHA, dass 81 Liter Leitungswasser pro Kopf zur Verfügung standen (UNOCHA o.D.d). Im September 2021 hatte Israel angekündigt, dass die Wasserversorgung des Gazastreifens um fünf Millionen Kubikmeter erhöht würde (Spiegel 21.9.2021; vgl. UNSC 15.12.2021).
Die öffentliche Stromversorgung ist auf wenige Stunden am Tag beschränkt (AA 24.5.2022), jedoch hat sich die Verfügbarkeit von Elektrizität vergleichsweise verbessert – von 4 bis 5 Stunden auf durchschnittlich bis zu 14 Stunden pro Tag im April 2021 (UNRWA 5.2021; vgl. OCHA o.D.c). Während und nach der militärischen Eskalation im Mai 2021 kam es aufgrund von Schäden an der Strominfrastruktur und Brennstoffmangel zu längeren Stromausfällen. Nach dem Ende der Feindseligkeiten wurde die Stromversorgung wiederhergestellt, und im Januar und Februar 2022 war Strom durchschnittlich 11 bzw. 12 Stunden pro Tag verfügbar (UNHCR 3.2022). Nach Angaben der Stromnetzgesellschaft von Gaza wurde damit 2022 weniger als die Hälfte des Strombedarfs in Gaza gedeckt (198 Megawatt wurden im Durchschnitt täglich durch die Stromversorgung aus Israel sowie Stromerzeugung in Gaza gedeckt, während der nicht gedeckte Bedarf auf rund 250 Megawatt geschätzt wurde) (OCHA o.D.c). Der anhaltende Strommangel beeinträchtigt die Verfügbarkeit wesentlicher Dienstleistungen, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Wasser und sanitäre Einrichtungen, stark und wirkt sich auch negativ auf die Wirtschaft, vor allem im Herstellungssektor und in der Landwirtschaft, aus (UNRWA 5.2021). Ebenso hat der Treibstoffmangel auch Auswirkungen auf öffentliche Dienstleistungen, wie z.B. Kläranlagen (AA 24.5.2022; vgl. Haaretz 14.7.2021).
Bei den Kämpfen im Mai 2021 wurden nach Angaben der örtlichen Behörden durch die tagelangen schweren Bombardierungen 50.000 Häuser im Gazastreifen beschädigt. Mehr als 2.000 wurden entweder vollständig zerstört oder so stark beschädigt, dass sie unbewohnbar waren (TNH 2.5.2022). UNRWA kündigte Hilfen für schätzungsweise 10.000 bedürftige Familien an, deren Häuser beschädigt wurden (UNRWA 29.9.2021). Nach Angaben einer Gruppe, die Hilfsorganisationen koordiniert, welche im Gazastreifen mit dem Bau von Unterkünften befasst sind, wurden bis Mai 2022 mehr als 44.000 der beschädigten Häuser repariert. Der Wiederaufbau von völlig zerstörten Häusern verläuft jedoch langsamer, unter anderem aufgrund von Restriktionen bei der Einfuhr von Baumaterial nach Gaza. Ein weiteres Problem ist die Finanzierung. UNRWA hat Finanzierungszusagen erhalten, welche mit Stand Mai 2022 noch nicht bei der Organisation eingelangt sind (TNH 2.5.2022; vgl. Reuters 13.1.2022). UNRWA ist seit Jahren mit einem Finanzierungsengpass konfrontiert – das Budget liegt regelmäßig Dutzende von Millionen Dollar unter ihrem Bedarf (TI 2.5.2022).
Medizinische Versorgung
Das palästinensische Gesundheitsministerium stellt keine zentrale Option für den Gazastreifen und das Westjordanland dar, weil die Hamas-Regierung ihr eigenes alternatives palästinensisches Gesundheitsministerium in Gaza hat. Viele Gesundheitsdienste in Palästina werden von gemeinnützigen Organisationen und anderen Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, bereitgestellt (PCRF 29.3.2022). Es gibt vier Hauptanbieter: UNRWA, NGOs im Gesundheitsbereich, das/die palästinensische(n) Gesundheitsministerium/-ministerien und der private Sektor. Darüber hinaus ist eine spezialisierte tertiäre Gesundheitsversorgung nur durch Überweisungen nach Israel oder in benachbarte arabische Länder möglich (JOGH 2.4.2022).
Das palästinensische Gesundheitssystem vermag nur schwer allen Bürgern die notwendige Versorgung zukommen zu lassen: Es gibt zwar ein palästinensisches Gesundheitsministerium, aber der begrenzte Zugang zu den Gebieten schränkt die Möglichkeiten ein, medizinische Einrichtungen zu bauen, medizinisches Personal auszubilden und die notwendige Versorgung für alle palästinensischen Bürger zu gewährleisten (PCRF 29.3.2022; vgl. Guardian 22.3.2020). Seit Jahren warnen Hilfsorganisationen, dass das Gesundheitssystem Gazas am Rande des Zusammenbruchs steht. Es fehlt an medizinischem Personal und Ausrüstung (TAZ 24.3.2020; vgl. MAP 7.2.2022), der Sektor ist von Versorgungsengpässen betroffen (JOGH 2.4.2022). Nach der Machtübernahme der Hamas vor 15 Jahren und aufgrund der seitdem bestehenden Blockade des Gazastreifens durch Israel und Ägypten sind Ärzte geflohen (NPR 21.4.2022). Die Infrastruktur ist stark beschädigt, die medizinische Versorgung ist nicht gewährleistet (EDA 8.4.2022), bzw. das Versorgungsniveau deutlich eingeschränkt (AA 24.5.2022). Zusätzlich wird das Gesundheitswesen als politisches Instrument eingesetzt. Die im Westjordanland ansässige PA hat die Hamas-Regierung im Gazastreifen unter Druck gesetzt, indem sie finanzielle Leistungen gekürzt, und die Lieferung von Medikamenten zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen eingeschränkt hat. Der Sektor ist auch von Versorgungsengpässen betroffen, die auf die anhaltende israelische und ägyptische Blockade der Grenzen des Gazastreifens zurückzuführen sind (JOGH 2.4.2022). Das Gesundheitsweisen in Gaza leidet außerdem immer wieder an Stromausfällen. Bei den Kämpfen im Mai 2021 wurden medizinische Einrichtungen beschädigt (HRW 13.1.2022) und medizinisches Personal getötet. Unter anderem wurde auch das Zentrallabor für COVID-19 im Gazastreifen bei einem israelischen Angriff getroffen, was negative Auswirkungen auf das Test- und Impfprogramm im Gazastreifen hatte (AI 2022a).
Nach Angaben der WHO waren im Juni 2021 42 % der „unentbehrlichen“ Arzneimittel mit weniger als einem Monatsvorrat in Gaza vorrätig (HRW 13.1.2022), 33 % der lebenswichtigen medizinischen Güter waren vorhanden (VOA 29.5.2021).
Die COVID-19-Pandemie hat die Sterblichkeit und Morbidität unter den Palästinensern erhöht und das bereits überlastete Gesundheitssystem zusätzlich belastet (UNICEF 8.2.2022). Angesichts der ohnehin schon schwierigen Lebensbedingungen stellt die COVID-19-Pandemie eine besondere Herausforderung dar. Derzeit [Anm.: April 2022] sind ca. 35 % der Bewohner in Gaza geimpft. Dies wurde primär durch die COVAX-Initiative sowie internationale Spenden und die Anschaffungen der PA bewerkstelligt (ADA 4.2022).
Israel erteilt Palästinensern aus dem Gazastreifen Genehmigungen für „lebensrettende Behandlungen“, sofern sie ein unübersichtliches und unsicheres bürokratisches Verfahren überwinden. Die Anträge werden über die Palästinensische Autonomiebehörde eingereicht. Eine Sicherheitsfreigabe durch die israelischen Behörden ist notwendig (Haaretz 14.4.2022; vgl. Gisha 26.5.2022). Israelischen Beamten zufolge werden humanitäre und außergewöhnliche Fälle zugelassen. Laut Menschenrechtsgruppen sind die Kriterien für eine Genehmigung jedoch intransparent (NPR 21.4.2022). Israel genehmigt zwar die meisten Ansuchen, aber nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden von den mehr als 15.000 Anträgen auf Erteilung einer Patientengenehmigung aus dem Gazastreifen im Jahr 2021 37 % verzögert oder abgelehnt (Haaretz 14.4.2022). Im September und Oktober 2021 betrug die Anerkennungsrate 54 % bzw. 61 %, ein Tiefststand in den letzten drei Jahren (UNSC 15.12.2021). Die WHO schätzt, dass Tausende von Menschen beispielsweise Operationen oder Chemotherapien verschieben müssen, und oftmals werden ihre Erkrankungen noch schwerer, während sie warten (NPR 21.4.2022). Im April 2022 wurde von einem Kleinkind berichtet, das verstarb, bevor sein Antrag auf Ausreise zur Behandlung in Jerusalem erteilt wurde (Haaretz 14.4.2022). Ein Teenager aus Gaza brach im März 2022 sterbend im PA-Gesundheitsministerium in Ramallah zusammen, weil er zu spät die Genehmigung für eine Behandlung in der Westbank erhalten, und die PA die Kosten für die Behandlung trotz vorheriger Garantie nicht übernommen hatte (BBC 27.3.2022).
Etwa einer von fünf Patienten geht in ein ägyptisches Krankenhaus, jedoch ist dies weiter entfernt und die palästinensischen Gesundheitsbehörden ziehen es vor, die Patienten in ihrem eigenen System zu behalten, was bedeutet, dass sie über Israel reisen müssen (NPR 21.4.2022).
Es gibt ein psychiatrisches Krankenhaus in Gaza sowie mit Stand August 2021 vier qualifizierte Psychiater für die rund zwei Millionen Bewohner von Gaza (al-Fanar 5.8.2021). Junge Menschen im Gazastreifen leiden in hohem Maß an psychischen Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen stressbedingten Erkrankungen (MSF 1.6.2021; vgl. MEE 24.10.2021). Die Zahl der Selbstmorde und Selbstmordversuche stieg im Jahr 2020 an, aber aufgrund der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen in der palästinensischen Gesellschaft sind sie in Statisken vermutlich unterrepräsentiert (MSF 1.6.2021).
Bewohner des Gazastreifens, die mit Behinderungen leben, sind mit erheblichen Hindernissen konfrontiert. Ein HRW-Bericht aus dem Jahr 2020 stellte eine weit verbreitete Stigmatisierung dieser Bevölkerungsgruppe fest und konstatierte, dass israelische Einfuhrbeschränkungen ihren Zugang zu medizinischer und anderer Ausrüstung behindern (FH 28.2.2022).
Rückkehr
Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, werden regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört (USDOS 12.4.2022).
Der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) spricht sich in seinen Leitlinien vom März 2022 mit Verweis auf die Menschenrechtslage und die weiter bestehende Volatilität gegen eine zwangsweise Rückkehr von Palästinensern nach Gaza aus (UNHCR 3.2022).
2.2. Das BVwG stützt sich im Hinblick auf diese Feststellungen auf folgende Erwägungen:
2.2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.
2.2.2. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, der Dokumentenvorlagen sowie der am 03.05.2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.
Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsakts, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
2.2.3. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen sowie der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG im Einklang mit dem Akteninhalt.
Wie das Bundesverwaltungsgericht noch näher ausführen wird, ist der Beschwerdeführer als Person unglaubwürdig. In umfassender Würdigung waren dennoch einzelne Angaben des Beschwerdeführers den Feststellungen zugrunde zu legen.
Die Feststellungen zur Identität und Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im gegenständlichen Verfahren in Zusammenschau mit (der belangten Behörde, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht im Original) vorgelegten von 13.06.2015 bis 12.06.2020 und von 16.12.2019 bis 15.12.2024 gültigen palästinensischen Reisedokumenten (Farbkopien, AS 117 - 121), einer (der belangten Behörde, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht in Kopie) vorgelegten palästinensischen Geburtsurkunde und einem (der belangten Behörde, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht in Kopie) vorgelegten palästinensischen Personalausweis. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich unterzog die beiden Reisedokumente einer kriminaltechnischen Untersuchung, bei der sich bezüglich der personenbezogenen Elemente (Ausfüllschriften/Lichtbild) sowie der Stempelabdrucke keine Hinweise auf das Vorliegen von Verfälschungen ergaben. Es handelt sich um authentische Dokumente (AS 111 ff). Die belangte Behörde gelangte bereits zu dem Schluss, dass die Identität und Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers feststehe (AS 190).
Dass er Moslem sunnitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Araber ist, sagte der Beschwerdeführer glaubhaft aus.
Die Feststellungen zu seiner regionalen Herkunft, seiner schulischen Ausbildung, zum zweijährigen Aufenthalt in Saudi-Arabien und zur Bestreitung seines Lebensunterhalts vor seiner Ausreise, seinen Sprachkenntnissen, zu seinen Lebensumständen vor der Ausreise aus der Herkunftsregion und zu seinen Familienangehörigen im Gaza-Streifen und Jordanien ergeben sich - abgesehen von den Fragen, ob er seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit nicht mehr aktiv ausübte, zum konkreten Aufgabenbereich des BF als Polizist und wie lange der BF vor seiner Ausreise an seiner letzten Wohnadresse im Gaza-Streifen lebte - aus einer Zusammenschau der diesbezüglich glaubhaften, weil nachvollziehbaren und plausiblen, Schilderungen des BF in der Erstbefragung, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung sowie der im Verfahren vom BF vorgelegten Urkunden.
Das Bundesverwaltungsgericht erlaubt sich indes anzumerken, dass bereits ein erstes Indiz für die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers der Umstand darstellt, dass der BF offensichtlich nicht bereit ist, konkrete und widerspruchsfreie Angaben zur Frage zu tätigen, ob bzw. in welchem Zeitraum er seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit als Polizist aktiv ausübte. Es fällt auf, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme vor dem BFA darlegte, dass sein letzter Arbeitstag – nach der Machtübernahme durch die Hamas im Gaza-Streifen – glaublich 2006 gewesen sei. Der Präsident sei nach Ramallah geflüchtet und habe ihnen befohlen, zu Hause zu bleiben und nicht mehr zur Arbeit zu kommen (AS 79). Gegenüber der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts führte der Beschwerdeführer hingegen divergierend - auch auf zweimalige Nachfrage - aus, dass er von ca. 1985 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2017 aktiv als Polizist tätig gewesen sei (Verhandlungsschrift, Seite 10). Selbst auf abermalige Nachfrage, ob es tatsächlich korrekt sei, dass er bis zum Jahr 2017 aktiv beruflich tätig gewesen sei, erklärte der BF einzig, dass er eine Zeit lang auch zu Hause geblieben sei, zumal Mahmud Abbas, genannt Abu Mazen, zur Zeit des Putsches gesagt habe, man solle zu Hause bleiben (Verhandlungsschrift, Seite 10 f). Auch auf Vorhalt dieser Widersprüche in seinen Aussagen beschränkte sich der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Aussage, dass im Zeitpunkt der Besetzung des Gaza-Streifens durch die Hamas von Mahmud Abbas, genannt Abu Mazen, die Anweisung gekommen sei, zu Hause zu bleiben, wobei er jedoch bis 2017 offiziell angestellt gewesen sei (Verhandlungsschrift, Seite 11). Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht zu berücksichtigen, dass sich die Angaben zur Frage, ob bzw. in welchem Zeitraum der BF seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit als Polizist aktiv ausübte vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht doch in erheblichem Ausmaß als widersprüchlich erweisen und kann deshalb nicht festgestellt werden, ob bzw. in welchem Zeitraum der BF seit der Machtübernahme durch die Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit als Polizist aktiv ausübte; Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers erscheinen angebracht.
Widersprüchlich sind auch die Angaben des Beschwerdeführers zum konkreten Aufgabenbereich als Polizist. So gab der Beschwerdeführer im Zuge der Einvernahme vor dem BFA an, direkt im Präsidentenpalast gearbeitet zu haben. Zuletzt sei er Chef der Wachsoldaten des Präsidentenpalastes gewesen und als Vorgesetzter für 33 Personen zuständig gewesen (AS 79). In der mündlichen Verhandlung schilderte der BF dann ähnlich, aber doch abweichend, dass er bei der Präsidentschaftsgarde im Bereich Sicherheit und Bewachung für 33 Personen zuständig gewesen sei. Er sei dem Präsidentenpalast untergeordnet gewesen und hätten sie dessen Aufträge ausgeführt. Beim Palast selbst sei er nicht stationiert gewesen. Es gebe viele Orte, welche dem Präsidentenpalast unterstehen würden, und sei er bei einem dieser Orte zuständig gewesen. Er habe keinen fixen Standort gehabt, sondern je nach Befehl der Führung gewechselt. Zeitweise sei er im Bezirk Al XXXX , wo die meisten behördlichen Gebäude seien, gewesen. Auch die Direktion sei dort. Sie würden sich an die Anweisungen der Führung halten, welche sie je nach Auftrag woanders hinschicken würden (Verhandlungsschrift, Seite 10). Insofern konnte der konkrete Aufgabenbereich des BF als Polizist nicht festgestellt werden und erschüttert dies die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zusätzlich.
Schließlich divergieren die Angaben des BF auch zur Frage, wie lange er vor seiner Ausreise an seiner letzten Wohnadresse im Gaza-Streifen lebte. Ob ein exakter Zeitraum angegeben werden kann, will die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts an dieser Stelle nicht überbewerten. Es fällt aber auf, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA behauptete, die letzten sechs Jahre vor seiner Ausreise in einer Mietwohnung in der XXXX straße gewohnt zu haben. Seine Familie wohne immer noch dort (AS 77). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung behauptete der BF hingegen, dass sich seine Verwandten in einer Mietwohnung in der XXXX straße in Gaza aufhalten würden. Seine Familie sei zwei Monate vor seiner Flucht umgezogen, wobei er den Umzug organisiert habe. Er hätte dort auch eine Zeit lang gelebt und würde jetzt noch dort wohnen (Verhandlungsschrift, Seite 6). Dass der Beschwerdeführer auch in diesem Punkt keine gleichbleibenden Schilderungen getroffen hat, stellt insofern ein weiteres Indiz für dessen mangelnde Glaubwürdigkeit dar.
Dass er den Gaza-Streifen im Oktober 2019 legal, unter Verwendung eines von der palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten Reisepasses, auf dem Landweg nach Ägypten verließ und sich unter anderem nahezu ein Jahr in der Türkei aufhielt, sagte der Beschwerdeführer glaubhaft aus (AS 11 ff, 73, 85 ff). Der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abträglich war jedoch des Weiteren, dass er in der Beschwerde in Steigerung seines Standpunkts darlegte, dass er zwecks „legaler“ Ausreise an einen Grenzbeamten $ 4.000,-- Bestechungsgeld gezahlt habe (AS 295). Dieser Aspekt wurde erstmals im Verfahren vorgebracht und kann in dieser Form weder der Erstbefragung, noch der Einvernahme entnommen werden. Eine plausible Erklärung für dieses späte Vorbringen konnte der BF weder in der Beschwerde, noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erbringen.
Wann der Beschwerdeführer den Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hat, ist in unbedenklichen Urkunden/ Unterlagen dokumentiert. Es ist auch naheliegend, dass der Beschwerdeführer, kurz bevor er den Antrag auf internationalen Schutz stellte, in das Bundesgebiet eingereist ist. Die Feststellungen zur unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet ergeben sich aus dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt sowie aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Umgehung der die Einreise regelnden Vorschriften ohne die erforderlichen Dokumente in Österreich einreiste. Zu seiner Einreise in das Bundesgebiet und seinem Verbleib in Österreich nach seiner Einreise in das Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer des Weiteren im Verfahren gleichbleibende Angaben gemacht, die anhand der Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister nachvollzogen werden und dementsprechend den Feststellungen zugrunde gelegt werden konnten.
Die Angaben zum aufenthaltsrechtlichen Status des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt.
Dass der BF, ebenso wie mehrere Familienangehörige, im Herkunftsgebiet bei der UN-Hilfsorganisation für palästinensische Flüchtlinge UNRWA im Gaza-Streifen registriert ist, er bzw. seine Familie vor seiner Flucht Leistungen der UNRWA bezogen bzw. seine Familie aktuell Leistungen der UNRWA bezieht und er vor Ort als palästinensischer Flüchtling den Beistand der UNRWA erneut in Anspruch nehmen könnte, ergibt sich aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung, etwa zum in der Vergangenheit erfolgten bzw. aktuell erfolgenden Bezug von Sachleistungen/Lebensmitteln der UNRWA (Verhandlungsschrift, Seite 7), sowie der vorgelegten UNRWA-Registrierungsbestätigung (OZ 18), zumal ausweislich der Feststellungen UNRWA über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gazastreifen beschäftigt und registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe bietet. Unter anderem bot UNRWA 2022 in Gaza auch Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten an. UNRWA kündigte zudem Hilfen für schätzungsweise 10.000 bedürftige Familien an, deren Häuser beschädigt wurden. Nach Angaben einer Gruppe, die Hilfsorganisationen koordiniert, welche im Gaza-Streifen mit dem Bau von Unterkünften befasst sind, wurden bis Mai 2022 mehr als 44.000 der beschädigten Häuser repariert. Ausgehend von den zu Aktivitäten der UNRWA getroffenen Feststellungen ist daher auch deshalb festzuhalten, dass der BF vor Ort als palästinensischer Flüchtling den Beistand der UNRWA erneut in Anspruch nehmen könnte. Seinen palästinensischen Personalausweis in Kopie, seine palästinensische Geburtsurkunde in Kopie und seinen von der palästinensischen Autonomiebehörde ausgestellten palästinensischen Reisepass (Farbkopie, AS 119) brachte der Beschwerdeführer im Asylverfahren selbst in Vorlage.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer - abgesehen von in der Vergangenheit aufgetretenen Rückenschmerzen - gesund ist und weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung leidet, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren diesbezüglich keinerlei Angaben getätigt hat. Zu Beginn der Erstbefragung verneinte der BF Beschwerden oder Krankheiten zu haben, die ihn an dieser Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden (AS 11). In der Einvernahme vor dem BFA am 14.09.2021 bestätigte der BF einvernahmefähig und gesund zu sein. Es gehe ihm gut und würde er weder Medikamente einnehmen noch in ärztlicher Behandlung stehen (AS 69, 77). Schließlich brachte der BF im Zuge der Stellungnahme vom 24.04.2023 (OZ 18) zwar einen ärztlichen Befundbericht vom 23.02.2022 (Diagnose: Brust- und Rückenschmerzen) in Vorlage, er bestätigte jedoch in der mündlichen Verhandlung, dass es ihm aktuell – abgesehen von in der Vergangenheit aufgetretenen und medikamentös behandelten Rückenschmerzen - gut gehe. (Verhandlungsschrift, Seite 4). Es ist daher von keiner - schon gar keiner schwerwiegenden - Erkrankung des Beschwerdeführers auszugehen. Dass der Beschwerdeführer Gründe haben könnte, insofern wahrheitswidrige Aussagen zu tätigen, ist nicht im Geringsten ersichtlich.
Aus den Angaben des BF lässt sich somit zum konkreten Entscheidungszeitpunkt keine Behandlungsbedürftigkeit in Österreich erschließen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an einer per se lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, die nicht in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen, behandelbar ist.
Im Falle einer Erkrankung oder sonstigen wesentlichen Veränderung des Gesundheitszustands nach der mündlichen Verhandlung wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ein entsprechendes Vorbringen im Rahmen eines weiteren Schriftsatzes erstattet hätte. Wäre es daher zu wesentlichen Sachverhaltsänderungen gekommen, hätte der Beschwerdeführer diese dem Bundesverwaltungsgericht in Erfüllung seiner Pflicht bzw. Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren mitgeteilt.
Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen Ausführungen im gegenständlichen Verfahren im Hinblick auf die mehrjährige Schulausbildung. Ferner brachte der Beschwerdeführer - wie zuvor erörtert - keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, welche die Arbeitsfähigkeit derart beeinträchtigen würden bzw. bestätigte er selbst durch seinen in Österreich mehrfach geäußerten Wunsch, hier einer Arbeit nachgehen zu wollen, arbeitsfähig zu sein (AS 297; Verhandlungsschrift, Seite 15). In Anbetracht der Schulausbildung und der Berufserfahrung des BF sowie der Sprachkenntnisse geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass es dem Beschwerdeführer - abgesehen vom Bezug einer Pension - möglich und zumutbar ist, durch Aufnahme einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Selbsterhaltung zu erwirtschaften.
Die Feststellungen über die Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich und die fehlenden Aspekte einer Integration in Österreich beruhen auf den bisherigen Angaben vor der belangten Behörde und im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.
Von den fehlenden Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers konnte sich das Bundesverwaltungsgericht zuletzt in der Verhandlung am 03.05.2023 selbst ein Bild machen (Verhandlungsschrift, Seite 14 f). Negative Feststellungen dahingehend, dass der Beschwerdeführer keine offiziellen Deutschkurse oder -prüfungen absolviert hat, ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers (Verhandlungsschrift, Seite 14) und daraus, dass dieser im bisherigen Verfahren diesbezüglich keine Beweismittel in Vorlage gebracht hat. Insbesondere ein Zeugnis bzw. eine Bestätigung über einen erfolgreich absolvierten Deutschkurs oder eine erfolgreich absolvierte Deutschprüfung brachte der BF bislang nicht in Vorlage.
Dass der Beschwerdeführer - abgesehen von in der Vergangenheit in seinen Unterkünften für Asylwerber ehrenamtlich übernommenen Reinigungsarbeiten und der ehrenamtlichen Mithilfe in einem Restaurant in XXXX für 18 Tage - keine (beruflichen) Bildungsangebote in Anspruch genommen, keine Aus-, Fort- oder Weiterbildungen besucht hat, aktuell nicht ehrenamtlich/ gemeinnützig tätig, nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv und auch nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich ist, ist im Lichte der Aussagen des Beschwerdeführers sowie der Bescheinigungsmittel (bisweilen im Umkehrschluss) nicht zweifelhaft.
Dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten hat und hier keine Beziehung führt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 99; Verhandlungsschrift, Seite 13).
Den Feststellungen zum Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich liegen ebenfalls die Aussagen des BF vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (bisweilen im Umkehrschluss) zugrunde. Unterstützungserklärungen wurden nicht in Vorlage gebracht. Das Bundesverwaltungsgericht stellt insgesamt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer einige private Kontakte unterhält. Im Hinblick auf die im (gerichtlichen) Verfahren genannten Umstände bzw. Aktivitäten (z. B. OZ 17; Verhandlungsschrift, Seite 13 ff) kann jedoch keinesfalls ein Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung festgestellt werden.
Die Feststellungen betreffend die vom Beschwerdeführer in Anspruch genommenen Leistungen der Grundversorgung ergeben sich aus dem amtswegig angefertigten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich. Negative Feststellungen dahingehend, dass der Beschwerdeführer keiner legalen Beschäftigung in Österreich nachging bzw. nachgeht und weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag verfügt, ergeben sich daraus, dass der Beschwerdeführer im bisherigen Verfahren diesbezüglich keine entsprechenden Angaben getätigt oder Beweismittel in Vorlage gebracht hat.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts (Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich am 16.05.2023).
2.2.4. Die Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. dessen Fluchtgründen und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, den Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie den getroffenen Länderfeststellungen.
Die Feststellung zum Nichtvorliegen einer asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen Gefährdung des Beschwerdeführers ergibt sich einerseits aus dem seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichts als unglaubwürdig erachteten Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Verfolgung sowie andererseits aus den detaillierten, umfangreichen und aktuellen Länderfeststellungen zur Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen.
Hinweise auf asylrelevante die Person des Beschwerdeführers betreffende Bedrohungssituationen konnte dieser nicht glaubhaft machen.
2.2.4.1. Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
Weiters ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 7 AsylG [numehr: § 3 AsylG] bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen die Annahme sprechen (vgl. zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es bei den in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylweber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der aufgrund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen seines Asylverfahrens darauf hingewiesen, dass seine Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen. Der Beschwerdeführer wurde zudem aufgefordert, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken und wurde darauf aufmerksam gemacht, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben.
Befragt zu seinen Fluchtgründen schilderte der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung, vor dem BFA und im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht eine Bedrohungssituation, die als nicht glaubhaft erachtet wird; dies aus folgenden Gründen:
2.2.4.2. Insoweit ist festzuhalten, dass es dem BF nicht gelang, eine individuelle Bedrohungssituation bezüglich einer Verfolgung und Bedrohung durch die Hamas in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Polizist betreffend seine Person vor der Ausreise aufzuzeigen. So spricht es abgesehen von der vorangehend aufgezeigten mangelnden persönlichen Glaubwürdigkeit des BF - etwa zu den Fragen, ob er seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Jahr 2007 seine Tätigkeit als Polizist nicht mehr aktiv ausübte, zum konkreten Aufgabenbereich des BF als Polizist und wie lange der BF vor seiner Ausreise an seiner letzten Wohnadresse im Gaza-Streifen lebte - im Besonderen gegen eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers vor dem Verlassen des Gaza-Streifens durch Mitglieder bzw. Anhänger der Hamas, dass sich der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in mehrere gravierende Widersprüche verstrickte: Beispielsweise führte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA an, dass seine Wohnung im Jahr 2015 von der Hamas gestürmt worden sei (AS 89). Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnte der Beschwerdeführer diesen Umstand hingegen mit keinem Wort (Verhandlungsschrift, Seite 8 ff). Aus den Angaben des Beschwerdeführers zu dieser Aktion seiner angeblichen Verfolger ergibt sich daher ein gravierender Widerspruch in den Schilderungen. Nicht unberücksichtigt bleiben darf weiters, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA im Zuge der Darstellung der ausreisekausalen Ereignisse angab, dass sein Akt im Jahr 2015 und 2019 geöffnet worden sei und er im Jahr 2015 $ 2.000,00 gezahlt habe, um seinen Akt wieder zu schließen (AS 89 ff). Abweichend von diesen Ausführungen gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung jedoch bezüglich seines im Gaza-Streifen geführten Aktes und den zu seiner Schließung geleisteten Bestechungsgeldern an, dass im Jahr 2017 ein Akt mit seinem Namen eröffnet und nach Zahlung von ca. $ 1.000,00 geschlossen worden sei. Im Jahr 2018 bzw. 2019 sei sein Akt erneut geöffnet worden. Gegen Bezahlung von Geld sei der Akt dann wieder geschlossen worden. Insgesamt sei sein Akt zweimal durch die Bezahlung von Geld geschlossen worden (Verhandlungsschrift, Seite 8). Insofern der BF in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt dieses Widerspruchs behauptete, dass er zwecks Schließung seines Aktes einmal $ 1.000,00 und einmal $ 2.000,00 bezahlt habe (Verhandlungsschrift, Seite 11), so lässt sich hiermit jedoch nicht erklären, weshalb er vor der belangten Behörde nur von einer erfolgreichen Schließung des Aktes zu berichten wusste, wobei er hierfür eben insgesamt $ 2.000,00 bezahlt haben soll. Ferner modifizierte der Beschwerdeführer sein Vorbringen auch mehrfach zur Frage, ob er vor seiner Ausreise bereits eine Ladung im Gaza-Streifen erhalten habe. Es erscheint auffällig, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen diesbezüglich im Zuge der gestellten Fragen vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung mäandrierend abänderte. So führte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde zweifelsfrei aus, dass er einen „Brief“ erhalten habe, dass er sich zur Behörde begeben solle (AS 95). In der mündlichen Verhandlung verneinte der Beschwerdeführer dann abweichend von diesen Angaben die Frage, ob er - abgesehen von der angeblich Anfang Mai 2023 erhaltenen Ladung - auch zuvor Ladungen von der Hamas erhalten habe. Des Weiteren führte der BF aus, dass in der Vergangenheit aber öfters mündlich nach ihm gefragt worden sei. Eine schriftliche Ladung hätte er nicht erhalten, sondern hätten sie angerufen und ihm die Anweisung erteilt, zum Büro des Geheimdiensts zu kommen. Wenn er dies nicht gemacht habe, seien sie zu ihm nach Hause gekommen (Verhandlungsschrift, Seite 4). Schließlich sprach der BF in der mündlichen Verhandlung auf weitere Nachfragen durch die erkennende Richterin wieder davon, dass er in der Vergangenheit von der Polizei Ladungen erhalten habe. Man habe ihn einvernehmen wollen, da er mit einer Gruppe an der Grenze stationiert gewesen sei, um Informationen über jeden, der Raketen über Israel schießt, weiterzuleiten bzw. weil sie Leute angehalten haben. Diesmal sei es eine Ladung vom Geheimdienst gewesen. Die Polizei sei zuständig für Verkehrsdelikte und allgemeine Probleme zwischen der Bevölkerung. Der Geheimdienst sei für die innere Sicherheit und die Verhöre bei größeren Angelegenheiten zuständig (Verhandlungsschrift, Seite 4 f). Gegen Ende der mündlichen Verhandlung legte der BF schließlich dar, dass er am 31. Oktober - einen Tag nach seiner Flucht – eine Ladung bzw. einen Brief erhalten habe, dass er zur Behörde gehen solle (Verhandlungsschrift, Seite 12). Die Ausführungen des Beschwerdeführers variieren somit auch in diesem Punkt nicht nur leicht, sondern es traten wiederum gravierende Divergenzen zu Tage. Selbst wenn man dem BF zugestehen sollte, dass er Differenzierungen zwischen der Hamas, der Polizei und dem Geheimdienst vorgenommen haben will, wobei die beiden Letztgenannten im Gaza-Streifen wiederum unter der Kontrolle der Hamas stehen, so vermag dies nicht zu erklären, weshalb der BF in der Einvernahme vor der belangten Behörde von einem „Brief“ (Einzahl) sprach (AS 95), während der BF in der mündlichen Verhandlung an einer Stelle erklärte, in der Vergangenheit Ladungen (Mehrzahl) von der Polizei erhalten zu haben (Verhandlungsschrift, Seite 5), weshalb den Ausführungen des BF in diesem Punkt insgesamt nicht gefolgt werden kann.
Des Weiteren erweist sich das Vorbringen des BF bezüglich einer Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas auch nicht als glaubhaft, zumal in besonderer Weise zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung nunmehr in gravierender Steigerung des Vorbringens vorbrachte, dass ca. im Jahr 2017 ein Kollege festgenommen worden sei und dieser den BF bzw. dessen Funktion unter Anwendung von Folter verraten hätte (Verhandlungsschrift, Seite 8). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist diese Steigerung des Vorbringens in einem Kernpunkt der vorgebrachten Asylgründe ein wesentliches Indiz für die Unglaubhaftigkeit der geltend gemachten Ausreisegründe, hatte doch der Beschwerdeführer bereits in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.09.2021 die umfassende Möglichkeit, sämtliche Ausreisegründe vorzubringen. Bei diesen erstmals in der mündlichen Verhandlung geschilderten Angaben handelt es sich um eine klare Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers, vermutlich zu dem Zweck, um seinem Asylantrag - nach Kenntnisnahme der Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - mehr Substanz zu verleihen, zumal sich der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung auf Vorhalt dieses gesteigerten Vorbringens auch darauf beschränkte, dass er erklärte, dass sein Freund bereits im Jahr 2015 wider ihn ausgesagt habe (Verhandlungsschrift, Seite 11).
Völlig realitätsfern stellt sich das Vorbringen auch unter Berücksichtigung folgenden Umstandes dar: Der BF führte vor der belangten Behörde aus, dass er seit dem Jahr 2006 nicht mehr aktiv als Polizist tätig gewesen wäre respektive dass ihm im Jahr 2006 der Präsident befohlen habe, zu Hause zu bleiben und nicht mehr zur Arbeit zu kommen; erstmals sei seine Akte dann seitens der Hamas im Jahr 2015 wieder geöffnet worden. Einer Gefährdung oder Bedrohung seitens der Hamas war der BF sohin rund 9 Jahre nicht ausgesetzt und erweist es sich geradezu als absurd, dass der BF urplötztlich 9 Jahre nach seiner aktiven Tätigkeit ins Interesse der Hamas respektive deren Blickfeld geraten sein sollte, wo doch ein Interesse der Hamas an seiner Person unmittelbar seiner aktiven Tätigkeit folgenden nicht vorhanden war.
Von entscheidungsrelevanter Bedeutung ist ebenso, dass es - dem BFA folgend - aus Sicht der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar ist, dass sich der BF, wie in der Einvernahme vor dem BFA erläutert, zwar im Juli 2017, zur Ausreise entschlossen haben will, dieser jedoch tatsächlich erst im Oktober 2019 aus dem Gaza-Streifen ausreiste. Wörtlich legte der BF in der Einvernahme vor dem BFA bezüglich des Zeitpunkts seines Entschlusses zur Ausreise dar: „Ich war schon in Pension, ich denke es war im Juli 2017.“ (AS 85). Insofern der BF diese Vorgehensweise im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA und in der Beschwerde damit zu erklären versucht, dass er im Jahr 2017 nicht über die finanziellen Mittel für die Ausreise verfügt habe, so ist dem zu entgegnen, dass der BF im Zuge der Einvernahme eben auch verneinte, dass es zwischen 2015 und 2019 seitens der Hamas irgendwelche Vorfälle gegeben habe, die wider ihn oder seine Familie gerichtet gewesen seien (AS 89). Insofern findet sich jeodch kein asylrelevantes Motiv, weshalb der BF gerade im Juli 2017 seinen Entschluss zur Ausreise gefasst haben will. Dementsprechend erklärte der BF ursprünglich in der Erstbefragung - abweichend von seinem späteren Vorbringen - auch, dass er den Entschluss zur Ausreise erst im Jahr 2019 gefasst haben will (AS 11).
Nicht nachvollziehbar ist auch, dass die Familie des Beschwerdeführers immer wieder nach dessen Aufenthaltsort befragt worden sein soll (89, 91, 93; Verhandlungsschrift, Seite 5, 12), während seinen Verfolgern aufgrund der Angaben eines Freundes des BF ohnehin bekannt gewesen sein musste, dass er sich mittlerweile in Europa befinde (AS 91). Insofern der BF durch die regelmäßige Befragung bzw. Bedrohung seiner Familienangehörigen zu einer Rückkehr in den Gaza-Streifen bewegt werden sollte, so spricht diese Vorgehensweise an sich im Übrigen auch im Kontext der Feststellungen zur Hamas - einer professionell agierenden palästinensischen Terrororganisation - nicht für dieser Organisation zuzuschreibende Aktivitäten. Ausgehend von den zu den Aktivitäten der Hamas getroffenen Feststellungen ist nämlich festzuhalten, dass diese regelmäßigen und ohne weitere Konsequenzen erfolgenden Befragungen nicht dem Handlungsmuster einer derartigen Organisation entsprechen. Die Feststellungen zeichnen das Bild einer gut organsierten Terrororganisation, die eine entsprechende Schlagkraft besitzt. Aus welchem Grund und zu welchem Zweck die Hamas immer wieder derartige Befragungen – ohne weitere Konsequnezen - durchführen sollte, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht, würde sie den Familienangehörigen des BF doch mit dieser Vorgehensweise offenbaren, dass sie letztlich nichts zu befürchten haben. Der vom Beschwerdeführer in den Raum gestellte Geschehnisverlauf deutet insgesamt auf ein Konstrukt zum Zweck der Asylerlangung hin, anstatt auf einen tatsächlich erlebten Sachverhalt.
Im gegebenen Zusammenhang überrascht es außerdem, dass der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde noch in der mündlichen Verhandlung plausibel und gleichbleibend darstellen konnte, weshalb es für ihn nicht möglich gewesen wäre, durch einen Wohnsitzwechsel innerhalb der palästinensischen Autonomiegebiete, etwa nach Ramallah, dieser Bedrohung zu entgehen. So argumentierte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde auf die Frage „Hätten Sie die Möglichkeit, sich an einem anderen Ort in Ihrem Herkunftsstaat aufzuhalten, um sich den Problemen zu entziehen?“ pauschal ausweichend „Nein, selbst Ramallah, wo sich der Präsident aufhält, ist unter der Macht der Juden, dort kann ich mich also auch nicht aufhalten. Ich kann nirgends in Palästina in Frieden leben.“ (AS 97). In der mündlichen Verhandlung argumentierte der BF hingegen - abweichend hiervon -, dass es ihm nicht möglich sei, in Ramallah zu leben, weil er Soldat sei. Als Zivilist mit einer Arbeitserlaubnis könne man nach Israel einreisen, als stationierter Soldat nicht (Verhandlungsschrift, Seite 12). Ein schlüssiger und nachvollziehbarer Grund, weshalb der Beschwerdeführer einer allfälligen Gefährdung im Gaza-Streifen nicht im Westjordanland entgehen konnte, wird mit der vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht dargelegten – widersprüchlichen - Argumentationslinie nicht aufgezeigt, zumal es sich beim BF aktuell um keinen stationierten Soldaten, sondern – wie von ihm ansonsten stets ausgeführt - um einen Polizisten im Ruhestand handelt.
Wenn der Beschwerdeführer nun in der mündlichen Verhandlung am 03.05.2023 anführt, dass er vor drei Tagen vom Geheimdienst der Hamas eine Ladung erhalten habe (Verhandlungsschrift, Seite 4), kann dieses Vorbringen nicht als glaubwürdig erachtet werden, zumal zunächst ins Gewicht fällt, dass Bescheinigungsmittel für dieses Vorbringen im Gaza-Streifen nicht in Vorlage gebracht wurden, sodass als Maßstab das Vorbringen des Beschwerdeführers heranzuziehen ist. Dieses neue Vorbringen ist auch nicht mit den bisherigen Schilderungen des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde in Einklang zu bringen. Es erscheint völlig lebensfremd, dass der BF nach seiner Ausreise im Oktober 2019 ausgerechnet drei Tage vor der mündlichen Verhandlung eine schriftliche Ladung der Hamas erhalten haben soll. Es erschließt sich kein nachvollziehbarer Grund, weshalb die Hamas dreieinhalb Jahre nach Ausreise des BF einen derartigen Schritt gesetzt haben soll und war auch der BF nicht in der Lage, eine plausible Erklärung hierfür zu erbringen. In dieses Bild passt es im Übrigen auch, dass es dem BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ebenso wenig möglich war, nachvollziehbar zu erläutern, weshalb die Hamas - bei hypothetischer Wahrunterstellung seines Vorbringens – überhaupt neun Jahre nach aktiver Ausübung seines Berufs plötztlich ein Interesse an seiner Person haben sollte (Verhandlungsschrift, Seite 11). Tatsächlich beschränkte sich der BF zur Begründung der Aktivitäten der Hamas wider seine Person wiederum lediglich auf die Wiederholung seines bisherigen Vorbringens.
Ferner darf nicht gänzlich außer Acht gelassen werden, dass der Beschwerdeführer bereits in der Einvernahme einen „Brief“ erwähnte, wonach er sich zur Behörde begeben solle (AS 95), er jedoch weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Beschwerdeverfahren Bescheinigungsmittel bezüglich seines Ausreisevorbringens übermittelte. Gerade bei den vom Beschwerdeführer geschilderten Vorkommnissen (Verfolgung und Bedrohung durch die Hamas unter Verwendung behördlicher Schreiben (AS 95; Verhandlungsschrift, Seite 4) handelt es sich wohl auch um in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen verifizierbare Ereignisse. Angesichts der vorliegenden Fakten (Übermittlung der Schreiben an den BF bzw. dessen Familie) erscheint eine Beischaffung dieser Unterlagen jedenfalls möglich. Bei tatsächlichem Zutreffen dieses Vorbringens könnte doch vorausgesetzt werden, dass der Beschwerdeführer entsprechende Unterlagen, welche sein Vorbringen belegen können, bereits im Verfahren vor der belangten Behörde, oder zumindest im Beschwerdeverfahren in Vorlage gebracht hätte, wie es auch von anderen Beschwerdeführern aus den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen praktiziert wird und spricht dies somit ebenfalls gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers.
Hervorzuheben ist auch die legale Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Gaza-Streifen samt vorangehender Erteilung einer Ausreisegenehmigung (AS 11 ff, 73, 85 ff). Es spricht gegen die behauptete Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas, dass dem Beschwerdeführer im Oktober 2019 ohne Schwierigkeiten die legale Ausreise auf dem Landweg nach Ägypten gelang sowie dass der Beschwerdeführer bereits zuvor bei der Beantragung einer Ausreisegenehmigung durch die zuständige Behörde etwa einen Monat vorher keine Probleme hatte (AS 85). Wäre die seitens des Beschwerdeführers in den Raum gestellte Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas indes tatsächlich gegeben, hätte der Beschwerdeführer damit rechnen müssen, dass die Erteilung einer Ausreisegenehmigung verweigert wird oder er bei der Beantragung dieser Genehmigung oder spätestens bei der Ausreisekontrolle festgenommen wird. Dass derartiges nicht erfolgte, spricht gegen eine Verfolgung durch die Hamas. Gerade derartige Reisevorbereitungen lassen auf eine geplante, vorbereitete Ausreise schließen, und kontraindizieren die Annahme einer auf gegründeter Furcht basierenden Flucht. Weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung war der Beschwerdeführer in der Lage, diesbezüglich eine plausible Erklärung zu erbringen. Insoweit der BF diesbezüglich in der Beschwerde und später in der mündlichen Verhandlung zu argumentieren versucht, dass er an einen Grenzbeamten $ 4.000,- an Bestechungsgeld für die Ausreise entrichtet habe (AS 295; Verhandlungsschrift, Seite 13), so erlaubt sich die erkennende Richterin auf die vorangehenden Ausführungen bezüglich eines gesteigerten Vorbringens zu verweisen und widerstreitet es im Übrigen den sonstigen Schilderungen, dass die Flucht des Beschwerdeführers in einem derart von mangelnder Vorsicht gekennzeichneten Kontext erfolgt sein sollte, zumal dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Ausreise bewusst sein musste, dass seine Absichten bereits bekannt geworden sind und er doch von der Hamas an der Grenze festgehalten werden könnte, zumal er einen Monat zuvor um eine Ausreisegenehmigung aus dem Gaza-Streifen ansuchte.
Die Verwendung des eigenen Reisepasses bei der Ausreise deutet darauf hin, dass der Beschwerdeführer - trotz der angeblichen Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas bzw. deren Vormachtstellung im Gaza-Streifen - keine Bedenken hatte, sich einer Passkontrolle durch Angehörige der Hamas bei einer Ausreise in einen Nachbarstaat zu unterziehen beziehungsweise ergeben sich daraus keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer Verfolgungshandlungen seitens der Hamas selbst befürchtete oder zu befürchten hatte. Unter der Prämisse, dass man ihn bei einem Verbleib festgenommen hätte, ist weder objektiv plausibel noch hätte sich der Beschwerdeführer subjektiv zum Zeitpunkt der Ausreise völlig sicher sein können, dass diese auf legale Weise möglich sein konnte. Unter besagter Prämisse würde es auch den sonstigen Schilderungen widerstreiten, dass die (vermeintliche) Flucht des Beschwerdeführers in einem derart von mangelnder Vorsicht gekennzeichneten Kontext erfolgt sein sollte.
In diesem Zusammenhang gilt es auch zu bedenken, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehen kann, weshalb der Beschwerdeführer seine Ehegattin und seine Kinder allen angeblichen Bedrohungen zum Trotz im Gaza-Streifen zurückließ, zumal nach den Schilderungen keinesfalls auszuschließen war, dass auch die Familienangehörigen von der Hamas festgenommen werden könnten. Diese sollen nach den Schilderungen Beschwerdeführers auch bereits unter Druck gesetzt/ bedroht und befragt worden sein (AS 93, Verhandlungsschrift, Seite 12). Der BF versuchte zwar als Rechtfertigung darauf zu verweisen, dass er nicht über ausreichend Geld verfügt habe, um eine Ausreise seiner gesamten Familie nach Europa zu finanzieren (AS 93). Dies vermag aber nicht vollkommen zu überzeugen, zumal, sollte eine solche Bedrohung tatsächlich stattgefunden haben, wäre von einem sorgenden Vater - als solchen hat sich der Beschwerdeführer auch dargestellt - zu erwarten, dass dieser seine - angeblich ebenfalls betroffenen - Familienangehörigen zumindest über die Landesgrenze in Sicherheit bringt, was er ebenso wenig getan hat. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts wäre im Fall einer tatsächlichen Gefährdung seiner Familienangehörigen schließlich davon auszugehen, dass sich diese selbst der Bedrohung ebenfalls durch Ausreise entzogen hätten und spricht der Verbleib im Gaza-Streifen vielmehr dafür, dass keine akute Gefährdung besteht, zumal vier der Kinder des BF bereits volljährig sind und diese eine Ausreise und deren Mittel hierfür auch selbst organisieren hätten können.
Es mag im Übrigen zwar Bedenken geben, sollte die Behörde oder das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubhaftigkeit eines (Flucht-)Vorbringens unreflektiert und ausschließlich damit begründen, dass ein Asylwerber nicht im – sozusagen – erstbesten sicheren Staat, den er nach dem Verlassen seines Herkunftsstaats betreten hat, einen Asylantrag gestellt hat. Auf eine derartige Argumentation zieht sich das Bundesverwaltungsgericht gegenständlich jedoch nicht zurück und werden dessen Feststellungen auch keineswegs ausschließlich darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer in keinem der von ihm durchreisten Staaten einen Asylantrag gestellt habe, weshalb das Bundesverwaltungsgericht ergänzend – unter Bedachtnahme auf die Angaben des Beschwerdeführers – darauf hinweist, dass dieser nicht nachvollziehbar darlegen konnte, weshalb er nicht in einem der durchreisten Staaten einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Dass sich der Beschwerdeführer in der Türkei von einer Asylantragstellung hätte abhalten lassen, wäre im Falle einer tatsächlichen Verfolgung(sgefahr) im Herkunftsstaat nicht naheliegend, weshalb auch dieses Verhalten des Beschwerdeführers nicht dafür spricht, dass er seinen Herkunftsstaat wegen einer tatsächlichen Gefahr verlassen hat. Im Falle einer tatsächlichen Verfolgung oder Gefährdung im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer wohl kaum, eventuell unter Anmietung einer Wohnung, beinahe ein Jahr (AS 13) – nach Ablauf seines Visums ohne Berechtigung zum Aufenthalt und folglich mit dem Risiko einer (zwangsweisen) Außerlandesbringung – in der Türkei verblieben, ohne dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Insoweit kann der Schluss gezogen werden, dass es dem Beschwerdeführer nicht darum ging, einer Verfolgung in seinem Heimatland zu entgehen, sondern er seinen Antrag in einem west- oder mitteleuropäischen Land stellen wollte. Es wird zwar nicht verkannt, dass der Genfer Flüchtlingskonvention ein Erfordernis, in irgendeinem Staat Schutz zu suchen (sei es in der Herkunftsregion oder sonst in sicheren Ländern, die als erstes erreicht werden) fremd ist. Im gegenständlichen Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer etwa elf Monate in der Türkei verblieben ist. Bei einer tatsächlichen Verfolgung wäre bei einer derartig langen Aufenthaltsdauer wohl zu erwarten gewesen, dass in der Türkei als erstes Ziel für einen längeren Verbleib ein entsprechender Antrag gestellt wird, um einer Verfolgung zu entkommen.
Vor dem Hintergrund, dass die Ehegattin des BF an einer Krebserkrankung leidet und der Bechwerdeführer seine Familie nach Österreich nachholen möchte (AS 83, 89, 95; OZ 9) und eine Einreise oder ein Erhalt eines Aufenthaltstitels für den Beschwerdeführer für Österreich nach den fremdenrechtlichen oder niederlassungsrechtlichen Bestimmungen offenbar nicht möglich war, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts daher zum Ergebnis zu gelangen, dass der Beschwerdeführer die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen primär rein aus privaten Interessen verlassen hat, um - nach einer allfälligen positiven Erledigung seines Antrags - seine Familie nach Österreich nachholen und seiner Ehegattin damit eine bessere Behandlung in Europa ermöglichen zu können, und die Antragstellung auf internationalen Schutz im Jahr 2021 daher lediglich zum Zwecke des Erhalts eines Aufenthaltstitels für Österreich erfolgte. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz unter Umgehung der fremdenrechtlichen Bestimmungen einzig (offensichtlich missbräuchlich) zur Erreichung eines Aufenthaltstitels für Österreich nach dem Asylgesetz eingebracht wurde.
2.2.4.3. Weder in der Beschwerdeschrift noch in der mündlichen Verhandlung wurde der festgestellten persönlichen Unglaubwürdigkeit und der Unglaubhaftigkeit bezüglich der Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas substantiiert entgegengetreten:
2.2.4.3.1. Die in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens sowie die dahingehende Kritik, dass sich das Bundesamt nicht ausreichend mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt habe, geht schon deshalb ins Leere, da nunmehr seitens des BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde und dem Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung Gelegenheit geboten wurde, sämtlich Fluchtgründe abermals umfassend darzulegen und ihm im Beschwerdeverfahren auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den getroffenen Länderfeststellungen Stellung zu nehmen.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass das Protokoll der Einvernahme vom 14.09.2021 den Eindruck vermittelt, dass der zuständige Organwalter den Beschwerdeführer ausführlich und objektiv zu seinem behaupteten Herkunftsstaat und seinem Vorbringen befragt und ihn mit entscheidungswesentlichen Fragen konfrontiert hat. Bei Betrachtung der gegenständlichen Niederschrift kann dieser Vorwurf bezüglich eines mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens daher ohnehin nicht nachvollzogen werden. Die Asylbehörde hat die materielle Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Hierbei kann oftmals nur auf eine genaue Befragung des Asylwerbers zurückgegriffen werden. Hinsichtlich der Fragestellung lassen sich aber keine Besonderheiten feststellen und bei genauer Betrachtung hinterlässt die Niederschrift den Eindruck, dass sie den konkreten Verlauf wiedergibt. Der Niederschrift ist weiters nicht zu entnehmen, dass der BF während der Einvernahme seine nunmehrige Beanstandung kundtat, was aber seiner Mitwirkungsverpflichtung entsprochen hätte. Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass der BF nach erfolgter Rückübersetzung am Ende der Einvernahme vor dem BFA am 14.09.2021 keine Korrekturen an der Niederschrift vornehmen ließ und ansonsten keine Einwendungen gegen die Niederschrift vorbrachte. Des Weiteren bestätigte der BF, dass er den Dolmetscher sehr gut verstanden habe und er zum Verfahren alles vorbringen habe können (AS 101).
Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Asylverfahrens umfassend niederschriftlich vom BFA einvernommen, wobei er in dieser Einvernahme die Gelegenheit hatte, sich zu seinen Verfolgungsgründen und Rückkehrbefürchtungen zu äußern. Das BFA beließ es dabei nicht bei offenen Fragen, sondern versuchte auch durch konkrete Fragestellung den Grund seiner Furcht und zu erwartende Rückkehrprobleme zu erhellen, was nach Ansicht der erkennenden Richterin auch hinreichend geschehen ist. Die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus den Akten (etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/1990) dazu Veranlassung geben (VwGH 4.4.2002, 2002/08/0221).
Die Behörde ist auch im Rahmen der Refoulementprüfung nur in dem Umfang zu amtswegigen Ermittlungen verhalten, in dem ein ausreichend konkretes, eine maßgebliche Bedrohung aufzeigendes Vorbringen erstattet wird, nicht aber zur Prüfung, ob die Partei denkbarerweise irgendwelchen Gefährdungen ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 19.11.2002, 2002/21/0185, 3.9.1997, 96/01/0474, 30.9.1997, 96/01/0205).
Damit ist die belangte Behörde ihrer aus § 18 AsylG 2005 in Verbindung mit § 37 und § 39 Abs. 2 AVG resultierenden Pflicht, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, nachgekommen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236). Namentlich hat die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hingewirkt, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrags notwendig erscheinen. Zu beachten ist überdies, dass aus § 18 AsylG 2005 keine Verpflichtung abgeleitet werden kann, Umstände ermitteln zu müssen, die ein Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0202). Ferner zieht § 18 AsylG 2005 nicht die Pflicht nach sich, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (VwGH 15.10.2018, Ra 2018/14/0143). Insbesondere kann keine Verpflichtung der belangten Behörde erkannt werden, den Beschwerdeführer zu seinem Standpunkt dienlichen Angaben durch zielgerichtete Befragung gleichsam anzuleiten.
2.2.4.3.2. Zur Vollständigkeit ist an dieser Stelle festzuhalten, dass in der Beschwerde auch moniert wurde, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt habe, dass sich die Kernfamilie des BF, Ehefrau und sechs Kinder, in Syrien befinden würde (AS 190), was falsch sei, zumal sich die Kernfamilie nicht in Syrien, sondern weiterhin in Gaza befinde. Die erkennende Richterin erlaubt sich zudem anzumerken, dass an zwei Stellen des angefochtenen Bescheides bezüglich des BF von einem Herkunftsstaat Syrien die Rede ist (AS 238, 256). Hierbei handelt es sich offenbar jeweils um ein Versehen bzw. einen Flüchtigkeitsfehler, zumal zweifelsfrei feststeht, dass der BF und seine Familie aus den palästinensischen Autonomiegebieten/ Gaza-Streifen stammen, wobei nunmehr - wie bereits ausgeführt - seitens des BVwG ohnehin eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde und diese Frage abschließend geklärt werden konnte.
Was die in der Beschwerde ebenfalls dargelegte Kritik betrifft, wonach sich das BFA nicht ausreichend damit beschäftigt habe, ob eine Wiedereinreise in den Gaza-Streifen praktisch möglich und dem BF auch zumutbar sei, so ist dem zu entgegnen, dass diesen Überlegungen nicht gefolgt werden kann, zumal seitens des BFA - unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde herangezogenen Länderinformationsquellen - sehr wohl umfassende Ausführungen zu dieser Thematik getroffen wurden (AS 206 f, 217 f, 239, 250). Im Übrigen erlaubt sich die erkennende Richterin des Bundsverwaltungsgerichts darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Entscheidung jedenfalls auf Grundlage wesentlich aktuellerer Informationen getroffen wird und bezüglich der Frage einer Wiedereinreise des BF auf die – unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen – getroffenen Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung verwiesen werden kann.
2.2.4.3.3. Die Rüge in der Beschwerde, dass die Begründung § 60 AVG verletze, geht jedenfalls ins Leere. Die Bescheidbegründung bezweckt insbesondere, die Parteien über die von der Behörde angestellten Erwägungen zu unterrichten und ihnen damit eine zweckmäßige Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Genau dies hat die belangte Behörde getan, was auch durch die Beschwerdeausführungen belegt wurde. Auch das Bundesverwaltungsgericht vermag an der Begründung der belangten Behörde keine entscheidungswesentlichen rechtswidrigen Mängel zu entdecken, zumal seitens des BFA - unter Heranziehung umfassender Länderinformationsquellen - die Lage in dem Herkunftsland, insbesondere im Hinblick auf die Einreise in den Gaza-Streifen und die Verfolgung durch die Hamas, ausreichend gewürdigt wurde.
2.2.4.3.4. In einer Gesamtschau war dem Beschwerdeführer aufgrund sämtlicher zuvor getroffener Ausführungen sowie auch des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung die persönliche Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Auf der Grundlage dieser Beweiswürdigung gelangt die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts sohin zur Feststellung, dass der BF, entgegen seiner Darstellung, vor seiner Ausreise keiner individuellen Verfolgung durch die Hamas unterlag, woraus auch pro futuro nicht auf die Gefahr einer solchen zu schließen war.
Aus dieser Feststellung war wiederum zu folgern, dass er aus diesem behaupteten Grunde nicht daran gehindert wäre, bei einer Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/ Gaza-Streifen als staatenloser Palästinenser den Beistand der UNRWA (neuerlich) in Anspruch zu nehmen, wie ihm dies bereits vor seiner Ausreise durch den Bezug von Lebensmitteln/ Sachleistungen der UNRWA möglich war.
Auch anderweitige Hinderungsgründe, wie etwa die allgemeine Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen, waren nicht festzustellen. Die allgemeine Sicherheitslage wirkt sich sowohl der eigenen Darstellung des BF in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung über die aktuellen Lebensumstände seiner Angehörigen vor Ort als auch den aktuellen länderkundlichen Informationen zufolge - wie nachfolgend ausführlich erörtert - nicht dergestalt aus, dass es den palästinensischen Flüchtlingen und deren Angehörigen in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen derzeit generell nicht möglich wäre den Beistand der UNRWA in Anspruch zu nehmen. Dies trifft auch auf gelegentliche sicherheitsrelevante Vorfälle im Zusammenhang mit der in jüngerer Vergangenheit erfolgten neuerlichen Eskalation des Konflikts zwischen palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften, die auch Menschenleben auf palästinensischer und auf israelischer Seite forderte, zu, zumal diese aktuell keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen in der Form entfaltet, dass die Aktivitäten der UNRWA dadurch hintangehalten würden.
Abschließend erlaubt sich die erkennende Richterin diesbezüglich nochmals auf die nachfolgenden Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung zu verweisen.
2.2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:
2.2.5.1. Die getroffenen Feststellungen zur Situation in den palästinensischen Autonomiegebeiten/Gaza-Streifen gründen sich nunmehr auf die dem Beschwerdeführer zuletzt im Rahmen der Note des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.05.2023 nachweislich zur Kenntnis gebrachten aktuellen Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 31.05.2022), denen der Beschwerdeführer nicht entgegengetreten ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat dabei Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind.
Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates über den berichtet wird zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann.
Die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat sollen ein objektives Bild über die gegenwärtige Situation im Herkunftsstaat zeichnen. Dazu ist es freilich nicht erforderlich, dass jede verfügbare Quelle betreffend den Herkunftsstaat ausgewertet und dargestellt wird, zumal ansonsten eine Uferlosigkeit der erforderlichen Ermittlungen zu befürchten ist. Entscheidend ist, dass Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden, um die notwendige Ausgewogenheit sicherzustellen und dermaßen einen möglichst realitätsnahen Gesamteindruck im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat zeichnen. Es ist nicht möglich, im Rahmen der zu treffenden Feststellungen jeglichen Bericht zur Lage im Gaza-Streifen wörtlich zu zitieren bzw. zu erwähnen. Wesentlich ist es, ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zu zeichnen, was aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegeben ist und weshalb diesbezüglich auf die - unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen - getroffenen weiteren Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung verwiesen werden kann.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht daher kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
2.2.5.2. Das Bundesverwaltungsgericht brachte dem Beschwerdeführer mit Note vom 15.05.2023 die länderkundlichen Informationen zur Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen zur Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit der Stellungnahme ein. Weder der BF noch dessen bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation traten den von der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte seine Feststellungen daher auf Grundlage der von ihm als Beweismittel herangezogenen Länderinformationen treffen.
Wenn im Übrigen in der Beschwerde moniert wird, dass sich die belangte Behörde auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.04.2020 stütze, das Länderinformationsblatt jedoch am 29.05.2020 eine Gesamtaktualisierung erfahren habe, welche im gegenständlichen Bescheid keine adäquate Beachtung gefunden habe (AS 289), so ist darauf hinzuweisen, dass sich das vom BF thematisierte Länderinformationsblatt vom 29.05.2020 nicht auf den Gaza-Streifen, sondern auf das Westjordanland bezieht, womit es sich - abgesehen von dessen mangelnder Aktualität - erübrigt auf dieses näher einzugehen, zumal der BF aus dem Gaza-Streifen stammt. Insoweit der BF zudem ausführt, dass diesen Länderinformationsblatt zu entnehmen wäre, dass “keine Informationen" zur Situation von Rückkehrern bzw. überhaupt zur Möglichkeit der Rückkehr vorhanden seien (siehe LIB, 29.05.2020, Seite 50) und die Unmöglichkeit der Einholung entsprechender Informationen als Indiz für die außerordentlich gefährliche Lage in Gaza sowie den palästinensischen Autonomiegebieten zu sehen sei (AS 289), so ist diesbezüglich zur Vollständigkeit, anzumerken, dass das Nichtvorhandensein von Informationen zur Rückkehr - unter Berücksichtigung der sonstigen im Länderinformationsblatt angeführten Umstände zur Sicherheitslage - nicht bereits als Indiz für eine außerordentlich gefährliche Lage in Gaza sowie den palästinensischen Autonomiegebieten zu sehen ist. Insoweit es dem BF nämlich selbst nicht gelungen ist, gesicherte Informationen über den Umgang mit Rückkehrern vorzulegen, ist festzuhalten, dass es nach den getroffenen Feststellungen somit keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Palästinenser, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären. Dementsprechend findet sich numehr auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen aktuellen Länderinformationsblatt zum Gaza-Streifen lediglich der Hinweis, dass Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört werden. Nach den Länderfeststellungen löst jedoch allein der Umstand, dass eine Person (im Ausland) einen Asylantrag gestellt hat, bei der Rückkehr in den Gaza-Streifen keine staatlichen Repressionen aus. Nachteilige Folgen für den Fall einer Rückkehr nach einer erfolglosen Asylantragstellung sind den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen umfassenden Länderfeststellungen hingegen nicht zu entnehmen. Insoweit erübrigt es sich auch weitergehende Ermittlungen diesbezüglich anzustellen.
Insoweit der Beschwerdeführer im Rechtsmittelschriftsatz ferner unter auszugsweiser Zitierung der Anfragebeantwortung der EASO zu Palästina: Gazastreifen: Sicherheitslage, zivile Opfer, Schaden, Vertreibung (Mai 2020 - Mai 2021) vom 08.06.2021, des Amnesty International Reports 2020/21 zur weltweiten Lage der Menschenrechte - Palästina 2020 vom 07.04.2021, des Berichts „2020 Country Reports on Human Rights Practices: Israel, West Bank and Gaza“ des US Department of State vom 30.03.2021 und des Berichts zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 von Freedom House vom 03.03.2021 auf die angespannte Sicherheitslage und Menschenrechtsverletzungen bzw. die allgemeine Menschenrechtssituation im Gaza-Streifen verweist, so ist darauf hinzuweisen, dass der BF - insoweit er moniert, die Behörde hätte ihrer Ermittlungspflicht entsprechend diese Berichte in das Verfahren einbringen müssen - nicht einmal ansatzweise aufzeigt, dass die von der Behörde herangezogenen Länderinformationen in einem (verfahrensrelevanten) Widerspruch zum Inhalt dieser Berichte stehen. Die belangte Behörde hat sich in den Feststellungen zur Lage im Gaza-Streifen mit der Herrschaft der Hamas auseinandergesetzt (Seite 28 bis 32, 35 des angefochtenen Bescheides). Ferner wurde festgestellt, dass die Hamas in ihrem Einflussgebiet zahlreiche Menschenrechtsverletzungen beging (Seite 36, 38 f des angefochtenen Bescheides). Die belangte Behörde beleuchtete ferner die sicherheistrelevanten Vorfälle und hat festgestellt, dass es aufgrund dieser auch immer wieder vorkommt, dass Menschen - auch Zivilisten - im Gaza-Streifen verletzt und getötet werden (Seite 32 und 33 des angefochtenen Bescheides). Ebenso geht aus den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Gaza-Streifen bereits hinreichend hervor, dass sich die dortige humanitäre Situation teilweise weiterhin als schlecht darstelle (Seite 44 bis 48 des angefochtenen Bescheides). Die vom Beschwerdeführer in der Beschwerde zitierten länderkundlichen Berichte zeichnen daher ein ähnliches Bild und transportieren keine wesentlich anders gelagerte Sachlage. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Sicherheits- und Menschenrechtslage in den palästinensischen Gebieten/Gaza-Streifen als angespannt zu bezeichnen ist und dieses Gebiet mit einer gewissen terroristischen Bedrohung konfrontiert ist. Dass es vereinzelt zu Übergriffen kommt ändert aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts allerdings nichts daran, dass die Sicherheitslage insgesamt als annehmbar, wenn auch nicht ganz frei von gelegentlichen Terrorakten, anzusehen ist. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der dargestellten Gefahrendichte im Gaza-Streifen nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der dortigen bloßen Präsenz des BF davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlags, krimineller Aktivtäten oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den BF, welche auf eine im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten oder im Hinblick auf willkürliche Gewalt im Zuge von Ausschreitungen bei Protesten oder kriminelle Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert dargetan, inwiefern er nun persönlich von der angesapnnten Sicherheits- und Menschenrechtslage betroffen ist. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK ist jedenfalls nicht auszugehen. Was die diesbezüglichen Befürchtungen des Beschwerdeführers betrifft, Übergriffen ausgesetzt zu sein, wurde im Ergebnis ein über abstrakte Befürchtungen hinausgehendes Vorbringen nicht erstattet und kann das Bundesverwaltungsgericht kein maßgebliches Risiko des Beschwerdeführers erkennen, allein aufgrund seiner Anwesenheit in den palästinensischen Gebieten/Gaza-Streifen Opfer eines gegen ihn gerichteten Übergriffs zu werden.
Dass, wie die bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation in der Beschwerde - unter Verweis auf den World Report 2021 - Israel and Palestine von Human Rights Watch vom 13.01.2021 (AS 291 f) - ausführte, im Gaza-Streifen die Möglichkeit bestünde, zum Tode verurteilt zu werden, wird weder vom BFA noch vom Bundesverwaltungsgericht in Abrede gestellt (vgl. Seite 38, 41 f des angefochtenen Bescheides). Der Beschwerdeführer hat jedoch, wie das Bundesverwaltungsgericht in der vorliegenden Entscheidung eingehend dargelegt hat, einerseits keinen strafbaren Sachverhalt verwirklicht und wird andererseits von der Hamas - auch aus einem sonstigen Grunde - weder bedroht noch verfolgt.
Zur Vollständigkeit bleibt festzuhalten, dass die vorangehend - vom BF zitierten -Länderinformationen jedenfalls bereits als veraltet anzusehen sind und wird insoweit auf die zur Lage im Herkunftsstaat getroffenen Feststellungen verwiesen. Das Bundesverwaltungsgericht trifft die vorliegende Entscheidung daher auf Grundlage wesentlich aktuellerer Informationen.
Auch auf die Schlussfolgerungen, die der Beschwerdeführer im Beschwerdeschriftsatz aus einem US-amerikanischen Internetartikel bezüglich der Situation von Rückkehrern gezogen hat (AS 290), wonach ihm bei einer Rückkehr durch die Hamas Gefahr drohe, zumal ein einziger Hamas-Kleriker ein Rechtsgutachten erstellt habe, dass Auswanderer „den Zorn Gottes“ verdienen würden, ist anzumerken, dass dieses Vorbringen eine bloße unsubstantiierte Mutmaßung darstellt und nach der Rechtsprechung die bloße Vorlage weiterer Länderberichte in der Beschwerde keine substantiierte Bestreitung des von der Behörde angenommenen Sachverhalts darstellt (VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168). Diesbezüglich war auch anzumerken, dass eine solche Gefährdung vom BF selbst nie behauptet wurde. Ferner ist auch nicht näher auf diese in der Beschwerde erwähnte Fatwa einzugehen, weil diese Androhung - bei gesamthafter Betrachtung der zitierten Passage - ohnehin nur für jene emigrierenden Personen gelten solle, die das Land mit der Intention verlassen, nicht mehr in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Wenn aber nun eine Person in den Gaza-Streifen (freiwillig) zurückkehrt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Überlegungen auf sie noch zutreffen würden, zumal sie dann für ihr Heimatland wieder von Wichtigkeit ist.
2.2.5.3. Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 2.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatte, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat nicht geboten. Selbiges gilt im Übrigen für die Frage bezüglich des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers.
Betreffend die aktuelle Position von UNHCR zur Rückkehr von Palästinensern nach Gaza (UNHCR, Position on Returns to Gaza, März 2022), ist festzuhalten, dass die von UNHCR vertretene Position auch in dem aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Eingang fand. Eine „Empfehlung“ von UNHCR, von zwangsweisen Rückführungen nach Gaza abzusehen, mag zwar mit Blick auf die Position von UNHCR verständlich sein, Maßstab für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Abschiebung bilden allerdings die nachfolgend genannten rechtlichen Maßstäbe entlang der hg. Judikatur.
Die von der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts herangezogenen länderkundlichen Informationen/ Medienberichte gaben darüber hinaus das Gesamtbild von insgesamt sehr schwierigen Lebensumständen für die Bevölkerung des Gaza-Streifens insbesondere als Auswirkung des bewaffneten Konflikts zwischen den israelischen Sicherheitskräften und den in Gaza operierenden bewaffneten Organisationen im Jahr 2014, im Frühjahr 2021 und zuletzt im Mai 2023 wieder.
Das Gericht verkennt nicht, dass diese Umstände in Gaza für Zivilpersonen im Einzelfall auch zu einer Bedrohung für die Befriedigung ihrer grundlegenden Bedürfnisse geraten können, etwa weil sie einer besonders verwundbaren sozialen Gruppe angehören oder einer notwendigen, jedoch nicht hinreichend gesicherten medizinischen Versorgung bedürfen.
Im gg. Fall war jedoch festzustellen, dass der BF vor der Ausreise aus seiner Herkunftsregion offenkundig keiner Bedrohung seiner Existenzgrundlage, insbesondere auch im Gefolge der Ereignisse im Jahr 2014 im Gaza-Streifen, ausgesetzt war.
Aus diesen Feststellungen war in der Zusammenschau damit, dass der BF selbst angesichts seiner Arbeitsfähigkeit und mangels gravierender gesundheitlicher Einschränkungen keiner besonders verwundbaren sozialen Gruppe angehört, zu folgern, dass er bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in keine Existenz bedrohende Lage geraten würde, zumal er aufgrund seiner Tätigkeit im Staatsdienst als Polizist bereits seit 2017 eine Pension bezieht und ausweislich der Feststellungen UNRWA über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gaza-Streifen beschäftigt und registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe bietet. Unter anderem bot UNRWA 2022 in Gaza auch Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten an. UNRWA kündigte zudem Hilfen für schätzungsweise 10.000 bedürftige Familien an, deren Häuser beschädigt wurden. Nach Angaben einer Gruppe, die Hilfsorganisationen koordiniert, welche im Gazastreifen mit dem Bau von Unterkünften befasst sind, wurden bis Mai 2022 bereits mehr als 44.000 der beschädigten Häuser repariert. Ausgehend von den zu Aktivitäten der UNRWA getroffenen Feststellungen ist daher auch aus diesem Grunde festzuhalten, dass der BF vor Ort als registrierter palästinensischer Flüchtling den Beistand der UNRWA erneut in Anspruch nehmen könnte.
Darüber hinaus ist noch auf die länderkundlichen Informationen zu Fragen der Einreisemodalitäten in den Gaza-Streifen ausgehend von den Nachbarstaaten Israel bzw. Ägypten einzugehen. Diesen lässt sich insgesamt entnehmen, dass eine solche Einreise Einschränkungen und Auflagen der betreffenden Behörden bzw. Organe unterliegt, jedoch nicht als unmöglich anzusehen ist. Den von der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts herangezogenen länderkundlichen Informationen folgend stellt ein gültiges Reisedokument die grundlegende Voraussetzung für eine allfällige Einreise nach Palästina konkret über den ägyptischen Grenzübergang Rafah, die sich im Lichte dieser Informationen als eher praktikabel darstellt als jene über den israelischen in Erez, dar (vgl. https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/palaestina/ [22.05.2023]). Ob es im gg. Fall darüber hinaus zum jeweiligen fraglichen Zeitpunkt auch faktisch möglich ist, diesen Grenzübergang für eine Einreise zu benützen, ist offenbar von der jeweils aktuellen Lage vor Ort abhängig. Der Beschwerdeführer verließ den Gaza-Streifen etwa im Oktober 2019 und brachte keine Probleme hinsichtlich der Ausreise vor. Seine später getätigte Äußerung, er habe einem Grenzbeamten Bestechungsgeld iHv $ 4.000,-- gezahlt (AS 295), stellte sich im Lichte der obigen Erwägungen zum ausreisekausalen Vorbringen als unglaubwürdig dar. Probleme hinsichtlich der Wiedereinreise wurden vom BF ebenso wenig glaubhaft thematisiert, zumal dessen Vorbringen bezüglich einer Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas als nicht glaubhaft qualifiziert wurde.
2.2.5.4. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde beziehungsweise das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, sich aufgrund aktuellen Berichtsmaterials ein Bild über die Lage in den Herkunftsstaaten der Asylwerber zu verschaffen (vgl. VwGH 30.10.2020, Ra 2020/19/0298). In Ländern mit besonders hoher Berichtsdichte, wozu die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen zweifelsfrei zu zählen sind, liegt es in der Natur der Sache, dass die Behörde nicht sämtliches existierendes Quellenmaterial verwenden kann, da dies ins Uferlose ausarten würde und den Fortgang der Verfahren zum Erliegen bringen würde. Vielmehr wird den oa. Anforderungen schon dann entsprochen, wenn es einen repräsentativen Querschnitt des vorhandenen Quellenmaterials zur Entscheidungsfindung heranzieht (vgl. VwGH 11.11.2008, 2007/19/0279). Die der Entscheidung zu Grunde gelegten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers können somit zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben, jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann. Die vom Bundesverwaltungsgericht getroffene Auswahl des Quellenmaterials ist aus diesem Grunde daher ebenso wenig zu beanstanden.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Liegt einer der in Abs. 1 genannten Ausschlussgründe vor, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Abs. 2 ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 AsylG gilt.
Gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention findet dieses Abkommen keine Anwendung auf Personen, die zurzeit den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genießen. Ist dieser Schutz oder diese Unterstützung aus irgendeinem Grunde weggefallen, ohne dass das Schicksal dieser Person endgültig gemäß den hierauf bezüglichen Entschließungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geregelt worden ist, so fallen diese Personen ipso facto unter die Bestimmungen dieses Abkommens.
Nach Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.
3.1.2. Zu § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0273, unter Hinweis auf die Rsp des EuGH (vgl. die E des EuGH vom 19.12.2012, El Kott, C-364/11) zu Art. 12 Abs. 1 lit. a der Statusrichtlinie, festgehalten, dass mit Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL verweist, in Anbetracht der besonderen Situation der palästinensischen Flüchtlinge, für diese gezielt eine privilegierte Rechtsstellung geschaffen wurde. Asylwerber, welche unter dem Schutz einer von Art. 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation oder Institution stehen, sind im Gegensatz zu anderen Asylwerbern gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, genießen jedoch bei Wegfall ebendieses Schutzes oder Beistands "aus irgendeinem Grund" "ipso facto" den Schutz der Status-RL (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 80). Dabei bezieht sich die Wendung "genießt (...) den Schutz dieser Richtlinie" in Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz der Status-RL als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft und nicht auf die Eigenschaft eines subsidiär Schutzberechtigten (EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 66 ff); eine Verfolgung im Sinne des Art. 2 lit. c Status-RL muss in diesem Fall gerade nicht dargetan werden. Voraussetzungen für den ipso-facto Schutz sind lediglich die Stellung eines Asylantrags sowie die Prüfung durch die Asylbehörden, ob der Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen wurde, dieser nicht länger gewährt wird und keiner der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL vorliegt.
Für die erforderliche Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz von UNRWA im Sinne der Status-RL bzw. des Art. 1 Abschnitt D GFK tatsächlich nicht länger gewährt wird, haben die nationalen Behörden und Gerichte zu prüfen, ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebietes zwingen und somit daran hindern den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen (vgl. VwGH, 01.03.2018, Ra 2017/19/0273 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 61; siehe auch VfGH 29.06.2013, U 706/2012).
Ein Zwang, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, und somit ein Wegfall des Schutzes von UNRWA, hängt nicht vom Vorliegen individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A GFK ab, sondern ist vielmehr auch gegeben, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es von UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf EuGH 19.12.2012, El Kott, C-364/11, Rn. 63, 65).
Beispielsweise steht die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz an den Fremden und damit die Bejahung der Voraussetzungen zur Zuerkennung dieses Schutzstatus durch das BFA der Annahme, der Fremde könne weiterhin den Schutz durch UNRWA genießen, entgegen (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274 mit Hinweis auf VfGH 22.09.2017, E 1965/2017), was im gegenständlichen Fall allerdings ohnehin nicht erfolgt ist.
Jüngst hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 13. Jänner 2021 in der Rechtssache C-507/19, Bundesrepublik Deutschland gegen XT, ECLI:EU:C:2021:3, eingehend mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU und der unionsrechtlichen Situation eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft, der das Einsatzgebiet des UNRWA verlassen hat, auseinandergesetzt.
Dabei hat der EuGH grundsätzlich (Rn. 49f) festgehalten:
„Wegen dieses in den genannten Gebieten des Nahen Ostens eingeführten speziellen Flüchtlingsstatus für Palästinenser ist es nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95 , der Art. 1 Abschnitt D Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, für die beim UNRWA registrierten Personen grundsätzlich ausgeschlossen, in der Union als Flüchtling anerkannt zu werden ... . Allerdings folgt aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 , der Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht, dass dieser Ausschluss nicht mehr greift, wenn das UNRWA der Person, die internationalen Schutz in der Union beantragt, keinen Schutz oder Beistand mehr gewährt.“ (vgl. dazu jüngst VwGH Ra 2021/01/0011-5 vom 15. Februar 2021)
Ferner hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) jüngst im Urteil vom 03.03.2022 in der Rs C-349/20, NB, zu einem Vorabentscheidungsersuchen des Vereinigten Königreichs, betreffend die Anerkennung von Palästinaflüchtlingen (Voraussetzungen, um ipso facto den Schutz der Richtlinie 2004/83/EG zu genießen – Wegfall des Schutzes oder Beistands des UNRWA), auseinandergesetzt.
Der Urteilstenor lautet:
„1. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass bei der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nicht länger gewährt wird, so dass eine Person ipso facto die „Anerkennung als Flüchtling“ im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, im Rahmen einer individuellen Beurteilung die relevanten Umstände nicht nur zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Person das UNRWA-Einsatzgebiet verlassen hat, sondern auch zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen sind, zu dem die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen oder die zuständigen Gerichte über den Rechtsbehelf gegen eine die Anerkennung als Flüchtling versagende Entscheidung entscheiden.
2. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 ist im Fall einer Person, die nachweist, dass sie gezwungen war, das Einsatzgebiet des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) aus von ihr nicht zu kontrollierenden und von ihrem Willen unabhängigen Gründen zu verlassen, im Rahmen der Prüfung zum Zweck der Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, so dass diese Person ipso facto die „Anerkennung als Flüchtling“ im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, dem Mitgliedstaat, falls er der Ansicht ist, dass diese Person nunmehr in der Lage sei, in dieses Gebiet zurückzukehren und dort diesen Schutz oder Beistand in Anspruch zu nehmen, der Nachweis dafür obliegt, dass dies der Fall ist.
3. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) im Sinne dieser 3 von 5 Bestimmung nicht länger gewährt wird, so dass eine internationalen Schutz beantragende Person gezwungen war, das UNRWA-Einsatzgebiet zu verlassen, nicht nachgewiesen werden muss, dass das UNRWA oder der Staat, in dem es tätig ist, die Absicht hatte, dieser Person durch Tun oder Unterlassen Schaden zuzufügen oder ihr den Beistand zu entziehen. Für die Zwecke dieser Bestimmung genügt der Nachweis, dass der Beistand oder Schutz des UNRWA tatsächlich aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, so dass das UNRWA aus objektiven oder mit der persönlichen Situation dieser Person zusammenhängenden Gründen nicht länger in der Lage ist, ihr die Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit seiner Aufgabe im Einklang stehen.
4. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt D des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist dahin auszulegen, dass im Rahmen der Beurteilung der für die Prüfung erforderlichen Voraussetzungen, ob der Schutz oder Beistand des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nicht länger gewährt wird, so dass eine Person ipso facto die „Anerkennung als Flüchtling“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie 2004/83 beanspruchen kann, der Beistand zu berücksichtigen ist, der dieser Person von Akteuren der Zivilgesellschaft, wie etwa Nichtregierungsorganisationen, gewährt wird, sofern das UNRWA mit ihnen eine dauerhafte formelle Kooperationsbeziehung unterhält, in deren Rahmen es von ihnen bei der Erfüllung seines Mandats unterstützt wird.“
3.1.3. Das Bundesverwaltungsgericht traf die Feststellung, dass der BF als palästinensischer Flüchtling bei der UNRWA registriert ist, diese Organisation nach wie vor im Gaza-Streifen tätig ist und nicht festgestellt werden konnte, dass der Schutz durch die UNRWA weggefallen ist. Aus diesen Feststellungen, insbesondere oben zur Person des Beschwerdeführers, war für das gegenständliche Verfahren abzuleiten, dass ihm im Falle einer Rückkehr in die Herkunftsregion angesichts der Registrierung bei der UNRWA im Gaza-Streifen als staatenloser palästinensischer Flüchtling - in Übereinstimmung mit den länderkundlichen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts oben zur allgemeinen Lage im Gaza-Streifen - (neuerlich) bei Bedarf der Beistand dieser Organisation zukommt. Dies ungeachtet dessen, in welchem Umfang er bisher schon der konkreten Inanspruchnahme dieser Leistungen der UNRWA bedurfte oder dessen Angehörige bis dato über ausreichende eigene Existenzgrundlagen verfügten bzw. weiterhin verfügen.
Damit steht für die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts fest, dass auch der BF grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Status-RL fällt.
Im Sinne des og. Judikats ist er daher a priori in Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, es sei denn, es wäre darüber hinaus gehend festzustellen, dass im gg. Fall dieser Schutz „aus irgendeinem Grund nicht oder nicht länger gewährt wird", was wiederum zur Folge hätte, dass ihm „ipso facto" der Flüchtlingsstatus zukommen würde.
3.1.4. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu ausgesprochen, dass die nationalen Behörden für "die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung [...] tatsächlich nicht länger gewährt wird, [ ] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets [zwangen] und somit daran [hinderten], den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012, C-364/11, El Kott u. a., Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art 12 Abs 1 lit a zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen (EuGH, El Kott, Rz 65; vgl auch EuGH 25.7.2018, Rs. C-585/16, Alheto, Rz 86). Bei dieser Beurteilung ist nach der weiteren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auch festzustellen, ob der Betroffene derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat (EuGH 03.03.2022, Rs. C-349/20, NB und AB, Rz 57). Zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts alle Operationsgebiete des Einsatzgebiets des UNRWA zu berücksichtigen, in deren Gebiete ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH 13.01.2021, Rs. C-507/19, Bundesrepublik Deutschland, Rz 67).
Der Verfassungsgerichtshof entschied mit Erkenntnis vom 14. Juni 2022, E 761/2022-16, in Zusammenhang mit den im Vorabsatz getroffenen Ausführungen, dass UNHCR, dessen Einschätzungen maßgebliches Gewicht zukommt (vgl. VfGH 24.09.2018, E 761/2018 ua. mwN), im Februar 2015 eine mit UNRWA koordinierte Position veröffentlichte, in der die Staaten ersucht werden, von einer Rückverbringung palästinensischer Flüchtlinge nach Gaza abzusehen, bis sich die Lebensbedingungen und die humanitäre Situation spürbar und erheblich bessern, wobei dies auch bei der Prüfung von Anträgen nach Art. 1 Abschnitt D GFK gebührend zu berücksichtigten sei. Die militärischen Eskalationen in Gaza im Sommer 2014 hätten enorme Zerstörungen hinterlassen. Der Abschiebestopp diene als Minimumstandard und müsse aufrecht bleiben, "until such time as the situation in Gaza has improved sufficiently" (UNHCR, Position on Deportations to Gaza, Februar 2015, 2). UNHCR verwies auch 2018 nochmals auf sein Ersuchen um eine "non-removal policy" aus dem Jahr 2015 (siehe UNHCR, Country of Origin Information on the Situation in the Gaza Strip, Including on Restrictions on Exit and Return, Februar 2018). Ferner sei in der jüngsten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21. Mai 2021 weiterhin keine Verbesserung der Lage zu erkennen. Im Gegenteil werde von einer zunehmenden Verschlechterung, insbesondere seit dem Gaza-Krieg im Mai 2021, berichtet: "Die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas eskalierten im Mai 2021 zu der schwersten Auseinandersetzung seit dem Gaza-Krieg 2014. […] In den seit Jahren intensivsten Luftangriffen wurden bisher mindestens 188 Menschen im Gazastreifen und zehn in Israel getötet. […] Israel führte Hunderte von Luft- und mehrere Bodenangriffe im Gazastreifen durch, jedoch drangen die IDF-Truppen im Rahmen einer Bodenoffensive in den Gazastreifen nicht ein. […] Im Gazastreifen wird die Lage für die Zivilbevölkerung immer dramatischer. Hilfsgüter werden knapp – und COVID-19 beeinflusst die Lage ebenso. Wie schon bei den vorangegangenen gewalttätigen Auseinandersetzungen des Konflikts zwischen Israel und Palästina hat sich auch zum Berichtszeitpunkt die Situation für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen erneut verschlechtert. Bereits jetzt haben laut UN-Angaben rund 10.000 Menschen aus Furcht vor einer bevorstehenden israelischen Bodenoffensive ihre Wohnungen verlassen. […] Die Angriffe erschweren auch die Arbeit für Hilfsorganisationen, auf die große Teile der Zivilbevölkerung im Gazastreifen angewiesen sind."
Folglich war das Vorbringen des Beschwerdeführers - auch unter Berücksichtigung der Position des UNHCR und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - hinsichtlich des Vorliegens solcher „nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen“ Gründe zu prüfen, wobei im Falle des Nichtzutreffens die durch Art. 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 der Status-RL vorgenommene Privilegierung im Hinblick auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus „ipso facto" nicht zum Tragen käme.
3.1.5. Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des erkennenden Gerichtes diese Voraussetzungen in Form der Feststellung von „nicht vom Beschwerdeführer zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen" nicht gegeben.
An dieser Stelle ist eine Auseinandersetzung mit der Position von UNHCR on Deportations to Gaza vom Februar erforderlich, zumal Empfehlungen internationaler Organisationen nach der Rechtsprechung Indizwirkung zukommt (VwGH 06.07.2011, Zl. 2008/19/0994). Diese Indizwirkung bedeutet jedoch nicht, dass das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen, etwa des UNHCR, Asyl zu gewähren hat. Vielmehr ist, wenn in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Einschätzung des UNHCR nicht gefolgt wird, (beweis)würdigend darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte von einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat ausgegangen wird (VwGH 13.12.2010, Zl. 2008/23/0976; 06.02.2017, Ra 2017/20/0016, zur Lage im Irak).
Der Beschwerdeführer hatte zur Begründung seines Schutzbegehrens - in der Einvernahme vor dem BFA, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung - behauptet, er sei zum Verlassen seiner Herkunftsregion und somit des Schutzbereiches der UNRWA gezwungen gewesen, weil er dort aus von ihm behaupteten Gründen durch Dritte, konkret der Hamas und ihrer Organe, mit gravierenden Eingriffen in seine Rechtssphäre, die seinen weiteren Aufenthalt unmöglich gemacht hätten, betroffen und pro futuro bedroht gewesen sei. Aus vom BVwG in der Beweiswürdigung näher dargestellten Gründen war diesem Vorbringen jedoch mangels glaubhafter Angaben dazu nicht zu folgen und damit schon diesbezüglich das Vorliegen von „nicht (vom Beschwerdeführer) zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen" nicht festzustellen.
Die erkennende Richterin verkennt nicht, dass sich die allgemeine Lage in der Herkunftsregion der BF insbesondere einerseits seit den bewaffneten Konflikten im Jahr 2014, im Frühjahr 2021 und zuletzt kurz bis 13. Mai 2023 sowie der dadurch bewirkten Zerstörung der Infrastruktur bzw. des dadurch ausgelösten Niedergangs des Wirtschaftslebens und andererseits aufgrund der Corona-Pandemie für Mitglieder der dortigen Zivilbevölkerung als sehr schwierig darstellen kann bis dahin, dass sie in einem Zustand dauerhafter Armut zu leben haben. Dass die Ehegattin und die Kinder des BF weiterhin vor Ort in der Mietwohnung der Familie verblieben, war jedoch als wesentliches Indiz dafür zu werten war, dass er nicht gezwungen war, den Gaza-Streifen aus solchen Gründen zu verlassen und ist somit auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen völlig allein und ohne jede soziale Unterstützung wäre. Es sind zudem keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener nicht selbst in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte. Er ist in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen aufgewachsen, hat dort die überwiegende Zeit seines Lebens bis zum Alter von 55 Jahren verbracht, hat dort mehrere Jahre die Schule besucht, wurde dort sozialisiert, ging einer beruflichen Tätigkeit als Polizist nach und es kam nicht hervor, dass er in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte mehr hat. Da eine Wohnmöglichkeit bei nahen Angehörigen besteht, ist insoweit jedenfalls von einer Deckung der Grundbedürfnisse auszugehen, zumal der BF ohnehin seit 2017 eine Pension in der Höhe von ca. Schekel 4.073,00 (umgerechnet etwa € 1.032,24) bezieht, die auch aktuell von dessen Ehegattin zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts herangezogen wird. Auch aus den vom BVwG getroffenen Feststellungen zur aktuellen allgemeinen Lage im Gaza-Streifen ergaben sich keine stichhaltigen Hinweise darauf, dass er gezwungen war, den Gaza-Streifen aus den vorangehend dargestellten Gründen zu verlassen. So ist betreffend die Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen mit Blick auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers ausweislich der Länderfeststellungen im gegenständlichen Erkenntnis festzuhalten, dass die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt ist. Die Sicherheitslage im Gaza-Streifen hat sich in den vergangenen Jahren zwar verschlechtert und erweist sich als volatil. Es herrscht aktuell im Gaza-Streifen jedoch kein landesweiter bewaffneter Konflikt zwischen den genannten Konfliktparteien, der für die Bewohner insgesamt einen Aufenthalt unzumutbar machen würde. Zwar kommt es gelegentlich zu bewaffneten Konflikten zwischen militanten palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften, die mitunter auch mit zivilen Opfern in geringer Zahl einhergehen. Auch angesichts dessen sowie einer teils schwierigen allgemeinen Versorgungslage stellt sich die Lage im Gaza-Streifen jedoch nicht dergestalt dar, dass jeder dort Lebende etwa mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, zumal laut den aktuellen Medienberichten nach der letztmaligen Eskalation der Lage zwischen Israel und dem Gaza-Streifen im Mai 2023 nunmehr seit 13.05.2023 eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe herrscht (https://orf.at/stories/3316611/ [22.05.2023] und https://www.puls24.at/news/politik/waffenruhe-im-gaza-konflikt-haelt-vorerst/297273 [22.05.2023]).
Zwar ist den herangezogenen länderkundlichen Informationen auch zu entnehmen, dass eine Einreise von staatenlosen Palästinensern in den Gaza-Streifen Beschränkungen bzw. Auflagen durch die Behörden unterliegt. So überwachen sowohl Israel als auch Ägypten die Grenzgebiete streng und setzte die Hamas im Gaza-Streifen gelegentlich Bewegungsbeschränkungen für Palästinenser durch, die versuchten, den Gaza-Streifen über die Grenzübergänge Erez nach Israel und Rafah nach Ägypten zu verlassen. Palästinenser, die nach Gaza zurückkehren, werden zudem regelmäßig von der Hamas über ihre Aktivitäten in Israel, im Westjordanland und im Ausland verhört. Es zeigt sich hiermit jedoch auch, dass eine Einreise für den BF grundsätzlich möglich ist, nicht zuletzt da dieser zum einen bei UNRWA registriert ist und zum anderen über ein palästinensisches Reisedokument verfügt.
Anderweitige außerhalb des Einflussbereiches des BF liegende Gründe für die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des Beistands der UNRWA wurden weder substantiiert behauptet noch waren sie von Amts wegen festzustellen, zumal auch die länderkundlichen Informationen zur Herkunftsregion des BF nicht aufzeigten, dass eine Ausreise dorthin grundsätzlich unmöglich wäre oder die UNRWA ihre Aufgaben im Gaza-Streifen wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht mehr (ausreichend) wahrnehmen kann oder aus sonstigen Gründen nicht (mehr) vor Ort agieren würde und dort ihre Aktivitäten eingestellt hätte. Im Übrigen brachte der BF in der mündlichen Verhandlung letztlich selbst zum Ausdruck, dass er bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen der UNRWA-Vertretung im Gaza-Streifen etwa in Form von Lebensmittelrationen/-gutscheinen erhalten würde, zumal seine Familie auch aktuell Unterstützung seitens der UNRWA in Anspruch nimmt. Tatsächlich bietet UNRWA nach wie vor Unterstützung an und beschäftigt UNRWA ausweislich der Feststellungen über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gaza-Streifen und bietet registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe. Unter anderem bot UNRWA 2022 in Gaza auch Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten an. UNRWA kündigte zudem Hilfen für schätzungsweise 10.000 bedürftige Familien an, deren Häuser beschädigt wurden. Nach Angaben einer Gruppe, die Hilfsorganisationen koordiniert, welche im Gazastreifen mit dem Bau von Unterkünften befasst sind, wurden bis Mai 2022 mehr als 44.000 der beschädigten Häuser repariert. Insoweit wurde die Versorgung durch UNRWA in jüngster Zeit sogar wieder intensiviert.
Abschließend ist in diesem Zusammenhang bezüglich des UNRWA-Schutzes noch auf nachfolgend angeführte Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 03.05.2023, Ra 2022/19/0226-14, vom 30.05.2022, Ra 2021/20/0484-11, vom 26.05.2020, Ra 2019/20/0468-10, und vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0075-14 zu verweisen, in welchen dieser die Revisionen von Staatenlosen aus den palästinensischen Autonomiebieten zurückgewiesen hat (Themen: UNWRA-Registrierung, Glaubwürdigkeit, Wiedereinreisemöglichkeiten). Vgl. jüngst auch VwGH vom 21.09.2022, Ra 2021/19/0212-12, betreffend einen staatenlosen Palästinenser aus dem Westjordanland, welcher in Jordanien bei UNRWA registriert ist sowie insbesondere auch
VwGH vom 31. März 2023, Ra 2023/18/0024-12 betreffend einen staatenlosen Palästinenser welcher ebenso bei UNRWA in Jordanien als Flüchling registiert ist.
Folgerichtig war festzustellen, dass der Beschwerdeführer somit bei einer Ausreise in die Herkunftsregion den Beistand der UNRWA (wieder) in Anspruch nehmen kann und er damit auch nicht den privilegierten Schutz von Art. 1 Abschnitt D GFK bzw. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Status-RL genießt.
3.1.6. Vor diesem Hintergrund war die Beschwerde sohin zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen, wobei im Hinblick auf die Subsumierung des gegenständlichen Sachverhalts unter eine unrichtige Norm durch das BFA mit einer Maßgabeentscheidung vorzugehen war.
3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die palästinensischen Autonomiegebiete/ Gaza-Streifen
3.2.1. Im Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 19.12.2012, C-364/11 (Mostafa Abed El Karem El Kott u.a.), wurde u.a. klargestellt, dass die sogen. Status- oder Qualifikations-Richtlinie 2004/83 - im Gegensatz zur Genfer Konvention, die nur die Flüchtlingseigenschaft regelt - zwei unterschiedliche Schutzregelungen vorsieht, nämlich zum einen die Flüchtlingseigenschaft und zum anderen den durch den subsidiären Schutz gewährten Status. Daher sei die Wendung „genießt … den Schutz dieser Richtlinie“ in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2004/83 als Verweis allein auf die Flüchtlingseigenschaft aufzufassen, da sonst dieser Unterschied zwischen dem durch die Genfer Konvention und dem durch diese Richtlinie gewährten Schutz verkannt würde; diese Bestimmung geht nämlich auf Art. 1 Abschnitt D der Genfer Konvention zurück, in deren Licht diese Richtlinie auszulegen ist. Jedenfalls schließt Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 dadurch, dass er sich allein auf die Flüchtlingseigenschaft bezieht, niemanden vom subsidiären Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie aus, und deren Art. 17, der die Gründe für den Ausschluss vom subsidiären Schutz aufführt, nimmt in keiner Weise auf die Gewährung des Schutzes oder Beistands einer Organisation wie der UNRWA Bezug (Rn 66 – 68). Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass vom europäischen Gesetzgeber eine Vermengung der einzelnen Schutzformen (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutzstatus) beabsichtigt war und sind daher Gründe für die Gewährung subsidiären Schutzes gesondert zu prüfen. Bei einer Interpretation des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83 in dem Sinne, dass eine Situation, die die Gewährung von subsidiären Schutz erfordert, auch „als irgendein Grund“ im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren wäre, würde dies im Übrigen im Ergebnis dazu führen, dass es zu einer Asylgewährung aus Gründen kommt, die aber in Wahrheit lediglich die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen.
Durch die Neufassung der Richtlinie 2004/83 in Form der Richtlinie 2011/95/EU v. 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz …, welche an die Stelle der Richtlinie aus 2004 trat, ergab sich diesbezüglich keine Änderung in der Rechtslage.
3.2.2. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z1), wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine "reale Gefahr" einer Verletzung von Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 (Abschaffung der Todesstrafe) zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung nach § 7 zu verbinden (Abs 2 leg cit). Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (Abs 3 leg cit).
Gemäß § 6 Abs. 2 2. Satz AsylG ist der § 8 AsylG auch auf jene Fälle anzuwenden, in denen es zur Abweisung des Asylbegehrens wegen des Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 1 AsylG gekommen ist.
Somit ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle ihrer Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffsschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06).
Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Angesichts des im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 2005 – abgesehen vom im letzten Halbsatz des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes – lässt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum § 8 AsylG 1997 in nachstehend dargestellter Weise auch auf die neue Rechtslage anwenden.
Danach erfordert die Feststellung einer Gefahrenlage auch iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl. für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
3.2.3. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer existentiellen Gefährdung noch einer sonstigen Bedrohung ausgesetzt sein könnte, sodass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr ist nicht ersichtlich, auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte.
Dass der BF im Fall der Rückkehr in seine Herkunftsregion Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein würde, konnte aus oben dargestellten Gründen nicht festgestellt werden.
Nach der Rechtsprechung können auch lebensbedrohende Ereignisse wie etwa das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung dieser Frage unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Außergewöhnliche Umstände liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VwGH 11.11.2015, Ra 2015/20/0196, mwN).
Der Beschwerdeführer hat weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.
Es kamen keine gravierenden Erkrankungen des BF hervor, die für ihn mit dem realen Risiko verbunden wären, wegen des Fehlens angemessener Behandlung in seiner Heimat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt.
Laut eigenen Ausführungen ist der BF - abgesehen von in der Vergangenheit aufgetretenen und medikamentös behandelten Rückenschmerzen - aktuell gesund und weder in ärztlicher Behandlung noch Therapie. Aktuelle medizinische Unterlagen bezüglich einer gesundheitlichen Beeinträchtigung wurden auch nicht nachgereicht.
Insoweit ist davon auszugehen, dass der BF keiner akuten Behandlungsbedürftigkeit in Österreich unterliegt und insoweit auch keine schwere, lebensbedrohende Erkrankung gegeben ist. Würde beim Beschwerdeführer nämlich tatsächlich in Österreich eine dringende Behandlungsbedürftigkeit bestehen, so könnte wohl davon ausgegangen werden, dass er dies im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt bzw. entsprechende ärztliche Befundberichte in Vorlage gebracht hätte.
Das BVwG verkennt nicht, dass sich - den Feststellungen des BVwG zugrunde gelegten länderkundlichen Informationen zufolge - die allgemeine Lage in der Herkunftsregion des BF, insbesondere seit den bewaffneten Konflikten im Jahr 2014 und im Frühjahr 2021 sowie zuletzt im Mai 2023, wobei bereits am 13. Mai 2023 erneut eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe in Kraft trat (https://orf.at/stories/3316611/ [22.05.2023] und https://www.puls24.at/news/politik/waffenruhe-im-gaza-konflikt-haelt-vorerst/297273 [22.05.2023]) -, aufgrund der dadurch bewirkten Zerstörung der Infrastruktur bzw. des dadurch ausgelösten Niedergangs des Wirtschaftslebens und aufgrund der Corona-Pandemie für Mitglieder der dortigen Zivilbevölkerung als sehr schwierig darstellen kann bis dahin, dass sie in einem Zustand dauerhafter Armut zu leben haben. Die Lage in der Heimat des BF ist die dortigen Lebensbedingungen betreffend für viele Bewohner schwierig angesichts von Stromausfällen, hoher Arbeitslosigkeit und Armut, schlechter Wasserversorgung und Überbelegung. Ein zunehmender Anteil der Bewohner ist auf die Unterstützung der UNRWA in Form von Lebensmitteln und Bargeldzahlungen angewiesen.
Beim BF handelt es sich jedoch um einen arbeitsfähigen und - abgesehen von in der Vergangenheit aufgetretenen und medikamentös behandelten Rückenschmerzen - gesunden Mann, bei dem die Teilnahme am Erwerbsleben im Hinblick auf diese individuellen Eigenschaften erwartet werden kann, mag er auch ohnehin bereits seit dem Jahr 2017 eine Pension in der Höhe von ca. Schekel 4.073,00 (umgerechnet etwa € 1.032,24) beziehen und damit seinen Lebensunterhalt sichern können. Es ist unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation (im Wesentlichen gesunder Mann mit Sprachkenntnissen in Arabisch und einer mehrjährigen Schulausbildung sowie Berufserfahrung als Polizist) jedenfalls nicht ersichtlich, warum dem Beschwerdeführer eine Existenzsicherung in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen, auch an anderen Orten bzw. in anderen Landesteilen des Gaza-Streifens, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten, nicht möglich und zumutbar sein sollte. Es wäre dem Beschwerdeführer letztlich zumutbar, durch eigene und notfalls wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite, zB. Verwandte, sonstige ihn schon bei der Ausreise unterstützende Personen, Hilfsorganisationen, religiös-karitativ tätige Organisationen - erforderlichenfalls unter Anbietung seiner gegebenen Arbeitskraft als Gegenleistung - jedenfalls auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, beizutragen, um das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können.
Eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK setzt in jedem Fall nach der Rechtsprechung eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174, EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09, zuletzt VwGH 10.03.2021, Ra 2021/19/0060).
Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen der BF bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht beschwerliche Lebenssituation gelangen könnte, war aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffes iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden.
Im Fall des erwachsenen Beschwerdeführers kann bei einer Gesamtschau nicht davon ausgegangen werden, dass er im Fall einer Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung ausgesetzt wäre. Ein Teil seiner Familie (Ehegattin und Kinder) lebt nach wie vor in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen und ist somit ein soziales Netz gegeben, in welches er bei seiner Rückkehr wieder Aufnahme finden wird. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in den palästinensischen Autonomiegebieten/ Gaza-Streifen völlig allein und ohne jede soziale Unterstützung wäre. Es sind zudem keine Gründe ersichtlich, warum er als Erwachsener - neben dem Bezug seiner Pension - nicht selbst in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen einer Erwerbstätigkeit nachgehen können sollte. Er ist in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen aufgewachsen, hat dort die überwiegende Zeit seines Lebens bis zum Alter von 55 Jahren verbracht, wurde dort sozialisiert, ging bis zu seiner Pensionierung einer beruflichen Beschäftigung als Polizist nach und es kam nicht hervor, dass er in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte mehr hat. Seine Ehegattin und seine Kinder leben nach wie vor in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen und ist für seine Versorgung im Falle der Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen gesorgt, zumal die Ehegattin auch aktuell ihren Lebensunterhalt mithilfe der Pension des BF bestreitet. Eine nachvollziehbare Erklärung, weshalb seinen Familienangehörigen eine Unterstützung bei einer Rückkehr nicht möglich sein sollte, erbrachte der BF weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung, zumal seine Ehegattin und seine Kinder nach wie vor problemlos im Gaza-Streifen leben, dort über eine eigene Mietwohnung verfügen und vier der Kinder bereits volljährig sind und somit ebenfalls einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Verwandten des Beschwerdeführers selbst in bescheidenen Verhältnissen leben, kann davon ausgegangen werden, dass zumindest eine hinreichende Unterstützung im Wege der Zurverfügungstellung einer noch vom BF vor seiner Ausreise organisierten Unterkunft und von Gütern des täglichen Bedarfs stattfindet. Zu beachten ist weiters, dass von Seiten der in Jordanien aufhältigen Familienangehörigen auch Geldsendungen oder die Übermittlung von Warensendungen (zB. Lebensmittel) in den Gaza-Streifen möglich sind. Befürchtete Schwierigkeiten beim Zugang zu Wasser, Strom und Treibstoff im Rückkehrfall wurden nicht vorgebracht, sodass ungeachtet der in den Feststellungen dokumentierten Schwierigkeiten, den Zugang zu sauberem Trinkwasser für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen, nicht mit dahingehenden Einschränkungen im Rückkehrfall zu rechnen ist.
Vor allem ist die Grundversorgung - insbesondere auch durch internationale oder europäische Unterstützung sowie Hilfsorganisationen - grundsätzlich gewährleistet. Insbesondere ergibt sich aus der UNRWA-Registrierungsbestätigung bezüglich des BF und seiner Familie und den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung, dass der Beschwerdeführer (ebenso wie weitere Familienangehörige) bei der UNRWA registriert ist und er Anspruch auf das Hilfs- und Dienstprogramm der UNRWA in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen hat. Im Lichte dessen kann daher auch davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr im Rahmen von UNWRA Unterstützung zuteil wird (Verhandlungsschrift, Seite 7), zumal ausweislich der Feststellungen UNRWA über 13.000 Mitarbeiter in über 300 Einrichtungen im gesamten Gazastreifen beschäftigt und registrierten palästinensischen Flüchtlingen Bildung, Gesundheits- und psychiatrische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Mikrokredite und Nothilfe bietet. Unter anderem bot UNRWA 2022 in Gaza auch Lebensmittelhilfe und kurzfristige Beschäftigungsmöglichkeiten an. UNRWA kündigte zudem Hilfen für schätzungsweise 10.000 bedürftige Familien an, deren Häuser beschädigt wurden. Nach Angaben einer Gruppe, die Hilfsorganisationen koordiniert, welche im Gazastreifen mit dem Bau von Unterkünften befasst sind, wurden bis Mai 2022 mehr als 44.000 der beschädigten Häuser repariert.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation bzw. die medizinische Versorgung in den palästinensischen Autonomiegebieten schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt ist, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.
Der Beschwerdeführer selbst ist in Anbetracht seines persönlichen Profils keine in diesem Kontext vulnerable Person. Soweit in den Feststellungen zur Lage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen abschnittsweise auf eine prekäre Versorgungssituation hingewiesen wird, kann trotz dieser Unzulänglichkeiten nicht von einer derart schlechten Versorgungssituation gesprochen werden, dass eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen würde. Ungeachtet der prekären Versorgungssituation ist nämlich keine signifikant erhöhte Anzahl von Erkrankungen bzw. Todesfällen infolge Mangelversorgung festzustellen.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt somit nicht vor.
3.2.4. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden.
Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte noch bestünde die Gefahr der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in das Herkunftsgebiet für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Zwar charakterisierte der BF auch die allgemeine Sicherheitslage in seiner Heimat als Hindernis für eine Rückkehr in den Gaza-Streifen. Dieser Annahme konnte unter Zugrundelegung der Feststellungen oben auf der Grundlage der von der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts herangezogenen länderkundlichen Informationen jedoch nicht gefolgt werden.
So ist betreffend die Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen mit Blick auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers ausweislich der Länderfeststellungen im gegenständlichen Erkenntnis festzuhalten, dass die Sicherheitslage in Israel und den palästinensischen Gebieten zwar wesentlich vom israelisch-palästinensischen Konflikt geprägt ist. Die Sicherheitslage im Gaza-Streifen hat sich in den vergangenen Jahren insoweit verschlechtert und erweist sich als volatil. Die allgemeine Sicherheitslage ist durch den wirtschaftlichen Niedergang auch unübersichtlicher geworden. Es kommt etwa zu Demonstrationen und Zusammenstößen an der Sperranlage zwischen Israel und dem Gaza-Streifen. Beispielsweise im April 2022 folgten tausende Bewohner im Norden des Gaza-Streifens Protestaufrufen der Hamas, nachdem die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zu Beginn des heiligen Monats Ramadan im Zentrum tagelanger Gewalt und erhöhter Spannungen gestanden war. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können die Sicherheitslage in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen zudem beeinflussen. Die letzten Jahre sind vor allem geprägt von einem Wechselspiel von Raketenangriffen auf Israel aus dem Gaza-Streifen, dem Bau von Schmuggel- und Angriffstunnels und der immer wieder gelockerten und angezogenen Blockade durch Israel sowie israelischen Militäroffensiven. Im Frühjahr 2021 kam es schließlich in Ost-Jerusalem zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Israelis. Anlass war die geplante Zwangsräumung palästinensischer Häuser zugunsten von Siedlern sowie die Stationierung von Polizeieinheiten auf dem Tempelberg. Die Auseinandersetzungen breiteten sich auf die jüdisch-arabisch gemischten Städte in Israel, die besetzte Westbank und den Gaza-Streifen aus und eskalierten zu einem elftägigen Krieg zwischen der Hamas und Israel. Es war der bislang vierte Krieg in vierzehn Jahren [Anm.: nach 2008-2009, 2012 und 2014]. Am 21. Mai 2021 trat eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe in Kraft. Es kam auch zuletzt mehrfach zu Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen, der zum Teil mit Luftschlägen der israelischen Streitkräfte beantwortet wurde, zuletzt im Mai 2023, wobei am 13. Mai 2023 erneut eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe in Kraft trat (https://orf.at/stories/3316611/ [22.05.2023] und https://www.puls24.at/news/politik/waffenruhe-im-gaza-konflikt-haelt-vorerst/297273 [22.05.2023]).
Insoweit herrscht aktuell im Gaza-Streifen jedoch kein landesweiter bewaffneter Konflikt zwischen den genannten Konfliktparteien, der für die Bewohner insgesamt einen Aufenthalt unzumutbar machen würde.
Zwar kommt es gelegentlich zu bewaffneten Konflikten zwischen militanten palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften, die mitunter auch mit zivilen Opfern in geringer Zahl einhergehen. Auch angesichts dessen sowie einer teils schwierigen allgemeinen Versorgungslage stellt sich die Lage im Gaza-Streifen jedoch nicht dergestalt dar, dass jeder dort Lebende mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, zumal laut den aktuellen Medienberichten nach der letztmaligen Eskalation der Lage zwischen Israel und dem Gaza-Streifen im Mai 2023 nunmehr seit 13.05.2023 eine von Ägypten vermittelte Waffenruhe herrscht (https://orf.at/stories/3316611/ [22.05.2023] und https://www.puls24.at/news/politik/waffenruhe-im-gaza-konflikt-haelt-vorerst/297273 [22.05.2023]).
Wie bereits oben ausgeführt, besteht für den Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall weder von staatlicher noch von privater Seite eine Verfolgungsgefahr aufgrund seines behaupteten Ausreisevorbringens, da die Schilderungen bezüglich einer Bedrohung und/oder Verfolgung durch die Hamas in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Polizist als nicht glaubhaft erachtet wurden. Der Beschwerdeführer hat insbesondere nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachgewiesen, dass ihm aus diesen Gründen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde; vgl. auch die diesbezüglichen Ausführungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I.
Es erscheint daher eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Gaza-Streifen nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers insgesamt auch zumutbar. Für die hier zu erstellende Gefahrenprognose ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus seiner Heimatregion in den Jahren vor seiner Ausreise möglich war, offenbar ohne größere Probleme dort zu leben. Seinem Vorbringen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung ist keine gravierende Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit aus Sicherheitsgründen zu entnehmen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es seine Ehegattin und seine Kinder nicht für erforderlich erachteten die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen dauerhaft zu verlassen. Sie leben nach wie vor dort.
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137-14 zur Frage der Zuerkennung von subsidiärem Schutz, in welchem sich der VwGH mit der Frage einer Rückkehrgefährdung iSd Art. 3 EMRK aufgrund der bloßen allgemeinen Lage (hier: Irak), insbesondere wegen wiederkehrenden Anschlägen und zum anderen einer solchen wegen – kumulativ mit der allgemeinen Lage – zu berücksichtigenden individuellen Faktoren, befasst hat und die Revision gegen das Erkenntnis des BVwG als unbegründet abgewiesen wurde.
Betreffend der aktuellen Position von UNHCR zur Rückkehr von Palästinensern nach Gaza (UNHCR, Position on Returns to Gaza, März 2022), ist festzuhalten, dass die von UNHCR vertretene Position auch in dem aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Eingang fand. Von der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts wird auch nicht übersehen, dass den Einschätzungen von UNHCR maßgebliches Gewicht zukommt (vgl. VfGH 14.06.2022, E 761/2022 mwN). Vor dem Hintergrund der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Gaza spricht sich UNHCR weiterhin gegen eine zwangsweise Rückkehr von Palästinensern nach Gaza aus (UNHCR, Position on Returns to Gaza, März 2022, Rz 69). Die allgemeine Sicherheitslage in Gaza war im Lichte der getroffenen Länderfeststellungen jedoch nicht dergestalt einzuschätzen, dass schon mit der bloßen Anwesenheit für jeden Zurückkehrenden das reale Risiko verbunden wäre, Opfer eines Terroranschlags oder sonstiger gewaltsamer Auseinandersetzungen zu werden. Dies auch in Anbetracht einer in jüngerer Vergangenheit geschehenen neuerlichen Eskalation des Konflikts zwischen palästinensischen Gruppierungen und israelischen Militärkräften, die auch Menschenleben auf palästinensischer und auf israelischer Seite forderte, die allerdings zwischenzeitig wieder verebbte. Insbesondere wurde im jüngsten Konflikt eine bislang anhaltende Waffenruhe der Konfliktparteien erreicht (https://orf.at/stories/3316611/ [22.05.2023] und https://www.puls24.at/news/politik/waffenruhe-im-gaza-konflikt-haelt-vorerst/297273 [22.05.2023]).
3.2.5. Insoweit war auch der Antrag auf subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zur Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§ 57 AsylG sowie § 52 FPG):
3.3.1. Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
3.3.2. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
3.3.2.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit etwa Mai 2021 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.
3.3.3. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
3.3.3.1. Der Beschwerdeführer ist als staatenloser Palästinenser aus den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
3.3.4. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0037; VwGH 09.09.2021, Ra 2020/22/0174; vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0037 mwN; auch Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Nach ständiger Rechtssprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
3.3.4.1. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen in Österreich. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens.
Sohin blieb zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung einen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf ein Privatleben in Österreich darstellt.
3.3.4.2. Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.
In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl Thym, EuGRZ 2006, 541).
Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 10.04.2019 Ra 2019/18/0049, mwN).
Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 sowie VwGH vom 19.03.2021, Ra 2019/19/0123, mwN). Allerdings nimmt das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Es kann jedoch auch nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein auf Grund eines Aufenthaltes von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.02.2019, Ro 2019/01/0003, mwN; dort auch zur Bedeutung einer Lehre iZm Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK).
Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013; vgl zum unsicheren Aufenthaltsstatus auch die Entscheidungen des VwGH vom 27.6.2019, Ra 2019/14/0142, vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0015, vom 06.05.2020, Ra 2020/20/0093 vom 27.02.2020, Ra 2019/01/0471 und zuletzt vgl. VwGH 05.03.2021, Ra 2020/21/0428).
Für den gegenständlichen Fall ergibt sich Folgendes:
Der Beschwerdeführer ist seit etwa Mai 2021 in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und lebt von staatlicher Unterstützung. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers beträgt lediglich zwei Jahre, womit diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweifelsfrei noch zu kurz ist, um bereits jetzt von einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration zu sprechen. In Anbetracht des Umstands, dass der Antrag auf internationalen Schutz unbegründet ist, er versuchte diesen mit einem nicht glaubhaften Sachverhalt zu begründen und der Beschwerdeführer zur Antragstellung illegal in das Bundesgebiet von Österreich eingereist war, sind gravierende öffentliche Interessen festzustellen, die für eine aufenthaltsbeendende Rückkehrentscheidung sprechen. Diese Interessen überwiegen in ihrer Gesamtheit das private Interesse des Beschwerdeführers am weiteren Verbleib, selbst wenn er soziale Kontakte im Bundesgebiet knüpft(e), er in der Vergangenheit in den Unterkünften für Asylwerber ehrenamtlich Reinigungsarbeiten übernahm und für 18 Tage ehrenamtlich in einem Restaurant mithalf und bemüht ist, sich hier zu integrieren und sein zukünftiges Leben hier gestalten will. Private und familiäre Interessen von Fremden am Verbleib im Gastland sind jedenfalls weniger stark zu gewichten, wenn diese während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz begründet werden, da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt nicht von vornherein von einem positiven Ausgang des Verfahrens ausgehen konnte und sein Status bis zum Abschluss des Verfahrens ungewiss ist. Auch nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bewirkt in Fällen, in denen das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst sein mussten, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur unter ganz speziellen bzw. außergewöhnlichen Umständen ("in exceptional circumstances") eine Verletzung von Art. 8 EMRK (vgl. VwGH 26.04.2010, 2007/01/1272 mwN). Der Beschwerdeführer reiste etwa Mitte Mai 2021 in das Bundesgebiet ein und am 16.02.2022 erging im Verfahren des BF der - abweisende - Bescheid des BFA. Der Beschwerdeführer durfte daher gemäß der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz rund neun Monate nach seiner Einreise seinen zukünftigen Aufenthalt nicht mehr als gesichert betrachten und nicht mehr darauf vertrauen, in Zukunft in Österreich verbleiben zu können (vgl. VwGH 29.04.2010, 2010/21/0085; zuletzt VwGH 20.12.2012, 2011/23/0341).
Der Beschwerdeführer befindet sich hier in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine Verwandten in Österreich.
Der BF besitzt einen normalen Freundes- und Bekanntenkreis und geht üblichen Freizeitaktivitäten nach. Unterstützungsschreiben konnte der Beschwerdeführer nicht vorlegen. Es bestehen keine über übliche Bekanntschafts- und Freundschaftsverhältnisse hinausgehende innige Verhältnisse, geschweige denn Abhängigkeitsverhältnisse. Diese Bekanntschaften und Freundschaften sind jedenfalls erst während des unsicheren Aufenthalts entstanden und macht er hiermit keine Umstände geltend, die seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblich verstärken könnten (vgl. etwa das Erkenntnis des VwGH vom 26. November 2009, Zl. 2007/18/0311).
Soweit der BF über private Bindungen in Österreich verfügt, ist darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der BF hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahe stehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch kurzfristige Urlaubsaufenthalte) aufrechtzuerhalten. Der Vollständigkeit halber weist das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass es dem Beschwerdeführer generell freisteht, einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet im Wege der Beantragung eines Aufenthaltstitels und einer anschließenden rechtmäßigen Einreise herbeizuführen, zumal gegen ihn kein Einreiseverbot besteht (vgl. die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs VwGH 22.01.2013, 2012/18/0201, 29.06.2017, Ro 2016/21/0007, 17.03.2016, Ro 2016/21/0007, und insbesondere 30.07.2015, Ra 2014/22/0131, sowie § 11 Abs. 1 Z 3 NAG und die Voraussetzungen für die Erteilung von Visa nach der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex) und nach dem FPG).
Der Beschwerdeführer übt in Österreich keine erlaubte Beschäftigung aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig und lebt seit der Antragstellung von staatlicher Unterstützung. Er konnte keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Hinsichtlich des mehrfach geäußerten Wunsches, einer Beschäftigung im Bundesgebiet nachzugehen (AS 297; Verhandlungsschrift, Seite 15), muss festgehalten werden, dass der Beschwerdeführer hierdurch während seines bisherigen Aufenthalts in Österreich keine ernsthafte Bereitschaft zeigte, sich um legale Arbeit zu bemühen, zumal es ihm auch möglich gewesen wäre, ein Gewerbe anzumelden und als Selbständiger tätig zu werden. Ebenso wäre dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen gestanden, haushaltstypische Leistungen in Privathaushalten (z.B. Gartenarbeit, Hilfe beim Weihnachtsputz) zu übernehmen („Dienstleistungsscheck“).
Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthalts in Österreich keinen Deutschkurs erfolgreich besucht und keine Deutschprüfung absolviert. Der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, stellen allerdings zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar. Da der Beschwerdeführer nach nunmehr etwa zweijährigem Aufenthalt allenfalls nur über geringste Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt und auch keine Kurse oder Prüfungen absolvierte, kann das Bundesverwaltungsgericht nur von einem Desinteresse am Spracherwerb ausgehen, zumal dessen Erklärungsversuche, weshalb er bislang keinen Deutschkurs besucht habe, nämlich weil dies nur als Syrer, nicht als Palästinenser bzw. nur bei Erhalt eines Aufenthaltstitels möglich sei (OZ 18; Verhandlungsschrift, Seite 14), nicht zu überzeugen vermögen, ist der erkennenden Richterin des Bundesverwaltungsgerichts doch aus vergleichbaren Verfahren bekannt, dass natürlich auch Asylwerbern palästinensischer Herkunft der Besuch von Deutschkursen offen steht.
Der BF übernahm zwar in der Vergangenheit in den Unterkünften für Asylwerber ehrenamtlich Reinigungsarbeiten und half für 18 Tage ehrenamtlich in einem Restaurant mit. Aktuell geht er hier keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Arbeit nach und ist kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Unterstützungsschreiben konnte der Beschwerdeführer nicht vorlegen.
Der persönliche und familiäre Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers liegt in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen, wo seine Ehegattin und seine Kinder leben und er somit über ein soziales Netz verfügt, zumal der BF in Bezug auf sein Lebensalter erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig ist und kann auch aufgrund der nicht übermäßig langen Abwesenheit (etwa dreieinhalb Jahre) aus den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine völlige Entwurzelung vom Herkunftsland stattgefunden hat und somit bestehen nach wie vor Bindungen des BF zu den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).
Letztlich ist die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthalts der beschwerdeführenden Partei in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu verneinen, zumal sich der BF im gegenständlichen Verfahren erst seit etwa zwei Jahren in Österreich befindet. Zwischen der Antragstellung durch den Beschwerdeführer und der gegenständlichen Entscheidung durch die belangte Behörde liegen rund neun Monate. Von der Vorlage der Beschwerde bis zur Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vergingen rund 14 Monate. In dieser Zeit führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen wurde.
Auch der Verfassungsgerichtshof erblickte in einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen einen kosovarischen (ehemaligen) Asylwerber keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl dieser im Laufe seines rund achtjährigen Aufenthaltes seine Integration u.a. durch gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Besuch von Volkshochschulkursen in den Fachbereichen Rechnen, Computer, Deutsch, Englisch, Engagement in einem kirchlichen Verein, erfolgreiche Kursbesuche des Ausbildungszentrums des Wiener Roten Kreuzes und ehrenamtliche Mitarbeit beim Österreichischen Roten Kreuz sowie durch die Vorlage einer bedingten Einstellungszusage eines Bauunternehmers unter Beweis stellen konnte (VfGH 22.09.2011, U 1782/11-3, vgl. ähnlich auch VfGH 26.09.2011, U 1796/11-3).
Das Bundesverwaltungsgericht kann aber auch keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr des Beschwerdeführers erkennen: Der Beschwerdeführer beherrscht nach wie vor die Sprache Arabisch, sodass auch seine Resozialisierung und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an keiner Sprachbarriere scheitert und von diesem Gesichtspunkt her möglich ist. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene Beschwerdeführer den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort seine engsten Familienangehörigen (Ehegattin und Kinder) leben. Insoweit kann - auch aufgrund der erst relativ kurzen Abwesenheit (etwa dreieinhalb Jahre) aus den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen - nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre und sich in seiner Heimat überhaupt nicht mehr zurechtfinden würde, zumal der BF vor seiner Ausreise in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen vor seiner Pensionierung auch jahrelang als Polizist tätig gewesen ist. Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in den palästinensischen Autonomiegebieten/Gaza-Streifen - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlands ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; jüngst VwGH 07.07.2021, Ra 2021/18/0167). Zur Resozialisierung im Heimatland hat der Verwaltungsgerichtshof wie folgt festgestellt: Der Verwaltungsgerichtshof hat schon in mehreren (mit dem vorliegenden vergleichbaren) Fällen zum Ausdruck gebracht, die von Fremden geltend gemachten Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern seien vielmehr - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen.
Würde sich darüber hinaus ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrags erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass "eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").
Angesichts der - somit in ihrem Gewicht erheblich geminderten - Gesamtinteressen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.09.2007, B 1150/07).
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt somit, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG wider den Beschwerdeführer keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.
Die belangte Behörde hat in ihrer Entscheidung im Übrigen zutreffend eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 unterlassen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen.
3.3.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.3.5.1. Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die palästinensischen Autonomiegebiete/Gaza-Streifen ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.3.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
3.3.6.1. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Zu B) Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt 2. bis 3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Zu verweisen ist im Zusammenhang mit dem UNRWA-Schutz insbesondere auch auf die Entscheidungen des VwGH vom 03.05.2023, Ra 2022/19/0226-14, vom 30.05.2022, Ra 2021/20/0484-11, vom 26.05.2020, Ra 2019/20/0468-10, und vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0075-14, in welchen dieser die Revisionen von Staatenlosen aus den palästinensischen Autonomiebieten zurückgewiesen hat (Themen: UNWRA-Registrierung, Glaubwürdigkeit, Wiedereinreisemöglichkeiten). Vgl. insbesondere auch VwGH vom 21.09.2022, Ra 2021/19/0212-12 betreffend einen staatenlosen Palästinenser aus dem Westjordanland, welcher in Jordanien bei UNRWA registriert ist sowie VwGH vom 31. März 2023, Ra 2023/18/0024-12 betreffend einen staatenlosen Palästinenser welcher ebenso bei UNRWA in Jordanien als Flüchling registiert ist.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht der erkennenden Richterin auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum UNWRA-Schutz, zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, dem Refoulementschutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben, abgeht.
Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.
Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar. Die fehlenden Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 ergeben sich aus durch den klaren Wortlaut der Bestimmung eindeutig umschriebene Sachverhaltselemente, deren Vorliegen im Fall des Beschwerdeführers nicht einmal behauptet wurde. Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat knüpft an die zitierte Rechtsprechung zu den Spruchpunkten I. und II. des angefochtenen Bescheides an.
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