VwGH Ra 2018/20/0168

VwGHRa 2018/20/016817.5.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Revisionssache des I J A A A in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juli 2017, Zl. L513 2161200- 1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §19 Abs1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200168.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischer Glaubensrichtung, stellte am 31. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung brachte er vor, im Irak herrsche Bürgerkrieg und es gebe dort für den Revisionswerber und seine Familie keine Sicherheit. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Revisionswerber zusammengefasst an, er sei bei einem Checkpoint von schiitischen Milizen aufgehalten, mitgenommen und aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Als der Revisionswerber sich geweigert habe, hätten ihm die Milizen mit einer Waffe auf den Kopf geschlagen. Schließlich hätten ihn die Milizen gehen lassen, ihm jedoch gedroht, dass sie ihn jederzeit wieder finden würden.

2 Mit Bescheid des BFA vom 18. Mai 2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.

3 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 17. Juli 2017 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

4 Der zunächst angerufene Verfassungsgerichtshof behob mit Erkenntnis vom 27. Februar 2018, E 2927/2017-15, das Erkenntnis des BVwG, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, lehnte im Übrigen die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 13. März 2018, E 2927/2017-17, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5 Die vorliegende außerordentliche Revision, die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, begründet ihre Zulässigkeit zusammengefasst damit, das BVwG habe gegen die Verhandlungspflicht verstoßen und eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG richtet, ist sie zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 4.12.2017, Ra 2017/19/0316; 14.11.2017, Ra 2017/20/0266-0270, jeweils mwN).

10 Auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem BVwG verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189, mwN). Das BVwG hat die beweiswürdigenden Überlegungen des BFA in Zusammenhang mit den jeweils unterschiedlichen Vorbringen in Erstbefragung und Einvernahme auf reflektierte Weise seiner eigenen Entscheidung zugrunde gelegt, indem es sich mit dem gesundheitlichen Zustand des Revisionswerbers im Zeitpunkt der Befragungen sowie mit den vom Revisionswerber angegebenen Gründen für die unterschiedliche Schilderung des fluchtauslösenden Ereignisses nachvollziehbar auseinandergesetzt hat. Einer solcherart vorgenommenen Heranziehung unterschiedlicher Vorbringen in Erstbefragung und Einvernahme ist - auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - nicht entgegenzutreten. Es ist - entgegen der Auffassung des Revisionswerbers - auch nicht unvertretbar, in den in der Erstbefragung als Fluchtgrund geäußerten allgemeinen Sicherheitsbedenken wegen des Bürgerkrieges einen anderen Fluchtgrund zu sehen als in dem nachfolgend vorgebrachten, mit einer kurzfristigen Verschleppung einhergehenden Versuch einer Zwangsrekrutierung.

11 Soweit sich die Revision gegen die erstmals vom BVwG herangezogene Beweiswürdigung iZm Art. 4 Abs. 5 lit. d RL 2011/95/EG (Statusrichtlinie) wendet, genügt es darauf hinzuweisen, dass es sich diesbezüglich - entsprechend der ausdrücklichen Klarstellung durch das BVwG - nicht um eine tragende Überlegung, die für die Gesamtbeurteilung ausschlaggebend wäre, handelt, sodass diese Beweiswürdigung mangels Entscheidungsrelevanz nicht weiter zu überprüfen ist.

12 Soweit die Revision einen Verstoß des BVwG gegen die Verhandlungspflicht geltend macht, ist zunächst festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum auch hier maßgeblichen § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt ist, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017-0018).

13 Die Revision vermag mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht aufzuzeigen, dass das BVwG von diesen Leitlinien abgewichen wäre: Die bloße Vorlage weiterer Länderberichte in der Beschwerde stellt für sich ebenso wenig eine substantiierte Bestreitung des von der Verwaltungsbehörde angenommenen Sachverhalts dar wie die in der Beschwerde angestellten Vermutungen über die Gründe der vom BFA ins Kalkül gezogenen Emotionslosigkeit des Revisionswerbers während der Einvernahme. Die beweiswürdigende Berücksichtigung der emotionslosen Erzählweise durch das BFA griff das BVwG im Übrigen - offenbar mangels Relevanz - im hier angefochtenen Erkenntnis auch gar nicht auf.

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 17. Mai 2018

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