Normen
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z5;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210076.M00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste im April 2010 illegal nach Österreich ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 16. Februar 2011 ab und verfügte die Ausweisung des Revisionswerbers nach Pakistan.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 22. Juni 2015, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab, wobei von der mangelnden Glaubwürdigkeit der behaupteten Fluchtgründe, aber auch vom Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in beispielsweise genannten Großstädten (Karachi, Islamabad, Rawalpindi oder Faisalabad) ausgegangen wurde. Im Übrigen verwies das BVwG gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 "das Verfahren" zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.
3 Mit Bescheid vom 28. Juli 2015 sprach das BFA sodann aus, dass dem Revisionswerber Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 und § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werden. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 27. Jänner 2016 als unbegründet ab und es sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (ua.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
7 Diesbezüglich wendet sich die Revision, die den Abspruch betreffend den Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erkennbar unbekämpft lässt, gegen die vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommene - für die Erlassung der Rückkehrentscheidung und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG gleichermaßen entscheidungswesentliche - Interessenabwägung, wobei vor allem deren mangelhafte Begründung und eine unrichtige Gewichtung der maßgeblichen Aspekte geltend gemacht werden. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang die Unterlassung der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Verhandlung gerügt.
8 Dem ist allerdings zu entgegnen, dass das BVwG alle in der Beschwerde zugunsten des Revisionswerbers in Bezug auf seine Integration ins Treffen geführten Aspekte - Aufenthaltsdauer von knapp sechs Jahren, initiative Erlangung legaler Beschäftigungen (vorwiegend als Küchenhelfer) seit 2012 samt Bestehen von Krankenversicherungsschutz sowie damit einhergehend auch Erlangung der Selbsterhaltungsfähigkeit und Unabhängigkeit von Grundversorgungsleistungen, trotz Analphabetismus Erwerb guter Deutschkenntnisse - bei der genannten Interessenabwägung berücksichtigte. Entgegen der Meinung in der Revision durfte das BVwG allerdings bei deren Gewichtung im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG auch maßgeblich relativierend einbeziehen, dass diese - im Übrigen nur das Privat- und nicht das Familienleben des Revisionswerbers in Österreich betreffenden - integrationsbegründenden Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem er sich (spätestens nach Abweisung seines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz durch das Bundesasylamt im Februar 2011) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Daran kann die lange Dauer des diesbezüglichen Rechtsmittelverfahrens, mag den Revisionswerber daran auch kein Verschulden treffen, nichts ändern. Anders als der Revisionswerber meint, hätte eine im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG diesbezüglich den Behörden zurechenbare Verfahrensverzögerung unter Bedachtnahme auf alle sonstigen Umstände des vorliegenden Falles nicht dazu führen können, dem Revisionswerber aus Gründen des Art. 8 EMRK einen dauernden Verbleib in Österreich zuzugestehen.
9 Entgegen der weiteren Ansicht des Revisionswerbers musste das BVwG die nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG zu berücksichtigenden Bindungen zum Heimatstaat nicht nur als "gering" qualifizieren bzw. von einer "Entwurzelung" ausgehen, weil der Revisionswerber dort (unbestritten) nicht nur bis zu seinem 31. Lebensjahr gelebt hat und vollständig sozialisiert wurde, sondern auch weil er in seiner Heimatregion über nahe Angehörige (Mutter, zwei Brüder und eine Schwester samt Familien) verfügt, mit denen er (zum Teil) auch in Kontakt ist. Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter dem genannten Gesichtspunkt überdies der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen kann (vgl. das Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkte 4.1. und 4.2. der Entscheidungsgründe, mwN; siehe darauf Bezug nehmend etwa auch das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119). Ein diesbezügliches Vorbringen hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Demzufolge hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon in mehreren (mit dem vorliegenden vergleichbaren) Fällen zum Ausdruck gebracht, die von Fremden geltend gemachten Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern seien vielmehr - letztlich auch als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. etwa die zu Ausweisungen ergangenen Erkenntnisse vom 22. Jänner 2009, Zl. 2008/21/0654, vom 29. April 2010, Zl. 2010/21/0085, und Zlen. 2010/21/0083, 0084, und vom 27. Mai 2010, Zl. 2008/21/0173). Das trifft auch hier zu, sodass allen in der Revision in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen die Relevanz fehlt. Das Gesagte gilt sinngemäß auch für die - allerdings weder vor dem BFA noch in der Beschwerde angesprochene - im Fall der Überstellung des Revisionswerbers nach Pakistan für "möglich" erachtete "kurz- bis mittelfristige Verschlechterung seines Krankheitsbildes" in Bezug auf die - laut Revision (das dort erwähnte Gutachten befindet sich nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten) - im Februar 2015 diagnostizierte "Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion".
10 Vor diesem Hintergrund erweist sich das Ergebnis der vom BVwG gemäß § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung nicht nur als vertretbar, sondern als zutreffend. Das steht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an sich der Zulässigkeit einer (außerordentlichen) Revision in Bezug auf die Rückkehrentscheidung bzw. in Bezug auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 von vornherein entgegen (vgl. den Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033, und zahlreiche daran anschließende Entscheidungen, aus der letzten Zeit etwa den Beschluss vom 15. März 2016, Ra 2015/21/0180). Da die in der Beschwerde geltend gemachten Umstände entweder vom BVwG seiner Beurteilung ohnehin zugrunde gelegt wurden bzw. sich nicht als entscheidungswesentlich erweisen (siehe die Ausführungen unter Rz 8 und 9), liegt entgegen der Meinung in der Revision mangels klärungsbedürftigen Sachverhalts im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG insofern auch keine Verletzung der Verhandlungspflicht vor.
11 Die in der Revision schließlich noch vertretene Meinung, das (behauptete) Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 56 AsylG 2005 sei bei der Abwägung nach § 9 BFA-VG zu berücksichtigen, entbehrt nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern verbietet sich schon aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 bzw. für die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung einerseits und für einen Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 andererseits (vgl. zur damals bestehenden, insoweit mit der geltenden vergleichbaren Rechtslage die schon erwähnten Erkenntnisse vom 29. April 2010, Zl. 2010/21/0085, und Zlen. 2010/21/0083, 0084, mwH). Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage liegt diesbezüglich keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor (vgl. den hg. Beschluss vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0045, mit dem Hinweis auf den Beschluss vom 28. Mai 2014, Ro 2014/07/0053).
12 In der Revision wird somit insgesamt keine solche Rechtsfrage dargetan, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.
Wien, am 30. Juni 2016
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