AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L527.2227618.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2021 zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
C) Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, § 46 und § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.
D) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2021 zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
C) Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, § 46 und § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.
D) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2021 zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
C) Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, § 46 und § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.
D) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2019, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2021 zu Recht:
A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
C) Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, § 46 und § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.
D) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer ( XXXX , geb. XXXX ; L527 2200077-1) ist mit der Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ; L527 2200079-1) in aufrechter Ehe verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin ( XXXX , geb. XXXX ; L527 2200070-1) und der Viertbeschwerdeführer ( XXXX , geb. XXXX ; L527 2227618-1) sind die leiblichen minderjährigen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.
Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin reisten im März 2016 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 17.03.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Am selben Tag fanden die Erstbefragungen statt.
Am 13.06.2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: [belangte] Behörde) einvernommen.
Mit Bescheiden vom 13.09.2016 wies die Behörde die Anträge des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 zurück; für die Prüfung sei Frankreich zuständig. Gemäß § 61 Abs 1 FPG werde die Außerlandesbringung angeordnet; folglich sei die Abschiebung nach Frankreich gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig. Den dagegen erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkennntissen vom 31.10.2016, W239 2136217-1/3E, W239 2136222-1/3E, W239 2136219-1/3E, statt und behob die Bescheide.
Am 16.05.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ein weiteres Mal vor der Behörde einvernommen.
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 07.06.2018 wies die belangte Behörde die Anträge des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit- und Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die belangte Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI).
Dagegen erhoben der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin die gegenständlichen Beschwerden.
Am XXXX wurde in Österreich der Viertbeschwerdeführer geboren, wovon die Behörde mit Anzeige gemäß § 17a AsylG 2005 am 03.12.2019 informiert wurde. Damit galt der Antrag als gestellt und eingebracht (§ 17a Abs 3 AsylG 2005).
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.12.2019 wies die Behörde den Antrag des Viertbeschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die belangte Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt V) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI).
Dagegen erhob der Viertbeschwerdeführer die gegenständliche Beschwerde.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens erstatteten die Beschwerdeführer Eingaben und legten Bescheinigungsmittel vor.
Das Bundesverwaltungsgericht forderte die belangte Behörde und die Beschwerdeführer zur näher bezeichneten Mitwirkung auf und setzte sie von der für 03.12.2021 geplanten Verhandlung in Kenntnis. Nach Fristerstreckung erstatteten die Beschwerdeführer Eingaben.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte die mündliche Verhandlung an. Mit der Ladung übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern aktuelle Länderinformationen und forderte sie abermals zur Mitwirkung am Verfahren auf.
Am 03.12.2021 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in der der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin, die gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer sowie einem Vertreter des bevollmächtigten Vereins ZEIGE erschienen, einvernommen wurden. Von einer Einvernahme der Drittbeschwerdeführerin und des Vierbeschwerdeführers wurde mit Zustimmung des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des Vertreters Abstand genommen. Die belangte Behörde entsandte keinen Vertreter zur Verhandlung.
Mit Note vom 27.12.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde und den Beschwerdeführern bzw. der gewillkürten Vertretung zur Wahrung des Parteiengehörs die aktualisierte Fassung des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation für den Iran (Datum der Veröffentlichung: 22.12.2021, Version 4). Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht neuerlich auf die Mitwirkungspflicht im Verfahren hin. Die belangte Behörde ließ die Frist zur Stellungnahme ungenützt verstreichen. Die Beschwerdeführer erstatteten im Wege der gewillkürten Vertretung eine Stellungnahme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Bei der Bezeichnung von Aktenbestandteilen verwendet das Bundesverwaltungsgericht in der Folge Abkürzungen: AS: Aktenseite(n); S: Seite(n); OZ: Ordnungszahl(en); VA: (von der belangten Behörde mit der Beschwerde vorgelegter) Verwaltungsverfahrensakt; f: folgende [Aktenseite/Seite]; ff: folgende [Aktenseiten/Seiten].
Soweit in der Folge Aktenbestandteile, insbesondere Aktenseiten und Ordnungszahlen, ohne Nennung einer Verfahrenszahl (des Bundesverwaltungsgerichts) verwendet werden, beziehen sich die betreffenden Verweise auf den verwaltungsbehördlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Akt des Erstbeschwerdeführers ([L527] 2200077-1).
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
In Österreich führt der Erstbeschwerdeführer (L527 2200077-1) den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , die Zweitbeschwerdeführerin (L527 2200079-1) den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , die Drittbeschwerdeführerin (L527 2200070-1) den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX , der Viertbeschwerdeführer (L527 2227618-1) den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Beschwerdeführer sind Drittstaatsangehörige, konkret: iranische Staatsangehörige. Sie gehören der Volksgruppe der Perser bzw. Luren und der islamischen Religion schiitischer Glaubensrichtung an. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind erwachsen, arbeitsfähig und seit 2012 in aufrechter Ehe miteinander verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind die gemeinsamen, leiblichen, unmündigen minderjährigen, ledigen Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer leiden an keiner schweren oder gar lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung. Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin waren und sind einvernahmefähig und es ist keine Erkrankung bzw. Beeinträchtigung der Gesundheit fassbar, welche die beiden außer Lage setzen würde, gleichlautende und detaillierte Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu machen. Die Zweitbeschwerdeführerin ist nicht schwanger. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erhielten beide jeweils jedenfalls eine Erst- sowie eine Auffrischungsimpfung gegen COVID-19.
Der Erstbeschwerdeführer wurde in XXXX , der Hauptstadt der iranischen Provinz XXXX , geboren, wurde im Iran sozialisiert und verbrachte dort den Großteil seines Lebens. Er besuchte in XXXX in der iranischen Provinz XXXX zwölf Jahre die Schule und anschließend zwei Jahre lang die Universität. Der Erstbeschwerdeführer absolvierte eine Berufsausbildung zum Ingenieur und war jedenfalls als Ingenieur im Iran viele Jahre berufstätig. Zuletzt lebte der Erstbeschwerdeführer gemeinsam mit der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin in XXXX . Die Muttersprache des Erstbeschwerdeführers, die er in Wort und Schrift beherrscht, ist Farsi. Der Erstbeschwerdeführer hat außerdem geringe Englischkenntnisse sowie Deutschkenntnisse höchstens auf Niveau A2. Der Erstbeschwerdeführer hat in seinem Herkunftsstaat Angehörige, namentlich in XXXX seinen Bruder und seine Schwester und in XXXX seinen Vater; die Mutter ist des Öfteren in XXXX , um die Nichte des Erstbeschwerdeführers zu betreuen. Weiters leben Onkel und Tanten des Erstbeschwerdeführers im Iran. Der Erstbeschwerdeführer steht wöchentlich mit seinen Eltern und alle zwei Wochen mit seinen Geschwistern in Kontakt.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in XXXX geboren, im Iran sozialisiert und verbrachte dort den Großteil ihres Lebens. Sie besuchte in XXXX zwölf Jahre die Schule und vier Jahre lang die Universität. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester und war als Krankenschwester im Iran viele Jahre berufstätig. Zuletzt lebte die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin in XXXX . Die Muttersprache der Zweitbeschwerdeführerin, die sie in Wort und Schrift beherrscht, ist Farsi. Die Zweitbeschwerdeführerin hat außerdem geringe Englischkenntnisse sowie Deutschkenntnisse höchstens auf Niveau A2. Die Zweitbeschwerdeführerin hat in ihrem Herkunftsstaat Angehörige, namentlich in XXXX ihre Eltern und drei Schwestern. Auch weitere Verwandte der Zweitbeschwerdeführerin leben im Iran. Die Zweitbeschwerdeführerin steht mehrmals wöchentlich mit ihren Eltern und Schwestern in Kontakt.
Die Drittbeschwerdeführerin wurde im Iran geboren und verbrachte dort die ersten Monate ihres Lebens. Sie lebte gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin in XXXX .
Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin reisten Mitte März 2016 aus dem Iran aus und kurz darauf unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 17.03.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten. Der Vierbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren, wovon die Behörde mit Anzeige gemäß § 17a AsylG 2005 am 03.12.2019 informiert wurde. Damit galt der Antrag als gestellt und eingebracht (§ 17a Abs 3 AsylG 2005).
In Österreich leben die Beschwerdeführer im Familienverband in einer organisierten Unterkunft in XXXX . Der Erstbeschwerdeführer hatte von XXXX ein Gewerbe angemeldet und bezog dementsprechend vorübergehend keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Da die Tätigkeit verlustbringend war, legte der Erstbeschwerdeführer die Gewerbeberechtigung zurück. Im Übrigen beziehen die Beschwerdeführer seit ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet bzw. – im Falle des Viertbeschwerdeführers – seit der Geburt laufend Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und sind hier nicht legal erwerbstätig.
Ein Onkel des Erstbeschwerdeführers, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und zu dem Kontakt in Gestalt von Treffen und Telefonaten besteht, lebt in Österreich. Zwischen dem Onkel des Erstbeschwerdeführers und den Beschwerdeführern besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Ansonsten haben die Beschwerdeführer keine Verwandten in Österreich. Eine in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines Studentenvisums aufhältige Schwester des Erstbeschwerdeführers besucht gelegentlich die Beschwerdeführer in Österreich, ansonsten besteht telefonischer Kontakt. Weiters lebt eine Tante des Erstbeschwerdeführers in Deutschland.
Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch wenige österreichische Staatsangehörige beziehungsweise in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Zwischen den Beschwerdeführern und ihren Bekannten/Freunden besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung.
Der Erstbeschwerdeführer erlangte einen österreichischen Führerschein (Lenkberechtigung Klassen AM, A, B), legte im Jahr 2020 die Integrationsprüfung auf dem Niveau A1 ab und war in den Monaten April und Mai 2020 in einer Not-Wärmestube freiwillig tätig. Den Antrag eines potentiellen Arbeitgebers vom 08.03.2019 auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Erstbeschwerdeführer als Bürokraft wies das Arbeitsmarktservice ab. Abgesehen von der Teilnahme des Erstbeschwerdeführers an Veranstaltungen des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus und der sonstigen Betätigung in diesem Verein (siehe dazu die Erwägungen unten unter 2.5.5.) ist der Erstbeschwerdeführer nicht in Vereinen oder Organisationen in Österreich aktiv; er ist (ansonsten) auch nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist für einen Deutschkurs auf dem Niveau B1, der von 22.11.2021 bis 14.03.2022 dauert, angemeldet und nimmt bislang daran teil. Sie war und ist nicht ehrenamtlich/ gemeinnützig tätig. Sie ist in Österreich nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen und auch nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv. Abgesehen vom Besuch des Deutschkurses, der Erledigung der Hausaufgaben aus dem Kurs und allfälliger Bemühungen, über das Internet, z. B. durch das Anhören von Podcasts, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, ist die Zweitbeschwerdeführerin mit der Versorgung der Familie und der Betreuung der Kinder beschäftigt.
Die Drittbeschwerdeführerin besuchte in Österreich den Kindergarten und besucht nunmehr die erste Klasse Volksschule. Sie verfügt über altersadäquate Kenntnisse der deutschen Sprache und pflegt einen altersentsprechenden Umgang mit Freunden und Mitschülern sowie Lehrern. Sie nimmt an einem Online-Englischkurs teil. Die Drittbeschwerdeführerin ist nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
Der Viertbeschwerdeführer wird primär zuhause vom Erstbeschwerdeführer und von der Zweitbeschwerdeführerin betreut. Er besucht weder eine Krabbelgruppe noch den Kindergarten. Während die Zweitbeschwerdeführerin den Deutschkurs besucht, wird der Viertbeschwerdeführer in der Kinderbetreuung, die im Rahmen des Deutschkurses angeboten wird, betreut. Der Viertbeschwerdeführer ist nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
Innerhalb der Familie erfolgt die Kommunikation grundsätzlich in der Sprache Farsi; die Drittbeschwerdeführerin spricht mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin mitunter auch Deutsch. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sprechen und verstehen ihrem Alter entsprechend die Sprache Farsi.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin keine Verurteilung auf.
1.2. Die Beschwerdeführer waren in ihrem Herkunftsstaat Iran keiner aktuellen unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt und wären auch im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise dorthin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt:
Namentlich waren die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat nicht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt. Die Beschwerdeführer liefen auch nicht ernstlich Gefahr, bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein. Den Beschwerdeführern würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung drohen. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und der minderjährige Viertbeschwerdeführer wären im Falle einer Rückkehr bzw. Ausreise in den Iran auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt, häuslicher Gewalt, Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe betroffen.
Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände und Beweismittel ist festzustellen, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführer in den Iran keine reale Gefahr einer Verletzung der Art 2, 3 EMRK oder des 6. und 13. ZPEMRK bedeuten würde und für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde. Die Beschwerdeführer hätten auch nicht um ihr Leben zu fürchten, es würde ihnen nicht jegliche Existenzgrundlage oder notwendige medizinische Versorgung fehlen. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und der minderjährige Viertbeschwerdeführer verfügen in ihrer Herkunftsregion bzw. der Herkunftsregion ihrer Eltern über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage. Ferner sind eine hinreichende Betreuung durch den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sowie den Familienverband und eine hinreichende Absicherung in den altersentsprechenden Grundbedürfnissen gegeben. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer haben überdies Zugang zum öffentlichen Schulwesen sowie leistbaren Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung in der Herkunftsprovinz und generell im Iran.
Der Begründung des Erstbeschwerdeführers für den Antrag auf internationalen Schutz war nicht zu folgen; das Vorbringen erwies sich als unglaubhaft. Die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin sowie der Viertbeschwerdeführer erstatteten kein eigenes Vorbringen zur Begründung des jeweiligen Antrags auf internationalen Schutz und äußerten auch keine eigenen Befürchtungen für den Fall der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:
1.3.1. Aufgrund des aktuellen Länderinformationsblatts der Staatendokumentation für den Iran (Datum der Veröffentlichung: 22.12.2021, Version 4). ist festzuhalten:
1.3.1.1. COVID-19
Letzte Änderung: 21.12.2021
Iran ist weiterhin von COVID-19 betroffen (AA 20.12.2021). Die COVID-Lage flachte nach einer dramatischen 5. Welle im August 2021 mit weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Es kann aber immer wieder – insbesondere vor iranischen Feiertagen – vorkommen, dass kurzfristig inneriranische Reisebeschränkungen eingeführt werden. Dann wird Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus anderen Provinzen die Einreise in die betroffenen Provinzen nicht gestattet. Fahrzeugen mit Autokennzeichen aus den betroffenen Provinzen dürfen diese nicht verlassen. Diese Beschränkungen werden in der Regel einige Tage vorher über die Medien bekannt gegeben. Aktuell gelten solche Maßnahmen für alle Provinzen der Kategorien 'orange' (u.a. Teheran) und 'rot'. Für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und Dienstleistungen sowie dem öffentlichen Personennahverkehr kann ein Ausweispapier verlangt werden. Zusätzlich können Kontrollen und und Messungen der Körpertemperatur an Provinz- und Stadtgrenzen durchgeführt werden. Bei Infektionsverdacht können Quarantänemaßnahmen oder die Einweisung in ein Krankenhaus angeordnet werden. Für Inlandsflugreisen kann ein negativer PCR-Test verlangt werden. Informationen erteilen die jeweiligen Fluggesellschaften. Im Alltag ist derzeit vor allem in 'gelb', 'orange' und 'rot' eingestuften Regionen mit Einschränkungen bei Öffnungszeiten und Serviceangebot zu rechnen. Vollständig Geimpfte und Genesene sind von den Beschränkungen im öffentlichen Leben nicht ausgenommen (AA 20.12.2021).
Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage, Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann eine Sperrung und Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).
Die COVID-19-Pandemie hat die Herausforderungen im Gesundheitssystem noch verschlimmert. Bis zum 1.10.2020 hatte der Gesundheitssektor nur 27 % der aus dem nationalen Entwicklungsfonds bereitgestellten 1,1 Milliarden US-Dollar erhalten. Im Gesundheitswesen Beschäftigte haben monatelang keinen Lohn erhalten, arbeiteten in Sonderschichten und mit begrenztem Schutz. Mit Stand März 2021 sind mehr als 550 Ärzte, Krankenschwestern und andere Pflegekräfte Berichten zufolge an COVID-19 verstorben (HRC 14.5.2021). Die Auswirkungen der Covid 19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente auch in Spitalsbehandlung konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger und Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer, ohne Abstand zu halten, zusammenkommen (ÖB Teheran 11.2021).
Einreisebestimmungen unterliegen häufigen Änderungen und einer uneinheitlichen Anwendung (AA 20.12.2021). Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf zum Zeitpunkt des Beginns der Reise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, so kann ausländischen Staatsangehörigen die Einreise verwehrt werden. Nach Ankunft ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein weiterer PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Zusätzlich zum Test ist der Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen erforderlich. Eine Regelung über die Gültigkeitsdauer des Impfschutzes ist nicht bekannt (BMeiA 20.12.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute sowie Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei COVID-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen vorgenommen werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann immer von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird für ausländische Staatsangehörige Selbstisolation in einer staatlichen Unterkunft angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-)Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollte man innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an COVID-19 hinweisen könnten, kann ebenfalls ein erneuter Coronatest durchgeführt werden. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 20.12.2021).
Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte, Reisen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr (AA 20.12.2021). Iran will wegen der neuen Omikron-Variante erneut strenge Corona-Einschränkungen bis hin zum Lockdown einführen. Wegen der Wirtschaftskrise in Iran wollte die Regierung von Präsident Raisi erneute Beschränkungen eigentlich unbedingt vermeiden. Aufgrund der Bestätigung des ersten Omikron-Falls, hat die Regierung nach Meinung von Gesundheitsexperten jedoch keine andere Wahl mehr, als erneut einen Lockdown zu verhängen (Finanzen.at 20.12.2021).
Die Covid-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage. Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als 'middle in-come country' muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen, sodass Ende November 2021 mehr als 70 % der Erwachsenen in Iran zumindest erstgeimpft wurden (ÖB Teheran 11.2021) und ca. 60 % doppelt geimpft sind. Auch die dritte Boosterimpfung hat bereits begonnen (Finanzen.at 20.12.2021). Die offizielle Zahl der Todesopfer im Land hat mehr als 120.000 erreicht (BBC News 18.10.2021; vgl. WHO 2.12.2021), aber die iranischen Behörden geben zu, dass die tatsächliche Zahl viel höher liegt. Viele Iraner führen das Ausmaß der Covid-Todesfälle auf die Entscheidung des Obersten Führers zurück, den Import von in den USA und Großbritannien entwickelten Impfstoffen im vergangenen Winter zu verbieten (BBC News 18.10.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.12.2021, unverändert gültig seit 13.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 20.12.2021
BBC News (18.10.2021): Covid: Thousands of children left without parents in Iran, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-58886923 , Zugriff 20.12.2021
BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (20.12.2021, unverändert gültig seit 16.12.2021): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 20.12.2021
Finanzen.at (20.12.2021): Iran plant erneut Corona-Einschränkungen wegen Omikron-Variante, https://www.finanzen.at/nachrichten/aktien/iran-plant-erneut-corona-einschrankungen-wegen-omikron-variante-1031057367 , Zugriff 21.12.2021
GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus , Zugriff 20.12.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 20.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 20.12.2021
WHO - World Health Organisation (2.12.2021): COVID-19 situation updates for week 47 (21–27 November 2021), https://reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-situation-updates-week-47-21-27-november-2021 , Zugriff 20.12.2021
1.3.1.2. Politische Lage
Letzte Änderung: 21.12.2021
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der 'velayat-e faqih', der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel 'Revolutionsführer' (GIZ 12.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 3.3.2021). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z. B. schiitischer Klerus). Die Mitgliedschaften und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 5.2.2021).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran erneut Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 % und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung sogar bei nur 26 %. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vgl. DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (Zeitonline 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament den Vorschlag des neuen Staatspräsidenten für das Kabinett gebilligt, damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 3.3.2021). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80 % der Sitze im Parlament gewonnen. Die Überprüfung von Kandidatinnen und Kandidaten für Parlamentswahlen durch den Wächterrat garantierte dabei bereits im Vorfeld der Wahlen, dass nur Abgeordnete gewählt werden konnten, die das Regime nicht infrage stellen. Unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen (AA 5.2.2021). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten. Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6 %, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 3.3.2021; vgl. AA 5.2.2021) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a, FH 3.3.2021, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der 'Gesamtinteressen des Systems' zu achten (AA 14.9.2021a; vgl. GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).
Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 5.2.2021). Das iranische Wahlsystem entspricht aber nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 3.3.2021; vgl. AA 5.2.2021).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen, religiösen & ethnischen Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der 'islamischen Gesellschaftsordnung' (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung 'westlicher' Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 24.11.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394 , Zugriff 24.11.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2021
DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw.com/de/raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660 , Zugriff 25.6.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 27.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 27.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021
Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.derstandard.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran , Zugriff 25.6.2021
Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html , Zugriff 25.6.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 27.4.2021
Zeitonline (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-praesidentenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei , Zugriff 25.6.2021
1.3.1.3. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 21.12.2021
Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 7.12.2021).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 14.6.2021). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 7.12.2021b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 7.12.2021b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 7.12.2021).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 7.12.2021b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 7.12.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 7.12.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.12.2021b, unverändert gültig seit 2.12.2021): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396 , Zugriff 7.12.2021
EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.12.2021, unverändert gültig seit 30.8.2021): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 7.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021
VERBOTENE ORGANISATIONEN
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 5.2.2021).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 5.2.2021). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 11.2021) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021).
Hinsichtlich des Risikos, für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf , Zugriff 4.5.2020
AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf , Zugriff 4.5.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 4.5.2020
Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 14.6.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 7.12.2021
VOLKSMUDSCHAHEDIN (MUJAHEDIN-E-KHALQ – MEK, MKO; PEOPLE’S MOJAHEDIN ORGANISATION OF IRAN – PMOI; NATIONAL COUNCIL OF RESISTANCE OF IRAN – NCRI)
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, 'iranische Volksmudschahedin') gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Landinfo 12.4.2021) und wird für die Ermordung von 17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Global Security o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als 'moharebeh' ('Waffenaufnahme gegen Gott'), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 11.2021). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021). Im Juni 2018 wurde ein geplanter Terroranschlag auf ein MEK-Treffen nahe Paris vereitelt (ÖB Teheran 11.2021).
Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Sie unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er Jahre aus Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden Hunderte bis Tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet (SFH 20.7.2018; vgl. Landinfo 12.4.2021). In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder im Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager im Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vgl. Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und die USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Die iranischen Behörden beobachten die Aktivitäten von MEK-Mitgliedern im Exil (Landinfo 12.4.2021).
Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vgl. Guardian 9.11.2018). Obwohl die MEK behauptet, das iranische Volk zu vertreten und ihre Rolle bei den Volksaufständen der letzten Jahre betont, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie in Iran signifikante Unterstützung erhält. Das iranische Regime betrachtet die MEK als Terrororganisation und wirft ihr vor, in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten Proteste anzuzetteln. Folglich riskieren diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen (Landinfo 12.4.2021; vgl. ACCORD 7.2018). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, dass sie aber in Iran aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung genießt (ÖB Teheran 11.2021). In den letzten Jahren scheint sich die MEK darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und als praktikable Alternative zum derzeitigen Regime internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Organisation führt umfassende PR- und Lobbying-Kampagnen durch, unter anderem durch den oben erwähnten Nationalen Widerstandsrat (NCRI) (Landinfo 12.4.2021).
Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien angewendet, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Solche Vorwürfe werden von der MEK zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).
Quellen:
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2018): COI compilation Iran. Political Opposition. Mojahedin-e Khalq Organisation (MEK, MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/1441174/1226_1534925790_iran-coi-compilation-july-2018-final.pdf , Zugriff 9.6.2021
DW – Deutsche Welle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www.dw.com/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961 , Zugriff 5.5.2020
Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.globalsecurity.org/military/world/para/mek.htm , Zugriff 5.5.2020
Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 9.6.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (9.2017): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017-09.docx , Zugriff 5.5.2020
SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (20.7.2018): Iran: Rückkehr von Personen mit Verbindungen zu den Volksmudschahedin (PMOI), https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/iran/180720-irn-gefaehrdung-pmoi.pdf , Zugriff 5.5.2020
Telepolis (18.1.2019): Was verbindet die Volksmudschahedin mit der rechten spanischen Vox-Partei?, https://www.heise.de/tp/features/Was-verbindet-die-Volksmudschahedin-mit-der-rechten-spanischen-Vox-Partei-4281979.html , Zugriff 5.5.2020
The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-revolution-regime-trump-rajavi , Zugriff 5.5.2020
PJAK - PARTIYA JIYANA AZAD A KURDISTANÊ (PARTEI FÜR FREIHEIT UND LEBEN IN KURDISTAN BZW. PARTEI FÜR EIN FREIES LEBEN KURDISTANS)
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern (JF 15.1.2018). 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen, und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020). Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die zahlenmäßige Stärke der PJAK sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015; vgl. Landinfo 18.12.2020). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.; vgl. CRS 6.2.2020). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein erklärtes Ziel der PJAK. Beide Geschlechter müssen auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen vertreten sein und das gleiche Schulungsprogramm absolvieren. Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte der Mitglieder Frauen. Neben der kurdischen Sache steht nicht nur die schon erwähnte Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch der ethnischen Gruppen ganz oben auf der politischen Agenda der PJAK. Darüber hinaus hat die PJAK das erklärte Ziel eines Regimewechsels in Iran. In diesem Zusammenhang versucht die Organisation, alle Iraner anzusprechen. Das erklärte Ziel von PJAK ist es, das derzeitige theokratische Modell durch ein demokratisches föderales System zu ersetzen. Ihr Ziel und ihre Vision ist es, dass in einem zukünftigen politischen Modell alle ethnischen und religiösen Gruppen ein hohes Maß an Autonomie haben sollten. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen, nicht nur für die Kurden (Landinfo 18.12.2020).
Die PJAK ist in einen Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und einen politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Die Gruppe gibt vor, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und dem Irak ansässig (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und operiert in Iran nur im Untergrund (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 18.12.2020). Während die kurdisch-iranischen Exilparteien wie z.B. PDKI, KDP-I, die drei Komala-Fraktionen und PAK (Parti Azadi Kurdistan - Kurdistan Freedom Party) mit der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG) Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz im Nordirak getroffen haben, hat die PJAK keine solchen Vereinbarungen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen einher. Da die PJAK nicht über eine solche formalisierte Präsenz verfügt, erhalten ihre Mitglieder weder finanzielle Unterstützung noch öffentliche Dienstleistungen (Landinfo 18.12.2020).
Der militärische Arm der PJAK führte in Iran von Anfang der 2000er Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten, und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden (JF 15.1.2018). Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weitverbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Die Gruppe nahm ihre Angriffe auf iranische Truppen wieder auf, was zu verstärkter Gewalt zwischen der PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder der Revolutionsgarde getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020).
Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 5.2.2021). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BS 2020). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 (Kurdistan24 5.8.2019) und 2020 berichtet (Hengaw 30.12.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 4.5.2020
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BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
CRS – Congressional Research Service [USA] (6.2.2020): Iran: Internal Politics and U.S. Policy and Options, https://fas.org/sgp/crs/mideast/RL32048.pdf , Zugriff 4.5.2020
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Hengaw Organisation für Menschenrechte (30.12.2020): Militärische Zusammenstöße in iranisch Kurdistan im Jahre 2020 - Statistische Angaben, https://hengaw.net/de/news/militarische-zusammensto%C3%9Fe-in-iranisch-kurdistan-im-jahre-2020-statistische-angaben , Zugriff 9.12.2021
JF – Jamestown Foundation (15.1.2018): Party for Free Life in Kurdistan: The PKK’s Iranian Wing Bides Its Time, Terrorism Monitor Volume: 16 Issue: 1, https://jamestown.org/program/party-free-life-kurdistan-pkks-iranian-wing-bides-time/ , Zugriff 4.5.2020
Kurdistan24 (5.8.2019): PKK-affiliate group reports deaths from recent clash with Iran Guards, https://www.kurdistan24.net/en/news/406728f5-dfd2-4e2b-b71c-de07c86c6646 , Zugriff 4.5.2020
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ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021
TRAC – Terrorism Research & Analysis Consortium (o.D.): Party of Free Life of Kurdistan (PJAK), https://www.trackingterrorism.org/group/party-free-life-kurdistan-pjak , Zugriff 4.5.2020
KURDISH DEMOCRATIC PARTY OF IRAN (KDPI/PDKI) UND KOMALA(H) (KURDISTAN ORGANIZATION OF THE COMMUNIST PARTY OF IRAN, KOMALA, SKHKI)
Letzte Änderung: 21.12.2021
Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI bzw. PDKI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 5.2.2021). Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch zivilgesellschaftlicher Aktivismus, der nichts mit den Parteien zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protestmärschen teilnehmen, stehen im Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (Landinfo 19.5.2020).
Die KDPI (auch PDKI) wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020), vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt (TRAC o.D.). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines föderalen und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vgl. TRAC o.D., MERIP o.D., Landinfo 19.5.2020). Sie bezeichnet sich selbst als sozialdemokratische Partei (Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vgl. MERIP o.D., ACCORD 7.2015, Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020), wobei dies heute nicht mehr gültig ist (Landinfo 2.4.2020). Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Trotz der Spaltung haben die beiden Parteien ein neues Kooperationsforum gebildet, das neben KDPI und KDP-Iran aus zwei weiteren iranisch-kurdischen Parteien besteht, nämlich den beiden Fraktionen der linken Partei Komala (Landinfo 19.5.2020). Die kurdischen Parteien konkurrieren um Einfluss in der kurdischen iranischen Bevölkerung (Landinfo 2.4.2020), und sie sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Viele der kurdischen Parteien operieren vom Nordirak aus. Der Status und Handlungsspielraum der kurdischen Oppositionsgruppen wie KDP-I, Komala und PDKI und PJAK war und ist ein schwieriges Thema in den Beziehungen zwischen Iran und der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG). Die KRG hat Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz mit mehreren iranisch-kurdischen Exilparteien wie KDPI, KDP-Iran, den drei Komala-Fraktionen und PAK getroffen. Aufgrund der Notwendigkeit einer gutnachbarlichen Beziehung zu Iran hat die KRG gefordert, dass die iranisch-kurdischen Exilparteien alle militärischen Aktivitäten gegen Iran unterlassen. Dies war eine Bedingung dafür, dass die Exilparteien in Stützpunkten und Lagern im Nordirak operieren dürfen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen einher (Landinfo 18.12.2020).
Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).
Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala, in Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen (DIS 7.2.2020).
In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region in Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden, oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020). Sowohl das iranische Geheimdienstministerium als auch der Geheimdienst der Revolutionsgarden sind mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder in Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Landinfo 19.5.2020).
Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Ab 2015 stationierten einige der kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder in Iran. Die KDPI beispielsweise erklärte den Waffenstillstand mit Iran 2016 für beendet und bewaffnete Auseinandersetzungen nahmen zu (Landinfo 2.4.2020). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Parteien ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Im September 2018 wurden drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020, BS 2020). Die Anzahl der Begegnungen zwischen iranisch-kurdischen Guerillas und iranischen Streitkräften hat zwar an Intensität abgenommen, aber nicht aufgehört (Landinfo 2.4.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 9.12.2021
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1.3.1.4. Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 21.12.2021
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 5.2.2021; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren ausgesetzt (AA 5.2.2021). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 3.3.2021).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 30.3.2021). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2021). In einigen Fällen wurde in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert hatte (AI 7.4.2021).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen 'göttlichen Wissens' [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 30.3.2021).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die 'Sondergerichte für die Geistlichkeit' sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere 'Feindschaft zu Gott' und 'Korruption auf Erden';
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen. Erzwungene 'Geständnisse', die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt. Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).
Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom „code pénal napoléon“ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta'zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta'zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Art. 1–216), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Art. 217–288), im dritten Buch die qisas-Strafen (Art. 289–447) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Art. 448–728) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 5.2.2021). Auf die Anwendung der Vergeltungstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Unter Rohanis Präsidentschaft hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 5.2.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 5.2.2021).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 5.2.2021).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 5.2.2021).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 7.4.2020
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf , Zugriff 7.4.2020
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 26.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 28.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report – Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf , Zugriff 7.4.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran,https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.5. Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 21.12.2021
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarde und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung. Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Trotzdem können Angehörige der Sicherheitskräfte Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden (US DOS 30.3.2021). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 5.2.2021). Basijis haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 5.2.2021). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020).
Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 3.3.2021). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität. Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Beobachtung und Ausübung von Druck auf die politische Opposition zu. Das Geheimdienstministerium bedient sich dabei überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem 'Hohen Rat für den Cyberspace' beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 5.2.2021).
Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 30.3.2021). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 7.4.2020
DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802 , Zugriff 7.4.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/ , Zugriff 7.4.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 9.12.2021
Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 7.4.2020
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.6. Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 21.12.2021
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 5.2.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, DIS 7.2.2020). Folter ist in Iran weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021) und wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 5.2.2021). Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Zudem wurden 2020 mindestens 160 Personen zu Peitschen- bzw. Stockhieben verurteilt sowohl wegen Diebstahls oder Überfällen als auch wegen Handlungen, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z.B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche oder einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen sowie Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Männer als auch Frauen anwesend waren. In vielen Fällen wurden die Auspeitschungen vollstreckt (AI 7.4.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 30.3.2021).
Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 10.2020; vgl. US DOS 30.3.2021).
Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein (HRC 14.5.2021). Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet, zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 3.3.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.7. Korruption
Letzte Änderung: 21.12.2021
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert dieses Gesetz nur willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Beamte betätigen sich weiterhin korrupt und können mit Straffreiheit rechnen. Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte 'Bonyads', leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen. Von allen Regierungsmitgliedern (einschließlich Mitglieder des Minister-, Wächter- und Schlichtungsrats und der Expertenversammlung) wird ein jährlicher Bericht über die Vermögenslage verlangt. Es gibt keine Information, ob diese Personen sich an die Gesetze halten (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Im Jahr 2019 leitete die Justiz ein hartes Vorgehen gegen Korruption ein, obwohl ihr vorgeworfen wurde, dass die Bemühungen politisch motiviert seien. Die Initiative wurde 2020 fortgesetzt und umfasste eine öffentlichkeitswirksame Strafverfolgung ehemaliger Politiker und Gerichtsbeamter (FH 3.3.2021).
Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA 5.2.2021; vgl. BS 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 5.2.2021). Auch in der Polizei, bei sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und bei staatlichen Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch in der politischen Elite weit verbreitet. Nur selten werden Täter strafrechtlich verfolgt und wenn, dann ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BS 2020). Die Justiz setzt eine Antikorruptionskampagne fort, deren Motivation laut Beobachtern u.a. politische Auseinandersetzungen und das Ersetzen von Einnahmeverlusten aufgrund wirtschaftlicher Herausforderungen sind. Der oberste Führer genehmigte 2018 einen Antrag des Justizchefs, spezielle Revolutionsgerichte einzurichten, um Einzelpersonen wegen Wirtschaftsverbrechen vor Gericht zu stellen. Gleichzeitig forderte er Höchststrafen für diejenigen, welche die Wirtschaft 'gestört und korrumpiert' haben. Er wurde zitiert, wonach Strafen für diejenigen, die der wirtschaftlichen Korruption beschuldigt werden, einschließlich Beamter der Regierung und des Militärs, schnell durchgeführt werden sollten. Amnesty International kritisiert diesbezüglich das Fehlen eines fairen und ordnungsgemäßen Verfahrens durch die Gerichte (US DOS 30.3.2021).
Transparency International führt Iran in seinem Korruptionswahrnehmungsindex von 2020 mit 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 149 von 180 [2019: Platz 146 von 180] untersuchten Ländern (TI 2021) [2019: Platz 146 von 180].
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
TI – Transparency International (1.2021): Corruption Perspective Index 2020 – Iran, https://www.transparency.org/en/cpi/2020/index/irn , Zugriff 28.4.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.8. NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 21.12.2021
NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden (BS 2020). Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen benötigen eine staatliche Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 5.2.2021). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und sie müssen um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Auf Anfragen und Berichte seitens der Aktivisten reagieren Behörden mit Schikanen, Inhaftierungen und Überwachung. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikanen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen aufgrund anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 30.3.2021). In Iran sind kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv. Zudem warnt das Innenministerium vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt werden, etwa in Form von Straftatbeständen wie 'Propaganda gegen das Regime' oder 'Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit'. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Insbesondere der Zugang zu ausländischen Geldern bleibt verschlossen, da beim Rückgriff auf diese Gelder Gerichtsverfahren wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe drohen (AA 5.2.2021).
Ehemals aktive iranische Menschenrechtsaktivisten sind in überwiegender Mehrheit entweder in Haft oder halten sich in Europa oder Nordamerika auf. Folglich sind in Iran kaum mehr prominente Menschenrechtsverteidiger oder NGOs aktiv (AA 5.2.2021) bzw. sind Menschenrechtsorganisationen nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs - etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung - arbeiten. In anderen Bereichen, etwa LGBT-Rechte, Frauenrechte und seit 2018 auch Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und mit der Gefahr von Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 11.2021). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des 'Defenders of Human Rights Center', deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Im März 2021 wurde die bis dato größte NGO, die 'Imam Ali Popular Students Relief Society', verboten und ihre Leiter verhaftet. Die ca. 12.000 Mitglieder hatten sich der Armutsbekämpfung verschrieben und Blutgelder gesammelt, um Exekutionen zu verhindern. Die Organisation hatte UNESCO-Beobachtungsstatus (ÖB Teheran 11.2021).
Willkürliche Verhaftungen von Personen, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrnehmen, kommen weiterhin vor. Dazu zählen Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Umwelt, die Rechte von Frauen, Arbeitnehmer und Minderheiten einsetzen oder sich gegen die Todesstrafe engagieren oder Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung im Zusammenhang mit den massenhaften Hinrichtungen und dem Verschwindenlassen von Menschen in den 1980er Jahren verlangen. Auch Demonstrierende, Journalisten und andere Medienschaffende, politisch Andersdenkende, Künstler und Schriftsteller werden willkürlich inhaftiert (AI 7.4.2021). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2020). Behörden schließen auch rechtswidrig die Geschäftsbetriebe von Journalisten, die für unabhängige Medien im Ausland arbeiten, oder sie frieren deren Bankkonten und Vermögen ein. Dies betrifft auch Menschenrechtsverteidiger und deren Familien. Um Demonstrierende, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger für ihre Tätigkeiten zu bestrafen, werden auch Familienmitglieder, wie zum Beispiel deren Kinder oder betagte Eltern, eingeschüchtert, verhört oder willkürlich festgenommen und inhaftiert (AI 7.4.2021). Selbst Personen, die ins Ausland flüchten konnten, sind mitunter nicht sicher. So wurde im Sommer 2021 in New York (USA) ein Verfahren gegen mehrere Iraner eröffnete, die versucht haben sollen, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad und weitere Personen aus dem Vereinigten Königreich und Kanada zu entführen bzw. nach Iran zu locken. Der Journalist Ruhollah Zam wurde Ende 2020 hingerichtet, nachdem er aus Frankreich in den Irak gelockt und von dort nach Iran entführt worden war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.9. Wehrdienst
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes ist von den individuellen Verhältnissen abhängig und beträgt 18 bis 24 Monate. Aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen können Wehrpflichtige ausgemustert werden. Ein Freikauf vom Wehrdienst ist durch temporäre Regelungen in unregelmäßigen Abständen immer wieder möglich: 2.500 Euro für Schulabgänger ohne Matura, 5.000 Euro für Maturanten. Studenten können, wenn sie im Ausland studieren möchten, unter Hinterlegung einer Kaution, gestaffelt nach Bachelor, Master oder Promotion (7.500, 10.000 bzw. 12.500 Euro) freigestellt werden. Die Wehrdienstzeit wird bei verheirateten Iranern pro Kind um drei Monate verkürzt und bei Freikauf von der Wehrpflicht ein Nachlass in Höhe von 5% bzw. weiteren 5% pro Kind gewährt. Religionsführer Khamenei hat die Jahrgänge bis einschließlich 1975/76, die bislang keinen Wehrdienst geleistet hatten, freigestellt. Bekennende Homosexuelle und Transsexuelle können vom Militärdienst freigestellt werden (AA 5.2.2021).
Es gibt keinen Wehrersatzdienst. In besonderen Fällen, etwa bei psychischen oder physischen Leiden oder wenn sonst kein Mann für die Familie sorgen kann, wird der Wehrdienst erlassen (ÖB Teheran 11.2021). Weitere Gründe vom Wehrdienst befreit zu werden sind beispielsweise, wenn man der einzige Sohn einer Familie ist, wenn man alte Eltern hat oder wenn man einen Bruder hat, der momentan im Militär dient (DFAT 14.4.2020). Für Sportler oder bei guten Beziehungen zu relevanten Stellen kann nach einer 60-tägigen Grundausbildung jedoch eine Art 'Ersatzdienst' für weitere 22 Monate u.a. in Ministerien oder bei Sportverbänden absolviert werden. Iraner, deren Väter im Irak-Iran-Krieg gekämpft haben, müssen nur einen verkürzten Wehrdienst leisten. Wehrdienstpflichtige, d.h. männliche Staatsangehörige über 18 Jahren, die nicht etwa aufgrund eines Studiums vorübergehend von der Wehrdienstpflicht befreit sind, dürfen mit wenigen Ausnahmen vor Ableistung ihres Wehrdienstes das Land nicht verlassen (d.h. sie erhalten erst danach einen Reisepass) bzw. müssen eine größere Kaution hinterlegen. Angehörige der Streitkräfte und der Polizei dürfen das Land nur mit Zustimmung ihres Dienstes verlassen. Die Zustände beim iranischen Militär sind in der Regel wesentlich härter als in europäischen Streitkräften (berichtet wird regelmäßig über unzureichende Verpflegung, unzureichende Ausrüstung, drakonische Strafen etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf , Zugriff 14.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
WEHRDIENSTVERWEIGERUNG / DESERTION
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die Strafen bei Nichtmeldung variieren abhängig von der Frage, ob sich das Land im Kriegszustand befindet oder nicht. Personen, die sich zu spät melden, sind verpflichtet, zusätzlich drei Monate Wehrdienst zu leisten. Wehrpflichtige, die sich zu spät oder gar nicht melden und aufgegriffen werden, erhalten ihre Bescheinigung über die Ableistung des Wehrdienstes teilweise mit erheblicher Verspätung (AA 5.2.2021). Junge Männer ab 18 Jahren, die zum Wehrdienst einberufen wurden und sich nicht bei den Behörden melden, werden als Wehrdienstverweigerer betrachtet (ACCORD 7.2015). In Iran gibt es keinen Wehrersatzdienst und eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird nicht anerkannt (ACCORD 7.2015; vgl. UK HO 4.2020). Die Verweigerung des Militärdienstes bis zu einem Jahr in Friedenszeiten oder zwei Monaten in Kriegszeiten kann dazu führen, dass die Gesamtlänge des Militärdienstes um drei bis sechs Monate verlängert wird. Eine mehr als einjährige Wehrdienstverweigerung in Friedenszeiten oder mehr als zwei Monate in Kriegszeiten kann zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen. Die Wehrdienstverweigerer können soziale Vorteile und Bürgerrechte verlieren, einschließlich des Zugangs zu Posten im öffentlichen Dienst oder höherer Bildung oder des Rechts auf Unternehmensgründung. Die Regierung kann auch die Erteilung von Führerscheinen für Wehrdienstverweigerer verweigern, ihren Pass einziehen oder ihnen verbieten, das Land ohne besondere Genehmigung zu verlassen (DFAT 14.4.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf , Zugriff 9.4.2020
DFAT – Australian Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (14.4.2020): DFAT Country Information Report Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029778/country-information-report-iran.pdf , Zugriff 14.4.2021
UK HO - United Kingdom Home Office [Großbritannien] (4.2020): Country Policy and Information Note Iran: Military Service, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028094/Iran_-_Military_Service_-_CPIN_-_v2.0_-_April_2020.pdf , Zugriff 25.11.2021
1.3.1.10. Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene 'Hohe Rat für Menschenrechte' untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten 'Pariser Prinzipien' (AA 5.2.2021).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)
Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
UN-Apartheid-Konvention
Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 5.2.2021)
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)
Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert)(AA 5.2.2021).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der 'schwersten Verbrechen' entsprechen und ohne einen fairen Prozess; rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 7.4.2021, FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021, HRW 13.1.2021). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 30.3.2021).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden (AA 5.2.2021). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 28.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398 , Zugriff 28.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 28.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.11. Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht 'schädlich' für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die 'Rechte der Öffentlichkeit' sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 5.2.2021; vgl. BS 2020, AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Die Justiz- und Sicherheitsbehörden verwenden weiterhin vage definierte Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, um Aktivisten, Dissidenten und Menschenrechtsverteidiger wegen freier Meinungsäußerung zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen (HRW 13.1.2021), bzw. nutzen Behörden Gesetze, um Personen, die die Regierung direkt kritisieren oder menschenrechtliche Probleme ansprechen, einzuschüchtern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Behörden dulden es nicht, das Regierungssystem, den Obersten Führer oder die Staatsreligion öffentlich zu kritisieren. Sicherheitsbehörden bestrafen jene, die diese Einschränkungen verletzen oder den Präsidenten, das Kabinett oder das Parlament öffentlich kritisieren (US DOS 30.3.2021).
Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 3.3.2021). Insgesamt spiegelt die iranische Presselandschaft eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums wider, geprägt wird sie dennoch von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter 'roter Linien' des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß auch zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen gegen ungeschriebene Regeln drohen Verwarnungen, Publikationsverbote, strafrechtliche Sanktionen etwa wegen 'Propaganda gegen das System' bis hin zum Verbot von Medien, sowohl von reformorientierten als auch von konservativen Zeitungen (AA 5.2.2021). 'Propaganda gegen das System' ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei 'Propaganda' nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 26.2.2020, FH 3.3.2021). Zur Vermeidung von regimekritischen Unruhen versuchen der Oberste Führer und der Justizapparat, mit Hilfe der Regierung eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des Systems der Islamischen Republik steht im Vordergrund, sodass aus Sicht der religiösen Führungselite sogar eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit verhältnismäßig zu sein scheint. Lange Haftstrafen und Todesurteile werden hierbei als gerechtfertigtes Mittel gesehen (BAMF 5.2021). Alle Arten von Medien unterliegen der Zensur (AI 7.4.2021).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 26.2.2020; vgl. FH 3.3.2021). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 3.3.2021). Andererseits besitzt nahezu jede iranische Familie eine Satellitenantenne, auch wenn diese offiziell verboten sind (GIZ 12.2020c).
Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind (GIZ 12.2020c). Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).
Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder 'islamfeindliche' Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 11.2021). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden blockiert (AA 5.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). So bleiben z.B. die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Grundsätzlich ist der Empfang ausländischer Medien mithilfe sogenannter VPN (Virtual Private Network) möglich, der Staat kann diese technisch allerdings blockieren. Darüber hinaus wird der Internetverlauf gefiltert bzw. mitgelesen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jede Person die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen 'Cyber-Krieg' gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist ohne Gerichtsanordnung grundsätzlich verboten. Wenn die nationale Sicherheit bedroht zu sein scheint, wird hiervon jedoch abgesehen (AA 5.2.2021). Noch herrscht dennoch eine erstaunliche Meinungsvielfalt im Internet, Kritik an staatlichen Maßnahmen wird breit geäußert. Dies war bereits unter der Regierung Rohani den Hardlinern im Parlament ein Dorn im Auge, die mehrmals versuchten, ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets zu beschließen. Die Regierung Raisi hat diesen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffen. Unter anderem ist geplant, Nutzer zu Echtnamen-Registrierung zu zwingen und die Verwendung von VPNs zu verfolgen. Iran hat mit China unter anderem eine Kooperation zu IKT-Angelegenheiten beschlossen (ÖB Teheran 11.2021).
Die 1997 unter Khatami gegründete 'Association of Iranian Journalists' wurde 2009 unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Ex-Präsident Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen dürfen. Im Ausland lebende Journalisten von BBC Farsi berichten von gezielter Verfolgung und Einschüchterungsversuchen. Maßnahmen wie Überwachung, wiederholte Befragungen und das Einfrieren von Konten erstrecken sich dabei auch auf Familien der Betroffenen. Familienangehörige werden unter Druck gesetzt, auf die Beendigung der journalistischen Tätigkeit hinzuwirken. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 5.2.2021).
Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als 'unislamisch' oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist 'regimefeindlicher Propaganda' und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran um einen Platz verschlechtert und liegt nun an Position 174 (2020: 173) von 180 (ROG 2021a). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021b).
Hinsichtlich der Corona-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021b). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen 'Internet-Gerüchte' und 'Fake News' über Corona in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt. Im April 2020 erhoben die Behörden Anklage gegen einen Arzt aus Saqqez in der Provinz Kurdistan, wegen 'Verbreitung von Propaganda gegen das System' und 'Störung der öffentlichen Meinung', weil er auf Instagram Beiträge über Covid-19 veröffentlicht hatte (AI 7.4.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D , Zugriff 29.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021
Landinfo [Norwegen] (31.5.2021): Iran. Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052678/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-31052021.pdf , Zugriff 14.6.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
ROG – Reporter ohne Grenzen (2021a): Rangliste zur Pressefreiheit 2021, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2021/Rangliste_der_Pressefreiheit_2021_-_RSF.pdf , Zugriff 29.4.2021
ROG – Reporter ohne Grenzen (2021b): Rangliste der Pressefreiheit. Weltweite Entwicklungen im Überblick, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021/ueberblick , Zugriff 29.4.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021
1.3.1.12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 5.2.2021).
In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 29.12.2019; vgl. DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 29.12.2019; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Sicherheitskräfte setzten exzessive und rechtswidrige tödliche Gewalt gegen massive Proteste im ganzen Land ein, insbesondere gegen Demonstranten, die Straßen blockierten oder in einigen Fällen Steine warfen und versuchten, öffentliche Gebäude zu übernehmen (HRW 13.1.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschen getötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Auch mehr als ein Jahr nach den Protesten schüchtern die Behörden die Familien der Opfer weiter ein und behindern die Bemühungen, die Zahl der getöteten Demonstranten zu klären (FH 3.3.2021).
Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der 'Propaganda gegen das Regime' und 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 5.2.2021), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 3.3.2021). Erlaubt sind nur 'Islamische Arbeitsräte' unter der Aufsicht des 'Haus der Arbeiter' (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen. Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a). Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidenten- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als 'nicht geeignet' ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertet der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände ('regimefeindliche Propaganda', 'Beleidigung des Obersten Führers' etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden also verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 5.2.2021). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer ohne Anklage oder Gerichtsverfahren unter Hausarrest, der 2011 gegen sie verhängt worden war (AI 7.4.2021; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021).
An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Ohne entsprechende Führung und angesichts umfassender Überwachung der Kommunikationskanäle spielen die verbleibenden Oppositionellen kaum eine Rolle. Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18, den Protesten im November 2019 und den Demonstrationen nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Januar 2020. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 25.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 29.4.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2020): Iran. November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_july_2020.pdf , Zugriff 26.11.2021
DW – Deutsche Welle (29.12.2019): Bericht: Iran geht von 1500 Toten bei Unruhen aus, https://www.dw.com/de/bericht-iran-geht-von-1500-toten-bei-unruhen-aus/a-51780047 , Zugriff 29.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 29.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 25.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 13.12.2021
1.3.1.13. Haftbedingungen
Letzte Änderung: 21.12.2021
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalb mal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge auf Gängen, am Boden oder in Gefängnishöfen schlafen müssen (US DOS 30.3.2021). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und die Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2020; vgl. US DOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der COVID-19-Pandemie erheblich (US DOS 30.3.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Von Februar bis Mai 2020 ließen die Behörden als Reaktion auf die Corona-Pandemie etwa 128.000 Gefangene vorübergehend frei und begnadigten 10.000 weitere (AI 7.4.2021), um die Ausbreitung von COVID-19 in Gefängnissen zu verhindern. Berichten zufolge befanden sich nur sehr wenige politische Gefangene unter jenen, denen Urlaub gewährt wurde (FH 3.3.2021). Hunderte gewaltlose politische Gefangene waren von Begnadigungen und vorübergehenden Freilassungen ausgeschlossen (AI 7.4.2021). Mehrere Menschenrechtsverteidiger wurden unter der richterlichen Anordnung bezüglich COVID-19 freigelassen. In vielen anderen Fällen haben sich die Behörden trotz der Gesundheitsrisiken geweigert, Menschenrechtsverteidigern vorübergehende Freilassungen zu gewähren (HRW 13.3.2021). Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Gefängnissen dürfte höher sein als von den Behörden angegeben (FH 3.3.2021).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 7.4.2021). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung. Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021).
Straflosigkeit bei Vergehen von Beamten ist weiterhin ein Problem. Berichten zufolge hat Folter zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt (AI 7.4.2021). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 30.3.2021).
Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark von einander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 5.2.2021). Im März und April 2020 protestierten Gefangene im ganzen Land mit Hungerstreiks und Aufständen, weil die Behörden nicht in der Lage waren, sie vor Corona-Infektionen zu schützen. Die Behörden reagierten mit rechtswidrigen Mitteln. Sie schlugen die Inhaftierten und beschossen sie mit scharfer Munition, Metallkugeln und Tränengas, um die Proteste niederzuschlagen. Dies führte dazu, dass am 31. März 2020 im Sheiban-Gefängnis in Ahwaz in der Provinz Khuzestan mehrere Gefangene, die der arabischen Ahwazi-Minderheit angehörten, getötet und viele weitere verletzt wurden (AI 7.4.2021).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in 'sichere Häuser' gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 29.4.2021
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HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 29.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 29.4.2021
1.3.1.14. Todesstrafe
Letzte Änderung: 21.12.2021
Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten durchgeführt wird (HRW 13.1.2021; vgl. CSW 3.2021). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 3.3.2021). Im Jahr 2020 wurden mindestens 267 Menschen hingerichtet (HRC 14.5.2021; vgl. AI 4.2021, HRW 13.1.2021), darunter neun Frauen (HRC 14.5.2021). Mindestens 25 Hinrichtungen erfolgten aufgrund von Anschuldigungen im Zusammenhang mit Drogen, eine aufgrund von Alkoholkonsum und mindestens 15 Hinrichtungen aufgrund der weitreichenden Anschuldigungen Moharebeh (Waffenaufnahme gegen Gott), Efsad-e Fel-arz (Korruption auf Erden) und Baghy (Rebellion gegen den Staat). Mindestens vier jugendliche Straftäter wurden hingerichtet (HRC 14.5.2021).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, 'Moharebeh' (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, AA 5.2.2021). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslim mit einer Muslimin (AA 5.2.2021). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 5.2.2021).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 5.2.2021). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung, durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021, HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021, HRC 14.5.2021, AI 7.4.2021, CSW 3.2021). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. Mehreren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung (AA 5.2.2021). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 5.2.2021). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).
Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Laut anderer Quelle liegt die Grenze bei 50 Kilogramm 'traditioneller Drogen' (AA 5.2.2021). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 3.3.2021). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 5.2.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021).
Todesstrafen für Frauen und Mädchen liegen oft Morde an ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021).
Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021, US DOS 30.3.2021). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom 'Geschädigten' gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021
AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.amnesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf , Zugriff 30.4.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-2.pdf, Zugriff 7.5.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 13.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 26.11.2021
1.3.1.15. Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 22.12.2021
In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen' (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als 'mohareb' (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 3.2021). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 5.2.2021). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 3.2019) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 3.3.2021). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Open Doors 2021). Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha'i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 7.4.2021).
Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021).
Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 18.12.2020
BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 17.4.2020
CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-1.pdf, Zugriff 7.5.2021
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021
IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020
Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021
CHRISTEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 23.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als christlich anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021, BAMF 3.2019, IRB 9.3.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 5.2.2021).
Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 23.5.2018; vgl. BAMF 3.2019, FH 3.3.2021). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 12.5.2021; vgl. IRB 9.3.2021).
Grundrechtlich besteht 'Kultusfreiheit' innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von anders Gläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BAMF 3.2019, BFA 23.5.2018, Open Doors 2021). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 23.5.2018; vgl. ÖB Teheran 11.2021), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ('Hauskirchen') oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 23.5.2018; vgl. Open Doors 2021). Im Weltverfolgungsindex 2021 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem achten Platz (2020: Platz 9). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Im Berichtszeitraum ist die Zahl der verhafteten Christen des Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr (169) gesunken. Es gab keine breit angelegte Verhaftungswelle, auch wenn es im Juni 2020 eine Razzia gab. Eine genaue Zahl wird im Bericht nicht genannt (Open Doors 2021). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt (AI 7.4.2021; vgl. CSW 3.2021). Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert waren (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 5.2.2021).
Mohabat News und Open Doors berichten von anhaltenden Razzien in Kirchengemeinden, insbesondere Hauskirchen, Konfiszierungen von Bibeln und christlichen Materialien und der Verhaftung vieler Christen muslimischer Herkunft, aber auch traditioneller Christen wie Armeniern und Assyrern. Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig 'aussterben'. Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 5.2.2021).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben (BFA 23.5.2018). Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 23.5.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
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BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021
BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (23.5.2018): Analyse Iran – Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 20.4.2020
CSW - Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-2.pdf, Zugriff 7.5.2021
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran,https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021
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IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 16.12.2020
Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran , Zugriff 19.1.2021
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021
APOSTASIE, KONVERSION ZUM CHRISTENTUM, PROSELYTISMUS, HAUSKIRCHEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel 'mohareb' ('Waffenaufnahme gegen Gott'), 'mofsid-fil-arz/fisad-al-arz' ('Verdorbenheit auf Erden'), 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018), 'Organisation von Hauskirchen' und 'Beleidigung des Heiligen', wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 5.2.2021). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige 'offizielle' Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt (AA 12.1.2019).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 5.2.2021; vgl. Open Doors 2021). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich 'konvertierte' Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die Versammlung in – meist evangelischen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden 'kontrolliert', de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der 'Assembly of God'-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind (DIS/DRC 23.2.2018). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 7.4.2021).
Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, CSW 3.2021). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie 'Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen', 'Verbreitung vom zionistischen Christentum' und 'Gefährdung der inneren Sicherheit' zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden (ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist die Zahl der verhafteten Christen laut Weltverfolgungsindex 2021 im Gegensatz zum Vorjahr gesunken. Der Rückgang der Zahl der Verhaftungen ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die iranischen Sicherheitsdienste Ende 2019 alle Hände voll zu tun hatten, die Proteste im Land zum Schweigen zu bringen. Darauf folgte die Coronakrise, welche die Regierung auf andere Weise beschäftigte. Allerdings wurden im Berichtszeitraum des Weltverfolgungsindex 2021 mehr Christen zu Gefängnisstrafen verurteilt als im Vorjahr. Teilweise müssen inhaftierte Christen Hypotheken aufnehmen, um die hohen Kautionszahlungen für ihre Entlassung aufbringen zu können. Weil sie befürchten, dass ein Gerichtsurteil zu einer langen Gefängnisstrafe führt, fliehen viele iranische Christen nach ihrer vorläufigen Entlassung aus dem Land, wobei sie ihre Kaution und somit häufig auch ihren Grundbesitz verlieren (Open Doors 2021).
Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen 'Verbrechen gegen Gott' angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch 'low-profile' Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).
Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).
Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2021 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (Open Doors 2021).
Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der 'Katholischen Jerusalem Bibel' ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den 'Katechismus der Katholischen Kirche' ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 20.4.2020
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.1.2021
CSW – Christian Solidarity Worldwide (3.2021): Iran: General Briefing, file:///tmp/mozilla_sl52920/iran---march-2021-3.pdf, Zugriff 7.5.2021
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Councile (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 20.4.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 7.5.2021
IRB – Immigration and Refugee Board [Kanada] (9.3.2021): Iran: Situation and treatment of Christians by society and the authorities (2017–February 2021) [IRN200458.E], https://www.ecoi.net/de/dokument/2048913.html , Zugriff 7.5.2021
Landinfo [Norwegen] (16.10.2019): Iran: Kristne konvertitter – en oppdatering om arrestasjoner og straffeforfølgelse, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019853/Respons-Iran-Kristne-konvertitter-en-oppdatering-om-arrestasjoner-og-straffeforf%C3%B8lgelse-AVA-16102019.pdf , Zugriff 5.1.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 7.1.2021
Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf , Zugriff 7.5.2021
UK HO – UK Home Office [Großbritannien] (2.2020): Country Policy and Information Note Iran: Christians and Christian converts, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/868800/Iran_-_Christians-Converts_-_CPIN_-_v6.0_-_Feb_2020_-_EXT_PDF.pdf , Zugriff 7.5.2021
US DOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021
BAHA‘I
Letzte Änderung: 22.12.2021
Baha'í gelten als Abtrünnige und nicht als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Sie sind die am meisten verfolgte religiöse Gruppe, ihre etwa 300.000 Anhänger werden systematisch verfolgt, weil sie Propheten nach Mohammed akzeptieren. Dazu kommt, dass die Baha‘i wegen des Bestehens ihrer Zentrale in Haifa/Israel von offizieller iranischer Seite besonders misstrauisch beobachtet und oft als israelische Spione angesehen werden. Es gibt häufig Berichte über Verhaftungen von Baha‘i (ÖB Teheran 11.2021). Baha‘i sind wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Sie sind vom Pensions- und Sozialversicherungssystem ausgeschlossen, Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation, und Gewerbescheine werden unter Hinweis auf die Baha‘i-Zugehörigkeit verweigert (AA 5.2.2021). Die Behörden können die Schließung von Unternehmen im Besitz von Baha’i anordnen und Vermögen von Anhängern der Glaubensgemeinschaft beschlagnahmen (AI 7.4.2021). Auch bekommen sie keine Personalpapiere ausgehändigt und sind vollkommen staatlicher Willkür ausgeliefert (GIZ 12.2020c). Ebenso ist ihnen der Zugang zu höherer Bildung nicht möglich (AA 5.2.2021; vgl. AI 7.4.2021, BS 2020, FH 3.3.2021, US DOS 30.3.2021), da Baha‘i-Studenten der Zugang zu Universitäten verwehrt wird (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Auch Jobs im öffentlichen Sektor sind für sie nicht zugänglich (BS 2020; vgl. AI 7.4.2021). Nach Angaben eines Baha‘i-Vertreters werden auf lokaler Ebene Unterrichtseinheiten vom BIHE (Baha’i Institute of Higher Education, 2011 für illegal erklärt) abgehalten. Damit gehen zum einen erhebliche Risiken für Studenten und Dozenten einher und zum anderen werden auf diese Weise erlangte Abschlüsse nicht anerkannt (AA 5.2.2021). Die Führungsriege der Baha‘i-Gemeinde in Iran sowie die Leitung der Untergrunduniversität BIHE wurden nach Gefängnisstrafen Anfang 2018 freigelassen. Die Hoffnung nach einem Gerichtsurteil im Jänner 2019, wonach Iranisches Recht das Baha'itum nicht kriminalisiert und Proselytismus nicht unter den Straftatbestand Propaganda gegen den Staat subsumierbar sei, wurden enttäuscht (ÖB Teheran 11.2021).
Die iranische Regierung setzt die systematische Unterdrückung der Baha'i fort (USCIRF 4.2021). Insbesondere die Streichung der Option 'andere Religionen' vom Antragsformular für ID-Karten Anfang 2020 setzt die Baha‘i unter Druck (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Es kann nur noch eine der in der Verfassung anerkannten Religionen - also Islam, Christentum, Judentum oder Zoroastrismus - angegeben werden (AA 5.2.2021). Dadurch werden die Baha'i gezwungen, entweder nicht wahrheitsgemäß das Formular auszufüllen (was ihnen ihre Religion verbietet) oder harte Einschränkungen in Kauf zu nehmen (ÖB Teheran 11.2021). Baha'i können dann kein Darlehen beantragen, keinen Scheck einlösen und auch kein Grundstück kaufen (AA 5.2.2021). Auch 2020 gab es Razzien inklusive Beschlagnahmungen gegen Baha'i (HRC 11.1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Zerstörungen und Beschlagnahmungen von Eigentum der religiösen Minderheit der Baha'i gehen weiterhin vonstatten, einschließlich einer Reihe von Gerichtsverfahren, in denen ihr Eigentum als 'unrechtmäßig' eingestuft wurde. Razzien gegen Baha'i passieren auf Grundlage des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer 'verdorbenen Sekte' und 'Handlungen gegen die nationale Sicherheit' (HRC 14.5.2021). Derzeit sind nach Angaben der International Baha'i Community 78 Baha'i aus Glaubensgründen in iranischen Gefängnissen in Haft (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 30.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.12.2020
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 6.12.2021
HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052971/Iran+Chapter+AR2021.pdf Zugriff 18.6.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.12.2021
SUNNITEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Die meisten Sunniten in Iran sind Kurden, Turkmenen, Araber oder Belutschen, die in den Randprovinzen des Landes leben (Qantara.de 11.1.2016) - vor allem im Südwesten nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern (ÖB Teheran 10.2020).
In den sunnitischen Siedlungsgebieten im Westen und Südosten Irans ist die Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich (AA 5.2.2021). Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben, sie werden jedoch vielfach benachteiligt (ÖB Teheran 11.2021). Sunniten sehen sich vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt (GIZ 12.2020c; vgl. HRW 13.1.2021) und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 12.2020c). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen (FH 3.3.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021, BS 2020, AI 7.4.2021) und Probleme hätten, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 3.3.2021; vgl. BS 2020), da solche wichtige politische Ämter ausschließlich schiitischen Muslimen offenstehen (AI 7.4.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Sunnitische Geistliche werden immer wieder verhaftet. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum radikalen Salafismus. Die Machtübernahme der radikal-sunnitischen Taliban in Afghanistan hat die Ängste in Iran vor einem Überschwappen des dortigen anti-schiitischen Terrors – v.a. seitens Al-Qaida und des sogenannten 'Islamischen Staates' – und mögliche Spannungen zwischen sunnitischer Minderheit und der Mehrheitsbevölkerung bekräftigt (ÖB Teheran 11.2021).
Sunniten werden mitunter sowohl aufgrund ihrer religiösen wie auch ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, da viele kurdischer oder arabischer Volkszugehörigkeit sind (AA 5.2.2021). Dabei spielt bei der Ausgrenzung von Sunniten oft weniger die islamische Konfession als die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle. In den Siedlungsgebieten der Sunniten gibt es starke Autonomiebewegungen, gegen die die Zentralregierung in Teheran vorgeht. Angehörige der ethnischen Minderheiten haben deshalb auch schlechteren Zugang zu Wasser, Wohnraum, Arbeit oder Bildung. Sunnitentum, ethnische Zugehörigkeit und Autonomiebestrebungen vermischen sich in der staatlichen Wahrnehmung. Im Jahr 2015 wurde erstmals ein Sunnit zum Botschafter des Iran ernannt (Qantara.de 11.1.2016).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 30.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020
Qantara.de (11.1.2016): Muslime zweiter Klasse, https://de.qantara.de/inhalt/sunniten-im-iran-muslime-zweiter-klasse , Zugriff 22.4.2020
DERWISCH-ORDEN/SUFIS
Letzte Änderung: 22.12.2021
Schwere Repressionen erleben auch Mitglieder der Derwisch-Gemeinschaft (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021). Obwohl der Gonabadi-Orden (größter Sufi-Orden im Iran) zur Schia zählt, werden seine Mitglieder regelmäßig verfolgt und verhaftet, da sie jede Form des politischen Islams ablehnen und somit das Prinzip, auf dem die Islamische Republik Iran beruht, nicht anerkennen (AA 5.2.2021).
Ihre Gemeinden sehen sich verschiedenen Arten von Diskriminierung und Angriffen (auch auf ihr Eigentum), willkürlichen Festnahmen und Dämonisierung (u.a. im staatlichen Fernsehen) ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). So werden Sufis etwa in iranischen Medien gelegentlich als Teufelsanbeter und Satanisten stigmatisiert (AA 5.2.2021). Auch kommt es immer wieder zur Zerstörung ihrer Gotteshäuser (FH 3.3.2021) sowie zu Inhaftierungen (FH 3.3.2021; vgl. AI 7.4.2021). Als Gründe für die Inhaftierungen werden unter anderem die Störung der öffentlichen Ordnung, Verbreitung von systemfeindlicher Propaganda, Handlungen gegen die Nationale Sicherheit, Mitgliedschaft in illegalen Gruppierungen und die Beleidigung des Obersten Führers genannt (ÖB Teheran 11.2021). Im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt werden sie systematisch diskriminiert (AI 7.4.2021).
Nach gewalttätigen Protesten von Gonabadi-Derwischen im Februar 2018, bei denen fünf Sicherheitskräfte ums Leben kamen, wurden über 200 Derwische zu Haft und teilweise körperlicher Züchtigung verurteilt, ein Derwisch wurde nach einem unfairen Prozess und einem Zwangsgeständnis zum Tode verurteilt und hingerichtet (ÖB Teheran 11.2021). Im November 2020 wurden 25 Gonabadi-Derwische begnadigt, trotzdem sind noch immer viele Derwische in Haft (HRC 11.1.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Seither ist es um diese Gemeinschaft öffentlich ruhig geworden, allenfalls noch aktive Mitglieder der Gemeinschaft dürften starke Selbstzensur üben (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 6.12.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (11.1.2021): Report of the Secretary-General on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/46/50], https://undocs.org/en/A/hrc/46/50 , Zugriff 30.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
AHL-E HAQQ/YAR(E)SAN
Letzte Änderung: 01.07.2021
Die Regierung betrachtet Yaresan oft als schiitische Muslime, die Sufismus praktizieren, aber die Yaresan betrachten ihre Religion als einen eigenständigen Glauben (bekannt als Ahl-e-Haqq oder Kaka'i). Yaresan können sich auch als Schiiten registrieren, um Regierungsdienste zu erhalten (USDOS 12.5.2021).
In Iran gibt es zwei Zweige der Yaresan (auch Ahl-e Haqq genannt). Die sogenannten Modernisten/Reformisten und die Traditionalisten. Die Modernisten deklarieren sich selbst als schiitische Muslime und werden auch von den Behörden akzeptiert. Diese Gruppe besteht hauptsächlich aus gut ausgebildeten Städtern. Ihre Glaubensvorstellungen beruhen vor allem auf den Lehren von Hajj Ne’matollah Jayhunabadi (1871-1920), seinem Sohn Nur Ali Elahi (1895-1974) und dessen Sohn Bahram Elahi (1931-). Jayhunabadi behauptete, dass Yaresan Muslime seien und führte den Yari Glauben mit dem Schiismus zusammen. Er öffnete die Religion auch für nicht als Yaresan geborene Personen. Viele Personen wurden zu seinen Anhängern, vor allem im Bereich in und um Sahneh [Stadt und gleichnamiger Bezirk in der Provinz Kermanschah]. Diese Gruppe wird auch als Elahi-Zweig bzw. Elahi-Anhänger bezeichnet. Die Traditionalisten sehen sich selbst als Nicht-Muslime und kommen eher aus dem ländlichen Bereich, vor allem aus dem Bezirk Guran in Kermanschah. Ca. eine halbe Million Yaresan leben dort. Diese Gruppierung war schon immer geschlossen für Nicht-Yaresan. Die Traditionalisten werden von iranischen Behörden als „Teufelsanbeter“ verunglimpft. Weitere Gruppen von Yaresan leben in anderen Gebieten des Iran, wie z.B. West-Aserbaidschan, Lorestan, Teheran, Hamadan, Kelardascht, Karadsch und Saveh. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Yaresan es gibt. Schätzungen differieren zwischen einer und vier Millionen. Ursprünglich kommen die Yaresan aus dem Gebiet um Guran, im westlichen Teil von Kermanschah. Aufgrund ihres intellektuellen Hintergrunds hat es den Anschein, dass es mehr Modernisten gibt, tatsächlich dürfte aber die Anzahl der Traditionalisten höher sein. Außerhalb ihres Heimes agieren Yaresan als Muslime, ansonsten könnten sie eventuell Probleme mit den Behörden bekommen. Auch der Zugang zu Bildung und Arbeit im Öffentlichen Dienst wird dadurch erleichtert. In Bezug auf Konsequenzen für Yaresan, die sich öffentlich über ihren Glauben äußern und ihn als nicht-muslimisch bezeichnen, wird davon ausgegangen, dass die Gruppe nicht als Ganzes von den Behörden ins Visier genommen wird und systematisch belästigt und inhaftiert wird, nur aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist. Repressionen und Verfolgung basieren auf individuellen Fällen, beispielsweise erfahren ein Leiter einer Gemeinschaft oder andere profilierte Personen Druck durch die Behörden. Es gab in den letzten Jahren einige Fälle von Schikane und Misshandlungen. Es werden von Zeit zu Zeit Maßnahmen gegen Yaresan-Gemeinden eingeleitet, ähnlich wie gegen die Sufi-Orden. Es ist jedoch schwer zu sagen, ob einzelne Yaresan aufgrund ihrer Religion oder wegen politischer Gründe verfolgt werden. Da viele Yaresan Kurden sind, kann eine etwaige Verfolgung auch deshalb vonstatten gehen. Das öffentliche Bekunden der kurdischen Identität ist ein sensibles Thema in Iran. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Umgang der Behörden mit religiösen und ethnischen Minderheiten nicht statisch ist. Momentan versucht die iranische Regierung eher weniger harsch damit umzugehen. Es gibt auch einen Anstieg des Interesses von jungen Yaresan an der eigenen Religion. Besonderes Interesse besteht an Textmaterial über die traditionelle Version des Yari-Glaubens. Solche Texte werden in Iran als illegal angesehen, währenddessen Texte des Elahi-Zweiges (Modernisten) als legal angesehen werden, und diese Texte sind auch schon einige Male nachgedruckt worden. Yaresan, die öffentlich und aktiv ihre Yari-Identität und Religion bekunden, ziehen das Interesse der Behörden auf sich. Obwohl es Yaresan aufgrund ihres Glaubens verboten ist, in Bezug auf ihren Glauben zu lügen, sah sich der Großteil der Yaresan dazu gezwungen, um Problemen mit den Behörden aus dem Weg zu gehen. Personen, die religiös und/oder politisch aktiv sind und beispielsweise in Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, setzen sich der Gefahr aus, festgenommen und befragt zu werden. Normalerweise würde der Person befohlen, entweder die Aktivitäten einzustellen oder anderenfalls eine Haftstrafe abzubüßen. Auch Anhänger des Elahi-Zweiges erfahren mitunter Repression und Misshandlung durch die Behörden. Von Zeit zu Zeit werden sie Opfer von Razzien, und manchmal werden Anführer inhaftiert (DIS 6.4.2017).
Berichtet werden in Bezug auf die Yaresan/Ahl-e Haqq Fälle von Diskriminierung, Drohungen, Angriffen auf gemeinsames Eigentum und willkürliche Festnahmen (ÖB Teheran 10.2020). Sie werden weiterhin aufgrund der friedlichen Ausübung ihres Glaubens diskriminiert und strafrechtlich verfolgt (AI 7.4.2021). Ihnen wird der Bau von Gotteshäusern, der Zugang zu Bildung und Posten im öffentlichen Dienst verweigert, wenn sie sich nicht als Angehörige einer der anerkannten Religionen deklarieren. Ebenso ist es ihnen nicht erlaubt, religiöse Zeremonien in der Öffentlichkeit abzuhalten. Yaresan sind weiterhin einer Reihe von Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, darunter Angriffe auf Mausoleen oder auch die Zerstörung ihrer Friedhöfe. Yarsani-Männer, erkennbar an ihren besonderen Schnurrbärten, sind weiterhin Diskriminierungen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Berichten zufolge fördern schiitische Prediger weiterhin die soziale Diskriminierung von Yarsanis (USDOS 12.5.2021).
Quellen:
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 7.5.2021
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (6.4.2017): IRAN: The Yaresan, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1494231887_notatyaresan6april2017docx.pdf , Zugriff 22.4.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf , Zugriff 29.12.2020
USDOS – US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2051587.html , Zugriff 18.6.2021
1.3.1.16. Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 22.12.2021
Iran gehört mit über 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Das Bevölkerungswachstum beträgt etwa 1,1 %. Dabei ist die iranische Gesellschaft viel heterogener, als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51 % der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24 % der Gesamtbevölkerung, etwa 8 % Gilakis und Mazanderanis, 7 % Kurden, 3 % Araber und je etwa 2 % Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten Irans leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf. (GIZ 12.2020c).
Der Vielvölkerstaat Iran verfolgt gegenüber ethnischen Minderheiten grundsätzlich eine auf Ausgleich bedachte Politik, v.a. die Aseri sind in Staat und Wirtschaft sehr gut integriert (AA 5.2.2021). Überwiegend leben die Minderheiten allerdings in den ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021) und die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, ist zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015; vgl. AA 5.2.2021, FH 3.3.2021, AI 7.4.2021, ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Iran ist weiterhin ein Problem, betroffen sind v.a. Kurden, Araber, Belutschen, Aseris und Turkmenen. Die strukturelle Diskriminierung dieser Gruppen äußert sich im Alltag auch mit dem Verbot ihrer Muttersprache im Unterricht und vor Behörden (nur Farsi erlaubt) und im Verbot des Zugangs zu höheren politischen Ämtern (schiitischen Männern vorbehalten). Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen können bedroht, festgenommen und bestraft werden. Unabhängig von der Art der ihnen vorgeworfenen Straftat werden Angehörige ethnischer Minderheiten öfter zum Tode verurteilt, gefoltert und verbringen mehr Zeit in Untersuchungshaft (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 30.4.2021
BMI – Bundesministerium für Inneres [Österreich] / Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf , Zugriff 4.6.2019
DW - Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.com/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 30.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.4.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
KURDEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Die Kurden (überwiegend Sunniten) sind hinsichtlich ihrer kulturellen Eigenständigkeit staatlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch werden sie in größerer Zahl in hohe Ämter der Provinzverwaltungen und zunehmend auch in der Ministerialbürokratie berufen (so gibt es eine kurdischstämmige Vize-Innenministerin). Der iranische Staatsrundfunk sendet stundenweise kurdischsprachige Sendungen auf dem Regionalsender IRIB Kurdistan. In der Verfassung vorgesehener Schulunterricht sowie Studiengänge in kurdischer Sprache sind seit einem Erlass von Rohani im Jahr 2016 rechtlich möglich. Es ist jedoch nicht nachprüfbar, in welchem Umfang Unterricht an Schulen und Universitäten tatsächlich angeboten wird, da er nicht aktiv vom iranischen Staat gefördert wird (5.2.2021). Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Kurden ein (HRW 13.1.2021). Problematisch sind vor allem kulturelle Aktivitäten, die politisch werden (DIS/DRC 23.2.2018). Zahlreiche Kurden werden willkürlich inhaftiert, darunter auch Menschenrechtsaktivisten, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzten (AI 7.4.2021). Alleine zwischen 9. und 24.1.2021 wurden 57 kurdische Zivilisten und Aktivisten willkürlich und ohne Gerichtsbeschluss festgenommen (KHRN 25.1.2021). Auch im Jahr 2020 schossen iranische Grenzschützer weiterhin rechtswidrig auf zahlreiche unbewaffnete kurdische Männer, die als Träger (kulbar) arbeiteten und Lasten aus den kurdischen Regionen diesseits und jenseits der iranisch-irakischen Grenze hin- und hertransportierten. Nach Angaben kurdischer Menschenrechtsorganisationen wurden mindestens 40 Männer getötet und zahlreiche weitere verletzt (AI 7.4.2021).
Die kurdische Region Irans ist militarisiert und die iranische Regierung überwacht die kurdische Bevölkerung durch regelmäßige Checkpoints ebenso wie durch die Nutzung von Telekommunikation und sozialen Medien. Die iranische Regierung sieht jede Art von politischem oder zivilem Aktivismus als potenzielle Bedrohung an, insofern können sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Aktivisten von Verfolgung bedroht sein (DIS 7.2.2020). Seit dem Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden im September 2017 wurde die Präsenz von Militär und Revolutionsgarden in Gebieten mit überwiegend kurdischem Bevölkerungsanteil deutlich erhöht (AA 5.2.2021; vgl. DIS 7.2.2020) und einige Mitglieder der lokalen Bevölkerung arbeiten als Informanten für die iranischen Behörden (DIS 7.2.2020). Die militärische und geheimdienstliche Präsenz ist nicht immer sichtbar. Die Überwachung in diesem Gebiet ist nicht systematisch, aber strukturiert und auch nicht zufällig, sondern gezielt (DIS/DRC 23.2.2018).
Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet (AA 5.2.2021; vgl. DIS 7.2.2020). Unter den politisch Verfolgten sind daher verhältnismäßig viele Kurden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018, Landinfo 19.5.2020). Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK (partiya jiyana azad a kurdistane - Partei für ein freies Leben in Kurdistan, Schwesterorganisation der PKK in Iran), der kommunistischen Komala-Partei, oder der KDP-Iran – und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die meisten werden wegen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit angeklagt. Kurden machen auch einen überproportionalen Anteil der zum Tode verurteilten und hingerichteten Personen aus (Landinfo 18.12.2020; vgl. AA 5.2.2021). Darüber hinaus häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen (ÖB Teheran 11.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018, HRC 14.5.2021). Den Menschen dieser Regionen bleibt aufgrund der dortigen Unterentwicklung oftmals keine andere Wahl, als zu schmuggeln (ÖB Teheran 11.2021).
KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018).
Anfang des Jahres 2021 wurden ca. 100 Kurden willkürlich verhaftet. Es handelte sich bei den Verhafteten um zivilgesellschaftliche und Arbeitsrechtsaktivisten, um Umweltschützer, Autoren, Studenten, aber auch um Personen, die sich politisch gar nicht betätigt haben. Die Angehörigen der Verhafteten sind über deren Aufenthaltsort offenbar nicht informiert worden. Die Beweggründe der Behörden sind unklar. Die iranischen Behörden haben nicht erklärt, warum sie gegen eine so große Gruppe von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund vorgegangen sind. Ungefähr die Hälfte derer, die ins Visier genommen wurden, sollen keine Verbindung zu irgendwelchen Medien, politischen Organisationen oder zivilgesellschaftlichen Gruppen gehabt haben. Viele der nun Verhafteten haben offenbar an einer Versammlung teilgenommen oder ein Kommentar in den sozialen Medien verfasst (DW 6.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 3.5.2021
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark] /Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf , Zugriff 14.5.2020
DW – Deutsche Welle (6.2.2021): Kurden verstärkt im Visier Teherans, https://www.dw.com/de/kurden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 30.11.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 29.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 25.1.2021
KHRN – Kurdistan Human Rights Network (25.1.2021): Iran forces arbitrarily detain Kurdish civilians, activists, https://kurdistanhumanrights.org/en/iran-forces-arbitrarily-detain-kurdish-civilians-activists/ , Zugriff 27.1.2021
Landinfo [Norwegen] (18.12.2020): Det iransk-kurdiske partiet PJAK, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043154/Iran-temanotat-PJAK-18122020.pdf , Zugriff 26.1.2021
Landinfo [Norwegen] (19.5.2020): Kurdistan Democratic Party – Iran (KDP-I), https://coi.easo.europa.eu/administration/norway/PLib/Temanotat_Iran_KDP-I_19052020.pdf , Zugriff 25.1.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
ARABER
Letzte Änderung: 22.12.2021
Ahwazi-Araber (nach Schätzungen rund zwei Millionen) sind mehrheitlich sunnitischen Glaubens und bewohnen die an Erdölvorkommen reiche Grenzregion zu Irak und Kuwait. Mangels Unterricht in der Muttersprache sind viele Araber Analphabeten. Es herrscht unter der arabischen Minderheit eine hohe Armutsrate (ÖB Teheran 11.2021) und es mangelt häufig an Wasser- und Stromversorgung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 7.4.2021). Menschenrechtsorganisationen sehen Benachteiligungen im beruflichen und schulischen Umfeld, die zu wirtschaftlicher, politischer, sozialer und kultureller Ausgrenzung der arabischen Minderheit führen. Darüber hinaus leidet sie unter wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und an Umweltschäden (Verschmutzung, Staubstürme), für die sie eine Vernachlässigung ihres Siedlungsgebietes (v.a. Provinz Khuzestan) durch die Zentralregierung verantwortlich macht (AA 5.2.2021). Arabische Ahwazi beklagen zudem, dass die Behörden Ausdrucksformen der arabischen Kultur, wie traditionelle Kleidung oder Dichtkunst unterdrücken (AI 7.4.2021).
Die Regierung schränkt kulturelle und politische Aktivitäten der Araber ein (HRW 13.1.2021), jedoch wurden einige lokale Clanführer in Khuzestan und anderen Gegenden, wo Ahwazi-Araber leben, in lokale Räte gewählt, wo sie auch sehr unverblümt sprechen. Ins Visier der Behörden können Ahwazi-Araber geraten, wenn sie Journalisten oder politische Aktivisten sind, die sich für Minderheitenrechte einsetzen (DIS/DRC 23.2.2018). Aufgrund der staatlichen Repression und gesellschaftlicher Benachteiligung setzen sich verschiedene separatistische Gruppierungen auch gewaltsam für eine Abspaltung ein, so u.a. die von der Regierung als terroristische Organisation geführte „Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz“ (ASMLA) in der Region Khuzestan (AA 5.2.2021).
Es gibt Berichte über die Vertreibung von Arabern von ihren Grundstücken aufgrund staatlicher Entwicklungsprojekte. Araber werden unverhältnismäßig häufig wegen unklar definierten Anschuldigungen (etwa wegen 'mohareb' und 'mofsid-fil-arz') zu sehr hohen Strafen verurteilt. Nach dem terroristischen Angriff in Ahwaz im September 2018 mit 30 Toten wurden offiziell 22 Personen aus dem Umfeld der Untergrundorganisation 'Al-Ahvaziya' festgenommen, die Opposition hat von bis zu 800 Festnahmen berichtet. Derartige Benachteiligung lag auch den 'Wasserprotesten' im Juli 2021 in der v.a. von Arabern bewohnten Provinz Khuzestan zugrunde, in der ehemaligen Sümpfe, welche den Wasserbüffel-Bauern die Lebensgrundlage boten, aufgrund von Wasserumleitungen, Misswirtschaft und Klimakrise austrockneten. Nachdem zwölf Menschen umgekommen waren, wurden die Protestierenden mit Versprechungen (Rückleitung von Wasser aus anderen Provinzen) beruhigt. Allerdings kam es bereits in den Vorjahren im Sommer zu Unruhen aufgrund von Wassermangel. Immer mehr Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, und es wurden keine Maßnahmen gesetzt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 22.4.2020
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
BELUTSCHEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Die rund 1,5 Mio. sunnitischen Belutschen leben in unterentwickelten Gebieten im Südosten an der Grenze zu Pakistan und Afghanistan (ÖB Teheran 11.2021). Sie zählen zu den ärmsten Minderheiten und leben in einer von Gewalt und Drogenschmuggelkriminalität geplagten Provinz im Grenzgebiet zu Pakistan. Hinweise auf staatliche Repressionen beruhend auf ihrer ethnischen Zugehörigkeit liegen nicht vor, die Todesstrafe wird jedoch häufig gegen Belutschen verhängt (AA 5.2.2021). In der verarmten Provinz Sistan und Belutschistan ist die entsprechende Infrastruktur dermaßen schlecht, dass vielen belutschischen Dorfbewohnern de facto ihr Recht auf ausreichendes, gut zugängliches und sicheres Trinkwasser verwehrt wird. Sie müssen sich Trinkwasser und Wasser für den Hausgebrauch aus unsicheren Quellen holen, wie Flüssen, Brunnen, Teichen und Gruben, in denen es Krokodile gibt. Mehrere Menschen ertranken beim Wasserholen. In einigen Fällen erklärten die lokalen Behörden, die Opfer seien selbst schuld an ihrem Tod, weil sie nicht vorsichtig genug gewesen seien. Zudem mangelt es in der Provinz an Stromversorgung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen, weil der Staat nicht genug investiert (AI 7.4.2021).
Kulturelle und politische Aktivitäten der Belutschen werden durch die Regierung eingeschränkt (HRW 13.1.2021), und sie sind von willkürlicher Inhaftierung bedroht (AI 7.4.2021). Regelmäßig wird auch in dieser Region von tödlichen Zusammenstößen von Sicherheitskräften mit vermeintlichen Schmugglern, Drogenkurieren oder Terroristen berichtet. Den Belutschen bleibt mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten oftmals keine andere Wahl als der Schmuggel zum Überleben (ÖB Teheran 11.2021). Eine unverhältnismäßig große Anzahl der im Rahmen der Todesstrafe Hingerichteten gehört neben der kurdischen auch der belutschischen Minderheit in Iran an (AI 7.4.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 29.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 4.5.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran,https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 4.5.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
1.3.1.17. Relevante Bevölkerungsgruppen
FRAUEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen schlicht unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen (GIZ 12.2020c).
Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 12.2020c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 5.2.2021).
Iran hat die 'Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau' als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2020 des World Economic Forum liegt Iran an Stelle 148 von 153 (WEF 2020; vgl. AA 5.2.2021). Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 5.2.2021; vgl. BAMF 7.2020). Es ist hier anzumerken, dass es sehr wohl einige Richterinnen - insbesondere an Familiengerichten - gibt. Ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten. Sie dürfen unter der Aufsicht eines männlichen Richters lediglich beratend tätig werden (BAMF 7.2020). 4% aller politischen Ämter in Iran sind von Frauen besetzt. 15% aller Abgeordneten im nationalen Parlament in Teheran (majles-e shura-ye eslami) sind Frauen. Es wurde zwar eine Anhebung auf 30% angestrebt, dieses Vorhaben wurde jedoch durch eine Mehrheit der Parlamentarier abgelehnt. Frauen steht auch das Amt einer Botschafterin offen (BAMF 7.2020).
Die Erwerbsquote von Frauen liegt nur bei etwa 12%. Viele Frauen sind im informellen Sektor tätig (BS 2020). Zusätzlich sind Frauen seit dem Beginn der Coronakrise stärker als Männer vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen. Da Arbeitgeber durch die Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten sind, versuchen diese, den ausbleibenden Umsatz durch eine Reduzierung der Lohnzahlungen auszugleichen. Am stärksten davon, aber auch vom Verlust des Arbeitsplatzes, betroffen sind die Lohnzahlungen von Frauen (BAMF 7.2020). Laut offiziellen Daten wurden aufgrund der Corona-Krise binnen eines Jahres eine Million Frauen zusätzlich arbeitslos. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei 20,8% (1,11 Millionen). Unter Frauen mit höherer Bildung liegt sie noch deutlich höher. Nachholbedarf besteht weiterhin im Bereich der Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, allerdings ist der Spielraum der Regierung beschränkt, da konservative Vertreter immer wieder die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie betonen. Nach einer im April 2019 veröffentlichten staatlichen Studie sind 65,9% der Arbeitslosen in Iran Frauen (AA 5.2.2021). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der Covid-Pandemie auch die US-Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).
In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 5.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 13.1.2021; vgl. FH 3.3.2021, BAMF 7.2020). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder der Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern die schriftliche Erlaubnis nicht vorliegt. Während dieses Verfahrens werden auch Unterschrift sowie personenbezogene Angaben überprüft (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (Cedoca 30.3.2020). Nach dem Zivilgesetzbuch hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 13.1.2021; vgl. BAMF 7.2020). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 5.2.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet (AA 5.2.2021; vgl. FH 3.3.2021, ÖB Teheran 11.2021) und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 3.3.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen nur die Hälfte bei Personenschäden von Frauen. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021). Weitere diskriminierende Vorschriften finden sich im Staatsangehörigkeitsrecht, internationalen Privatrecht, Arbeitsrecht sowie im Sozialversicherungsrecht (AA 5.2.2021).
Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 5.2.2021).
Laut Gesetz darf eine Jungfrau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 30.3.2021). Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren. Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021, AI 7.4.2021, BAMF 7.2020). Das gesetzliche Alter für Buben liegt bei 15 Jahren. Mit der schlechten Wirtschaftslage geht ein Anstieg des Verkaufs von Mädchen zum Kindesmissbrauch in Kinderehen einher. 2020 stieg die Rate nach offiziellen Zahlen um 10,5% auf 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren. Jüngere Mädchen werden nicht gezählt, auch wenn die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021).
Im Juni erließ der Präsident ein Dekret, mit dem eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft gesetzt wurde. Dadurch wird es iranischen Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ermöglicht, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu übertragen (US DOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Frauen müssen diese Übertragung jedoch eigens beantragen, und ihre Kinder müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung durch das Geheimdienstministerium unterziehen, während die Staatsbürgerschaft iranischer Männer automatisch an deren Kinder übertragen wird (USDOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020).
Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Ein Mann kann sich zu jedem Zeitpunkt von seiner Frau scheiden lassen. Die Möglichkeiten der Frau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, sind dagegen eingeschränkt und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Bei Schließung einer dauerhaften Ehe besteht die Möglichkeit, Regelungen vor dem Heiratsnotariat zu vereinbaren, unter denen sich die Ehefrau an ein Gericht wenden kann, um eine schriftliche Erlaubnis zur Scheidung zu erhalten (BAMF 7.2020).
Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021).
Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 5.2.2021). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (US DOS 30.3.2021). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie ist weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer 'Me-Too'-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuelle Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).
Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur 'Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie' verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet wurde. Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein. So soll der Zugang zu Abtreibungen v.a. mithilfe strafrechtlicher Drohungen weiter stark eingeschränkt werden, insbesondere dürfte bei Abtreibungen als 'mohareb' (Waffenaufnahme gegen Gott) die Todesstrafe drohen. Darüber hinaus werden der Verkauf von Verhütungsmitteln und Sterilisationen verboten, eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen wird erstellt, und religiöse Richter sollen mitentscheiden, ob einer Frau medizinische indizierte Abtreibung gewährt wird (ÖB Teheran 11.2021).
Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Das Kopftuch ist zwingend vorgeschrieben, jedoch nicht das Tragen des Tschadors. Nach einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlamentes heißen nur 13% der befragten Frauen das Tragen des Tschadors gut (BAMF 7.2020). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht. Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktionen angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018). Zahlreiche Frauen, die öffentlich ihren Schleier abnahmen und davon Fotos und Videos verbreiteten, befinden sich weiterhin in Haft und sind zu Peitschenhieben verurteilt, wie auch ihre Rechtsanwälte (ÖB Teheran 11.2021). In einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für eine Frauenrechtsaktivistin im August 2019) (AA 5.2.2021). Die Sittenpolizei und Bürgerwehren gingen auch 2020 weiterhin massiv gegen Millionen Frauen und Mädchen vor, um den Kopftuchzwang durchzusetzen, der gesetzlich vorgeschrieben ist. Mehrere Frauenrechtsverteidigerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang engagieren, befinden sich noch immer in Haft (AI 7.4.2021). Obwohl Frauen im Oktober 2019 einmalig auf Druck der FIFA erstmals ein Fußball-Länderspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert (AA 5.2.2021). Neben den Beschränkungen in Bezug auf Sportveranstaltungen gibt es solche auch bezüglich Kultur, beispielsweise ein Singverbot außer im Chor, Verbot des Tanzens, etc. Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Rad- und Motorratfahrverbot für Frauen streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 6.6.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 16.12.2020
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 17.12.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021
Kleine Zeitung (3.2.2018): Bericht: 'Besorgniserregender Widerstand gegen Kopftuch', https://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5365790/Strafen-helfen-im-Iran-nicht-mehr_Besorgniserregender-Widerstand , Zugriff 23.4.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 4.12.2020
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021
WEF – World Economic Forum (2020): Global Gender Gap Report 2020, http://www3.weforum.org/docs/WEF_GGGR_2020.pdf , Zugriff 28.12.2020
KINDER
Letzte Änderung: 22.12.2021
Iran hat das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit dem islamischen Recht) (CRC) und das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC) ratifziert (AA 5.2.2021). Nach einer Häufung von sogenannten Ehrenmorden hat das Parlament 2020 ein Gesetz verabschiedet, das den Schutz von Kindern vor Gewalttaten auch von Verwandten stärken soll. Eine seit über zehn Jahren diskutierte Ergänzung zum Kinderschutzrecht wurde im Juni 2020 verabschiedet, nachdem der Ehrenmord eines 14-jährigen Mädchens durch den eigenen Vater für viel Aufregung gesorgt hatte (AA 5.2.2021). Es enthält neue Strafen für bestimmte Handlungen, die die Sicherheit und das Wohlergehen eines Kindes beeinträchtigen, einschließlich körperlicher Schäden und der Verhinderung des Zugangs zu Bildung. Das Gesetz ermöglicht es den Behörden auch, Kinder in Situationen, die ihre Sicherheit ernsthaft gefährden, umzusiedeln (HRW 13.1.2021). Das Gesetz geht jedoch nicht auf einige der schwerwiegendsten Bedrohungen für Kinder in Iran ein, wie Kinderehen, die Verhängung der Todesstrafe (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021) und Vergewaltigung in der Ehe (AI 7.4.2021). Zwangsverheiratungen von Minderjährigen kommen vor allem in ländlichen Gebieten vor. Dies betrifft meist Mädchen und dient der finanziellen Entlastung der Familie (AA 5.2.2021). Nach dem iranischen Zivilgesetztbuch können Mädchen ab einem Alter von 13 und Buben ab einem Alter von 15 Jahren heiraten. Mit Zustimmung des Vaters – unter Umständen auch des Großvaters – und eines Richters kann eine Ehe auch vorher geschlossen werden (AA 5.2.2021; vgl. US DOS 30.3.2021, HRW 13.1.2021, ÖB Teheran 11.2021). Nach offiziellen Angaben werden jedes Jahr etwa 30.000 Mädchen unter 14 Jahren verheiratet (AI 7.4.2021). Im Jahr 2020 wurden nach offiziellen Angaben 31.379 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren verheiratet. Noch jüngere Mädchen werden nicht gezählt, da die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Eltern dürfen ihre adoptierten Kinder heiraten, sofern ein Gericht zustimmt (AA 5.2.2021).
Seit 2020 können iranische Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft übertragen (USDOS 30.3.2021; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021) [vgl. Kapitel Frauen]. Eine Geburt innerhalb der Landesgrenzen verleiht nicht die Staatsbürgerschaft, es sei denn, ein Kind wird von unbekannten Eltern geboren. Das Gesetz schreibt vor, dass alle Geburten innerhalb von 15 Tagen registriert werden müssen (US DOS 30.3.2021).
Iran ist ein Land, in dem die Bildung einen hohen Stellenwert genießt. In sporadischen Fällen gibt es bereits in Kindergärten eine Trennung nach Geschlechtern, die große Mehrzahl der Kindergärten ist jedoch nicht nach den Geschlechtern getrennt. Schulklassen werden hingegen nach Geschlechtern getrennt mit Schülern und Schülerinnen besetzt. Dies beginnt in der Grundschule und endet beim Besuch der Oberschulen (bis zur 12. Klasse) (AA 5.2.2021). Universitäten bieten mehrheitlich den gemeinsamen Zugang für Männer sowie Frauen an. Es gibt jedoch einige Universitäten in Iran, die lediglich für Männer oder Frauen zugänglich sind (BAMF 7.2020).
Obwohl der Grundschulbesuch bis zum Alter von elf Jahren für alle kostenlos und verpflichtend ist, berichten Medien und andere Quellen über eine geringere Einschulung in ländlichen Gebieten, insbesondere bei Mädchen. Nach Angaben von HRW sieht das oben erwähnte Kinderschutzgesetz finanzielle Strafen für Eltern oder Erziehungsberechtigte vor, die nicht für den Zugang ihrer Kinder zur Sekundarschulbildung sorgen. Die Sekundarschulbildung ist kostenlos. Kindern, die keinen staatlichen Ausweis besitzen, wird das Recht auf Bildung verweigert. In seinem Bericht vom Februar 2019 äußerte sich der UN-Sonderberichterstatter für Iran besorgt über den Zugang von Minderheitenkindern zur Bildung und verwies auf die hohen Grundschulabbrecherquoten bei Mädchen aus ethnischen Minderheiten, die in Grenzprovinzen leben (US DOS 30.3.2021).
Das iranische Recht verbietet Kinderarbeit bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gibt es diverse Einschränkungen (z.B. keine Schwer-/Nachtarbeit). In Familienbetrieben lässt das Gesetz allerdings auch die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren zu. In Iran arbeiten daher Millionen von Kindern. Der Staat spricht von zwei Millionen, nach inoffiziellen Schätzungen sind bis zu sieben Millionen Kinder betroffen. Die Hälfte davon ist zwischen sieben und zehn Jahren alt und ca. 85 % sind Buben. Nach offiziellen Statistiken leben über zwei Millionen Kinder in Iran auf der Straße. Viele von ihnen sind als Straßenverkäufer tätig. Politische Initiativen, Straßenkinder in ihre Familien zurückzubringen, verliefen nicht erfolgreich (AA 5.2.2021). Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangstaktiken für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Unter den Rekrutierten sollen sich Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 1.7.2021).
Verurteilte können für Verbrechen, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen haben, hingerichtet werden (FH 3.3.2021). Die Verhängung der Todesstrafe ist gegen männliche Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr, für Mädchen ab dem neunten Lebensjahr möglich (AA 5.2.2021; vgl. HRC 14.5.2021, ÖB Teheran 11.2021, BAMF 7.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 5.2.2021). Nach dem geltenden iranischen Strafgesetzbuch liegt es im Ermessen der Richter, Personen, die ihr mutmaßliches Verbrechen als Kinder begangen haben, nicht zum Tode zu verurteilen (HRW 13.1.2021; vgl. HRC 14.5.2021) [vgl. Kapitel Todesstrafe]. Im März 2021 befanden sich über 80 Kinderstraftäter in der Todeszelle (HRC 14.5.2021). In Gefängnissen sind Erwachsene und Minderjährige oftmals nicht getrennt untergebracht (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Im 'Kapitel über die Strafen' des iranischen Strafgesetzbuches finden sich detaillierte Vorschriften, wie mit Jugendlichen umzugehen ist. Bei Straftaten, die mit ta‘zir-Strafen bedroht sind, wird gegen Kinder und Jugendliche unter 15 Mondjahren eine Reihe von Erziehungsmaßnahmen verhängt, zwischen zwölf und 15 Jahren sind auch leichte Strafen möglich, wie die Ermahnung des Richters, oder eine Selbstverpflichtung keine Straftaten mehr zu begehen. Bei schweren und mittelschweren Straftaten ist die Unterbringung in einem Erziehungszentrum für drei Monate bis zu einem Jahr, unabhängig von den ebenso vorgesehenen milderen Strafen möglich (Artikel 88 iStGB). Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren werden mit Unterbringung in einer Erziehungsanstalt bestraft, die bei schweren Straftaten bis zu fünf Jahren dauern kann, bei mittelschweren und leichten Straftaten kann stattdessen eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit verhängt werden (Artikel 89 iStGB). Bei den hadd- und qisas-Delikten wird eine Person, welche die Strafmündigkeit erreicht hat, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, und das Wesen der Straftat und ihres Verbots nicht erfasst hat, oder an deren geistiger und seelischer Reife Zweifel bestehen, je nach den Umständen mit denselben Strafen wie bei ta‘zir-Delikten bestraft (Artikel 91 iStGB). Zur Feststellung derartiger Zweifel kann das Gericht das Gutachten eines Gerichtsmediziners einholen; es kann sich aber auch jedes anderen Mittels bedienen (gesetzliche Erläuterung zu Artikel 91 iStGB). Das bedeutet, dass es beispielsweise Verwandte, Nachbarn, Lehrer oder andere Personen aus dem nahen Umfeld befragen kann. Damit hat das Gericht aber einen so großen Spielraum, dass es die schweren hadd- und qisas-Strafen bei Personen unter 18 Jahren fast immer vermeiden kann. Strafverfahren unter 18-Jähriger, nach iranischem Recht handelt es sich dabei nicht um Minderjährige, werden grundsätzlich gemäß Artikel 304 der iranischen Strafprozessordnung vor einem Gericht für Kinder und Heranwachsende behandelt (BAMF 7.2020).
Das gesetzliche Mindestalter für einvernehmlichen Sex ist das gleiche wie für die Ehe, da Sex außerhalb der Ehe illegal ist. Es gibt keine speziellen Gesetze zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, da solche Straftaten entweder unter die Kategorie Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte des Ehebruchs fallen (US DOS 30.3.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz der Regierung bezüglich des Menschenhandels in Iran, insbesondere im Hinblick auf Frauen und Mädchen, werden keine Statistiken vorgelegt (NCRI 21.4.2021). Die Regierung meldete keine Strafverfolgungsmaßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, und Beamte verübten weiterhin ungestraft Delikte in Bezug auf Menschenhandel, darunter den Sexhandel mit Erwachsenen und Kindern (US DOS 1.7.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 23.11.2021
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 24.11.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.2020): Länderreport Nr. 28. Iran. Frauen - Rechtliche Stellung und gesellschaftliche Teilhabe, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_28_Iran_July-2020.pdf , Zugriff 24.11.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 24.11.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 24.11.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 23.11.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
NCRI - National Council of Resistance Iran (21.4.2021): Trafficking of Iranian Women Often Takes Place Through Three Provinces, https://women.ncr-iran.org/2021/04/21/trafficking-of-iranian-women/ , Zugriff 23.11.2021
USDOS – US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2055123.html , Zugriff 23.11.2021
USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 23.11.2021
SEXUELLE MINDERHEITEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Sexuelle Minderheiten in Iran erfahren regelmäßig Diskriminierungen, Belästigungen und Missbrauch auch durch nicht-staatliche Akteure, wie Familienmitglieder, und durch die Gesellschaft. Homosexualität gilt als Krankheit, kann als solche angezeigt werden, befreit vom Militärdienst und sperrt die Betroffenen von der Ausübung von Beamtenfunktionen aus. Aus Furcht vor Bestrafung werden Missbrauchsfälle Homosexueller nicht angezeigt (ÖB Teheran 11.2021). Über Belästigungen und Diskriminierung sexueller Minderheiten wird aufgrund der Kriminalisierung und Verborgenheit dieser Gruppen nicht ausreichend berichtet (FH 3.3.2021). Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist nicht verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Verboten ist in Iran unabhängig von der Religionsangehörigkeit jede sexuelle Beziehung, die außerhalb der heterosexuellen Ehe stattfindet, also auch homosexuelle Beziehungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 3.3.2021, GIZ 12.2020c). Auf homosexuelle Handlungen, welche auch als 'Verbrechen gegen Gott' gelten, steht offiziell Auspeitschung; sie können auch mit dem Tod bestraft werden. Dies besagen diverse Fatwas, die von beinahe allen iranischen Klerikern ausgesprochen wurden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Die Beweisanforderungen sind allerdings sehr hoch, es werden braucht vier männliche Zeugen benötigt. Bei Fällen, in denen zu wenige Zeugenaussagen vorliegen, gibt es ein Ermittlungsverbot. Zudem gibt es hohe Strafen für Falschbeschuldigungen. Bei Minderjährigen und in weniger schwerwiegenden Fällen sind Peitschenhiebe vorgesehen. Auch hierfür sind zwei männliche Zeugen erforderlich (AA 5.2.2021). Im Falle von 'Lavat' (Sodomie unter Männern) ist die vorgesehene Bestrafung die Todesstrafe für den passiven Partner, falls der Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattfand, ansonsten für den Vergewaltiger (ÖB Teheran 11.2021). Homosexuelle Handlungen zwischen Frauen werden mit bis zu 100 Peitschenhieben, bei der vierten Verurteilung mit der Todesstrafe geahndet (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Die Bestrafung von gleichgeschlechtlichen Handlungen zwischen Männern ist meist schwerwiegender als die für Frauen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Die Todesstrafe für Homosexualität wurde in den letzten Jahren nur punktuell und meist in Verbindung mit anderen Verbrechen verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der mangelnden Transparenz des Gerichtswesens lässt sich der Umfang der strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen wegen Homosexualität nicht eindeutig bestimmen (AA 5.2.2021).
In einem soziokulturell westlich beeinflussten, liberalen Umfeld werden homosexuelle Beziehungen in Einzelfällen de facto geduldet bzw. ignoriert. Seitens der westlichen Botschaften wurde in der Vergangenheit immer wieder über Wohngemeinschaften von Personen gleichen Geschlechts berichtet, die unbehelligt existieren. Aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und sozialer Ausgrenzung ist ein öffentliches 'Coming out' grundsätzlich nicht möglich (AA 5.2.2021). Lesbische Frauen aus traditionellen, armen Familien sehen sich aus sozio-ökonomischen Gründen oder vonseiten der Familie häufig gedrängt, einen Mann zu heiraten (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Transsexualität ist in Iran seit 1987 erlaubt, wird aber laut Gesetz als Geisteskrankheit definiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021). Laut einer Fatwa Ayatollah Khomeneis sind Geschlechtsumwandlungen für 'diagnostizierte Transsexuelle' erlaubt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2021, GIZ 12.2020c). Geschlechtsumwandlungen sind zulässig und entsprechende Operationen werden in voller Höhe von den Krankenversicherungen erstattet (AA 5.2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach der Operation dürfen Transgender-Personen heiraten. Die Geschlechtsumwandlungen gelten daher häufig als Weg, von der Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierungen oder Identitäten in die Legalität zu bringen (AA 5.2.2021). Nach der Umwandlung ist es möglich, das neue Geschlecht legal registrieren zu lassen (GIZ 12.2020c). Iran hat nach Thailand die höchste Rate an Geschlechtsumwandlungen weltweit (AA 5.2.2021). Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Transsexuelle unter Druck gesetzt werden, sich für ein Geschlecht zu entscheiden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 30.3.2021), um ihre sexuelle Orientierung ausleben zu können (ÖB Teheran 11.2021). Transsexuelle Personen werden häufig sozial stigmatisiert, auch im Berufsumfeld und in der eigenen Familie, sodass manche in die Prostitution gedrängt werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 6.5.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 6.5.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043504.html , Zugriff 6.5.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 6.5.2021
1.3.1.18. Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 22.12.2021
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 30.3.2021). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).
Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (4.400.000 IRR, ca. 90€). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 5.2.2021).
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 28.4.2021
1.3.1.19. Flüchtlinge
Letzte Änderung: 22.12.2021
Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet und übernimmt seit mehr als drei Jahrzehnten Verantwortung für afghanische und irakische Flüchtlinge im Land (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden arbeiten mit dem Büro von UNHCR zusammen, um afghanischen und irakischen Flüchtlingen Hilfe bereitzustellen (US DOS 30.3.2021; vgl. UNHCR 30.9.2020), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 2020). Die iranische Regierung ist über das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus in Iran gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig. UNHCR in Iran nimmt keine Asylanträge an und entscheidet nicht über Asylanträge (UNHCR 26.9.2021).
Von den Flüchtlingen stellen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit (GIZ 12.2020c). In Iran halten sich ca. 3-4,5 Millionen Afghanen auf, wobei ca. 300.000 seit Machtergreifung der Taliban Anfang August 2021 nach Iran geflohen sind (ÖB Teheran 11.2021). Einem eingeschränkten Kreis von 951.000 Amayesh-Karteninhabern, die Zugang zu Gesundheitsdiensten und zum Bildungssystem haben, stehen 1,5-2 Mio. nicht registrierte Flüchtlinge und 450.000 Afghanen mit Pass und Visum gegenüber. Die Regierung hatte im Jahr 2017 mit einer schrittweisen Ausweitung der Registrierung begonnen, die mittlerweile abgeschlossen wurde. 800.000 nicht dokumentierte Afghanen wurden erfasst, unklar ist aber noch, was für einen Status sie erhalten werden. Angesichts des anhaltenden Drucks durch die US-Wirtschaftssanktionen wird es für Iran immer schwieriger, das Engagement für die Flüchtlinge innenpolitisch zu rechtfertigen. Bislang wirkt sich dies jedoch nicht auf die Leistungen für die Flüchtlinge aus. In enger Zusammenarbeit verfolgt die Flüchtlingsbehörde BAFIA die Projekte, die internationale und lokale NGOs umsetzen, um die Verhältnisse der Flüchtlinge im Land zu verbessern (AA 5.2.2021). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021).
Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Im Jahr 2001 begann man mit den Vorregistrierungen und im Jahr 2003 wurde die erste Amayesh-Runde durchgeführt. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen. Die Amayesh-Karten haben eine begrenzte Gültigkeit und um ihren legalen Status in Iran nicht zu verlieren, müssen sich Amayesh-registrierte Personen bei jeder Registrierungsrunde, die in Iran durchgeführt wird, erneut registrieren. Der Prozess zur erneuten Registrierung ist immer noch mit Schwierigkeiten und unterschiedlichen Ausgaben verbunden, die in den unterschiedlichen Provinzen variieren können. Normalerweise geschieht die Erneuerung jedes Jahr, die Kosten liegen bei 200–300 US-Dollar für eine Familie mit fünf Personen (hierin sind die Kosten für die Arbeitserlaubnis für eine Person sowie die Provinzsteuer inkludiert). Die iranischen Behörden geben im Internet bekannt, wenn es Zeit für eine neue Amayesh-Runde ist. Sie informieren auch über andere Regeln online und erwarten, dass sich die Betroffenen auf dem Laufenden halten, was nicht immer der Fall ist. Hilfsorganisationen richten sich mit extra Information an die am meisten schutzbedürftigen Gruppen, damit sie nicht verpassen, sich erneut für eine neue Amayesh-Karte oder den Schulbesuch der Kinder zu registrieren (Lifos 10.4.2018).
Die Afghanen, die vor 2001 nach Iran gekommen sind, werden – vorausgesetzt, dass sie sich bei sämtlichen Amayesh-Registrierungen registriert haben – von den iranischen Behörden als Flüchtlinge betrachtet. Das Amayesh-System ist aber kein offenes System, was bedeutet, dass neu eingereiste Afghanen kein Asyl in Iran beantragen können. Seit 2001 werden im Prinzip keine Neuregistrierungen mehr vorgenommen. Zu den Ausnahmen gehören wenige, besonders schutzbedürftige Fälle. Kinder von Amayesh-registrierten Eltern werden registriert (Lifos 10.4.2018). Die Behörden erlauben aber auch unregistrierten afghanischen Kindern den Schulbesuch (HRW 14.5.2019; vgl. ÖB Teheran 11.2021, AA 5.2.2021). Wenn eine Person ihren Amayesh-Status infolge einer verpassten Registrierung verliert, gibt es keine Möglichkeit zur erneuten Registrierung. Amayesh-Registrierte verlieren ihren Status, wenn sie Iran verlassen, weil der Amayesh-Status keine Ausreise erlaubt (Lifos 10.4.2018).
Amayesh-registrierte Afghanen haben das Recht, eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen (Lifos 10.4.2018; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Männer im Alter von 18 bis 65 sind dazu verpflichtet, dieses in Zusammenhang mit der Amayesh-Registrierung zu tun. Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen – oft zu Hause. Der Arbeitsmarkt für Afghanen in Iran ist reguliert und Afghanen haben das Recht, in 87 verschiedenen Berufen zu arbeiten. Ein Problem für Amayesh-registrierte, ausgebildete Personen ist, dass die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt bedeuten können, dass sie nicht in dem Bereich arbeiten können, für den sie ausgebildet sind. Was den Zugang der afghanischen Bevölkerung zum Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen angeht, haben die iranischen Behörden in den letzten Jahren frühere Restriktionen verringert. In einzelnen Fällen, wo eine Amayesh-registrierte Person eine gewisse Berufskompetenz besitzt, die nicht unter die 87 erlaubten Berufe fällt, kann eine Ausnahme gestattet werden (Lifos 10.4.2018). Die meisten Flüchtlinge gehen eher minderwertigen und schlecht bezahlten Arbeiten v.a. im informellen Sektor (Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder Landwirtschaft) nach, die offiziell versicherungspflichtig sind (AA 5.2.2021).
Als Teil der Bestrebungen der iranischen Behörden, Kontrolle über die sich illegal im Land aufhaltenden Afghanen zu bekommen, wurde 2017 ein Programm zur Identifikation und Registrierung afghanischer Staatsbürger durchgeführt. Dieser sogenannte 'headcount' richtete sich zu Beginn nur auf Afghanen, wurde aber später auch auf irakische Staatsbürger im Land ausgeweitet. Bis Mitte September 2017 wurden durch dieses Programm ca. 800.000 ausländische Staatsbürger mit illegalem Aufenthalt im Land identifiziert. Hinsichtlich sich illegal im Land aufhaltender Afghanen wurde das Hauptaugenmerk in der ersten Runde auf drei besondere Kategorien gerichtet:
1. Unregistrierte Afghanen mit in die Schule gehenden Kindern;
2. Unregistrierte Afghanen, die mit Amayesh-registrierten Personen verheiratet sind;
3. Unregistrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind (Lifos 10.4.2018).
Personen aus diesen Kategorien, die eine dem Programm entsprechende Identifikation durchlaufen haben, haben einen Papierbeleg (headcount slip) erhalten, der sie bis auf Weiteres davor schützt, aus Iran deportiert zu werden. Die Möglichkeit zur Teilnahme an dem Programm wurde auf früher Amayesh-registrierte Personen oder Visumsinhaber, die ihren Status aus irgendeinem Grund verloren haben, ausgeweitet. Der Fokus der iranischen Behörden liegt darauf, den Aufenthalt der Afghanen, die sich illegal im Land befinden, zu erfassen und zu regulieren, und nicht auf Deportationen (Lifos 10.4.2018). Im November 2018 hat die Regierung erneut eine Registrierungsinitiative für in Iran legal sowie illegal arbeitende Ausländer eingeleitet. In diesem Kontext wurden zum Schuljahr 2019/2020 erneut nicht-registrierte Flüchtlingskinder in das Schulsystem aufgenommen. Derzeit werden über 130.000 sogenannte 'blue card holders' gezählt, die infolge eines Dekrets des Obersten Revolutionsführers aus dem Jahr 2015 neu eingeschrieben werden konnten, bei insgesamt 480.000 Kindern aus Flüchtlingsfamilien (auch Iraker). Neben dem Abschiebeschutz für die ganze Familie geht damit der Zugang zu einer besseren Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sowie Beratung und Gesundheitsfürsorge einher (AA 5.2.2021). Auch die Schulgebühren für Flüchtlingskinder wurden 2016 aufgehoben. Dennoch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, auch weil erschwingliche Transportmöglichkeiten zur nächsten Schule fehlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. ACCORD 5.2020), die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 USD zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021). Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Allein im Jahr 2019 schuf Iran in seinen Schulen Platz für etwa 60.000 zusätzliche afghanische Schüler. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird, aber diese Schulen wurden erst vor Kurzem offiziell anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 5.2020). Auch der Zugang zu höherer Bildung ist möglich, dafür muss jedoch der Flüchtlingsstatus aufgegeben, und ein Studentenvisum beantragt werden. Nach dem Studium besteht daher die Gefahr, keine Aufenthaltserlaubnis mehr zu erlangen. Infolgedessen beantragen viele stattdessen Asyl in Europa, um dort ihre Ausbildung fortzusetzen, obwohl sie dies lieber in Iran gemacht hätten (ÖB Teheran 11.2021).
Die Krankenversicherungsleistungen für registrierte Flüchtlinge sollen erweitert und möglichst alle Flüchtlinge in medizinische Betreuungsmaßnahmen aufgenommen werden. Dazu bedient sich die Flüchtlingsbehörde BAFIA zunehmend eines Überweisungssystems von besonders schwierigen Fällen an internationale NGOs oder den UNHCR. Dieser ist mit Gesundheitsstationen in 18 Provinzen tätig und hat mit einem zusätzlichen Versicherungsangebot innerhalb des bestehenden Salamat-System (UPHI) [Krankenversicherung] im 6. Zyklus in 100.000 Härtefällen Hilfe geleistet (AA 5.2.2021). Afghanen haben auch ohne Aufenthaltstitel Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch. Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge in der staatlichen Krankenversicherung registrieren, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). 120.000 Flüchtlinge wurden von UNHCR beim Zugang zur iranischen Krankenversicherung unterstützt. Die Krankenversicherung zielt darauf ab, den am stärksten gefährdeten afghanischen Flüchtlingen den nötigen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. UNHCR übernahm die Kosten für die Versicherungsprämien der schutzbedürftigen Flüchtlinge, die 2020 in der iranischen Allgemeinen Krankenversicherung (UPHI) eingeschrieben waren. Angesichts der COVID-19-Pandemie und des anhaltenden wirtschaftlichen Abschwungs in Iran hat UNHCR die Zahl der von dem Programm erfassten Flüchtlinge vorübergehend erhöht. Trotz der Herausforderungen gewährt Iran den Flüchtlingen weiterhin großzügig Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten. Iran ist eines von nur einer Handvoll Ländern auf der Welt, die Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, sich wie iranische Staatsangehörige in eine nationale Krankenversicherung für wesentliche sekundäre und tertiäre öffentliche Gesundheitsdienste einzuschreiben. Das nationale Versicherungssystem ermöglicht eine kostenlose COVID-19-Behandlung und Krankenhausaufenthalte. Es subventioniert auch die Kosten für Operationen, Dialyse, Radiologie, Labortests, ambulante Versorgung und mehr. Viele Flüchtlinge können sich die Prämienkosten jedoch nicht leisten. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Lebensunterhalt sind besonders schwerwiegend für Flüchtlinge, die oft auf prekäre und instabile Arbeitsplätze angewiesen sind. Viele können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken, geschweige denn die Kosten für die Krankenversicherung, die schätzungsweise rund 40% der monatlichen Ausgaben einer durchschnittlichen Flüchtlingsfamilie ausmachen (UNHCR 6.4.2021).
Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen. Iranische Behörden fürchten jedoch einen noch größeren Zustrom von Afghanen in den kommenden Monaten und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran, die schlechte Wirtschaftslage angesichts der US-Sanktionen und die Auswirkungen der Covid-Pandemie. Es werden Spannungen zwischen residenter Bevölkerung und den Neuankömmlingen befürchtet. Bereits bisher werden Afghanen teilweise diskriminiert, und es kommt zu Protesten gegen Afghanen, z.B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder an Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Afghanen sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben, wenig integriert. 15% der Flüchtlinge, die sich auf den Weg nach Europa machen, haben mindestens sechs Monate in Iran verbracht (AA 5.2.2021). Neu angekommene Afghanen haben meist keine Probleme, in Iran eine Wohnung zu finden. Dies liegt daran, dass die afghanische Gesellschaft eine starke Netzwerkgesellschaft mit festen Beziehungen innerhalb der Netzwerke ist. Diejenigen, die nach Iran kommen, haben oft bereits Familienmitglieder im Land, bei denen sie wohnen können. Afghanen in Iran unterstützen sich gegenseitig und dieses kann auch für Personen gelten, die nicht miteinander verwandt sind. Viele Afghanen mieten große Wohnungen und es können viele Personen in einem Haushalt wohnen. Afghanen in Iran haben ungeachtet dessen, ob sie Amayesh-registriert sind oder nicht, nicht das Recht dazu, ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen, sondern können diese nur mieten. Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Lifos 10.4.2018).
Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt; eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 11.2021). Mittlerweile ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können [vgl. hierzu Kapitel Frauen] (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 31.3.2021).
Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befinden (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 30.3.2021).
Die freiwillige Rückkehr registrierter afghanischer Flüchtlinge lag 2019 mit 1.609 im vergleichbaren Rahmen wie im Vorjahr (Vergleichszeitraum 2018: 1.450). Nach Angaben des UNHCR erfolgen 40% dieser Ausreisen durch Studenten in der Absicht, mit einem entsprechenden Visum wieder nach Iran einzureisen (AA 5.2.2021). Seit Jahresbeginn 2020 sind laut UNHCR bislang (Stand Oktober 2020) mit 695.677 deutlich mehr nicht registrierte Afghanen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt als im Vorjahr (2019 dagegen insgesamt nur 476.887), 259.084 der Rückkehrenden wurden abgeschoben. UNHCR führt dies auf die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage in Iran sowie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zurück (AA 5.2.2021). UNHCR verzeichnete, dass 16.300 Afghanen, die 'potenziell internationalen Schutz benötigen' zwischen Jänner und September 2021 neu nach Iran eingereist sind. Mitte September 2021 brauchten Afghanen einen Pass und ein Visum, um nach Iran einzureisen, mit wenigen Ausnahmen aus medizinischen Gründen. Infolgedessen meldete UNHCR eine Zunahme der Bewegungen von Afghanen ohne Papiere, die auf dem Landweg irreguläre Grenzübertritte nach Iran vornehmen (AI 10.2021).
Im Mai 2020 griffen iranische Grenzposten zahlreiche Afghanen auf, darunter auch Minderjährige, die auf der Suche nach Arbeit die Grenze überschritten hatten. Die Personen wurden geschlagen und mit vorgehaltener Waffe in den iranisch-afghanischen Grenzfluss Hariroud gezwungen. Dabei ertranken mehrere Menschen. Die Behörden wiesen jede Verantwortung für den Vorfall zurück (AI 7.4.2021).
Seit Beginn der Corona Pandemie gab die Regierung immer wieder bekannt, dass die Behandlung für ausländische Covid-19 Patienten kostenlos erfolge. Mit Unterstützung des GAVI-COVAX-Mechanismus erhält Iran mittlerweile auch kostenlose Impfstoffe zum Impfen für die Afghanen im Land (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021
ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (5.2020): Das Schulsystem im Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2030055/Schulsystem+Iran_Mai+2020.pdf , Zugriff 13.1.2020
AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020), https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 29.4.2021
AI – Amnesty International (10.2021): Like an obstacle course: Few routes to safety for Afghans trying to flee their country [ASA 11/4832/2021], https://www.ecoi.net/en/file/local/2062588/ASA1148322021ENGLISH.pdf , Zugriff 26.11.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html , Zugriff 28.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020
HRW – Human Rights Watch (14.5.2019): Iran: Parliament OKs Nationality Law Reform, https://www.ecoi.net/de/dokument/2008705.html , Zugriff 28.4.2021
Lifos – Lifos/Migrationsverket [Schweden] (10.4.2018): Afghanistan: Afghanen im Iran [Original: Afghaner i Iran]. Arbeitsübersetzung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich], https://www.ecoi.net/en/file/local/1434046/5818_1528099872_afgh-ba-analysen-afghanen-im-iran-2018-05.pdf , Zugriff 28.4.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (30.9.2020): Iran, Afghan Voluntary Repatriation - Jan to Sep 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2039223/IRN+VolRep+September+2020+-+EXT.pdf , Zugriff 13.1.2021
UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (6.4.2021): 120,000 refugees assisted to access Iran’s health insurance scheme, https://www.unhcr.org/news/briefing/2021/4/606c19ad4/120000-refugees-assisted-access-irans-health-insurance-scheme.html , Zugriff 17.5.2021
UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (2020): Iran. Year in Review 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2047227/IRN+Year+in+Review+2020.pdf , Zugriff 26.11.2021
UNHCR – UN High Commissioner for Refugees (26.9.2021): Announcement on Services Available for the Undocumented, https://www.ecoi.net/de/dokument/2060978.html , Zugriff 26.11.2021
US DOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048099.html , Zugriff 5.5.2021
1.3.1.20. Grundversorgung
Letzte Änderung: 22.12.2021
Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 100 Euro im Monat (aufgrund Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei ca. 54,6 Mio. IRR (ca. 400 Euro pro Monat) (AA 5.2.2021).
Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Corona-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).
Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher „Braindrain“, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie haben im Jahr 2020 ca. eine Million Menschen ihren Arbeitsplatz verloren (HRC 14.5.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung. So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen, aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021).
Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20 % ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85 % der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11 % des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021) [Bezüglich der Unruhen vgl. Sie bitte das Kapitel zur Versammlungsfreiheit].
Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vgl. BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mit Hilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 6.5.2020
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046519.html ,Zugriff 29.4.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 29.4.2021
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 14.1.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
SOZIALBEIHILFEN
Letzte Änderung: 22.12.2021
Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten 'Hohen Versicherungsrat' (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die 'Organisation für Sozialversicherung' (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 20 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80 % des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 2 Euro, sog. Yarane; Umrechnungskurs stark schwankend) (AA 5.2.2021). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7 % der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23 % von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12 %, 14 % und 18 %, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7 % des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50 % der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25 % und für Eltern 20 % beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Im April 2020 lag der Mindestlohn bei 18,34 Millionen Rial (ca. 113 USD). Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi), wobei der Gesamtbetrag für einen unverheirateten Arbeitnehmer 25 Millionen Rial (ca. 155 USD) und 30 Millionen Rial (ca. 186 USD) für einen verheirateten Arbeiter pro Monat beträgt. Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 5.2.2021). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).
Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße. Ein Ansatz, gerade der Armut auf dem Land entgegenzuwirken, ist Bildung. Der Staat schickt beispielsweise Studenten, die als Pflichtteil des Studiums in Dörfern abgelegener Regionen unterrichten müssen. Viele weitere staatliche Anstrengungen zur Bekämpfung der Armut werden jedoch dadurch behindert, dass der Staat selbst aufgrund des Verfalls des Ölpreises in finanziellen Schwierigkeiten steckt (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 30.12.2020
IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 30.12.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
1.3.1.21. Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 22.12.2021
Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021).
Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 24.11.2021a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen 'Behvarz' (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte 'Gesundheitsposten' in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren anzufinden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90 % der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocket-Zahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50 % der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58 %, während sie bis 2016 auf 35,5 % zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30 % zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Alle iranischen Staatsbürger inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).
Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die 'Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste' (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die 'Imam Khomeini Stiftung', um nicht versicherte Personen - etwa Mittellose oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).
Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vgl. Landinfo 12.8.2020, HRC 14.5.2021). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 14.5.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.11.2021a): Reise- und Sicherheitshinweise - Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5 , Zugriff 24.11.2021
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 30.12.2020
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 26.11.2021
IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 19.11.2021
Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.1.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
1.3.1.22. Rückkehr
Letzte Änderung: 22.12.2021
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 5.2.2021). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 5.2.2021). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).
Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 5.2.2021).
Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber durchaus zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).
In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch durchaus üblich, dass Personen die Grenze zwischen Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind natürlich möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).
Iraner, die im Ausland leben und sich dort öffentlich regimekritisch äußern, können von Repressionen bedroht sein, nicht nur wenn sie nach Iran zurückkehren. 2019 und 2020 wurden zwei Exil-Oppositionelle im Ausland verschleppt und sind derzeit in Iran inhaftiert. In Belgien läuft ein Gerichtsprozess gegen einen iranischen Diplomaten, der 2018 einen Anschlag auf das Jahrestreffen der oppositionellen Volksmudschaheddin in Paris geplant haben soll (AA 5.2.2021). Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021
Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 18.12.2020
DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 29.4.2020
ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 14.12.2021
UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE (UMF)
Letzte Änderung: 22.12.2021
Zurückgeführte unbegleitete Minderjährige werden vom "Amt für soziale Angelegenheiten beim iranischen Außenministerium" betreut und in Waisenheime überführt, wenn eine vorherige Unterrichtung erfolgt (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 24.11.2021
1.3.1.23. Dokumente
Letzte Änderung: 22.12.2021
Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und eine für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt (Landinfo 5.1.2021).
Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 5.2.2021). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen (AA 5.2.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh (Stammbuch). So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 5.2.2021). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsfunktionen als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).
Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021).
Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 5.2.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Dezember_2020%29%2C_05%2E02.2021.pdf?nodeid=22618137&vernum=-2 , Zugriff 26.11.2021
Landinfo [Norwegen] (5.1.2021): Iran. Passports, ID and civil status documents, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044494/Iran-Passports-ID-and-civil-status-documnents-05012021.pdf , Zugriff 26.11.2021
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 17.12.2021
1.3.2. Nach den in der Verhandlung ausgegeben Informationen der World Health Organization (WHO) belief sich am 03.12.2021 im Iran die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle auf insgesamt 6.121.757 bzw. auf 7.288,42 pro 100.000 Einwohner, die Anzahl der Toten auf 129.912 bzw. 154,67 pro 100.000 Einwohner; im Vergleich dazu Deutschland: insgesamt 5.977.208 bestätigte Fälle bzw. 7.187,02 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 102.178 Todesfälle bzw. 122,86 pro 100.000 Einwohner; Österreich: insgesamt 1.169.208 bestätigte Fälle bzw. 13.135,6 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 12.120 Todesfälle bzw. 136,16 pro 100.000 Einwohner; Italien: insgesamt 5.043.620 bestätigte Fälle bzw. 8.456,56 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 133.931 Todesfälle bzw. 224,56 pro 100.000 Einwohner.
Gemäß den auf der Website der World Health Organization (WHO; https://covid19.who.int/table ) veröffentlichten Zahlen zu COVID-19 beläuft sich aktuell im Iran die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle auf insgesamt 6.293.695 bzw. auf 7.493,12 pro 100.000 Einwohner, die Anzahl der Toten auf 132.333 bzw. 157,55 pro 100.000 Einwohner; im Vergleich dazu Deutschland: insgesamt 9.429.079 bestätigte Fälle bzw. 11.337,56 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 117.484 Todesfälle bzw. 141,26 pro 100.000 Einwohner; Österreich: insgesamt 1.732.814 bestätigte Fälle bzw. 19.467,49 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 13.560 Todesfälle bzw. 152,34 pro 100.000 Einwohner; Italien: insgesamt 10.539.601 bestätigte Fälle bzw. 17.671,59 pro 100.000 Einwohner und insgesamt 145.159 Todesfälle bzw. 243,39 pro 100.000 Einwohner (OZ 32).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Rechtliche Grundlagen für die Feststellung des Sachverhalts und die Beweiswürdigung:
2.1.1. Zur Begründung von Anträgen auf internationalen Schutz braucht die behauptete Verfolgung nicht bewiesen, sondern gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 lediglich glaubhaft gemacht zu werden.
Dies bedeutet zum einen eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers. Dieser hat nämlich initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der betreffenden Fakten spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für deren Vorliegen liefern; vgl. z. B. VwGH 15.09.2004, 2002/04/0201.
Zum anderen wird, wenn eine Tatsache (lediglich) glaubhaft gemacht werden muss, das Beweismaß herabgesetzt; vgl. Rechberger in Fasching/Konecny3 III/1 § 274 ZPO Rz 1 (Stand 1.8.2017, rdb.at); zur Relevanz dieser Bestimmung im Verwaltungsverfahren: Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht6 (2018) Rz 206. Für die Glaubhaftmachung (im Unterschied zum vollen Beweis) genügt es, dass die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer bestimmten Tatsache überzeugt ist. Die Glaubhaftmachung hat also das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt; VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252. Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen. Ob die Glaubhaftmachung behaupteter Tatsachen gelungen ist oder nicht, ist das Ergebnis richterlicher Beweiswürdigung und keine Frage der rechtlichen Beurteilung; so mwN Rechberger in Fasching/Konecny3 III/1 § 274 ZPO Rz 5 (Stand 1.8.2017, rdb.at).
2.1.2. Im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die (Un-)Zulässigkeit der Abschiebung ist zu beachten: Abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde, obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde; vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, und VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314. In seiner Entscheidung vom 10.08.2018, Ra 2018/20/0314, hat der Verwaltungsgerichtshof bekräftigt, dass grundsätzlich der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs 1 oder Abs 2 FPG glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist.
2.2. Die Beschwerdeführer wurden mehrfach eingehend über ihre Pflicht bzw. Obliegenheit zur (initiativen) Mitwirkung im Verfahren belehrt (vgl. z. B. AS 7 [Merkblatt Pflichten und Rechte von Asylwerbern], 115; OZ 9, 16, OZ 25, S 5 f, OZ 28). Vor diesem Hintergrund geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass in Bezug auf den entscheidungsrelevanten Sachverhalt seit der Eingabe der Beschwerdeführer vom 10.01.2022, OZ 29, keine Änderung eingetreten ist, da sich die durch den Verein ZEIGE vertretenen Beschwerdeführer seither nicht mehr geäußert haben. Wäre eine Änderung des maßgeblichen Sachverhalts zwischenzeitlich eingetreten, hätten die Beschwerdeführer diese Umstände im Rahmen ihrer Pflicht bzw. Obliegenheit und schon im eigenen Interesse dem Bundesverwaltungsgericht mitgeteilt. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf allfällige Sachverhaltsänderungen in Bezug auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten, sondern insbesondere auch für die privaten, familiären, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Umstände der Beschwerdeführer, die diese der Behörde bzw. dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls von sich aus mitzuteilen haben; vgl. § 15 AsylG 2005; VwGH 14.02.2002, 99/18/0199; sowie generell zur Mitwirkungsobliegenheit im Verwaltungsverfahren z. B. VwGH 15.11.1994, 94/07/0099, und Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 10, 16 (Stand 1.4.2021, rdb.at).
2.3. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 17.03.2016 im Rahmen der Erstbefragung (AS 5 ff; 2200079-1, AS 1 ff) sowie am 13.06.2016 (AS 113 ff; 2200079-1, AS 111 ff) und am 16.05.2018 (AS 375 ff; 2200079-1, AS 291 ff) vor der belangten Behörde einvernommen. Bei den behördlichen Einvernahmen am 13.06.2016 war ein Rechtsberater anwesend, bei den behördlichen Einvernahmen am 16.05.2018 eine Vertreterin bzw. ein Vertreter des (bereits damals) bevollmächtigten Vereins ZEIGE. Die Niederschriften über die Erstbefragungen und die behördlichen Einvernahmen liefern vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der jeweiligen Amtshandlung (§ 15 AVG) und konnten sowohl den Feststellungen als auch der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Es gibt keine begründeten Hinweise auf allfällige Verständigungsschwierigkeiten, Unvollständigkeiten (in entscheidungswesentlichen Punkten), Unregelmäßigkeiten oder sonstige (wesentliche) Mängel oder darauf, dass die Beschwerdeführer nicht genug Zeit oder Gelegenheit gehabt haben könnten, sich ausführlich zu äußern. Dasselbe gilt für die Niederschrift der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (OZ 25).
Der Erstbeschwerdeführer unterfertigte die Niederschrift der Erstbefragung nicht nur am Ende, sondern auch auf jeder einzelnen Seite. Damit bestätigte er, dass die Befragung in der Sprache Farsi stattgefunden habe, er den Dolmetscher verstehe, die Rückübersetzung in einer ihm verständlichen Sprache, dass er keine Ergänzungen/Korrekturen zu machen und dass er alles verstanden habe. Damit im Einklang bejahte er die in der behördlichen Einvernahme am 13.06.2016 gestellte Frage, ob er im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe. Die Behauptung, dass bei der Erstbefragung falsch übersetzt und nicht rückübersetzt worden sei, mit der der Erstbeschwerdeführer auf einen Vorhalt durch den Leiter der Amtshandlung reagierte, vermag daher nicht zu überzeugen. Am 16.05.2018 bestätigte der Erstbeschwerdeführer, dass er bei der „Ersteinvernahme“ die Wahrheit gesagt habe und alles richtig protokolliert und übersetzt worden sei, lediglich das Alter seiner Mutter sei damals falsch geschrieben worden. Damit kann sich der Erstbeschwerdeführer nur auf die Niederschrift der Erstbefragung bezogen haben, wurde doch am 13.06.2016 das Alter seiner Mutter überhaupt nicht protokolliert. Schließlich bestätigte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er bei der Erstbefragung und bei beiden behördlichen Einvernahmen die Wahrheit gesagt habe. Er hatte keine Korrekturen oder Ergänzungen vorzunehmen, wies allerdings auf fehlerhafte Angaben, die die Zweitbeschwerdeführerin gemacht habe, hin; er habe alles gesagt. Die Niederschriften seien ihm rückübersetzt worden. Die im bisherigen Verfahren in Bezug sowohl auf seine Person als auch auf die Drittbeschwerdeführerin und den Viertbeschwerdeführer schriftlich und mündlich gemachten Angaben halte er aufrecht. Anschließend hatte er noch einmal die Möglichkeit, es ihm Interesse seiner Glaubwürdigkeit offenzulegen, sollte er zu irgendeinem Zeitpunkt unwahre oder unzutreffende Angaben gemacht haben. Das sei nicht nötig. (OZ 25, S 14 f)
Ebenso unterfertigte die Zweitbeschwerdeführerin die Niederschrift der Erstbefragung nicht nur am Ende, sondern auch auf jeder einzelnen Seite. Damit bestätigte sie, dass die Befragung in der Sprache Farsi stattgefunden habe, sie den Dolmetscher verstehe, die Rückübersetzung in einer ihr verständlichen Sprache, dass sie keine Ergänzungen/Korrekturen zu machen und dass sie alles verstanden habe. Damit im Einklang bejahte sie die in der behördlichen Einvernahme am 13.06.2016 gestellte Frage, ob sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe, und fügte hinzu, dass es Widersprüche bei den Angaben in der Erstbefragung zum Besitz eines Reisepasses gebe. Sie habe nicht angegeben, dass sie einen Reisepass besessen habe, sondern lediglich einen gefälschten Reisepass. Auch „das mit dem Visum“ stimme nicht. Mit einer weiteren Frage konfrontiert, behauptete die Zweitbeschwerdeführerin, dass die Niederschrift der Erstbefragung nicht rückübersetzt worden sei. Diese behaupteten Mängel stehen der Heranziehung der Niederschrift (im Übrigen) im Verfahren und der gegenständlichen Entscheidung nicht entgegen. Zum einen erweist sich die Niederschrift als in formaler Hinsicht mängelfrei und betreffen die angeblichen Mängel keine entscheidungsrelevanten Angaben. Zum anderen ist auf die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinzuweisen: Befragt, ob sie einen iranischen Reisepass habe oder gehabt habe, erwiderte die Zweitbeschwerdeführer, dass sie früher einen gehabt habe, jetzt nicht mehr, wobei sie nicht darauf einging, ob es sich um einen echten oder gefälschten Reisepass gehandelt habe. Mit diesem Reisepass sei sie nach Österreich gereist und der Schlepper habe ihn ihr abgenommen. Darüber hinaus erklärte sie, dass sie bei der Erstbefragung und bei beiden behördlichen Einvernahmen die Wahrheit gesagt habe. Die Dolmetscher habe sie verstanden und die Niederschriften seien ihr rückübersetzt worden. Die im bisherigen Verfahren in Bezug sowohl auf ihre Person als auch auf die Drittbeschwerdeführerin und den Viertbeschwerdeführer schriftlich und mündlich gemachten Angaben halte sie aufrecht. (OZ 25, S 37 f) Nach allfälligen Korrekturen gefragt, sagte die Zweitbeschwerdeführerin, dass sie sich in einem Punkt nicht klar ausgedrückt habe. Sie habe angegeben, dass sie zuhause gewesen sei, als die Probleme entstanden seien. Tatsächlich sei sie nicht in der Wohnung gewesen, in der sie mit dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin gelebt habe, sondern in der Wohnung ihrer Eltern, die sich in der Nähe befunden habe (OZ 25, S 38; vgl. auch bereits OZ 25, S 14).
Im August 2016 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin zudem zur Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren untersucht und dabei auch befragt (AS 197 ff; 2200079-1, AS 157 ff). In seiner schriftlichen Äußerung behauptete der Erstbeschwerdeführer Übersetzungsfehler bei den biographischen Angaben. Diese Beanstandung vermag deshalb nicht zu überzeugen, weil weder die biographischen Angaben im Gutachten noch die (vermeintlich) korrigierten Angaben in der schriftlichen Äußerung des Erstbeschwerdeführers mit dem insoweit im Übrigen erstatteten Vorbringen vollständig in Einklang zu bringen sind. Eine umfassende Betrachtung der im Verfahren insgesamt gemachten Angaben spricht viel eher für die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens als für eine fehlerhafte Übersetzung im Rahmen der Untersuchung (vgl. unten unter 2.4. und 2.5.). Die Zweitbeschwerdeführerin führte zwar schriftlich aus, dass sie die Ergebnisse des Gutachtens nicht nachvollziehen könne (vgl. dazu unten unter 2.4.), dass ihre Angaben bei der Untersuchung falsch übersetzt oder im Gutachten falsch wiedergegeben worden wären, brachte sie jedoch nicht vor (2200079-1, AS 171 ff). Insoweit wird das Bundesverwaltungsgericht bei der Würdigung des gesamten Vorbringens unter Bedachtnahme auf die Stellungnahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auch auf die in den Gutachten festgehaltenen biographischen Angaben Bedacht nehmen.
2.4. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:
Diese Feststellungen waren im Wesentlichen (vgl. allerdings die weiteren Ausführungen) aufgrund der insoweit weitgehend übereinstimmenden, gleichbleibenden, nachvollziehbaren und damit glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren (vgl. insbesondere AS 5 ff, 117 ff, 376 ff; OZ 17, OZ 25, S 12 ff, 37 ff, OZ 29; 2200079-1, AS 1 ff, 115 ff, 292 ff), teils in Zusammenschau mit (insofern) unbedenklichen von den Beschwerdeführern vorgelegten Bescheinigungsmitteln (siehe die Auflistung in OZ 25, S 8 ff, z. B. Kopie des österreichischen Führerscheins des Erstbeschwerdeführers, Zeugnis zur vom Erstbeschwerdeführer abgelegten Integrationsprüfung auf dem Niveau A1, Bestätigung, dass die Zweitbeschwerdeführerin zu einem Deutschkurs angemeldet sei, österreichische Geburtsurkunde des Viertbeschwerdeführers) sowie mit vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Bescheinigungsmitteln (z. B. OZ 24, 30: z. B. Auszug aus dem Zentralen Melderegister; Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem, Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister; Auszug aus dem Schengener Informationssystem, Auszug aus dem Strafregister, Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria, AJ-WEB-Auszug) zu treffen. Auf einzelne Aspekte geht das Bundesverwaltungsgericht in der Folge noch näher ein:
Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ist festzuhalten:
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sagten in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unabhängig voneinander und übereinstimmend aus, dass die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer gesund seien (OZ 25, S 15, 39), und sie legten auch keine gegenteiligen Bescheinigungsmittel vor. Dass die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers einen Grund haben könnten, insofern unzutreffende, unwahre Angaben zu machen, ist nicht ersichtlich. Demnach leiden Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer an keiner schweren oder gar lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung; sie sind gesund. Aufgrund des Vorbringens und der vorliegenden Bescheinigungsmittel war des Weiteren festzustellen, dass auch der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nicht an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung leiden. Zu den „[k]linisch-psychologischen Befundbericht[en]“, wonach der Erstbeschwerdeführer ausgeprägte Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung mit klinisch relevanten Symptomen und Flashbacks zeige und die Zweitbeschwerdeführerin an einer Belastungsreaktion sowie an einer Anpassungsstörung leide, ist zunächst festzuhalten, dass diese Berichte vom 13.07.2016 datieren (AS 137 ff, 145 ff). Zudem ist zu beachten, dass der Erstbeschwerdeführer in der behördlichen Einvernahme am 13.06.2016, die in Anwesenheit eines Rechtsberaters stattfand, in Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand ausschließlich auf Rückenprobleme hingewiesen hatte (AS 113, 119). Bei den vom Erstbeschwerdeführer behaupteten und ausschließlich im Jahr 2016 durch ein ärztliches Schreiben bescheinigten Rückenproblemen (AS 159; Lumbago – „Hexenschuss“, CVS-Syndrom [= cervical spine syndrome = Halswirbelsäulensyndrom]) handelt es sich nicht um eine schwere oder gar lebensbedrohliche physische Erkrankung. Die Zweitbeschwerdeführerin bejahte in der Einvernahme am 13.06.2016, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen; sie komme manchmal in Stress (2200079-1, AS 111, 117). In seiner schriftlichen Äußerung zur von der Behörde eingeholten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren monierte der Erstbeschwerdeführer zwar Übersetzungsfehler bei den biographischen Angaben, den psychologischen Schlussfolgerungen der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen, dass keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung und keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome vorliegen würden, trat er jedoch nicht substantiiert bzw. auf (gleicher) fachlicher Ebene entgegen (AS 197 ff, 279 ff). Dasselbe gilt für die Äußerung der Zweitbeschwerdeführerin zur zu ihrer Person von der Behörde eingeholten gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren (2200079-1, AS 157 ff, 171 ff). Auf die behaupteten Übersetzungsfehler bei der Aufnahme der biographischen Daten des Erstbeschwerdeführers wird das Bundesverwaltungsgericht in der Würdigung des Vorbringens, mit dem der Erstbeschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz begründete, noch eingehen (siehe auch bereits oben unter 2.3.). Die behaupteten Fehler, etwa dass er nicht gesagt habe, dass er arbeitslos gewesen sei, sondern dass Kräfte der Sepah Pasdaran (iranische Revolutionsgarde) für seine Kündigung gesorgt hätten, rufen jedenfalls keine Zweifel an der Schlüssigkeit, Richtigkeit und Vollständigkeit der gutachtlichen Stellungnahme in fachlicher Hinsicht hervor. Hinsichtlich der gutachterlichen Stellungnahme betreffend die Zweitbeschwerdeführerin gibt es ebenso wenig Anlass zu derartigen Zweifeln. In weiterer Folge brachten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin weder vor, dass sie an einer Beeinträchtigung ihrer (psychischen) Gesundheit leiden würden, noch, dass sie insofern in Behandlung wären. So erklärten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin in der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 im Beisein einer Vertreterin bzw. eines Vertreters des bevollmächtigten Vereins ZEIGE, dass sie gesund seien, keine Medikamente nehmen würden und in keiner Therapie seien; die Einvernahme könne stattfinden (AS 376; 2200079-1, AS 292). Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin hatten bereits seit ihrer Jugend Gewichtsprobleme und schon im Iran Versuche unternommen, ihr (Über-)Gewicht zu reduzieren (OZ 25, Beilage D). Der (letztlich) diagnostizierten Adipositas (permagna) wurde schließlich im Jahr 2021 chirurgisch begegnet, indem sowohl beim Erstbeschwerdeführer als auch bei der Zweitbeschwerdeführerin eine Magenbypass-Operation durchgeführt wurde (OZ 18). Bei beiden gestaltete sich der Verlauf komplikationslos und sie wurden in gutem Allgemeinzustand aus dem Krankenhaus entlassen. Soweit im entsprechenden Patientenbrief betreffend die Zweitbeschwerdeführerin unter den Diagnosen auch Diabetes mellitus Typ 2 angeführt wird, ist zu bedenken, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, nachdem der Richter diesbezügliche Länderinformationen ausgeben hatte, sagte, dass ihr nicht bekannt sei, dass sie zuckerkrank sei. Der Erstbeschwerdeführer, in dessen Familie es bereits Diabetes-Fälle gegeben habe, habe vor der Operation das Problem gehabt, jetzt aber nicht mehr. (OZ 25, S 15, 49 f) Auch insofern gibt es somit keinen Hinweis auf eine schwere oder gar lebensbedrohliche physische oder psychische Erkrankung. Zu den ärztlichen Befundberichten, die anlässlich der Begutachtung vor der Magenbypass-Operation verfasst wurden, ist der Vollständigkeit halber zu bemerken, dass auch diese keine schwere oder gar lebensbedrohliche physische oder psychische Erkrankung indizieren (OZ 25, Beilage D). Dies wird nicht zuletzt dadurch belegt, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich zu Protokoll gab, dass diese Schreiben für das Asylverfahren nicht relevant seien (OZ 25, S 14). Auch die Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in der Verhandlung am 03.12.2021 bestätigen, dass (auch) die beiden nicht an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung leiden, dass sie einvernahmefähig waren und sind und dass keine Erkrankung bzw. Beeinträchtigung der Gesundheit fassbar ist, welche die beiden außer Lage setzen würde, gleichlautende und detaillierte Angaben zu Ereignissen aus der Vergangenheit zu machen. So sagten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin, zu Beginn der Verhandlung am 03.12.2021 gefragt „Sind Sie physisch und psychisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Beschwerdeverhandlung zu folgen? Liegen irgendwelche Gründe vor, die dagegensprechen? Haben Sie (chronische) Krankheiten und/oder Leiden?“, dass sie einvernahmefähig seien (OZ 25, S 5). Im weiteren Verlauf der Verhandlung noch näher zu ihrem psychischen und physischen Gesundheitszustand, zur etwaigen Inanspruchnahme von ärztlicher Behandlung und einer Therapie sowie nach der allfälligen Einnahme von Medikamenten befragt, brachten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin ebenso wenig zur Sprache, an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung zu leiden oder einer ihnen im Herkunftsstaat nicht zugänglichen Behandlung zu bedürfen (OZ 25, S 15, 39). In dieses Bild fügt sich schließlich, neben den Feststellungen zur medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat, dass der Rechtsvertreter in der Verhandlung nach einer Stellungnahme zu Länderinformationen betreffend medizinische Versorgung gefragt, erwiderte, dass die medizinische Versorgung im Iran „okay“ sei; nur in Ausnahmefällen könne der Gesundheitszustand für einen Verbleib in Österreich sprechen (OZ 25, S 50). Dass der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer einen derartigen Ausnahmefall begründen würde, wurde in keinem Stadium des Verfahrens (substantiiert) vorgebracht.
Von den Deutschkenntnissen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der Verhandlung selbst ein Bild machen (OZ 25, S 17 f, 40 f, Beilage E, F, H, I).
Zur Erwerbstätigkeit des Erstbeschwerdeführers im Herkunftsstaat ist auszuführen: Dass er im Iran als Ingenieur tätig gewesen sei, gab der Erstbeschwerdeführer bei mehreren Gelegenheiten an und erscheint glaubhaft (AS 5, 117, 377, 620; vgl. auch AS 197, 279). Der Darstellung, dass er, nachdem er nach einer angeblichen Demonstrationsteilnahme im Jahr 2009 vorübergehend inhaftiert gewesen sei, aus diesem Grund keine adäquate Arbeit (als Bauingenieur) mehr bekommen habe, kann jedoch nicht gefolgt werden (AS 620; vgl. auch AS 279, 377; OZ 25, S 19). Zum einen steht dieses Vorbringen in unmittelbarem Zusammenhang mit der, wie das Bundesverwaltungsgericht noch darlegen wird, nicht glaubhaften Inhaftierung. Zum anderen ist zu bedenken, dass der Erstbeschwerdeführer sowohl in der Erstbefragung als auch in der behördlichen Einvernahme am 13.06.2016 angab, dass er zuletzt den Beruf des Ingenieurs ausgeübt habe bzw. Ingenieur gewesen sei (AS 5, 117). Somit liegt der Schluss nahe, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens sein Vorbringen abänderte, um die angeblichen Schwierigkeiten, die er wegen der behaupteten Teilnahme an einer Demonstration gehabt habe, gravierender erscheinen zu lassen.
Zum Verhältnis der Beschwerdeführer zum in Österreich lebenden Onkel des Erstbeschwerdeführers gibt das Bundesverwaltungsgericht zu bedenken, dass das Bestehen eines gemeinsamen Wohnsitzes nicht nur nicht ausdrücklich vorgebracht wurde. Vielmehr ist ein gemeinsamer Wohnsitz auch deshalb auszuschließen, weil der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unmissverständlich angab, dass telefonischer Kontakt bestehe und man sich in etwa einmal in der Woche sehe (OZ 25, S 16). Eine (finanzielle) Unterstützung, die die Beschwerdeführer womöglich erfahren (vgl. AS 119: „[…] Ich habe hier in Österreich einen Onkel, der mich sehr unterstützt und überall behilflich ist. […]“), kann kein (für den Verbleib der Beschwerdeführer in Österreich sprechendes) Abhängigkeitsverhältnis begründen. Das Bundesverwaltungsgericht erinnert daran, dass die Beschwerdeführer während ihres Aufenthalts nahezu durchgehend Leistungen der Grundversorgung beziehen und somit zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse nicht auf allfällige Unterstützung durch den Onkel des Erstbeschwerdeführers angewiesen sind.
2.5. Zur Feststellung „Die Beschwerdeführer waren in ihrem Herkunftsstaat Iran keiner aktuellen unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt und wären auch im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise dorthin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt:“
2.5.1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Erstbefragung gemäß § 19 Abs 1 AsylG 2005 zwar „insbesondere“ der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen hat; vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12 und AsylGH 23.10.2012, C19 425588-1/2012. Ferner bestehen zwar Bedenken gegen eine unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen; vgl. z. B. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061 mwN. Ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde und das Bundesverwaltungsgericht dürfen im Rahmen ihrer Beweiswürdigung also durchaus die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen. Selbst etwaige Mängel in der (Niederschrift der) Erstbefragung führen nicht dazu, dass eine Verwertung des übrigen in der Niederschrift der Erstbefragung protokollierten Fluchtvorbringens als (schlechthin) unzulässig anzusehen wäre; vgl. VwGH 05.02.2021, Ra 2020/19/0322. Selbst wenn die Erstbefragung keine detaillierte Aufnahme des Ausreisegrundes umfasst, ist dennoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts im Allgemeinen davon auszugehen, dass die den Asylwerber selbst betreffenden ausreisekausalen Erlebnisse, Umstände und gegen ihn gerichteten Maßnahmen des Herkunftsstaats zuvorderst und in den Grobzügen gleichbleibend bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dargelegt werden. Eine nicht stringente Darlegung solch eigener Erlebnisse, insbesondere wenn es sich um einschneidende und dramatische Geschehnisse handelte, bei der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde bzw. der mündlichen Beschwerdeverhandlung dürfen demnach im Allgemeinen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Person des Asylwerbers und der Glaubhaftigkeit des Vorbringens durchaus Berücksichtigung finden. Vgl. zur Zulässigkeit derartiger Erwägungen bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0143, siehe auch mwN VwGH 30.09.2019, Ra 2019/20/0455, und zur Maßgeblichkeit der aufgezeigten Widersprüche VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168; vgl. auch neuerlich VwGH 05.02.2021, Ra 2020/19/0322.
Im gegenständlichen Fall ist überdies im Hinblick auf die Zulässigkeit, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen, in Erinnerung zu rufen, dass die Beschwerdeführer keine (begründeten) Einwände gegen die Niederschrift der jeweiligen Erstbefragung erhoben und insbesondere nicht (substantiiert) geltend machten, dass die zum Fluchtgrund in der Erstbefragung gemachten Angaben (in wesentlicher Hinsicht) unrichtig oder unvollständig (protokolliert worden) wären (siehe oben unter 2.3.).
Das Bundesverwaltungsgericht wird in seinen weiteren Erwägungen daher – unter Bedachtnahme auf den Einzelfall – in zulässiger Weise auch die Ergebnisse der Erstbefragung berücksichtigen.
2.5.2. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren folgt fraglos, dass Zweitbeschwerdeführerin, Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer keine eigenen Gründe für den jeweiligen Antrag auf internationalen Schutz geltend machten. Anlass dazu, diese Angaben in Zweifel zu ziehen, gibt es nicht, zumal kein Grund ersichtlich ist, aus dem die Beschwerdeführer (insofern) unwahre oder unzutreffende Angaben gemacht haben könnten.
Das Bundesverwaltungsgericht verweist etwa darauf, dass die Zweitbeschwerdeführerin, die am 17.03.2016 sowohl für sich als auch für die Drittbeschwerdeführerin, die (jeweils) gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellte, in der Erstbefragung aussagte, dass ihr Mann, also der Erstbeschwerdeführer, in Gefahr gewesen sei und sie nicht hätten im Iran bleiben können, da ihr Leben in Gefahr gewesen sei (2200079-1/, AS 3, 9, 11). In der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 erklärte die Zweitbeschwerdeführerin nach Manuduktion durch den Leiter der Amtshandlung im Beisein eines Vertreters des bevollmächtigten Vereins ZEIGE und vom Vertreter unwidersprochen, dass sie für sich und die Drittbeschwerdeführerin einen Antrag auf Familienverfahren stelle. Sie selbst und die Drittbeschwerdeführerin hätten keine eigenen Fluchtgründe. Sie seien geflüchtet, weil ihr Mann Probleme gehabt habe. (2200079-1, AS 293) Dementsprechend ist auch der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 28.06.2018 zu entnehmen, dass die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht hätten. Sie würden die Verfolgungsbefürchtungen des Erstbeschwerdeführers teilen und daraus resultierende Konsequenzen befürchten (AS 621). In der an die belangte Behörde gerichteten Anzeige der Geburt des Viertbeschwerdeführers ist unmissverständlich festgehalten, dass der Viertbeschwerdeführer keine eigenen Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten habe; der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe des Vaters bzw. der Mutter. (2227618-1, AS 1)
In dieses Bild, das sich bei Betrachtung der Angaben in den behördlichen Verfahren und in den Beschwerden ergibt, fügen sich auch die nach Aufforderung zur Mitwirkung durch das Bundesverwaltungsgericht von den Beschwerdeführern erstatteten Ausführungen in der schriftlichen Stellungnahme vom 25.11.2021 (OZ 17). In Übereinstimmung mit dem bisherigen Vorbringen wurden auch in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht für die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin sowie für den Viertbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe und keine eigenen Befürchtungen für den Fall der Rückkehr geltend gemacht. Auf die Frage „Möchten Sie irgendetwas Neues, das Sie bisher noch nicht gesagt haben, sagen oder bekanntgeben? Hat sich an den Gründen für die Asylantragstellung, sowohl Sie als auch Ihre Kinder betreffend, seit Erhalt der angefochtenen Bescheide etwas geändert?“ erwiderte die Zweitbeschwerdeführerin: „An den Fluchtgründen hat sich nichts geändert.“ (OZ 25, S 38). Das Verlassen des Irans begründete die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge der näheren Befragung ausschließlich mit den Problemen, die ihr Mann, also der Erstbeschwerdeführer, gehabt habe. Da er in ernster Gefahr gewesen sei, sei sie gezwungen gewesen, mit ihm und der Drittbeschwerdeführerin auszureisen. Damit habe sie den Anlass und die Gründe dafür, dass Sie den Iran verlassen und in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, vollständig und wahrheitsgemäß angeben. (OZ 25, S 43) Vom Richter befragt „Dass Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen hätten, wurde bislang nicht vorgebracht. Hat sich insofern etwas geändert?“, erklärten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin übereinstimmend und unabhängig voneinander, dass sich nichts geändert habe (OZ 25, S 14, 38). Vgl. in diesem Sinne die Antworten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auf die am Ende der jeweiligen Befragung neuerlich gestellte Frage nach Rückkehrbefürchtungen betreffend Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer (OZ 25, S 35, 48).
2.5.3. Dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 1388 (Umrechnung in den gregorianischen Kalender: 21.03.2009 bis 20.03.2010) an einer Demonstration teilgenommen habe, (anschließend) verhaftet und während der Anhaltung gefoltert worden sei, in der Folge keine adäquate Anstellung mehr erhalten habe und sich wöchentlich bei der iranischen Polizei habe melden müssen, ist aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:
Wenngleich die behaupteten Geschehnisse, namentlich die angebliche Demonstrationsteilnahme und Inhaftierung, schon nach dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers in keinem näheren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise gestanden seien, ist doch nicht völlig außer Acht zu lassen, dass der Erstbeschwerdeführer davon in der Erstbefragung überhaupt nichts erwähnte (AS 13). So sagte er in der Erstbefragung lediglich völlig allgemein, dass er seit sechs Jahren Probleme mit den iranischen Behörden habe. Eine eigene politische Betätigung, etwa in Form der Teilnahme an einer Demonstration und im Rahmen einer politisch aktiven Gruppe, blieb ebenso unerwähnt wie eine Inhaftierung und Folterung. Als Ursache für die – eben nicht näher genannten angeblichen Probleme mit den Behörden – führte der Erstbeschwerdeführer allein sein Interesse am Grund, aus dem vor 30 Jahren zwei seiner Onkel getötet worden seien, ins Treffen. Selbst unter Bedachtnahme darauf, dass die angebliche Anhaltung und Folter bereits sechs Jahre zurückgelegen seien und die Erstbefragung keine detaillierte Befragung zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats bzw. des Stellen des Antrags auf internationalen Schutz beinhaltet, ist doch bemerkenswert, dass der Erstbeschwerdeführer nur abstrakt von Problemen und seinem angeblichen Interesse, den Grund für die Tötung zweier Onkel zu erfahren, sprach, jedoch weder eine eigene politische Betätigung noch eine angeblich bereits erlittene Haft und Folter auch nur andeutete. Für diese Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem ins Treffen zu führen, dass der Erstbeschwerdeführer im weiteren Verfahren zwar immer wieder die angebliche Tötung seiner Angehörigen erwähnte und diesbezüglich Bescheinigungsmittel vorlegte (z. B. AS 389 ff; OZ 17, OZ 25, S 21). Dass er deshalb, weil er sich für den Grund für die Tötung interessiert habe, Probleme mit den iranischen Behörden bekommen habe, brachte er allerdings nicht (mehr) vor; vgl. insbesondere OZ 25, S 21: „[…] Über die Erzählungen meiner Familie und Freunde der Familie erfuhr ich dann, warum sie getötet wurden und zu welcher politischen Gruppierung sie gehörten. […]“. Angesichts dieser Aussage ist nicht ersichtlich, dass sich der Erstbeschwerdeführer überhaupt bei bzw. gegenüber Behörden oder sonstigen Staatsorganen des Irans nach dem Grund für die Tötung seiner Onkel erkundigt bzw. interessiert hätte. Demnach will auch nicht einleuchten, dass er wegen eines derartigen Interesses Probleme mit den iranischen Behörden bekommen haben will. Betrachtet man also das vom Erstbeschwerdeführer im Laufe des Verfahrens erstattete Vorbringen gesamtheitlich, sind darin durchaus Diskrepanzen und Ungereimtheiten zu erkennen, die sich nicht damit erklären lassen, dass sich die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat und bezog.
Dass es sich beim in Rede stehenden Vorbringen um ein gedankliches Konstrukt handelt, zeigt sich des Weiteren darin, dass der Erstbeschwerdeführer darauf in der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 von sich aus überhaupt nicht zu sprechen kam. Aufgefordert, alle Gründe für die Asylantragstellung unter Nennung aller Fakten und Details zu schildern, erwähnte er eine Demonstrationsteilnahme, anschließende Inhaftierung und Folterung mit keinem Wort. Auch anlässlich der Frage, ob er sonst noch Gründe für die Asylantragstellung habe bzw. ob er etwas ergänzen wolle, brachte er diese angeblichen Geschehnisse nicht vor. (AS 378; vgl. auch AS 382: „Nein danke ich habe alles erzählt.“; „Ich habe alles gesagt.“) Erst auf die ausdrückliche Frage der Vertreterin, ob er im Iran jemals persönlich verhaftet worden sei, behauptete der Erstbeschwerdeführer, dass er im Jahr 1388 bei einer Demonstration festgenommen und zehn Tage festgehalten worden sei. Gegen eine Verpflichtungserklärung sei er freigekommen, danach habe er keine offizielle Arbeit mehr aufnehmen können. Davon, dass er während der Anhaltung gefoltert worden wäre und deshalb sogar medizinischer Behandlung bedurft hätte, berichtete der Erstbeschwerdeführer auch bei dieser Gelegenheit nicht. Hingegen gab er unter anderem all dies sehr wohl zu Protokoll, nachdem der Richter ihn in der mündlichen Verhandlung gefragt hatte, weshalb er den Iran verlassen und in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe (OZ 25, S 21 f). Dass ein Asylwerber, der seinen Antrag auf internationalen Schutz mit einer politischen Betätigung im Herkunftsstaat und im Staat der Antragstellung begründet, bei einer behördlichen Einvernahme zu seinem Antrag von sich aus zunächst gänzlich unerwähnt lässt, dass er wegen einer politischen Betätigung im Herkunftsstaat, konkret in Gestalt der Teilnahme an einer Demonstration, bereits inhaftiert und während der Anhaltung gefoltert worden sei, lässt sich vernünftigerweise nur damit erklären, dass dieses (bei anderer Gelegenheit erstattete) Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Auch wenn diese vermeintlichen Geschehnisse – selbst nach den Angaben des Asylwerbers – nicht unmittelbar Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaats gewesen und Jahre davor passiert seien, kann es – gerade aus Sicht des Betroffenen – keinen einleuchtenden Grund dafür geben, sie anlässlich von Fragen nach den Gründen für die Asylantragstellung unerwähnt zu lassen. Schließlich ist es im Hinblick auf die Gefährdungslage für einen Asylwerber, der sich angeblich politisch betätigt, keineswegs eine bloße Nebensächlichkeit, ob er wegen einer politischen Betätigung im Herkunftsstaat bereits inhaftiert und in der Haft gefoltert worden sei. Dass der Erstbeschwerdeführer selbst auf die ausdrückliche Frage nach einer Verhaftung an nachteiligen Folgen nur äußerte, dass er keine offizielle Arbeit mehr gefunden habe, lässt keinen Zweifel, dass das bei anderer Gelegenheit erstattete Vorbringen, er sei während der Haft gefoltert worden und habe deshalb operiert werden müssen (AS 197; OZ 25, S 23), nicht den Tatsachen entsprechen kann. Nichts anderes ist daraus zu schließen, dass auch in der Beschwerde nur die angebliche Verhaftung, Abgabe einer Verpflichtungserklärung und Unmöglichkeit, eine adäquate Arbeit zu bekommen, thematisiert werden, nicht aber die angeblich während der Haft erlittene Folter (AS 620).
Bei der Befragung des Erstbeschwerdeführers im Rahmen der Untersuchung zur Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren wurde protokolliert, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 1388 nach den Wahlen für 30 Tage eingesperrt gewesen sei. In der Haft habe man mit dem Militärstiefel gegen seinen Rücken getreten. 2010 sei er operiert worden; der vierte und/oder fünfte Wirbel sei(en) gebrochen gewesen. Das rechte Handgelenk sei bei der Festnahme verletzt und nach der Freilassung genäht worden. Nach nochmaliger Nachfrage habe der Erstbeschwerdeführer angegeben, dass die Verletzung nicht während der Festnahme, sondern am 13. Tag entstanden sei. (AS 197) Diesem Inhalt der gutachterlichen Stellungnahme trat der Erstbeschwerdeführer in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 09.09.2016 insoweit entgegen, als er Übersetzungsfehler behauptete: Tatsächlich sei er während der Verhaftung gefoltert worden. Er sei an der Wirbelsäule so verletzt worden, dass er nach der Entlassung habe operiert werden müssen. Sein Handgelenk sei während des Verhörs im Gefängnis verletzt und zwei Wochen später wegen der Entzündung von einem Mediziner im Gefängnis behandelt worden. (AS 279) Die Angaben des Erstbeschwerdeführers in der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht stehen sowohl mit der Darstellung, wie sie der gutachterlichen Stellungnahme zu entnehmen ist, als auch mit der angeblichen Korrektur im Schreiben des Erstbeschwerdeführers vom 09.09.2016 in gravierendem Widerspruch. In der behördlichen Einvernahme gab der Erstbeschwerdeführer nämlich an, dass er für zehn Tage festgehalten worden sei (AS 382). Auch nach den Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe die angebliche Haft zehn Tage gedauert (OZ 25, S 21) Weitere Diskrepanzen und Ungereimtheiten, die gegen die Glaubhaftigkeit des Vorbringens sprechen, enthalten die Angaben des Erstbeschwerdeführers zur angeblich erlittenen Folter. Während der gutachterlichen Stellungnahme – unwidersprochen – zu entnehmen ist, dass der Erstbeschwerdeführer angegeben habe, man habe mit dem Militärstiefel gegen seinen Rücken getreten (AS 197), sprach er in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht – dezidiert nach Einzelheiten zur Folter befragt – ausschließlich von Schlägen (OZ 25, S 23). Zudem wusste der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung – trotz der eingehenden Befragung – nichts von der angeblichen Verletzung des rechten Handgelenks zu berichten (OZ 25, S 23). Das Bundesverwaltungsgericht erinnert ferner an die Erwägungen oben unter 2.4. zu den divergierenden Angaben des Erstbeschwerdeführers zu seiner Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat. Auch diese Ungereimtheiten sprechen eindeutig gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens.
Darüber hinaus ist noch zu berücksichtigen, dass die Angaben des Erstbeschwerdeführers zur angeblichen Demonstration(steilnahme) und insbesondere zur Verhaftung durchwegs relativ vage und oberflächlich blieben. Vor der Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht beliefen sich die Ausführungen zur Demonstration(steilnahme) auf wenige Sätze, in denen der Erstbeschwerdeführer weder die äußeren Umstände detailliert schilderte noch von sich aus den Versuch unternahm, sich näher zum Thema der Demonstration und zu den persönlichen Motiven für seine Teilnahme zu äußern (AS 382; Z 25, S 21). Nicht zuletzt mit Blick auf die konkrete Aufforderung durch den Richter, die Situation der (angeblichen) Verhaftung genauer zu schildern und alles anzugeben, was ihm in Erinnerung sei, vermittelte der Erstbeschwerdeführer mit seiner Darstellung nicht den Eindruck, er habe tatsächlich Erlebtes zu Protokoll gegeben. Der Erstbeschwerdeführer ging keineswegs auf sämtliche äußeren Umstände ein, die der Richter ausdrücklich angesprochen hatte; z. B. machte er überhaupt keine Angaben zur Tages- oder Uhrzeit der angeblichen Verhaftung. Ebenso wenig gab der Erstbeschwerdeführer Gedanken oder Emotionen aus der angeblichen Situation der Verhaftung wieder. Infolgedessen wirkt die Darstellung des Erstbeschwerdeführers eher wie ein kurzer, nüchterner Bericht eines unbeteiligten Dritten als als die Schilderung eigener – einschneidender – Erlebnisse mit (im Falle einer mehrtägigen Anhaltung und Folter) weitergehenden Folgen. (OZ 25, S 24)
2.5.4. Dass der Erstbeschwerdeführer im Iran mit den Volksmudschahedin sympathisiert habe, im Iran (Gründungs-)Mitglied einer politisch aktiven Gruppe gewesen sei, sich (im Rahmen dieser Gruppe) im Iran politisch betätigt habe, ein Mitglied der Gruppe verhaftet worden sei, der Erstbeschwerdeführer in diesem Zusammenhang bzw. weil man nach ihm gesucht habe, seinen Herkunftsstaat verlassen habe, und dass man auch nach seiner Ausreise nach ihm suche, ist aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:
Auch insofern ist zunächst auf Diskrepanzen in den Angaben einerseits in der Erstbefragung, andererseits im weiteren Verfahren hinzuweisen, die sich nicht (allein) auf das Wesen der Erstbefragung zurückführen lassen. Die oben unter 2.5.3. angestellten Erwägungen gelten analog für das nunmehr zu beurteilende Vorbringen (vgl. auch 2.5.1.). Hervorzuheben ist (neuerlich), dass der Erstbeschwerdeführer die eigene politische Betätigung, die – wie aus den Angaben in der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 und in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht folgt (vgl. AS 378; OZ 25, S 22) – in untrennbarem (inhaltlichem) Konnex zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat stehe, in der Erstbefragung überhaupt nicht erwähnte (AS 13). (Noch) stärker ins Gewicht fällt, dass der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung auch nicht angab, dass (nach der angeblichen Verhaftung eines Mitglieds der politisch aktiven Gruppe, der auch er angehört habe) die iranischen Behörden, als er noch im Iran gewesen sei, bereits bei seinen Eltern und Schwiegereltern nach ihm gesucht hätten (AS 13 versus AS 378). Die im gegenständlichen Fall nicht stringente Darlegung von angeblichen Geschehnissen, die ihn selbst betroffen hätten und für das Verlassen des Herkunftsstaats ausschlaggebend gewesen seien, weckt erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens. Dass der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung sagte, dass ihn die iranische Regierung bzw. die iranischen Behörden („sie“) mit dem Tod bedroht hätten (AS 13), in der behördlichen Einvernahme jedoch unzweifelhaft eine persönliche Bedrohung verneinte (AS 378), lässt sich ebenso wenig damit erklären, dass sich die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat bzw. bezog. Auch diese Ungereimtheit weist eindeutig darauf hin, dass weder das in der Erstbefragung noch das im weiteren Verfahren erstattete Vorbringen den Tatsachen entspricht.
Des Weiteren ist auf einen gravierenden Widerspruch zwischen den Angaben in der behördlichen Einvernahme und der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinzuweisen: Vor der belangten Behörde gab der Erstbeschwerdeführer an, dass ihn ein Gruppenmitglied namens XXXX telefonisch davon verständigt habe, dass der Leiter der Gruppe verhaftet worden sei. Er sei alleine im Auto gewesen, als er die Nachricht erhalten habe. Seine Frau und seine Tochter hätten sich bei seinen Schwiegereltern aufgehalten. Er habe sofort, gegen 17:00, 18:00 Uhr, seine Frau angerufen und ihr gesagt, sie solle dort bleiben. Er habe seine Frau getroffen und ihr mitgeteilt, sie müssten für eine Zeit woanders hin. Er habe ein paar Freunde angerufen, bis sich einer bereiterklärt habe. Gegen 21:00 Uhr seien sie zu ihm gefahren. Gegen 23:00 Uhr seien sie bei ihm gewesen. Sie hätten sich 50 Tage lang versteckt gehalten und danach das Land verlassen. (AS 378 f, 381) Damit überhaupt nicht in Einklang zu bringen ist der Verlauf der angeblichen Geschehnisse, den der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht schilderte: „[…] XXXX rief mich an und sagte mir, dass XXXX verhaftet wurde. Die Gruppe beschloss dann die Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Wir hatten einige Zeit dann auch sehr wenig Kontakt zueinander. Eines Tages rief dann der Portier des Haus, wo ich wohnte bei mir an. Ich war im Auto arbeiten. Er sagte, dass zwei Personen sich nach mir erkundigt hätten. Ich habe dann vermutet, dass sich dabei um Beamte handelt, das ganze natürlich vor dem Hintergrund der Verhaftung meines Freundes. Ich fuhr dann nicht mehr nach Hause. Ich rief meine Frau an, sie war bei ihrer Mutter. Ich fuhr dann zu meiner Schwiegermutter. […] Ein Freund von mir akzeptierte, dass ich seine Wohnung in XXXX , die er nicht bewohnte, benutzen darf. Ca. zwei oder drei Stunden nach dem Geschehnis fuhren meine Frau, ich und meine Tochter direkt von der Schwiegermutter nach XXXX , in die Wohnung meines Freundes. […]“ (OZ 25, S 22; Hervorhebungen nicht im Original) Zwischen dem Anruf, in dem der Erstbeschwerdeführer von der (angeblichen) Verhaftung des Freunds erfahren habe, und dem (angeblichen) Anruf des Portiers seien, so denke der Erstbeschwerdeführer, acht Tage vergangen (OZ 25, S 23).
Auch die Angaben dazu, wann, wo bzw. bei welcher Gelegenheit der Erstbeschwerdeführer die Zeitbeschwerdeführerin von den angeblichen Geschehnissen, namentlich vom angeblichen Anlass für das Verlassen des Wohnorts, informiert habe, divergieren beträchtlich. Vor der Behörde sagte der Erstbeschwerdeführer, dass er „es“ seiner Frau erzählt habe, als sie gegen 23:00 Uhr bei seinem Freund gewesen seien (AS 381). In der Verhandlung am 03.12.2021 führte er hingegen aus, dass er seiner Frau ca. eine Woche nach der Ankunft in der Wohnung des Freunds erzählt habe, was geschehen sei (OZ 25, S 22). Die Zweitbeschwerdeführerin gab vor der Behörde wiederum an, dass ihr Mann sie informiert habe, als sie den Wohnort hätten verlassen müssen. Ihr Mann sei zu ihnen nachhause gekommen, wo sie gewohnt hätten; sie sei mit der Tochter in ihrer („unserer“) Wohnung gewesen (2200079-1, AS 294 f). Darauf, dass die Angaben des Erstbeschwerdeführers zum Aufenthaltsort der Zweitbeschwerdeführerin unmittelbar vor der angeblichen Fahrt zur Wohnung des Freunds mit den entsprechenden Angaben der Zweitbeschwerdeführerin nicht im Einklang stehen, ist ebenfalls hinzuweisen: bei den Schwiegereltern des Erstbeschwerdeführers (AS 381) versus in der gemeinsamen Wohnung von Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführerin (2200079-1, AS 294). Vor dem Bundesverwaltungsgericht versuchten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin, ihre voneinander beträchtlich abweichenden Aussagen damit zu erklären, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin in der behördlichen Einvernahme nicht klar ausgedrückt habe: „[…] Zu diesem Zeitpunkt war ich viel bei meinen Eltern, weil auch meine Tochter kurz davor zur Welt kam. Ich habe die Wohnung meiner Eltern, als unsere Wohnung bezeichnet. Tatsächlich war ich bei meinen Eltern. Die Wohnung meiner Eltern war auch sehr nahe zur Wohnung, in der mein Mann und ich und unsere Tochter lebten. […]“ (OZ 25, S 38, siehe auch OZ 25, S 14). Dieser Erklärungsversuch vermag – angesichts der hinsichtlich der Wohnung, von der sie sprach, völlig unmissverständlichen Angaben der Zweitbeschwerdeführerin in der Einvernahme vor der Behörde – nicht zu überzeugen: „Mein Mann ist zu uns nach Hause gekommen wo wir wohnten, und hat gesagt dass wir unsere Wohnung verlassen müssen und wir keinen Kontakt zu irgend jemanden haben dürfen. Es war Nachmittag und ich habe sehr viel geweint. Ich war mit meiner Tochter in unserer Wohnung“ (2200079-1, AS 294; Orthografie und Grammatik im Original) Daraufhin vom Leiter der Amtshandlung gefragt „Haben Sie mit Ihren Eltern an derselben Adresse gelebt?“, entgegnete die Zweitbeschwerdeführerin: „Nein, wir wohnten ca. 10 Autominuten entfernt.“ (2200079-1, AS 294 f)
Bemerkenswert ist ferner, dass sich der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.12.2021 in der freien Schilderung der Gründe, aus denen er den Iran verlassen und in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, weitaus ausführlicher äußerte als bei der entsprechenden Gelegenheit in der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 (AS 378 versus OZ 25, S 21 bis 23). Aufgrund des kürzeren Zeitabstands zu den angeblichen Geschehnissen im Iran müssten die (vermeintlichen) Erlebnisse in der behördlichen Einvernahme weitaus präsenter bzw. die Erinnerungen wesentlich leichter abrufbar gewesen sein als ca. dreieinhalb Jahre später in der Verhandlung. Somit liegt der Schluss nahe, dass der Erstbeschwerdeführer versuchte, sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens „nachzubessern“, um es möglichst lebensnah und plausibel wirken zu lassen. Die bereits aufgezeigten beträchtlichen Widersprüche belegen freilich, dass ihm das nicht gelungen ist.
Dem Vorbringen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil die Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung angab, sie habe den Entschluss zur Ausreise drei Monate zuvor gefasst (2200079-1, AS 5). Die angeblichen Geschehnisse, die für das Verlassen des Irans ausschlaggebend gewesen seien, hätten sich allerdings - angesichts der Reisedauer von ca. einem Tag bis zwei Tagen (AS 11; 2200079-1, AS 7) – erst in etwa 50 bis 60 Tage (z. B. AS 378, 381; OZ 25, S 22 f), also höchstens zwei Monate vor der Erstbefragung zugetragen. Vor diesem Hintergrund ist eine Abweichung von einem Monat, gerade zum Zeitpunkt der Erstbefragung, der im Falle der Beschwerdeführer keine längere Reise vorausging, doch als so beträchtlich anzusehen, dass sie nicht vernachlässigt werden kann. Da die Zweitbeschwerdeführerin den Entschluss zur Ausreise fasste, noch bevor sich die für das Verlassen des Herkunftsstaats ausschlaggebenden Ereignisse ereignet hätten, erweist sich das Vorbringen als unschlüssig.
Dazu, wann die angebliche Gruppe, die politisch aktiv gewesen sei, gegründet worden sei, konnte der Erstbeschwerdeführer keine stringenten Angaben machen. In der behördlichen Einvernahme am 16.05.2018 sagte er zunächst, dass er seit 1388 (21.03.2009 bis 20.03.2010) mit ein paar Kollegen aus der Universitätszeit eine Gruppe gebildet habe (AS 378). Davon abweichend gab er in derselben Einvernahme zu Protokoll, dass er mit vier weiteren Kollegen diese Gruppe schon in der Universitätszeit gegründet habe (AS 379; vgl. auch AS 623). An der Universität studierte der Erstbeschwerdeführer allerdings nur bis Anfang 2002 (AS 5; vgl. auch die Angaben zum Lebenslauf auf AS 117). Vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärte der Erstbeschwerdeführer hingegen, dass er im Jahr 1389 (21.03.2010 bis 20.03.2011) mit seinen vier Freunden die Gruppe gegründet habe (OZ 25, S 22, siehe auch S 26). Ungeachtet der erheblich divergierenden Angaben zum angeblichen Gründungsjahr äußerte sich der Erstbeschwerdeführer in keinem Fall – von sich aus – näher zu den konkreten Umständen der und den Motiven für die Gründung. Anlässlich der dezidierten Frage des Richters fiel die Antwort des Erstbeschwerdeführers wenig gehaltvoll aus (OZ 25, S 26). Dass er ein ausgeprägt „politischer Mensch“ wäre, dem eine entsprechende Betätigung ein wahrhaftiges Bedürfnis wäre, trat in seiner Aussage nicht zutage. Zudem erschließt sich nicht, was all die Jahre davor einer Gründung einer derartigen Gruppe entgegengestanden wäre, sodass es erst im Jahr 1389 „endlich“ dazu gekommen sei, dass sie die Gruppe hätten gründen können. Außerdem ist erstaunlich, dass der Erstbeschwerdeführer keinen plausiblen Bezug zu seiner angeblichen Inhaftierung im Jahr 1388 herstellte. Weder behauptete er, dass er sich nach der (angeblichen) Inhaftierung der politischen Opposition verschrieben und dementsprechend die Gründung der Gruppe forciert habe, noch äußerte er etwaige Sorgen oder Bedenken ob der angeblichen Gründung im Lichte der Verpflichtungserklärung, die er habe unterfertigen müssen (AS 382; OZ 25, S 21 f), und der angeblichen Verpflichtung, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden (AS 279).
Nicht nachvollziehbar sind überdies die Angaben des Erstbeschwerdeführers zu den Gruppenmitgliedern und deren Verhältnis zueinander. In der behördlichen Einvernahme erklärte der Erstbeschwerdeführer pauschal, er kenne die Namen (gemeint: die Familiennamen) der übrigen Mitglieder der angeblichen Gruppe nicht. Aus dem Kontext erschließt sich, dass die Geheimhaltung der Nachnamen der Sicherheit der Mitglieder habe dienen sollen: „Wir haben diese Gruppe aus Angst gemacht. Es ist nicht wie in Österreich. Die Namen kenne ich nicht.“ (AS 379; vgl. auch AS 624) Vor diesem Hintergrund erstaunt zunächst, dass der Ettelaat (Geheimdienst), der nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht habe bzw. suche, dessen Namen vom angeblichen Gruppenleiter, der verhaftet worden sei, erfahren haben soll (AS 380). Dass es – angesichts dessen, dass die angeblichen Gründungsmitglieder gemeinsam studiert hätten – fernab jeglicher Lebenserfahrung ist, dass der Erstbeschwerdeführer „[d]ie Namen“ der Mitglieder nicht gekannt habe, leuchtete ihm sichtlich im Laufe des weiteren Verfahrens selbst ein. In diesem Sinne behauptete er in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er die vollständigen Namen der Gründungsmitglieder kenne, er wolle sie aber nicht nennen, um die Personen keiner Gefährdung auszusetzen (OZ 25, S 25). Tatsächlich war der Erstbeschwerdeführer jedoch nicht imstande, (auch nur) die Vornamen der angeblichen Gründungsmitglieder stringent und nachvollziehbar zu benennen. Während er vor der Behörde angegeben hatte, dass XXXX , der angeblich verhaftete Leiter der Gruppe, kein Gründungsmitglied gewesen sei (AS 379), nannte er diesen in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst ausdrücklich als eines der Gründungsmitglieder (OZ 25, S 25). Das Bundesverwaltungsgericht übersieht keineswegs, dass sich der Erstbeschwerdeführer insofern kurz vor Ende der Befragung korrigierte und sagte, XXXX sei nicht an „seiner“ Universität gewesen. Damit ist jedoch insgesamt für die Glaubhaftigkeit des Vorbringens nichts gewonnen, legte der Erstbeschwerdeführer doch mit keinem Wort dar, wer neben ihm, XXXX , XXXX und XXXX statt XXXX das weitere der insgesamt fünf Gründungsmitglieder gewesen sei (AS 379; OZ 25, S 22, 25). Angesichts des angeblichen Bedachtseins auf Sicherheit erschließt sich außerdem nicht, dass der Erstbeschwerdeführer – mit der Frage „Woher wussten Sie, dass man den einzelnen Gruppenmitgliedern vertrauen konnte, wenn Sie diese Personen nicht genau kannten?“ konfrontiert – nicht mehr anzugeben in der Lage war als: „Wir waren jedenfalls alle gegen das Regime.“ (AS 379) Im Lichte derartig oberflächlicher Aussagen ist generell nicht nachvollziehbar, wie nach der angeblichen Gründung der Gruppe noch weitere – die vermeintlichen Ziele teilenden und vertrauenswürdigen – Personen gewonnen werden konnten, sodass die Gruppe schließlich auf zehn bis 15 Personen angewachsen sei (AS 379). Bedenkt man, dass, wie der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht andeutete, die Rekrutierung neuer Mitglieder im Freundeskreis der bestehenden Mitglieder erfolgt sei (OZ 25, S 22), sind seine zuletzt wörtlich zitierte Aussage und der Umstand, dass er die Gruppenstärke nur sehr ungenau mit zehn bis 15 Personen angeben konnte, noch weniger begreiflich. Unschlüssig ist, dass die Aktivitäten des Erstbeschwerdeführers für die Volksmudschahedin begonnen hätten, als die angebliche Gruppe gegründet worden sei (OZ 25, S 30). Denn nach den Angaben des Erstbeschwerdeführers seien die beiden angeblichen Kontaktleute zu den Volksmudschahedin, von denen der Erstbeschwerdeführer nur einen gekannt habe, nicht Gründungsmitglieder der Gruppe gewesen (AS 378, 379), bzw. sei der Kontaktmann (doch) nicht Gründungsmitglied der Gruppe gewesen (OZ 25, S 25, 30, 36). In Anbetracht dessen blieb völlig im Dunkeln, wie die Gruppe Parolen und Flugblätter formuliert haben will bzw. woher die betreffenden Inhalte gestammt hätten, bevor die (erste) Kontaktperson zu den Volksmudschahedin zur Gruppe gestoßen sei. Der Erstbeschwerdeführer gab nämlich ausdrücklich an: „[…] Die Parolen und Inhalte, die wir verwendeten kamen über den Kontaktmann von den Volksmudschahedin. […]“ (OZ 25, S 30) Ein weiterer Beleg dafür, dass dem Vorbringen jegliche Tatsachensubstanz fehlt, ist, dass der Erstbeschwerdeführer - trotz angeblich jahrelangen Engagements und der angeblichen Verbreitung des zehn Punkte umfassenden Plans der Volksmudschahedin (bzw. des Nationalen Widerstandsrats Iran) bereits im Iran (OZ 25, S 30) - am 03.12.2021 diese Punkte nicht vollständig wiedergeben konnte (OZ 25, S 34). Darin manifestiert sich im Übrigen auch, dass sich der Erstbeschwerdeführer in Wahrheit nicht näher mit dem Programm sowie den Zielen der Volksmudschahedin befasst hat und dass er sich keineswegs wahrhaftig damit identifiziert, mag er in Österreich auch an Kundgebungen und Konferenzen teilnehmen.
Kaum einzuleuchten vermag ferner, dass der Erstbeschwerdeführer, der sich anlässlich der Entlassung aus der angeblichen Haft verpflichten habe müssen, keinerlei Aktivitäten gegen die iranische Regierung zu unternehmen (AS 382; OZ 25, S 22), und der nach der Entlassung aus der angeblichen Haft wöchentlich der Polizei habe bekanntgeben müssen, was er mache (AS 279), von den iranischen Behörden unbemerkt und unbehelligt über Jahre im Rahmen einer Gruppe, womöglich mehrmals wöchentlich (OZ 25, S 44), kritische und regierungsfeindliche Parolen auf Wände geschrieben und Flugblätter verteilt haben will (AS 378; OZ 25, S 22, 30).
Den bisherigen Erwägungen folgend gibt es weder Anlass noch Grund dafür, dass iranische Behörden, etwa bei den Eltern und Schwiegereltern des Erstbeschwerdeführers, nach ihm suchen sollten. Damit fehlt auch den entsprechenden Behauptungen jegliche Grundlage (AS 378; OZ 25, S 26 f, 45 f).
2.5.5. Aufgrund der vorliegenden Bescheinigungsmittel (insbesondere Fotos) und des diesbezüglichen Vorbringens ist glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer in Österreich in der Öffentlichkeit seit Jahren des Öfteren an Informationsständen/Kundgebungen sowie an (vereins)internen Veranstaltungen (insbesondere Online-Konferenzen) des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus mit Sitz in XXXX teilnimmt (AS 382, 387, 393 ff, 521 ff, 621; OZ 2, 17, 18, OZ 25, Beilage A, OZ 25, S 27 ff, OZ 29). Der Initiator bzw. Organisator der Informationsstände/Kundgebungen, an denen der Erstbeschwerdeführer teilnimmt, ist dem Verein Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus zuzurechnen und steht, wie der Verein selbst, in einem (vom Erstbeschwerdeführer nicht näher genannten) Naheverhältnis zu den Volksmudschahedin bzw. zum Nationalen Widerstandsrat Iran (NRWI) (vgl. insbesondere AS 387; OZ 2, 17, 18, OZ 25, S 31 und Beilage G, OZ 31). Der Nationale Widerstandsrat ist als der (exil)politische Arm der Volksmudschahedin zu begreifen (vgl. neben den Feststellungen oben unter 1.3.1.3 OZ 25, Beilage G). Die Informationsstände/Kundgebungen, an denen der Erstbeschwerdeführer in Österreich teilnimmt, sind etwa gegen das gegenwärtige iranische Regime sowie Hinrichtungen im Iran gerichtet, betreffen die Menschenrechtslage im Iran und zielen (anlässlich der so genannten „Atomverhandlungen“ in XXXX ) auf einen „atomfreien Iran“ ab. Bei den Informationsständen/Kundgebungen sind im Regelfall das Wappen der Volksmudschahedin bzw. eine Flagge mit diesem Wappen sowie eine Flagge mit drei gleich großen, horizontalen Streifen (oben grün, in der Mitte weiß und unten rot) und dem mittig angeordneten Symbol bestehend aus einem Löwen und der Sonne (vgl. die offizielle Staatsflagge des Irans bis 1979) zu sehen; auch der Erstbeschwerdeführer hält mitunter diese Flaggen bei den Veranstaltungen. Überdies folgt der Erstbeschwerdeführer einem Twitterkanal der Volksmudschahedin; fallweise kommentiert und „liked“ der Erstbeschwerdeführer Kanalinhalte (OZ 25, S 34 f und Beilage B).
Dass ihm (und den weiteren Beschwerdeführern) im Zusammenhang mit den genannten Aktivitäten oder sonst, insbesondere wegen einer tatsächlichen oder unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, Bedrohung oder eine sonstige Gefährdung (für den Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat) droht(e), vermochte der Erstbeschwerdeführer – auch mit Blick auf die Länderinformationen – allerdings nicht glaubhaft zu machen.
2.5.5.1. Zunächst ist anknüpfend an die Erwägungen oben unter 2.5.4. festzuhalten, dass dem Vorbringen zum Beginn der politischen Betätigung und einer Sympathie für die Volksmudschahedin bereits im Iran nicht zu folgen war. Das heißt, der Erstbeschwerdeführer entfaltete eine (vermeintlich) politische Betätigung erst in Österreich. Dies kann zum einen den Verdacht eines asyltaktisch motivierten Vorgehens begründen, der sich, wie noch darzulegen sein wird, gegenständlich auch erhärtete. Zum anderen ist – mangels politischer Betätigung bereits im Iran – somit jedenfalls ausgeschlossen, dass der iranische Staat und seine Organe insofern auf den Erstbeschwerdeführer aufmerksam geworden sein könnten; es gab keine „Vorverfolgung“ des Erstbeschwerdeführers (und der übrigen Beschwerdeführer) im Iran. Dem Vorbringen, der Erstbeschwerdeführer sei persönlich negativ politisch vorbelastet, was eine entsprechend hohe Gefährdung mit sich bringe (z. B. AS 627), kommt somit keine Berechtigung zu.
Der Erstbeschwerdeführer mag zwar in Österreich seit Jahren laufend an Informationsständen/Kundgebungen sowie an (vereins)internen Veranstaltungen zu politischen Themen teilnehmen, er ist jedoch kein „ernsthafter“ politischer Aktivist und identifiziert sich weder wahrhaftig mit den Themen der Informationsstände/Kundgebungen/Veranstaltungen noch mit den Zielen der Volksmudschahedin und des Nationalen Widerstandsrats Iran. Bei der Würdigung der Angaben des Erstbeschwerdeführers zu seinen Tätigkeiten und seiner politischen Überzeugung ist neben der Häufigkeit der Teilnahme an den unterschiedlichen Veranstaltungen auch sein – keineswegs niedriger – Bildungsstand zu berücksichtigen (vgl. exemplarisch den Bildungsstand der österreichischen Bevölkerung: https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=020912 [26.01.2022]). Das Agieren des Erstbeschwerdeführers im Verfahren und insbesondere auch sein Auftreten und seine Aussagen in der mündlichen Verhandlung zeugen davon, dass er über die geistigen und sprachlichen Fähigkeiten verfügt, seine persönliche Anschauung zum Ausdruck zu bringen und ein (Sach-)Vorbringen vorzutragen. Vor diesem Hintergrund hätte sich der Erstbeschwerdeführer – ein Mindestmaß an wahrhaftigem Interesse und eine Identifikation mit den politischen Zielen der Veranstaltungen sowie der Volksmudschahedin und des Nationalen Widerstandsrats Iran vorausgesetzt – insbesondere im Zuge der konkreten Befragung durch den Richter gewiss eingehend und detailliert zu seiner politischen Überzeugung geäußert und die Motive für seine (vermeintlich) politische Betätigung im Einzelnen sowie inhaltlich fundiert dargelegt. Das war jedoch nicht der Fall. Das Bundesverwaltungsgericht erinnert daran, dass der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung am 03.12.2021 mehrfach auf den zehn Punkte umfassenden Plan der Volksmudschahedin bzw. des Nationalen Widerstandsrats Iran zu sprechen kam, jedoch – trotz häufiger Teilnahme an Veranstaltungen, mit denen dieser Plan verfolgt werde – die zehn Punkte nicht vollständig wiedergeben konnte (OZ 25, S 29 f, 33 f). Nach drei Grundsätzen des Nationalen Widerstandsrats Iran gefragt, konnte der Erstbeschwerdeführer zwar oberflächlich einige Punkte aus dem Plan anführen. Der ausdrücklichen Aufforderung, dazulegen, inwieweit diese für seine persönliche politische Überzeugung wichtig seien, kam er jedoch nicht nach. (OZ 25, S 29) Dass die Angaben des Erstbeschwerdeführers oberflächlich waren, erschließt sich anhand eines Vergleichs mit den zehn Punkten des Plans: https://en.wikipedia.org/wiki/National_Council_of_Resistance_of_Iran#Platform 's_core_concepts (26.01.2022). Z. B. beinhaltet demnach der vom Erstbeschwerdeführer bloß mit „Iran ohne Atom“ bezeichnete Punkt auch die Ablehnung des Besitzes jeglicher Massenvernichtungswaffen an sich. Ebenso wenig führte der Erstbeschwerdeführer aus, inwieweit die von ihm genannten politischen Grundsätze der Volksmudschahedin für seine persönliche politische Überzeugung wichtig seien. Dass er entgegen der Aufforderung nicht drei, sondern lediglich zwei Grundsätze anführte, ist überdies zu beachten. Als Grundsätze nannte der Erstbeschwerdeführer (letztlich nur) Demokratie und Gleichheit; dass es eine Grenze zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem gebe, ist kein Grundsatz im eigentlichen Sinne. (OZ 25, S 30) Gefragt, wann und warum er sich entschlossen habe, sich für den Nationalen Widerstandsrat Iran zu engagieren, und aufgefordert, seine Motive zu nennen, zog sich der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen darauf zurück, dass der Nationale Widerstandsrat mit den Volksmudschahedin organisatorisch verbunden sei: Die Volksmudschahedin seien ein Teil des Nationalen Widerstandsrats Iran, die Aktionen seien abgestimmt und sohin sei es das Gleiche, ob er nur für die Volksmudschahedin oder auch für den Nationalen Widerstandsrat Iran tätig sei. Damit ließ der Erstbeschwerdeführer die Frage im Ergebnis weitgehend unbeantwortet und somit die Gelegenheit, eine oppositionelle politische Gesinnung auf nachvollziehbare Weise offenzulegen, ungenutzt. (OZ 25, S 29) Auch dazu, wann und warum er sich entschlossen habe, sich für die Volksmudschahedin zu engagieren, bzw. zu den Motiven, äußerte sich der Erstbeschwerdeführer in der Folge keineswegs tiefgehend: „Meine Aktivitäten für die Volksmudschahedin begannen, als wir unsere Gruppe gegründet haben. Die Parolen und Inhalte, die wir verwendeten kamen über den Kontaktmann von den Volksmudschahedin. Mein Motiv ist, dass ich der Überzeugung bin, dass nur die Volksmudschahedin eine Veränderung im Iran herbeiführen können.“ (OZ 25, S 30) Soweit der Erstbeschwerdeführer den Beginn seines (angeblichen) Engagements für die Volksmudschahedin (zeitlich) mit der (angeblichen) Gründung einer Gruppe (im Iran) gleichsetzte, ist auf die Erwägungen oben unter 2.5.4. zu verweisen. Der zweite Satz seiner Antwort weist keinen Bezug zur Fragestellung auf. Einzig der dritte Satz seiner Antwort bezieht sich auf die Motive bzw. Gründe für das angebliche Engagement. Der Satz ist allerdings wenig gehaltvoll. Dass sich ein (relativ gebildeter) Asylwerber, der sich aus Überzeugung einer im Herkunftsstaat verbotenen Organisation anschließt und deshalb tatsächlich Verfolgung befürchtet, in einer Befragung zu seinem Antrag auf internationalen Schutz nicht eingehender zu den Motiven für seine politische Betätigung äußert, will nicht einleuchten. Dementsprechend ist die Schlussfolgerung angezeigt, dass der Erstbeschwerdeführer nicht als Ausdruck seiner politischen Überzeugung an Informationsständen, Kundgebungen und sonstigen Veranstaltungen teilnimmt und in den sozialen Medien Aktivitäten setzt, sondern dass diese Betätigung asyltaktisch motiviert ist. Auch gilt es zu bedenken, dass sich der Erstbeschwerdeführer in seinen Aussagen vielfach schillernder Begriffe bediente. Beispielsweise sprach er (auch anlässlich der Frage nach seinen Vorstellungen von einem idealen Staat) von einem demokratischen System und gerechten Wahlen (OZ 25, S 29). Hierbei mag es sich durchaus um Schlagworte handeln, die auch, aber keineswegs nur von den Volksmudschahedin bzw. vom Nationalen Widerstandsrat Iran verbreitet werden. Auf die nähere Ausgestaltung des (demokratischen) Systems (z. B. direkte versus repräsentative Demokratie, parlamentarisches oder präsidentielles Regierungssystem) oder (aus seiner Sicht) wesentliche Voraussetzungen für ein funktionierendes demokratisches System und „gerechte Wahlen“ ging er jedoch nicht ein. Man bedenke etwa die „Deutsche Demokratische Republik“, die im Allgemeinen als Einparteiendiktatur qualifiziert wird. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu erkennen, dass sich der Erstbeschwerdeführer mit den konkreten politischen Vorstellungen und der Binnenstruktur der Volksmudschahedin sowie des Nationalen Widerstandsrats Iran näher befasst hätte oder dass er reflektiert hätte, ob Nationaler Widerstandsrat und Volksmudschahedin die nominell propagierten Ziele tatsächlich leben. Das Bundesverwaltungsgericht gibt exemplarisch zu bedenken, dass die Volksmudschahedin in einer deutschen Wochenzeitung als „Politiksekte“ mit entsprechenden Methoden bezeichnet wurden und nicht von vornherein als gänzlich substanzlos anzusehende Hinweise darauf bestehen, dass das propagierte Demokratieprinzip innerhalb des Nationalen Widerstandsrats Iran keine Anwendung findet (OZ 25, Beilage G).
Auch im Zuge der konkreten Befragung zu den ausgeübten Aktivitäten konnte der Erstbeschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass eine mit dem iranischen Regime im Widerspruch stehende (politische) Gesinnung wesentlicher Bestandteil seiner Identität wäre. Den entsprechenden Antworten ist zu entnehmen, dass die konkrete Beteiligung des Erstbeschwerdeführers an sämtlichen Veranstaltungen, also insbesondere den Informationsständen/Kundgebungen und Konferenzen, sowie in den sozialen Medien durchwegs im relativ passiven Bereich (keine führende Rolle) und auf niedrigem Niveau angesiedelt ist (vgl. insbesondere OZ 25, S 27 f, 31 ff). Allgemein nach den Zielen, die er mit der Teilnahme an Kundgebungen in Österreich verfolge, befragt, gab der Erstbeschwerdeführer im Hinblick auf ein politisches Programm sowie eine politische Überzeugung unspezifisch an, sein Hauptziel sei, dass die Bevölkerung im Iran sich sicher sei, dass sie nicht allein gelassen werde und dass sie unterstützt werde (OZ 25, S 31). Noch deutlicher trat die mangelnde Auseinandersetzung und Identifikation des Erstbeschwerdeführers mit den Zielen der Kundgebungen, an denen er teilnimmt, im Zuge der Befragung zu bestimmten von ihm vorgelegten Fotos zutage. In der Verhandlung fragte der Richter den Erstbeschwerdeführer zu einem Foto, das diesen laut schriftlicher Eingabe eine Demotafel sowie die Flagge der Volksmudschahedin haltend bei der Protestkundgebung „Aufstand des Iran für die Freiheit“ zeige (OZ 17, OZ 25, S 32). Der Erstbeschwerdeführer war nicht einmal ansatzweise dazu in der Lage, sich nachvollziehbar zur konkreten Tätigkeit und seinen Motiven zu äußern. Er wich den gestellten Fragen weitgehend aus. Aufgefordert, zu erklären, wobei, also bei welcher Tätigkeit und bei welchem Geschehen, er auf diesem Foto zu sehen sei, und aufgefordert, seine Motive für diese Tätigkeit anzugeben, erwiderte der Erstbeschwerdeführer ohne jeglichen Bezug zum auf dem Foto dokumentierten Geschehen: „Die Volksmudschahedin haben normalerweise einen jährlichen Kongress, der in Paris stattfindet. Corona bedingt wurde dieser in den letzten zwei Jahren in unterschiedlichen Städten in kleineren Gruppen abgehalten und mittels ZOOM miteinander verbunden. Wenn ich mich nicht irre, war das am 9.Juli 2020.“ Auch die daraufhin vom Richter gestellte Frage „Wofür konkret traten Sie bei der auf dem Foto ersichtlichen Protestkundgebung ein?“ ignorierte der Erstbeschwerdeführer, indem er entgegnete: „Normalerweise werden beim jährlichen Kongress alle Ziele, wofür die Partei eintritt, noch einmal mittels Banner und Plakate erwähnt.“ (OZ 25, S 32) Mit weiteren Fotos konfrontiert, konnte der Erstbeschwerdeführer zwar zutreffend das grundsätzliche Thema der betreffenden Protestkundgebung anführen (OZ 17, OZ 25, S 32 f). Weder die Fotos noch die Ausführungen des Erstbeschwerdeführers dazu weisen jedoch auf ein hervorstechendes Engagement hin. Als ebenso passiv erweist sich die Rolle des Erstbeschwerdeführers bei den – ohnedies (vereins)internen und somit Außenstehenden nicht zugänglichen – Online-Konferenzen und in den sozialen Medien. Bei den Online-Konferenzen gebe es einen Vortragenden und (mehrere) Zuhörer. Die Funktion des Vortragenden habe der Erstbeschwerdeführer noch nie übernommen. Die Zuhörer würden, wenn es nötig sei, Fragen stellen. Eine von ihm gestellte Frage hatte der Erstbeschwerdeführer nicht in Erinnerung. (OZ 25, S 32) Aufgrund der Angaben des Erstbeschwerdeführers ist ferner sowohl eine außergewöhnlich intensive als auch eine fundierte und eigenständige Betätigung mit politischem Bezug in den sozialen Medien zu verneinen. Der Erstbeschwerdeführer kommentiert und „liked“ lediglich Inhalte. Dass er selbst für die inhaltliche Gestaltung von Auftritten der Volksmudschahedin in den sozialen Medien maßgeblich verantwortlich wäre, brachte er hingegen nicht vor. Seiner mangelnden Identifikation und seiner Betätigung auf niedrigstem Niveau entsprechend konnte er keine konkret von ihm veröffentlichten Inhalte benennen (OZ 25, S 11, 34 f und Beilage B).
2.5.5.2. Aus den bisherigen Erwägungen gelangt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass der Erstbeschwerdeführer in Wahrheit keine (politische) Gesinnung hat, die in Opposition zum iranischen Regime steht oder vom iranischen Regime als oppositionell angesehen werden würde. Eine oppositionelle politische Gesinnung ist nicht Teil der Identität des Erstbeschwerdeführers. Der Erstbeschwerdeführer würde folglich auch im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine oppositionelle Gesinnung zum dortigen Regime sowie dessen politischen Vorstellungen vertreten und er würde sich keinesfalls (oppositions)politisch betätigen. Insofern ist eine Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung sowohl des Erstbeschwerdeführers als auch der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers ausgeschlossen.
2.5.5.3. Ebenso wenig droht(e) den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat wegen der – ohne entsprechende innere Überzeugung – (vermeintlich) politischen Betätigung des Erstbeschwerdeführers in Österreich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, Bedrohung oder eine sonstige Gefährdung. Der Iran unterstellt den Beschwerdeführern, namentlich dem Erstbeschwerdeführer, auch keine oppositionelle politische Gesinnung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs kommt es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von Rückkehrern, die sich im Ausland exilpolitisch betätigt haben, darauf an, ob der Asylwerber infolge seiner exilpolitischen Betätigung in das Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen Behörden seines Herkunftsstaates geraten konnte. Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen, einerseits, ob der Asylwerber auffällig regimekritisch in Erscheinung getreten ist, andererseits, ob er aus der Sicht der Behörden des Herkunftsstaates als Gefahr für das Regime eingeschätzt werden konnte. Vgl. mwN VwGH 14.01.2003, 2001/01/0398. Insofern kommt der Frage wesentliche Bedeutung zu, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die dem Betreffenden nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen oder umgekehrt. Die Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten ist anzunehmen, wenn ein iranischer Bürger bei seinen Aktivitäten (aus dem Kreis der standardmäßig exilpolitisch Aktiven) besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran einwirkenden Regimegegner einwirken lässt. Hingegen zählen zu den exilpolitischen Aktivitäten niedrigen Profils, die typischerweise nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung begründen, unter anderem die mit einer schlichten Vereinsmitgliedschaft verbundene regelmäßige Zahlung von Mitgliedsbeiträgen sowie von Spenden, schlichte Teilnahme an Demonstrationen, Ordnertätigkeit bei Demonstrationen, Hungerstreiks, Autobahnblockaden, Informationsveranstaltungen oder Schulungsseminaren, Verteilung von Flugblättern und Verkauf von Zeitschriften, Helfertätigkeit bei Informations- und Bücherständen, Platzierung von namentlich gezeichneten Artikeln und Leserbriefen in Zeitschriften. Vgl. näher dazu die bei BVwG 14.10.2020, L506 2180834-1/19E, zitierte Judikatur deutscher Oberverwaltungsgericht, die – schon mit Blick auf die vielfach unionsrechtlich determinierte Rechtslage (vgl. z. B. die Richtlinie 2011/95/EU ) – auch gegenständlich anwendbar erscheint.
Unter Berücksichtigung dieser Judikatur kann eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgung weder aufgrund der objektiven Umstände erkannt werden noch machte der Erstbeschwerdeführer eine solche glaubhaft:
Im Rahmen der objektiven Betrachtung übersieht das Bundesverwaltungsgericht durchaus nicht, dass der Iran die Volksmudschahedin nach den Länderinformationen (vgl. oben unter 1.3.1.3.) als Terrororganisation einstuft und dass diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen riskieren können (vgl. auch die entsprechende Stellungnahme der Beschwerdeführer OZ 17). Diese Ausführungen im Länderinformationsblatt beziehen sich jedoch – wie sich aus der ganzheitlichen bzw. systematischen Betrachtung desselben ergibt – ohne Frage auf die (Sicherheits-)Lage im Iran und nicht auf eine allenfalls nach dem Verlassen des Irans (erstmals) entfaltete politische oder eine exilpolitische Betätigung. Diesbezüglich sind vielmehr die unter 1.3.1.22. zitierten Länderinformationen maßgeblich. Demnach können Iraner, die im Ausland leben und sich dort öffentlich regimekritisch äußern, von Repressionen bedroht sein, nicht nur wenn sie in den Iran zurückkehren. 2019 und 2020 wurden zwei Exil-Oppositionelle im Ausland verschleppt und sind derzeit in Iran inhaftiert. In Belgien läuft ein Gerichtsprozess gegen einen iranischen Diplomaten, der 2018 einen Anschlag auf das Jahrestreffen der oppositionellen Volksmudschaheddin in Paris geplant haben soll. Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab. Davon und von der konkreten Betätigung ausgehend, die – wie umfassend erwogen – zwar häufig erfolgt, aber inhaltlich betrachtet auf relativ niedrigem Niveau rangiert, hat sich der Erstbeschwerdeführer keinesfalls (derart) exponiert, dass dies eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgung indizieren würde. Namentlich kommt dem Erstbeschwerdeführer bei den Aktivitäten in Österreich weder eine führende Rolle zu noch ragt er anderweitig aus der Gruppe der Teilnehmer von Veranstaltungen in der Öffentlichkeit heraus. Somit ist er nicht „auffällig regimekritisch“ in Erscheinung getreten. Der iranische Staat kann weder jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen noch alle seine Staatsbürger beobachten. Der Iran wird seinen Fokus daher auf Personen legen, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements realistischerweise eine potentielle Gefahr für das Regime darstellen; vgl. oben unter 1.3.1.5. und 1.3.1.15. Dass der Erstbeschwerdeführer aus Sicht der Behörden des Herkunftsstaats als Gefahr für das Regime eingeschätzt werden könnte, ist nicht zu erkennen. Nicht jeder iranische Staatsbürger, der (seinen Herkunftsstaat ohne „Vorverfolgung“ verlassen hat und) im Ausland – auf niedrigem Niveau – an politischen Veranstaltungen teilnimmt, wird als möglicher Regimefeind erkannt und verfolgt. Dass, wie der Rechtsvertreter in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorbrachte, alle Demonstrationen vom iranischen Geheimdienst aufgenommen werden würden, um die Personen in weiterer Folge erkennungsdienstlich zu behandeln, ist zum einen eine nicht begründete Behauptung (OZ 25, S 48). Zum anderen reichte auch allein die mögliche Identifizierbarkeit des Erstbeschwerdeführers nicht zur Annahme aus, er hätte deswegen bei einer Rückkehr in den Iran eine Verfolgung zu befürchten. An die bisherigen Erwägungen anknüpfend und insbesondere das „Profil“ des Erstbeschwerdeführers mit auf niedrigem Niveau und nicht in führender Rolle angesiedelter Betätigung bedenkend rechtfertigt auch der Umstand, dass Fotos und Videos von Informationsständen/Kundgebungen in Online-Medien oder im Fernsehen veröffentlicht werden (vgl. z. B. OZ 25, S 37, 47 f), nicht den Schluss, dass der Erstbeschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu gewärtigen hätte.
Dass es im Übrigen auch dem Erstbeschwerdeführer nicht gelungen ist, eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit gegebene Verfolgung glaubhaft zu machen, ist folgendermaßen begründet: Die Beschwerdeführer traten den vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen nicht entgegen (vgl. insbesondere OZ 17, OZ 25, S 11 f, 35, OZ 29). Soweit in einer Stellungnahme – dem Länderinformationsblatt entnommen – ausgeführt wird, dass die iranischen Behörden die Aktivitäten von Mitgliedern der Volksmudschahedin im Exil beobachten würden (OZ 17; vgl. auch OZ 29), weist das Bundesverwaltungsgericht zum einen darauf hin, dass die Beschwerdeführer – schon ihrem eigenen Vorbringen folgend – nicht Mitglieder der Volksmudschahedin sind. Zum anderen ist zu beachten, dass sich die Beschwerdeführer nicht im Exil befinden. Die Beschwerdeführer verließen den Iran ohne jegliche „Vorverfolgung“; sie waren (und sind) nicht in den Fokus der iranischen Staatsorgane geraten. Diese Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenso auf die Äußerungen in der Stellungnahme zur Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten im Ausland zu übertragen (OZ 17; vgl. auch OZ 29). Die Beschwerdeführer leben außerhalb ihres Herkunftsstaats, sie befinden sich in Österreich aber nicht im Exil. Sie verließen ihren Herkunftsstaat nicht aufgrund einer Ausweisung, Verbannung, Vertreibung, Ausbürgerung, Zwangsumsiedlung, Verfolgung oder unerträglicher Verhältnisse, sondern freiwillig (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Exil [30.01.2022]). Dessen ungeachtet stellt das Bundesverwaltungsgericht nicht in Abrede, dass der iranische Staat über einen (Auslands-)Geheimdienst verfügt und diesen auch einsetzt. Mit seinen Ausführungen unter Berufung auf – teils zehn Jahre alte – Berichte mag der Erstbeschwerdeführer allenfalls die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung behauptet haben, dass ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht(e), machte er jedoch nicht glaubhaft. Der Erstbeschwerdeführer vermochte nicht aufzuzeigen, dass und weshalb gerade er aufgrund der Betätigung in Österreich in den Fokus der iranischen Behörden geraten sein könnte und was den iranischen Behörden allenfalls dazu Anlass geben könnte, gerade in ihm ernstzunehmende politische Gefahr zu sehen. Schließlich lassen auch die Aussagen des Erstbeschwerdeführers in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel, dass er in Wahrheit selbst nicht ernsthaft von einem derartigen Risiko ausgeht: Vom Richter gefragt „Haben Sie im Zusammenhang damit, dass Sie in Österreich an Protestkundgebungen und Konferenzen teilnehmen, konkrete Probleme bekommen? Gibt es konkrete Hinweise auf Probleme?“, gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll: „Nein, ich konnte hier meine politische Tätigkeit frei ausüben und hatte keine Probleme.“ (OZ 25, S 33). In dieses Bild fügt sich, dass der Erstbeschwerdeführer in der Verhandlung behauptete, iranische Behörden würden bei seinem Vater und seinem Schwiegervater nach wie vor (zuletzt im Jahr 2021) nach ihm suchen (OZ 25, S 26 f). Dieses Vorbringen ist zwar, wie erwogen, nicht glaubhaft. Es wäre aber – insbesondere aus Sicht des Erstbeschwerdeführers selbst – geradezu widersinnig, dieses Vorbringen zu erstatten, ginge der Erstbeschwerdeführer auch nur im Entferntesten davon aus, dass der iranische Staat Kenntnis von seinem Aufenthalt in Österreich und den hier entfalteten Aktivitäten haben könnte. Vernünftigerweise ist nicht anzunehmen, dass der Erstbeschwerdeführer angeben würde, iranische Staatsorgane würden sich (nach wie vor) im Herkunftsstaat nach ihm erkundigen, hätte er den Verdacht, der iranische Staat hätte - auf welchem Wege auch immer, sei es durch Fotos und Videos von Informationsständen/Kundgebungen in Online-Medien oder im Fernsehen oder sei es, weil der iranische Geheimdienst angeblich alle Demonstrationen aufnehme, um die Personen in weiterer Folge erkennungsdienstlich zu behandeln (vgl. z. B. OZ 25, S 37, 47 f) - davon erfahren, dass er sich in Österreich aufhält und hier an Informationsständen/Kundgebungen teilnimmt. Insgesamt bestätigten die Aussagen des Erstbeschwerdeführers in der Verhandlung, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Erstbeschwerdeführer wegen der Betätigung in Österreich, die freilich ohnedies nicht Ausdruck einer wahrhaftigen politischen Überzeugung ist, ins Visier des iranischen Staats geraten sein und von diesem als ernsthafter und gefährlicher Regimegegner betrachtet werden könnte.
Da der iranische Staat und seine Organe von der (vermeintlich) politischen Betätigung des Erstbeschwerdeführers keine Kenntnis haben, ist ausgeschlossen, dass sie ihm – ungeachtet seiner tatsächlichen Überzeugung – eine oppositionelle (politische) Gesinnung unterstellen (könnten).
2.5.5.4. Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass auch der Umstand, dass Anfang der 1980er-Jahre zwei Onkel und eine Tante des Erstbeschwerdeführers als Mitglieder der Volksmudschahedin durch das iranische Regime ums Leben gekommen seien (vgl. etwa OZ 17, OZ 25, S 21, 50), für die Beschwerdeführer kein Risiko einer Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung begründet. Das Bundesverwaltungsgericht erinnert daran, dass die Eltern, Geschwister sowie Onkel und Tanten des Erstbeschwerdeführers nach wie vor im Herkunftsstaat leben und nicht (glaubhaft) vorgebracht wurde, dass diese als Angehörige von Personen, die als Mitglieder der Volksmudschahedin durch das iranische Regime ums Leben gekommen seien, (gravierende) Probleme oder gar eine Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung zu gewärtigen hätten.
Den bisherigen Erwägungen, insbesondere den Feststellungen unter 1.2., steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung behauptete, österreichische Polizisten hätten sie aufgesucht und sich danach erkundigt, ob „sie“ („wir“; wohl gemeint: die Beschwerdeführer) deshalb, weil der Erstbeschwerdeführer an Demonstrationen teilnehme, von der iranischen Botschaft belästigt worden seien; der Erstbeschwerdeführer sei zu diesem Zeitpunkt nicht zuhause gewesen (OZ 25, S 45 f). Zum einen sind diese Angaben überhaupt zweifelhaft. Die Zweitbeschwerdeführerin konnte dieses angebliche Ereignis nur grob zeitlich einordnen; es sei (bezogen auf den Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht) vor sieben bis acht Monaten passiert. Soweit der Rechtsvertreter dazu – spekulativ – einen Zusammenhang mit XXXX und mutmaßlichen Anschlagsplänen herzustellen versuchte, ist zu beachten, dass XXXX im Jahr 201 XXXX verhaftet wurde. Dass Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in diesem Zusammenhang im Jahr 2021 bei angeblichen Anhängern der Volksmudschahedin in Österreich Nachschau halten sollten, ob diese in Sicherheit seien, ist keine naheliegende Annahme. Als ebenso wenig plausibel anzusehen ist, dass österreichische Behörden bzw. Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gingen sie tatsächlich davon aus, dass (vermeintliche) Anhänger der Volksmudschahedin wegen der Teilnahme an Demonstrationen in Österreich von der iranischen Botschaft belästigt werden könnten, sich auf eine einmalige Amtshandlung beschränkt hätten, bei der der Demonstrationsteilnehmer noch nicht einmal zugegen war (OZ 25, S 46). Zum anderen lässt sich den Aussagen der Zweitbeschwerdeführerin ohnedies nicht entnehmen, dass sie oder die übrigen Beschwerdeführer tatsächlich von der iranischen Botschaft belästigt worden wären. Ebenso wenig legte die Zweitbeschwerdeführerin (nachvollziehbar) dar, dass die angeblich einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes insofern einen begründeten Verdacht geäußert hätten.
2.5.6. Die von den Beschwerdeführern geäußerten Befürchtungen für den Fall der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat kann das Bundesverwaltungsgericht, wie umfassend erwogen, nicht teilen.
(Auch) ansonsten haben die Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, dass sie in ihrem Herkunftsstaat Iran einer aktuellen unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung ausgesetzt bzw. im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wären. Das Bundesverwaltungsgericht erinnert insbesondere an die Erwägungen oben unter 2.5.2.
Aus den Erwägungen oben unter 2.5.2. folgt in Zusammenschau mit den Feststellungen oben unter 1.3. zur Lage im Herkunftsstaat, dass die Beschwerdeführer auch kein substantiiertes Vorbringen erstattet und nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachgewiesen haben, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 2 oder 3 EMRK oder dem 6. und dem 13. ZPEMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Das Bundesverwaltungsgericht erinnert im Hinblick auf die Verfügbarkeit medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat auch noch einmal daran, dass der Rechtsvertreter in der Verhandlung nach einer Stellungnahme zu Länderinformationen betreffend medizinische Versorgung gefragt, erwiderte, dass die medizinische Versorgung im Iran „okay“ sei; nur in Ausnahmefällen könne der Gesundheitszustand für einen Verbleib in Österreich sprechen (OZ 25, S 50). Dass der Gesundheitszustand der Beschwerdeführer einen derartigen Ausnahmefall begründen würde, wurde in keinem Stadium des Verfahrens (substantiiert) vorgebracht.
Das Bundesverwaltungsgericht weist ferner darauf hin, dass sowohl aus dem aktuellen Länderinformationsblatt (vgl. oben unter 1.3.1.) als auch aus einem mehrjährigen Beobachtungszeitraum, den die von der Behörde in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen (vgl. insbesondere AS 547 ff) und die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblätter insgesamt abdecken, eindeutig hervorgeht, dass der Iran über eine stabile politische Ordnung, Sicherheitslage und Infrastruktur verfügt.
2.5.6.1. Zum Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin ist festzuhalten, dass mangels eines den Anforderungen unter 2.1.2. genügenden gegenteiligen Vorbringens sowie unter Bedachtnahme auf ihre Person (insbesondere Schulbildung, Arbeitsfähigkeit, Berufserfahrung, Gesundheitszustand, Sozialisation im Herkunftsstaat, familiäre Anknüpfungspunkte) und die unter 1.3. festgestellte Lage im Herkunftsstaat, davon auszugehen ist, dass den beiden im Falle der Rückkehr die wirtschaftliche Wiedereingliederung möglich sein wird. Sie werden in der Lage sein, jedenfalls die notdürftigsten Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, auch in medizinischer Hinsicht, zu decken. Außergewöhnliche Umstände, die dem entgegenstünden, sind weder in Bezug auf die allgemeine Lage im Iran noch auf die persönliche Situation des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin feststellbar. Zur tatsächlich bestehenden Möglichkeit, eine allfällige Diabetes-Erkrankung im Iran behandeln zu lassen, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die ins Verfahren eingebrachten spezifischen Länderinformationen und die diesbezüglichen Äußerungen von Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin sowie Rechtsvertreter (OZ 25, S 49 f und Beilage J). Im Hinblick auf ihr Vorleben im Iran und in Österreich besteht auch keine reale Gefahr, dass sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat der Todesstrafe unterworfen, inhaftiert oder sonst einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnten.
2.5.6.2. Ebenso wenig wurde ein den Anforderungen unter 2.1.2 genügendes Vorbringen erstattetet, das eine maßgeblich wahrscheinliche Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechende Situation für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin und den minderjährigen Viertbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat indizieren würde. Unter Bedachtnahme auf die festgestellte Lage im Herkunftsstaat und auf die persönliche Situation der Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer ist davon auszugehen, dass sie in der Lage sein werden, auch für die minderjährigen Beschwerdeführer jedenfalls die notdürftigsten Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, auch in medizinischer Hinsicht, zu decken. Außergewöhnliche Umstände, die dem entgegenstünden, sind weder in Bezug auf die allgemeine Lage im Iran noch auf die persönliche Situation der Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer und der minderjährigen Beschwerdeführer selbst feststellbar. In Anbetracht der getroffenen Feststellungen zur sozioökonomischen Lage im Herkunftsstaat und des vorhandenen familiären Netzwerks besteht nicht die reale Gefahr, dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Rückkehr bzw. Ausreisefall von einer unzureichenden Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern oder von Unterernährung betroffen sind. Da keine existenzbedrohende Notlage vor der Ausreise vorgebracht wurde, kann ein Versorgungsengpass vor der Ausreise ausgeschlossen werden. Das Bundesverwaltungsgericht kann in diesem Zusammenhang nicht erkennen, weshalb für den Rückkehr- bzw. Ausreisefall zu einer anderslautenden Prognose zu gelangen wäre. Des Weiteren ist festzuhalten, dass von einer Rückkehr bzw. Ausreise der minderjährigen Beschwerdeführer in den Iran gemeinsam mit ihren Eltern auszugehen ist, sodass die Betreuung und Beaufsichtigung der minderjährigen Beschwerdeführer sichergestellt ist. Darüber hinaus ist in der Herkunftsregion ein familiäres Netzwerk vorhanden, welches ebenfalls subsidiär im Fall der Notwendigkeit für die Kinderbetreuung herangezogen werden könnte. Eine inadäquate Beaufsichtigung ist daher fallbezogen nicht zu befürchten. Die bei der mündlichen Verhandlung anwesenden minderjährigen Beschwerdeführer sind in gutem Allgemeinzustand und es zeigen sich deren Eltern um ihr Wohlergehen bemüht, sodass von entsprechenden Anstrengungen im Hinblick auf die Sicherstellung der altersentsprechenden Bedürfnisse im Rückkehr- bzw. Ausreisefall ausgegangen werden darf. Hinweise auf Versorgungsengpässe bzw. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder benötigen (Windeln, Babynahrung, Obst, Milch etc.) liegen ausweislich der Feststellungen nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt darüber hinaus im gegenständlichen Fall zur Einschätzung, dass die minderjährigen Beschwerdeführer aufgrund des beruflichen Erfolgs der Eltern vor der Ausreise und der diesbezüglichen positiven Prognose für den Rückkehrfall einerseits und des leistungsfähigen familiären Netzwerks andererseits nicht vom Risiko betroffen sein werden, in Armut aufwachsen zu müssen. Den minderjährigen Beschwerdeführern steht – wie aufgrund des Länderinformationsblatts und mit Blick auf die Lebensverhältnisse ihrer Eltern festgestellt – auch ein adäquater Zugang zu medizinischer Versorgung offen. Gegenteiliges wurde im Verfahren nicht einmal vorgebracht. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Zugang der minderjährigen Beschwerdeführer zum öffentlichen Schulwesen im Herkunftsstaat. Zudem ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass sich die minderjährigen Beschwerdeführer in einem anpassungsfähigen Alter befinden; vgl. dazu statt vieler VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0059.
Im Hinblick auf ihr Vorleben im Iran und in Österreich sowie auf ihr Alter besteht auch keine reale Gefahr, dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr bzw. Ausreise in ihren Herkunftsstaat der Todesstrafe unterworfen, inhaftiert oder sonst einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnten.
Schwierigkeiten im Familienverband wurden nicht glaubhaft thematisiert. Der Vater der minderjährigen Beschwerdeführer hinterließ in der mündlichen Verhandlung auch nicht den Eindruck, dass er gegenüber seinen Kindern unzumutbare patriarchale Strukturen etabliert hätte (vgl. insbesondere OZ 25, S 15 f, 18, 41 f). Es bestehen auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass er solche Strukturen im Rückkehrfall etablieren möchte. Das Bundesverwaltungsgericht kann außerdem keine reale Gefahr erkennen, dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat von häuslicher Gewalt betroffen sein könnten. Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer vermittelten den Eindruck, am Wohlergehen der Kinder interessiert zu sein. Hinweise auf gewalttätige Übergriffe auf die Beschwerdeführer im Bundesgebiet liegen nicht vor. Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer brachten auch keine von Verwandten im Herkunftsstaat potentiell ausgehenden Gewalttätigkeiten vor. Ausgehend davon ist nicht zu befürchten, dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Rückkehrfall von häuslicher Gewalt betroffen wären.
Ebenso wenig ist ein Hinweis erkennbar, dass gerade den minderjährigen Beschwerdeführern von deren Eltern oder Dritten der Zugang zum Ausbildungssystem verunmöglicht werden sollte. Vielmehr lassen die Feststellungen zu den Familienverhältnissen erkennen, dass die Eltern bestrebt sind, ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen.
Die minderjährigen Beschwerdeführer sind im Fall einer Rückkehr bzw. Ausreise in den Iran und dort in XXXX auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt einschließlich Zwangsprostitution, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe betroffen:
In den gegenständlichen Verfahren wurde kein dahingehendes substantiiertes Vorbringen erstattet. Ein erhöhtes Risiko im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt kann der vorgebrachten und festgestellten Familienstruktur ebenso wenig entnommen werden wie den Ausführungen der Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer. Im gegenständlichen Fall kann eine individuelle Betroffenheit der minderjährigen Beschwerdeführer im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt der Sachlage nach ausgeschlossen werden. Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer äußerten keine Absicht, ihre Kinder der Prostitution zuführen zu wollen oder sie aus dem Familienverband verstoßen zu wollen.
Zwangsarbeit und Zwangsheirat müssten (vorrangig) vom Vater oder allenfalls von der Mutter der minderjährigen Beschwerdeführer ausgehen. Entsprechende Absichten, die minderjährigen Beschwerdeführer einer Zwangsverheiratung oder der Zwangsarbeit zuzuführen, traten im Verfahren nicht zutage. Ferner ergab das Beweisverfahren, dass den minderjährigen Beschwerdeführern im Falle der Ausreise in den Herkunftsstaat ein leistungsfähiges familiäres Netz sowie eine Wohnmöglichkeit durch die im Herkunftsstaat aufhältigen Familienmitglieder zur Verfügung stehen. Der Eintritt einer existenziellen Notlage im Ausreisefall, der Zwangsarbeit bzw. Kinderarbeit der minderjährigen Beschwerdeführer erfordern würde, ist demnach nicht zu befürchten.
Zwangsrekrutierung kommt den Länderinformationen zufolge beim iranischen Militär nicht vor. Hinsichtlich allfälliger Rekrutierungen durch extremistische Gruppierungen ist lediglich anzumerken, dass die Beschwerdeführer im Volksschul-, Kindergarten- und Kleinkindalter sind, sodass ein allfälliges Interesse an ihrer jeweiligen Person als Kämpfer von Vornherein ausgeschlossen werden kann.
2.5.6.3. Was die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lage im Iran betrifft, so weist das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen unter 1.3. ergänzend darauf hin, dass schon aus dem Begriff der Pandemie folgt, dass sich die Atemwegserkrankung COVID-19 länder- und kontinentübergreifend ausbreitet. Weiters ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass der Iran als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder gilt. Die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist sehr hoch, verschiedentlich gibt es Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten. Dass die Grundversorgung mit medizinischen Leistungen und Lebensmitteln nicht gewährleistet wäre, ist aber keineswegs ersichtlich. Außerdem setzt der Iran (weiterhin) Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit bzw. zum Schutz der Bevölkerung (z. B. Maskenpflicht, Bestrebungen zur Produktion eines Corona-Impfstoffs) sowie zur Minderung der Folgen der Pandemie im Allgemeinen (z. B. Hilfspakete).
Es ist somit aufgrund der Länderinformationen festzuhalten, dass es sich weder bei der Pandemie noch bei den von den verschiedenen Staaten weltweit ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verhinderung der Ausbreitung und auch nicht bei den Auswirkungen von COVID-19 bzw. der ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verhinderung der Ausbreitung auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft sowie den Herausforderungen für das Gesundheitssystem um auf den Herkunftsstaat der Beschwerdeführer beschränkte Phänomene handelt. Weder insofern noch mit Blick auf die aktuellen Fallzahlen liegt der Schluss nahe, dass im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer außergewöhnliche Verhältnisse bestünden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustands nicht zur notorischen Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer allfälligen Erkrankung an COVID-19 zählen (vgl. auch die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl II 203/2020) und Erstbeschwerdeführer sowie Zweitbeschwerdeführerin beide jeweils jedenfalls eine Erst- sowie eine Auffrischungsimpfung gegen COVID-19 erhielten.
2.5.6.4. Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird; vgl. VwGH 02.10.2014, Ra 2014/18/0088. Da die Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung der Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts (auch) keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hatten und dergleichen auch nicht im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat zu gewärtigen hätten, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit im Herkunftsstaat nicht geboten. Selbiges gilt im Übrigen für die Frage bezüglich des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer.
2.5.7. Die bisherigen Ausführungen und Erwägungen tragen daher insgesamt die Feststellung, dass die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat Iran keiner aktuellen unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt waren und auch im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise dorthin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wären.
2.6. Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:
Die Quellen sind bereits bei den Feststellungen angegeben: Neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Iran (Datum der Veröffentlichung: 22.12.2021, Version 4) zog das Bundesverwaltungsgericht die auf der Website der World Health Organization (WHO; https://covid19.who.int/table ) veröffentlichten Zahlen zu COVID-19 (OZ 25, Beilage C, OZ 28, 32) heran. Im Länderinformationsblatt wird als Quelle für die aktuelle Anzahl der Krankheits- und Todesfälle ausdrücklich die Website der WHO angeführt (Länderinformationsblatt für den Iran, Veröffentlichung: 22.12.2021, Version 4, S 1). Zudem wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführer und die Behörde im Schreiben vom 27.12.2021, OZ 28, ausdrücklich darauf hin, dass es seine Entscheidung auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und unter Berücksichtigung der auf dem WHO Dashboard zu COVID-19 veröffentlichten Fallzahlen erlassen werde, soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordere. Die zuvor in das Verfahren eingeführten Berichte sind mangels Aktualität für die Lageeinschätzung nicht (mehr) maßgeblich.
Die Länderinformationen, die das Bundesverwaltungsgericht seinen Feststellungen als Beweismittel zugrunde gelegt hat, erscheinen schlüssig, richtig und vollständig; sie sind für die entscheidungsrelevanten Feststellungen hinreichend aktuell. Die Informationen basieren auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen. Das Bundesverwaltungsgericht brachte den Beschwerdeführer zunächst das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Iran (generiert am: 04.07.2021, Version 3) zur Kenntnis (OZ 16). Die Beschwerdeführer traten den Länderinformationen weder in der schriftlichen Stellungnahme vom 25.11.2021, OZ 17, noch in der mündlichen Verhandlung am 03.12.2021 entgegen (OZ 25, S 11 f, 35). Mit Note vom 27.12.2021, OZ 28, übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde und den Beschwerdeführern bzw. der gewillkürten Vertretung zur Wahrung des Parteiengehörs die aktualisierte Fassung des Länderinformationsblatts der Staatendokumentation für den Iran (Datum der Veröffentlichung: 22.12.2021, Version 4). Die Beschwerdeführer erstatteten im Wege der gewillkürten Vertretung eine Stellungnahme, in der sie auch diesen Länderinformationen nicht entgegentraten; die Beschwerdeführer legten im Wesentlich dar, dass die Lage im Iran weitgehend unverändert sei (OZ 29).
Somit konnte das Bundesverwaltungsgericht die Länderinformationen seinen Feststellungen zugrunde legen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu jeweils A), B) und C) Abweisung der Beschwerden:
Subsumiert man die unter 1.1. festgestellten Beziehungen dem § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, ergibt sich, dass es sich bei den vier Beschwerdeführern um Familienangehörige im Sinne dieser Bestimmung handelt; vgl. auch VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040. Folglich ist in Bezug auf die Beschwerdeführer ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 zu führen.
Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 AsylG 2005) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs 1 AsylG 2005 dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
§ 34 Abs 4 AsylG 2005 verpflichtet die Behörde, Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der § 34 Abs 2 und 3 AsylG 2005 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. U. a. die Bestimmungen des § 34 Abs 4 AsylG 2005 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs 5 AsylG 2005); vgl. auch VwGH 15.11.2018, Ro 2018/19/0004.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist § 34 Abs 4 AsylG 2005 dahingehend zu verstehen sei, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen. Vgl. etwa VwGH 25.11.2009, 2007/01/1153, VwGH 13.12.2018, Ra 2017/18/0110.
3.1. Zu Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht. Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs 2 AsylG 2005 auch auf so genannten objektiven oder subjektiven Nachfluchtgründen beruhen.
Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde; vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370. Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Statusrichtlinie verweist. Von dieser Definition sind unter anderem Handlungen erfasst, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter; vgl. etwa VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr; vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN, VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann; vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine Verfolgung, die bereits stattgefunden hat („Vorverfolgung“), für sich genommen nicht hinreichend; vgl. VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212.
3.1.2. Subsumiert man den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt den relevanten und im Lichte der zitierten Judikatur auszulegenden Rechtsvorschriften, ergibt sich, dass den Beschwerdeführern der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Die Beschwerdeführer wurden in ihrem Herkunftsstaat nämlich nicht verfolgt und sie haben diesen auch nicht aus wohlbegründeter Furcht vor einer Verfolgung im oben genannten Sinn verlassen. Im Falle der Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat wären die Beschwerdeführer auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer derartigen Verfolgung(sgefahr) ausgesetzt.
Das Bundesverwaltungsgericht erinnert zunächst daran, dass die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin sowie der Viertbeschwerdeführer kein eigenes Vorbringen erstattet haben, welches im Hinblick auf die Gewährung von internationalem Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 zu prüfen gewesen wäre.
Das Vorbringen, mit dem der Erstbeschwerdeführer das Verlassen des Iran begründet hatte, erwies sich, wie das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung im Einzelnen dargelegt hat, als nicht glaubhaft.
Die vom Erstbeschwerdeführer in Österreich entfaltete Betätigung, insbesondere die Teilnahme an Informationsständen/Kundgebungen in der Öffentlichkeit, die etwa gegen das gegenwärtige iranische Regime sowie Hinrichtungen im Iran gerichtet sind, die Menschenrechtslage im Iran betreffen und (anlässlich der so genannten „Atomverhandlungen“ in XXXX ) auf einen „atomfreien Iran“ abzielen, sowie die Teilnahme an (vereins)internen Veranstaltungen (insbesondere Online-Konferenzen) des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus, vermag gegenständlich ebenso wenig eine asylrelevante Verfolgung(sgefahr) bzw. wohlbegründete Furcht vor einer solchen zu begründen. Weder vertritt der Erstbeschwerdeführer tatsächlich eine oppositionelle politische Gesinnung noch wird ihm vom Herkunftsstaat und dessen Organen eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf seine eingehenden Erwägungen unter 2.5.5. und die dort zitierte Judikatur: Die konkrete Betätigung rangiert auf niedrigem Niveau. Somit hat sich der Erstbeschwerdeführer keinesfalls (derart) exponiert, dass dies eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgung indizieren würde. Er ist nicht „auffällig regimekritisch“ in Erscheinung getreten. Vgl. neuerlich VwGH 14.01.2003, 2001/01/0398. Folglich ist nicht zu erkennen, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung im Sinne des § 3 Abs 1 AsylG 2005 drohen würde. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt, wie ausgeführt, jedenfalls nicht, um den Status der Asylberechtigten zu erhalten.
Eine Verfolgung(sgefahr) aus einem anderen Grund oder in einem anderen Zusammenhang haben die Beschwerdeführer nicht einmal behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht. Dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Iran von geschlechtsspezifischer Gewalt, wie etwa häuslicher Gewalt und Früh- und Zwangsverheiratungen, Zwangsrekrutierung oder Zwangsarbeit betroffen sein würden, wurde nicht geltend gemacht und ist, wie in der Beweiswürdigung begründet ausgeführt, auch im Übrigen nicht ersichtlich. Da eine aktuelle oder zum Zeitpunkt der Ausreise bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder gerichtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat; vgl. mwN VwGH 21.11.1995, 95/20/0329.
Eine Verfolgung der Beschwerdeführer im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 Genfer Flüchtlingskonvention liegt somit nicht vor und es braucht daher auf die Frage der Schutzwilligkeit und -fähigkeit der staatlichen Organe vor derartigen Bedrohungen sowie des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden.
Da somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht gegeben sind, waren die Beschwerden bezüglich Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide:
3.2.1. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird; vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137.
3.2.2. Gemäß Art 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Das 6. und das 13. ZPEMRK betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Damit im Widerspruch steht eine Rückführung eines Fremden in seinen Herkunftsstaat, wenn gewichtige Gründe aufgezeigt werden, dass der Betroffene einem echten Risiko unterliegt, der Todesstrafe unterworfen zu werden; vgl. mit Verweis auf die Judikatur des EGMR, Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017), 191. Wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, wird im Iran die Todesstrafe wegen verschiedener Delikte verhängt und auch tatsächlich vollstreckt. Angesichts des Vorlebens der Beschwerdeführer im Iran und in Österreich haben sich jedoch keine Anhaltspunkte, geschweige denn gewichtige Gründe, ergeben, dass die Beschwerdeführer einem echten Risiko unterliegen würde, der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Ein reales Risiko der Verletzung von Art 2 EMRK kann sich auch aus der Kombination einer besonders prekären allgemeinen Sicherheitslage mit – im Vergleich zur Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen – besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person ergeben; vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; siehe auch 3.2.4. Im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer bestehen, wie festgestellt, latente Spannungen, es herrscht aber keine besonders prekäre allgemeine Sicherheitslage. Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung, Sicherheitslage und Infrastruktur. Besondere die Beschwerdeführer betreffende Gefährdungsmomente waren auch nicht festzustellen.
3.2.3. Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Gemessen an Art 3 EMRK kann die Rückführung eines Fremden in seinen Herkunftsstaat aus verschiedenen Gründen unzulässig sein:
wegen – infolge von z. B. Überbelegung, hygienischen Bedingungen, Misshandlungen, Einzelhaft, erniedrigenden Durchsuchungsmethoden – unmenschlicher oder erniedrigender Haftbedingungen, freilich nur bei ernsthafter Gefahr einer Inhaftnahme im Herkunftsstaat; vgl. mit zahlreichen Verweisen auf die Judikatur des EGMR Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017), 193 ff;
wegen einer besonders prekären allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, wobei eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ein reales Risiko iSd Art 3 EMRK hervorrufen kann; ansonsten bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, wegen derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen; vgl. mwN VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; siehe auch 3.2.4;
unter außergewöhnlichen Umständen bei Erkrankung des Fremden; dabei ist zu bedenken, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist; vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146; außergewöhnliche Umstände liegen jedoch jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt; vgl. mit Verweis auf EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183, und eigene frühere Judikatur VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106;
unter außergewöhnlichen Umständen, die dazu führen, dass der Betroffene im Herkunftsstaat keine Lebensgrundlage vorfindet; die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK genügt allerdings nicht; vgl. mwN VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060.
Aus den Feststellungen folgt, dass in Bezug auf die Beschwerdeführer keine dieser tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfüllt sind. Die Beschwerdeführer haben nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachgewiesen, dass ihnen im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde; vgl. auch 1.3., 2.1.2. und 2.5.6. Im Falle der Rückführung bzw. Ausreise bestünde (auch sonst) keine ernsthafte Gefahr einer Inhaftnahme. Die allgemeine Sicherheitslage ist nicht besonders prekär oder volatil; vielmehr verfügt der Iran über eine stabile politische Ordnung, Sicherheitslage und Infrastruktur. Ferner sind - mit Ausnahme des im Folgenden in Bezug auf Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer zu prüfenden Umstandes - keine besonderen Gefährdungsmomente hinzugetreten. Die Beschwerdeführer leiden nicht an einer schweren oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung; Drittbeschwerdeführerin und Viertbeschwerdeführer sind gesund. Die Beschwerdeführer hätten Zugang zu medizinischer Grundversorgung im Herkunftsstaat. Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin sind arbeitsfähig. Der Erstbeschwerdeführer besuchte zwölf Jahre die Schule und anschließend zwei Jahre lang die Universität. Er absolvierte eine Berufsausbildung zum Ingenieur und war jedenfalls als Ingenieur im Iran viele Jahre berufstätig. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte ebenfalls zwölf Jahre die Schule und anschließend vier Jahre lang die Universität. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester und war als Krankenschwester im Iran viele Jahre berufstätig. Die Beschwerdeführer haben ferner, wie unter 1.1. festgestellt, familiäre Bindungen im Herkunftsstaat.
Bei der Drittbeschwerdeführerin und beim Viertbeschwerdeführer handelt es sich um minderjährige Kinder, bei welchen es sich um besonders vulnerable Personen handelt (vgl. dazu etwa die Begriffsdefinition in Art 21 der Richtlinie 2013/33/EU ), sodass sich das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen mit der Lage der minderjährigen Beschwerdeführer im Rückkehrfall auseinanderzusetzen hat; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0089. In diesem Zusammenhang ist zunächst wesentlich, dass von einer gesicherten Existenzgrundlage der Eltern der Beschwerdeführer auszugehen ist, die im gemeinsamen Zusammenhalt ein hinreichendes Einkommen für die gesamte Familie auch unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der minderjährigen Beschwerdeführer erwarten lässt. Unter Bedachtnahme auf (Aus-)Bildung und Berufserfahrung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass die beiden bzw. unter Berücksichtigung der Betreuungspflichten hinsichtlich der minderjährigen Kinder zumindest einer der beiden einen - allenfalls nicht ihrer Qualifikation entsprechenden - Arbeitsplatz erlangen werden, der den gemeinsamen Aufbau einer bescheidenen Existenz ebenso ermöglicht, wie eine hinreichende Absicherung aller Beschwerdeführer in ihren Grundbedürfnissen. Engpässe bei der Versorgung mit Gütern, die Kinder für ihre Bedürfnisse benötigen (Windeln, Babynahrung, Obst, Milch oder medizinische Produkte), konnten im Rahmen der Recherchen nicht erhoben werden, sodass keine dahingehenden Schwierigkeiten im Herkunftsstaat feststellbar sind. Ferner verfügen die (Eltern der minderjährigen) Beschwerdeführer beispielsweise über eine Wohnmöglichkeit bei den Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin in XXXX . Im Übrigen ist auf die Feststellungen zur im Iran generell bestehenden Versorgungslage hinzuweisen.
Die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer brachten ferner keine Schwierigkeiten bei der Betreuung der minderjährigen Beschwerdeführer im Iran vor. Bezüglich der Betreuung der minderjährigen Kinder werden die Eltern nach der Rückkehr auf die in der Provinz XXXX aufhältigen Verwandten, insbesondere die Großeltern mütterlicherseits der minderjährigen Beschwerdeführer, zurückgreifen können.
Den minderjährigen Beschwerdeführern steht ferner in der Zukunft der Zugang zum iranischen Schulsystem offen. Gegenteiliges wurde weder seitens der Beschwerdeführer vorgebracht, noch kann dies den von der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderfeststellungen entnommen werden.
Dass die minderjährigen Beschwerdeführer im Iran nicht von geschlechtsspezifischer Gewalt, wie etwa häuslicher Gewalt und Früh- und Zwangsverheiratungen, Zwangsrekrutierung oder Zwangsarbeit betroffen sein werden, wurde bereits erörtert.
Zusammenfassend ist hinsichtlich der Bedürfnisse der Beschwerdeführer somit von einer gesicherten Existenzgrundlage im Iran - wenngleich auf einem niedrigeren Niveau als in Österreich - auszugehen. Denn weder wurden im Hinblick auf die Bedürfnisse (auch) der minderjährigen Beschwerdeführer Rückkehrbefürchtungen substantiiert vorgebracht noch erstatteten die Beschwerdeführer im Übrigen ein den Anforderungen unter 2.1.2 genügendes Vorbringen, das eine maßgeblich wahrscheinliche Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechende Situation für die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr bzw. Ausreise in den Herkunftsstaat indizieren würde.
Auch die aktuelle allgemein bekannte COVID-19-Pandemie führt, wie sich aus den Feststellungen in Zusammenschau mit der Beweiswürdigung ergibt, nicht dazu, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfüllt wären. Das Bundesverwaltungsgericht hebt noch einmal hervor, dass schon aus dem Begriff der Pandemie folgt, dass sich die Atemwegserkrankung COVID-19 länder- und kontinentübergreifend ausbreitet. Es handelt sich somit weder bei der Pandemie noch bei den von den verschiedenen Staaten weltweit ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verhinderung der Ausbreitung um auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers beschränkte Phänomene. Dasselbe gilt für Auswirkungen von COVID-19 bzw. der ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Verhinderung der Ausbreitung auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft sowie für Herausforderungen für das Gesundheitssystem. Des Weiteren weist das Bundesverwaltungsgericht auf die in der Beweiswürdigung angeführten aktuellen WHO-Daten zur COVID-19-Pandemie hin, anhand welcher das Bestehen einer außergewöhnlichen Situation im Iran ebenso wenig erkannt werden kann. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustands nicht zur notorischen Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer allfälligen Erkrankung an COVID-19 zählen (vgl. auch die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl II 203/2020). Schließlich ist – unter Bedachtnahme auf die Ausführungen unter 1.1., 1.3. und 2.5.6.3. 2. – auch (noch einmal) darauf hinzuweisen, dass auch die unter 2.1.2. genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht erfüllt sind. Es ist derzeit auch keine dauerhafte und maßgebliche Verschlechterung der Wirtschaftslage durch die COVID-19-Pandemie im Iran erkennbar. Zwar drohen dem Staat Iran wirtschaftliche Schwierigkeiten aufgrund der sinkenden Preise für Rohöl, da die iranische Wirtschaft zu einem großen Teil auf der Ausbeutung von Bodenschätzen aufbaut, allerdings ist derzeit kein über die kurzfristigen und pandemiebedingten wirtschaftlichen Einbußen hinausgehender Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft zwingend erkennbar. Das Bundesverwaltungsgericht geht ferner davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage – diese ist derzeit infolge der COVID-19-Pandemie weltweit angespannt – nach der Überwindung der COVID-19-Pandemie entspannen wird und außerdem die derzeitigen pandemiebedingten wirtschaftlichen Schwierigkeiten jedenfalls nicht zu einem gänzlichen Entzug der Lebensgrundlage der iranischen Bürgerinnen und Bürger führen wird, zumal der iranische Staat willens und fähig ist, die Grundversorgung sicherzustellen. Insbesondere wurde nicht vorgebracht, dass die allgemeine Situation im Herkunftsstaat (mittlerweile) so beschaffen wäre, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin schlechthin eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten würde; die Beschwerdeführer selbst erstatteten auch kein substantiiertes Vorbringen, welches eine maßgeblich wahrscheinliche Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechende Situation für sie im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat indizieren würde. Schließlich stehen die Erwägungen und die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang auch mit aktueller höchstgerichtlicher Judikatur im Zusammenhang mit COVID-19: VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188, VwGH 06.07.2020, Ra 2020/01/0176, VwGH 06.07.2020, Ra 2020/01/0177; siehe auch VfGH 26.06.2020, E 1558/2020-12, (Danach ist die Vollzugsbehörde bei der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme verpflichtet, Art 3 EMRK zu beachten.).
3.2.4. Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs 1 Asyl 2005 orientiert sich an Art 15 lit c der Statusrichtlinie und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist; vgl. mit Verweis auf EuGH 17.02.2009, C-465/07, und EuGH 30.01.2014, C-285/12, VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137. In dieser Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof ferner aus:
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen.
Wie das Bundesverwaltungsgericht festgestellt und oben bereits ausgeführt hat, ist die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat nicht so beschaffen, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein, oder dass für jeden Zurückkehrenden die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Besondere Gefährdungsmomente, die es – anders als für die dortige Bevölkerung im Allgemeinen – wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in besonderem Maße von den dort stattfindenden Gewaltakten bedroht wären, gibt es, wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits dargelegt hat, nicht.
3.2.5. Somit sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht erfüllt. Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide war deshalb jeweils zu bestätigen.
3.3. Zu Spruchpunkt III der angefochtenen Bescheide:
§ 57 AsylG 2005 regelt die „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“. Aus dem Vorbringen und dem festgestellten Sachverhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für eine derartige Aufenthaltsberechtigung erfüllen würden. In den Beschwerden wurde dergleichen auch nicht vorgebracht. Der Ausspruch in den angefochtenen Bescheiden, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, erweist sich damit als rechtmäßig und war folglich zu bestätigen.
3.4. Zu Spruchpunkt IV der angefochtenen Bescheide:
3.4.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs 2 Z 2 FPG ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Diese Voraussetzungen sind, wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, erfüllt.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, darf diese nur erlassen werden, wenn dies zur Erreichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In § 9 Abs 2 BFA-VG werden demonstrativ Kriterien genannt, die bei der entsprechenden Prüfung zu berücksichtigen sind. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
Der Begriff des Familienlebens iSd Art 8 EMRK ist weit zu verstehen; er kann neben der Kernfamilie etwa auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215) sowie faktische Familienbindungen umfassen, bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen – etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder – äußern können; vgl. mwN VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0425.
Unter dem Privatleben im Sinne des Art 8 EMRK sind persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen zu verstehen; vgl. mwN Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017), 290 sowie Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016), S. 99).
Ein Eingriff in das Privatleben und ein Eingriff in das Familienleben sind gesamthaft und nicht isoliert, je für sich, zu bewerten; vgl. VwGH 28.01.2016, Ra 2015/21/0199.
3.4.2. Fallbezogen stellten der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin im März 2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer stellte im Dezember 2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Mit den vorliegenden Entscheidungen spricht das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen eines Familienverfahrens über die Anträge alle Beschwerdeführer ab. Folglich sind sämtliche Familienmitglieder in gleichem Maße von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR im Fall Cruz Varas gegen Schweden). In diesen Fällen ist nach der Judikatur des EGMR der Eingriff in das Privatleben gegebenenfalls separat zu prüfen; Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 856 mwN.
Da die Beschwerdeführer gleichermaßen von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, liegt insoweit kein Eingriff in das schützenswerte Familienleben vor; VwGH 19.12.2012, 2012/22/0221 mwN.
Ein Onkel des Erstbeschwerdeführers, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und zu dem Kontakt in Gestalt von Treffen und Telefonaten besteht, lebt in Österreich. Zwischen dem Onkel des Erstbeschwerdeführers und den Beschwerdeführern besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Ein schützenswertes Familienleben im Sinne der zitieren Rechtsprechung liegt somit nicht vor. Die von den Beschwerdeführern insoweit gepflegten Beziehungen sind somit dem Bereich des Privatlebens zuzuordnen und im Rahmen der Abwägung gemäß Art 8 EMRK als Aspekt des schützenswerten Privatlebens zu berücksichtigen.
3.4.3. Die Rückkehrentscheidung bewirkt daher lediglich einen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer; dieser Eingriff ist jedoch mit Blick auf Art 8 Abs 2 EMRK § 9 BFA-VG gerechtfertigt, sodass die Rückkehrentscheidung keine Verletzung von Art 8 EMRK bedeutet und die angefochtenen Bescheide auch insofern zu bestätigen waren. Dazu im Einzelnen:
3.4.3.1.
Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin reisten Mitte März 2016 illegal in Österreich ein. Sie konnten ihren Aufenthalt im Bundesgebiet nur dadurch legalisieren, dass sie 17.03.2016 die gegenständlichen – unbegründeten - Anträge auf internationalen Schutz stellten. Hätten sie diese Anträge nicht gestellt, wären sie seit über fünf Jahren und zehn Monaten rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig, sofern der rechtswidrige Aufenthalt nicht (durch entsprechende Maßnahmen) bereits beendet worden wäre. Der Viertbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren. Er konnte seinen Aufenthalt im Bundesgebiet nur dadurch legalisieren, dass er am 03.12.2019 den gegenständlichen – unbegründeten – Antrag auf internationalen Schutz stellte. Hätte er diesen Antrag nicht gestellt, wäre er seit über zwei Jahren rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig, sofern der rechtswidrige Aufenthalt nicht (durch entsprechende Maßnahmen) bereits beendet worden wäre.
Die Beschwerdeführer, die alle in gleichem Maße von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind, haben abgesehen von einem Onkel des Erstbeschwerdeführers sonst keine Verwandten in Österreich. Eine in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines Studentenvisums aufhältige Schwester des Erstbeschwerdeführers besucht gelegentlich die Beschwerdeführer in Österreich, ansonsten besteht telefonischer Kontakt. Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem auch wenige österreichische Staatsangehörige beziehungsweise in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Zwischen den Beschwerdeführern und ihren Bekannten/Freunden besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung.
Der Erstbeschwerdeführer nimmt – vorwiegend zum Zwecke der Asylerlangung - an Veranstaltungen des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus teil und betätigt sich in diesem Verein. Im Übrigen sind die Beschwerdeführer nicht in Vereinen oder Organisationen in Österreich aktiv und (ansonsten) auch nicht Mitglied(er) von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
Die Drittbeschwerdeführerin besuchte in Österreich den Kindergarten und besucht nunmehr die erste Klasse Volksschule. Sie verfügt über altersadäquate Kenntnisse der deutschen Sprache und pflegt einen altersentsprechenden Umgang mit Freunden und Mitschülern sowie Lehrern. Sie nimmt an einem Online-Englischkurs teil. Somit ist zwar von einer gesellschaftlichen Integration der Drittbeschwerdeführerin in nicht völlig unbeachtlichem Ausmaß auszugehen, es bestehen aber auch bei ihr keine über (dem Alter entsprechend) übliche Bekanntschafts- und Freundschaftsverhältnisse hinausgehende innige Verhältnisse, geschweige denn Abhängigkeitsverhältnisse.
Der Viertbeschwerdeführer wird primär zuhause vom Erstbeschwerdeführer und von der Zweitbeschwerdeführerin betreut. Er besucht weder eine Krabbelgruppe noch den Kindergarten. Während die Zweitbeschwerdeführerin seit 22.11.2021 den Deutschkurs besucht, wird der Viertbeschwerdeführer in der Kinderbetreuung, die im Rahmen des Deutschkurses angeboten wird, betreut. Im Ergebnis und unter Bedachtnahme auf das Lebensalter ist davon auszugehen, dass beim Viertbeschwerdeführer die Sozialisation außerhalb des engen Familienkreises noch nicht (in nennenswertem Ausmaß) begonnen hat; vgl. z. B. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162, VwGH 25.02.2010, 2006/18/0363.
Der Erstbeschwerdeführer hatte in der Vergangenheit für wenige Monate ein Gewerbe angemeldet. Ansonsten bezogen und beziehen die Beschwerdeführer Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und sind nicht legal erwerbstätig; somit haben sie (aktuell) auch keine maßgeblichen wirtschaftlichen Interessen in Österreich. Freilich käme unter Berücksichtigung des Lebensalters eine Erwerbstätigkeit nur im Falle des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin in Betracht.
Im Ergebnis führen die Beschwerdeführer in Österreich zwar ein Privatleben im Sinne des Art 8 EMRK, das, insbesondere da sie im Übrigen abgesehen von einem Onkel des Erstbeschwerdeführers, zu dem regelmäßiger persönlicher und telefonischer Kontakt besteht, über keine Verwandten verfügen, und angesichts der übrigen sozialen Kontakte - vorwiegend des Erstbeschwerdeführers im Rahmen des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus sowie der Drittbeschwerdeführerin in der Schule - aber nicht besonders ausgeprägt ist. Diese übrigen sozialen Kontakte sind weder zahlreich noch (außergewöhnlich) intensiv. Das indiziert, dass das Privatleben nicht als besonders schutzwürdig anzusehen ist. Gering ist die Schutzwürdigkeit des Privatlebens der Beschwerdeführer auch deshalb, weil sie es zu einem Zeitpunkt begründet haben, zu dem sich die Zulässigkeit des Aufenthalts der Beschwerdeführer allein auf ihren unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz stützen konnte. Für ihren bisherigen Aufenthalt in Österreich konnten sie nur durch ihren jeweils unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz eine rechtliche Grundlage schaffen. Die Aktivitäten und Kontakte des Erstbeschwerdeführers im Rahmen des Vereins Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus sind zumindest in erster Linie asyltaktisch motiviert und können folglich die Schutzwürdigkeit des Privatlebens nicht maßgeblich verstärken.
Soweit die Beschwerdeführer über private Bindungen in Österreich verfügen, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in den Iran gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wären, den Kontakt zu den betreffenden in Österreich lebenden Personen gänzlich abzubrechen. Es steht ihnen insbesondere frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Aufenthalt in der Dauer von drei Jahren jedenfalls nicht so lange, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte; vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479. Es ist ferner ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt; z. B. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055. Erst bei einem (knapp unter) zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden kann regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgegangen werden; vgl. VwGH 14.04.2016; Ra 2016/21/0029. Aus dieser Rechtsprechung folgt fallbezogen, dass die Aufenthaltsdauer des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin von etwas weniger als sechs Jahren zu einer Verstärkung der privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet führt. Freilich werden die privaten Interessen des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführerin durch die Aufenthaltsdauer nur geringfügig verstärkt: Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführer die zehnjährige Aufenthaltsdauer, bei der regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgegangen werden kann, bei weitem nicht erfüllen, ist zu bedenken: Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin haben den bisherigen Aufenthalt, wie die bisherigen und noch folgenden Ausführungen zeigen, nicht dazu genutzt, um sich in Österreich in besonderem Maße zu integrieren. Auch der bisherige Aufenthalt der Drittbeschwerdeführerin wurde (unter Bedachtnahme auf ihr Lebensalter) weder von ihr noch von ihren Eltern als gesetzliche Vertretung dazu genutzt, um für eine besondere Integrationsleistung zu sorgen. Aus der Dauer des Aufenthalts von weniger als zweieinhalb Jahren im Falle des Viertbeschwerdeführers kann noch weniger eine besondere Schutzwürdigkeit des Privatlebens abgeleitet werden. Hinzutritt, dass das Gewicht der Aufenthaltsdauer dadurch gemindert ist, dass sich der Aufenthalt der Beschwerdeführer nur auf ein aus einem letztlich als unberechtigt erkannten Asylantrag abgeleitetes Aufenthaltsrecht stützen konnte; vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 (bezogen auf das Aufenthaltsrecht nach § 19 AsylG 1997).
(Vereinzelte) Bemühungen der Beschwerdeführer, sich in Österreich zu integrieren, sind durchaus zu erkennen, wobei im Falle der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers freilich das Lebensalter zu berücksichtigen ist.
Der Erstbeschwerdeführer erlangte einen österreichischen Führerschein (Lenkberechtigung Klassen AM, A, B), legte im Jahr 2020 die Integrationsprüfung auf dem Niveau A1 ab, verfügt über einfache Deutschkenntnisse und war in den Monaten April und Mai 2020 in einer Not-Wärmestube freiwillig tätig. Den Antrag eines potentiellen Arbeitgebers vom 08.03.2019 auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Erstbeschwerdeführer als Bürokraft wies das Arbeitsmarktservice ab. Von XXXX hatte er ein Gewerbe angemeldet. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass der Erstbeschwerdeführer grundsätzlich bzw. zumindest in der Vergangenheit an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet Interesse hat(e). Auch beteiligt sich der Erstbeschwerdeführer, wenn auch vorwiegend zum Zwecke der Asylerlangung, an den Aktivitäten eines hiesigen Vereins.
Die Zweitbeschwerdeführerin ist für einen Deutschkurs auf dem Niveau B1, der von 22.11.2021 bis 14.03.2022 dauert, angemeldet und nimmt bislang daran teil. Sie verfügt über einfache Deutschkenntnisse und zeigt auch abseits des Kursbesuchs Bestrebungen, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern.
Die Drittbeschwerdeführerin besuchte in Österreich den Kindergarten und besucht nunmehr – freilich im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht (§§ 2, 3 Schulpflichtgesetz 1985) – die erste Klasse Volksschule. Sie verfügt über altersadäquate Kenntnisse der deutschen Sprache und pflegt einen altersentsprechenden Umgang mit Freunden und Mitschülern sowie Lehrern.
Schließlich ist auch anzuerkennen, dass die Beschwerdeführer vereinzelte bekannt- bzw. freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen haben.
Ausgeprägt und mit bedeutsamem Erfolg verbunden sind die Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer freilich nicht. Der Erstbeschwerdeführer hat während seines mittlerweile über fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Integrationsprüfung lediglich auf dem Niveau A1 abgelegt. Seine Deutschkenntnisse erreichen höchstens das Niveau A2. Sieht man von der vorwiegend zum Zwecke der Asylerlangung entfalteten Betätigung im Verein Menschenrechtszentrum für die Opfer des Fundamentalismus ab, war er im Übrigen bislang nur in einem Zeitraum von zwei Monaten ehrenamtlich tätig. Auch die Gewerbeberechtigung war nur für wenige Monate aufrecht. Der Erstbeschwerdeführer legte sie zurück, da die Tätigkeit verlustbringend war. Die Deutschkenntnisse der Zweitbeschwerdeführerin erreichen ebenfalls höchstens das Niveau A2. Sie war und ist nicht ehrenamtlich/ gemeinnützig tätig. Sie ist in Österreich nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen und auch nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv. Die minderjährigen Beschwerdeführer sind, auch wenn es insoweit ihr Alter zu berücksichtigen gilt, nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich. Die minderjährigen Beschwerdeführer haben den Großteil ihres Aufenthalts in der Betreuung ihrer Mutter bzw. Eltern verbracht und sind auf die damit verbundene Versorgung angewiesen. Dass die Drittbeschwerdeführerin zu Bezugspersonen außerhalb der (Kern-)Familie (Freunden, Mitschülern, Lehrpersonen) ein besonderes Naheverhältnis unterhalten würde, kam nicht hervor. Die freundschaftlichen Kontakte der Beschwerdeführer zu österreichischen Staatsbürgern bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen, sind keineswegs zahlreich und intensiv. So antworte etwa die Zweitbeschwerdeführerin auf die Frage, ob sie österreichische Freunde habe: „Früher als meine Tochter in den Kindergarten ging, war ich mit einigen Eltern der anderen Kindergartenkinder befreundet. Nachgefragt: Früher besuchten wir uns oder gingen gemeinsam in den Park, aber jetzt durch die Pandemie ist der Kontakt auf ein Mindestmaß geschrumpft. Wenn wir uns zufällig treffen sollten, sprechen wir, aber engeren Kontakt haben wir nicht mehr.“ (OZ 25, S 41; ähnlich auch der Erstbeschwerdeführer: OZ 25, S 17) Es darf überdies nicht übersehen werden, dass der Erstbeschwerdeführer lediglich von XXXX ein Gewerbe angemeldet hatte und dementsprechend nur vorübergehend keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber bezog. Im Übrigen beziehen die Beschwerdeführer seit ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet bzw. – im Falle des Viertbeschwerdeführers – seit der Geburt laufend Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und sind hier nicht legal erwerbstätig.
Insgesamt ist (auch) deshalb keine die Interessen am Verbleib im Bundesgebiet entscheidend verstärkende Integration festzustellen, weil der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass selbst die perfekte Beherrschung der deutschen Sprache sowie eine vielfältige soziale Vernetzung und Integration noch keine über das übliche Maß hinausgehende Integrationsmerkmale bedeuten; vgl. VwGH 25.2.2010, 2010/18/0029.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben erhebliche Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat: Sie wurden dort sozialisiert und verbrachten dort den Großteil ihres Lebens. Der Erstbeschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre die Schule und anschließend zwei Jahre lang die Universität. Er absolvierte eine Berufsausbildung zum Ingenieur und war jedenfalls als Ingenieur im Iran viele Jahre berufstätig. Auch die Zweitbeschwerdeführerin besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Schule und vier Jahre lang die Universität. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester und war als Krankenschwester im Iran viele Jahre berufstätig. Den Beschwerdeführern war es vor der Ausreise problemlos möglich, den Alltag zu bestreiten. Ihren Herkunftsstaat haben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erst im März 2016 verlassen. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin beherrschen die Amtssprache ihres Herkunftsstaats. Sie haben im Herkunftsstaat, konkret unter anderem in XXXX in der Provinz XXXX , wo sie zuletzt selbst wohnhaft waren, Familienangehörige und pflegen mit ihnen ein gutes Verhältnis. Es deutet nichts darauf hin, dass es dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich der Auffassung, dass selbst bei einem etwa acht Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ein Fremder dadurch nicht gehindert ist, sich wieder eine existenzielle Grundlage im Herkunftsland aufzubauen; vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162.
Soweit Kinder von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen; vgl. EGMR U 18.10.2006, Üner gegen Niederlande, Nr. 46.410/99; GK 06.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen Schweiz, Nr. 1615/07. Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter („adaptable age“) befinden; vgl. EGMR U 31.7.2008, Darren Omoregie ua. gegen Norwegen, Nr. 265/07; U 17.2.2009, Onur gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 27.319/07; siehe dazu auch VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 bis 0219.
Eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit wird in der Rechtsprechung für Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren angenommen; vgl. 18.10.2017, Ra 2017/19/0422. In seinem Beschluss vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0059, sprach der Verwaltungsgericht auch bei einem vierjährigen Kind vom anpassungsfähigen Alter. Jedenfalls ist bei einem Alter unter sieben Jahren davon auszugehen, dass die Sozialisation des Kindes erst begonnen und jedenfalls noch kein derart fortgeschrittenes Stadium erreicht hat, dass sie nicht auch im Herkunftsstaat fortgesetzt werden könnte. Im Alter von ca. drei bis vier Jahren steht ein Kind - wenn überhaupt - erst ganz am Beginn der Phase der ersten Verselbständigung und der damit verbundenen Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises. Vgl. etwa Gachowetz/Schmidt/Simma/Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA (2017), 290 und jeweils mwN VwGH 25.02.2010, 2006/18/0363, sowie VwGH 05.04.2002, 2001/18/0176.
Die Drittbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Iran geboren und verbrachte dort die ersten Monate ihres Lebens. Sie lebte gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin in XXXX . Sie verfügt aus diesem Grund über keine eigenen bewussten Wahrnehmungen der Herkunftsregion. Auch der am XXXX in Österreich geborene Viertbeschwerdeführer hat zum Iran keinen persönlichen Bezug. Die minderjährigen Beschwerdeführer befinden sich jedoch in einem anpassungsfähigen Alter; VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0059. Hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers hat die Sozialisation außerhalb des engen Familienkreises zudem noch gar nicht begonnen, sodass kein Wiedereingliederungshindernis vorliegt; VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162. Da die Kommunikation innerhalb der Familie grundsätzlich in der Sprache Farsi erfolgt, wurde der Drittbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer die Sprache Farsi bereits seit der Geburt an vermittelt und sie verstehen und sprechen Farsi folglich ihrem Alter entsprechend. Im Übrigen werden die minderjährigen Beschwerdeführer Sprache, Kultur, gesellschaftliche Werte, Sitten, Normen und soziale Rollen ohnehin erst weitgehend erlernen müssen. Maßgeblich prägend für ihre Sozialisierung sind die Eltern. Es ist davon auszugehen, dass die Bezugspersonen der minderjährigen Beschwerdeführer der Kernfamilie zugehören und schon im Familienverband, jedenfalls aber in Schule und/oder Kindergarten, ein Umgang mit Gleichaltrigen sichergestellt ist. Der Schulbesuch der Drittbeschwerdeführerin währt weniger als ein Schuljahr, was die im Wege des Schulbetriebes erfahrene Verankerung relativiert. Den minderjährigen Beschwerdeführern ist ein weiterer Schul- bzw. zukünftiger Kindergartenbesuch in der Herkunftsregion möglich und sie verfügen dort nicht nur über eine gesicherte Lebensgrundlage, sondern auch weitere Anknüpfungspunkte in Gestalt ihrer dort lebenden Familienangehörigen.
Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohls führt somit nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung, zumal sich die minderjährigen Beschwerdeführer in einem anpassungsfähigen Alter befinden bzw. die Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises gerade erst begonnen hat. Die Drittbeschwerdeführerin befindet sich erst am Anfang der schulischen Laufbahn. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer verbrachten den Großteil ihres Aufenthalts in der Betreuung ihrer Mutter bzw. Eltern. Der Viertbeschwerdeführer besucht noch nicht einmal den Kindergarten. Die minderjährigen Beschwerdeführer müssten sich nicht in einem Maße von bereits vertrauten gesellschaftlichen Werten, Sitten, Normen und sozialen Rollen lösen und sich auch nicht auf neue einstellen, das ihre Rückkehr bzw. Ausreise in den Iran unmöglich oder unzumutbar erscheinen ließe. Sie müssten auch keine andere als die bisher im Umgang mit ihren Eltern gebräuchliche Sprache lernen.
Insgesamt hat die Sozialisation minderjährigen Beschwerdeführer demnach noch kein (derart) vorangeschrittenes Stadium erreicht, dass es unmöglich oder unzumutbar wäre, diese Sozialisation im Iran in der Obsorge der Eltern fortzusetzen. Es deutet auch nichts darauf hin, dass es den minderjährigen Beschwerdeführern in Begleitung ihrer Eltern im Falle einer Rückkehr in den Iran nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren. Die Rückreise in den Iran im Familienverbund mit den Eltern ist den minderjährigen Beschwerdeführern sohin zumutbar.
Abschließend weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass es an den Eltern der minderjährigen Beschwerdeführer liegen wird, der Verpflichtung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet ehestmöglich nachzukommen, um so die Integration in den Herkunftsstaat nicht zu verzögern bzw. zu erschweren.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind strafgerichtlich unbescholten. Die minderjährigen Beschwerdeführer sind strafunmündig (§ 1 Z 1 in Verbindung mit § 4 Abs 1 JGG) und strafgerichtlich unbescholten. Dazu ist festzuhalten, dass diese Tatsache nicht dazu geeignet ist, das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet zu verstärken bzw. das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen. Vgl. z. B. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253.
Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin und die Drittbeschwerdeführerin reisten Mitte März 2016 illegal nach Österreich ein. Der Viertbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren. In der Folge stützte sich die Zulässigkeit ihres Aufenthalts lediglich jeweils auf den in Österreich gestellten, allerdings unbegründeten, Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden zu einem Zeitpunkt entstand, zu dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass Kindern ihr fremdenrechtliches Fehlverhalten zwar nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Es schlägt aber auf die Kinder durch, wenn die Eltern die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration in einem Zeitraum erworben haben, als sie sich der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst waren, sie also nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durften, was spätestens mit der erstinstanzlichen Abweisung ihrer Asylanträge der Fall ist; vgl. mwN VwGH 20.03.2012, 2010/21/0471.
In seiner Entscheidung vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0065, sprach der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf VfGH 07.10.2014, U 2459/2012, hingegen aus, dass einem im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern eingereisten Minderjährigen ein fremdenrechtliches Fehlverhalten (Erzwingung eines längerfristigen Aufenthalts durch Stellung unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz) nicht in dem Maß angelastet werden kann wie den Eltern. Indem der Verwaltungsgerichtshof entschied, dass minderjährigen Fremden ein fremdenrechtliches Fehlverhalten nicht in dem Maß angelastet werden wie den Eltern, setzte er voraus, dass dem Grunde nach auch minderjährigen Kindern ein fremdenrechtliches Fehlverhalten sehr wohl angelastet, das heißt: vorgeworfen (https://www.duden.de/rechtschreibung/anlasten [31.01.2022], werden kann. Ob diese Rechtsprechung nur für Fälle, in denen mehrere Anträge auf internationalen Schutz gestellt werden, also mindestens auch ein Folgeantrag, gilt, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls kommt dem Umstand des Entstehens des schützenswerten Privatlebens während unsicheren Aufenthalts bei Minderjährigen, die ihre Eltern nach Österreich begleitet haben, nicht der gleiche Stellenwert zu wie bei den Eltern; vgl. auch VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0251.
Das Bestehen eines Familienlebens der Beschwerdeführer in Österreich hat das Bundesverwaltungsgericht – abgesehen vom Kreis der Beschwerdeführer selbst, die in gleichem Maße von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen sind – bereits verneint. Ein Privatleben iSd Art 8 EMRK hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, konnte es aber nicht für besonders schutzwürdig befinden.
Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin, die zeitgleich mit der Drittbeschwerdeführerin einreisten und einen Antrag auf internationalen Schutz stellten, musste von Anfang an bewusst sein, dass sie sich überhaupt nur deshalb im Bundesgebiet aufhalten durften bzw. dürfen, weil sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, und dass ihr Aufenthalt für den Fall der Abweisung dieses Antrags nur von vorübergehender Dauer sein kann. Vgl. auch mwN VwGH 12.09.2012, 2011/23/0201: Demnach muss ein Fremder spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung des Asylantrags im Hinblick auf die negative behördliche Entscheidung des Antrags von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen.
In seiner Entscheidung vom 20.12.2018, Ra 2018/21/0213, erachtete der Verwaltungsgerichtshof einen Zeitraum von acht Jahren zwischen der erstmaligen erstinstanzlichen Aberkennung des Status des Asylberechtigten in Verbindung mit der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der verfahrensgegenständlichen Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch das Bundesverwaltungsgericht als außerordentlich lange Verfahrensdauer iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG.
Im gegenständlichen Verfahren liegen zwischen der Antragstellung durch den Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin sowie die Drittbeschwerdeführerin und der Erlassung des angefochtenen Bescheids durch die belangte Behörde etwa zwei Jahre und drei Monate. Zwischen der Antragstellung durch den Viertbeschwerdeführer und der Erlassung des angefochtenen Bescheids durch die belangte Behörde liegt weniger als ein Monat. Von der Vorlage der Beschwerde bis zur Entscheidung durch das Verwaltungsgericht vergingen hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie der Drittbeschwerdeführerin jeweils ca. drei Jahre und sieben Monate und hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers etwa zwei Jahre. In dieser Zeit führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die Eltern der Beschwerdeführer einvernommen wurden.
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass, wie der Verwaltungsgerichthof anerkannt hat, die im Jahr 2015 einsetzende extrem hohe Zahl an Verfahren für die belangte Behörde – ungeachtet der vom Bund getroffenen bzw. weiterhin zu treffenden personellen Maßnahmen zur Verfahrensbewältigung – sohin unzweifelhaft eine extreme Belastungssituation darstellt, die sich in ihrer Exzeptionalität von sonst allenfalls bei (anderen) Behörden auftretenden, herkömmlichen Überlastungszuständen ihrem Wesen nach, und sohin grundlegend, unterscheidet. Für den Verwaltungsgerichtshof ist es notorisch, dass sich in einer derartigen Situation die Einhaltung von gesetzlichen Erledigungsfristen in bestimmten Fällen als schwierig erweisen kann, zumal die Verpflichtung der belangten Behörde, dafür Sorge zu tragen, dass durch organisatorische Vorkehrungen eine rasche Entscheidung möglich ist, in der dargestellten Ausnahmesituation zwangsläufig an Grenzen stoßen muss. Vgl. VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001.
Unter Bedachtnahme auf die zitierten Entscheidungen kann nicht erkannt werden, dass die ohnedies kurze Dauer des bisherigen Aufenthalts der Beschwerdeführer in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
3.4.3.2. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht die Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer und ihre bekannt- und freundschaftlichen Beziehungen zu österreichischen Staatsangehörigen bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen. Insbesondere unter Bedachtnahme auf die geringe Anzahl an bekannt- und freundschaftlichen Beziehungen zu österreichischen Staatsangehörigen bzw. in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen, die - abseits der Beziehung zum Onkel des Erstbeschwerdeführers festgestellte – eher geringe – Intensität der Beziehungen, das Fehlen von Abhängigkeiten zu in Österreich lebenden Personen und insbesondere auf die insgesamt nur relativ wenig fortgeschrittene Integration zeigt sich allerdings, dass das Privatleben im Sinne des Art 8 EMRK, das die Beschwerdeführer in Österreich führen, nicht außergewöhnlich ausgeprägt und – angesichts der Umstände, unter denen es begründet wurde – auch wenig schutzwürdig ist. Im Falle des Viertbeschwerdeführers beläuft sich die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet zudem auf weniger als drei Jahre. Nicht außer Acht zu lassen ist ferner, dass Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin die – nicht besonders ausgeprägten – privaten Anknüpfungspunkte in Österreich im Bewusstsein des unsicheren, weil auf einen unbegründeten Asylantrag gestützten, Aufenthaltsstatus begründeten. Hinsichtlich des mittlerweile fast sechsjährigen Aufenthalts von Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführerin im Bundesgebiet ist zu berücksichtigen, dass die(se) Beschwerdeführer diese Zeit nicht dazu nutzten, sich vielfältig und nachhaltig zu integrieren, und dass sich der Aufenthalt der Beschwerdeführer nur auf ein aus einem letztlich als unberechtigt erkannten Asylantrag abgeleitetes Aufenthaltsrecht stützen konnte. Die Aufenthaltsdauer kann das Gewicht des Interesses am Verbleib in Österreich daher nur geringfügig erhöhen Den nach Art 8 EMRK grundsätzlich zu berücksichtigenden privaten Interessen der Beschwerdeführer stehen die gewichtigen öffentlichen Interessen der Republik Österreich gegenüber, allen voran das öffentliche Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie das öffentliche Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes. Gerade der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ein hoher Stellenwert zu; vgl. z. B. mwN VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247. Demnach verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben, gegen diese Normen. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen. Gegenständlich ist neben dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des Verfahrens, wenn auch in Bezug auf die – minderjährigen – Beschwerdeführer allenfalls in abgeschwächter Form, zu berücksichtigen, dass das Verhalten der Eltern diesen öffentlichen Interessen massiv zuwiderläuft. Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführer reisten illegal in das Bundesgebiet ein, stellten einen unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer behauptete, sich im Herkunftsstaat politisch betätigt zu haben und deswegen verfolgt zu werden. Dieses Vorbringen erwies sich als unglaubhaft. Des Weiteren entfaltete der Erstbeschwerdeführer in Österreich – asyltaktisch motiviert – eine Betätigung, um eine Verfolgung aufgrund einer politischen Gesinnung vorzugeben. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nicht wirtschaftlich unabhängig oder selbsterhaltungsfähig sind. Der Erstbeschwerdeführer hatte lediglich von XXXX ein Gewerbe angemeldet hatte und bezog dementsprechend vorübergehend keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Im Übrigen beziehen die Beschwerdeführer seit ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet bzw. – im Falle des Viertbeschwerdeführers – seit der Geburt laufend Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.
Im Rahmen der nach Art 8 EMRK und § 9 BFA-VG gebotenen Abwägung erweisen sich die individuellen Interessen der Beschwerdeführer daher keineswegs als so ausgeprägt, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gegenständlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen. Dies gilt auch mit Rücksicht auf eine – im Falle der minderjährigen Beschwerdeführer – verminderte Gewichtung des unsicheren Aufenthalts, während dessen sie Integrationsschritte setzten und private Anknüpfungspunkte begründeten, auf ein allenfalls vermindertes Gewicht des fremdenrechtlichen Fehlverhaltens und schließlich auch mit Rücksicht darauf, dass sich die minderjährigen Beschwerdeführer des unsicheren Aufenthalts auch überhaupt nicht bewusst gewesen sein dürften. Aus den bisherigen Ausführungen folgt nämlich, dass weder eine (außergewöhnlich) fortgeschrittene Integration in sprachlicher, schulischer oder gesellschaftlicher Hinsicht noch ein besonders intensives Privatleben in Österreich besteht. Überdies steht die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohls der Rückkehr der minderjährigen Beschwerdeführer in den Iran, gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin, wie insbesondere im Hinblick auf § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG dargelegt, nicht entgegen. Die angeordnete Rückkehrentscheidung bewirkt daher keine Verletzung des Art 8 EMRK. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die es rechtfertigen würden, die Rückkehrentscheidung auf Dauer (oder vorübergehend) für unzulässig zu erklären.
3.5. Zu Spruchpunkt V der angefochtenen Bescheide:
3.5.1. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unter bestimmten Voraussetzungen unzulässig: Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Schließlich ist die Abschiebung nach § 50 Abs 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.5.2. Die Voraussetzungen nach § 50 Abs 1 FPG für die Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat Iran hat das Bundesverwaltungsgericht bereits unter 3.2. ausführlich geprüft. Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Die Voraussetzungen nach § 50 Abs 2 FPG für die Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat Iran hat das Bundesverwaltungsgericht bereits unter 3.1. ausführlich geprüft. Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Dass die Abschiebung gemäß § 50 Abs 3 FPG unzulässig wäre, ist auszuschließen, da eine Empfehlung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte nicht vorliegt.
Die Abschiebung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat Iran ist daher zulässig, weshalb die angefochtenen Bescheide auch insofern jeweils zu bestätigen waren.
3.6. Zu Spruchpunkt VI der angefochtenen Bescheide:
3.6.1. Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen (§ 55 Abs 2 FPG). Gemäß § 55 Abs 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
3.6.2. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht die Hinweise der Europäischen Kommission (Mitteilung der Kommission „COVID-19: Hinweise zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich der Asyl- und Rückführungsverfahren und zur Neuansiedlung [2020/C 126/02]“). Demnach sollten die Mitgliedstaaten im Lichte der aktuellen COVID-19-Pandemie von der in Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch machen und die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, der Dauer und der Art der restriktiven Maßnahmen sowie der Verfügbarkeit von Beförderungsmitteln in dem Bestimmungsdrittstaat um einen angemessenen Zeitraum verlängern.
Im gegenständlichen Fall kommt eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise jedoch aus folgenden Erwägungen nicht in Betracht.
3.6.3. Nach den Materialien zum FrÄG 2011 (BGBl I 38/2011) werde mit § 55 Abs 1 FPG Art 7 Abs 1 Rückführungsrichtlinie umgesetzt. Nach § 55 Abs 2 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise grundsätzlich 14 Tage ab Erlassung des Bescheids, mit welchem die Rückkehrentscheidung bekannt gegeben werde. Die Behörde habe bereits im Rückkehrentscheidungsverfahren eine Prüfung über die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise vorzunehmen. Im Rahmen dieser Prüfung habe die Behörde dahingehend eine Abwägung vorzunehmen, ob besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Nur bei einem solchen Überwiegen kann die Behörde gemäß § 55 Abs 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festsetzen. Diese Möglichkeit erfolge in Umsetzung des Art 7 Abs 2 Rückführungsrichtlinie. Das Vorliegen solch besonderer Umstände habe der Drittstaatsangehörige nachweislich darzulegen. Besondere Umstände können insbesondere die Dauer des bisherigen Aufenthaltes oder das Abschließen des bereits begonnenen Schulsemesters eines schulpflichtigen Kindes oder gleichwertige Gründe sein. Vgl. die ErlRV 1078 BlgNR XXIV. GP , 30 f; siehe auch BGBl I 87/2012 und dazu die ErlRV 1803 BlgNR XXIV. GP , 66 sowie BGBl I 68/2013 und dazu die ErlRV 2144 BlgNR XXIV. GP , 23. Dass eine Rückkehrentscheidung ursprünglich zwingend mit einem Einreiseverbot zu verbinden war (vgl. die ErlRV 2144 BlgNR XXIV. GP , 23 f; VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwGH 15.05.2012, 2012/18/0029), kann in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben.
Gemäß Art 7 Abs 1 Rückführungsrichtlinie sieht eine Rückkehrentscheidung unbeschadet der Ausnahmen nach Abs 2 und 4 leg cit eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. Die Mitgliedstaaten können in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen, dass diese Frist nur auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen eingeräumt wird. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen davon, dass die Möglichkeit besteht, einen solchen Antrag zu stellen. Nach Art 7 Abs 2 Rückführungsrichtlinie verlängern die Mitgliedstaaten – soweit erforderlich – die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs kann es sich bei den in § 55 Abs 2 und 3 FPG genannten „besonderen Umständen“, die gegebenenfalls im Rahmen der gebotenen Abwägung zu einer Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise über 14 Tage hinaus führen können, nur um solche handeln, die bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Organisation der freiwilligen Ausreise zu berücksichtigen sind; vgl. VwGH 20.02.2014, 2013/21/0114, und VwGH 16.05.2013, 2012/21/0072. Bei den Gründen, die eine Verlängerung der Ausreisefrist rechtfertigen können, müsste es sich schon definitionsgemäß um vorübergehende Umstände handeln; ihre Beseitigung bzw. ihr Wegfall müsse absehbar sein. Als maßgebliche Gründe zur Rechtfertigung eines Antrags auf Verlängerung der Ausreisefrist kommen in erster Linie Umstände im Inland in Betracht. Dass aber ausschließlich nur solche Umstände zur Begründung dieses Antrags herangezogen werden dürften, lasse sich weder dem nationalen Recht noch der damit umgesetzten Bestimmung des Art 7 Abs 2 Rückführungsrichtlinie entnehmen. Vielmehr könne die Notwendigkeit, die freiwillige Ausreise und damit die Rückkehr in das Heimatland vorzubereiten bzw. zu organisieren und dafür eine längere Frist eingeräumt zu erhalten, auch von Umständen abhängen, die im Zielland bestehen. Erfordern etwa die im Heimatstaat zu erwartenden Verhältnisse, dass bei einer Rückkehr mit einem dreijährigen Kind eine Unterkunftsmöglichkeit besteht, so könne die Notwendigkeit, diese für die Familie von Österreich aus zu organisieren, einen besonderen Umstand im Sinne des § 55 Abs 2 und 3 FPG darstellen. Gleiches gelte für das Erfordernis, ein für die freiwillige Rückkehr notwendiges Dokument zu besorgen, so diesbezügliche Schritte auch tatsächlich unternommen werden. Vgl. VwGH 20.02.2014, 2013/21/0114. In dieser Entscheidung hielt der Verwaltungsgerichtshof überdies zu § 55a Abs 1 FPG idF BGBl I 38/2011 fest, dass im Sinne dieser Bestimmung schon dann besondere Umstände vorliegen, wenn die vom Gesetz für den Durchschnittsfall in typisierender Weise als ausreichend unterstellte Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen nicht genüge. Es können auch dann besondere Umstände im Sinne des § 55a Abs 1 FPG aF gegeben sein, wenn sie bei ehemaligen Asylwerbern der Regelfall sind. Das stehe für sich genommen schon vor dem Hintergrund des Vorrangs der freiwilligen Ausreise einer entsprechenden Fristverlängerung nicht entgegen. § 55a Abs 1 FPG aF stellte allerdings dem Wortlaut nach nur auf besondere Umstände ab, und nicht – wie § 55 Abs 2 und 3 FPG auf besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat.
3.6.4. Ob im Lichte der zitierten Rechtsvorschriften, Materialien und Judikatur eine durch die COVID-19-Pandemie bedingte etwaige eingeschränkte Verfügbarkeit von Beförderungsmitteln in den Herkunftsstaat eines Drittstaatsangehörigen als besondere Umstände, die dieser bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, im Sinne des § 55 Abs 2 und 3 FPG qualifiziert werden können bzw. die Rückführungsrichtlinie eine derartige Auslegung des innerstaatlichen Rechts gebietet, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn es steht außer Zweifel, dass jedenfalls die formellen Voraussetzungen für eine allfällige Verlängerung der Ausreisefrist nicht erfüllt sind.
Die Beschwerdeführer fochten zwar auch jeweils Spruchpunkt VI der Bescheide an, brachten aber in keinem Stadium des Verfahrens überhaupt vor, dass besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs 2 und 3 FPG vorlägen, und gaben auch keinen Termin für ihre Ausreise bekannt. Dass die Rückführungsrichtlinie der dem Drittstaatsangehörigen in § 55 Abs 3 FPG auferlegten Nachweispflicht entgegenstünde, ist nicht hervorgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof betonte bereits in seiner Entscheidung vom 20.02.2014, 2013/21/0114, dass die (dortige) Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren eine Verlängerung der vom Gesetz grundsätzlich vorgesehenen 14 Tage für die freiwillige Ausreise gar nicht angesprochen und insbesondere auch keinen Termin für ihre Ausreise bekannt gegeben habe; angesichts dieser Argumentation hatte der Verwaltungsgerichtshof sichtlich keine unionsrechtlichen Bedenken.
Die unter Spruchpunkt VI der angefochtenen Bescheide festgelegte Frist entspricht somit den gesetzlichen Vorgaben, weshalb auch dieser Spruchpunkt jeweils zu bestätigen war.
Schließlich weist das Bundesverwaltungsgericht auf Folgendes hin: Ausgehend von den (rechtlichen) Prämissen der Europäischen Kommission, die das Bundesverwaltungsgericht an dieser Stelle nicht beurteilt, könnte die von ihr verfolgte Zielsetzung ohne Weiteres auch ohne eine Verlängerung der Ausreisefrist erreicht werden. Die Europäische Kommission führt für die Verlängerung der Ausreisefrist nämlich ins Treffen, dass Drittstaatsangehörige aufgrund erheblicher Beschränkungen bei gewerblichen Flügen und restriktiver Maßnahmen, die von Drittländern in Bezug auf die Einreise aus Europa eingeführt wurden, gegen die eine zur Rückkehr verpflichtende Entscheidung mit einer Frist für die freiwillige Ausreise ergangen ist, einer solchen Entscheidung möglicherweise trotz bester Anstrengungen und Absichten nicht innerhalb der gesetzten Frist nachkommen können. Dies könne dazu führen, dass gegen Drittstaatsangehörige ein Einreiseverbot verhängt werde. Es sei jedoch nicht statthaft, dass irreguläre Migranten für eine Situation, auf die sie keinen Einfluss haben, zur Verantwortung gezogen werden und dass ihnen daraus negative Folgen entstehen. Wenn jedoch die Verhängung eines Einreiseverbots in jenen Fällen, in denen der Drittstaatsangehörige der Rückkehrverpflichtung trotz bester Anstrengungen und Absichten nicht nachkommen kann, ohnedies nicht „statthaft“ sei, kann es in derartigen Konstellationen auch nicht der Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bedürfen, um die Verhängung eines Einreiseverbots zu verhindern. In diesem Sinne führt die Europäische Kommission selbst aus, dass die Mitgliedstaaten davon absehen sollten, ein Einreiseverbot zu verhängen, wenn die Frist für die freiwillige Ausreise aufgrund fehlender Beförderungsmöglichkeiten in den Bestimmungsdrittstaat oder aus einem anderen vom Willen der Person unabhängigen und mit den restriktiven Maßnahmen in Zusammenhang stehenden Grund nicht eingehalten werden könne. Es obliegt ohnedies der zuständigen Behörde, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung eines Einreiseverbots zu prüfen. Dabei wird, soweit rechtlich geboten, darauf Bedacht zu nehmen sein, ob ein Drittstaatsangehöriger allenfalls aus nicht in seiner Sphäre gelegenen Gründen der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sein könnte. Eine dementsprechende sachgerechte Beurteilung wird sich in der Regel ohnehin erst retrospektiv vornehmen lassen.
Zu jeweils D) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung hing in erster Linie davon ab, ob das konkrete Vorbringen des Erstbeschwerdeführers als glaubhaft zu qualifizieren war oder nicht. Hierbei handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall. Die für die Entscheidung relevanten Rechtsfragen sind entweder durch Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs geklärt oder von Vornherein klar. Vgl. die zitierten Entscheidungen und Literaturstellen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
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