Normen
32011L0095 Status-RL Art9;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art2;
MRK Art3;
32011L0095 Status-RL Art9;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art2;
MRK Art3;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus dem Kongo stammender Staatsangehöriger der Ukraine, beantragte am 2. November 2014 internationalen Schutz. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab er an, aufgrund der Sicherheitslage aus der Ukraine geflohen zu sein. Überdies sei er von Mitgliedern der Donezker Volksrepublik rassistisch beschimpft und festgehalten worden. Im Zuge dessen hätten sie ihm seinen Pass abgenommen; er sei daraufhin geflüchtet. Außerdem sei er seit der Schulzeit aufgrund seiner Hautfarbe in der Ukraine rassistisch motivierten Drohungen ausgesetzt gewesen, verbal beleidigt und mehrfach geschlagen worden. Von der Polizei könne er keine Hilfe erwarten; auf Anzeigen hin habe diese nichts unternommen.
2 Das BFA wies den Antrag mit Bescheid vom 6. Juli 2015 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkte I. und II.), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine fest (Spruchpunkt III.). Begründend führte es zusammengefasst aus, der Revisionswerber könne vor der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in den Westen der Ukraine fliehen. In Bezug auf rassistische Übergriffe liege staatliche Schutzfähigkeit und - willigkeit vor.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bezug auf den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides verwies es gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.
4 In seiner Begründung führte das ?VwG zunächst zum abweisenden Teil seiner Entscheidung aus, der Revisionswerber habe als Ausreisegrund die sich allgemein verschlechternde Sicherheitslage in der Ukraine ins Treffen geführt und somit keine individuelle Verfolgung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aufgezählten Motive geltend gemacht. Die vorgebrachten "Diskriminierungen" aufgrund seiner Hautfarbe wiesen nicht "die maßgebliche" Eingriffsintensität auf. Dass er diesbezüglich wiederholt behördliche Anzeige erhoben habe, die Polizei jedoch untätig geblieben sei, sei im Rahmen der Beschwerdeschrift erstmals, lediglich in unsubstantiierter Weise, dargelegt worden und biete in Zusammenschau mit den Länderberichten und aktueller Medienberichterstattung keinen Hinweis darauf, dass die ukrainischen Behörden grundsätzlich nicht schutzwillig oder -fähig im Hinblick auf Übergriffe durch Private wären. Die seitens des Revisionswerbers als fluchtauslösend geschilderte Abnahme seines Inlandspasses durch Mitglieder der Gruppierung der Donezker Volksrepublik stelle ebenfalls keinen Eingriff von asylrelevanter Eingriffsintensität dar bzw. sei auch daraus eine dem Revisionswerber künftig individuell drohende Verfolgung nicht anzunehmen. Vielmehr ergebe sich aus den Angaben des Revisionswerbers, dass dieser nur zufällig - neben mehreren weiteren Personen - in die Kontrolle dieser Patrouille geraten sei und lasse die bloße spontane Abnahme des Ausweises, wenn diese auch aus rassistischen Motiven erfolgt sein möge, keine diesem im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret drohende individuelle Verfolgung befürchten.
5 Zur Zurückverweisung der Angelegenheit hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides hielt das BVwG fest, das BFA habe dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weil es von einer innerstaatlichen Fluchtalternative im westlichen Landesteil ausgegangen sei, wiewohl es das Sicherheitsrisiko des Revisionswerbers in seiner Heimatstadt nicht abschließend geprüft habe. Ob dem Revisionswerber die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative möglich und zumutbar sei, hätte vor dem Hintergrund seines Gesundheitszustandes weitergehender Ermittlungen bedurft. Der Revisionswerber verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte außerhalb seiner Heimatstadt und es sei zu erheben, ob die allenfalls benötigte medizinische Behandlung im Westen der Ukraine erhältlich sei.
Überdies habe sich das BFA nicht mit den vom Revisionswerber vorgebrachten verbalen und körperlichen rassistischen Übergriffen auseinandergesetzt. Nach Ansicht des BVwG fänden sich zu "diesem - wenn auch nicht als zentral fluchtrelevant geltend gemachten - Themenkomplex" im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen, "welche eine Beurteilung dahingehend ermöglichen würden, ob dem Beschwerdeführers ein allfälliger innerstaatlicher Umzug bzw Aufbau einer Lebensgrundlage in einem anderen Landesteil allenfalls aufgrund seiner Hautfarbe faktisch erschwert bzw verunmöglicht würde." Zwar liege im Akt eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hinsichtlich der Frage des Umganges der Behörden mit rassistischen Übergriffen in der Ukraine ein, doch habe diese einerseits keinen Eingang in den angefochtenen Bescheid gefunden, andererseits datiere diese aus dem Jahr 2011, sodass "nur bedingt Rückschlüsse auf die nunmehrige Situation - insbesondere jene von Binnenvertriebenen - gezogen werden könnten". Es könne nicht vorweg ausgeschlossen werden, dass dem Revisionswerber aufgrund seiner individuellen Situation "im Sinne des Vorliegens mehrerer möglicher Vulnerabilitätsaspekte (Tuberkuloseerkrankung, afrikanische Herkunft, fehlende familiäre Anknüpfungspunkte) ein Neubeginn in einem westlichen Landesteil wesentlich erschwert bzw als nicht zumutbar erscheinen würde" und hätte der Verweis auf eine innerstaatliche Fluchtalternative neben konkreter Ermittlungen hinsichtlich der persönlichen Situation des Beschwerdeführers jedenfalls auch aktueller Feststellungen zur Versorgungslage in westlichen Landesteilen bedurft. Das BFA sei daher bei der Beurteilung der Frage, "ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des (Revisionswerbers) in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde (...) von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen, was nach Lage des Falles ergänzende Ermittlungen erforderlich macht".
6 Gegen diese Entscheidung des BVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
Die Revision macht zusammengefasst geltend, das BVwG werfe dem BFA vor, sich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht mit den rassistischen Übergriffen auseinandergesetzt zu haben, während es selbst dazu in Hinblick auf Asyl keine Feststellungen treffe. Es ordne das Vorbringen als nicht asylrelevant ein, ohne Feststellungen zur staatlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit zu treffen und aktuelle Länderinformationen einzuholen. Damit verkenne das BVwG in Abweichung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, dass auch rassistische Übergriffe von ausreichender Intensität asylrelevant sein können. Es sei in diesem Zusammenhang das Vorbringen in der Gesamtsituation des Asylwerbers zu berücksichtigen. Überdies seien die in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien der Zurückverweisung nach § 28 VwGVG nicht vorgelegen. Die Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers und zu den behaupteten rassistisch motivierten Übergriffen hätte das BVwG selbst durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung tätigen können. Das BVwG sei daher auch von der Verhandlungspflicht abgewichen, weil es den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht erhoben habe.
7 Das BFA nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen - zulässigen - Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (vgl. VwGH vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0080, mwN).
9 Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen.
§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 8. September 2015). Fallbezogen hat der Revisionswerber nicht nur allgemeine Diskriminierung, die nicht über Beschimpfungen hinausgeht, vorgebracht, sondern auch behauptet, rassistisch motivierten tätlichen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein. Dieses Vorbringen hat er auch in der Beschwerde substantiiert erstattet, weshalb das BVwG zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. Dass dem Revisionswerber aber gegen somit aus GFK-Motiven erfolgten Übergriffe Privater staatlicher Schutz zuteilwerden könne, hat das BVwG zwar angenommen, sich dabei jedoch über das bereits im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens erstattete Vorbringen des Revisionswerbers zur Untätigkeit der Polizei trotz seiner wiederholten Anzeigen hinweggesetzt und keine ausreichenden Feststellungen zur staatlichen Schutzfähigkeit bzw - willigkeit getroffen.
10 Im Übrigen ist im Hinblick auf den vom BVwG georteten Ermittlungsbedarf nicht zu erkennen, dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG (vgl. dazu VwGH vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063) am Maßstab der hg. Judikatur im vorliegenden Fall gegeben gewesen wären.
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus obigen Erwägungen - auch in Bezug auf die aufbauenden Entscheidungen betreffend die Zurückverweisungen betreffend Spruchpunkte II. und III. des verwaltungsbehördlichen Bescheides - zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Dezember 2016
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