BVwG I416 2199523-1

BVwGI416 2199523-11.12.2021

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I416.2199523.1.00

 

Spruch:

 

I416 2199523-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch RA Mag. Dr. Bernhard ROSENKRANZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 04.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.10.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste legal aus dem Irak aus und stellte nach schlepperunterstützter, illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 13.11.2015 wurde er durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Dabei gab er befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass er XXXX heiße, am XXXX in Bagdad geboren und Staatsangehöriger des Irak sei. Er sei ledig, seine Muttersprache sei Arabisch, er gehöre der Volksgruppe der Araber an und sei muslimischen/sunnitischen Glaubens. Im Irak habe er neun Jahre die Schule besucht und sei zuletzt Hilfsarbeiter gewesen. Im Irak würden noch seine Eltern und zwei seiner drei Brüder leben, der dritte Bruder werde seit 2012 vermisst. Zu seiner Fluchtroute gab er an, dass er am 22.09.2015 legal mit dem Flugzeug in die Türkei gereist sei und von dort über Griechenland und Serbien nach Österreich gelangt sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er wörtlich aus: „Wir haben im Irak Nachteile, weil wir Sunniten sind. Zuletzt habe ich mit einer Person gestritten, der Schiit ist. Ich habe ihn geschlagen und weil meine Freunde mir nicht helfen, würde er mich umbringen. Er hat mich bedroht und weil mich dort alle kennen, musste ich das Land verlassen. Ich konnte keine Anzeige machen, weil die Regierung ausschließlich aus Schiiten bestehen.“ Im Fall seiner Rückkehr fürchte er um sein Leben.

3. Am 09.08.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er Araber sei, dem moslemischen Glauben (Sunnit) angehöre, aus Bagdad stamme und Staatsangehöriger des Irak sei. Zu bestehenden gesundheitlichen Problemen befragt, führte er an, dass er keinerlei körperliche, jedoch psychische Probleme habe, weshalb er bereits in einer Psychiatrie gewesen sei. Zu seiner familiären Situation erklärte er, dass seine Eltern und zwei seiner Brüder immer noch in Bagdad leben würden und es ihnen gut gehe. Sein Vater sei pensionierter Arabisch-Lehrer und habe die Familie ein eigenes Haus sowie einen großen Baugrund. Er gab weiters an, dass er im Irak als Fliesenleger selbständig gewesen sei. Den Entschluss zur Ausreise aus dem Irak habe er 2014 gefasst, tatsächlich ausgereist sei er am 22.09.2015. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er mit seiner Familie in einer Ortschaft gelebt habe und sie vertrieben worden seien. Dann sei sein Bruder am 02.08.2013 entführt worden und habe die Familie nach XXXX umziehen müssen, wo sie ein Familienhaus gehabt haben. Dort habe es für sie viele Probleme gegeben. Er selbst habe Probleme mit den Milizen Kataeb und Assaib Ahl Al Haq bekommen und sei von diesen bedroht worden, weshalb er sich zur Flucht entschieden habe. Er sei noch am selben Tag zu seiner Tante nach XXXX gegangen, habe sich dort Geld besorgt und sei in die Türkei geflogen. Auf Nachfrage nach einer persönlichen Bedrohung führte der Beschwerdeführer an, dass er von einem Mann mit dem Vornamen Ali bedroht worden sei. Nachgefragt, habe er einen Freund gefragt, ob er ihn als Tagelöhner brauchen würde. Dieser habe bejaht und sei der Beschwerdeführer mit ihm zu seiner Arbeitsstätte gegangen. Dort sei es zwischen Mitarbeitern zu einer Diskussion gekommen und seien Sunniten extrem beschimpft worden, woraufhin er seine Kontrolle verloren, einen Mann namens Ali geschlagen und „Al Sadr“ beschimpft habe. Der Mann namens Ali habe dabei einen Zahn verloren, sei später mit seinem Cousin zurückgekommen und habe ihn mit Holzstücken geschlagen. Dies sei etwa zehn Tage vor seiner Ausreise geschehen und habe es sich bei den Männern um Mitglieder der Miliz Assaib Ahl Al Haq gehandelt. Eine Anzeige bei der Polizei habe er nicht gemacht, da die Miliz stärker als die Polizei sei. Unbekannte seien am Tag des Vorfalls zum Beschwerdeführer nachhause gekommen und hätten nach ihm gesucht. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme legte der Beschwerdeführer einen Personalausweis, einen Staatsbürgerschaftsnachweis und eine Geburtsurkunde, jeweils im Original, sowie eine Wahlregistrierungskarte, eine Schulbestätigung, eine Behandlungsbestätigung, Arztbriefe und Rezepte, eine Bestätigung über einen Deutschkursbesuch, ein ÖSD-Zertifikat A1 und zwei Empfehlungsschreiben vor.

4. Mit dem Dokumentenuntersuchungsbericht der LPD XXXX vom 04.04.2018 wurde der belangten Behörde im Ergebnis mitgeteilt, dass es sich beim untersuchten Staatsbürgerschaftsnachweis und Personalausweis des Beschwerdeführers jeweils um verfälschte Dokumente handelt, weshalb die LPD am 04.04.2018 eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft XXXX erstattet habe.

5. Am 05.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Parteiengehörs eine Stellungnahme zu etwaigen Änderungen in seinem privaten Umfeld, seiner beruflichen Tätigkeit und seiner Integration in Österreich abzugeben. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 24.08.2017, aktualisiert am 23.11.2017, wurde dem Parteiengehör beigelegt.

6. Am 19.04.2018 langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme des Beschwerdeführers datiert mit 16.04.2018 ein, in welcher er nähere Ausführungen zu seinen bisherigen Integrationsbemühungen sowie der Lage im Irak tätigte.

7. Mit Bescheid vom 04.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

8. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 04.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

9. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsberatung mit Schriftsatz vom 22.06.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlichen Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers einzugehen und sich mit den innerstaatlichen Fluchtalternativen näher zu befassen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung samt nochmaliger Einvernahme des Beschwerdeführers anberaumen, den Bescheid beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes II. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III. bzw. IV. aufheben und dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt werde und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverweisen.

10. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.06.2018 vorgelegt.

11. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 04.10.2018 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I416 ein.

12. Mit Mitteilung vom 11.01.2019 wurde das erkennende Gericht von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen nach den §§ 223, 224 StGB durch die Staatsanwaltschaft XXXX verständigt, am 11.03.2019 wiederum von der Beendigung des Strafverfahrens benachrichtigt, da der Beschwerdeführer mit bezirksgerichtlichem Urteil mangels Schuldbeweises im Zweifel freigesprochen wurde.

13. Mit Schreiben vom 20.05.2019 legte die belangte Behörde den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 07.05.2019 über die Bewilligung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer vor, am 26.06.2019 übermittelte die belangte Behörde eine Mitteilung über die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Grundversorgung.

14. Am 21.10.2021 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, der der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt ferngeblieben ist. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

15. Am 03.11.2021 wurde beim erkennenden Gericht eine Bevollmächtigungsanzeige des RA Mag. Dr. Bernhard ROSENKRANZ eingebracht. Der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers ersuchte dabei, in Hinkunft sämtliche Ladungen und Zustellungen im gegenständlichen Verfahren ausschließlich zu seinen Handen vorzunehmen. Des Weiteren führte er aus, dass es der Beschwerdeführer sehr bedauere, dass er die Verhandlung versäumt habe und ersuche er um Entschuldigung sowie die baldige Bekanntgabe eines neuen Termins. Der Beschwerdeführer werde so bald wie möglich die B1-Prüfung, eine Einstellungszusage und weitere Integrationsnachweise vorlegen.

18. Der Beschwerdeführer selbst brachte mit 04.11.2021 einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 21.10.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses beim erkennenden Gericht ein.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da der Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung trotz nachweislicher und ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, beruhen die Feststellungen und die Beweiswürdigung auf dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Akteninhalt.

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen derartigen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 17.10.2015 ins österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und besuchte dort sechs Jahre die Grund- und drei Jahre die Mittelschule. Anschließend verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter sowie selbständiger Fliesenleger. In Bagdad leben noch Verwandte des Beschwerdeführers, jedoch kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer derzeit in Kontakt zu seinen irakischen Angehörigen steht.

Der Beschwerdeführer ist ledig und verfügt im Bundesgebiet über keine maßgeblichen familiären oder privaten Beziehungen. Er hat sich jedoch während seines sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich einen Bekanntenkreis aufgebaut.

Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich einen Deutschkurs und ist im Besitz eines ÖSD-Sprachzertifikats auf dem Niveau A1. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer über qualifizierte Deutschkenntnisse verfügt. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer an Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen hat, Mitglied in einem Verein ist und ehrenamtliche oder gemeinnützige Hilfstätigkeiten ausgeführt hat.

Der Beschwerdeführer verfügte über eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als XXXX t für die Zeit von 07.05.2019 bis 06.11.2019 für eine Ganztagesbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von brutto EUR 1.620. Aufgrund dessen war der Beschwerdeführer von 05.09.2019 bis 21.10.2019 bei XXXX als Arbeiter beschäftigt. Zudem war er von 16.12.2019 bis 15.03.2020 bei XXXX und von 05.08.2020 bis 18.09.2020 bei der Ristorante-Pizzeria XXXX erwerbstätig.

Seinen Lebensunterhalt in Österreich finanziert sich der Beschwerdeführer - bis auf die Zeiträume von 08.06.2019 bis 30.04.2020 und von 01.09.2020 bis 31.10.2020 - nach wie vor mit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann somit trotz seiner Aufenthaltsdauer von rund sechs Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise für ein Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch schiitische Milizen konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend ins Verfahren eingebracht: Aktualisiertes Länderinformationsblatt vom 15.10.2021, EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, ACCORD: Zusammenstellung zu schiitischen Milizen, ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen vom 21.06.2021, Anfragebeantwortung zu Irak: Entwicklungen bezüglich der Rolle und des Einflusses der Milizen vom 07.05.2021, Gefahr für Sunniten durch schiitische Milizen vom 16.04.2021, Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021, Anfragebeantwortung zum Irak bezüglich der aktuellen Sicherheitslage in den Provinzen Bagdad und Kerbala vom 23.04.2021 und der Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020.

Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage:

Mit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins und der Ba’ath-Partei im März 2003 (DFAT 17.8.2020, S.9) wurde die politische Landschaft des Irak enorm verändert (KAS 2.5.2018, S.2; vgl. Fanack 8.7.2020). 2005 hielt der Irak erstmals demokratische Wahlen ab und führte eine Verfassung ein, die zahlreiche Menschenrechtsbestimmungen enthält. Das Machtvakuum infolge des Regimesturzes und die Misswirtschaft der Besatzungstruppen führten hingegen zu einem langwierigen Aufstand gegen die US-geführten Koalitionstruppen (DFAT 17.8.2020, S.9). Dieses gemischte Bild ist das Ergebnis der intensiven politischen Dynamik, die durch den Aufstieg des sog. Islamischen Staates auf eine harte Probe gestellt wurde (KAS 2.5.2018, S.2). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2021a).

Gemäß der Verfassung von 2005 ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarischrepublikanischer Staat. Der Islam ist Staatsreligion und eine der Hauptquellen der Gesetzgebung (AA 22.1.2021, S.8; vgl. Fanack 8.7.2020). Das Land ist in 18 Gouvernements (muhafazāt) unterteilt (Fanack 8.7.2020), jedes mit einem gewählten Rat, der einen Gouverneur ernennt (DFAT 17.8.2020; S.17). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (BS 29.4.2020, S.11; vgl. GIZ 1.2021a, RoI 15.10.2005). An der Spitze der Exekutive steht der Präsident, welcher mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (arab.: majlis al-nuwwāb, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 8.7.2020). Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und repräsentiert die Souveränität und Einheit des Staates (DFAT 17.8.2020, S.17). Das zweite Organ der Exekutive ist der Premierminister, welcher vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt wird (Fanack 8.7.2020; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 8.7.2020; vgl. DFAT 17.8.2020, S.17). Die Legislative wird durch den Repräsentantenrat, d.h. das Parlament, ausgeübt (Fanack 8.7.2020; vgl. KAS 2.5.2018, S.2). Er besteht aus 329 Abgeordneten, die für eine Periode von vier Jahren gewählt werden (FH 3.3.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Neun Sitze sind per Gesetz für Minderheiten reserviert (AA 22.1.2021, S.11; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021) - fünf für Christen und je einer für Jesiden, Manäer-Sabäer, Schabak und für Faili-Kurden aus dem Gouvernement Wassit (AA 22.1.2021, S.11; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Die Judikative wird vor allem durch den Bundesgerichtshof repräsentiert (KAS 2.5.2018, S.2).

Die Grenzen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative sind jedoch häufig fließend (FH.3.2021). Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a). In Artikel 19 der Verfassung heißt es beispielsweise, dass die Justiz unabhängig ist, und keine Macht über der Justiz steht, außer dem Gesetz selbst. Die Justiz ist jedoch eine der schwächsten Institutionen des Staates, und ihre Unabhängigkeit wird häufig durch die Einmischung politischer Parteien über Patronage- Netzwerke und Klientelismus untergraben (BS 29.4.2020, S.11).

Das politische System des Iraks wird durch das sogenannte Muhasasa-System geprägt. Muhasasa im irakischen Kontext bedeutet die Vergabe von staatlichen Ämtern entlang ethnisch-konfessioneller (Muhasasa Ta’ifiyya) oder parteipolitischer (Muhasasa Hizbiyya) Linien. Der Aufteilung wird ein geschätzter Zensus zu Grunde gelegt, sodass die drei größten Bevölkerungsgruppen (Kurden, Sunniten, Schiiten) ihren Bevölkerungsanteilen gemäß proportional repräsentiert werden. Einige Minderheiten wie Christen und Jesiden sind durch für sie reservierte Sitze repräsentiert. Mit der Vergabe staatlicher Ämter ergibt sich auch ein Zugang zu staatlichen Ressourcen, z.B. durch Zugang zu Budgets von Ministerien oder lokalen Behörden (BAMF 5.2020, S.2f.). Das Muhasasa-System gilt auch für die Staatsführung. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018; vgl. FH 3.3.2021). Das konfessionelle Proporzsystem im Parlament festigt den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindert die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 2.3.2020, S.8). Das seit 2003 etablierte politische Muhasasa-System steht in weiten Teilen der Bevölkerung in der Kritik (BAMF 5.2020, S.30), insbesondere bei säkularen und nationalen Kräften (GIZ 1.2021a). Seit 2015 richten sich die Demonstrationen im Irak zunehmend auch gegen das etablierte Muhasasa- System als solches. Das Muhasasa-System wird für das Scheitern des Staates verantwortlich gemacht (BAMF 5.2020, S.1). Vom Muhasasa-System abgesehen, stehen viele sunnitische Iraker der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber (AA 2.3.2020, S.8).

Für die Durchführung der Wahlen im Irak ist die Unabhängige Hohe Wahlkommission (IHEC) verantwortlich. Sie genießt generell das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft und der irakischen Bevölkerung. Der Irak hält regelmäßig, kompetitive Wahlen ab. Die verschiedenen

parteipolitischen, ethnischen und konfessionellen Gruppen des Landes sind im Allgemeinen im politischen System vertreten. Allerdings wird die demokratische Regierungsführung in der Praxis durch Korruption und Sicherheitsbedrohungen behindert (FH 3.3.2021). Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünften landesweiten Wahlen seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018; vgl. FH 3.3.2021). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September 2018 zusammen (ZO 2.10.2018; vgl. FH 3.3.2021).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (FH 3.3.2021; vgl. DW 2.10.2018, ZO 2.10.2018, KAS 5.10.2018). Bereits ein Jahr nach seiner Ernennung, reichte Premierminister Adel Abdul Mahdi Ende November 2019 als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste seinen Rücktritt ein. Die Proteste richteten sich gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020; GIZ 1.2021a). Nachdem Muhammad Tawfiq llawi an der Regierungsbildung scheiterte und nach einem Monat am 1.3.2020 seinen Rücktritt verkündete (GIZ 11.2020a; vgl. Standard 2.3.2020; Reuters 1.3.2020), misslang auch dem als säkular geltenden Adnan az-Zurfi (GIZ 1.2021; vgl. Reuters 17.3.2020), wegen des Widerstands der drei schiitischen Koalitionen Fatah, Dawlat al-Qanoon und Hikma, die Bildung einer Regierung. Präsident Salih beauftragte daraufhin am 9.4.2020 den von den schiitischen Blöcken favorisierten Kandidaten Mustafa al- Kadhimi mit der Regierungsbildung (GIZ 1.2021a), auf den sich die großen Blöcke im Parlament und ihre ausländischen Unterstützer letztlich einigten (FH 3.3.2021).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019; Al Monitor 2.11.2020). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass künftig für Einzelpersonen statt für Parteilisten gestimmt werden soll (NYT 24.12.2019; vgl. FH 3.3.2021). Die Gouvernements werden hierzu in eine Reihe neuer Wahlbezirke unterteilt, in denen für jeweils 100.000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt wird (FH 3.3.2021). Unklar ist für diese Einteilung jedoch, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (FH 3.3.2021; vgl. NYT 24.12.2019). Einige politische Parteien befürchten Wahlbetrug und lehnen die Einteilung der Wahlbezirke ab. Besonders die traditionellen Parteienblöcke befürchten einen Verlust an Einfluss durch die Aufteilung ihrer Wählerschaft in die neuen, kleineren Wahlbezirke (Al Monitor 2.11.2020).

Die aus den letzten Wahlen im Mai 2018 hervorgegangenen vier größten Allianzen wurden alle von schiitischen Parteien angeführt, wobei unterschiedliche Anstrengungen unternommen wurden, die konfessionellen Grenzen zu überwinden. Unter den verschiedenen kurdischen Parteien dominierten die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Die restlichen Sitze verteilten sich auf sunnitisch geführte Bündnisse, kleinere Parteien und Unabhängige (FH 3.3.2021), wobei die sunnitische politische Szene im Irak durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet ist. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Sairoun, das Bündnis aus der schiitischen Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei, erlangte bei den Wahlen 2018 54 Sitze im Parlament, gefolgt von den vier schiitisch geprägten Bündnissen, der Fatah-Koalition mit 47, der Nasr-Allianz mit 42, der Dawlat al Qanoon-Allianz mit 25 Sitzen sowie der Hikma-Koalition mit 19 Sitzen. Die säkulare Wataniya-Allianz, angeführt von Ex-Premier Allawi, errang 21 Mandate. Das größte sunnitische Bündnis unter Osama al- Nujaifi errang 11 Sitze. Die beiden großen Kurden-Parteien KDP und PUK gewannen 25 bzw.18 Sitze (LSE 7.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen, ist eigentlich verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Die Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018). Etliche errangen tatsächlich auch Sitze im Parlament (FH 3.3.2021).

Im Juli 2020 hat Premierminister al-Kadhimi ein Versprechen an die Protestbewegung erfüllt und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf 6.6.2021 beschlossen (Reuters 31.7.2020; vgl. GIZ 1.2021a; Al Monitor 9.12.2020). Auf Vorschlag der Unabhängigen Hohen Wahlkommission (IHEC), die um mehr Zeit für die Umsetzung der rechtlichen und logistischen Maßnahmen bat, hat das Kabinett einstimmig entschieden, die Parlamentswahlen auf den 10.10.2021 zu verschieben. Die Amtszeit für das aktuelle Parlament endet offiziell 2022 (Al Jazeera 19.1.2021). Am Vorabend der Parlamentswahlen im Oktober 2021 sahen sich reformorientierte Kandidaten bei Vorbereitung gegen die etablierten Parteien des Landes anzutreten, zu denen auch bewaffnete Milizen gehören, die das irakische Parlament seit 2018 dominieren, mit beunruhigenden Hindernissen konfrontiert (MEI 22.3.2021).

Nach wiederholten Verzögerungen wurden die ursprünglich für 2017 geplanten Wahlen zu den Provinzräten im November 2019 auf unbestimmte Zeit verschoben (FH 3.3.2021). Das irakische Parlament hatte Ende Oktober 2019 beschlossen, die Provinzräte aufzulösen, mit Ausnahme jener in der Region Kurdistan (KRI). Es beschloss jedoch, die Gouverneure im Amt zu belassen, welche die Aufgaben der Räte übernehmen, aber unter der Kontrolle der Zentralregierung stehen. Das irakische Bundesgericht bestätigte Anfang Juni 2021 nach einer vorausgegangenen Klage die Entscheidung des Parlaments von 2019 (Rudaw 2.6.2021).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.3.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027997/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_02.03.2020.pdf , Zugriff 13.8.2021

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Sicherheitslage

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den sog. Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen (AA 22.1.2021). Der sog. IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig. Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 22.1.2021). Die Volksmobilisierungskräfte (PMF) haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 22.1.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021). Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den sog. IS (UNSC 30.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter Volksmobiliserungskräfte (PMF) sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 22.1.2021).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut der Türkei gegen die PKK gerichtet sind, und die Türkei unterhält temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a). Die Gründung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere "Gemeinsame Koordinationszentren" eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den sog. IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). - Jene Sicherheitslücken werden vom sog. IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der sog. IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

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Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem sog. Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100 Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die Meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Im Jahr 2021 wurden bis Juli 2021 bisher 417 zivile Todesopfer verzeichnet. Bis auf die Monate April und Juli waren es jeweils weniger als in den Vergleichsmonaten des Vorjahres (IBC 8.2021).

Quellen:

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 Wing, Joel, Musings on Iraq (8.3.2021): IS Winter Break Continues In Feb While Pro-Iran Groups Picking Up Attacks, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/is-winter-break-continues-in-feb-while.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html , Zugriff 25.8.2021

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, das seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Gebiete (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmiya, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten "Bagdader Gürtel" (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 Kilometern um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Im Ort Tarmiya im nördlichen Teil des Gouvernement Bagdad, hat der sog. Islamische Staat (IS) eine Zelle reaktiviert (Wing 2.8.2021). Im August 2021 haben Sicherheitskräfte eine Operation gegen diese IS-Zelle gestartet, nachdem der IS seine Angriffe in den vorangegangenen Monaten verstärkt hatte (Anadolu 23.8.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Mitte August 2021 wurde beispielsweise bei Tarmiya ein Strommast gesprengt, der die dortige Pumpstation mit Strom versorgt. Deren Stillstand hatte den Ausfall der Wasserversorgung für mehrere Millionen Menschen im Westen Bagdads zur Folge. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kata'ib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021).

Pro-iranische schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Unter anderem werden auch aus dem Gouvernement Bagdad Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Pro-iranische Milizen werden auch für Raketen- und Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad und auf die sogenannte Grüne Zone (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandsvertretungen beherbergt) verantwortlich gemacht. Siehe dazu die folgende Auflistungen der monatlichen sicherheitsrelevanten Vorfälle:

Im Jänner 2021 wurden im Gouvernement Bagdad zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 111 Verletzten verzeichnet. 32 der Toten und 110 der Verletzten waren Zivilisten. Sechs dieser Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 4.2.2021). Der IS hat im Jänner 2021 einen doppelten Selbstmordanschlag auf einem Markt am Tayaran-Platz im Zentrum Bagdads ausgeführt, bei dem 32 Menschen getötet und 110 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. BBC 21.1.2021, Wing 4.2.2021). Pro-iranische Milizen zeichneten sich verantwortlich für drei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA und für den Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad (Wing 4.2.2021).

Im Februar 2021 wurden zehn Vorfälle mit vier Toten und drei Verletzten verzeichnet. Je fünf Vorfälle werden dem IS und pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Bei den IS-Vorfällen handelte es sich, bis auf ein Feuergefecht in Tarmiya im Norden Bagdads, um Angriffe von geringem Ausmaß. Bei vier der pro-iranischen Vorfälle handelte es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA, beim fünften um einen Raketenbeschuss der Grünen Zone in Bagdad (Wing 8.3.2021).

Im März 2021 gab es zehn sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten und sieben Verletzten, davon waren zwei der getöteten und sechs der verwundeten Personen Zivilisten. Acht dieser Vorfälle werden dem sog. IS, zwei weitere pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Die IS-Angriffe umfassten unter anderem ein Feuergefecht, den Einsatz einer Motorradbombe und den Angriff auf das Haus eines Sheikhs mit einem Sprengsatz. Tarmiya, ein Ort im Norden Bagdads, von dem aus eine IS-Zelle operiert, war hauptsächlich von den IS-Übergriffen betroffen. Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA (Wing 5.4.2021).

Im April 2021 wurden im Gouvernement Bagdad sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Toten und 23 Verletzten verzeichnet. Vier dieser Vorfälle werden dem IS, drei pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 3.5.2021). Bei einem der IS-Angriffe handelte es sich um einen Anschlag unter Verwendung einer Autobombe auf einem Markt in Sadr City, bei dem vier Menschen getötet und 20 verwundet wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. Garda 15.4.2021, Wing 3.5.2021). Bei den pro-iranischen Vorfällen handelte es sich wiederum um zwei IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der USA sowie um Raketenbeschuss einer Militärbasis (Wing 3.5.2021).

Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit 16 Toten verzeichnet, von denen zwei Zivilisten waren. Sieben Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, wobei sich sechs im nördlichen Tarmiya Distrikt ereigneten. Zwei Vorfälle, ein Raketenbeschuss des Internationalen Flughafens Bagdad und ein vereitelter Angriff, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.6.2021).

Im Juni 2021 wurden 16 sicherheitsrelevante Vorfälle mit acht Toten und 39 Verletzten verzeichnet. Sieben der Toten und 36 der Verletzten waren zivile Opfer. Zehn der Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben. Sechs der sicherheitsrelevante Vorfälle, unter anderem ein IED-Angriff auf einen Versorgungskonvoi der USA sowie zwei Drohnenangriffe auf den Internationalen Flughafen Bagdad, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben. Weitere Angriffe konnten verhindert werden (Wing 6.7.2021).

Im Juli 2021 wurden im Gouvernement Bagdad 18 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten, davon 38 Zivilisten, und 59 zivile Verletzte verzeichnet. 14 dieser Vorfälle werden dem sog. IS zugeschrieben (Wing 2.8.2021). Am 19.7.2021 führte der IS ein Selbstmordattentat in einem Markt in Sadr City aus, bei dem 35 Menschen getötet und 59 verletzt wurden (Al Arabiya 19.7.2021; vgl. Wing 2.8.2021). Vier Vorfälle, ein IED-Angriff gegen einen Versorgungskonvoi der USA, zwei Raketenbeschüsse der Grünen Zone sowie die Entschärfung einer Rakete, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (WIng 2.8.2021).

Im August 2021 wurden zehn Vorfälle, mit acht Toten und elf Verwundeten verzeichnet, wobei zwei der Verwundeten Zivilisten waren. Sechs Angriffe werden dem sog. IS zugeordnet, vier pro-iranischen Milizen (Wing 6.9.2021). Der IS war im Gouvernement Bagdad neuerlich in Tarmiya am aktivsten, wo unter anderem ein PMF-Brigade-Hauptquartier angegriffen wurde. Bei den vier Vorfällen unter Beteiligung pro-iranischen Milizen handelt es sich um IED-Angriffe auf Versorgungskonvois der US-Streitkräfte (Wing 6.9.2021).

[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel Protestbewegung entnommen werden.]

Quellen:

 Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html , Zugriff 25.8.2021

 Al Arabiya (19.7.2021): Suicide attack in Iraq's Sadr City kills at least 35, wounds dozens, https://english.alarabiya.net/News/middle-east/2021/07/19/Eight-killed-24-wounded-in-explosion-in-Iraq-s-Sadr-city , Zugriff 25.8.2021

 Anadolu Agency (23.8.2021): Iraq launches security operation against Daesh/ISIS, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/iraq-launches-security-operation-against-daesh-isis/2343607 , Zugriff 25.8.2021

 AN - Arab News (14.8.2021): West Baghdad without water after ‘attack’ on power grid, https://www.arabnews.com/node/1911056/middle-east , Zugriff 25.8.2021

 BBC (21.1.2021): Iraq attack: Twin suicide bombings in central Baghdad kill 32, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-55746676 , Zugriff 28.5.2021

 DIIS - Danish Institute for International Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq , Zugriff 25.8.2021

 Garda World (15.7.2021): Iraq: Improvised explosive device targets convoy carrying military supplies in Dhi Qar Governorate July 15, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/502161/iraq-improvised-explosive-device-targets-convoy-carrying-military-supplies-in-dhi-qar-governorate-july-15 , Zugriff 25.8.2021

 Garda (15.4.2021): Iraq: At least five people killed, 21 injured in car bomb explosion in Baghdad April 15 /update 1, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/467636/iraq-at-least-five-people-killed-21-injured-in-car-bomb-explosion-in-baghdad-april-15-update-1 , Zugriff 25.8.2021

 ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts , Zugriff 25.8.2021

 OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides [Frankreich] (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf , Zugriff 13.3.2020

 Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html , Zugriff 7.9.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (6.7.2021): Security In Iraq June 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/07/security-in-iraq-june-2021.html , Zugriff 25.8.202

 Wing, Joel, Musings on Iraq (7.6.2021): Islamic State’s Offensive Appears Over While Pro-Iran Groups Maintain Campaign In May 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/islamic-states-offensive-appears-over.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (3.5.2021): Islamic State Ramadan Offensive Begins, Pro-Iran Groups Increase Attacks In April 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/05/islamic-state-ramadan-offensive-begins.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (5.4.2021): Violence In Iraq, March 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/04/violence-in-iraq-march-2021.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (8.3.2021): IS Winter Break Continues In Feb While Pro-Iran Groups Picking Up Attacks, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/is-winter-break-continues-in-feb-while.html , Zugriff 25.8.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html , Zugriff 25.8.2021

Bagdad liegt im Tigris-Tal im Zentrum des Irak und ist flächenmäßig das kleinste Gouvernement. Die Hauptstadt des Irak, Bagdad-Stadt, befindet sich im Gouvernement Bagdad. Bagdad-Stadt setzt sich aus den Bezirken zusammen: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, AI Rashid, Rusafa und 9 Nissan ("neues Bagdad"). Der Rest des Gouvernements Baghdad besteht aus den Bezirken AI Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib. Für das Jahr 2019 wurde die Bevölkerung des Gouvernements auf 8.340.711 geschätzt, wobei die Mehrheit schiitische und sunnitische Muslime sind.

Nach dem Bericht (EASO Security Situation), der am 30.10.2020 publiziert wurde, ereigneten sich im Jahr 2019 im gesamten Gouvernement Bagdad 42 sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen 37 Personen ums Leben kamen und 13 Personen verletzt wurden; im ersten Halbjahr 2020 ereigneten sich vier Vorfälle, bei denen drei Personen getötet und acht verletzt wurden; dies bei einer Einwohnerzahl von mehr als 6 Mio. Auch die Proteste, die zT sehr gewaltsam waren, vermögen nicht nachhaltig das positive Bild zu ändern. Sie sind auf bestimmte Plätze beschränkt und nicht in der ganzen Stadt Bagdad und vermögen daher nicht die Sicherheitslage in ganz Bagdad zu beeinträchtigen. Grundsätzlich ist der Staat seit dem Bezwingen des IS vor drei Jahren insgesamt gestärkt und vermag seiner Schutzfunktion vermehrt nachzukommen (EASO). Für Bagdad-Stadt vertritt EASO die Auffassung, dass die Stadt Bagdad und ihre Vorstädte generell unter Kontrolle der Behörden sind. Die Behörden teilen jedoch diese Macht mit schiitisch dominierten PMU, was zu unvollständiger oder überlappender Kontrolle führen kann. Im Jahr 2018 ging die Aktivität des IS in der Stadt signifikant zurück. Die Hauptursachen von Gewalt waren 2018 Akte politischer Einschüchterung, bewaffnete Scharmützel und gezielte Tötungen zwischen Schiiten im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz. Im Jahr 2018 war der Stadtteil Adhamiya mit 8,3 zivilen Toten auf 100.000 Einwohner der Ort mit der höchsten Gewalt in Bagdad. Im Lichte dieser Indikatoren schließt EASO, dass im Gouvernement Bagdad willkürliche Gewalt auf keinem so hohen Grad vorkommt und höherer individuelle Elemente vorliegen müssen, um substanzielle Gründe annehmen zu können, dass eine Zivilperson, die in diese Gegend zurückkehrt, einem realen Risiko eines ernsten Schadens ISd Art 15 (c) der Statusrichtlinie begegnet. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom, Gütern des täglichen Bedarfs und medizinischer Versorgung ist in Bagdad gesichert, wobei rund die Hälfte der Bewohner Bagdads gut und eine weitere Hälfte ausreichend versorgt ist. Ca. l % der Bevölkerung in Bagdad ist nicht ausreichend versorgt (EASO, socio-economic indicators). Hieraus ist - im Einklang mit der aktuellen Sicherheitslage und der diese nicht einbeziehende, auf der Entwicklung im Irak bis 2018 aufbauenden Einschätzung des UNHCR zur Möglichkeit, wieder in Bagdad selbst ohne familiären Rückhalt Fuß fassen zu können - abzuleiten, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisen und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, keine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK und dem 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten haben. Ebensowenig besteht ein reales Risiko als Zivilperson Opfer von Gewalt aufgrund eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes zu werden.

Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und im bisherigen Jahr 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste von ISIS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit von ISIS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass ISIS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll ISIS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten statt.

In Bezug auf die Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten gemäß der oben stehenden Beschreibungen sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Quellen:

 UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf , S 23f sowie S 141, Zugriff 07.07.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 8.7.2020). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 22.1.2021). Das Rechtssystem basiert auf einer Mischung aus zivilem und islamischem Recht (Fanack 8.7.2020).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 22.1.2021, USDOS 30.3.2021, GIZ 1.2021a). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 30.3.2021). Die Justiz ist von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 3.3.2021).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 22.1.2021). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 3.3.2021). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen erheblich ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 22.1.2021).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 30.3.2021) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 13.1.2021). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 30.3.2021).

Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem sog. IS anzugehören (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Menschenrechtsgruppen kritisierten, insbesondere in Terrorismusverfahren, die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (HRW 13.1.2021; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 30.3.2021). 2018 dauerten einige Prozesse, die ein Todesurteil zur Folge hatten nur etwa 20 Minuten und hunderte von Familienangehörigen mutmaßlicher IS-Kämpfer wurden willkürlich inhaftiert (FH 3.3.2021). Anwälte, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, berichten bedroht zu werden (USDOS 30.3.2021).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018; vgl. UK Home Office 2.2020). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

In Ermangelung von Recht und Ordnung - oder zumindest des Vertrauens in das Rechtssystem - greifen immer mehr Iraker auf die Stammesjustiz zurück (AW 29.6.2019; vgl. FH 3.3.2021, UK Home Office 3.2021). Stammesgerichte beschäftigen sich mit kommerziellen und kriminellen Angelegenheiten, Diebstahl, bewaffneten Konflikten, Körperverletzung und Mord sowie deren Beilegung durch Entschädigungszahlungen (Blutgeld oder diya), den Austausch von Frauen und Mädchen, Heirat und Vergeltung (UK Home Office 3.2021).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen haben demnach gegen Strafgesetze verstoßen. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht. Eine Beurteilung ist kaum möglich, aufgrund mangelnder Transparenz seitens der Regierung, Korruption während der Verfahren und wegen des eingeschränkten Zugangs zu Gefangenen, insbesondere solchen, die in Einrichtungen der Terrorismusbekämpfung, der Geheimdienste und des Militärs inhaftiert sind (USDOS 30.3.2021).

Im südirakischen Basra berichten Einwohner über sogenannte "degga ashairiya" (Stammeswarnungen). Bei diesem alten Brauch zur Beilegung von Streitigkeiten versammeln sich bewaffnete Angehörige eines Stammes vor dem Haus eines Angehörigen eines gegnerischen Stammes und beschießen dieses, bis sich dieser bereit erklärt, herauszukommen und einen Streit durch Verhandlungen beizulegen. Wenn er sich weigert zu verhandeln oder keine Einigung erzielt wird, kann dies zu mehr Gewalt und manchmal auch zu Todesopfern führen (AW 29.6.2019).

In den von Bagdad kontrollierten Gebieten können Kinder ab dem Alter von neun Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt. Ein Komitee in Mossul verbesserte den Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Kindern, die verdächtigt werden dem sog. IS anzugehören (HRW 13.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html , Zugriff 2.2.2021

 AW - The Arab Weekly (29.6.2019): Tribal feuds pushing many Iraqis to leave Basra, https://thearabweekly.com/tribal-feuds-pushing-many-iraqis-leave-basra , Zugriff 28.1.2021

 CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 28.1.2021

 Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 28.1.2021

 FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html , Zugriff 28.1.2021

 Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf , Zugriff 28.1.2021

 TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1 , Zugriff 2.2.2021

 UK Home Office [UK] (3.2021): Country Policy and Information Note Iraq: ‘Honour’ crimes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048206/Iraq_-_Honour_Crimes_-_CPIN_-_v2.0_-_March_2021_-_EXT.pdf , Zugriff 1.4.2021

 UK Home Office [UK] (2.2020): Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025236/Iraq_-_Blood_Feuds_-_CPIN_v2.0_-_Feb_2020_-_EXT__004_.pdf , Zugriff 2.2.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Sicherheitskräfte und Milizen

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause.Statt des bisherigen war ein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS). Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land, oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der PMF, einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle, insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 30.3.2021).

Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des sog. IS in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Quellen:

 Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/ , Zugriff 28.1.2021

 NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl , Zugriff 20.5.2021

 Rudaw (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212 , Zugriff 3.6.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 30.3.2021).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 150.000 bis 185.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Es gibt kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitreichend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 22.1.2021).

Straffreiheit für Angehörige der Sicherheitskräfte ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 30.3.2021). Den Sicherheitskräften werden zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen („forced disappearance“) zur Last gelegt: Im Zuge von Antiterror-Operationen, aber auch an Checkpoints, wurden nach 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer gefangen genommen (AA 22.1.2021).

Internationale Militär-und Polizeiausbildung unterstützt die irakischen Sicherheitskräfte bei ihrer Professionalisierung (AA 22.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.202

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name "Volksmobilisierungskräfte" (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 30.3.2021; vgl. FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden, sog. Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016; S.2-4; vgl. TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016; S.4).

Die PMF, deren Wurzeln teilweise auf die Zeit vor 2003 zurückgehen, sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3).

Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen "Sinjar Widerstandseinheiten". Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 30.3.2021).

Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vgl. FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als "unabhängig" definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 22.1.2021, S.16; vgl. FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 22.1.2021, S.19).

Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).

Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der sog. Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).

Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik. Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 30.3.2021), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 30.3.2021). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbollah und Harakat Hizbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata'ib Hizbollah und der Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).

Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den sog. IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, S. 18f).

Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).

Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Für mehrere Befragte sind die PMF-Milizen Helden, die ihr Leben geopfert haben, um den IS zu besiegen - ganz im Gegensatz zu den Regierungstruppen und den kurdischen Peshmerga, die sich als unzuverlässig erwiesen und die Christen und Assyrer im Stich gelassen haben, als sich der IS näherte. Für andere kontrollieren die PMF weiterhin gewaltsam Gebiete gegen den Willen der Anwohner. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte von Anwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen und Sicherheitskräfte der Regierung (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 30.3.2021). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten (DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 30.3.2021). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des sog. IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 12.5.2021).

Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).

Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vgl. WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischen Saraya Talia al-Khorasani, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada, Asa'ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben unbekannte Bewaffnete und Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriya und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktionen gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hizbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den Internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).

Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata'ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha'bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten "Muhandis-Kern" zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).

Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vgl. AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreise der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vgl. Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).

Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den sog. IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata'ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervor tun (AIIA 12.1.2021).

Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji'iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji'i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini "Schrein"-Milizen bzw. Saraya al-'Atabat (kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala'i bezeichnet werden - wala' ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den sog. IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).

Pro-iranische Milizen: al-Hashd al-Wala'i / al-Muqawama al-Islamiyya

Das Lager, welches u.a. als al-Hashd al-Wala'i bezeichnet wird, umfasst jene PMF-Formationen, die entweder mit dem Iran verbündet sind oder mit ihm zusammenarbeiten, und die innerhalb der PMF sowohl quantitativ als auch qualitativ die Oberhand haben (EUI 6.2020, S.3). Die vom Iran unterstützten irakischen Milizen bezeichnen sich selbst auch als al-Muqawama al-Islamiyya - der islamische Widerstand - Widerstand vor allem gegen die US-geführten Koalitionstruppen, meist in Form von Raketen- und Sprengstoffangriffen (JS 12.4.2021). Jene PMF (bzw. deren Vertreter), welche im Februar 2020 das Wahlkomitee zur Bestimmung eines neuen stellvertretenden Vorsitzenden nach dem Tode Muhandis bildeten, gelten als die wichtigsten Iran-affinen Milizen. Diese sind: Kata'ib Hizbollah, die Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und Kata'ib Jund al-Imam (WI 23.3.2020, S.23; vgl. ICG). Hinzu kommen noch Harakat Hizbollah an-Nujaba (Bewegung der Partei Gottes der Noblen) (ICG 30.7.2018, S.3), mit mindestens 1.500 Kämpfern, auch in Syrien aktiv (WI 23.3.2020, S.110, 204) und eine der kampferfahrensten Milizen und stark seitens des Iran gefördert (ITIC 8.1.2020), sowie die Kata’ib Imam Ali (Bataillone des Imam Ali), deren Anführer, Shibl al Zaydi, 2018 von den USA wegen seiner Verbindungen zu den Iranischen Revolutionsgarden als Terrorist eingestuft wurde (LWJ 15.12.2020). Zudem war Kata’ib Imam Ali auch 2021 in Syrien präsent (AAA 22.3.2021). Dazu gesellen sich noch die Saraya Talia al-Khorasani, die auch in Syrien aktiv waren (WI 23.3.2020, S.110, 205; vgl. ICG 30.7.2018, S.27). Einige der pro-iranischen PMF sicherten sich bei den letzten Wahlen auch ihren Einfluss im Parlament. Innerhalb der 2018 gewonnenen Parlamentssitze des Wahlbündnisses "Fatah" sind 22 Abgeordnete der Badr-Organisation zugehörig und 15 dem politischem Flügel der Asai‘b Ahl al-Haqq, Sadiqoun (CH 2.2021, S.21f; vgl. EPIC 5.2020).

Die Badr-Organisation, die mächtigste schiitische Miliz, gilt als Irans ältester Stellvertreter im Irak. Sie wurde 1982 im Iran gegründet, um Saddam Hussein zu bekämpfen, und wurde zunächst vom Korps der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) finanziert, ausgebildet, ausgerüstet und geführt (Soufan 20.3.2020; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Nach der US-Invasion im Jahr 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die neue irakische Regierung integriert. Ihre Kräfte wurden zur größten Fraktion innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte, insbesondere der Polizei (Wilson Center 27.4.2018), die wiederum zu einem Instrument der Badr-Organisation erwuchs (SWP 2.7.2021, S.26). Sie nahm an Wahlen teil; ihre Führer wurden in die neue Regierung in Kabinettspositionen aufgenommen. Sie behielt jedoch ihre Miliz bei (Wilson Center 27.4.2018). Sie umfasst rund 20.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2020) und unterhält mindestens zehn Brigaden der staatlich finanzierten PMF, möglicherweise sogar siebzehn. Badr schickte ihre Kämpfer auch nach Syrien, um das Assad-Regime zu unterstützen (WI 2.9.2021). Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt. Viele Badr-Mitglieder waren oder sind Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). So haben einige Mitglieder der PMF auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi, beispielsweise, führte die 5. PMF-Brigade, eine Badr-Brigade, und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (CH 2.2021, S.18f). Oder das Badr-Führungsmitglied Qassim al-Araji war Innenminister (2017-2018) und ist nun der nationale Sicherheitsberater. Die Badr ist eine große und komplexe Organisation, die sowohl einen militärischen als auch einen politischen Flügel und viele Unterfraktionen hat. Im Großen und Ganzen hat sich Badr durch seine Wahlerfolge, seine paramilitärische Macht und seine Patronagenetzwerke tief in den irakischen Staat eingebettet. Badr war die Quelle für viele jüngere und und radikalere Gruppen, einschließlich Kata'ib Hisbollah. Zwar setzt sich die Badr-Organisation für den Abzug der US-Kampftruppen aus der Region ein, doch hat sie sich im Gegensatz zu den anderen pro-iranischen PMF von Angriffen auf die USA und deren Verbündete öffentlich distanziert. Innerhalb der Muqawama nimmt die Badr-Organisation weiterhin eine wichtige Rolle ein und bleibt gleichzeitig ihren Wurzeln als iranischer Stellvertreter treu, mit weiterhin engen institutionellen und personellen Beziehungen zum IRGC (WI 2.9.2021).

Die Kata’ib Hizbollah (Brigaden der Partei Gottes) umfassen etwa 3.000 bis 7.000 Kämpfer (Al Arabiya 31.5.2020), anderen Schätzungen zufolge sogar 20.000 (Soufan 20.3.2020). Die Kata'ib Hisbollah haben enge konfessionelle, ideologische und finanzielle Bindungen zum Iran (Al Arabiya 31.5.2020). Keine andere Miliz steht den IRGC näher (Soufan 20.3.2020). Sie sind für zahlreiche Angriffe auf die von den USA geführte Militärallianz verantwortlich, und riefen u.a. auch zu Terrorattacken gegen Saudi-Arabien auf. Menschenrechtsorganisationen werfen der Miliz schwere Menschenrechtsverletzungen vor, insbesondere gegen Sunniten (Al Arabiya 31.5.2020). Sie arbeiten intensiv mit der Badr-Organisation und der libanesischen Hizbollah zusammen. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) (Liga der Rechtschaffen) mit ihrem Anführer Qais Al-Khaz'ali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (Soufan 20.3.2019). Die AAH ist eine mächtige schiitische Muslim-Miliz, die sich 2007 von Sadrs damaligen Mahdi-Armee abgespalten hat (Clingendael 6.2018; vgl. EPIC 5.2020). Die AAH wurde ursprünglich von den IRGC mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in iranischen Lagern ausgerüstet, finanziert und ausgebildet und war auch in Syrien präsent (Wilson Center 27.4.2018). Die militärische und finanzielle Unterstützung durch die Al-Quds-Einheit der IRGC hält weiterhin an (ITIC 8.1.2020). Sie richtete politische Büros, religiöse Schulen und soziale Dienste ein, vor allem im Süden Iraks und in Bagdad (Wilson Center 27.4.2018). Ihr Anführer, Qais al-Khazali, wurde von den US-Behörden im Irak wegen seiner Rolle bei tödlichen Angriffen auf US-Truppen im Jahr 2007 für fünf Jahre inhaftiert. Er gilt den für die USA als einer der Verantwortlichen für den Anschlag auf die US-Botschaft in Bagdad zu Silvester 2019. Am 3.1.2020 stufte das US-Außenministerium die AAH als terroristische Organisation und Khaz'ali als "Specially Designated Global Terrorist" ein (EPIC 5.2020). Innerhalb der Volksmobilisierung erwarb sich die Organisation den Ruf, politisch-weltanschauliche mit kriminellen Motiven zu verbinden und besonders gewalttätig zu sein. Sie wird für zahlreiche Verbrechen gegen sunnitische Zivilisten verantwortlich gemacht (SWP 2.7.2021, S.25).

Die seit 2020 vermehrt in Erscheinung tretenden pro-iranischen Splittergruppen haben ein zweifelhaftes Maß an Autonomie. Es ist nicht klar, ob es sich bei diesen um unabhängige Gruppen handelt, die von den größeren "Mutter"-Milizen unterstützt werden, oder ob sie lediglich eine Fassade für diese größeren Milizen bilden, um sich den US-Sanktionen durch die Einstufung als terroristische Organisation zu entziehen (AIIA 12.1.2021; vgl. JS 10.3.2021). Sie werden diesbezüglich insbesondere Kata'ib Hizbollah, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Sayyid ash-Shuhada und der Harakat Hizbollah an-Nujaba zugeordnet (JS 10.3.2021). Ihre Anzahl ist vage und wird auf 10 bis 20 Gruppen geschätzt (Al Arabiya 18.11.2020). Die neuen Splittergruppen treten durch primär zwei unterschiedliche Handlungsweisen in Erscheinung: Zum einen bewaffnete Milizen, die in der Lage sind, Anschläge auf US-Einrichtungen im Irak zu verüben, und zum anderen Straßenbanden, die eine Art sozialen Krieg auf den Straßen Bagdads führen. Zu den ersteren gehören Usbat al-Tha'ireen (Liga der Revolutionäre) und Ashab al-Kahf (die Gefährten der Höhle), die sich regelmäßig zu Raketen- oder IED-Angriffen auf US-Ziele bekennen (AIIA 12.1.2021). Usbat al-Tha'ireen übernahm beispielsweise die Verantwortung für den Angriff auf Camp Taji im März 2020, bei dem zwei amerikanische Soldaten und ein britischer Soldat getötet wurden (WI 10.4.2020; vgl. Al Arabiya 18.11.2020), während Ashab al-Kahf zahlreiche Angriffe auf Konvois sowie einen Raketenangriff auf die US-Botschaft im November 2020 für sich reklamierte (JS 10.3.2021). Zur zweiten Gruppe gehören Raba Allah/Rab'Allah (das Volk Gottes), Jund Soleimani (die Soldaten Soleimanis) und Jabhat Abu Jadahah (eng. People of the Lighter's Front), die, getragen von stark religiösen Anwandlungen, als Sittenpolizei agieren und das liberalere Leben Bagdads unterdrücken, indem sie beispielsweise Massagesalons angriffen oder Bombenanschläge auf Geschäfte verübten, die Alkohol verkauften (AIIA 12.1.2021; vgl. WI 9.4.2021). Rab'Allah gilt als wichtigste Gruppe. Im Oktober 2020 verübte sie Brandanschläge auf Büros von Fernsehsendern sowie der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Weiters führte sie Hetzkampagnen gegen Personen aus Politik und Medien durch und drohte ihnen mit Gewalt. Zudem organisierte sie Proteste vor ausländischen Vertretungen (WI 9.4.2021).

Iran-kritische Milizen: Atabat / Schrein-Milizen / Hashd al-Marji‘i

Bei den "Schrein"- oder Atabat-Milizen (andere Bezeichnungen: Hashd al-Atabat/ Saraya al-Atabat/ al-Atabat al-Muqadasa) oder auch Hashd al-Marji‘i handelt es sich um paramilitärische Gruppen, die mit den schiitischen Heiligtümern in Najaf und Kerbala verbunden sind, deshalb auch die Bezeichnung "Schrein-Milizen" (ICSR 1.11.2018, S.24; vgl. WI 28.5.2020, Diyaruna 1.3.2021). Liwa Ansar al-Marjaiya, Liwa Ali al-Akbar, Firqat al-Abbas al-Qitaliyah, letztere bekannter unter der Bezeichnung Abbas Kampfdivision (Abbas Combat Division) und Firqat al-Imam Ali al-Qitaliyah haben keine Verbindungen zum Korps der Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) des Iran, sondern zu Ayatollah Ali as-Sistani, dem irakischen schiitischen Kleriker, den sie als ihr Vorbild betrachten. Insgesamt verfügen die Atabat über rund 18.000 aktive Soldaten und Zehntausende von Reservisten. Die Abbas Kampfdivision (Firqat al-Abbas) ist die militärisch fähigste der vier Gruppen, gestärkt durch die logistische Ausbildung und die Zusammenarbeit mit dem irakischen Verteidigungsministerium. Mehrere Merkmale unterscheiden die Atabat von den pro-iranischen Einheiten der PMF: Erstens arbeiten sie nur mit nationalen irakischen Institutionen zusammen und dürfen nicht mit IRGC-Kommandeuren oder anderen ausländischen Militärs in Verbindung treten. Zweitens halten sie sich aus der Politik heraus, während die iran-freundlichen Gruppen sogar ihre eigenen politischen Parteien gegründet haben. Drittens betrachten die Atabat-Einheiten die Vereinigten Staaten nicht als Feind, trotz anlassbezogener Verurteilungen von US-Aktionen. Viertens wurden die Atabat nicht der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt. Tatsächlich haben sie kein Interesse daran, in den sunnitisch-arabischen Gebieten präsent zu sein, in denen viele solcher Verstöße begangen wurden. Ihr Hauptinteresse gilt den schiitischen heiligen Städten und Najaf und dem Wüstengebiet, die diese Städte mit Anbar verbindet. Die Atabat wurden auch nicht der Erpressung beschuldigt, im Gegensatz zu den vielen PMF-Gruppen, die solche Taktiken anwenden, um sich selbst zu erhalten, und damit den Unmut der sunnitischen Bevölkerung verschärfen (WI 28.5.2020). Die Schrein-Milizen spielten eine wichtige Rolle bei der Verteilung von Hilfsgütern im Rahmen einer Kampagne von Großayatollah as-Sistani mit dem Namen Maraji'yat al-Takaful (Solidarität der Marji'i) zur wirtschaftlichen Unterstützung der Menschen, die unter der von der Regierung verhängten Ausgangssperre während der COVID-Krise litten (EUI 6.2020, S.3).

Saraya as-Salam / Friedenskompanien

Die Saraya as-Salam mobilisierten sich 2014 aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee, die dem irakischen Kleriker Muqtada as-Sadr untersteht. Sie verfolgen eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael 6.2018, S.3). Sadr und seine Anhänger lehnen die pro-Khamenei paramilitärischen Führer und Gruppen entschieden ab. Dennoch bleiben sie Teil der Gesamtstruktur der PMF. Sie sind hinsichtlich einer Integration in die Sicherheitskräfte aufgeschlossen (ICG 30.7.2018, S.3f; vgl. FPRI 19.8.2019). Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann. Ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert (Süß 21.8.2017). Hinsichtlich der im Herbst 2019 aufflammenden Proteste vollzog Muqtada as-Sadr eine zwiespältige Politik. - Schon in der Anfangsphase der Oktober-Demonstrationen 2019 waren Sadristen aktiv an den Demonstrationen beteiligt, und deren Paramilitärs verteidigten andere Demonstranten vor der Gewalt staatlicher und mit dem Iran verbündeter bewaffneter Kräfte. Im Frühjahr 2020 allerdings, nachdem Sadr die Demonstranten wegen ihres Auftreten gegenüber den religiösen Autoritäten tadelte, ihre "Abweichung" vom "richtigen Weg" kritisierte und parallel die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Saraya as-Salam und der pro-iranischen Asa'ib Ahl al-Haqq eingestellt wurden, gingen die Sadr-Miliz bzw. seine Anhänger in Bagdad und weiteren Städten im Südirak gewaltsam gegen Demonstranten vor und besetzten Protestlager (FPRI, 3.2020, S.2, 17; vgl. BAMF 5.2020, S.9f, 22).

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 WI - Washington Institute (9.4.2021): Profile: Raba Allah, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/profile-raba-allah , Zugriff 31.8.2021

 WI - Washington Institute (5.2.2021): How the United States Should View Iraq’s Shrine Militias, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/how-united-states-should-view-iraqs-shrine-militias , Zugriff 24.8.2021

 WI - Washington Institute (28.5.2020): The Future of Iraq's Popular Mobilization Forces, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/future-iraqs-popular-mobilization-forces , Zugriff 25.8.2021

 WI - Washington Institute (10.4.2020): Qaani’s Surprise Visit to Baghdad and the Future of the PMF, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/qaanis-surprise-visit-baghdad-and-future-pmf , Zugriff 31.8.2021

 WI - Washington Institute [Knights, Michael et alia] (23.3.2020): Honored, not Contained - The Future Of Iraq’s Popular Mobilization Forces, https://www.washingtoninstitute.org/media/4125?disposition=attachment , Zugriff 26.8.2021

 Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq , Zugriff 24.8.2021

 WoR - War on the Rocks (11.11.2019): A State with Four Armies: How to Deal with the Case of Iraq, https://warontherocks.com/2019/11/a-state-with-four-armies-how-to-deal-with-the-case-of-iraq/ , Zugriff 19.8.2021

 Zenith (3.1.2020): Der Mann, der an Soleimanis Seite starb, https://magazin.zenith.me/de/politik/us-drohnenangriff-gegen-abu-al-muhandis , Zugirff 24.8.2021

 1000 TI - 1000 Iraqi Thoughts (11.7.2019): Interpreting the Iraqi Prime Minister’s PMF Decree, https://1001iraqithoughts.com/2019/07/11/interpreting-the-iraqi-prime-ministers-pmf-decree/ , Zugriff 24.8.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit (AA 22.1.2021; vgl. GIZ 1.2021a), Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung (AA 22.1.2021). Die Verfassungswirklichkeit weicht jedoch vielfach von diesen Prinzipien ab. Unabhängige Institutionen, die stark genug wären, die Einhaltung der Verfassung zu kontrollieren und zu gewährleisten, existieren nicht (GIZ 1.2021a).

Der Irak hat auch wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft, und die unabhängige Menschenrechtskommission ist in der Vergangenheit wenig in Erscheinung getreten. Im Zuge der Proteste seit Oktober 2019 versucht die Kommission jedoch sich unabhängig ein Bild von der Lage zu machen und die Zahlen von Toten und Verletzten zu sammeln, zu verifizieren und zu veröffentlichen, da sich die Regierung einer Veröffentlichung verweigert (AA 22.1.2021).

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen; Verschwindenlassen; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; erzwungene Rückkehr von Binnenvertriebenen (IDPs); Kriminalisierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 30.3.2021). Auch Menschenhandel ist ein Problem. IDPs sind davon besonders gefährdet. Die Bemühungen der Regierung, die Gesetze gegen den Menschenhandel durchzusetzen, sind unzureichend (FH 3.3.2021).

Im Irak kam es 2020 zu einer Reihe von Morden an zivilgesellschaftlichen, politischen und Menschenrechtsaktivisten sowie zu vermehrten Drohungen gegen Journalisten (FCO 8.7.2021).

Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021). Tausende IDPs, die aus Gebieten geflohen sind, die unter der Kontrolle des Islamischen Staats (IS) standen, wurden von Irakischen Sicherheitskräften (ISF) und Volksmobilisierungskräften (PMF) willkürlich verhaftet und sind nach wie vor verschwunden (AI 7.4.2021).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Enteignungen, außer im öffentlichen Interesse und gegen eine gerechte Entschädigung. In den vergangenen Jahren wurden Häuser und Eigentum von mutmaßlichen IS-Angehörigen sowie Mitgliedern religiöser und konfessioneller Minderheiten durch Regierungstruppen und PMF-Milizen konfisziert und besetzt, ohne Kompensationen für die Besitzer (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung, einschließlich des Büros des Premierministers, untersucht Vorwürfe über Missbräuche und Gräueltaten, die durch die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) begangen wurden, bestraft die Verantwortlichen jedoch selten. Es fehlt an Rechenschaftspflicht für Gewalt gegen Frauen und Gewaltverbrechen, die sich gegen Angehörige ethnischer Minderheiten richten. Der sog. IS begeht weiterhin schwere Gräueltaten, darunter Tötungen durch Selbstmordattentate und improvisierte Sprengsätze (IEDs). Die Behörden untersuchen IS-Handlungen und verfolgen IS-Mitglieder nach dem Anti-Terrorgesetz von 2005 (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 AI - Amnesty International (7.4.2021): Amnesty International Report 2020/21; The State of the World's Human Rights; Iraq 2020, https://www.ecoi.net/en/document/2048571.html , Zugriff 10.4.2021

 FCO - UK Foreign, Commonwealth and Development Office (8.7.2021): Human Rights and Democracy: 2020 Foreign, Commonwealth & Development Office report, https://www.ecoi.net/en/document/2056823.html , Zugriff 14.8.2021

 FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html , Zugriff 15.5.2021

Religionsfreiheit

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (AA 22.1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Gemäß Artikel 2 Absatz 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 22.1.2021; vgl. GIZ 1.2021a). Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 12.5.2021). In Absatz 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert (AA 22.1.2021). Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen oder Atheisten (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 12.5.2021).

Artikel 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 22.1.2021; vgl. ROI 15.10.2005). Artikel 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten (AA 14.10.2020; vgl. ROI 15.10.2005). Die meisten politischen Führer haben sich nach der Niederlage des Islamischen Staats (IS) für religiösen Pluralismus ausgesprochen, und Minderheiten, die in befreiten Gebieten leben, können ihre Religion seitdem weitgehend frei ausüben (FH 3.3.2021).

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Mandäer-Sabäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der Regierung gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 12.5.2021).

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 12.5.2021; vgl. USCIRF 4.2021).

Mit Einführung eines neuen Personalausweises im Jahr 2015 wurde ein Eintrag, der die Religionszugehörigkeit des Passinhabers deklarierte, dauerhaft abgeschafft (AA 22.1.2021; vgl. USDOS 12.5.2021). Es wurde allerdings ein Passus in die Bestimmungen aufgenommen, der religiöse Minderheiten diskriminiert. Artikel 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 22.1.2021). Der Online-Antrag auf einen Personalausweis verlangt nach wie vor die Deklaration der Religionszugehörigkeit, wobei nur Muslim, Christ, Sabäer-Mandäer, Jeside und Jude zur Auswahl stehen. Dabei wird zwischen den verschiedenen Konfessionen des Islams (Shi‘a-Sunni) bzw. den unterschiedlichen Denominationen des Christentums nicht unterschieden. Personen, die anderen Glaubensrichtungen angehören, können nur dann einen Ausweis erhalten, wenn sie sich selbst als Muslim, Jeside, Mandäer-Sabäer, Jude oder Christ deklarieren. Ohne einen amtlichen Personalausweis kann man keine Eheschließung eintragen lassen, seine Kinder nicht in einer öffentlichen Schule anmelden, keinen Reisepass beantragen und auch einige staatliche Dienstleistungen nicht in Anspruch nehmen (USDOS 12.5.2021).

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage dazu bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze. Fünf Sitze sind für die christliche Minderheit sowie jeweils ein Sitz für Jesiden, Mandäer/Sabäer, Schabak und Faili Kurden reserviert. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 22.1.2021).

Einschränkungen der Religionsfreiheit sowie Gewalt gegen und Belästigung von Minderheitengruppen durch staatliche Sicherheitskräfte (ISF) sind nach Angaben von Religionsführern und NGOs außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI) nach wie vor weit verbreitet. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten (USDOS 12.5.2021).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Regierungstruppen, einschließlich der ISF, der Peshmerga und der PMF, die Freizügigkeit innerhalb des Landes aus ethnisch-konfessionellen Gründen selektiv einschränken, um z.B. die Einreise von Personengruppen in von Ihnen kontrollierte Gebiete zu begrenzen. Diskriminierung von Minderheiten durch Regierungstruppen, insbesondere durch manche PMF-Gruppen, und andere Milizen, sowie das Vorgehen verbliebener aktiver IS-Kämpfer, hat ethnisch-konfessionelle Spannungen in den umstrittenen Gebieten weiter verschärft. Es kommt weiterhin zu Vertreibungen wegen vermeintlicher IS- Zugehörigkeit. Kurden und Turkmenen, sowie Christen und andere Minderheiten im Westen Ninewas und in der Ninewa-Ebene berichten über willkürliche und unrechtmäßige Verhaftungen durch Volksmobilisierungskräfte (PMF) (USDOS 30.3.2021).

Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig festzustellen, wieviele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren sind (USDOS 30.3.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in die religiösen Bräuche der Mitglieder von Minderheitengruppen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt. Manche Minderheitenvertreter berichten jedoch über Schikanen und Restriktionen durch lokale Behörden (USDOS 12.5.2021).

Vertreter religiöser Minderheiten berichten weiterhin über Druck auf ihre Gemeinschaften Landrechte abzugeben, wenn sie sich nicht stärker an islamische Gebote halten (USDOS 12.5.2021).

In der KRI erhalten Religionsgemeinschaften ihre Anerkennung durch die Registrierung beim Ministerium für Stiftungen und religiöse Angelegenheiten (MERA) der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Um sich registrieren zu können, muss eine Gemeinschaft mindestens 150 Anhänger haben, Unterlagen über die Quellen ihrer finanziellen Unterstützung vorlegen und nachweisen, dass sie nicht "anti-islamisch" ist. Acht Glaubensrichtungen sind anerkannt und bei der KRG-MERA registriert: Islam, Christentum, Jesidentum, Judentum, Sabäer-Mandäismus, Zoroastrismus, Yarsanismus und der Bahai-Glaube (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html , Zugriff 3.3.2021

 SCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 2.2.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html , Zugriff 15.5.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Minderheiten

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben "Araber" und "Kurde" zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80% Araber, 15-20% Kurden und etwa 5%, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65% der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17-22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20%) (AA 22.1.2021).

Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 22.1.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 3.3.2021). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch PMF-Milizen, in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 30.3.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdischen Region im Irak (KRI), oft benachteiligt (AA 22.1.2021).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Schabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 22.1.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 22.1.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Schabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten "umstrittenen Gebieten" (USDOS 12.5.2021). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und vor allem der schiitischen Milizen (AA 22.1.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI sogenannten "umstrittenen Gebieten" (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 22.1.2021).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können Hunderttausende Iraker, die vom IS vertrieben wurden nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 3.3.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2017-02-bfa-mena-atlas.pdf , Zugriff 15.5.2021

 FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/ , Zugriff 16.3.2021

 Lattimer EASO - Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-report.pdf , Zugriff 25.8.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html , Zugriff 15.5.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 22.1.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 22.1.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von Flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 30.3.2021). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz, wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 12.5.2021). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der PMF, Personen, insbesondere sunnitische Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 30.3.2021). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 12.5.2021).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 22.1.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 30.3.2021).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW 13.1.2021).

Im August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemaliger Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe schiitische Milizen (PMF) sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben würden und versuchen, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seiner Provinz gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakisch-iranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.202

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043505.html , Zugriff 28.1.2021

 USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 2.2.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html , Zugriff 15.5.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Gefahr für Sunniten

Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde. Es konnten keine Informationen zu Übergriffen schiitischer Milizen auf sunnitische Bewohnerinnen auf Basis konfessioneller Hintergründe gefunden werden.

Die Milizen in Bagdad werden von Sunniten häufig beschuldigt, Gewalt gegen sie zu verüben. Sunniten fürchten vor allem, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst, entführt oder um ihr Eigentum gebracht zu werden. Quellen berichteten, dass es in Bagdad schwierig ist, die Verantwortung für Anschläge bestimmten Tätern zuzuordnen, und dass Sprengstoff sowohl für politische als auch für kriminelle Zwecke verwendet wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Die Bestimmung der Akteure kann schwierig sein, obwohl es sich höchstwahrscheinlich in erster Linie um Milizen und Banden handelt; aufgrund der starken Verbindungen zwischen beiden ist eine Unterscheidung nicht immer möglich.

Die verfügbaren Informationen deuten daraufhin, dass die bloße Tatsache, dass eine Person ein sunnitischer Araber ist, normalerweise nicht zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung führen würde. Bei der individuellen Beurteilung, ob eine begründete Wahrscheinlichkeit besteht, dass dem Antragsteller Verfolgung droht, sollten risikorelevante Umstände berücksichtigt werden, wie z. B.: Herkunftsgebiet, Stammeszugehörigkeit usw.

Es konnten keine Informationen zu Unterschieden hinsichtlich der Lebensverhältnisse von Sunniten und Schiiten gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese nicht existieren. Auch wenn Milizen weiterhin ein Machtfaktor im Irak darstellen, sind sie zwischenzeitlich zum Großteil in die staatlichen Strukturen übernommen wurden. Vereinzelte Übergriffe sind nicht ausgeschlossen, es betrifft meist Entführungen mit Lösegeldzahlung, jedoch sind diese illegal.

Laut UNHCR wurden in fast allen Teilen des Landes für Binnenflüchtlinge verschärfte Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen implementiert. Zu den verschärften Maßnahmen gehören die Notwendigkeit des Vorweisens eines Bürgen, die Registrierung bei lokalen Behörden, sowie das Durchlaufen von Sicherheitsüberprüfungen durch mehrere verschiedene Sicherheitsbehörden, da die Regionen fürchten, dass sich IS-Kämpfer unter den Schutzsuchenden befinden.

Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen variieren von Provinz zu Provinz und beinhalten nicht nur Sicherheits-Screenings, sondern hängen Berichten zufolge auch vom persönlichen Profil der flüchtenden Personen und Familien ab, wie z.B. vom ethnisch-konfessionellen Hintergrund, dem Herkunftsort oder der Zusammensetzung der Familie der jeweiligen Person. Eine ID-Karte ist in fast allen Regionen von Nöten, doch besteht nicht in jeder Region die Notwendigkeit eines Bürgen.

Es ist möglich, ohne Bürgschaft in die Autonome Region Kurdistan einzureisen. Eine Einreise ist über den Internationalen Flughafen Erbil als auch auf dem Landweg möglich. Laut Bericht der International Organisation for Immigration (IOM) würden irakische Bürger bei der Ankunft an einem Checkpoint einer Landgrenze zu Kurdistan oder am Flughafen eine einwöchige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Irakische Staatsbürger können sich z.B. in Erbil frei bewegen und von dort aus in alle Provinzen einzureisen. Binnenflüchtlinge müssen sich bei der Einreise registrieren und können dann eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung beantragen. Ob eine Person ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. eine verlängerbare Aufenthaltsgenehmigung in der Autonomen Region Kurdistan bekommt, hängt dabei oft vom ethischen, religiösen und persönlichen Profil ab. Die Notwendigkeit eines Bürgen zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung differiert von Provinz zu Provinz und wird zuweilen auch willkürlich gehandhabt.

Arabische Binnenflüchtlinge können in der Region Sulaimaniyya zunächst eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung erhalten und sodann den Daueraufenthalt beantragen. In Sulaimaniyya ist nach Berichten der UNHCR kein Bürge notwendig, um sich niederzulassen oder eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. Berichten der IOM zufolge leben 90 % aller Binnengeflüchteten in Sulaimaniyya in stabilen sanitären Verhältnissen und haben 83 % Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem. Im Regelfall können binnengeflüchtete Menschen in Sulaimaniyya am Bildungssystem teilhaben. Binnengeflüchtete haben in dort die Möglichkeit in den verschiedensten Feldern zu den gleichen Löhnen wie ortsansässige Personen zu arbeiten.

In Bagdad gibt es mehrere sunnitisch mehrheitlich bewohnte Stadtviertel. Zur Einreise von sunnitischen Arabern in das Stadtgebiet Bagdads müssen sich diese einem Sicherheitscheck unterziehen, vor allem, wenn sie aus vom IS dominierten Gebieten kommen. Darüber hinaus kann es notwendig werden, einen Bürgen vorzuweisen. Auch um Bagdad herum gibt es Flüchtlingslager und Aufnahmestationen.

Quellen:

 Australian Government (26.06.2017): DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, http://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 17.07.2020

 IOM - International Organization for Migration (17.05.2017): Iraq Mission, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf , Zugriff 17.07.2020

 UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, June 2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff 17.07.2020

 IOM - International Organization for Migration (17.05.2017): Iraq Mission, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf , Zugriff 17.07.2020

 UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (12.04.2017): Iraq: Relevant COI for assessments on the availability of an internal flight or relocation alternative (IFA/IRA); Ability of persons ariginating from (previously or currently) ISIS-held or conflict areas to legally access and remain in proposed areas of relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf , Zugriff 17.07.2020

Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 30.3.2021).

In vielen Teilen des Landes, die von der IS-Kontrolle befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 30.3.2021). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der sog. Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des sog. IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vgl. K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdischen Region im Irak (KRI), die die drei Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und Asayish-Kräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 3.3.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf , Zugriff 16.3.2021

 FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2046520.html , Zugriff 3.3.2021

 FIS - Finnish Migrations Service [Finnland] (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf , Zugriff 13.3.2020

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 K24 - Kurdistan 24 (31.1.2020): ISIS kidnaps 7 civilians at fake checkpoint in Kurdistan’s Garmiyan region, https://www.kurdistan24.net/en/story/21800-ISIS-kidnaps-7-civilians-at-fake-checkpoint-in-Kurdistan%E2%80%99s-Garmiyan-region , Zugriff 16.3.2021

 K24 - Kurdistan 24 (2.2.2020): ISIS abducts two brothers at fake checkpoint in Garmiyan, https://www.kurdistan24.net/en/story/21816-ISIS-abducts-two-brothers-at-fake-checkpoint-in-Garmiyan , Zugriff 16.3.2021

 NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html , Zugriff 13.3.2020

 Rudaw (1.2.2020): ISIS kidnaps 9 civilians in two nights in disputed areas of Diyala, Saladin provinces, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/010220201 , Zugriff 16.3.2021

 UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf , Zugriff 1.3.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

 Zeidel, Ronan/ al-Hashimis, Hisham in: Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/26681907 , Zugriff 3.3.2021

Einreise und Einwanderung in den Irak unter der Zentralregierung

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS 30.3.2021). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen Nationalpass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 22.1.2021).

Es gibt keine Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Babil, Bagdad, Basra, Dhi-Qar, Diyala, Kerbala, Kirkuk, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadissiyah und Wassit. Bürgschaftsanforderungen für die Einreise in die Gouvernements Maysan und Muthanna wurden 2020 aufgehoben (UNHCR 11.1.2021). Lokale PMF-Gruppen verhinderten in gewissen Gebieten die Rückkehr von Binnenvertriebenen, beispielsweise nach Salah ad-Din oder von Christen in mehrere Städte in der Ninewa-Ebene, darunter Bartalla und Qaraqosh (USDOS 30.3.2021).

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom sog. IS kontrollierten Gebieten, insbesondere für sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren, unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Ausnahmen stellen der nördliche Bezirks Muqdadiyah, der Unterbezirk Saadiyah im Bezirk Khanaqin, sowie der Norden des Unterbezriks Al-Udhim im Bezirk Khalis dar, in denen Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS) und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

 UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf , Zugriff 1.3.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Einige Städte und Siedlungen sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 22.1.2021). Wiederaufbauprogramme liefen vor der Corona-Krise vorsichtig an (GIZ 1.2021b).

Versorgungsengpässe bei Strom und Wasser sowie die mangelnde Arbeitsbeschaffung sind die Gründe für die andauernden Proteste in Iraks großen Städten (GIZ 1.2021b). Die Versorgungslage für die irakische Wohnbevölkerung stellt sich, je nach Region, sehr unterschiedlich dar. Die Knappheit an Strom und sauberem Trinkwasser hat 2018 zu mehreren, zum Teil gewalttätigen Protesten im Süden geführt (GIZ 1.2021d).

Nach Angaben der Weltbank (2018) leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung ist prekär, ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen. Die über Jahrzehnte durch internationale Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 22.1.2021).

Wirtschaftslage

Die größtenteils staatlich geführte Wirtschaft Iraks wird vom Ölsektor dominiert (Fanak 5.6.2020). Dieser erwirtschaftet seit Jahren rund 90 bis 95% der Staatseinnahmen (AA 22.1.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Abseits des Ölsektors besitzt der Irak kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 22.1.2021).

Die seit 2020 sinkenden Ölpreise und die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben sich negativ auf die Wirtschaftsentwicklung niedergeschlagen, die wirtschaftlichen Probleme des Iraks verstärkt und zwei Jahre der stetigen Erholung zunichte gemacht (WB 5.4.2021; vgl. GIZ 1.2021b). Der Ölpreis fiel im April 2020 auf einen Tiefststand von 13,8 US-Dollar (Wing 2.6.2021). Im Zuge dessen haben sich auch die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Schwachstellen vertieft und den öffentlichen Unmut, der bereits vor COVID-19 bestand, noch verstärkt. Die Fähigkeit der irakischen Regierung ein Konjunkturpaket für eine Wirtschaft zu schnüren, die in hohem Maße von Ölexporten abhängig ist, um Wachstum und Einnahmen zu erzielen, wird durch den fehlenden fiskalischen Spielraum eingeschränkt. Infolgedessen hat das Land die größte Schrumpfung seiner Wirtschaft seit 2003 erlebt (WB 5.4.2021). Die Prognosen der ökonomischen Entwicklung im Irak sind schlechter denn je (GIZ 1.2021b). Die wirtschaftlichen Aussichten des Irak hängen von der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie, den globalen Aussichten am Ölmarkt und von der Umsetzung von Reformen ab (WB 5.4.2021). Seit Februar 2021 liegt der Ölpreis wieder über 60 US-Dollar/Barrel (Wing 2.6.2021). Es wird daher erwartet, dass sich die irakische Wirtschaft allmählich erholen wird (WB 5.4.2021).

Ein wichtiger Faktor für die Landwirtschaft, vor allem im Süden des Irak, sind die Umweltzerstörung und der Klimawandel. Abnehmende Niederschläge, höhere Temperaturen und flussaufwärts gelegene Staudämme in der Türkei und im Iran haben den Wasserfluss im Euphrat und Tigris Becken verringert, in dem die Gouvernements Basra, Dhi Qar und Missan liegen. Die Verringerung des Wasserflusses hat Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, der für den Anbau von Pflanzen entscheidend ist (Altai 14.6.2021).

Die Arbeitslosenquote im Irak stieg von 12,76% im Jahr 2019 auf 13,74% im Jahr 2020 (TE 2021). Laut Schätzung der Vereinten Nationen beträgt die Arbeitslosenquote 11%, bei Jugendlichen unter 24 Jahren ist sie doppelt so hoch und liegt bei 22,8%. Unter den IDPs sind fast 24% arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 18% im Landesdurchschnitt) (GIZ 1.2021b). Verschiedene Quellen geben, mit Verweis auf Regierungsquellen, Arbeitslosenquoten im Land zwischen 13,8% und 40% an (ACCORD 28.9.2021). Darüber hinaus ist fast ein Viertel der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter nicht ausgelastet, also entweder arbeitslos oder unterbeschäftigt. Bei Frauen, die am Arbeitsmarkt teilnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie arbeitslos, unter- oder teilzeitbeschäftigt sind (ILO 2021). Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit bei IDPs, die in Lagern leben, wo 29% der Haushalte angaben, dass mindestens ein Mitglied arbeitslos ist und aktiv nach Arbeit sucht. Bei IDPs, die außerhalb von Lagern leben, sind es 22% und 18% bei Rückkehrern (OCHA 2.2021).

Die Arbeitsmarktbeteiligung im Irak war mit 48,7% im Jahr 2019 bereits vor der Ausbreitung des COVID-19-Virus eine der niedrigsten der Welt (IOM 18.6.2021; vgl. ILO 2021). Der wirtschaftliche Abschwung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat die Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich reduziert und die Löhne gesenkt (IOM 18.6.2021). Die Weltbank schätzt den Anteil der Arbeitssuchenden unter 24-Jährigen auf ca. 32%. Die Arbeitsmarktbeteiligung der Frauen liegt wesentlich unter dem Durchschnitt der MENA-Region (GIZ 1.2021b). Je nach Quelle liegt sie bei rund 12% (DFAT 17.8.2020), bzw. wird sie auf rund 20% geschätzt (ILO 2021). Die Frauenarbeitslosigkeit liegt bei etwa 29,7% (DFAT 17.8.2020).

Einer Befragung vom Februar 2021 zufolge liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte im Irak bei 384 USD (~561.180 IQD), das für ungelernte Arbeiter bei 215 USD (~314.200 IQD). Es zeigt sich dabei ein deutlicher Unterschied im Lohnniveau zwischen den vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberten Gebieten und jenen, die nicht durch den IS besetzt waren. Für Fachkräfte liegt das Durchschnittsgehalt in den zurückeroberten Gebieten bei 289 USD (~422.350 IQD) und in Gebieten, die nicht vom Konflikt betroffen waren, bei 460 USD (~672.250 IQD). Für ungelernten Arbeitskräften betragen die Durchschnittslöhne in den zurückeroberten Gebieten 158 USD (~230.900 IQD) und in Gebieten die nicht vom Konflikt betroffen waren 263 USD (~384.350 IQD).

Die Armutsrate ist infolge der Wirtschaftskrise bis Juli 2020 auf ca. 30% angestiegen (AA 22.1.2021; vgl. ILO 2021), Laut Weltbank lag sie Anfang 2021 bei 22,5% (WB 5.4.2021). Dabei ist die Armutsrate in ländlichen Gebieten deutlich höher als in städtischen (ILO 2021). Aufgrund der COVID-19-Pandemie hatte die irakische Regierung Schwierigkeiten, die Gehälter der sechs Millionen Staatsbediensteten zu zahlen, und Millionen von Menschen, die im privaten und informellen Sektor arbeiten, haben ihre Beschäftigung und ihre Lebensgrundlage verloren. Nach Schätzungen von UNICEF und der Weltbankgruppe fielen im Jahr 2020 schätzungsweise 4,5 Millionen Iraker unter die Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (IOM 18.6.2021). Einhergehend mit dem neuerlichen Ansteigen der Ölpreise wird auch eine Reduktion der Armutsrate um 7 bis 14% erwartet (WB 5.4.2021).

Die Löhne liegen zwischen 200 und 2.500 USD (163,8 und 2.047,45 EUR), je nach Qualifikation und Ausbildung. Für ungelernte Arbeitskräfte liegt das Lohnniveau etwa zwischen 200 und 400 USD (163,8 und327,59 EUR) pro Monat (IOM 18.6.2021).

Nahrungsmittelversorgung

Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten (schätzungsweise 50% des Nahrungsmittelbedarfs) abhängig (FAO 30.6.2020). Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Aufgrund von Panikkäufen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie kam es in den letzten beiden Märzwochen 2020 zu einem vorübergehenden Preisanstieg für Lebensmittel. Strenge Preiskontrollmaßnahmen der Regierung führten ab April 2020 zuerst zu einer Stabilisierung der Preise und ab Mai 2020 wieder zu einer Normalisierung (FAO 30.6.2020). Die lokalen Märkte haben sich in allen Gouvernements als widerstandsfähig angesichts der Pandemie bewährt (OCHA 2.2021).

Vor der Covid-19-Krise war eines von fünf Kindern unter fünf Jahren unterernährt. 3,3 Millionen Kinder sind laut UNICEF immer noch auf humanitäre Unterstützung angewiesen (AA 21.1.2021). Etwa 4,1 Millionen Iraker benötigen humanitäre Hilfe (FAO 11.6.2021).

Alle Iraker, die als Familie registriert sind und über ein monatliches Einkommen von höchstens 1.000.000 IQD (558,14 EUR) verfügen, haben Anspruch auf Zugang zum Public Distribution System (PDS) (IOM 18.6.2021). Das PDS ist ein universelles Lebensmittelsubventionsprogramm der irakischen Regierung, das als Sozialschutzprogramm kostenlose Lebensmittel subventioniert oder verteilt (WB 2.2020). Formal erfordert die Registrierung für das PDS die irakische Staatsbürgerschaft sowie die Anerkennung als "Familie", die durch einen rechtsgültigen Ehevertrag oder eine Verwandtschaft ersten Grades (Eltern, Kinder) erreicht wird. Alleinstehende Rückkehrer können sich bei ihren Verwandten ersten Grades registrieren lassen, z.B. bei ihrer Mutter oder ihrem Vater. Sollten alleinstehende Rückkehrer keine Familienangehörigen haben, bei denen sie sich anmelden können, erhalten sie keine PDS-Unterstützung (IOM 18.6.2021). Die angeschlagene finanzielle Lage des Irak wirkt sich auch auf das PDS aus (WB 5.4.2021), insbesondere der niedrige Ölpreis schränkt die Mittel ein (USDOS 30.3.2021). Der Anteil der Haushalte, der im Rahmen des PDS Überweisungen erhalten hat, ist um etwa 8% gesunken. Der Verlust von Haushaltseinkommen und Sozialhilfe hat die Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit erhöht (WB 5.4.2021).

Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Die Behörden verteilen nicht jeden Monat alle Waren, und nicht in jedem Gouvernement haben alle Binnenvertriebenen (IDPs) Zugang zum PDS. Es wird berichtet, dass IDPs den Zugang zum PDS verloren haben, aufgrund der Voraussetzung, dass Bürger nur an ihrem registrierten Wohnort PDS-Rationen und andere Dienstleistungen beantragen können (USDOS 30.3.2021).

Aufgrund der Dürre kam es 2021 zu Ernteausfällen im Gouvernement Ninewa, sodass das Landwirtschaftsministerium (MoA) im April 2021 den Transport von Weizen und Gerste zwischen der KRI und dem Rest des Landes einschränkte, mit Ausnahme des Transfers in die Lagerhäuser des MoA, um Spekulanten und Schmuggler einzudämmen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

Die Hauptwasserquellen des Irak sind der Euphrat und der Tigris, die 98% des Oberflächenwassers des Landes liefern (AGSIW 27.8.2021). Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes (GRI 24.11.2019). Beide Flüsse entspringen in der Türkei, während der Euphrat durch Syrien fließt und einige Nebenflüsse durch den Iran fließen (AGSIW 27.8.2021). Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark, um etwa 80% reduziert (GRI 24.11.2019; vgl. AGSIW 27.8.2021). Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt, die rund 13 der 38 Millionen Einwohner des Landes ernährt (GRI 24.11.2019). 2019 berichtete die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM), dass 21.314 Iraker in den südlichen und zentralen Gouvernements des Irak aufgrund von Trinkwassermangel vertrieben wurden. Spannungen zwischen den Stämmen um Wasser nehmen zu. Der Wassermangel in den südlichen Gouvernements wie Missan und Dhi Qar und die immer wiederkehrenden Dürreperioden sind bereits die Hauptursache für lokale Konflikte (AGSIW 27.8.2021). Da die Niederschlagsperiode 2020/2021 die zweit niedrigste seit 40 Jahren war, kam es zu einer Verringerung der Wassermenge im Tigris und Euphrat um 29% bzw. 73% (UNICEF 29.8.2021).

Trinkwasser ist in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021). Fast drei von fünf Kindern im Irak haben jedoch keinen Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung, und weniger als die Hälfte aller Schulen im Land haben Zugang zu einer grundlegenden Wasserversorgung (UNICEF 29.8.2021).

Die Wasserversorgung im Irak wird durch marode und teilweise im Krieg zerstörte Leitungen in Mitleidenschaft gezogen. Dies führt zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. (Industrie)abfälle führen zusätzlich zu Verschmutzung (AA 22.1.2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 22.1.2021). Die meisten irakischen Städte haben keine 24-Stunden-Stromversorgung (DW 8.7.2021). Die Stromversorgung deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Die verfügbare Kapazität variiert je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 2020). Besonders in den Sommermonaten wird die Versorgungslage strapaziert (DW 8.7.2021). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 22.1.2021).

Das irakische Stromnetz verliert bei der Stromübertragung zwischen 40 und 50%. Dieser Verlust hat sowohl technische Gründe, z.B. beschädigte, unzureichend funktionierende oder veraltete Stromübertragungsanlagen, als auch nichttechnische Gründe wie Diebstahl oder Manipulation. So wird zum Beispiel dem Islamischen Staat (IS) vorgeworfen Strommasten sabotiert zu haben (DW 8.7.2021). Der IS hat im Jahr 2021 vermehrt das irakische Stromnetz angegriffen, indem er wiederholt Strommasten gesprengt hat (Wing 6.9.2021; vgl. Anadolu 2.7.2021). Allein im August 2021 wurden Masten in Bagdad, Babil, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din sabotiert (Wing 6.9.2021). Sabotageakte werden in jüngster Zeit zunehmend an Umspannwerken in Städten verübt und zielen auch auf die Trinkwasserversorgung, die Wasseraufbereitung und auf den Krankenhausbetrieb ab (VOA 14.8.2021). Am 2.7.2021 kam es zu einem stundenlangen, landesweiten Stromausfall (Anadolu 2.7.2021; vgl. BBC 2.7.2021). Nur die Kurdische Region im Irak war davon nicht betroffen (BBC 2.7.2021). Häufige Stromausfälle führen zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt. Ende Juni 2021 ist der irakische Elektrizitätsminister, Majed Mahdi Hantoush, zurückgetreten (DW 8.7.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (28.9.2021): Anfragebeantwortung zum Irak: Kirkuk: Arbeitsmarktlage [a-11674-2], https://www.ecoi.net/en/document/2061064.html , Zugriff 1.10.2021

 AGSIW - The Arab Gulf States Institute bin Washington (27.8.2021): Iraq’s Water Crisis: An Existential But Unheeded Threat, https://agsiw.org/iraqs-water-crisis-an-existential-but-unheeded-threat/ , Zugriff 1.9.2021

 Altai Consulting (14.6.2021): Economic relief, recovery, and resilience - Assessment for Southern Iraq, https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_802486.pdf , Zugriff 25.8.2021

 Anadolu Agency (2.7.2021): العراق.. إعادة تشغيل كامل منظومة الكهرباء بعد توقفها لساعات [Irak.. Neustart des gesamten Stromsystems nach stundenlangem Stillstand], https://www.aa.com.tr/ar/%D8%A7%D9%84%D8%AF%D9%88%D9%84-%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A8%D9%8A%D8%A9/%D8%A7%D9%84%D8%B9%D8%B1%D8%A7%D9%82-%D8%A5%D8%B9%D8%A7%D8%AF%D8%A9-%D8%AA%D8%B4%D8%BA%D9%8A%D9%84-%D9%83%D8%A7%D9%85%D9%84-%D9%85%D9%86%D8%B8%D9%88%D9%85%D8%A9-%D8%A7%D9%84%D9%83%D9%87%D8%B1%D8%A8%D8%A7%D8%A1-%D8%A8%D8%B9%D8%AF-%D8%AA%D9%88%D9%82%D9%81%D9%87%D8%A7-%D9%84%D8%B3%D8%A7%D8%B9%D8%A7%D8%AA/2292230 , Zugriff 30.8.2021

 BBC News (2.7.2021): انقطاع الكهرباء في العراق: #ماكو_كهرباء يتصدر وسوم العراق تعبيرا عن معاناة الشعب مع الحر [Stromausfälle im Irak: Mako_ Electricity führt die Schlagzeilen des Irak an und drückt das Leid der Menschen mit der Hitze aus], https://www.bbc.com/arabic/trending-57698908 , Zugriff 30.8.2021

 DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-information-report-iraq.pdf , Zugriff 25.8.2021

 DW - Deutsche Welle (8.7.2021): How to solve Iraq's hellishly hot power crisis, https://www.dw.com/en/why-are-iraqs-electricity-issues-so-hard-to-solve/a-58189500 , Zugriff 15.8.2021

 Fanack (2020): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/ , Zugriff 15.8.2021

 FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (11.6.2021): GIEWS Country Brief, The Republic of Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IRQ_13.pdf , Zugriff 15.8.2021

 FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (30.06.2020): Food Security in Iraq - Impact of Coiv-19, April - June 2020 https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Food%20Security%20in%20Iraq%20-%20Impact%20of%20Covid-19%20-%20April-June%202020.pdf , Zugriff 25.8.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021b): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 GRI - Global Risk Insights (24.11.2019): Water Shortage and Unrest in Iraq, https://globalriskinsights.com/2019/11/water-shortage-and-unrest-in-iraq/ , Zugriff 15.8.2021

 ILO - International Labour Organization (2021): Promoting decent work in Iraq, https://www.ilo.org/beirut/countries/iraq/WCMS_433682/lang--en/index.htm , Zugriff 1.9.2021

 IOM - International Organization for Migration (9.2021a): Labour Market Assessment, Al-Musayyab Babylon Governorate, https://iraq.iom.int/files/Mahmoudiya%20-%20Baghdad%20Governorate.pdf , Zugriff 1.10.2021

 IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021

 OCHA - Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (2.2021): Humanitarian Needs Overview Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Iraq%20Humanitarian%20Needs%20Overview%20%28February%202021%29.pdf , Zugriff 29.9.2021

 TE - Trading Economics (2021): Iraq Unemployment Rate, 1991-2020 Data | 2021-2023 Forecast | Historical | Chart, https://tradingeconomics.com/iraq/unemployment-rate , Zugriff 1.9.2021

 UNICEF - UN Children's Fund (29.8.2021): Running Dry: water scarcity threatens lives and development in Iraq, https://www.unicef.org/iraq/press-releases/running-dry-water-scarcity-threatens-lives-and-development-iraq , Zugriff 1.9.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

 VOA - Voice of America (14.8.2021): Iraqi PM Vows to Target Terrorists Attacking Electricity Grid, https://www.voanews.com/a/middle-east_iraqi-pm-vows-target-terrorists-attacking-electricity-grid/6209584.html , Zugriff 29.9.2021

 WB - World Bank, The (5.4.2021): Republic of Iraq, https://pubdocs.worldbank.org/en/527001554825517687/mpo-irq.pdf , Zugriff 10.4.2021

 WB - World Band (2.2020): Iraq’s Universal Public Distribution System, Utilization and Impacts During Displacement, https://documents1.worldbank.org/curated/en/239031582135436157/pdf/Iraqs-Universal-Public-Distribution-System-Utilization-and-Impacts-During-Displacement.pdf , Zugriff 14.10.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html , Zugriff 7.9.2021

 Wing, Joel, Musings on Iraq (2.6.2021): Iraq’s Oil Revenues Continue To Climb In May 2021, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/iraqs-oil-revenues-continue-to-climb-in.html , Zugriff 6.6.2021

Grundversorgung und Wirtschaft in Bagdad

Bagdad ist das Zentrum des irakischen Wirtschafts-, Handels-, Banken- und Finanzsektors. Bagdad ist ebenso ein wichtiges Zentrum für die Erdölindustrie (NCCI 12.2015; vgl. EASO 9.2020). Bis auf die Schwerindustrie ist ein großer Teil der irakischen Produktion in Bagdad angesiedelt. Die Regierung ist dabei der wichtigste Arbeitgeber in der Stadt (EASO 9.2020). Einige Sektoren waren besonders betroffen von Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, darunter das Transportwesen, das Baugewerbe, die Lebensmittelindustrie, das Bildungswesen, der Tourismus, die Geflügel- und Fischzucht, sowie der Einzelhandel, insbesondere für Bekleidung. Die meisten Frauen sind in den Bereichen Nähen, Friseurhandwerk, Unterricht und Einzelhandel tätig, die alle von Auswirkungen der COVID-19- Pandemie negativ beeinflusst wurden (IOM 9.2021a).

Laut einer Befragung im Distrikt Mahmoudiya vom Februar 2021 liegen die derzeitigen Durchschnittsgehälter für Fachkräfte bei 264 USD (~385.813 IQD) und reichen von von 170 bis 540 USD (~248.440 bis 789.160 IQD). Etwa die Hälfte der befragten Arbeitgeber gab jedoch an, keine Fachkräfte zu beschäftigen, obwohl dies in der Vergangenheit der Fall war, und zahlten ihnen ein Durchschnittsgehalt von 291 USD (~425.270 IQD) (IOM 9.2021a).

Im Jahr 2016 lag die Arbeitslosenquote in Bagdad zwischen 6% und 10%. Für 2017 betrug sie 9,3%. Unter jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren wird die Arbeitslosigkeit im Jahr 2016 in Bagdad mit 18,6 % und für 2017 mit 5-7% beziffert (EASO 9.2020). Im Jahr 2018 war über 1% der Bevölkerung des Gouvernements Bagdad von akuter Armut betroffen und 4% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020; vgl. EASO 9.2020).

Etwa 6,39% der Bevölkerung Bagdads (rund 456.500 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 0,46% (rund 32.600 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Bagdad im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten [Anm.: Verfügbarkeit ist hier nicht gleichzusetzen mit Leistbarkeit] (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Im Jahr 2017 lag der Anteil der Bevölkerung mit Trinkwasserversorgung in Bagdad bei 86,9% (CSO 2018a). 2019 war für etwa 70% der Einwohner Bagdads ständige Verfügbarkeit von Trinkwasser gegeben, während 30% nur unregelmäßigen Zugang zu Trinkwasser hatten (WFP 2019). Mitte Juli 2021 wurde die Wasserversorgung in Karkh, im Westen Bagdads durch einen Sabotageakt an Strommasten in Tarmiya, die die Pumpstation versorgen, unterbrochen (Siwssinfo 17.7.2021). Auch Mitte August 2021 wurde durch einen Anschlag auf einen Strommasten in Tarmiya, der die dortige Pumpstation mit Energie versorgte, die Trinkwasserversorgung für mehrere Millionen Bewohner im Westen der Stadt Bagdad unterbrochen (AN 14.8.2021).

Die öffentliche Stromversorgung ist in Bagdad vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen (AA 22.1.2021). Stromausfälle führen häufig zu Protesten. Mitte 2021 haben wütende Iraker Kraftwerke in Bagdad und Diyala gestürmt (DW 8.7.2021). Seit Beginn des Sommers 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz, das ohnehin bereits mit schweren Stromengpässen zu kämpfen hat. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021).

Ernährungssicherheit in Bagdad

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme, WFP) erstellte im April 2019 eine Karte der sozioökonomischen Situation der Bevölkerung Bagdads, die sich auf Erhebungen von 2016 und 2018 stützt. Laut WFP hätten 99 Prozent der Haushalte in Bagdad einen „akzeptablen Lebensmittelkonsum“. 53 Prozent der Haushalte seien „ernährungssicher“, 46 Prozent nur marginal ernährungssicher und 1 Prozent sei ernährungsunsicher. (WFP, 2019, S. 101)

WFP zusammen mit der Weltbank, IFAD (International Fund for Agricultural Development) und FAO (UN Food and Agricultural Organization) erstellte einen detaillierten Bericht zu Ernährungssicherheit im Irak im Zeitraum Juni bis August 2020 unter Berücksichtigung der Auswirkungen von COVID-19. Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln sei aufgrund stetiger internationaler Lebensmittelhandelsströme und einer günstigen Inlandsproduktion stabil geblieben. Die Funktionalität des Lebensmittelmarktes und der Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln hätten sich im Vergleich zum April kurz nach Beginn des Ausbruchs verbessert. Die Preisstabilität gebe laut den UNO-Organisationen und der Weltbank jedoch Anlass zur Sorge. Die Grundnahrungsmittelpreise hätten sich nicht wesentlich verändert. Die Preise für Gemüse - insbesondere für Tomaten - würden jedoch stark schwanken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 2)

Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln sowie anderer Artikel sei im ganzen Land gut. (FAO, World Bank, WFP, IFAD, 23. September 2020, S. 18)

Ökonomische Konsequenzen von COVID-19 sowie Bewegungseinschränkungen und Infektionsängste hätten jedoch den Zugang zu Lebensmitteln im Irak erschwert. Während 2016 rund 1,5% der Menschen mit unzureichendem Lebensmittelkonsum registriert worden seien, habe laut dem Hunger Monitoring System des WFP der Wert von April bis August 2020 zwischen 5 und 9,3 Prozent fluktuiert. Rund 13,7 Prozent der Befragten, was rund 5,3 Millionen Menschen entspreche, habe angegeben, am 9. August negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs angewendet zu haben. Zusätzliche Gesundheits- und Hygienekosten würden dazu führen, dass Personen nicht genügend Lebensmittel für ihre Familie kaufen könnten. Der Tageslohn eines Hilfsarbeiters habe vor COVID-19 31 kg Weizenmehl kaufen können; das sei jedoch auf 27 kg gesunken. (FAO/World Bank/WFP/IFAD, 23. September 2020, S. 22)

WFP, World Bank, IFAD und FAO gaben in ihrem zweiwöchentlichen Update zur Ernährungssicherheit im Irak Mitte November 2020 an, dass laut des Mobile Vulnerability Analysis and Monitoring Systems von WFP rund 3 Millionen Menschen im ganzen Land mit unzureichendem Lebensmittelkonsum leben würden. Laut des irakischen Planungsministeriums sei die Armutsquote im Irak durch COVID-19 von 20 auf 30 Prozent gestiegen. In Bagdad hätten 10 Prozent der Bevölkerung unzureichenden Lebensmittelkonsum. 9,8 Prozent der landesweit Befragten würden negative Bewältigungsstrategien zur Deckung ihres Lebensmittelbedarfs anwenden. 12 Prozent hätten Probleme mit dem Zugang zu Märkten. (FAO, WFP, World Bank, IFAD, 16. November 2020, S. 8)

Wasserversorgung in Bagdad

Laut dem WFP hätten basierend auf Erhebungen von 2016 70 Prozent der Bevölkerung Bagdads kontinuierliche Verfügbarkeit von Trinkwasser und 91 Prozent würden ihr Wasser vom allgemeinen Wasserversorgungsnetz erhalten, die restlichen 9 Prozent von in Flaschen abgefülltem Wasser. (WFP, 2019, S. 101)

Im Vergleich dazu veröffentlichen die staatlichen Einrichtungen Iraks folgende Zahlen:

Die zentrale Statistikorganisation (Central Statistical Organization Iraq, CSO) gibt auf ihrer Webseite zu einer Erhebung der Situation von Bagdad 2018 an, dass 86,9 Prozent der Einwohner Bagdads 2017 mit Trinkwassernetzen versorgt seien, und 75,9 Prozent der Einwohner mit einem Abwassersystem. (CSO, ohne Datum a)

Das irakische Planungsministerium (Ministry of Planning, MOP) veröffentlicht im Juni 2018 einen National Development Plan, laut dem der Prozentsatz der Bevölkerung, der mit reinem Trinkwasser versorgt werde, in Bagdad bei 100 Prozent liege. (MOP, Juni 2018, S. 160)

Das Abwassersystem in Bagdad sei alt und habe seine Lebensdauer überschritten. Es leide unter vielen Problemen, insbesondere in Regenperioden. Es sei nicht in der Lage, die täglichen Wassermengen zu absorbieren, insbesondere angesichts beispielloser Regenfälle im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die die Entwurfs- und Notfallberechnungen überschreiten würden. Ende 2016 sei 90% der Bevölkerung mit Kanalisation ausgestattet gewesen. Die restlichen 10% würden viele Nichtwohn- und Landwirtschaftsgebiete umfassen. (MOP, Juni 2018, S. 163)

Die Weltbank berichtet im Jänner 2018, dass die EinwohnerInnen von Bagdad vor allem in den heißen Sommermonaten mit täglichen Unterbrechungen der Wasserversorgung zu kämpfen hätten. Bagdad sei von Ausbrüchen von durch Wasser übertragenen Krankheiten betroffen. Das Trinkwassernetzwerk sei durch Abwasser kontaminiert. Kontaminierte Wasserversorgung und unsachgemäße Entsorgung von Abwasser würden Familien dazu zwingen, einen erheblichen Teil ihres Einkommens für die medizinische Behandlung und Wasser in Flaschen auszugeben. (World Bank, 31. Jänner 2018)

Das Enabling Peace in Iraq Center (EPIC) schreibt in einem Artikel über die Wasserkrise im Irak vom Juli 2017, dass das Trinkwasser oft von schlechter Qualität sei. Dies führe zur Verbreitung von durch Wasser übertragbaren Krankheiten wie Typhus, Ruhr, Hepatitis B und Cholera. Bagdad sei auch von dieser Wasserverschmutzung betroffen. In Bagdads Sadr City sei es zum Beispiel nur möglich, sauberes Wasser in Flaschen abgefüllt zu erhalten. Dies sei aber für viele der ärmeren EinwohnerInnen zu teuer. (EPIC, 18. Juli 2017)

Stromversorgung in Bagdad

Al-Jazeera zitiert in einem Artikel von 2018 EinwohnerInnen Bagdads, die regelmäßige Stromausfälle in der Hauptstadt beschreiben. Laut einer 42-jährigen Mutter von vier Kindern aus Shawaka gebe es in ihrem Stadtteil im Sommer nur zwei bis vier Stunden Strom pro Tag.

Die Häufung der Stromausfälle sei von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich. Einige Haushalte würden nur vier Stunden Strom pro Tag erhalten, andere bis zu 20.

Einwohner, die es sich leisten könnten, würden daher auf Generatoren zurückgreifen. Ein Generator versorge 70 Haushalte. Der Generator schalte sich automatisch ein, sobald der Strom ausfalle. Laut dem Inhaber eines solchen Generators liefere der Generator zwischen 500 und 600 Ampere Strom pro Monat, wobei jedes Ampere für 25,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 14,15 Euro, Anm. ACCORD) verkauft werde. Laut Al-Jazeera würde ein Haushalt durchschnittlich 125,000 Irakische Dinar (umgerechnet etwa 70,73 Euro, Anm. ACCORD) pro Monat ausgeben, um die Stromausfälle auszugleichen. Dies sei nicht für alle erschwinglich. (Al-Jazeera, 31. Juli 2018)

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund, UNICEF) und die Weltbank veröffentlichen im Juli 2020 eine Analyse der Auswirkungen von COVID-19 auf Armut im Irak. Die Armut sei 2020 um 11,7 Prozent auf 31,7 Prozent gestiegen, im Vergleich zu 20,0 Prozent aus den Jahren 2017-2018. Kinder unter 18 Jahren seien mit einer höheren Armutsrate von 37,9 Prozent konfrontiert. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 22)

Laut UNICEF und der Weltbank würden 42 Prozent der Bevölkerung in Hinblick auf mehr als einen der Aspekte des Vulnerabilitätsindex (Bildung, Gesundheit, Lebensbedingungen und finanzielle Sicherheit) Mängel aufweisen. Familien mit mehr als sieben Mitgliedern, insbesondere Familien mit mehr als einem Kind, würden mit mehr als 46 Prozent eine hohe Anfälligkeitsrate für Vulnerabilität aufweisen. (UNICEF/World Bank, Juli 2020, S. 23)

Quelle:

 ACCORD - Anfragebeantwortung zum Irak: Versorgungslage Bagdad (Lebensmittel, Wasser, Strom), Wohnungsmarkt, Schulbesuch [a-11469-2] (20.1.2021): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045330.html , Zugriff 11.5.2021

Arbeitsmarkt und Armutsgefährdung

Eine im April 2020 durchgeführte Marktstudie des Norwegian Refugee Council (NRC) gab an, dass 60 Prozent der Befragten in den Provinzen Ninewa und Dohuk angegeben hätten, dass sie beschäftigt sein, doch nur 14 Prozent der Befragten hätten eine feste Anstellung. Die Mehrheit (83%) der Beschäftigten verdiene zwischen 83 und 333 US Dollar pro Monat (70,44 – 282,63 Euro), weniger als das Existenzminium (von der Cash Working Group auf 400 USD für eine durchschnittliche sechsköpfige Familie geschätzt). Weitere acht Prozent hätten angegeben, zwischen 334 und 417 US-Dollar (283,48 – 353,93 Euro) zu verdienen. Aufgrund der COVID-19 Situation hätten 100 Prozent der Tagelöhner in Mosul laut IOM angegeben, von den COVID-19-Beschränkungen betroffen zu sein. 83 Prozent hätten ihren Arbeitsplatz verloren und stünden vor finanziellen Problemen.“ (NRC, Juli 2020, S. 2). Der lokale Arbeitsmarkt ist anämisch, informell und in einigen Sektoren nicht vorhanden. Was mögliche Unterstützung von der Regierung betrifft, so fasst EASO in einem COI-Bericht vom September 2020 zusammen, dass die irakische Regierung allen BürgerInnen ohne Diskriminierung, einschließlich RückkehrerInnen, grundlegende Dienstleistungen wie kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung und Lebensmittelrationen zur Verfügung stelle. Zusätzlich zur staatlichen Unterstützung, würden laut UNOCHA akut schutzbedürftige RückkehrerInnen unter Umständen Unterstützung von humanitären Organisationen erhalten können. (EASO, September 2020, S. 29-30). Laut dem irakischen Sozialschutzgesetz von 2014 sei es für Personen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, möglich, Geldleistungen und Sozialleistungen zu erhalten, inklusive Hilfe bei Ausbildung oder Arbeitssuche. (Social Protection Law 2014, Artikel 1, 6, 9) Sozialleistungen einer Einzelperson würden 105.000 IQD pro Monat (59,94 Euro) betragen. (Social Protection Law 2014, Annex). Einer vom Welternährungsprogramm in Auftrag gegebenen Studie vom Dezember 2015 zur Folge würden jedoch mehrere Hindernisse den Zugang zu Sozialschutz einschränken. Das Verfahren sei bürokratisch und es fehle eine klare Informationsbasis. Dies führe zum Ausschluss vieler bedürftiger Menschen. (Alzobaidee, Dezember 2015, S. 24).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 13.3.2020

Medizinische Versorgung

Der Gesundheitssektor im Irak hat unter den Kriegen, den Sanktionen, der Korruption und den mangelnden Investitionen gelitten. Mithilfe der Vereinten Nationen und ausländischer Hilfsorganisationen kann meist nur das Nötigste gesichert werden (GIZ 1.2021b).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor (IOM 1.4.2019). Öffentliche Krankenhäuser berechnen niedrigere Kosten für Untersuchungen und Medikamente als der private Sektor. Allerdings sind nicht alle medizinischen Leistungen in öffentlichen Einrichtungen verfügbar und von geringerer Qualität als jene im privaten Sektor. Vor allem in größeren Städten und für spezialisierte Behandlungen kann es zu langen Wartezeiten kommen. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hängt stark davon ab, ob die Gesundheitsinfrastruktur seit dem jüngsten bewaffneten Konflikt wiederhergestellt wurde, und ob Ärzte und Krankenschwestern zurückgekehrt sind (IOM 18.6.2021).

Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 1.2021d). Medizinische Kosten und Gesundheitsleistungen werden im Irak nicht von einer Krankenversicherung übernommen (IOM 18.6.2021).

Es gibt im Irak 1146 primäre Gesundheitszentren, die von Mitarbeitern der mittleren Ebene geleitet werden und 1185, die von Ärzten geleitet werden. Des Weiteren gibt es im Irak 229 allgemeine und spezialisierte Krankenhäuser, darunter 61 Lehrkrankenhäuser (WHO o.D.). Im Zuge der COVID-19 Krise hat die Regierung einen spürbaren Bedarf an medizinischer Ausrüstung festgestellt. Die Regierung hat Initiativen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Gesichtsmasken und Handdesinfektionsmitteln zu erhöhen sowie Krankenhäuser mit mehr Sauerstofftanks und Notaufnahmen auszustatten. Im April 2021 hat die Regierung eine COVID-19-Unterstützung für abgelegene Gebiete initiiert, die Arztbesuche in abgelegenen Orten, die Verteilung von Medikamenten und die Bereitstellung kostenloser medizinischer Beratung umfasst. Daten über konkrete Initiativen und die Wirksamkeit der Maßnahmen sind jedoch nicht verfügbar (IOM 18.6.2021)

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 22.1.2021). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustregel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 1.2021d). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 22.1.2021). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Anfang des Jahres 2020, mit Beginn der COVID-19-Pandemie stellten die medizinischen Fakultäten und Gesundheitseinrichtungen die meisten ihrer zur Verfügung gestellten Dienste ein und verlagerten sich auf die Untersuchung des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im September 2020 nahm der öffentliche Gesundheitssektor seine Arbeit und Dienstleistungen wieder auf, mit neuen Regelungen, wie dem Zugang zu Krankenhäusern nur nach Terminvereinbarung, Rotationsschichten des medizinischen Personals, längeren erforderlichen Wartezeiten und strengeren Hygienemaßnahmen. Im Jahr 2021 bieten sowohl der öffentliche als auch der private Gesundheitssektor ihre Arbeit beinahe wieder normal an, jedoch mit hohen Vorsichtsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID-19, wie vom irakischen Gesundheitsministerium (MoH) angewiesen (IOM 18.6.2021).

Aufgrund der COVID-19-Pandemie steht die Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienste unter Druck. Familien haben nicht im gleichen Maße wie 2019 Zugang zu grundlegenden Diensten, einschließlich Impfungen und Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind. Schätzungsweise 300.000 Kinder laufen Gefahr, nicht geimpft zu werden, was zu Masernausbrüchen oder der Rückkehr von Polio führen könnte (UN OCHA 2021).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich (AA 22.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021b): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]

 IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021

 IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2 , Zugriff 15.8.2021

 UN OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2021): Global Humanitarian Overview 2021, Iraq, https://gho.unocha.org/iraq , Zugriff 25.8.2021

 WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html , Zugriff 3.3.2021

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 24.11.2021 14:02 Uhr, 1.093.095 bestätigte Fälle und 11.759 bestätigte Todesfälle gemäß EpiG (https://covid19-dashboard.ages.at/ ); im Irak wurden mit Stand 23.11.2021, 18:45 Uhr gesamt 2.075.248 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 23.686 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int/region/emro/country/iq ).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Dass einer der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leiden oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1%.

Aufgrund der weiterhin stark steigenden Infektionszahlen hat die irakische Regierung für 30.7. bis 9.8.2020 eine neuerliche komplette Ausgangssperre beschlossen (BMEIA 6.8.2020; vgl. GoI 27.7.2020; UNHCR 4.8.2020). Diese Einschränkungen gelten nicht für die KRI (BMEIA 6.8.2020).

Bereits im Juli 2020 gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass die Krankenhäuser fast vollständig ausgelastet sind (IRC 2.7.2020). Es herrschen Engpässen bei der Versorgung mit Sauerstoff und mit Schutzausrüstungen (MEMO 3.8.2020).

Nachdem private Kliniken im Juli temporär geschlossen wurden (GoI 7.7.2020), erlaubt die irakische Regierung deren Wiedereröffnung, sofern sie die vom Gesundheitsministerium und dem irakischen Ärzteverband festgelegten Bedingungen erfüllen (GoI 27.7.2020).

Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, die Richtlinien zur Schutzmaskenpflicht, zur sozialen Distanzierung und weitere umzusetzen, einschließlich der Verhängung von Geldstrafen und der Beschlagnahme von Fahrzeugen derjenigen, die gegen die Regeln verstoßen (GoI 27.7.2020; vgl. MEMO 3.8.2020).

Seit dem 23.7.2020 sind die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wieder für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Sämtliche Flughäfen wurden zuvor am 17.3.2020 geschlossen (Al Jazeera 23.7.2020; vgl. Rudaw 1.8.2020). Passagiere müssen vor dem Boarding einen negativen COVID-19 Test vorweisen (Al Jazeera 23.7.2020). Mit der Wiedereröffnung des Internationalen Flughafens Erbil (KRI) am 1.8. wird es auch wieder eine Luftverbindung zwischen Bagdad und Erbil geben (Rudaw 1.8.2020).

Seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs im Irak im März 2020 gehören vertriebene Familien zu den am stärksten betroffenen Personen, auch durch sekundäre Auswirkungen, wie mangelnde Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen und sozioökonomische Folgendavon (UNHCR 4.8.2020).

Es gilt Schutzmaskenpflicht für sämtliche öffentliche Orte, wie Märkte, Restaurants und andere kommerzielle Einrichtungen, wie Firmen. Bei zuwiderhandeln drohen den Inhabern Geldstrafen und temporäre Zwangsschließungen. Auch Beerdigungen, Hochzeitsfeiern und andere gesellschaftliche Veranstaltungen sind unter Androhung von Geldstrafen verboten (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 3.8.2020A). Kliniken und Labore bleiben per Verordnung für14 Tage geschlossen (Gov.KRD 5.8.2020). Um den steigenden Infektionszahlen im Gouvernement Erbil entgegenzuwirken wurden mittlerweile vier Krankenhäuser als alleinige COVID -19 Behandlungszentren deklariert (Rudaw 3.8.2020B).

Aktuelle Maßnahmen umfassen weiterhin ein Reiseverbot zwischen den kurdischen Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Dohuk und Halabja, sowie ein Reiseverbot innerhalb derselben, ausgenommen bei Notfällen und mit Sondergenehmigungen (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 3.8.2020A; UNHCR 4.8.2020).

Der Grenzübergang Ibrahim Khalil zur Türkei wurde für den Zeitraum vom 4. bis zum 11.August COVID -19-anlassbezogen für den Personenverkehr geschlossen (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Garda 4.8.2020). Die Grenzübergänge Haji Omaran und Bashmakh zum Iran sind für Bürger der KRI, die heimkehren wollen geöffnet (Gov.KRD 5.8.2020).

Am 1.8.2020 nahmen die internationalen Flughäfen in Erbil und Sulaymaniyah wieder ihren Betrieb auf (Gov.KRD 5.8.2020; vgl. Rudaw 1.8.2020). Personen, die über die Flughäfen einreisen müssen jedoch auf eigene Kosten einen COVID -19-Test machen und sich zur Selbstquarantäne verpflichten, bei deren Verstoß sie mit einem Bußgeld bestraft werden.

Personen, die positiv auf COVID -19 getestet wurden und die die Quarantäne missachten müssen alle anfallenden medizinischen Kosten für evtl. infizierte Personen übernehmen und werden strafrechtlich verfolgt (Artikel 368-369 des geänderten Gesetzes 111 von 1969) (Gov.KRD 5.8.2020)

Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak nicht wesentlich verändert; bei bestimmten Gütern kam es jedoch zu standortspezifischen Preisschwankungen. In einer offiziellen Erklärung erklärte das Handelsministerium, dass der Mangel an finanziellen Zuweisungen die Fähigkeit des Ministeriums in Frage stelle, PDS-Güter (Public Distribution System) konsequent zu beschaffen (WFP 2.6.2020).

Ärzte ohne Grenzen habe in Ost-Mossul Ende November 2020 im Al-Salam-Krankenhaus eine 16-Betten-Einrichtung zur Behandlung von PatientInnen mit schweren COVID-19-Symptomen eröffnet. Die Weltgesundheitsorganisation schreibt im Juli 2020, dass sie mobile medizinische Kliniken in Mossul zur Verfügung stelle. Diese seien speziell zum Einsatz gekommen, als Bewohner bestimmter Nachbarschaften während des COVID-19 Lockdowns keinen Zugang zu medizinische Grundversorgungseinrichtungen gehabt hätten. (WHO, 20. Juli 2020).

Quellen:

 WHO: Coronavirus Disease (Covid 19) Dashboard; https://covid19.who.int/ Zugriff 24.11.2021

 Al Jazeera (23.7.2020): Iraq resumes commercial flights despite rise in corona virus cases, https://www.aljazeera.com/news/2020/07/iraq-resumes-commercial-flights-rise-coronavirus-cases-200723120054091.html , Zugriff 6.8.2020

 BMEIA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (6.8.2020): Reiseinformation–Irak, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/ , Zugriff 3.11.2020

 Garda (4.8.2020): Iraq: Kurdish Authorities close border with Turkey on August 4 due to COVID-19 /update 46, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/365991/iraq-kurdish-authorities-close-border-with-turkey-on-august-4-due-to-covid-19-update-46 , Zugriff 6.8.2020

 GoI - Government of Iraq (7.7.2020): Covid-19: Higher Committee for Health and National Safety announces new measures, https://gds.gov.iq/covid-19-higher-committee-for-health-and-national-safety-announces-new-measures/ , Zugriff 6.8.2020

 GoI - Government of Iraq (27.7.2020): Covid-19: Iraqi government imposes total curfew during Eid Al-Adha, permits reopening of private health clinics, https://gds.gov.iq/covid-19-iraqi-government-imposes-total-curfew-during-eid-al-adha-permits-reopening-of-private-health-clinics/ , Zugriff 6.8.2020

 Gov.KRD - Kurdistan Regional Government (5.8.2020): Situation Update Coronavirus (COVID-19), https://gov.krd/coronavirus-en/situation-update/ , Zugriff 6.8.2020

 IRC - International Rescue Committee (2.7.2020): Iraq: 600% rise in COVID-19 cases through June means urgent action is needed to slow the spread of the disease, https://www.rescue.org/press-release/iraq-600-rise-covid-19-cases-through-june-means-urgent-action-needed-slow-spread , Zugriff 6.8.2020

 MEMO - Middle East Monitor (3.8.2020): 'Total curfew': Coronavirus cases, deaths rise in Iraq, https://www.middleeastmonitor.com/20200803-total-curfew-coronavirus-cases-deaths-rise-in-iraq/ , Zugriff 6.8.2020

 Rudaw (1.8.2020): Commercial flights to and from the Kurdistan Region resume after months long ban, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/01082020 , Zugriff 6.8.2020

 Rudaw (3.8.2020A): Further travel, social restrictions announced in KRG lockdown update, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/030820201 , Zugriff 6.8.2020

 Rudaw (3.8.2020B): Major Erbil hospital to only treat coronavirus patients as cases surge, https://www.rudaw.net/english/lifestyle/03082020 , Zugriff 6.8.2020

 UNHCR (4.8.2020): IRAQ | UNHCR COVID-19 UPDATE, https://reporting.unhcr.org/sites/default/files/UNHCR%20Iraq%20-%20COVID-19%20Update%20-%2004-08-20.pdf , Zugriff 6.8.2020

 WFP - World Food Programme (2.6.2020): Iraq COVID-19 Food Security Monitor, Weekly Update – Issue 7, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/COVID%20Weekly%20Food%20Security%20Monitor%20Iraq_2June2020_EN_final%20draft.pdf , Zugriff 5.6.2020

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Es wird weiters festgestellt, dass im Irak für die Masse der Bevölkerung nicht im gesamten Staatsgebiet jene gemäß der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegt, welche die Rückkehr eines Fremden automatisch im Widerspruch zu Art. 2 oder Art. 3 EMRK erscheinen lässt (vgl. dazu VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0043). Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, wird eine in den Irak abgeschobene Person, bei welcher keine besonders berücksichtigungswürdigen Umstände vorliegen, durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine "unmenschliche Lage" versetzt.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 50 FPG idgF in seinen Heimatstaat Irak unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus den unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalten des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak samt den ergänzend eingebrachten Berichten sowie in das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vom 21.10.2021. Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB wurden ergänzend eingeholt.

Dass der Beschwerdeführer zur mündlichen Verhandlung nachweislich geladen wurde, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Gerichtsakt. Darin ist der RSb-Rückschein enthalten, wonach der Beschwerdeführer am 28.09.2021 persönlich die Ladung zur Beschwerdeverhandlung übernommen und somit den Rückschein mit seiner Unterschrift versehen hat. Da sich die Mitwirkungspflicht des Antragstellers zumindest auch auf jene Umstände bezieht, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214) - dies trifft jedenfalls auch auf die Umstände des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich zu - waren vom erkennenden Gericht die Feststellungen im angefochtenen Bescheid der gegenständlichen Beweiswürdigung zu Grunde zu legen.

Denn von Asylwerbern, die in Österreich Schutz vor behaupteter Verfolgung suchen, ist zu erwarten, dass sie an dem Verfahren, in dem über diese Schutzgewährung entschieden werden soll, mitwirken. Das Vorgehen, mit den Asylbehörden (bzw. dem Verwaltungsgericht) nicht in Kontakt zu treten, weicht von der zumutbaren Sorgfalt, die von einem an der Verfahrensabwicklung interessierten Asylwerber zu erwarten ist, extrem ab und ist daher grob sorgfaltswidrig (vgl. zum Verschuldensmaßstab weiters VwGH 24.05.2005, 2004/01/0558 und 21.04.2005, 2005/20/0080).

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seiner Person, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volljährigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Familienstand, seinen Lebensumständen im Irak, seiner familiären Situation im Irak und Österreich und seiner Schulbildung und Arbeitserfahrung im Irak, beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Da der Beschwerdeführer zur anberaumten Beschwerdeverhandlung unentschuldigt nicht erschienen ist und zwischenzeitlich keine Schriftsätze mit entgegenstehenden Ausführungen eingebracht hat, war von der Richtigkeit seiner letzten persönlich getätigten Ausführungen vor der belangten Behörde auszugehen.

Mangels der Vorlage eines identitätsbezeugenden Originaldokuments steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Vielmehr ergab die urkundentechnische Untersuchung seiner vorgelegten irakischen Dokumente, dass es sich beim von der LPD untersuchten Staatsbürgersschaftsnachweis und Personalausweis jeweils um verfälschte Dokumente gehandelt hat (AS 305ff), sodass sein damals gezeigtes Verhalten bereits von einer persönlichen Unglaubwürdigkeit zeugt.

Die Feststellungen zu seiner gesundheitlichen Situation ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde, wonach er physisch gesund sei, jedoch mit psychischen Problemen kämpfe. Er legte ambulante Arztbriefe der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie XXXX datiert mit 09.02.2017 und 18.08.2017 (AS 77 ff) vor, wonach er an einer Anpassungsstörung - Angst und Depression gemischt, einer Traumafolgestörung und schweren depressiven Episoden mit rez. Suizidgedanken leide. Nach einer Zusammenschau dieser Unterlagen sowie der mangelnden Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz war von keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen auszugehen, die nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnten. Zudem ist auf die unter Punkt 1.3. zitierten Länderberichte zu verweisen, wonach die medizinische Versorgungslage im Irak zwar angespannt, jedoch nicht zusammengebrochen ist und die medizinische Versorgung besonders in Städten derzeit gegeben ist. Eine mangelnde Verfügbarkeit von einzunehmenden Medikamenten wurde ebenso nicht behauptet und ergaben sich für eine solche Annahme im gegenständlichen Verfahren keinerlei Hinweise. Vielmehr führte bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar aus, dass die zum damaligen Zeitpunkt vom Beschwerdeführer eingenommenen Medikamente sowie die für seine psychischen Beeinträchtigungen notwendigen Behandlungen in Bagdad verfügbar sind. Auch die aktuelle COVID-19-Pandemie kann dahingehend keine Änderung herbeiführen und hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, an einer in der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II Nr. 203/2020, als medizinische Indikatoren für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe aufgelisteten, schwerwiegenden Erkrankung zu leiden.

Seine Arbeitsfähigkeit gründet auf seinem gesundheitlichen Zustand in Verbindung mit dem Umstand, dass er bereits in Österreich gearbeitet hat und auch in seiner Stellungnahme vom 16.04.2018 anführte, dass er zukünftig in Österreich als Fliesenleger arbeiten wolle (AS 337).

Die Feststellung zu seinem Aufenthalt in Österreich lässt sich dem vorliegenden Verwaltungsakt sowie dem aktuellen ZMR-Auszug entnehmen.

Die Negativfeststellung bezüglich der Kontaktsituation zu seinen im Irak lebenden Angehörigen war mangels einer neuerlichen Einvernahme aufgrund des Fernbleibens des Beschwerdeführers von der Beschwerdeverhandlung zu treffen.

Aus dem Verwaltungsakt sowie sämtlichen Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass er in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte oder über ein maßgebliches soziales Umfeld im Bundesgebiet verfügen würde. Das Bestehen eines Bekanntenkreises in Österreich ergibt sich bereits aus der Dauer seines Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie seinen vorgelegten Unterstützungserklärungen (AS 53, 57). Die vom Beschwerdeführer vor der belangten Behörde vorgebrachten privaten Kontakte, selbst wenn sie objektiv vorhanden und für ihn subjektiv von Bedeutung sind, entsprechen nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben im Sinne der EMRK, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität. Seine privaten Kontakte, lediglich ersichtlich aus den vorgelegten Unterstützungsschreiben, beziehen sich auf Personen, welche ihn aufgrund seiner früheren Wohnsituation bzw. seines Deutschkursbesuchs kennen; so verfassten seine frühere Deutschkursleiterin und der Assistent und Sprecher des Erzbischofs in Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten jeweils ein Empfehlungsschreiben.

Der Beschwerdeführer legte in Behördenverfahren eine Kursbesuchsbestätigung für einen Deutschkurs auf dem Niveau A2/1 der Volkshochschule XXXX datiert mit 08.08.2017 (AS 55) sowie das ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau A1 vom 04.07.2017 (AS 51) vor. Daraus ergeben sich keine entscheidungsrelevanten Deutschkenntnisse.

Der Beschwerdeführer brachte im Behördenverfahren ansonsten keinerlei Unterlagen hinsichtlich seiner Integration in Österreich ein und behauptete lediglich vor der belangten Behörde am 09.08.2017, dass er in der Kirche mithelfe und sich auch sonst freiwillig beteiligen würde. Mangels der Vorlage entsprechender Bestätigungen waren jedoch die entsprechenden (Negativ-)Feststellungen zu treffen.

Aus der im Gerichtsakt einliegenden Bescheidausfertigung des AMS datiert mit 07.05.2019 ergibt sich der Erhalt einer Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als „ XXXX “ (OZ 9). Die Feststellungen zur zeitweisen Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich, zur mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit sowie zum Leistungserhalt der staatlichen Grundversorgung gründen auf einem aktuellen Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem sowie der Einsichtnahme in die Datenbank der Sozialversicherungsträger.

In einer Gesamtschau war aufgrund der vorherigen Ausführungen die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer im Laufe seines Aufenthaltes zwar berücksichtigungswürdige, jedoch nicht entscheidungsrelevante integrative Schritte gesetzt hat. Der Beschwerdeführer führte auch keine weiteren Integrationsbemühungen in Österreich an, sodass sich letztlich aus dem gesamten Behörden - und Gerichtsakt keinerlei Merkmale für das Vorliegen einer seiner Aufenthaltsdauer entsprechenden und entscheidungsmaßgeblichen Integration in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht ergaben.

Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus der aktuellen Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führte im Verwaltungsverfahren hinsichtlich seiner Fluchtgründe zusammengefasst an, dass er Probleme mit den schiitischen Milizen Kataeb und Assaib Ahl Al Haq gehabt habe und bedroht worden sei. So habe er in einer Prügelei einem Mitglied der Miliz Assaib Ahl Al Haq einen Zahn ausgeschlagen, weshalb er von der Verfolgung durch die Miliz Assaib Ahl Al Haq bedroht sei.

Im angefochtenen Bescheid kam die belangte Behörde zum Schluss, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer im Irak asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätte.

Der erkennende Richter geht aufgrund einer Gesamtschau des Akteninhaltes davon aus, dass der Beschwerdeführer den vor der belangten Behörde angegebenen Fluchtgrund, ihm drohe im Irak asylrelevante Verfolgung durch schiitische Milizen, nicht glaubhaft machen konnte. Mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wird er im Falle seiner Rückkehr keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung im Irak ausgesetzt sein.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.

Bereits zu Beginn ist auf das Aussageverhalten des Beschwerdeführers im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme hinzuweisen. So war es ihm nicht möglich, schlüssige Ausführungen zur behaupteten Verfolgungsgefahr zu tätigen und konnte er die Geschehnisse offensichtlich nicht in stringenter Form im Rahmen einer freien detaillierten Erzählung wiedergeben. Vielmehr führte er auf die Frage der belangten Behörde nach den Gründen, weshalb er den Irak verlassen habe müssen und nicht mehr zurückkehren könne, lediglich unbestimmt an: „Meine Familie hat in XXXX gelebt. Man hatte uns von dieser Ortschaft vertrieben und wir mussten in die Hathe-Straße umziehen. Dann wurde mein Bruder entführt. Dass war am 02.08.2013. Es war gegen 20, 21 Uhr. Dann mussten wir nach XXXX umziehen. Dort hatten wir ein Familienhaus. Dort gab es für uns viele Probleme. Ich bekam Probleme mit den Milizen Kataeb und Assaib Ahl Al Haq. Ich wurde von den Milizen bedroht. Am selben Tag entschied ich mich zu fliehen. Ich ging noch am selben Tag zu meiner Tante nach XXXX . Ich habe dort Geld besorgt und kaufte mir ein Flugticket. Am 22.09.2015 habe ich den Irak in die Türkei verlassen. Nachgefragt, ich bin fertig. (AS 35)“

Es ist schließlich festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht von sich aus über die Geschehnisse im Rahmen einer narrativen und konkludenten Wiedergabe berichtete, so wie eben Menschen berichten, welche das Erzählte tatsächlich erlebt haben. Diese Feststellung kann insofern getroffen werden, als es aus der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts notorisch ist, dass detailreiche Aussagen mit Realkennzeichen in der Regel für die Glaubwürdigkeit des entsprechenden Vortrages sprechen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönlich Erlebtes detailreich, unter Angabe der eigenen Gefühle und unter spontaner Rückerinnerung an unwesentliche Details und Nebenumstände berichten. Beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist zu erwarten, dass der Erzählende nicht nur Handlungsabläufe schildert, sondern sich selbst in die Schilderung einbaut; dass eigene Emotionen, Erlebniswahrnehmung und Verhalten zu erklären versucht werden; dass Dialoge und Interaktionen mit anderen Personen geschildert werden. Dies gilt insbesondere bei derart prägenden Ereignissen, die so gravierend auf die Lebenssituation eines Menschen einwirken, dass dieser sich letztlich veranlasst sieht, sein Heimatland zu verlassen. Der Beschwerdeführer erwähnte jedoch erst nach mehrmaligem Nachfragen der belangten Behörde die erfahrene persönliche Bedrohung aufgrund einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Ali, einem Mitglied der Miliz Assaib Ahl Al Haq, welche nach einer Gesamtschau seiner Aussagen wohl das fluchtauslösende Ereignis darstellte.

Dahingehend ist jedoch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes anführte, dass er den Entschluss zur Ausreise aus dem Irak bereits im Jahr 2014 gefasst habe, tatsächlich jedoch erst am 22.09.2015 ausgereist sei (AS 5). Dieses Vorbringen steht diametral zu seinen späteren Ausführungen vor der belangten Behörde, wonach er aufgrund der Bedrohung nach der gewalttätigen Auseinandersetzung mit Ali, einem Milizmitglied, sofort zu seiner Tante geflohen sei und bereits zehn Tage nach dem Vorfall das Land verlassen habe. Die nunmehr angegebene zeitliche Abfolge der Geschehnisse lässt sich mit den von ihm zuvor gemachten Ausführungen nicht in Einklang bringen, sodass sich der Eindruck aufdrängt, dass es sich beim Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers um eine konstruierte Geschichte handelt und er bereits lange zuvor beschlossen habe, den Irak zu verlassen.

Die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers fußt nach seinen Angaben auf einer behaupteten allgemein herrschenden feindseligen Stimmung zwischen Sunniten und Schiiten, welche die Auseinandersetzung angestoßen habe, sodass es nicht nachvollziehbar erscheint, dass der Beschwerdeführer mit einem Mann befreundet sei und diesen um Arbeit gefragt habe, der Schiit und Mitglied einer Miliz sei. Wie auch schon die belangte Behörde ausführte, erscheint es weiters äußerst zweifelhaft, dass sein Freund als schiitisches Milizmitglied mit dem Beschwerdeführer nach dem Vorfall gesprochen und ihm erzählt habe, dass Ali ebenfalls Mitglied der Miliz Assai Ahl Al Haq sei.

Des Weiteren führte der Beschwerdeführer lediglich an, dass Mitglieder der Miliz noch am Tag des Vorfalls zu ihm nachhause gekommen seien und nach ihm gesucht hätten (AS 36). Dass es in weiterer Folge, insbesondere nach seiner Ausreise aus dem Irak, noch zu weiteren Bedrohungshandlungen gekommen sei, wurde vom Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt behauptet. Insbesondere hat die zweite Einvernahme des Beschwerdeführers seit seiner Einreise nach Österreich am 09.08.2017 stattgefunden, sohin fast zwei Jahre nach seiner Ausreise aus dem Irak. Der Beschwerdeführer führte damals an, dass er in Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Irak stehe, sodass diese ihm jedenfalls berichtet hätten, wenn sie mit weiteren Bedrohungshandlungen konfrontiert gewesen wären.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers weist in seiner Gesamtheit, insbesondere auch in Bezug auf die behauptete drohende Verfolgung, im Rahmen der freien Schilderung bei weitem nicht die Realkennzeichen eines wahrheitsgemäßen Vorbringens auf. Insbesondere bliebt der Beschwerdeführer jegliche Interaktionsschilderung bzw. Wiedergabe von Gesprächen, die Schilderung ausgefallener und nebensächlicher Einzelheiten schuldig. Beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte samt Bedrohungssituationen ist zu erwarten, dass der Erzählende nicht nur Handlungsabläufe schildert, sondern sich selbst in die Schilderung einbaut; dass eigene Emotionen, Erlebniswahrnehmung und Verhalten zu erklären versucht werden. Es ist damit nicht feststellbar, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr wie auch immer geartete Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.

Da der Beschwerdeführer letztlich zu der vage behaupteten Bedrohung durch die Miliz Kataeb keinerlei nähere Ausführungen tätigte, weder in den Einvernahmen im Behördenverfahren, noch in der eingebrachten Stellungnahme vom 16.04.2018 oder dem Beschwerdeschriftsatz, war eine drohende asylrelevante Verfolgung nicht anzunehmen.

Der Vollständigkeit halber ist ebenso festzuhalten, dass allein aufgrund der sunnitischen Konfession des Beschwerdeführers ebenfalls keine Verfolgungsgefahr zu erkennen ist. Eine systematische Verfolgung sämtlicher Angehöriger der sunnitischen Minderheit durch die schiitische Mehrheitsbevölkerung kann dessen ungeachtet angesichts der Quellenlage nicht nachvollzogen werden, was sich auch daraus ergibt, dass einige nahe Familienangehörige des Beschwerdeführers, welche wohl auch Sunniten/Sunnitinnen sein müssen, sich nach wie vor im Irak aufhalten. Hinzu kommt, dass ausweislich der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak hohe Staatsämter, etwa jenes des Parlamentspräsidenten, auch von Sunniten bekleidet werden, was auch gegen eine Verfolgung sämtlicher Angehöriger des sunnitischen Religionsbekenntnisses im Irak und somit gegen eine Gruppenverfolgung spricht (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0014; 29.06.2018, Ra 2018/18/0138).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0503). Aus dem Fluchtvorbringen ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Zeitpunkt mit einer Verfolgungshandlung im Sinne der zuvor genannten Judikatur rechnen müsste und ergibt sich in einer Gesamtschau nicht, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine derart exponierte Stellung innegehabt hätte, woraus sich im Falle seiner Rückkehr zwangsläufig die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seiner Person ableiten lässt.

Seitens des erkennenden Gerichtes wurde dem Beschwerdeführer daher die Gelegenheit gegeben, sein Fluchtvorbringen in einer mündlichen Verhandlung - wie vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde ausdrücklich beantragt - darzulegen. So fand am 21.10.2021 eine Beschwerdeverhandlung vor dem erkennenden Gericht statt, zu der der Beschwerdeführer trotz der ordnungsgemäßen Ladung unentschuldigt nicht erschienen ist. Diesbezüglich ist im konkreten Fall auf die fehlende Mitwirkung des Beschwerdeführers explizit hinzuweisen. Eine Einvernahme des Beschwerdeführers bezüglich seiner behaupteten Fluchtgründe konnte daher vor dem erkennenden Gericht nicht stattfinden, womit sich der Beschwerdeführer selbst die Möglichkeit auf rechtliches Gehör im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht genommen hat.

Dies stellt eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht dar, die zum einen bei der Beweiswürdigung zu Lasten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen war und die zum anderen dem Beschwerdeführer bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes zur Last fällt (vgl. VwGH 19.12.2001, 2000/20/0318).

Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung seines Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214). Der Beschwerdeführer ist folglich seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.

Dieses prozessuale Verhalten des Beschwerdeführers hindert jedoch das Bundesverwaltungsgericht nicht, die vorliegende Beschwerdesache zu erledigen, weil sie dessen ungeachtet nach der Aktenlage auch ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers entscheidungsreif ist. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG grundsätzlich von Amts wegen vorzugehen, sowie den Gang des Ermittlungsverfahrens selbst zu bestimmen hat und sich dabei unter Rücksicht auf Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten lassen muss. Vor diesem rechtlichen Hintergrund darf das Bundesverwaltungsgericht weder mit der Entscheidung über die vorliegende Beschwerdesache (weiter) zuzuwarten, noch ist es angezeigt, einzelne rechtswirksam gesetzte Verfahrensschritte zu wiederholen.

Berücksichtigt wurden daher insbesondere die Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung am 13.11.2015 und der Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.08.2017, da er zur von ihm im Rahmen der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.10.2021 unentschuldigt nicht erschienen ist.

Zusammenfassend gelangt das Bundesverwaltungsgericht – wie auch schon die belangte Behörde – aufbauend auf der obigen Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer mangels Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht und wegen persönlicher Unglaubwürdigkeit aufgrund von Widersprüchlichkeiten keine asylrelevante Verfolgung im Irak glaubhaft machen konnte. Aufgrund seiner Aussagen gelingt es dem Beschwerdeführer jedenfalls nicht seinen behaupteten Fluchtgrund glaubhaft zu untermauern und lassen seine Aussagen in einer Gesamtschau keine Bedrohungssituation des Beschwerdeführers im Irak vermuten.

Zusammengefasst ergab sich aus den vorangegangenen Ausführungen, dass der Beschwerdeführer im Irak nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde, sodass eine asylrelevante Verfolgung nicht angenommen werden konnte.

Zur Rückkehrgefährdung wird grundsätzlich ausgeführt, dass nach dem Sieg über den Islamischen Staat von einer eindeutigen Verbesserung der Sicherheitslage im Irak ausgegangen werden kann.

Generell ergibt sich zudem aus den unter Punkt II.1.3. vorzitierten Quellen und Berichten eine deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak und stellt sich in Anbetracht der mittlerweile seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Sommer 2017 vergangenen Zeit von etwa vier Jahren die Prognose im Hinblick auf die Sicherheitslage außerdem als stabil dar. Es ist nach der weitgehenden Ausschaltung des IS und der Etablierung erster Schritte einer politisch wie ethnisch ausgewogeneren Regierung von einem Konsolidierungsprozess der Ordnung auszugehen, sodass die allgemeine Lage, die Sicherheitslage, aber auch die humanitäre und wirtschaftliche Lage im Irak zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr mit der Situation im Jahr 2014/2015, als der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat verlassen hatte, vergleichbar ist. Die Zahl der im Irak durch Gewalt ums Leben gekommenen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).

Im Oktober 2019 gab es in Teilen des Iraks, insbesondere auch in Bagdad, Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung. Aufgrund des restriktiven Vorgehens der Sicherheitskräfte wurden zahlreiche Anhänger der Protestbewegung getötet. Daraus ergibt sich aber keine konkrete Gefährdung des Beschwerdeführers, der nie vorgebracht hatte, sich oppositionspolitisch zu betätigen. Die Sicherheitslage in Bagdad ist grundsätzlich stabil und es ist infolge der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und dem weitgehenden Ende offener Kampfhandlungen ein gravierender Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle und der damit einhergehenden zivilen Opfer eingetreten.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in Bagdad dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in Bagdad davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages, krimineller Aktivtäten oder von Polizeigewalt bei Demonstrationen und Ausschreitungen werden würde (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zur Lage in Bagdad). Entsprechendes gilt für die Gefährdung durch verbliebene Kampfmittel und Blindgänger.

Das Gouvernement Bagdad steht seit etwa Mitte des Jahres 2017 unter der stabilen Kontrolle verschiedener irakischer Sicherheitsakteure, insbesondere der irakischen Armee, lokaler Polizeikräfte und verschiedener PMF-Milizen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft. Gleichwohl verfügt der Islamische Staat über Rückzugsgebiete in den ländlichen Gebieten des Gouvernements und ist in den Nachtstunden aktiv. Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass die Milizen des Islamischen Staates weiterhin etwa durch Schläfer im gesamten Stadtgebiet von Bagdad und in ländlichen Gegenden des Gouvernements Bagdad in der Lage sind, Anschläge oder anderweitige terroristische Aktivitäten durchzuführen. Dessen ungeachtet können die Milizen des Islamischen Staates in jenen Gebieten nicht mehr offen operieren, die von irakischen Sicherheitskräften zurückerlangt wurden, sodass dort aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nur mehr mit Untergrundaktivitäten von Anhängern des Islamischen Staates und damit einhergehenden terroristischen Anschlägen zu rechnen ist, wie sie in den Feststellungen zur Lage in Bagdad dargestellt sind.

In Anbetracht der seit der Ausreise des Beschwerdeführers eingetretenen Lageänderung in Gestalt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates in Bagdad, die eine Wiedererlangung der Kontrolle durch die Milizen des Islamischen Staates in Anbetracht der Feststellungen – ungeachtet der durchgeführten terroristischen Aktivitäten, auf die sogleich einzugehen sein wird – als eher ausgeschlossen erscheinen lässt, hat der Beschwerdeführer im Rückkehrfall nicht mit der Ausübung pseudostaatlicher Gewalt durch die Milizen des Islamischen Staates zu rechnen und wird dieser damit im Rückkehrfall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit der Gefahr von Übergriffen durch Kämpfer des Islamischen Staates konfrontiert sein.

Bei den nach wie vor vereinzelt stattfindenden Auseinandersetzungen zwischen verbliebenen Kämpfern des Islamischen Staates und den irakischen Sicherheitskräften handelt es sich ausweislich der Feststellungen um einen asymmetrischen Konflikt und es ist davon auszugehen, dass sich Angriffe von Anhängern oder sogenannten Schläfern weiterhin entweder gegen militärisch relevante Ziele richten oder mittels terroristischer Anschläge eine Verunsicherung in der Bevölkerung erzielt und der politischen Rückhalt der irakischen Regierung und der Sicherheitskräfte erschüttert werden soll. Dokumentiert sind außerdem kriminelle Handlungen zur Beschaffung von Geld – etwa in Gestalt falscher Checkpoints oder von Entführungen. Ferner steht außer Zweifel, dass auch weiterhin vom Islamischen Staat und anderen Gruppierungen ausgehende terroristische Aktivitäten im Irak zu erwarten sind. Eine gezielte Verfolgung von Einzelpersonen wie etwa dem Beschwerdeführer durch Schläfer des Islamischen Staates oder sonstige dort verbliebene Anhänger ist dennoch angesichts der Sicherheitslage in Bagdad wenig wahrscheinlich und es ist auch kein glaubhafter Grund erkennbar, weshalb sich allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates gerade für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr interessieren sollten und eine gezielte Verfolgung gerade des Beschwerdeführers für allenfalls verbliebene Anhänger des Islamischen Staates attraktiver sein sollte, als terroristische Aktivitäten mit großer Breitenwirkung oder Anschläge auf Sicherheitskräfte zu begehen.

Im Hinblick auf eine etwaige Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers ist an dieser Stelle überdies explizit auf die seitens EASO vertretene Ansicht zu verweisen, wonach im Gouvernement Bagdad nur noch derart selten zu willkürlichen, sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, dass nicht automatisch Gründe dafür vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.), wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass die Umstände des jeweiligen Einzelfalles naturgemäß stets zu berücksichtigen sind. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf den Beschwerdeführer wurden im Verfahren jedoch ebenfalls nicht substantiiert vorgebracht

Das Bundesverwaltungsgericht geht in Anbetracht der Quellenlage davon aus, dass nach der militärischen Niederlage der Milizen des Islamischen Staat und der Wiederherstellung der staatlichen Ordnung nicht mehr mit von verbliebenen Anhängern des Islamischen Staat ausgehenden und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Übergriffen auszugehen ist. Persönliche Konfrontationen mit Kämpfern des Islamischen Staates vor der Ausreise wurden im Übrigen im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht mehr vorgebracht, sodass nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer allenfalls verbliebenen Anhängern des Islamischen Staates überhaupt persönlich bekannt wäre und in der Person des Beschwerdeführers gelegenes besonderes Verfolgungsinteresse besteht. Der Beschwerdeführer gehört auch keiner der nun ausweislich der Feststellungen besonders gefährdeten Risikogruppen an. Er war in seiner Tätigkeit keine politische, religiöse oder militärische Führungspersönlichkeit. Der Beschwerdeführer ist auch nicht als Stammesführer exponiert. Eine erhöhte Gefährdung aufgrund des persönlichen Profils im Rückkehrfall ist demnach unwahrscheinlich. Zudem war der von ihm behaupteten Verfolgung durch den Staat, wie im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend dargelegt, die Glaubwürdigkeit zu versagen, sodass es dahingehend keiner weiteren Erörterung bezüglich einer allfälligen Gefährdung durch staatliche Behörden im Falle seiner Rückkehr bedarf.

Aufgrund der militärischen Niederlage des Islamischen Staates und des eindeutig aus den herangezogenen Berichten zur Lage im Herkunftsstaat erkennbaren Umstandes, dass keine speziell auf individuelle Angehörige der sunnitischen Bevölkerung zielende Übergriffe mehr stattfinden, kann eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch verbliebene Anhänger des Islamischen Staates im Fall einer Rückkehr zusammenfassend nicht erkannt werden.

Aus einer Zusammenschau der zitierten Quellen ergibt sich sohin eine Sicherheitslage, die es einer Person wie dem Beschwerdeführer in Bagdad erlaubt, relativ unbehelligt zu leben, ohne zwingend damit rechnen zu müssen, Opfer von Verfolgung, willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden.

Die sichere Erreichbarkeit des Gouvernements Bagdad als Herkunftsregion des Beschwerdeführers ergibt sich zunächst aus der zuvor ausgeführten stabilen Sicherheitslage im Gouvernement Bagdad, die ein Erreichen der dortigen Flughäfen samt Weiterreise im Stadtgebiet ermöglicht. Auch eine Einreise in die autonome Region Kurdistan im Luftweg ist mit einem irakischen Ausweisdokument stets möglich. Der Beschwerdeführer brachte auch keine Befürchtungen im Hinblick auf Rückkehrhindernisse oder die Sicherheit von Verkehrswegen vor. Zum Entscheidungszeitpunkt besteht kein Hinweis, dass der Beschwerdeführer allenfalls einzelne Checkpoints nicht passieren könnte. Er verfügt außerdem über irakische Ausweisdokumente.

Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf den Beschwerdeführer. Dass er derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1% (vgl. Punkt II.1.3.). Es fehlt sohin auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie an den geforderten außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art 3 EMRK (zur "Schwelle" des Art 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).

Der Beschwerdeführer ist vor dem Hintergrund dieser Erwägungen als gesunder und arbeitsfähiger Mensch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ungeachtet der prekären wirtschaftlichen und sozialen Lage in Bagdad in der Lage, sein Auskommen im Fall einer Rückkehr entweder durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Hilfsarbeiter bzw. Fliesenleger zu bestreiten oder im Wege der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen des ERIN-Programmes einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU und wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service des Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet.

Im Rahmen des ERIN-Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt (http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx ). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und den neuerlichen Aufbau eines eigenen Geschäftes.

Der Beschwerdeführer ist als irakischer Staatsbürger außerdem berechtigt, am Public Distribution System (PDS) teilzunehmen, einem sachleistungsorientierten Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft und an die Bevölkerung verteilt, sodass eine Absicherung im Hinblick auf Grundnahrungsmittel gegeben ist. Auch wenn das Programm unter Insuffizienzen leidet, ist von einer Unterstützung des Beschwerdeführers bei der Bestreitung seines Auskommens auszugehen. Da der Beschwerdeführer an seinen Herkunftsort zurückkehrt und über irakische Ausweisdokumente verfügt, wird er keine Schwierigkeiten beim Erhalt einer Lebensmittelbezugskarte zu gewärtigen haben.

Der Beschwerdeführer verfügt zudem noch über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Eltern und seiner Geschwister. Es ist somit davon auszugehen, dass er sich zumindest temporär wiederum bei seinen Angehörigen in Bagdad wird ansiedeln können und ihm bei diesen auch eine angemessene Unterkunft sowie eine (in Bagdad vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte auch sichergestellte) Grundversorgung mit Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Strom und Grundnahrungsmitteln zur Verfügung stehen wird (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen unter Punkt II.1.3.). Zudem führte der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde an, dass sich im Eigentum seines Vaters ein Haus sowie ein Baugrund befindet, sodass davon auszugehen sein wird, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Unterstützung erfahren wird.

Selbst wenn dem Beschwerdeführer – wider Erwarten – im Irak keine familiäre Unterstützung zuteilwerden sollte, ist vor dem Hintergrund, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt auf die Indizwirkung von Empfehlungen internationaler Organisationen für den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsfindungsprozess hingewiesen hat (vgl. zuletzt VwGH 05.03.2020, Ra 2018/19/0686 mwH), auf die in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vertretene Ansicht zu verweisen, wonach ein körperlich leistungsfähiger arabisch-sunnitischer Mann im arbeitsfähigen Alter und ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten, wie der Beschwerdeführer, abhängig von den jeweiligen Umständen möglicherweise sogar in der Lage sein wird können, ohne Unterstützung durch seine Familie zu bestehen (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II.1.3.).

Eine Rückkehr in den Irak führt somit im Falle des Beschwerdeführers nicht automatisch dazu, dass er in eine unmenschliche Lage bzw. eine Notlage geraten und in seinen durch Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würde. Auch ist er angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage in Bagdad nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, EASO, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Zu den zur Feststellung ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Die Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer auch vorab mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt. Der Beschwerdeführer ist den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, die auf den in das Verfahren eingeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen beruhen, jedoch nicht substantiiert entgegengetreten und war eine persönliche Erörterung mangels Anwesenheit des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht möglich. Die Länderfeststellungen konnten sohin der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.

Das bloße Aufzeigen von spezifischen Problemlagen im Herkunftsstaat im Beschwerdeschriftsatz vermag die Glaubwürdigkeit der Länderfeststellungen nicht zu erschüttern. Vielmehr sparen die Länderfeststellungen die im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vorherrschenden Probleme nicht nur nicht aus, sondern legen diese ebenfalls offen.

Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen und wurde in der Beschwerde dem Inhalt und den Kernaussagen der Länderberichte sowie deren Quellen auch nicht substantiiert entgegengetreten, sodass an der Richtigkeit und am Zutreffen der Länderfeststellungen keine Zweifel bestehen und diese der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten.

Insoweit zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279, VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH vom 28. Oktober 2009, 2006/01/0793, mwN).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH vom 24. Februar 2015, Ra 2014/18/0063).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233; 17.11.2017, Ra 2017/20/0404).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.3. bereits dargestellt, war dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers aus den ausgeführten Gründen die Glaubwürdigkeit zu versagen bzw. konnte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung darlegen bzw. glaubhaft machen.

Es ist zudem nicht ableitbar, dass dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft in seinem Herkunftsstaat Irak konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte.

Eine über sein als unglaubwürdig beurteiltes Vorbringen hinausgehende und erwartbare persönliche Bedrohung oder Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch waren von Amts wegen Anhaltspunkte für eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat ableitbar. Dem Beschwerdeführer ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für den Beschwerdeführer war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.

Es entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative iSd § 11 Abs. 1 AsylG nur dann zu prüfen ist, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber in der Herkunftsregion seines Herkunftsstaats Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht bzw. die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs. 1 AsylG vorliegen (siehe VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106-12). Diesen Anforderungen konnte der Beschwerdeführer wie oben dargelegt jedoch nicht gerecht werden.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage wird zusammengefasst ausgeführt, dass eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung darstellt (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung - zusammenhängt. Derartiges hat der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft behauptet.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Rechtslage:

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – „real risk“ einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann. Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174; 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Wie umseits bereits dargelegt wurde, droht dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung.

Dem Beschwerdeführer droht auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzungen des Art 3 EMRK ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die im Irak leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung eines Status eines subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden.

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303).

Im Hinblick auf die Gefahrendichte ist zudem auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt. BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Sicherheitslage in Teilen des Iraks prekär ist. Aus den Feststellungen zur Lage im Irak ergibt sich jedoch eindeutig, dass in Bagdad verglichen mit dem Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers eine maßgebliche Verbesserung der Sicherheitslage dahingehend eingetreten ist, dass die Milizen des Islamischen Staates militärisch vollständig besiegt und das von diesen Milizen ausgerufene Kalifat beseitigt wurde. In Bagdad herrscht kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Der gesamte Irak (von unzugänglichen Wüstengebieten an der syrischen Grenze abgesehen), einschließlich der Städte Mossul und Basra, steht unter der Kontrolle der irakischen Streitkräfte sowie abschnittsweise der kurdischen Peschmerga. Die Milizen des Islamischen Staates verfügen damit über kein faktisch von ihnen beherrschtes Territorium mehr, aus dem heraus offene militärische Operationen gegen die irakischen Streitkräfte durchgeführt werden können. Insbesondere ist angesichts der militärischen Niederlage des Islamischen Staates nicht zu befürchten, dass die Milizen des Islamischen Staates weitere Teile des Irak unter ihre Kontrolle bringen und dort Menschenrechtsverletzungen begehen würden. Dazu tritt, dass mit der militärischen Niederlage des Islamischen Staates ein nachweisbares und den diesbezüglichen in das Verfahren eingeführten Statistiken klar ersichtliches Absinken der terroristischen Anschläge auch in den nicht unmittelbar von Kampfhandlungen verbliebenen Gebieten einhergeht.

Auch unter Berücksichtigung der jüngsten vorkommenden, teils gewalttätigen Demonstrationen bzw. anderer sicherheitsrelevanter Vorfälle unter anderem in Bagdad, kann eine für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten relevante Gefährdungslage nicht erblickt werden.

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers können schließlich nicht erkannt werden und hat weder der Beschwerdeführer selbst ein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer alleine schon aufgrund seiner bloßen Anwesenheit in Bagdad mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände Ereignisse ausgesetzt wäre.

Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, dies zumal es sich im Falle des Beschwerdeführers um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der über eine mehrjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung verfügt. Es ist daher kein Grund ersichtlich, weshalb er seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht selbst bestreiten können sollte, selbst wenn es sich dabei um Hilfstätigkeiten handeln würde. Insbesondere hat der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Zudem verfügt er nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad, sodass insgesamt von einem familiären Rückhalt im Rückkehrfall ausgegangen werden kann.

Selbst wenn er keinen Kontakt mehr zu seinen Familienangehörigen haben sollte, wobei dies aufgrund seiner unterlassenen Mitwirkung nicht feststellbar war, ist – im Einklang mit der aktuellen Sicherheitslage und der darauf aufbauenden Einschätzung des UNHCR zur Möglichkeit, wieder in Bagdad selbst ohne familiären Rückhalt Fuß fassen zu können - abzuleiten, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisen und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, keine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK und dem 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten haben. Ebensowenig besteht ein reales Risiko als Zivilperson Opfer von Gewalt aufgrund eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes zu werden.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation im Irak und den hiermit verbundenen Umständen spezifisch von willkürlicher Gewalt im Irak betroffen wäre. Daher ist auch diese Voraussetzung für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht erfüllt. Eine Gefahr eines ernsthaften Schadens durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Beschwerdeführers im Irak liegt ebenfalls nicht vor. Der Beschwerdeführer gehört weder einer Bevölkerungsgruppe an, die im Irak allgemein einer besonderen Gefahr ausgesetzt worden wäre, noch liegen individuelle Bedrohungen vor, die dazu führen könnten, dass der Beschwerdeführer bei Rückkehr in den Irak einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt worden wäre.

Ganz allgemein besteht im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 oder Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine diesbezüglichen Umstände bekannt geworden. Es ergeben sich auch aus dem Länderinformationsblatt für den Irak keine Gründe, die es naheliegen würde, dass bezogen auf den Beschwerdeführer, ein reales Risiko gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe besteht.

Aufgrund der zuvor genannten Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen war.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

3.3.1. Rechtslage:

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) unter anderem von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht hat, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG.

Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

3.4.1. Rechtslage

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Da der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt, stützte sich die belangte Behörde zu Recht auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist nämlich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtige Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0301; VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362; VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456; VwGH 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 mit Verweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; weiters VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542 und VwGH 09.01.2020, Ra 2019/18/0523).

Der Beschwerdeführer ist seit seiner illegalen Einreise (spätestens) am 17.10.2015 zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung etwa sechs Jahre in Österreich aufhältig. Die Aufenthaltsdauer für sich stellt allerdings lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Der seit der Antragstellung andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Das Gewicht seiner privaten Interessen wird dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 28.09.2019, Ro 2019/01/0003; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003; 23.10.2019, Ra 2019/19/0405; ua). Insbesondere fußt sein gesamter, bis zur Beschwerdeverhandlung etwa sechs Jahre dauernder Aufenthalt im Bundesgebiet auf einem unbegründeten Asylantrag, welchen der Beschwerdeführer nach seiner illegalen Einreise stellte.

Auch wenn das persönliche Interesse an einem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Aufenthaltsdauer des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 03.03.2021, Ra 2021/19/0023 mit Verweis auf VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330; VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542; VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422).

Ein Aufenthalt von über fünf Jahren stellt dementsprechend zwar eine grundsätzlich beachtliche Zeitspanne, aber noch keinen solch langen Zeitraum dar, dessentwegen schon wegen der reinen Aufenthaltsdauer auf die Unzulässigkeit der Ausweisung zu erkennen wäre.

Hinsichtlich des Familienlebens ist auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Nr. 6833/74, Marckx).

Die Frage ob ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art 8 EMRK besteht, ist von den jeweils gegebenen Umständen und von der konkreten Lebenssituation abhängig. Es ist darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ob ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandte oder andere familiäre Beziehungen in Österreich, sodass das Bestehen eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK nicht weiter zu prüfen war. Auch kamen keine Hinweise auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft hervor.

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gegen Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Hinsichtlich seiner hervorgekommenen Kontakte ist jedoch festzuhalten, dass eine schützenswerte Nahebeziehung zu diesen Personen nicht ergründet werden konnte. Diese freundschaftlichen Kontakte mögen für den Beschwerdeführer subjektiv von Bedeutung sein, sind jedoch objektiv beurteilt nicht geeignet, den von Art. 8 EMRK geforderten hohen Maßstab aufgrund der fehlenden Intensität zu erreichen. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass seine privaten Beziehungen zwar durch eine Rückkehr in den Irak gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm derzeit in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Es steht ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.

Im Hinblick auf sein Privatleben ist festzuhalten, dass beim Beschwerdeführer keine entscheidungsrelevanten Gründe vorliegen, welche im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Verbleib im Bundesgebiet iSd Art. 8 EMRK erkennen lassen. Im gegenständlichen Fall liegen nämlich trotz der Aufenthaltsdauer von über sechs Jahren keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde bzw. der Dauer seines Aufenthaltes entsprechen würde. Dazu ist auszuführen, dass wenn die Partei die erforderliche Mitwirkung unterlässt, der Behörde aus der Unterlassung weiterer Ermittlungen kein Vorwurf gemacht werden kann (zB VwGH 20.09.1999, 98/21/0138). So kann die Untätigkeit der Partei im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung - idR zu Lasten der Partei - berücksichtigt werden (zB VwGH 26.02.2002, 2001/11/0220; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 172). Dies gilt im selben Maße auch für das erkennende Gericht. Weitere Feststellungen zu einer allfälligen Integration konnten daher nicht erfolgen bzw. konnte auch hinsichtlich seines Beschwerdevorbringens kein entscheidungsmaßgeblicher Grad an Integration entnommen werden, der der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde.

Selbst wenn man zugunsten des Beschwerdeführers seine Teilnahme an einem Deutschkurs auf dem Niveau A2 und die positive Absolvierung einer Deutschprüfung auf dem Niveau A1 wertet, so ist doch klar hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer nicht zur mündlichen Beschwerdeverhandlung erschienen ist, sodass allfällige neu erworbene Deutschkenntnisse nicht berücksichtigt werden konnten. Dieser Aspekt seiner Integration reicht zudem nicht aus, um eine nachhaltige integrative Verfestigung im Bundesgebiet darzulegen. Es war außerdem eine Negativfeststellung hinsichtlich der Verrichtung von gemeinnützigen Tätigkeiten, der Teilnahme an Aus- oder Weiterbildungen und der Mitgliedschaft in einem Verein zu treffen. Nicht verkannt wird im gegenständlichen Fall, dass er bereits über eine Beschäftigungsbewilligung verfügte und auch zeitweise in Österreich erwerbstätig war. Nichtsdestotrotz überwiegen die Zeiten der Finanzierung seines Lebensunterhalts durch staatliche Sozialleistungen und ist er auch derzeit wieder im Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, sodass auch nicht von einer Selbsterhaltungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Dies entspricht jedoch nicht den Erwartungen, welche man an einen Asylwerber nach einem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

In einer Gesamtschau kamen somit keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht hervor und konnte damit eine besondere integrative Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers – trotz seines mehrjährigen Aufenthaltes - nicht angenommen werden. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermag seine persönlichen Interessen zudem nicht entscheidend zu stärken (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029), da der VwGH davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

In diesem Zusammenhang ist auf die höchstgerichtliche Judikatur hinzuweisen, wonach die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (vgl. VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720). Wie festgestellt sind keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht hervorgekommen und konnte damit eine besondere integrative Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers – trotz seines mehrjährigen Aufenthaltes - nicht angenommen werden.

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass „eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.").

Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen, sodass in einer Gesamtschau keine vollkommene Entwurzelung des Beschwerdeführers gegeben ist. Unter dem Gesichtspunkt nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 kann der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen. Ein diesbezügliches Vorbringen hat freilich im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht in jeder Konstellation Relevanz. Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens ihres Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0440 mit Verweis auf VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen entgegen. So steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407). Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig angesehen werden.

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen war.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):

3.5.1. Rechtslage:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 25.09.2019, Ra 2019/19/0399).

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für den Irak nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0036; 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3).

Dies wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass der volljährige, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der in seinem Herkunftsstaat über eine mehrjährige Schulausbildung und Arbeitserfahrung verfügt und dessen Familienangehörige nach wie vor in der Heimatstadt des Beschwerdeführers aufhältig sind, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Insbesondere hat er den überwiegenden Teil seines Lebens im Irak verbracht und beherrscht die Landessprache, sodass von einer vollkommenen Entwurzelung jedenfalls nicht gesprochen werden kann.

Hinsichtlich der derzeitigen COVID-19 Pandemie ist auszuführen, dass für den Beschwerdeführer keine besondere Gefährdung ersichtlich ist. Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe an.

Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Irak - letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.04.2010, 2009/21/0055). Im Umstand, dass in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar Bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, liegt für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und somit auch keine Unzulässigkeit einer Abschiebung in den Herkunftsstaat.

Ökonomische Schwierigkeiten hat der Beschwerdeführer hinsichtlich der allgemeinen Lage angedeutet, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden jedoch wirtschaftliche Gründe keine asylrechtlich relevante Verfolgung bewirken (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erk. d. VwGH vom 28.06.2005, 2002/01/0414 oder vom 06.03.1996, 95/20/0110 oder vom 20.06.1995, 95/19/0040), weshalb das Vorliegen dieser Gründe eine Abschiebung nicht unzulässig macht.

Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak zu einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen.

3.6. Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der belangten Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige „besondere Umstände“ wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde erweist sich folglich insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

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