European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200407.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet. Sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Beide stellten am 23. Juni 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). 2 Mit den Bescheiden je vom 29. März 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im zweiten Rechtsgang) diese Anträge ab, erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit den Erkenntnissen je vom 13. Mai 2019 als unbegründet ab. Die Erhebung von Revisionen erklärte das Verwaltungsgericht für nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
4 Dagegen brachten die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof ein, der mit Beschluss vom 26. Juni 2019, E 2200-2201/2019-5, die Behandlung derselben ablehnte und die Beschwerden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen erhoben. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Die revisionswerbenden Parteien machen zur Zulässigkeit der Revisionen geltend, es könne einer Verfolgung schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn der Grund "in der bloßen Angehörigeneigenschaft" des Asylwerbers, also "in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten ‚sozialen Gruppe' im Sinn" der Genfer Flüchtlingskonvention liege. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher auf die Frage "eines Zusammenhanges der Verfolgungsgefahr mit der Familienangehörigkeit der" revisionswerbenden Parteien eingehen müssen. Es sei dabei nicht entscheidend, ob "das Familienmitglied seinerseits" aus Konventionsgründen verfolgt werde.
10 Dieses Vorbringen führt schon deswegen nicht zur Zulässigkeit der Revisionen, weil das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat. Die (im Übrigen: nicht als unschlüssig anzusehenden) Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Beweiswürdigung werden in der nach § 28 Abs. 3 VwGG zur Darlegung der Revisionszulässigkeit gesondert erstatteten und gemäß § 34 Abs. 1a VwGG für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen Begründung nicht bekämpft. Sohin hängt das Schicksal der Revisionen, die in Bezug auf das behauptete Verfolgungsszenario nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen, von der angeführten Frage nicht ab. 11 Die revisionswerbenden Parteien wenden sich auch gegen die bei Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) erfolgte Interessenabwägung und verweisen auf ihren nahezu sechs Jahre währenden Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Verwaltungsgerichtshof habe klargestellt, dass dem Aspekt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG, wonach zu berücksichtigen sei, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz habe, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen könne (Hinweis auf VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325). Die revisionswerbenden Parteien hätten die Zeit ihres Aufenthalts in Österreich "für ihre sprachliche, persönliche und soziale Integration genutzt" und seien "im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch ehrenamtlich tätig bzw. geringfügig erwerbstätig" gewesen. Auch sei die Dauer des Asylverfahrens nicht angemessen gewesen.
12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/14/0260, mwN).
13 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. auch dazu VwGH 25.6.2019, Ra 2019/14/0260, mwN). 14 Das Bundesverwaltungsgericht hat alle für die Interessenabwägung fallbezogen maßgeblichen Umstände, im Besonderen auch die Dauer des Aufenthalts der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet, berücksichtigt.
15 Es ist in diesem Zusammenhang auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
16 Soweit die revisionswerbenden Parteien auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Februar 2017, Ra 2016/21/0325, verweisen, trifft es zwar zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Aspekt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz hat, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen könnte. Der dort entschiedene Fall, in dem dem Verwaltungsgericht der Vorwurf zu machen war, den Aspekt des unsicheren Aufenthaltsstatus in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gerückt zu haben, ist aber mit der hier vorliegenden Konstellation schon deswegen nicht vergleichbar, weil sich der (unbescholtene) Revisionswerber im zu Ra 2016/21/0325 entschiedenen Fall im Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung bereits mehr als 15 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte.
17 Dass das Bundesverwaltungsgericht nach persönlicher Anhörung der (im Übrigen nach den Feststellungen wegen falscher Beweisaussage und die Zweitrevisionswerberin zudem wegen Vortäuschung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilten) revisionswerbenden Parteien und nach ausführlicher Abwägung sämtlicher maßgeblicher Umstände in den vorliegenden Fällen letztlich zum Ergebnis gekommen ist, es müsse unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass sie mit ihrem Verhalten letztlich versuchen, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003; 26.6.2019, Ra 2019/21/0016, jeweils mwN), ist nicht zu beanstanden. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es lägen auch unter Bedachtnahme auf die Dauer des Aufenthalts in Österreich keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, die zu einem gegenteiligen Ergebnis zu führen hätten, steht - entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien - mit dem Gesetz im Einklang.
18 Von den revisionswerbenden Parteien werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen. Wien, am 2. September 2019
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