VwGH 2005/20/0080

VwGH2005/20/008021.4.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des O, geboren 1974, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. November 2004, Zl. 219.169/6-III/12/03, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist in einer Asylsache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres) zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1324;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ZPO §146;
ABGB §1324;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ZPO §146;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit dem ihm am 18. September 2000 zugestellten Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. September 2000 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria festgestellt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 4. Oktober 2000 eine Berufung, die mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Oktober 2000 (unangefochten) als verspätet zurückgewiesen wurde.

Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2000 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung wurde - zusammengefasst - vorgebracht, der Beschwerdeführer habe bei der Verfassung der Berufung die Hilfe der Flüchtlingsberatungsstelle der Caritas Eisenstadt in Anspruch genommen. Diese habe die "Reinschrift" der Berufung übernommen und sie einer Mitarbeiterin der Caritas in Neudörfl per Post übersendet. Am 2. Oktober 2000, dem letzten Tag der Berufungsfrist, sei dem Beschwerdeführer die Berufung "nachmittags" vorgelegt und von ihm unterzeichnet worden. Ihm sei von der anwesenden Caritas-Mitarbeiterin versprochen worden, dass die Berufung rechtzeitig zur Post gegeben werde. Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, dass dies noch am selben Tag geschehen würde. Aufgrund eines Versehens habe die Caritas-Mitarbeiterin jedoch angenommen, dass der letzte Tag der Berufungsfrist der 3. Oktober 2000 wäre. Sie habe den Brief einem Kollegen übergeben, der die Berufung am nächsten Tag zum Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, hätte bringen sollen, was versehentlich erst am 4. Oktober 2000 geschehen sei. Der Berufungswerber habe nicht damit rechnen können, dass den sonst verlässlichen Caritas-Mitarbeitern "ein solches Missgeschick" unterlaufen würde. Er habe erst durch die Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses von der Fristversäumung Kenntnis erlangt.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom 26. November 2004 wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei (unter anderem) gegen die Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Die belangte Behörde ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter der Caritas vom Beschwerdeführer nicht bevollmächtigt wurden und daher dem Beschwerdeführer - anders als bei einem Vertreter - deren Verschulden nicht zuzurechnen ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1998, Zl. 97/20/0693, betreffend die verspätete Postaufgabe einer Berufung durch einen Flüchtlingsberater, und daran anschließend zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2004, Zl. 2004/20/0122, mit weiteren Nachweisen). Zu Recht hat die belangte Behörde daher geprüft, ob den Beschwerdeführer "persönlich am Unterlassen der rechtzeitigen Berufung kein Verschulden oder ein nur minderer Grad des Versehens trifft".

In diesem Sinne führte der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits zitierten, einen weitgehend ähnlichen Fall betreffenden Erkenntnis vom 7. Mai 1998 aus, für einen Wiedereinsetzungswerber wäre nichts gewonnen, wenn ihm selbst ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden bei der Auswahl oder der erforderlichen Überwachung der Hilfsperson vorzuwerfen wäre. Fallbezogen ging der Verwaltungsgerichtshof damals davon aus, auf ein Verschulden bei der Auswahl der Hilfsperson deute nichts hin. Einen Asylwerber, für den sich kein Anlass ergeben habe, an der Verlässlichkeit eines von ihm beigezogenen Caritas-Beraters zu zweifeln, treffe aber auch kein und jedenfalls kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes, als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Verschulden, wenn er sich nicht im nachhinein davon zu überzeugen versucht, dass der Caritas-Berater die vom Asylwerber unterfertigte Berufung, wie zugesagt, noch am selben Tag zur Post gegeben hat. Diese Überlegungen gelten auch für den vorliegenden Fall.

Dem entsprechend hat auch die belangte Behörde die Annahme einer gravierenden Sorgfaltswidrigkeit des Beschwerdeführers im Ergebnis nicht auf ein grobes Auswahlverschulden oder auf eine grob schuldhafte Verletzung einer Überwachungspflicht gestützt. Sie hat aber angenommen, der Beschwerdeführer hätte "für den vorliegenden Fall des Einsatzes eines Boten am letzten Tag der Einbringungsfrist" die Caritas-Mitarbeiterin "eindringlich" darauf hinweisen müssen, dass "dieser Tag der Unterschriftsleistung auch der letzte Tag der Rechtsmittelfrist ist". Angesichts der konkreten Umstände des Falles, wonach rechtsberatend eine andere Institution, nämlich die Caritas Eisenstadt, tätig geworden sei und daher nur dem Berufungswerber selbst und den Mitarbeitern der Caritas Eisenstadt "die näheren Umstände der Zustellung als Grundlage für die Berechnung der Rechtsmittelfrist bekannt sein mussten", habe der Beschwerdeführer daher nicht darauf vertrauen dürfen, dass "auch der Botin das letztmögliche Einbringungsdatum für die Berufung bewusst sein musste". Die sorgfältige Durchführung von Aufträgen könne sich nämlich nur im Rahmen der vom Auftraggeber vorgezeichneten Vorgaben bewegen.

Damit überspannt die belangte Behörde die für einen Asylwerber angenommene Hinweispflicht gegenüber einem Flüchtlingsberater. Ausgehend von dem der angefochtenen Entscheidung zugrundegelegten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wurde dem Beschwerdeführer bei der Unterfertigung der Berufung am 2. Oktober 2000 von der Caritas-Mitarbeiterin nämlich ausdrücklich "versprochen", die Berufung "noch rechtzeitig" zur Post zu bringen. Im Hinblick auf diese Zusage der Mitarbeiterin einer Flüchtlingshilfsorganisation, an deren Verlässlichkeit keine Zweifel bestehen mussten, durfte der Beschwerdeführer davon ausgehen, die Caritas-Mitarbeiterin sei in Kenntnis vom Fristende an diesem Tag. Er musste - mangels diesbezüglicher konkreter Anhaltspunkte - nicht unterstellen, die Mitarbeiterin der Caritas Neudörfl sei (im Zusammenhang mit der Übermittlung der "Reinschrift" der Berufung durch die Kollegen in Eisenstadt) vom Ablauf der Berufungsfrist am 2. Oktober 2000 nicht informiert worden. Angesichts der erwähnten Zusage durfte der Beschwerdeführer somit annehmen, dass die Postaufgabe noch fristgerecht, somit am selben Tag erfolgen werde. Entgegen der wiedergegebenen Auffassung der belangten Behörde bestand für den Beschwerdeführer kein Anlass, die Flüchtlingsberaterin seinerseits auf den bevorstehenden Fristablauf hinzuweisen. Jedenfalls lässt sich - vor dem Hintergrund der notorischen Ausgangslage, dass ein nicht sprach- und rechtskundiger Asylwerber einem Flüchtlingsberater gegenübersteht - unter den vorliegenden Umständen nicht sagen, der Beschwerdeführer habe bei der Unterlassung eines "eindringlichen" Hinweises auf das am selben Tag eintretende Ende der Berufungsfrist das zumutbare Maß an Aufmerksamkeit so extrem unterschritten, dass sich darauf das Urteil auffallender Sorglosigkeit gründen lässt (vgl. zu diesem Maßstab das hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2001/01/0559; zum Begriff grober Fahrlässigkeit auch Reischauer in Rummel, ABGB3 (2004) Rz 3, 7 und 8 zu § 1324 ABGB, und aus der dort nachgewiesenen Judikatur insbesondere die jeweils zu § 146 ZPO ergangenen Entscheidungen des OGH vom 4. März 1987, EvBl. 1987/94, und vom 24. Jänner 1989, RZ 1989/69; weiters Gitschthaler in Rechberger, ZPO2 (2000) Rz 6 zu § 146 ZPO; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0337).

Das hat die belangte Behörde verkannt, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 und erfolgte im ausdrücklich verzeichneten Umfang.

Wien, am 21. April 2005

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