BVwG W264 2117069-2

BVwGW264 2117069-210.12.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W264.2117069.2.00

 

Spruch:

W264 2117069-2/9E

 

W264 2117071-2/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, (BF1) vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie & Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.7.2018, 1091049507/151553507, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie & Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.7.2018, 1091049006/151553515, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

Zur leichteren Nachvollziehbarkeit wird festgehalten, dass die Abkürzungen BF1 und BF2 im Folgenden - zur leichteren Lesbarkeit dieser Entscheidung - beibehalten werden.

 

1. BF1 und BF2, afghanische Staatsangehörige, reisten begleitet von einem Sohn unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten im Oktober 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in der PI XXXX .

 

2. Am gleichen Tage wurden die beiden BF durch einen Gruppeninspektor (Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes) jeweils zu dem Fluchtgrund erstmals befragt.

 

Der BF1 gab an "aus Angst vor den Taliban bin ich mit meiner Familie aus Afghanistan geflüchtet. Sie haben meinen Bruder getötet. Aus Angst getötet zu werden, habe ich Afghanistan verlassen. Das ist mein Asylgrund".

 

Die BF2 gab an "aus Angst vor den Taliban bin ich mit meiner Familie aus Afghanistan geflüchtet. Sie haben meinen Schwager und meinen Bruder getötet. Aus Angst um unser Leben haben wir Afghanistan verlassen. Das ist mein Asylgrund".

 

3. Die beiden BF wurden jeweils zweimal vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") einvernommen.

 

3.1. Am 5.12.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") jeweils die niederschriftliche Einvernahme der BF2 und des BF1 statt.

 

3.1.1. Der BF1 legte dem BFA Folgendes vor:

 

3.1.1.1. Dokumente:

 

* afghanischen Reisepass (gültig bis 7.6.2019)

 

* Aufenthaltskarte für Fremde in der Türkei

 

* abgelaufenen Reisepass mit Daten der Ehefrau und des Sohnes

 

* Dienstausweis

 

3.1.1.2. medizinische Unterlagen:

 

* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 4.12.2017 über Vorstelligkeit des BF1 am 9.10.2017 und wird berichtet, dass der BF1 wegen chron. Kopfschmerzsymptomatik beim Neurologen Dr. XXXX "kürzlich" begutachtet wurde. Diagnose des Ambulatoriums: F32.1.

Depressio. Medikament: Cipralex 10mg in Dosierung 1-0-0-0

 

* Arztbrief Dris. XXXX , XXXX , FA für Neurologie & Psychatrie vom 1.12.2017, worin in der Anamnese berichtet wird, dass der den BF1 begleitende Sohn über "depressive Symptomatik seit gut 15 Jahren berichtet", CCT zeigt metallischen Fremdkörper, weiters besteht Vergesslichkeit, einmalig auch verwirrt. Befund: Zusammenhang der Kopfschmerzen mit dem Fremdkörper der Galea besteht nicht, ich sehe keine Notwendigkeit diesen operativ zu entfernen. Der Kopfschmerz wird wie Spannungskopfschmerz mit psych. Aggravation geschildert, ich rate zusätzlich zur Einnahme von Saroten abends.

 

* Befundbericht des Diagnosezentrums XXXX vom 29.8.2017 über CT Schädel wegen Zuweisungsdiagnose "Vergesslichkeit, fragliche Demenz, DD Pseudodemenz bei Depressio, organisches Korrelat? Allgemeinveränderungen?" mit Ergebnis: Metallfremdkörper in der Gelea rechts frontopariental. Sonst an der Schädelkalotte keine weiteren Auffälligkeiten. Unauffällige Weite der Liquorräume, anlagebedingte leichte Asymmetrie zugunsten links. Periventrikulär mäßig ausgebildete flaue Hypodensitäten - mäßig ausgebildete SAE. Regelrechte Lage der Mittellinie, keine Raumforderungszeichen.

Ergebnis: 1. Mäßige mikrovasuläre Veränderungen, keine Raumforderungszeichen. 2. Metallfremdkörper in der Galea rechts frontopariental.

 

3.1.1.3. sonstige Unterlagen:

 

* Vereinbarung mit XXXX über max. 3std. gemeinnützige Tätigkeit, Entlohnung 4 EUR pro Stunde

 

* VHS Kursantrittsbestätigung, Anmeldebestätigung und Deutschkurs-Bestätigung jeweils vom Flüchtlingsprojekt XXXX (Alphabetisierung/Basisbildung)

 

* Teilnahmebestätigungen für Info-Modul "Zusammenleben" und für Veranstaltung "Aufsichtspflicht"

 

* Auszeichnung des BMI Integrationskurs (erfolgreich bestanden, 30 von 40 Punkten)

 

* Werte- und Orientierungskurs Teilnahmebestätigung vom 20.7.2017

 

3.1.2. Die BF2 legte dem BFA Folgendes vor:

 

3.1.2.1. sonstige Unterlagen:

 

* Anmeldebestätigung und Teilnahmebestätigung Alphabetisierungskurs

 

* VHS Teilnahmebestätigung Basisbildung & Deutsch als Zweitsprache

 

* Deutschkursbestätigung

 

* Werte- und Orientierungskurs Teilnahmebestätigung vom 20.7.2017

 

* Auszeichnung des BMI Integrationskurs (erfolgreich bestanden; 40+ von 40 Punkten)

 

3.1.2.2. medizinische Unterlagen:

 

* "Anweisung für Transportkosten"-Schein für Rücktransport am 14.10.2015 aus dem Landesklinikum XXXX wegen Zustand nach Fehlgeburt (abortus non recens)

 

3.2. Am 14.6.2018 fand vor dem BFA nochmals jeweils die niederschriftliche Einvernahme der BF2 und des BF1 statt.

 

3.2.1. Der BF1 wurde zu den von ihm vorgelegten Dokumenten aus der Türkei befragt, welche lauten auf den Namen XXXX und zu seinem Gesundheitszustand befragt.

 

3.2.1.1. Der BF1 legte dem BFA Folgendes vor:

 

3.1.1.1. sonstige Dokumente:

 

* Zertifikat über Deutsch Basisbildung A1 (384 UE) vom 11.9.2017 - 8.5.2018

 

3.2.1.1. medizinische Unterlagen:

 

* Fachärztlicher Befundbericht des XXXX vom 11.6.2018, wonach der BF1 seit August 2017 in fachärztlicher Behandlung dort steht. Chronische Kopfschmerzsymptomatik, daher Begutachtung beim Neurologen Dr. XXXX , eingeleitete Schmerztherapie erbrachte keine Verbesserung der Schmerzsymptomatik. "Auf Wunsch des Patienten erfolgte eine operative Sanierung bzw Entfernung eines Metallfremdkörpers in der Gelea rechts frontopariental. Laut Anamnese handelt es sich um Granatsplitter, bei jenem Granatangriff seien drei Mitsoldaten vor seinen Augen verstorben, nur er und ein weiterer Soldat hätten überlebt". Ausgeprägte Sprachbarriere, Kommunikation großteils über Sohn. Dieser schildert zunehmende Vergesslichkeit des Vaters, eventuell eine depressive Pseudodemenz, andererseits wäre eine dementielle Entwicklung differentialdiagnostisch ebenfalls zu überlegen - diesbezüglich soll eine weitere Diagnostik bzw Verlaufskontrolle erfolgen." Medikation:

Cipralex 10mg: 1-0-0-0

 

* Entlassungsbrief Pflege (Situationsbericht) des KH XXXX vom 25.5.2018: "Der Patient Hr. XXXX , geb. XXXX , ist zum Zeitpunkt der Entlassung selbständig und bedarf keiner Unterstützung durch professionelle Pflege. Dies bezieht sich nicht auf die Unterstützung, welche vor oder nach dem Krankenhausaufenthalt im häuslichen Umfeld benötigt wurde oder wird."

 

* Patientenbrief des KH XXXX vom 25.5.2018, Abteilung Plastische Chirurgie", Aufnahme wegen Metallsplitter rechts pariental, OP am 24.5.2018, frühere Erkrankungen: Rheumatisches Geschehen.

 

3.2.2. Die BF2 wurde zu der türkischen Aufenthaltberechtigungskarte befragt welche lautet auf den Namen XXXX und wurde sie auch zu dem Gesundheitszustand befragt.

 

3.2.2.1. Die BF2 legte dem BFA Folgendes vor:

 

3.2.2.1. sonstige Dokumente:

 

* Zertifikat über Deutsch Basisbildung A1 (366 UE) vom 11.9.2017 - 8.5.2018

 

4. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.

 

5. Dagegen wurde mit Schriftsatz des Rechtsberaters das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Die bezughabenden Fremdakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 6.8.2018 ein.

 

5.1. Bezüglich Gesundheit des BF1 wurden dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen angeschlossen:

 

* Fachärztlicher Befundbericht des XXXX vom 11.6.2018, wonach der BF1 seit August 2017 in fachärztlicher Behandlung dort steht. Chronische Kopfschmerzsymptomatik, daher Begutachtung beim Neurologen Dr. XXXX , eingeleitete Schmerztherapie erbrachte keine Verbesserung der Schmerzsymptomatik. "Auf Wunsch des Patienten erfolgte eine operative Sanierung bzw Entfernung eines Metallfremdkörpers in der Gelea rechts frontopariental. Laut Anamnese handelt es sich um Granatsplitter, bei jenem Granatangriff seien drei Mitsoldaten vor seinen Augen verstorben, nur er und ein weiterer Soldat hätten überlebt". Ausgeprägte Sprachbarriere, Kommunikation großteils über Sohn. Dieser schildert zunehmende Vergesslichkeit des Vaters, eventuell eine depressive Pseudodemenz, andererseits wäre eine dementielle Entwicklung differentialdiagnostisch ebenfalls zu überlegen - diesbezüglich soll eine weitere Diagnostik bzw Verlaufskontrolle erfolgen." Medikation:

Cipralex 10mg: 1-0-0-0

 

5.2. Bezüglich Gesundheit der BF2 wurden dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen angeschlossen:

 

* Gesundheitlicher Bericht Dris. XXXX , Allgemeinmediziner, vom 27.7.2018, wonach die BF2 an "Depressionen, Lumbago und CVS-Syndrom" leide und "zur Zeit arbeitsunfähig" sei

 

* MRT-Befund rechtes Kniegelenk des XXXX , vom 20.7.2018:

mäßiggradiger Kniegelenkserguss mit Ausbildung von hypertrophen Synovialzotten wie bei Synovitis iS eines länger bestehenden Prozesses. Deutliche Verschmälerung des Knorpelüberzugs, stellenweise fast eine Knorpelglatze mit suchondoralem össären Ödem. Innenmeniscus deutlich verschmälert mit Zeichen einer schräg horizontalen femurseitigen Ruptur im Hinterhornbereich. Im lateralen femorotibialen Kompartment Knorpelüberzug etwas besser erhalten und Außenmeniscus ohne Rupturkriterien. Retropatellar medialseits mehrere Knorbelfissuren, die stellenweise bis zur Corticalis reichen. Kreuz- und Seitenbänder intakt.

 

6. Am 16.10.2019 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher BF1 und BF2 jeweils unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht zu den Fluchtgründen im Beisein des Rechtsberaters befragt wurden.

 

Die erkennende Richterin forderte in der Verhandlung jeweils BF1 und BF2 auf, in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen wurde und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Jeweils wurden diese aufgefordert: "Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit Ihres Fluchtberichts". Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen".

 

Daraufhin begannen - jeweils voneinander getrennt ohne Beisein des jeweils anderen - BF1 und BF2 die Fluchtgründe und die Familienverhältnisse zu schildern und wurden seitens der erkennenden Richterin dazu Fragen gestellt. Die Verhandlungsschrift wurde auf Wunsch der beiden BF diesen nicht rückübersetzt, sondern begehrten diese, dass die Rechtsberaterin diese durchlese. Dieser erhob gegen die Verhandlungsschrift keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit.

 

Die Rechtsberaterin gab an, dass aus den Länderberichten vorgehe, dass den BF schon auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes und des fehlenden sozialen Netzwerkes eine Rückkehr nicht zumutbar sei.

Nochmals ausdrücklich werde auf den Land Info Bericht: "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" verwiesen, aus dem hervorgehe, dass die Taliban über ein landesweites Netzwerk verfügen und auch "Feinde" aus dem Taliban Emirat von 1996 - 2001 weiterhin verfolgen. Zur Situation von Frauen werde auf die aktuelle UNHCR-Richtlinie vom August 2018 verwiesen, insbesondere über die Ausführungen von "verwestlichten" Frauen und werde im Übrigen auf die Beschwerdeschriftsätze hingewiesen.

 

Die erkennende Richterin gab der Rechtsberaterin mit auf dem Weg, dass für den Fall, dass es neue medizinische Unterlagen gibt bzw. neue Länderinformationen, ersucht wird, dass diese dem Gericht übermittelt werden und wurde mitgeteilt, dass die erkennende Richterin beabsichtigt, den Länderbericht in der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung ihrer Entscheidung zu Grunde legen.

 

Der Rechtsberaterin wurde seitens der erkennenden Richteirn mitgeteilt, dass für den Fall, dass bis zur Zustellung der Entscheidung eine neue Fassung des Länderberichts der Staatendokumentation herauskommen sollte, eine allfällige Stellungnahme hiezu dem Gericht ohne Aufforderung zu übermitteln ist.

 

7. In der Verhandlung wurden Dokumente vorgelegt, von welchen Kopien angefertigt wurden:

 

7.1. Betreffend BF1:

 

* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 14.10.2019, wonach wegen ausgeprägter Sprachbarriere die Kommunikation zum Großteil über den Sohn XXXX erfolgt, welcher "weiterhin zunehmende Vergesslichkeit" schildert, eventuell ist eine depressive Pseudodemenz eine Teilkomponente der Gesamtsymptomatik, dementielle Entwicklung ist aber aufgrund der Verlaufskontrollen und der initialen leichten Besserung unter antidementiver Therapie anzunehmen. Wegen abgelehntem Asylbescheid "anhaltend dauerhafte Sorge und Grübeln, massive nächtliche Ängste und Schlafstörungen mit Alpträumen", zusätzlich ist von einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Wegen kognitive Defizite fast unmöglich, dass BF1 Deutschkenntnisse erlangt (seit 4 Jahren Alphakurs-Niveau)

 

* Teilnahmebestätigung "Sprache und Mehr ab Tag 1", vom 14.10.2019 (144 UE), ausgestellt von XXXX Wien GmbH

 

* Teilnahmebestätigung "Integrationsarbeit & Gesundheitsförderung im öff. Raum", XXXX vom 14.12.2018 (Näharbeiten, hauswirtsch. Tätigkeiten)

 

* Zertifikate Alphabetisierung (90 UE) von 18.3. - 30.4.2019 [Lehrinhalt unter anderem: Deutschbildungsmaßnahmen] und Deutsch Basisbildung A1 (384 UE) von 11.9.2017 - 8.5.2018

 

7.2. Betreffend BF2:

 

* Gesundheitlicher Bericht Dris. XXXX , Allgemeinmediziner, vom 14.10.2019, wonach die BF2 an "Depressionen, Lumbago und CVS-Syndrom" leide und "zur Zeit arbeitsunfähig" sei

 

* Aufenthaltsbestätigung XXXX über zweitätigen Aufenthalt im Feber 2019

 

* Stationärer Patientenbrief des XXXX vom 14.2.2019 betreffend Arthroskopische Operation des Kniegelenks und Rehabilitationsplanerstellung. Aufnahme erfolgte wegen länger bestehenden Schmerzen im rechten Kniegelenk, in klinischer Untersuchung keine Schwellung oder Rötung ersichtlich.

 

Medikation: Pantoloc 20mg: 1-0-0-0; Seractil 400mg für 14 Tage:

1-0-1-0; Novalgin: 1-1-1-0; Lovenox: bis zur Vollbelastung. Unter Anleitung der do. Physiotherapie konnte die BF2 zufriedenstellend im 4-Punkte-Gang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmstützkrücken mobilisiert werden und ließen sich die postoperativen Schmerzen durch die do. verabreichte Schmerzmedikation gut behandeln. Nach unkompliziertem stationärem Verlauf wurde BF2 in gutem Allgemeinzustand und subjektiv beschwerdearm in häusliche Pflege entlassen; Entlassung: "nach Hause"; Allergien, Unverträglichkeiten und Risiken: keine bekannt. Zur Qualitätssicherung Nachkontrollen vereinbart und laut Patientenbrief werden diese "Termine mit der Patientin infolge vereinbart"

 

* Teilnahmebestätigung "Sprache und Mehr ab Tag 1", vom 14.10.2019 (144 UE), ausgestellt von XXXX Wien GmbH

 

* Zertifikat "Deutsch Basisbildung A1" (366 UE) von 11.9.2017 - 8.5.2018

 

* Zertifikat "Deutsch Basisbildung A1" (450 UE) von 5.11.2018 - 28.6.2019

 

* Teilnahmebestätigung "Integrationsarbeit & Gesundheitsförderung im öff. Raum", XXXX vom 14.12.2018 (Nähwerkstatt)

 

7. Mit Telefax - eingelangt am 8.11.2019 - wurden zum Beweise der gesundheitlichen Beeinträchtigung des BF1 vorgelegt:

 

* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 4.11.2019, wonach wegen ausgeprägter Sprachbarriere die Kommunikation zum Großteil über den Sohn XXXX erfolgt, welcher "weiterhin zunehmende Vergesslichkeit" schildert, eventuell ist eine depressive Pseudodemenz eine Teilkomponente der Gesamtsymptomatik, dementielle Entwicklung ist aber aufgrund der Verlaufskontrollen und der initialen leichten Besserung unter antidementiver Therapie anzunehmen. Wegen abgelehntem Asylbescheid "anhaltend dauerhafte Sorge und Grübeln, massive nächtliche Ängste und Schlafstörungen mit Alpträumen", zusätzlich ist von einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Wegen kognitive Defizite fast unmöglich, dass BF1 Deutschkenntnisse erlangt (seit 4 Jahren Alphakurs-Niveau)

 

* Bestätigung Hilfstätigkeit des BF1 bei der XXXX Wien vom 21.10.2019 10x auf freiwilliger Basis (Malerarbeiten, Reinigungsarbeiten, Unterstützung beim Transport) im Ausmaß von 130 Arbeitsstunden

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide des BFA, der im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente und abgegebenen Stellungnahmen und übermittelten Beweismittel, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Fremdakte der belangten Behörde, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister und das GrundversorgungsInformationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

 

1.1. Feststellungen zu den beiden Beschwerdeführern und zu deren Fluchtgründen:

 

1.1.1. Die Identität des BF1 steht fest. Die Identität der BF2 steht mit der für das Verfahren erforderlichen Sicherheit fest. Die beiden reisten im Oktober 2015 in Umgehung der Grenzkontrollen in Begleitung des XXXX , geb. XXXX , in das Bundesgebiet ein.

 

1.1.2. Die beiden stellten in Österreich am 14.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

1.1.3. BF 1 und BF2 sind jeweils afghanische Staatsbürger aus der Volksgruppe der Tadschiken.

 

1.1.4. BF1 und BF2 wurden jeweils im Herkunftsstaat sozialisiert. BF1 und BF2 sind ein Ehepaar und haben keine unmündigen minderjährigen Kinder. Sie gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. BF1 lebte vor seiner Einreise im Herkunftsstaat, im Iran und in der Türkei. Er hat in Mazar-e Sharif, in Kabul und in Kandarhar gelebt und in der Baubranche (Straßenbau und Fahrzeugwerkstatt) und in der Teppichproduktion sowie als Soldat Berufserfahrung erlangt. Weder BF1, noch BF2 haben vor ihrer Einreise nach Österreich eine Schulbildung erlangt.

 

1.1.5. BF1 und BF2 sind jeweils der Glaubensgemeinschaft der Sunniten angehörig und bekennen sich somit zur Staatsreligion Afghanistans.

 

1.1.6. BF1 ist der Sprachen Dari und Farsi mächtig. Die BF2 spricht Dari (Muttersprache). In Österreich haben der BF2 und die BF1 über mehrere Monate jeweils Kurse zur Erlangung der Basisbildung in Deutsch besucht und können sich über Alltägliches in deutscher Sprache nicht verständig machen.

 

1.1.7. BF1 und BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

1.1.8. Weder BF1, noch BF2 leiden an lebensbedrohlichen Krankheiten und sind diese daher jeweils erwerbsfähig.

 

1.1.9. Der BF1 war in Österreich bereits freiwillig erwerbstätig.

 

1.1.10. BF1 und BF2 bestreiten den Lebensunterhalt in Österreich durch staatliche Grundversorgung.

 

1.1.11. BF1 und BF2 verfügen als Familienangehörige im Bundesgebiet über einen erwachsenen Sohn. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beiden BF keine Angehörigen in Afghanistan haben.

 

1.1.12. Die beiden BF konnten eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese beiden BF einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt waren bzw. ihnen eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht: Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die beiden BF bei Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wären.

 

1.1.13. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die beiden BF als Angehörige der Tadschiken sowie als Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft bzw dass jeder Mensch des Volksstammes und / oder der Religionsgemeinschaft der beiden BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

 

1.1.14. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret die beiden BF aufgrund der Tatsache, dass sie sich zuletzt in Europa, im Iran und in der Türkei aufgehalten haben, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa, dem Iran und der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist. Den beiden BF droht bei Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.

 

1.1.15. Die BF2 ist im Herkunftsstaat nicht einer Verfolgung allein aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hat, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die BF2 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.

 

1.1.16. Die beiden BF haben in Afghanistan in Mazar-e Sharif, in Kabul und in Kandarhar gelebt. Die Herkunftsprovinz der beiden ist Kapisa.

 

Laut aktuellem Länderbericht verbindet eine Hauptstraße die Hauptstadt der Provinz Kapisa (Mahmood Raqi) mit Kabul (iMMAP 19.9.2017).

 

Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen (AAN 24.4.2012). Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen (KP 23.5.2019); wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab (AN 21.5.2019). Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer - Afghania, Pachaghan und Ghin Dara - in Kapisa erobern (AT 24.3.2019).

 

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des

201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. FRP 5.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung sind derart, dass die UNAMA im Jahr 2018 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa dokumentierte. Dies entspricht einer Zunahme von 38% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 24.2.2019). Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen (KP 23.5.2019; vgl. KP 29.4.2019). Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch (z.B. KP 29.6.2019; KP 12.6.2019; MENAFN 8.5.2019; KP 29.4.2019; FRP 5.1.2019; PAJ 2.1.2019; PAJ 6.12.2018; XI 1.12.2018; PAJ 26.11.2018; NYT 26.9.2018; RFE/RL 21.4.2018; AA 11.3.2018; PAJ 6.3.2018; KP 1.3.2018). Auch werden Luftangriffe ausgeführt (PAJ 26.11.2018; UNAMA 25.9.2019, CC 27.7.2018) - in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet (CC 27.7.2018) oder Dörfer von den Taliban zurück erobert (PAJ 18.1.2019). Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften (XI 14.8.2019; vgl. FRP 5.1.2019).

 

Aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Nangarhar ist eine Rückkehr dorthin nicht möglich. Die Herkunftsprovinz scheidet als Ort für die Wiederansiedelung des BF nach seiner Rückkehr daher aus.

 

Ebenso scheidet die Hauptstadt Kabul vor dem Hintergrund des "Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des internen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.8.2018" als innerstaatliche Fluchtalternative aus.

 

1.1.17. Die beiden BF können sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) ansiedeln. Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Usbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

 

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

 

Daher wäre den beiden BF aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zumutbar.

 

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.

 

1.1.18. Die beiden BF können sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.

 

Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Ende Oktober 2017 wurde verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass Herat von Österreich aus gefahrlos über den Luftweg erreichbar ist.

 

Daher wäre den beiden BF aus obigen Gründen eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Herat zumutbar.

 

1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat der beiden

Beschwerdeführer:

 

Bezogen auf die Situation der BF1 und des BF2 sind folgende

Länderfeststellungen als relevant zu werten:

 

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:

 

Sicherheitslage

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). [...]

 

Kabul

 

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

 

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

 

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

 

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus.

 

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

 

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

 

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen:

Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

 

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen;

Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana;

Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

 

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

 

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

 

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).

 

Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).

 

Herat

 

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

 

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

 

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:

Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen.

 

Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

 

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

 

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

 

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

 

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

 

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation "Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat" vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).

 

Ad Herat aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF

 

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).

 

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).

 

Mazar-e Sharif (in Balkh)

 

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

 

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

 

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

 

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

 

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter

1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Ad Mazar-e Sharif (in Balkh) aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF

 

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).

 

Balkh

 

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar- e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt:

Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

 

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

 

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

 

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

 

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

 

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter

1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Kapisa

 

Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjshir im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen (UNOCHA 4.2014). Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab. Mahmood Raqi ist die Provinzhauptstadt von Kapisa (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

 

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kapisa für den Zeitraum 2019-20 auf 479.875 Personen (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in Kapisa sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani (FP 11.11.2014; vgl. NPS o.D.), wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben (AAN 6.4.2015).

 

Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul (iMMAP 19.9.2017).

 

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Kapisa 2018 nicht zu den zehn wichtigsten afghanischen Provinzen, die Schlafmohn anbauen. Die Größe der Anbaufläche verringerte sich 2018 im Vergleich zu 2017 um 60%. Schlafmohn wurde hauptsächlich in den Distrikten Tagab und Alasai angebaut (UNODC/MCN 11.2018).

 

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

 

Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen (AAN 24.4.2012). Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen (KP 23.5.2019); wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab (AN 21.5.2019). Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer - Afghania, Pachaghan und Ghin Dara - in Kapisa erobern (AT 24.3.2019).

 

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des

201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. FRP 5.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

 

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

 

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa. Dies entspricht einer Zunahme von 38% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 24.2.2019).

 

Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen (KP 23.5.2019; vgl. KP 29.4.2019). Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch (z.B. KP 29.6.2019; KP 12.6.2019; MENAFN 8.5.2019; KP 29.4.2019; FRP 5.1.2019; PAJ 2.1.2019; PAJ 6.12.2018; XI 1.12.2018; PAJ 26.11.2018; NYT 26.9.2018; RFE/RL 21.4.2018; AA 11.3.2018; PAJ 6.3.2018; KP 1.3.2018). Auch werden Luftangriffe ausgeführt (PAJ 26.11.2018 ; UNAMA 25.9.2019, CC 27.7.2018) - in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet (CC 27.7.2018) oder Dörfer von den Taliban zurück erobert (PAJ 18.1.2019). Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften (XI 14.8.2019; vgl. FRP 5.1.2019).

 

IDPs - Binnenvertriebene

 

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 7.560 konfliktbedingt aus der Provinz Kapisa vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, sowie in den benachbarten Provinzen Kabul und Parwan Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 1.617 aus der Provinz Kapisa vertriebene Personen, die vor allem nach Kabul (973) kamen oder in Kapisa verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.789 Vertriebene in die Provinz Kapisa, die vor allem aus der Provinz selbst (5.600) und aus benachbarten Provinzen stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 539 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Kapisa, die alle aus dem Distrikt Nijrab stammten (UNOCHA 18.8.2019).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans.

 

Auszug aus "Schiiten"

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019).

 

Tadschiken

 

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

 

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

 

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

 

Auszug aus dem Staatendossier AfPAK Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur

 

Tadschiken

 

In historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Das konnte ihr Siedlungsgebiet oder ihre Herkunftsregion sein. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pandschscher) oder badakhshi (aus Badachschan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Dann bezeichnete der Name tajik (Tadschike) sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Analog standen die Namen aymaq und elat für persischsprachige halbnomadische Stammesgruppen, ebenfalls sunnitischer Konfession. Persischsprecher konnten auch nach ihrer ethnischen Herkunft zusammengefasst und bezeichnet werden, zum Beispiel als hazara, arab (Araber) oder baloch (siehe unten). Diese Namen sind mit den beschriebenen Bedeutungen heute noch üblich. Das Dari-Persische ist ein Merkmal, das alle diese und andere Gruppen vereint. Trotzdem gab es keinen übergreifenden Namen, mit dem all diese Gruppen nach dem Kriterium der Sprache zusammengefasst worden wären. Das Wort parsiwan ‚Persischsprecher', das noch vor 20 oder 30 Jahren viel häufiger zu hören war als heute, könnte als ein solcher übergreifender Gruppenname angesehen werden. Tatsächlich wurde dieser Name aber nie auf alle Sprecher des Dari-Persischen angewandt. Heute wird der Terminus tajik ‚Tadschike' als eine Kategorie offeriert, unter der fast alle Dari/Persisch-Sprecher Afghanistans zusammengefasst werden. Vor dem Bürgerkrieg wurde dieser Name als Selbstbezeichnung fast nur von Dari-Sprechern in einigen Berggegenden in Nordost-Afghanistan verwendet. Heute benutzen ihn als Selbstbezeichnung auch Dari-Sprecher in Kabul, Mazar-i Scharif oder Ghazni. Mehr noch: Staatliche Behörden verwenden den Name Tadschike in Bezug auf Dari-Sprecher auch in vielen anderen Gegenden. Nur die Dari-sprachigen Bewohner von Herat scheinen noch einige Schwierigkeiten zu haben, sich selbst als Tadschiken anzusehen; aber wenn es darum geht, ihre ethnische Zugehörigkeit in offiziellen Dokumenten festzulegen wie zum Beispiel bei der Beantragung eines Personalausweises, dann lassen sie sich doch darauf ein, als Tadschike zu gelten. Schließlich kennt die verfassungsgemäße Nomenklatur der ethnischen Gruppen keinen Eintrag herati. Gleichermaßen werden andere Dari-sprachige Gruppen wie Aymaq, Araber oder Dari-sprachige Belutschen in Nord-Afghanistan, ja sogar die Sprecher von Pamirsprachen in der Provinz Badachschan heutzutage offiziell oft als Tadschiken registriert. In den ethnisch dominierten politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart erscheint eine Gruppe offensichtlich politisch umso einflussreicher, je mehr Angehörige sie aufweisen kann. Deshalb erfährt die ethnische Bezeichnung Tadschike heute eine politische Favorisierung. Wegen der politisch motivierten Inklusion vieler anderer Gruppen lassen sich die Tadschiken als eine ethnische Gruppe in Status Nascendi ansehen. Es scheint, dass die schiitischen Hazara die einzige Dari-sprachige Gruppe darstellen, auf die der Name Tadschike nicht anwendbar ist.

 

Weiter aus dem Länderbericht

 

Frauen

 

Anmerkung: Ausführliche Informationen zur Lage der Frauen in Herat können der Analyse der Staatendokumentation vom 13.6.2019 entnommen werden (Abschnitt 6, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf ).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 2.9.2019). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018; vgl. AF 13.12.2017).

 

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (BFA 4.2018; vgl. AA 2.9.2019), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 2.9.2019).

 

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (BFA 13.6.2019).

 

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. BFA 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (BFA 4.2018; vgl. UNAMA 24.12.2017).

 

Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 3.4.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das "Gender Equality Project" der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (Najimi 2018).

 

Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt ...) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (TN 31.5.2019; vgl. Taz 6.2.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass "im Namen der Frauenrechte" Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 6.2.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 3.9.2019). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (BFA 13.6.2019).

 

Einem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen 2.286 Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018), was an zunehmendem Bewusstsein und dem Willen der Frauen, sich bei Gewaltfällen an relevante Stellen zu wenden, liegt (PAJ 10.12.2018).

 

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 2.9.2019).

 

Berufstätigkeit von Frauen

 

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 13.3.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 2.9.2019; vgl. BBW 28.8.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 6.9.2019).

 

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 3.4.2019). Für das Jahr2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben (WB 4.2019). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.3.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.7.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 6.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.7.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 13.3.2019); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 13.3.2019).

 

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

 

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.3.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

 

Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 7.3.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.5.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 2.9.2019), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.3.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (AA 2.9.2019).

 

Traditionelle gesellschaftliche Prktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 13.3.2019).

 

Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.5.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 3.5.2019).

 

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 6.9.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.4.2019).

 

Anmerkung: Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln ..."NGOs und Menschenrechtsaktivisten", "Meinungs- und Pressefreiheit" und ..."Sicherheitsbehörden" entnommen werden.

 

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

 

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (USDOD 6.2019). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 2.9.2019). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 13.3.2019). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019). Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Stand 2017 gab es landesweit 208 FRUs (USDOD 12.2017).

 

Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (BFA 4.2018; vgl. TD 4.12.2017).

 

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch

 

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt (AA 2.9.2019). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.5.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 13.3.2019).

 

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.8.2019).

 

Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt, unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018).

 

Frauenhäuser

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 2.9.2019). Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen. Fast alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Institutionen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan (NYT 17.3.2018).

 

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 2.9.2019). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018).

 

Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 2.9.2019).

 

Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 13.3.2019).

 

In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert (USDOS 13.3.2019).

 

Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können. In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal werden Frauen stellvertretend für verurteilte männliche Verwandte inhaftiert, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 13.3.2019).

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 2.9.2019). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor. UNAMA berichtet von 280 Ehrenmorden im Zeitraum Jänner 2016-Dezember 2017, wobei nur 18% von diesen zu einer Verurteilung und Haftstrafe führten. Trotz des Verbotes im EVAW-Gesetz üben Behörden oft Druck auf Opfer aus, auch schwere Verbrechen durch Mediation zu lösen. Dies führt zu Straflosigkeit für die Täter (USDOS 13.3.2019). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (KP 23.3.2016; vgl. UNAMA 5.2018).

 

Reisefreiheit von Frauen

 

Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt (USDOS 13.3.2019; vgl. BFA 4.2018, MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019). Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 2.9.2019; vgl. MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019).

 

Gemäß Aussagen der Direktorin von Afghan Women's Network können sich Frauen ohne Burqa und ohne männliche Begleitung im gesamten Land frei bewegen (CA 4.3.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (BFA 4.2018). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 7.3.2019).

 

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (BFA 4.2018; vgl. BFA 13.6.2019).

 

Meldewesen

 

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. BFA 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (BFA 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 2.9.2019).

 

Analphabetismus in Afghanistan

 

Ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus sind immer noch weit verbreitet (CSO 2018, Auszug aus "Arbeitsmarkt" des aktuellen Länderberichts). Aufgrund der hohen Analphabetismusrate bevorzugen die meisten Bürger Fernsehen und Radio gegenüber Print- oder Online-Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. F24 21.5.2019, Auszug aus "Meinungs- und Pressefreiheit" des aktuellen Länderberichts).

 

Rückkehr

 

Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in den Jahren 2012-2018 ca. 3,2 Millionen Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Seit dem Jahr 2016 hat sich die Zahl der Rückkehrer jedes Jahr deutlich verringert, jedoch hat sich die Zahl der Rückkehrer aus Europa leicht erhöht 15% aller Rückkehrer siedeln in die Provinz Nangarhar (IOM 15.3.2019).

 

Je nach Organisation variieren die Angaben zur Zahl der Rückkehrer:

 

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrer; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. 672 Personen erhielten Unterstützung von Hilfsorganisationen (MoRR o. D:): Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (AA 2.9.2019) bzw. 180.000 Personen aus dem Iran und 125.000 Personen aus Pakistan (IOM 15.3.2019). Im Jahr 2017 stammten 464.000 Rückkehrer aus dem Iran 464.000 und 154.000 aus Pakistan (AA 2.9.2019).

 

Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (BFA 4.2018). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 2.9.2019).

 

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).

 

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (BFA 13.6.2019).

 

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 2.9.2019). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (BFA 13.6.2019).

 

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).

 

Viele Rückkehrer, die wieder in Afghanistan sind, werden de-facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben für Rückkehr sind essentielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).

 

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (BFA 4.2018; vgl. Asylos 8.2017). Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (AAN 19.5.2017).

 

In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten (IRARA 9.5.2019).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung

 

Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (BFA 4.2018).

 

Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 6.2008). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes, und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014).

 

Bereits 2017 hat die afghanische Regierung mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben mit neuer rechtlicher Grundlage an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Eine Hürde ist die Identifizierung von geeigneten, im Staatsbesitz befindlichen Ländereien. Generell führt die unklare Landverteilung häufig zu Streitigkeiten. Gründe hierfür sind die jahrzehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, mangelhafte Verwaltung und Dokumentation von An- und Verkäufen, das große Bevölkerungswachstum sowie das Fehlen eines funktionierenden Katasterwesens. So liegen dem afghanischen Innenministerium Berichte über widerrechtliche Aneignung von Land aus 30 Provinzen vor (AA 2.7.2019).

 

Anmerkung: Ausführlichere Informationen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden.

 

Unterstützung durch IOM

 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an (BFA 13.6.2019; vgl. BFA 4.2018). Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden (BFA 13.6.2019).

 

So ist beispielsweise die Provinz Herat hauptsächlich von der Rückkehr von Afghanen aus dem Iran betroffen. Landesweit ist die Zahl der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan höher, als die der Rückkehrer aus Europa. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren (BFA 13.6.2019). Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (IOM 30.1.2019). Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (BFA 13.6.2019). 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz (IOM 30.1.2019). Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (BFA 13.62019).

 

IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro (BAMF 20.5.2019; vgl. IOM 23.9.2019) sowie Informationen, etwa über Hotels (BAMF 20.5.2019). Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können, je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden (IOM 23.9.2019). Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt (BAMF 20.5.2019).

 

Freiwillige Rückkehrerinnen und Rückkehrer, die am Reintegrationsprojekt RESTART II teilnehmen, haben nach wie vor die Möglichkeit, neben der Unterstützung in Bargeld von 500 Euro, die zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse vorgesehen sind, eine Unterstützung für die Weiterreise und für temporäre Unterkunft bis zu max. 14 Tagen (in Kabul: Spinzar Hotel) zu erhalten. Unterstützungsleistungen aus dem Projekt RESTART II, welches durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der Europäischen Union und das Österreichische Bundesministerium für Inneres kofinanziert wird, können im gesamten Land bezogen werden und sind daher in Städten wie Mazar-e Sharif und/oder Herat dieselben wie in Kabul. Wichtig ist, dass die Teilnahme am Reintegrationsprojekt RESTART II durch das BFA und IOM für die Rückkehrerinnen und Rückkehrer bewilligt wurde (IOM 23.9.2019).

 

In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführt und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanziert. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor (IOM o.D.).

 

Wohnungen

 

In Kabul und im Umland sowie in anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Private Immobilienhändler in den Städten bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser und Wohnungen an. Die Miete für eine Wohnung liegt zwischen 300 USD und 500 USD. Die Lebenshaltungskosten pro Monat belaufen sich auf bis zu 400 USD (Stand 2018), für jemanden mit gehobenem Lebensstandard. Diese Preise gelten für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul, wo Einrichtungen und Dienstleistungen wie Sicherheit, Wasserversorgung, Schulen, Kliniken und Elektrizität verfügbar sind. In ländlichen Gebieten können sowohl die Mietkosten, als auch die Lebenshaltungskosten um mehr als 50% sinken. Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher sein (IOM 2018).

 

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2018).

 

Anmerkung: Weitere Informationen zur Unterstützung von Rückkehrern durch IOM können der Analyse Herat 2019 und dem FFM Bericht Afghanistan 2018 entnommen werden.

 

Grundversorgung

 

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 2.9.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

 

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (WB o. D.). Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert (WB 7.2019).

 

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht (WB 7.2019).

 

Arbeitsmarkt

 

Schätzungen zufolge sind 44% der Bevölkerung unter 15 Jahren und 54% zwischen 15 und 64 Jahren alt (ILO 2.4.2018). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (BFA 4.2018; vgl. CSO 2018).

 

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

 

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. (BFA 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (BFA 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (BFA 4.2018).

 

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (BFA 4.2018).

 

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

 

Medizinische Versorgung

 

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).

 

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).

 

Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte "Out-of-pocket"-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).

 

Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab.

Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).

 

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).

 

Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).

 

Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).

 

Zugangsbedingungen für Frauen

 

Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Lag die Müttersterblichkeit laut Weltbank 1990 bei 64,7 Todesfällen auf 1.000 Geburten, belief sie sich im Jahr 2017 auf 29,4 Todesfälle pro 1.000 Geburten. Es gibt allerdings Berichte von einer deutlich höheren Dunkelziffer (AA 2.9.2019). Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen immer noch kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan auch weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 2.9.2019). Dies kann insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass Geburten zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal stattfinden und auch die Nachversorgung nach Geburten zugenommen hat. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (CSO 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 2.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 2.12.2014; vgl. UNOCHA 11.2018, BFA 13.6.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 11.2018).

 

Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018).

 

Medizinische Versorgung in der Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif

 

Kabul:

 

Das Rahman Mina Hospital im Kabuler Bezirk Kart-e-Naw (Police District (PD) 8), wurde renoviert. Das Krankenhaus versorgt rund 130.000 Personen in seiner Umgebung und verfügt über 30 Betten. Pro Tag wird es von rund 900 Patienten besucht. Das Rahman Mina-Krankenhaus ist eines von 47 Einrichtungen in Kabul-Stadt, die am Kabul Urban Health Projekt (KUHP) teilnehmen. Im Rahmen des Projektes soll die Gesundheitsversorgung der Kabuler Bevölkerung verbessert werden (WB 30.9.2018).

 

Der größte Teil der Notfallmedizin in Kabul wird von der italienischen NGO Emergency angeboten. Emergency führt spezialisierte Notfallbehandlungen durch, welche die staatlichen allgemeinmedizinischen Einrichtungen nicht anbieten können und behandelt sowohl die lokale Bevölkerung, als auch Patienten, welche von außerhalb Kabuls kommen (WHO 4.2018).

 

Herat:

 

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).

 

Mazar-e Sharif:

 

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).

 

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

 

Es folgt eine Liste einiger staatlicher Krankenhäuser:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es gibt zahlreiche private Kliniken, die auf verschiedene medizinische Fachbereiche spezialisiert sind. Es folgt eine Liste einiger privater Gesundheitseinrichtungen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Psychische Erkrankungen

 

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA 4.2018). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 2.9.2019). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (BFA 4.2018). In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung (AA 2.9.2019).

 

Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können (BDA 18.12.2018).

 

Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (AA 2.9.2019). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019).

 

Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan (BFA 4.2018).

 

In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei

Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten:

 

Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae mental hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäusern in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.4.2019). In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (BFA 4.2018).

 

Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50% der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen (AA 2.9.2019).

 

Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychisch Erkrankte sind oftmals einer gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt (BDA 18.12.2018).

 

Pensionen / Rente (Auszug aus "Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen" aus dem Länderbericht):

 

Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht (SEM 20.6.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).

 

Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der/die zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen/ihren Familienmitgliedern geerbt werden (BFA 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 6.7.2018).

 

Angaben der Asylwerber zu noch vorhandenen Verwandten in Afghanistan (Auszug aus "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)" aus dem Länderbericht:

 

Eine von der norwegischen COI-Einheit Landinfo zitierte Analystin des AAN (Afghanistan Analysts Network), legt dar, dass Familien in Afghanistan in der Regel den Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und genau Bescheid wissen, wo sich die Person aufhält und wie es ihr in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA 4.2018).

 

Auszug aus dem Dossier der Staatendokumentation

 

"AfPak Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur" (7.2016):

 

Das Paschtunwali ist ein gesellschaftlicher, kultureller und gesetzesähnliche Kodex, der die Lebensführung, den Charakter und die Ordnung der Paschtunen Größtenteils regelt, leitet und ausgleicht. Als Paschtunwali wird das Gewohnheitsrecht bezeichnet, das die geistige Lebenseinstellung, die allen Paschtunen gemeinsam ist, widerspiegelt und für die Paschtunen schon seit grauer Vorzeit gilt. Auch wenn das Paschtunwali nicht das staatliche Recht darstellt, behandelt es alle Sitten, Traditionen, das gesamte Erbe, Gewohnheitsrecht, Brauchtum und die gesellschaftlichen Beziehungen und bildet so das System der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen des Stammes vollständig ab.

 

Somit ist es im täglichen Leben allen immer präsent. Das Paschtunwali gilt für jeden, der in einem Siedlungsgebiet der Paschtunen lebt.

 

Ein wesentlicher Kodex des Paschtunwali ist Melmastiya (Gastfreundschaft): Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Paschtunwali. Melmastiya bedeutet allen Besuchern Gastfreundschaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird.

 

Risikogruppen

 

UNHCR-"Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016" - zusammenfassende Darstellung des UNHCR vom 04.05.2016:

 

Laut UNHCR können folgende Asylsuchende aus Afghanistan, abhängig von den im Einzelfall besonderen Umständen, internationalen Schutz benötigen. Diese Risikoprofile sind weder zwangsläufig erschöpfend, noch werden sie der Rangfolge nach angeführt:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

 

Auszug aus einer Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016:

 

Die vom UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan (Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016) besagen:

 

Quelle:

 

 

http://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/04/AFG_042016.pdf

 

Wie von UNHCR in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 festgestellt, ist es erforderlich, dass die internationalen Schutzbedürfnisse afghanischer Asylsuchender auf individueller Grundlage unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Antragstellers geprüft werden und bei der Innerstaatlichen Fluchtalternative ist in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung erforderlich. Eine innerstaatliche Fluchtalternative muss laut UNHCR für jeden einzelnen Antragsteller relevant und zumutbar sein. Bei der Relevanzprüfung handelt es sich um eine grundlegende Bewertung der Urheberschaft des Schadens und der Feststellung zur Frage, ob im Neuansiedlungsgebiet das Risiko fortbesteht.

 

Die Prüfung, ob eine interne Schutzalternative gegeben ist, erfordert eine Prüfung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative. Eine interne Schutzalternative ist nur dann relevant, wenn das für diesen Zweck vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und legal erreichbar ist, und wenn die betreffende Person in diesem Gebiet nicht einem weiteren Risiko von Verfolgung oder ernsthaftem Schaden ausgesetzt ist. Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

Wenn Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, die vom Staat oder seinen Akteuren ausgeht, so gilt die Vermutung, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative für Gebiete unter staatlicher Kontrolle nicht relevant ist. Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen.

 

UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

Wenn der Antragsteller eine begründete Furcht vor Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur hat, müssen die Möglichkeit des Akteurs, den Antragsteller auf dem vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zu verfolgen, und die Fähigkeit des Staates, Schutz in diesem Gebiet zu bieten, geprüft werden. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, müssen Nachweise hinsichtlich der Fähigkeit dieses Akteurs, Angriffe in Gebieten außerhalb des von ihm kontrollierten Gebiets durchzuführen, berücksichtigt werden.

 

Bei Personen wie Frauen und Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben, und Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten, die aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen mit Verfolgungshandlungscharakter Schaden befürchten, muss die Unterstützung derartiger Bräuche und Normen durch große Teile der Gesellschaft und durch mächtige konservative Elemente auf allen Ebenen des Staates als Faktor berücksichtigt werden, der der Relevanz einer internen Schutzalternative entgegensteht.

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden.

 

Insbesondere die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, stellen relevante Erwägungen dar, welche bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

 

Auszug aus Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern Dezember 2016:

 

"[ ] Nach Auffassung von UNHCR muss man bei einer Bewertung der gegenwärtigen Situation in Afghanistan sowie des Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender berücksichtigen, dass sich die Sicherheitslage seit Verfassen der UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (April 2016), insgesamt nochmals deutlich verschlechtert hat.

 

Vor diesem Hintergrund ist die statistische Entwicklung der Entscheidungspraxis des Bundesamtes eher überraschend, auch wenn die Zahlen als solche keine qualitative Bewertung erlauben. So wurde in 2015 in fast 78% aller Entscheidungen in der Sache Schutz gewährt, wobei in fast 47% aller Entscheidungen in der Sache die Antragsteller als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurden. Dagegen betrug die Gesamtschutzquote in 2016 nur noch gut 60%, wobei nur in gut 22% der inhaltlichen Entscheidungen Flüchtlingsschutz gewährt wurde.

 

Mit Blick auf eine regionale Differenzierung der Betrachtung der Situation in Afghanistan, möchte UNHCR anmerken, dass UNHCR aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage bei der Feststellung internationalen Schutzbedarfes selbst keine Unterscheidung von "sicheren" und "unsicheren" Gebieten vornimmt. Für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf von Antragstellern aus Afghanistan ist es vor allem erforderlich, die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls zu bewerten. Die Differenzierung ist also in erster Linie eine individuelle, welche die den Einzelfall betreffenden regionalen und lokalen Gegebenheiten berücksichtigt.

 

Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Feststellung einer internen Schutzalternative. Ein pauschalierender Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtlich der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, wie sie für den Flüchtlingsschutz oder den subsidiären Schutz relevant sind, als sichere und zumutbare interne Schutzalternative ansieht, ist nach Auffassung von UNHCR vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan nicht möglich. Vielmehr ist stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich.

 

Außerdem geben die UNHCR-Richtlinien von 2016 Hinweise auf Faktoren, die bei der Feststellung, ob ein Antragsteller wegen der Bedrohung durch willkürliche Gewalt in der Herkunftsregion subsidiären Schutz erhalten sollte, zu berücksichtigen sind. Die Prüfung des Ausmaßes willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion muss zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz erfolgen. Während einige Gebieten in Afghanistan in einem solchen Ausmaß von willkürlicher Gewalt betroffen sein können, dass alle Zivilisten allein durch ihre Anwesenheit der Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt sind, ist in Bezug auf andere Gegenden in Afghanistan die Anwendung der ‚sliding scale' erforderlich, wie sie durch den Europäischen Gerichtshof in der Elgafaji-Entscheidung mit Bezugnahme auf die individuellen Merkmale des Antragstellers (Alter, Geschlecht, Gesundheit und andere) aufgestellt wurde. Unter Bezugnahme auf die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts durch den Europäischen Gerichtshof in der Entscheidung Diakité ist UNHCR der Auffassung, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des Art. 15 c der EU-Qualifikationsrichtlinie betroffen sind.

 

Hinsichtlich einer internen Schutzalternative ist in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung erforderlich. UNHCR betont, dass eine interne Schutzalternative für den einzelnen Antragsteller relevant und zumutbar sein muss. Die ‚Relevanzprüfung' erfordert eine grundlegende Bewertung der Urheberschaft des Schadens und sollte umfassende Feststellungen zu der Frage beinhalten, ob im Neuansiedlungsgebiet das Risiko - beispielsweise einer Rekrutierung durch die Taliban - fortbesteht. Die Prüfung muss auch umfassen, ob infolge des Verlassens der Heimatregion ein neues Gefährdungsrisiko besteht, beispielsweise durch Vergeltungsmaßnahmen regierungsfeindlicher Gruppierungen oder Schlepper.

 

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit einer Neuansiedlung wird in den UNHCR-Richtlinien betont, dass den Antragsteller keine ‚unzumutbaren Härten' treffen sollten, was die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Möglichkeiten für das wirtschaftliche Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet anbelangt. Dazu sollten Punkte, wie beispielsweise Zugang zu einer Unterkunft, die Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung wie Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung sorgfältig geprüft werden. Es bedeutet auch, nicht von interner Vertreibung bedroht zu sein.

 

UNHCR bleibt bei seiner Empfehlung, dass es ein starkes soziales Netzwerk im vorgeschlagenen Gebiet der Neuansiedlung geben muss, wenn die Zumutbarkeit einer Neuansiedlung bewertet werden soll. Die Zumutbarkeitsprüfung sollte eine Prüfung der persönlichen Umstände des Einzelfalls, gegebenenfalls der besondere Bedürfnisse und des Zugangs zu einer entsprechenden spezialisierten Versorgung, sowie bereits erlittene Verfolgung oder Traumata umfassen. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, was von UNHCR, UNICEF und verschiedenen anderen Organisationen im letzten Jahr durchgeführte Befragungen ergeben haben. Demnach haben viele der in Europa um Schutz ersuchenden afghanischen Antragsteller Missbrauch, physische und psychologische Traumata oder Gewalt während ihrer Reise erfahren, was sich negativ auf die Möglichkeiten, sich wieder ein Leben in Afghanistan aufzubauen, auswirken kann.

 

[ ]

 

Verschärfung des Konflikts: Im Laufe des Jahres 2016 hat sich der innerstaatliche bewaffnete Konflikt in Afghanistan weiter ausgebreitet und ist durch eine Fragmentierung und Stärkung der aufständischen Kräfte gekennzeichnet. Die Konfliktparteien ergreifen keine ausreichenden Maßnahmen, um Zusammenstöße und zivilen Opfer zu minimieren, wie es den Verpflichtungen des Humanitären Völkerrechts entspräche. Der Konflikt ist charakterisiert durch immer wiederkehrende Konfrontationen und groß angelegten militärischen Operationen zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen und den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF), durch den Konflikt zwischen verschiedenen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen - insbesondere zwischen den Taliban und den neu auftretenden Gruppen, die mit ISIS verbunden sind - und Zusammenstößen zwischen verschiedenen Stämmen, oftmals stellvertretend für die Konfliktparteien. Darüber hinaus finden unvermindert gezielte Gewaltakte, Übergriffe und Einschüchterungen durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen gegen Einzelpersonen und Familien, die vermeintlich mit der Regierung verbunden sind, statt.

 

[ ]

 

Die Zahl der Selbstmordanschläge in Kabul hat im Laufe des Jahres zugenommen. Sie sind außerdem komplexer geworden und führen zu einer höheren Zahl an Todesopfern als die sporadischen Zusammenstöße in anderen Teilen des Landes.

 

Außerdem ist Kabul massiv vom starken Anstieg der Zahl der Rückkehrer aus Pakistan betroffen, mit fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und einem ähnlichen Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan, die sich in den überfüllten informellen Siedlungen in Kabul niedergelassen haben. Angesichts des ausführlich dokumentierten Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 ist die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt.

 

Kabul ist zudem traditionell ein Zufluchtsgebiet der vom Konflikt betroffenen Binnenvertriebenen aus der Zentral-Region und anderswo (insbesondere auch aus der östlichen Region des Landes und aus Kunduz). Im Jahr 2016 haben sich Primär- und Sekundärfluchtbewegungen (2.349 Familien bzw. etwa 15.500 überprüfte Personen) aus der östlichen Region weiter fortgesetzt, insbesondere aus Kot, Achin, dem Deh Bala Distrikt der Nangarhar Provinz. Dies sind Distrikte, die von den Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und mit ISIS verbundenen Gruppen sowie von großangelegten Militäroperationen der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften (ANDSF) und der internationalen Streitkräfte betroffen sind. Aus den Beobachtungen von UNHCR geht hervor, dass binnenvertriebene Familien sich oft deshalb in Kabul niederlassen, weil sie dort auch familiäre Verbindungen haben, im Gegensatz zu Jalalabad, wo viele andere binnenvertriebene Familien aus den gleichen Provinzen Sicherheit gesucht haben.

 

Darüber hinaus führte eine zweite Fluchtwelle aus Kunduz - als Folge der temporären Übernahme von Kunduz durch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen im Oktober 2016 - zu neuerlichen Ankünften von Binnenvertriebenen in Kabul. Die Profile der vertriebenen Familien bestehen aus einer Mischung aus Staatsbediensteten mit guten Verbindungen in die Hauptstadt und anderen Familien, die kaum eine andere Wahl hatten, als in südlicher Richtung vor den Kämpfen zu fliehen. Baghlan blieb im Jahr 2016 weiterhin zu instabil, um Sicherheit für Binnenvertriebene zu bieten. Daher flohen diese nach Kabul, wo sich Familien temporär auch in Lagern niederließen. Diese Binnenflucht geschah in einem kurzen Zyklus und die Mehrheit der Familien ist wahrscheinlich bereits wieder nach Kunduz zurückgekehrt, nachdem von den Behörden im Oktober und November gezielt Druck ausgeübt wurde, staatlich geförderte Rückkehrprogramme wahrzunehmen. Dies geschah allerdings unter Umständen, in denen die Freiwilligkeit der Rückkehr zumindest in einigen Fällen stark bezweifelt werden kann.

 

Die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich in Kabul sind aufgrund der seit Jahren andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen im Land, die in Verbindung mit einer natürlichen (nicht konfliktbedingten) Landflucht und Urbanisierung zu Massenbewegungen in Richtung der Stadt geführt hat, extrem angespannt. Im Jahr 2016 wurde die Situation durch den Umstand, dass mehr als 25% der Gesamtzahl der aus Pakistan zurückgekehrten Afghanen nach Kabul gezogen ist, weiter erschwert. Diese Umstände haben unmittelbare Auswirkungen auf die Prüfung, ob Kabul als interne Schutzalternative vorgeschlagen werden kann, insbesondere mit Blick auf eine Analyse der Zumutbarkeit. Die in den UNHCR-Richtlinien vom April 2016 dargestellten Erwägungen bleiben für die Bewertung des Vorhandenseins einer internen Schutzalternative in Kabul bestehen. Die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen muss unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers von Fall zu Fall geprüft werden. [ ]"

 

In einem Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike STAHLMANN (M.A. in Religionswissenschaft, MA International and Comparative Legal Studies, Mitglied der International Max Planck Research School on Retaliation Mediation und Punishment, u.a. Gutachterin für britische Gerichte zu Afghanistan in Asylrechtsfällen) werden zusammengefasst im Wesentlichen folgende Aussagen getroffen:

 

Die Wirtschaft ist in Afghanistan seit 2012 massiv eingebrochen. Gründe dafür sind der Abzug der internationalen Truppen, dem größten singulären Auftraggeber und Dienstleistungsempfänger. Die sich konstant verschlechternde Sicherheitslage und fehlende Rechtsstaatlichkeit reduzieren Investitionen durch private Akteure, aber auch durch Staaten und Organisationen im Rahmen internationaler Entwicklungshilfe, auf ein Minimum. Von den verfügbaren Mitteln zieht Korruption große Teile ab und befeuert so - statt den Wiederaufbau in Afghanistan zu unterstützen - den Krieg.

 

Binnenvertreibung und Landflucht

 

Insbesondere die Städte sind mit immenser Zuwanderung konfrontiert. Hauptgrund dafür sind akute Kampfhandlungen, die zudem zunehmend die Ausübung der Landwirtschaft verunmöglichen. Dazu kommen Naturkatastrophen, die laut UNOCHA in den letzten zehn Jahren jährlich durchschnittlich 235.000 Menschen betroffen haben. Die Zahl der intern Vertriebenen schätzt Amnesty International auf 1,2 Millionen, dazu allein 2016 über 600.000 kriegsbedingt Vertriebene (dreimal so viele wie 2014 und sechsmal so viele wie 2012).

 

Dazu kommen weiters all jene, die zwangsweise aus den Nachbarländern nach Afghanistan zurückkehren. Neben dem Iran schiebt nun auch Pakistan verstärkt Afghanen zurück, betroffen sind davon 1,6 Millionen bisher als Flüchtlinge akzeptierte und eine weitere Million illegal aufhältiger afghanischer Personen. Allein 2016 haben über eine Million Menschen aus Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückkehren müssen.

 

Die wenigsten "Rückkehrenden" (nämlich auch solche, die zuvor noch nie in Afghanistan waren) können in jene Orte zurückkehren, die ihre Familien häufig vor Jahrzehnten verlassen haben. Auch das Gesetz zur Zuweisung von Land an Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDPs) hat sich als ineffektiv erwiesen. Sich an einem fremden Ort niederzulassen, ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich.

 

Die Mehrheit der Rückkehrenden hat daher keine andere Wahl, als in Städten Zuflucht zu nehmen. Die einzige größere Großstadt Kabul ist Hauptzielort der größten "Rückkehrbewegung" der Geschichte. Von 500.000 Einwohnern im Jahr 2001 ist sie auf geschätzte 5 bis 7 Millionen angewachsen, ohne dass der Aufbau der Infrastruktur auch nur annähernd damit hätte Schritt halten können. Eine Analyse von Amnesty International vom Mai 2016 belegt das Scheitern der Bemühungen, Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen in den Slums zu gewährleisten. Humanitäre Organisationen warnen, dass die humanitäre Katastrophe mit den derzeit verfügbaren Mitteln nicht abzuwenden sein werde.

 

Notwendigkeit sozialer Netzwerke

 

Unter den Rückkehrern, aber auch unter den Binnenvertriebenen, sind insbesondere jene akut in ihrem Überleben gefährdet, die keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke haben. Zugang zu Arbeit, Wohnraum und überlebenswichtigen Ressourcen in Afghanistan funktioniert in der Regel über bestehende Kontakte und klientelistische Netzwerke.

 

Arbeits- und Wohnungsmarkt

 

Angesichts fehlender sozialstaatlicher Sicherheiten stellt der Zugang zum Arbeitsmarkt die Grundbedingung für sozio-ökonomische Sicherung dar. Der allgemeine Niedergang der Wirtschaft trifft insbesondere die Stadtbevölkerung, die im Gegensatz zur Landbevölkerung keine Chance auf subsistenzbasierten Lebensunterhalt hat. Die Jugendarbeitslosigkeit betrug 2016 82%. Arbeitsplätze sind nur über Beziehungen zu erlangen, Qualifikationen sind demgegenüber von geringer Bedeutung. Die Auswertung der Erfahrungen mit weitergehender Rückkehrförderung (berufliche Qualifizierung, Förderung eines eigenen Gewerbes) abgelehnter Asylsuchender durch Großbritannien hat ergeben, dass dies ohne unterstützende Netzwerke und lokalen Schutz keine nachhaltige Perspektive eröffnet. Die Alltagskriminalität nimmt zu. Privatwirtschaftliche Betriebe ohne soziale Netzwerke sind gerade in den Städten verstärkt kriminellen Banden ausgesetzt.

 

Fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt schränkt in der Konsequenz auch den Zugang zum Wohnungsmarkt ein. 2013/14 haben 73,8% der städtischen Bevölkerung in Slums gelebt. Die Miete für Wohnungen ist mit den durchschnittlichen afghanischen Löhnen offensichtlich nicht bezahlbar. Sofern überhaupt noch Wohnraum auf dem Markt verfügbar ist, haben in der Regel nur diejenigen eine Chance darauf, die einen Bürgen beibringen können und in der Lage sind, bis zu sechs Monatsmieten im Voraus zu bezahlen. Man benötigt also sowohl soziale Netzwerke, als auch außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben.

 

Gesundheitsversorgung

 

UNOCHA warnt, dass die katastrophalen sanitären und hygienischen Bedingungen, der fehlende Zugang zu Trinkwasser und die Enge in den Slums die akute Gefahr der unkontrollierten Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen begründet. Die in den Städten verfügbare, jedoch weitgehend kommerzielle, medizinische Versorgung zwingt Betroffene häufig in die Verschuldung, welche die gesundheitlichen Gefahren von Unterernährung und Obdachlosigkeit nach sich zieht. Nicht nur für Kinder, Alte und Kranke, sondern auch für junge, gesunde Erwachsene sind diese Umstände lebensgefährlich. Krankenhäuser werden immer wieder Ziel von Anschlägen. So hat selbst das Internationale Rote Kreuz gerade beschlossen, seine Arbeit in Afghanistan vorläufig zu suspendieren.

 

Überleben aus eigener Kraft?

 

Die Annahme, dass zumindest alleinstehende junge gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern können, ist durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen jedoch grundlegend infrage gestellt. Das trifft besonders diejenigen, die aus langjährigem Exil zurückkehren oder dort sogar aufgewachsen sind, denn sie hatten auch keine Chance, alternative Unterstützungsnetzwerke aufzubauen oder die komplexen Regeln des alltäglichen Überlebens in Afghanistan zu lernen. Mit den Einmalzahlungen von UNHCR oder finanziellen Rückkehr- oder Wiedereingliederungshilfen im Zuge einer Abschiebung aus Europa wird eine nachhaltige Lösung oder Aussicht auf Arbeit oder Wohnraum damit aber für diejenigen nicht geschaffen, die sich nicht auf die Unterstützung eines vertrauenswürdigen, ökonomisch abgesicherten Netzwerks verlassen können.

 

Grenzen der Solidarität

 

Die islamischen Gebote von Gastfreundschaft, Asyl, Hilfe für Notleidende und der Schutz von Leben sind die Grundlagen für ein ausgefeiltes Solidarsystem, das regelt, wer wann in der Pflicht wäre, wem zu helfen. Dieses System hat in der Praxis jedoch weitgehend seine Relevanz, zumindest aber seine Verlässlichkeit verloren. Die landesweiten ökonomischen Schwierigkeiten schränken so auch den theoretischen Anspruch an Hilfe und Unterstützung durch entferntere Verwandte ein. In einer derart prekären wirtschaftlichen Situation wird auch entlang traditioneller sozialer Normen die Aufnahme weiterer Verwandten nicht erwartet. Eine Million Kinder unter fünf Jahren sind akut mangel- und unterernährt. Die Solidarnetze sind durch die bald vier Jahrzehnte andauernden Konflikte zerrüttet. Die Kontaktmöglichkeiten über moderne Kommunikationsmittel leiden auch darunter, dass die Alphabetisierungsrate der über 15-Jährigen laut Weltbank 2015 bei 38% lag.

 

Auch engere familiäre Beziehungen sind mittlerweile kaum noch vertrauenswürdig. Konfliktlinien laufen häufig durch die Familien und spalten sie. Selbst wenn Rückkehrende in Afghanistan Familie haben, kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass diese auch bereit ist, Schutz und Unterstützung zu bieten. Die traditionellen Regeln, die soziale Nähe und damit auch Verantwortung beschreiben, sind damit grundlegend infrage gestellt.

 

Rückkehrer aus Europa, die ihre Flucht über Kredite finanziert haben, droht die Schuldsklaverei und das Risiko sozialen Ausschlusses.

 

Überlebensstrategien und Zukunftsperspektiven

 

Viele Familien und Familienverbände haben daher keine andere Wahl, als für die Finanzierung der Flucht einer einzelnen Person Richtung Europa die Existenzgrundlage des gesamten Familienverbands zu opfern oder sogar Kredite aufzunehmen. Damit liegt die Verantwortung für das Überleben der gesamten Familie zunehmend alleine bei denjenigen, die es nach Europa schaffen sollen. Hoffnungen auf eine zweite Flucht im Fall ihrer Rückkehr sind im Hinblick auf die geschlossenen Routen nach Europa und die Ausweisung von afghanischen Staatsangehörigen aus Iran und Pakistan, wo zudem die Lage für sie zusehends schlechter wird, unrealistisch.

 

Die Taliban oder kriminelle Organisationen rekrutieren daher gezielt unter Rückkehrern.

 

Es ist zu befürchten, dass die Umsetzung der von Europa geplanten Abschiebungen den Konflikt, der die Menschen ursprünglich in die Flucht getrieben hat, verschärfen wird.

 

Thomas RUTTIG (Mitbegründer und Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network AAN, einer nicht gewinnorientierten Forschungsstelle, die ein Büro in Kabul unterhält) hat in seinem Referat "Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul" vom 12.04.2017, niederschriftlich festgehalten vom Staatssekretariat für Migration (Schweiz) mit 20.06.2017 (Asylmagazin 9/2017), inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmende Aussagen getroffen.

 

Auszug aus den UNHCR-RICHTLINIEN ZUR BEURTEILUNG DES INTERNEN SCHUTZBEDARFS VON ASYLSUCHENDEN AUS AFGHANISTAN vom 30.08.2018

 

Seite 110

 

Against this background, UNHCR considers that a proposed IFA/IRA is reasonable only where the individual has access to (i) shelter, (ii) essential services such as sanitation, health care and education; and (iii) livelihood opportunities or proven and sustainable support to enable access to an adequate standard of living. Moreover, UNHCR considers an IFA/IRA as reasonable only where the individual has access to a support network of members of his or her (extended) family or members of his or her larger ethnic community in the area of prospective relocation, who have been assessed to be willing and able to provide genuine support to the applicant in practice.

 

UNHCR considers that the only exception to the requirement of external support are single ablebodied men and married couples of working age without identified specific vulnerabilities as described above. In certain circumstances, such persons may be able to subsist without family and community support in urban and semi-urban areas that have the necessary infrastructure and livelihood opportunities to meet the basic necessities of life and that are under effective Government control.

 

Übersetzung:

 

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Ansicht, dass eine vorgeschlagene IFA / IRA nur sinnvoll ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkünften, (ii) grundlegenden Dienstleistungen wie Sanitärversorgung, Gesundheitsversorgung und Bildung hat; und (iii) Möglichkeiten für den Lebensunterhalt oder bewährte und nachhaltige Unterstützung, um Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Darüber hinaus hält UNHCR eine IFA / IRA nur für sinnvoll, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im Bereich der potenziellen Umsiedlung hat, die beurteilt wurden bereit und in der Lage zu sein, dem Antragsteller in der Praxis echte Unterstützung zu leisten.

 

UNHCR ist der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, die keine spezifischen Schwachstellen wie oben beschrieben aufweisen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügen, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken, und die einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegen.

 

...

 

Seite 114

 

c) Conclusion on the Availability of an IFA/IRA in Kabul

 

UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an IFA/IRA is generally not available in the city.

 

c) Schlussfolgerung zur Verfügbarkeit einer IFA / IRA in Kabul

 

UNHCR ist der Ansicht, dass angesichts der derzeitigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Situation in Kabul eine IFA / IRA in der Stadt in der Regel nicht verfügbar ist.

 

Auszug und Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan: Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif auf Grund anhaltender Dürre, 13.9.2018 (im Folgenden "ABSD Dürre"), und der Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanistan, Folge von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif vom 12.10.2018 - im Folgenden "Accord Dürre":

 

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (ABSD Dürre, S. 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Accord Dürre S. 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (ABSD Dürre, S. 11).

 

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Accord Dürre, S. 2, S. 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Accord Dürre, S. 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Accord Dürre, S. 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Accord Dürre, S. 17ff).

 

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Accord Dürre, S. 15f).

 

Von Mai bis Mitte August 2018 sind ca. 12.000 Familie aufgrund der Dürre aus den Provinzen Badghis und Ghor geflohen um sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Diese leben am westlichen Stadtrand von Herat in behelfsmäßigen Zelten, sodass am Rand der Stadt Herat die Auswirkungen der Dürre am deutlichsten sind (ABSD Dürre, S. 5f). Mittlerweile sind 60.000 Personen nach Herat geflohen (Accord Dürre, S. 5). Es ist besonders die ländliche Bevölkerung, insbesondere in der Provinz Herat, betroffen (Accord Dürre, S. 7). Personen die von der Dürre fliehen, siedeln sich in Herat-Stadt, in Qala-e-Naw sowie in Chaghcharan an, dort wurden unter anderem Zelte, Wasser, Nahrungsmittel sowie Geld verteilt (ABSD Dürre, S. 10).

 

Während das Lohnniveau in Mazar-e Sharif weiterhin über dem Fünfjahresdurchschnitt liegt, liegt dieses in Herat-Stadt 17% unter dem Fünfjahresdurchschnitt (ABSD Dürre, S. 8). Es gibt keine signifikante dürrebedingte Vertreibung bzw. Zwangsmigration nach Mazar-e Sharif- Stadt (Accord Dürre, S. 3; ABSD Dürre, S. 1 und 3). Im Umland der Stadt Mazar-e Sharif kommt es zu Wasserknappheit und unzureichender Wasserversorgung (ABSD Dürre, S. 1).

 

Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31:

 

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag.

 

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden.

 

Auszug von Länderinformationen aus EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018

 

(im Folgenden "EASO Leitlinien 2018"):

 

Zur Erreichbarkeit von Mazar-e-Sharif (Seite 102-103): Der Flughafen von Mazar-e-Sharif liegt 9 Km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Straßen zwischen dem Flughafen und der Stadt gelten als während des Tages generell als sicher. Es bestehen keine rechtlichen oder verwaltungstechnischen Hindernisse für die Reise innerhalb von Afghanistan, dies umfasst auch die Stadt Mazar-e-Sharif. Es bestehen keine Hindernisse oder Erfordernisse für die Zulassung von afghanischen Staatsbürgern in irgendeinem Teil des Landes, dies umfasst auch die Stadt Mazar-e-Sharif.

 

Zur allgemeinen Lage in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif und Kabul (Seiten 104 bis 105):

 

Lebensmittelsicherheit:

 

Generell besteht in den drei genannten Städten keinerlei Lebensmittelknappheit. Das Hauptkriterium für einen Zugang zu Lebensmitteln ist, dass ausreichend Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen, was im Falle von vertriebenen Personen ein besonderes Problem darstellen könnte.

 

Sichere Unterkunft:

 

Sichere Unterkunftsmöglichkeiten sind vorhanden. Die Stadthäuser können überwiegend als "Elendsviertel" bezeichnet werden. Der Zugang zu einer adäquaten Wohnmöglichkeit stellt für die Mehrzahl der in Städten lebenden Afghanen eine echte Herausforderung dar. In Kabul gibt es ein Überangebot an hochwertigen Unterkünften, welche jedoch für die Mehrheit der Stadtbewohner von Kabul nicht leistbar sind. Die große Anzahl Vertriebener sowie der plötzliche Anstieg an Rückkehrern in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 hat die ohnehin schon überspannte Aufnahmekapazität der Städte noch zusätzlich belastet. Vertriebene Personen finden sich letztlich zumeist in Unterkünften für Binnenflüchtlinge wieder, weshalb sie eine sichere Unterkunft als ihr vorrangigstes Bedürfnis bezeichnen. In den Städten werden als Alternative ferner auch günstige Unterkünfte in "Teehäusern" angeboten.

 

Hygiene:

 

Der Zugang zu Trinkwasser stellt oft eine Herausforderung dar, insbesondere in den Elendsvierteln von Kabul und den dortigen Unterkünften für Binnenflüchtlinge. In Mazar-e Sharif und Herat haben die meisten Leute Zugang zu erschlossenen Wasserquellen sowie auch besseren Sanitäreinrichtungen.

 

Medizinische Grundversorgung:

 

Gesundheitseinrichtungen sind in den genannten Städten zwar vorhanden, doch sind die medizinischen Versorgungsdienste aufgrund der Zunahme an Vertriebenen und Rückkehrern deutlich überlastet. Fehlende Finanzmittel stellen ein Haupthindernis beim Zugang zur medizinischen Grundversorgung dar.

 

Grundversorgung:

 

Was den Zugang zum Arbeitsmarkt betrifft, so sind die Arbeitslosenzahlen (bzw. auch die Zahl der Unterbeschäftigten) aufgrund der momentanen Wirtschafts- und Sicherheitslage durchaus hoch (insbesondere für die städtische Jugend), wobei sich dieser Trend in den letzten Jahren noch verschärft hat. Der zunehmende Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt resultiert aus der wachsenden Zahl arbeitssuchender Vertriebener. Die Armut ist in den Städten weit verbreitet und noch immer im Wachsen begriffen. Unter derartigen Rahmenbedingungen bedienen sich immer mehr Leute, die in den Städten leben, nicht willkommener Erwerbsquellen (wie z.B. Verbrechen, Kinderheirat, Kinderarbeit, Bettelei, Straßenverkauf), wobei die traditionellen Hilfsmechanismen (insbesondere in den städtischen Regionen) überlastet sind.

 

EASO-Bericht "Country Guidance Afghanistan", Juni 2018:

 

Nach diesem Bericht finden alleinstehende Männer in den größeren Städten in der Regel zumutbare und vernünftige Fluchtalternativen vor (S. 30, 106). Für Antragsteller, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder sehr lange Zeit außerhalb Afghanistan gelebt haben, kann sich eine innerstaatliche Fluchtalternative als vernünftigerweise nicht vorhanden erweisen, wenn sie kein unterstützendes Netzwerk vorfinden, das bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen unterstützt. Neben dem Vorhandensein eines Netzwerks sind noch lokales Wissen und Bindungen zum Heimatstaat sowie der soziale und wirtschaftliche Hintergrund einschließlich der erlangten Bildung oder professionellen Ausbildung des Antragstellers zu berücksichtigen (S. 30, 109).

 

Ecoi.net - European Country of Origin Information Network:

 

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke),

Februar 2013:

 

Lt. verschiedener Quellen können die Taliban gegen wichtige Personen in Kabul vorgehen. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass die Taliban das Aufspüren von Personen von geringerer Bedeutung in Kabul zu einer Priorität machen würden bzw. dazu die Möglichkeiten hätten. Hinsichtlich der Präsenz der Taliban ist die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat ähnlich wie in Kabul. Nach den Regeln der Taliban müssen Kollaborateure mindestens zweimal gewarnt werden, bevor gegen sie Gewalt angewendet wird.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Die unter II.1.1.1. getroffenen Feststellungen basieren auf dem Inhalt der vorgelegten die beiden BF betreffenden Fremdakte. Die Feststellung zur Identität des BF1 gründet auf der im den BF1 betreffenden Fremdakt einliegenden Kopie eines Reisepasses. Die BF2 legte über das gesamte Verfahren keine ihre Identität bestätigenden Dokumente vor und ist zu der von ihr dem BFA vorgelegten türkischen Aufenthaltsberechtigungskarte zu sagen, dass diese auf den Namen " XXXX " lautet, somit auf einen von dem von ihr in Österreich über das gesamte Verfahren angegebenen Namen verschiedenen Namen und ist zu beachten, dass die BF2 vor dem BFA am 14.6.2018 angab "das ist nicht unser Nachname, mein Mann hat sich darum gekümmert. Ein Bekannter hat uns geholfen, wir waren froh über diesen anderen Namen, weil mein Mann verfolgt wird" (BF2 betreffende BFA Niederschrift vom 14.6.2018, S. 2).

 

2.2. Die unter II.1.1.2. getroffenen Feststellungen fußen auf dem Inhalt der vorgelegten beiden BF betreffenden Fremdakte des BFA.

 

2.3. Die unter II.1.1.3. getroffenen Feststellungen gründen auf den von den beiden BF jeweils über das gesamte Verfahren gleichbleibend gemachten Angaben.

 

2.4. Die unter II.1.1.4. getroffenen Feststellungen gründen darauf, dass diese Angaben über das gesamte Verfahren gleichbleibend erstattet wurden. Bei dem mitgereisten Sohn der beiden ( XXXX ) handelt es sich um einen Erwachsenen (geb. XXXX ). Die zu der Berufserfahrung des BF1 getroffene Feststellung gründet auf seinen Angaben vor dem BFA am 5.12.2017 (BF1 betreffende BFA Niederschrift S. 8). Das Ausmaß seiner Berufstätigkeit kann in Ermangelung von Arbeitszeugnissen und / oder -bestätigungen nicht feststellt werden.

 

2.5. Die unter II.1.1.5. getroffene Feststellung zur Volksgruppe und zur Religionszugehörigkeit gründet auf den dahingehend über das gesamte Verfahren gleichbleibend gemachten Angaben der beiden BF. Die beiden BF gehören somit der zweitgrößten Ethnie Afghanistans an. Ihre Glaubensgemeinschaft ist jene der Sunniten, welche 80% bis 89,7% der sich zum Islam bekennenden Bevölkerung ausmachen. Bei den beiden BF handelt es sich somit um Gläubige der Staatsreligion Afghanistans.

 

2.6. Die unter II.1.1.6. getroffenen Feststellungen basieren darauf, dass die beiden BF sich von der Erstbefragung über die Befragung vor dem BFA bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Dari verständig machten bzw auf den Angaben des BF1 vor dem BFA ("meine Muttersprache ist Dari. Ich spreche auch noch Farsi", (BF1 betreffende BFA Niederschrift S. 8). BF1 und BF2 haben in Österreich Deutschkurse über mehrere Monate belegt, ohne ein Zertifikat über eine Deutschprüfung nachzuweisen.

 

Der BF1 belegte in Österreich zur Erlangung von Deutschkenntnissen einen Deutschkurs beim Flüchtlingsprojekt XXXX von 1.9.2017 bis 31.12.2017, einen Alphabetisierungskurs im Ausmaß von 384 UE (11.9.2017 bis 8.5.2018), einen Alphabetisierungskurs im Ausmaß von 90 UE (18.3.2019 bis 30.4.2019).

 

Es wird dem BF1 von den ihn behandelnden Ärzten des XXXX bescheinigt, er könne die deutsche Sprache nicht erlernen. In der Verhandlung antwortete er auf deutsche Fragen mit "Ich habe nicht verstanden; das verstehe ich nicht" (Verhandlungsschrift S. 20).

 

Die BF2 belegte in Österreich zur Erlangung von Deutschkenntnissen einen Alphabetisierungskurs bei XXXX GmbH über 160 Kurseinheiten von 5.10.2016 bis 21.5.2017, einen VHS-Kurs "Basisbildung und Deutsch als Fremdsprache von 3.7.2017 bis 4.8.2017, einen Alphabetisierungskurs / Deutschkurs beim Flüchtlingsprojekt XXXX vom 1.9.2017 bis 30.9.2017, einen Alphabetisierungskurs im Ausmaß von 366 UE (11.9.2017 bis 8.5.2018), einen Alphabetisierungskurs im Ausmaß von 450 UE (5.11.2018 bis 28.6.2019), einen Deutschkurs bei XXXX GmbH in der Zeit von 30.9.2019 bis 21.11.2019. Dennoch vermochte die BF2 auf deutsche Fragen nicht in ganzen Sätzen zu antworten ("Heute Mittwoch" auf die Frage "welchen Tag haben wir heute?", auf die Frage "wo leben Sie in Österreich?" antworte sie bloß mit "Wien" und beantwortete die darauffolgende Frage nach ihrer Adresse "wo genau in Wien?" mit "Österreich"; Verhandlungsschrift S. 10).

 

Sie vermochte auch nicht auf konkrete Fragen in deutscher Sprache zu antworten: auf die Frage "in welchem Bundesland leben Sie?" gab sie zur Antwort "vier Jahre Österreich". Auf die Frage "wie heißt Ihre Adresse?" folgte "Adresse. Tschuldigung". Den Straßennamen ihrer Wohnadresse konnte sie nicht nennen ("Haltestelle?") und setzte auf Dari fort "ich bin Analphabetin"). Die Frage ob Sie in Österreich Freunde habe, beantwortete sie mit "Österreich?" setzte in Dari fort "ich habe es nicht verstanden" und gab an "bissage sprechen" (Verhandlungsschrift S. 11). Sie vermochte nicht in deutscher Sprache über den Alltag in Österreich zu berichten (Verhandlungsschrift S. 11).

 

Das im Beschwerdeschriftsatz auf Seite 22 Vorgebrachte "entgegen der Ansicht der belangten Behörde spricht die BF [gemeint wohl BF2] sehr wohl deutsch" kann daher nicht nachvollzogen werden und liegt das im Beschwerdeschriftsatz behauptete A1 Zertifikat im vorgelegten Fremdakt nicht ein und ist dabei auf den "quod non est in actis non est in mundo" hinzuweisen.

 

Sowohl BF1 als auch BF2 konnten sich daher in der mündlichen Verhandlung von der Richterin in deutscher Sprache zu alltäglichen Fragen zu deren Lebensgestaltung in Österreich befragt nicht verständigen (Verhandlungsschrift S. 10 f, S. 20).

 

2.7. Die unter II.1.1.7. getroffenen Feststellungen gründen auf der am 10.12.2019 vorgenommenen Einsichtnahme in das bei der Republik Österreich geführte unbedenkliche Strafregister.

 

2.8. Sowohl BF1 als auch BF2 legten dem Bundesverwaltungsgericht ihre Gesundheit betreffende medizinische Beweismittel von von ihnen konsultierten niedergelassenen Ärzten und / oder von diese jeweils behandelt habenden Krankenanstalten vor.

 

2.8.1. Den BF1 betreffend ist zu den im zuletzt vorgelegten medizinischen Beweismittel (Fachärztl. Befundbericht vom 4.11.2019, eingelangt am 8.11.2019) zu sagen, dass der BF auch schon vor dem BFA am 5.12.2017 angab auf S. 3: "Ich habe psychische Probleme" und die erkennende Richterin dazu darauf hinweist, dass der Sohn des BF1 beim behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. XXXX laut dessen Arztbrief vom 1.12.2017 angibt, dass der den BF1 begleitende Sohn über "depressive Symptomatik seit gut 15 Jahren berichtet". Aus diesem Arztbrief Dris. XXXX geht hervor, dass diese Schilderung aus der Anamnese stammt, nämlich aus den Angaben des Sohnes XXXX , mit welchem sich der Arzt wegen der Sprachbarriere des Vaters über den Status des Vaters verständigt. Es geht aus dem Arztbrief hervor, dass "weiters besteht Vergesslichkeit, einmalig auch verwirrt" aus den Angaben des Sohnes stammt. Die im Arztbrief enthaltene Diagnose "Depression und Spannungskopfschmerz" beschreibt nicht etwa lebensbedrohliche Erkrankungen.

 

Der im Arztbrief vom 1.12.2017 beschriebene Kopfschmerz "Kopfschmerz wird wie Spannungskopfschmerz mit psych. Aggravation geschildert" wird nicht vom Arzt befundet, sondern wird als "wird geschildert" beschrieben und damit bloß vom Sohn des BF1 Geschildertes festgehalten, gegen dessen Bekämpfung der Facharzt dien Einnahme von Saroten abends empfahl.

 

Der im Arztbrief vom 1.12.2017 beschriebene Fremdkörper der Galea - für welchen der Arzt keine Notwendigkeit einer operativen Entfernung sah - wurde im KH XXXX im Mai 2018 entfernt (Beweismittel Patientenbrief des KH XXXX vom 25.5.2018), sodass von diesem Fremdkörper künftig keine gesundheitliche Beeinträchtigung ausgehen kann.

 

Zu dem zuletzt vorgelegten medizinischen Beweismittel - eingelangt am 8.11.2019 - ist festzuhalten, dass der fachärztliche Befundbericht des XXXX vom 4.11.2019, festhält, dass abermals wegen Sprachbarriere die Kommunikation zum Großteil über den Sohn XXXX erfolgt ist und der Sohn es war, welcher "weiterhin zunehmende Vergesslichkeit" schildert. Eine depressive Pseudodemenz wird "eventuell" als eine Teilkomponente der Gesamtsymptomatik festgehalten und wird eine dementielle Entwicklung aufgrund der Verlaufskontrollen und der initialen leichten Besserung unter antidementiver Therapie angenommen. Zu beachten ist, dass dieser Befundbericht sowie die darin angeratene Medikation inhaltsgleich mit dem in der [0]Verhandlung am 16.10.2019 vorgelegten fachärztlichen Befundbericht des XXXX vom 14.10.2019 ist.

 

Sowohl der am 8.11.2019 eingelangte fachärztliche Befundbericht des XXXX vom 4.11.2019 als auch der in der Verhandlung vorgelegte inhaltsgleiche Befundbericht des XXXX vom 14.10.2019 stellen die Diagnosen F43.2 Anpassungsstörung/DD Posttraumatische Belastungsstörung und F00.9 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet.

 

Eine Anpassungsstörung/DD Posttraumatische Belastungsstörung ist nicht eine lebensbedrohliche Erkrankung.

 

Zu der Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet, ist festzuhalten, dass ein Patientenbrief einer Krankenanstalt vorgelegt wurde, in welchem ein stationärer Aufenthalt des BF1 im Mai 2018 dokumentiert ist (Patientenbrief des KH XXXX vom 25.5.2018, Abteilung Plastische Chirurgie) und wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein jüngerer Krankenhausaufenthalt nicht bekannt gegeben. Diesem Patientenbrief nach wurde der BF "in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen".

 

Zu der Diagnose F00.9 Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet, ist auf den International Classification of Diseases ("Internationale Klassifikation von Krankheiten") hinzuweisen:

 

"Demenz (ICD-10-Code: F00-F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. Die Sinne (Sinnesorgane, Wahrnehmung) funktionieren für die Person im üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; gelegentlich treten diese Syndrome auch eher auf. Sie kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen." (WHO, Dilling et al. 2008).

 

Die in den "International Classification of Diseases" (ICD) postulierten Kriterien zur Diagnosevergabe einer Demenz verlangen das Vorliegen einer Störung des Gedächtnisses im Sinne der gestörten Fähigkeit, neue Gedächtnisinhalte zu erwerben und zu behalten sowie des Verlusts von in der Vergangenheit erworbenen Gedächtnisinhalten. Auch das Denken ist gestört, sodass Urteilsvermögen, Ideenfluss und die Informationsverarbeitung gestört sind. Zudem müssen die Symptome mindestens seit 6 Monaten vorliegen und zu einer alltagsrelevanten Beeinträchtigung des Lebens führen (WHO, Dilling et al. 2008)" (entnommen aus: Grüner Eva, ß-Amyloidplasmakonzentrationen und Hyposmie in Assoziation zur Entwicklung von Alzheimer-Demenz, Inaugural-Dissertation, Tübingen, 2017; abgefragt am 10.12.2019 unter

https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/74698/Dissertation Eva Gr üner%20pdf.pdf?sequence=1&isAllowed=y).

 

Dass für den BF die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben, ist in den vorgelegten medizinischen Beweismitteln nicht dokumentiert: der fachärztliche Befundbericht des XXXX vom 4.12.2017 über Vorstelligkeit des BF1 am 9.10.2017 beinhaltet die Diagnose des Ambulatoriums: F32.1. Depressio. Medikament: Cipralex 10mg in Dosierung 1-0-0-0. Der Arztbrief Dris. XXXX , XXXX , FA für Neurologie & Psychiatrie, vom 1.12.2017, weist nicht die Diagnose Alzheimer aus. Der Befundbericht des Diagnosezentrums XXXX vom 29.8.2017 über CT Schädel wegen Zuweisungsdiagnose "Vergesslichkeit, fragliche Demenz, DD Pseudodemenz bei Depressio, organisches Korrelat? Allgemeinveränderungen?" mit Ergebnis: Metallfremdkörper in der Gelea rechts frontopariental. Sonst an der Schädelkalotte keine weiteren Auffälligkeiten. Unauffällige Weite der Liquorräume, anlagebedingte leichte Asymmetrie zugunsten links. Periventrikulär mäßig ausgebildete flaue Hypodensitäten - mäßig ausgebildete SAE. Regelrechte Lage der Mittellinie, keine Raumforderungszeichen.

Ergebnis: 1. Mäßige mikrovasuläre Veränderungen, keine Raumforderungszeichen. 2. Metallfremdkörper in der Galea rechts frontopariental, wurde an das XXXX adressiert und der von diesem Ambulatorium stammende (im Verfahren vorgelegte und darauffolgend datierte) fachärztliche Befundbericht stammt vom 11.6.2018 und ist darin als Diagnose festgehalten: F32.1 Depressio, DD posttraumatische Belastungsstörung, Vd. Dementielle Entwicklung. Es bestand also der Verdacht auf Dementielle Entwicklung.

 

Der einen Monat zuvor verfasste Entlassungsbrief Pflege (Situationsbericht) des KH XXXX vom 25.5.2018 beschrieb, dass der BF zum Zeitpunkt der Entlassung selbständig war und laut Patientenbrief des KH XXXX vom 25.5.2018 am gleichen Tage in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden konnte. Der BF1 war stationär aufgenommen und ist bei einem stationären Krankenhausaufenthalt evident, dass der BF1 als Patient von mehreren Beschäftigten der Krankenanstalt - von ÄrztInnen über DiplomkrankenpflegerInnen bis hin zu PflegehelferInnen - betreut wurde und ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmungen dieser Personen in die im Entlassungsbrief enthaltene Beschreibung des Allgemeinzustands einfließen und diese - so der BF im April 2019 einen auffälligen Status Psychicus an den Tag gelegt hätte - die dahingehenden Wahrnehmungen verschriftlicht hätten, sodass ein auffälliger Status Psychicus in die Beschreibung des "Allgemeinzustands" in den Entlassungsbrief eingeflossen wäre.

 

Anzumerken ist, dass im Zeitpunkt des Verfassens des Beschwerdeschriftsatzes (1.8.2018) abermals der fachärztliche Befundbericht des XXXX vom 11.6.2018 (Diagnose: F32.1 Depressio, DD posttraumatische Belastungsstörung, Verdacht auf Dementielle Entwicklung) und nicht etwa ein aktuellerer vorgelegt wurde und bis zur Verhandlung am 16.10.2019 kein in der Zwischenzeit abgefasstes medizinisches Beweismittel über den Gesundheitszustand des BF1 vorgelegt wurde. Der am Tag der Verhandlung vorgelegte und ein Jahr und vier Monate nach dem 11.6.2018 entstandene fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 14.10.2019 hält erstmals neben der Diagnose F43.2 Anpassungsstörung/DD Posttraumatische Belastungsstörung die Diagnose F00.9 "Demenz bei Alzheimer-Krankheit, nicht näher bezeichnet" fest.

 

Demenz ist an sich keine lebensbedrohliche Krankheit und ist zu Alzheimer zu sagen, dass laut dem World Alzheimer Report 2019 (abgerufen am 10.12.2019 unter https://www.alz.co.uk/research/WorldAlzheimerReport2019.pdf ) geschätzt wird, dass mehr als 50 Millionen Menschen weltweit mit Demenz leben (Seite 13 des Berichts) und wird auch Afghanistan in diesem Bericht nicht außen vor gelassen (vgl. Seite 69 des Berichts). Da somit diese Krankheit auch im Land Afghanistan bekannt ist, ist davon auszugehen, dass es dem BF1 auch im Herkunftsstaat möglich sein wird, sich in medizinische Behandlung zu begeben und gibt es laut aktuellem Länderbericht Krankenanstalten im Herkunftsstaat (siehe die "Liste einiger staatlicher Krankenhäuser" oben unter II.1.2.).

 

Daher war betreffend den BF1 die unter II.1.1.8. getroffene Feststellung zu treffen.

 

2.8.2. Die BF2 betreffend ist aus dem zuletzt (am 16.10.2019) vorgelegten medizinischen Beweismittel - welches das jüngste die Gesundheit der BF2 betreffende Beweismittel ist - zu entnehmen, dass die BF2 im Feber 2019 vom 12.2. bis 14.2. stationär im XXXX aufhaltig war und nach einer Operation am rechten Kniegelenk mobilisiert und nach unkompliziertem stationären Verlauf "in gutem Allgemeinzustand und subjektiv beschwerdearm in häusliche Pflege" entlassen wurde und nicht etwa in eine Spezialklinik überwiesen wurde. Weiters wird darin festgehalten: "Nachkontrollen zur Qualitätssicherung erforderlich. Termine werden mit der Patientin vereinbart" und ist festzuhalten, dass weder nach Feber 2019 (Akt ist seit August 2019 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig), noch nach der im Oktober 2019 stattgefundenen mündlichen Verhandlung medizinische Beweismittel über regelmäßige Kontrollen der BF2 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurden, auch nicht mit der Urkundenvorlage vom 7.11.2019 (eingelangt am 8.11.2019).

 

Der die BF2 betreffende Gesundheitliche Bericht Dris. XXXX vom 14.10.2019 stammt aus der Feder eines Arztes für Allgemeinmedizin und attestiert der BF2 Depressionen, Lumbaog und CVS-Syndrom und infolge Arbeitsunfähigkeit.

 

Nach der mündlichen Verhandlung im Oktober 2019 datierte medizinische Beweismittel zu diesen Leiden wurden von der BF2 dem Bundesverwaltungsgericht nicht übermittelt. Auch wurden Nachweise über eine laufende Behandlung der BF2 etwa bei einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie dem Gericht nicht zur Kenntnis gebracht.

 

Die im Gesundheitlichen Bericht Dris. XXXX vom 14.10.2019 genannten Leiden sind nicht lebensbedrohliche Erkrankungen. Der letzte dem Bundesverwaltungsgericht bewiesene stationäre Aufenthalt der BF2 in einem öffentlichen Krankenhaus war jener im XXXX Wien, belegt durch den Stationären Patientenbrief vom 14.2.2019 über die Arthroskopische Operation des Kniegelenks und Rehabilitationsplanerstellung, welche erfolgte wegen länger bestehenden Schmerzen im rechten Kniegelenk. Beachtet wird dabei, dass die BF2 laut Patientenbrief des XXXX Wien "subjektiv beschwerdearm" und "in gutem Allgemeinzustand" entlassen wurde und ist zu bemerken, dass die BF2 am 14.6.2018 vor der belangten Behörde bloß vorbrachte, sich den Fuß verstaucht zu haben und die Physiotherapie zweimal pro Woche aufzusuchen und weiters angab "sonst keine Erkrankungen und keine Medikamente. Mir geht es gesundheitlich und psychisch gut" (BF2 betreffende BFA-Niederschrift aus Juni 2018, S. 2).

 

Infolge dessen, dass die vorgelegten Beweismittel eine lebensbedrohliche Erkrankung der BF2 nicht belegen, war die unter II.1.1.8. getroffene Feststellung zur BF1 zu treffen.

 

2.8.3. Zu der Gesundheitsversorgung der beiden BF bei Rückkehr nach Afghanistan ist unter Bezugnahme auf den aktuellen Länderbericht festzuhalten, dass der afghanischen Verfassung zufolge der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen hat und die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren fördert. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an, die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira und hat der männliche BF1 im bisherigen Verfahren als Identitätsdokument einen Reisepass vorgelegt und wird er auch für seine Ehefrau BF2 ein Identitätsdokument nach Rückkehr erlangen können, sodass BF1 und BF2 unter Vorlage dieser auch in ihrem Herkunftsstaat in einem jener staatlichen Krankenhäusern, welche kostenfrei behandeln, eine kostenlose Behandlung - und somit medizinische Behandlung - erlangen werden.

 

Zu der medizinischen Versorgung im Herkunftsstaat ist unter Berufung auf die Feststellungen im Länderbericht zu sagen, dass diese in großen Städten und auf Provinzlevel sichergestellt ist. Die medizinische Versorgung in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif anbelangend ist zu sagen, dass in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste anbietet. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben." Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland.

 

In der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif gibt es zwischen zehn und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig, doch ist - betrachtet man die stationäre Aufenthaltsdauer der beiden Beschwerdeführer in den vorgelegten medizinischen Beweismittel aus der Feder der von Ihnen in Österreich aufgesuchten öffentlichen Krankenanstalten, so bedurften BF1 und BF2 in Österreich bloß kurzzeitigen stationären Aufenthalten.

 

Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).

 

Für die Rückkehr ist zu sagen, dass innerhalb der afghanischen Bevölkerung viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen leiden und die afghanische Regierung im Wissen darum mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt hat, auch wenn der bisherige Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig sind. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt und die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam.

 

Jedoch sind in der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus vorhanden. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können (BDA 18.12.2018). Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019). Geht man gemessen an der dem Gericht mit Beweismitteln nachgewiesenen stationären Aufenthalten der BF in österreichischen Krankenanstalten davon aus, dass diese auch in afghanischen Krankenanstalten im Falle einer stationären Aufnahme ähnlich lange im Krankenhaus verbleiben werden und dabei Unterstützung von in Afghanistan vorhandenen Verwandten in Anspruch nehmen werden, sodass diese sie bei stationären Unterbringung ins Krankenhaus begleiten.

 

In Afghanistan bieten alle Provinzkrankenhäuser landesweit kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan (BFA 4.2018).

 

In den Krankenhäusern Mazar-e -Sharif Regional Hospital, Darwazi Balkh, in Herat Regional Hospital, kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten, auch wenn es keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif gibt. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.4.2019). In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (BFA 4.2018).

 

Die beiden BF werden daher auch bei Rückkehr nach Afghanistan in die innerstaatliche Fluchtalternative Herat oder nach Mazar-e Sharif medizinische Hilfe gegen Depressio und gegen die in den Beweismitteln beschriebenen Symptome in Anspruch nehmen können.

 

2.8.4. In Bezug auf einen gesundheitlich beeinträchtigten Fremden hat nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet (VwGH 21.2.2017, Ro 2016/18/0005). Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (VwGH 20.6.2017, Ra 2016/01/0153; 23.3.2017, Ra 2017/20/0038, 0039, mwN unter anderem auf das Urteil des EGMR vom 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien).

 

2.8.5. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es - außer für in Armee und Polizei Beschäftigte - in Afghanistan nicht, sodass die beiden Beschwerdeführer (B1 Jahrgang XXXX und BF2 Jahrgang XXXX) eine Erwerbstätigkeit ausüben werden können und der BF1 dabei auf seine bereits in Afghanistan erworbene Berufserfahrung bewerkstelligen wird können. Der BF1 ist auch arbeitswillig, denn er hat auch in Österreich bereits freiwillige Arbeiten geleistet (Beweismittel der XXXX Wien vom 21.10.2019 10x auf freiwilliger Basis (Malerarbeiten, Reinigungsarbeiten, Unterstützung beim Transport) im Ausmaß von 130 Arbeitsstunden). Dass die beiden BF in Afghanistan keine Schulbildung erworben haben, schadet dabei nicht - laut Länderbericht ist die Analphabetenrate hoch, sodass nicht jeder Afghane eine Schulbildung hat.

 

2.9. Die unter II.1.1.9. getroffene Feststellung gründet auf dem Schreiben der XXXX Wien vom 21.10.2019, wonach er 10x auf freiwilliger Basis (Malerarbeiten, Reinigungsarbeiten, Unterstützung beim Transport) im Ausmaß von 130 Arbeitsstunden geleistet hat.

 

2.10. Die unter II.1.1.10. getroffenen Feststellungen stützen sich auf die Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem des Bundes.

 

2.11. Die unter II.1.1.11. getroffene Feststellung gründet auf dem Inhalt der vorgelegten Fremdakte des BF, wonach XXXX , geb. XXXX , als deren Sohn im Oktober 2015 mit ihnen gemeinsam eingereist ist und welcher die beiden BF laut den vorgelegten medizinischen Beweismitteln auch zu den Arztbesuchen begleitet und dabei dolmetscht. Das Verfahren des XXXX ist derzeit in der Gerichtsabteilung W265 anhängig.

 

Zu der Feststellung zu in Afghanistan vorhandene Verwandte: Dass die beiden BF nicht noch über wohlgesonnene Angehörige in Afghanistan verfügen, kann nicht ausgeschlossen werden vor dem Hintergrund des aktuellen Länderberichts, wonach Quellen zufolge Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und genau Bescheid wissen, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt. Auch wenn im aktuellen Länderbericht diese Textpassage sich unter "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF)" findet, so ist auf die verba dieses Textes hinzuweisen: aus der Formulierung "viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten" geht hervor, dass zwar "vor allem Minderjährige" so instruiert sind, jedoch kommt aus den verba "viele Migranten" in Zusammenschau mit dem darauffolgenden Satzteil betreffend Minderjährige hervor, dass auch erwachsene Asylwerber instruiert sind, lebende Verwandte in Afghanistan oder Kontakt zu Verwandten in Afghanistan in Abrede zu stellen.

 

2.12. Die Feststellungen unter II.1.1.13. gründen darauf, dass die beiden BF Angehörige der Islamischen Republik Afghanistans sind und sich zur Staatsreligion des Islam bekennen. Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime und somit Angehörige des laut Verfassung als Staatsreligion geltenden Islams. Die Feststellung war zu treffen, da Anderslautendes - auch nicht betreffend die Angehörigen der Volksgruppe der Tadschiken (zweitgrößte Ethnie in Afghanistan) - weder aus dem Länderbericht der Staatendokumentation, noch aus den Dokumenten des UNHCR, noch aus den notorischen Amtswissen ableitbar ist und auch die Höchstgerichte nichts Anderslautendes judizieren.

 

Die beiden BF sind Sunniten, welche die überwiegende Mehrheit der sich zum Islam bekennenden Afghanen bilden. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind laut Länderbericht selten.

 

2.13. Die unter II.1.1.14. getroffene Feststellung fußt darauf, dass Anderslautendes weder dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation, noch aus den Dokumenten des UNHCR, noch der höchstgerichtlichen Judikatur, noch dem notorischen Amtswissen zu entnehmen ist.

 

Der BF1 ist nicht als "westernized man" anzusehen und droht ihm daher bei Rückkehr keine Verfolgung aus einem solchen Grunde. Er wurde in seinem Herkunftsstaat geboren, gehört einer Volksgruppe Afghanistans an, lebte sein gesamtes bisheriges Leben in einem von islamischen Werten geprägten Land (zunächst im Herkunftsstaat, später im Iran und auch in der Türkei) und ist einer in Afghanistan von der Verfassung anerkannten Sprache mächtig. Der BF wurde in Afghanistan im Familienverband sozialisiert, hat dort gewohnt und Berufserfahrung erlangt. Der im Jahre XXXX geborene BF1 hat bloß seit Oktober 2015 Zeit in einem westlichen Land verbracht.

 

Dem BF1 droht nicht eine Verfolgungsgefahr aufgrund westlicher Gesinnung (westernized man): Soweit man eine Veränderung als "Verwestlichung" werten kann, ist anzuführen, dass es aus dem notorischen Amtswissen nicht ableitbar ist, dass alleine ein Aufenthalt in Europa und eine westliche Geisteshaltung bei Männern bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würden; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Der BF1 vermochte sich nicht in deutscher Sprache zu verständigen (siehe Verhandlungsschrift S. 20). Es ist also daher davon auszugehen, dass er sich in Österreich weiterhin in seiner Muttersprache unterhält, sodass bei Rückkehr des BF1 etwa nicht schon anhand seiner Sprache auffallen wird, dass er im Ausland war.

 

Aber selbst bei nunmehr der deutschen Sprache mächtigen Afghanen ist weder der höchstgerichtlichen Judikatur, noch den Länderberichten zu entnehmen ist, dass Afghanen bloß aufgrund der Tatsache, dass sie einer in westlichen Ländern verbreiteten Sprache kundig sind, in einem gewissen Focus regierungsfeindlicher Kräfte stehen.

 

2.14. Die unter II.1.1.16. getroffenen Feststellungen zur Herkunftsprovinz Kapisa gründen auf dem dahingehend über das gesamte Verfahren gleichbleibend Vorgebrachten und zu den Feststellungen zu der Sicherheitssituation in der Herkunftsprovinz selbst, ist festzuhalten, dass dies auf den aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation zurückgehen.

 

Zu den Gründen, aus welchen den beiden BF die innerstaatlichen Fluchtalternativen Herat und Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh zumutbar sind, wird auf die Ausführungen unter II.2.16. verwiesen.

 

2.15. Die unter II.1.1.15. getroffenen Feststellungen zu dem Mangel an westlicher Orientierung der BF2 fußt auf Folgendem:

 

Eine "Verwestlichung" der BF2, Jahrgang XXXX , anbelangend ist zu sagen, dass die BF2 am 5.12.2017 vor dem BFA (somit mehr als zwei Jahre nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet) in der Zeit von 13.05 Uhr bis 15 Uhr befragt wurde und zu ihren Fluchtgründen einen laut ihren Angaben vom Sohn geschriebenen Text vorlegte und in freier Erzählung angab: "Ich bin wegen meinem Mann mitgegangen." Und auf die darauffolgende Frage nach eigenen Fluchtgründen angab "Nein, es war wegen meinem Mann) (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 6). Näher zu den Taliban, welche laut ihren Angaben den BF1 verfolgt hätten, befragt, begann sie zu weinen (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 6). Eigene Fluchtgründe brachte sie nicht vor und führte sie auch nicht aus, dass sie sich aufgrund ihres Geschlechts in Afghanistan schlecht behandelt oder diskriminiert, verfolgt oder bedroht gefühlt hätte. Die Frage "hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?" bejahte sie (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 11) und gab sie nach wortwörtlicher gesamter Rückübersetzung an "es war alles korrekt (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 12).

 

In der Befragung vor dem BFA am 14.6.2018 (8.40 Uhr bis 8.50 Uhr) berichtete sie von einer Fußverstauchung in der Küche, zweimal wöchentlichem Physiotherapiebesuch und gab sie an "sonst keine Erkrankungen und keine Medikamente. Mir geht es gesundheitlich und psychisch gut" (BF2 betreffende BFA-Niederschrift aus Juni 2018, S. 2) und beantwortete sie eine Frage zu der aus der Türkei stammenden Aufenthaltsberechtigungskarte lautend auf XXXX . Sie gab auch an, dass der BF1 und der Sohn als Gelegenheitsarbeiter in der Türkei den Lebensunterhalt bestritten hätten und sie Verfolgungsängste gehabt hätten. Eigene Fluchtgründe brachte sie nicht vor und führte sie auch nicht aus, dass sie sich aufgrund ihres Geschlechts in Afghanistan schlecht behandelt oder diskriminiert, verfolgt oder bedroht gefühlt hätte. Dass sie nach der wortwörtlichen Rückübersetzung Änderungen am Protokoll gewünscht hätte, ist dem Protokoll (schriftliche öffentliche Urkunde) nicht zu entnehmen.

 

In der Beschwerde wird eine westliche Orientierung der BF2 auf S. 19

f. vorgebracht und - unter Hinweis auf die im Akt befindlichen Integrationsunterlagen - eine neuerliche Einvernahme der BF2 in der mündlichen Verhandlung beantragt. Eine Verwestlichung wurde aber von der BF1 in der Verhandlung nicht aus eigenem erwähnt und auch nicht glaubwürdig dargelegt.

 

Die BF2 erschien zur mündlichen Beschwerdeverhandlung "westlich" gekleidet und ist nur der Vollständigkeit halber auf die höchstgerichtliche Judikatur hinzuweisen, dass "westlicher Lebensstil" nicht etwa bloß aus dem Umstand des Erscheinungsbildes von Beschwerdeführern bei der mündlichen Verhandlung erkennbar ist (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388). Auch wenn der westliche Kleidungsstil einen Aspekt "westlicher" Lebensweise ausmacht, so stellen die unten angeführten Aspekte, die die tatsächlich von der BF1 gelebten Umstände widerspiegeln, bedeutsamere Merkmale einer - letztlich inneren - Geisteshaltung dar als die plakativ nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).

 

Die Umstände des Lebensalltages der BF2 in Österreich (Besuch von Sprachkursen, Leben im Familienverband) lassen nicht darauf schließen, dass diese eine "westliche" Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat, welche zu einem wesentlichen und unverzichtbaren Kernelement ihrer Identität geworden wären und die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden.

 

Die BF2 gab auf die Frage "Ist Ihnen persönlich etwas passiert oder zugestoßen, wo Sie sagen können: "Das ist ein Grund, warum ich nicht mehr in Afghanistan bleiben könnte."? an:

 

"Ich als eine Frau hat dort keine Freiheit. Ich konnte mich nicht frei bewegen. Ich konnte mich nicht mal meine Freunde treffen.

Befragt, wer meine Freunde in Afghanistan waren: Ich erinnere mich nicht an Namen. Befragt, wo diese Freunde gewohnt haben: In der Nähe von uns, in der Nachbarschaft. Befragt, was ich mit den Freunden unternommen habe: Nein, durfte ich nicht." (Verhandlungsschrift S. 8). Dazu ist zu sagen, dass es nicht plausibel ist, dass es der BF2 erst im Oktober 2019 erinnerlich war, darunter gelitten zu haben, dass sie außerhalb des Familienverbands nicht Kontakt mit Freunden haben durfte. Es ist auch nicht plausibel, dass die BF Freunde hatte: erstens, da sie nicht einen einzigen Namen nennen konnte, was ungewöhnlich erscheint, wenn man bedenkt, dass sie diese Personen als "Freunde" titulierte. Zweitens in Zusammenschau mit ihrer Antwort "Ich habe niemanden dort" auf die Frage "Sie haben dort

Freunde gehabt. Wem würden Sie in Afghanistan sagen: ‚Hallo, ich bin wieder da. Hier sind meine Adresse und meine Telefonnummer?'" (Verhandlungsschrift s. 10).

 

Die BF2 gab als ihr Leben in Afghanistan an, dass sie in Afghanistan "allges gemacht, gekocht, geputzt" habe (Verhandlungsschrift S. 6) und auf die Frage wie ihr Leben jetzt zu damals aussieht, trug sie nicht eine wesentliche Abweichung vom alten Leben in Afghanistan vor: "Nach dem Frühstück gehe ich zum Deutschkurs, dann komme ich nach Hause. Wenn ich irgendwelche Termine habe, wie z. B. Waschküche, dann erledige ich das und dann gehe ich einkaufen. Manchmal rufen mich die Freunde an und gehen draußen spazieren."

 

Es basiert die Feststellung, dass die BF2 keine "westliche" Lebensweise angenommen hat, darauf, dass sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung weder überzeugend darlegen konnte, dass sie einen "westlichen" Lebensstil führt, noch, dass sie eine diesbezügliche innere Einstellung hat und dass sich diese nachhaltig verfestigt hätte.

 

Der Unterschied zwischen ihrem derzeitigen Leben und jenem in Afghanistan ist, dass sie in Österreich zum Deutschkurs geht, einkaufen geht und mit Freunden spazieren geht, wenn diese vorher anrufen. Für sich alleine betrachtet ist jedoch Einkaufengehen und mit Freunden Spazierengehen noch kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen" Lebensstil. Es müssen folglich weitere Umstände hinzutreten, um von einer "westlichen" Orientierung ausgehen zu können:

 

Mit ihrem mündlichen Vorbringen in der Verhandlung wies die BF2 nicht auf ein Verhalten hin, dass in den Großstädten Afghanistan verpönt ist oder die Gefahr einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer beziehungsweise religiöser Gesinnung birgt, da sich die in Österreich ausgeübte Lebensgestaltung der BF2 von ihrer in Afghanistan ausgeübten Lebensgestaltung nicht unterscheidet, da sie hier wie dort für die Haushaltsführung verantwortlich zeichnet (sie nannte "Waschküche" und einkaufengehen).

 

Befragt, ob sie sich bereits Erkundigungen über Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsaussichten für ihre Person hier in Österreich eingeholt hat, gab sie an Köchin werden zu wollen. Die BF gab an, ihr Fuß sei "seit zwei Jahren krank" und wenn der Fuß gesund wird, möchte ich arbeiten. Diese Angabe lässt sich trotzdem, dass die BF2 mit dem Gehbehelf Krücken zur Verhandlung erschien, mit den vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht in Einklang bringen, da diesen über eine Erkrankung eines Fußes der BF2 nichts zu entnehmen ist den vorgelegten Beweismitteln zu entnehmen, dass die BF2 bloß im Feber 2019 vom 12.2. bis 14.2. stationär im XXXX aufhaltig war und nach einer Operation am rechten Kniegelenk mobilisiert und nach unkompliziertem stationären Verlauf "in gutem Allgemeinzustand und subjektiv beschwerdearm in häusliche Pflege" entlassen wurde. Irgendwelche eine Erkrankung eines Fußes betreffende medizinische Unterlagen aus der Zeit nach dem stationären Aufenthalt im Feber 2019 wurden dem Gericht bis dato nicht vorgelegt, auch nicht solche, welche belegen würden, dass die BF2 eines Gehbehelfs zur Fortbewegung bedarf. Daher ist nicht mit medizinischen Beweismitteln aus der Feder eines die BF2 behandelnden niedergelassenen Arztes oder einer sie behandelnden Krankenanstalt belegt, dass bei der BF2 ein Gehbehelf medizinisch indiziert ist.

 

Die BF1 besuchte auch Deutschkurse, legte jedoch bis dato keine Zertifikate über bestandene Deutschprüfungen vor und konnte in der Verhandlung nicht eine Konversation über Alltägliches in deutscher Sprache führen.

 

Aus den Angaben der BF2 vor dem BFA am 5.12.2017 ("ich habe Freunde vom heim, meine Lehrerinnen und von XXXX " (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 11) und den am Tag der Verhandlung am 16.10.2019 erschienenen Zuhörern kommt zu Tage, dass die BF2 in Österreich soziale Kontakte geknüpft hat. Dass die BF2 Besorgungen erledigt (einkaufen gehen) und bislang mehrere Deutschkurse besuchte, ist als nach außen tretende Verhaltensweise jedoch keine ausreichende Grundlage für das Führen eines selbstbestimmten Lebens und lässt sich daraus auch nicht ableiten, dass ein freibestimmtes Leben Teil ihrer Identität geworden ist. Die erkennende Richterin geht nach Befragung der BF2 nicht davon aus, dass dieser bereits eine "westliche Orientierung" in dem Ausmaß zugesonnen werden kann, welche zu einem wesentlichen und unverzichtbaren Kernelement ihrer Identität geworden wäre.

 

Überlegungen, wie es ihr im Falle der Rückkehr gehen würde, begann sie zunächst mit dem Hinweis auf ihre Psyche und den Feinden, gegen welche sie sich als Frau nicht werde verteidigen können. Erst dann brachte sie vor "ich verliere die Freiheit, kann mich nicht wieder frei bewegen (Verhandlungsschrift S. 10). Was sie unter "Freiheit" subsumiert, tat sie nicht dar. Für sie ist darunter "freie Bewegung" zu verstehen (Verhandlungsschrift S. 10, "ich durfte nicht das Haus verlassen", Verhandlungsschrift S. 10).

 

Die BF2 hinterließ den Eindruck, die Ausführungen zu westlicher Orientierung einer Frau "einstudiert" zu haben, da sie ihre Gedanken zum Leben einer Frau in Österreich erst dartat, als sie von der Rechtsberaterin in der Fragestellung "Was denken Sie zum Thema Gleichberechtigung?" das verbum "Gleichberechtigung" vernahm (Verhandlungsschrift S. 13). Dabei wird auch beachtet, dass die BF2 in Österreich laut Teilnahmebestätigung vom 20.7.2017 einen Werte- und Orientierungskurs besucht hat und dennoch zu den Rechten der Frau nichts (aus Eigenem) vorbrachte.

 

Wenn die Gleichberechtigung zwischen ihr und ihrem Ehemann ihr ein Anliegen wäre, hätte die BF2 dies auch aus eigenem vorgebracht und begehrte sie gleich darauf eine Pause, in welcher der Betreuer, welcher als Vertrauensperson anwesend war, aufklärte, dass die BF2 befürchte, die Zukunft der gesamten Familie hänge davon ab.

 

Ihre Angabe "Kino manchmal" erfolgte ebenso nicht aus eigenem, als sie zu ihrer Alltagsgestaltung in Österreich befragt wurde (Richterin: "Befragt, wie mein Leben zu jetzt zu damals aussieht, wie der Unterschied zum alten Leben aussieht", Verhandlungsschrift S. 6), sondern auf die Frage der Rechtsberaterin "Haben Sie schon einmal Veranstaltungen wie zB Theater besucht?". Ebenso ihre Teilnahme an einer Demonstration fiel der BF2 nicht aus Eigenem ein, sondern auf die Nachfrage der Rechtsberaterin. Sie verstand die Frage der Rechtsberaterin "Haben Sie sich in Österreich schon einmal politisch engagiert?" zunächst nicht und verstand sie dies auch nicht, als die Rechtsberaterin "Umweltschutz, Fremdenrechtliches" sagte und erst nachdem die Rechtsberaterin die Frage erklärte, fiel der BF2 ein "ich war auf einer Demo dabei" (Verhandlungsschrift S. 13).

 

Wenn es der BF2 aus Eigenem ein Anliegen wäre, ihre Interessen wahrzunehmen und / oder sich mit (Grund‑)Rechten auseinander zu setzen, hätte sie die Teilnahme an der Demonstration aus Eigenem vorgebracht, insbesondere auf die Frage der Richterin "Befragt, wie mein Leben zu jetzt zu damals aussieht, wie der Unterschied zum alten Leben aussieht".

 

Das in der Verhandlung dargebotene Antwortverhalten der BF2 war nicht selbstbewusst und auch im Hinblick auf ihre Antwort als sie mit ihren Deutschkenntnissen konfrontiert wurde, ist festzuhalten, dass sie damit nicht das Bild einer sich an westlichen Werten orientierenden Frau abgab. Sie argumentierte nicht etwa, warum trotz Besuchs einiger Deutschkurse sie noch nicht über einen Prüfungsnachweis verfügt, um etwa darzutun, welchen Aufgaben und oder Herausforderungen sie sich seit ihrer Einreise stellen muss, sodass es ihr zeitlich bisher benommen war, eine Prüfung abzulegen, sondern stellte die Gegenfrage "Was soll ich sagen?" in ihrer Muttersprache.

 

Auszug aus der Verhandlungsschrift

 

"BF2 spricht auf Dari weiter.

 

R: Ich habe jede Woche einige Asylverhandlungen. Sie sind seit 4 Jahren hier. Es gibt viele Menschen, die in Afghanistan leider nicht zur Schule gehen konnten - auch Mädchen und Frauen - und nach vier Jahren gut Deutsch können.

 

BF2 in Dari: Was soll ich sagen?"

 

Insgesamt stellt ihr in Österreich gepflegter Lebensstil keinen nachhaltigen Bruch mit den in ihrem Herkunftsstaat in den Großstädten verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar. Es handelt sich bei ihr nicht um eine "westlich" orientierte Frau. Es ist daher davon auszugehen, dass es der bald 45jährigen BF2 - welche erst seit Oktober 2015 in einem westlichen Land ist - in Herat oder Mazar-e Sharif möglich ist, sich in Afghanistan wieder einzufinden. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die BF2 aufgrund dieses Lebensstils einer Verfolgung in Afghanistan unterliegen würde, da ihre Lebensweise keine solche ist, welche einen nachhaltigen Bruch mit den in den Großstädten ihres Herkunftsstaats verbreiteten gesellschaftlichen Werten darstellt.

 

Der erkennenden Richterin ist durchaus bewusst, dass das Leben als Frau in Afghanistan nicht mit jenem in Österreich - vorallem in Hinblick auf die in Österreich gegebenen Freiheiten - vergleichbar ist, allerdings konnte in der Verhandlung nicht der Eindruck vermittelt werden, dass es sich bei der BF2 um eine in ihrer Grundeinstellung "westlich" orientierte Frau handeln würde, die allein aufgrund ihrer Gesinnung der potentiellen Gefahr einer Verfolgung in ihrem Heimatstaat unterliegen würde. Dies umso mehr, als laut Länderbericht gerade in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif auch für Frauen generell mehr Freiheiten und auch mehr Möglichkeiten in Hinblick auf Berufsmöglichkeiten bestehen.

 

2.16. Die unter II.1.1.17. getroffenen Feststellungen zu der innerstaatlichen Fluchtalternative und zu deren Erreichbarkeit gründen auf dem aktuellen Länderbericht der Staatendokumentation.

 

Der von Österreich aus über den Luftweg gefahrlos erreichbare Ort Mazar-e Sharif in der Provinz Balkh (innerstaatliche Fluchtalternative) oder die von Österreich aus über den Luftweg gefahrlos erreichbare (innerstaatliche Fluchtalternative) Herat sind den beiden BF aus den folgenden Gründen zumutbar:

 

Die beiden BF haben vor Ort in Afghanistan - siehe dazu auch oben unter II.2.11. - aufgrunddessen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie in Afghanistan noch über Verwandte verfügen, ein familiäres Netzwerk. Unter Hinweis auf die Angaben des BF1 vor dem BFA am 14.6.2018, wonach es ihm gelungen ist, einen Bekannten, den er in der Türkei getroffen hat dafür zu gewinnen, dass dieser ihm bei der Beschaffung einer Aufenthaltskarte behilflich ist (BF2 betreffende BFA Niederschrift Juni 2018, S. 2) - bei Wahrunterstellung - ist davon auszugehen, dass es ihm auch im Herkunftsstaat möglich sein wird, bei Rückkehr andere vor Ort um Unterstützung für sich und die BF2 zu bitten.

 

Bei Rückkehr in die innerstaatlichen Fluchtalternativen Mazar-e Sharif ist zu bemerken, dass der BF1 laut seinen Angaben vor dem BFA am 5.12.2017 (BF2 betreffende BFA-Niederschrift S. 8) in Mazar-e Sharif gelebt hat, somit gegenüber anderen aus von Mazar-e Sharif verschiedenen Orten nach Mazar-e Sharif rückkehrenden Personen einen Vorteil hat: er ist ortskundig und kann allenfalls auf Bekanntschaften und / oder Verwandtschaft aus der Zeit seines Aufenthalts dort zurückgreifen.

 

In Mazar-e Sharif und in Herat sind die beiden BF als ein verheiratetes Paar im berufsfähigen Alter ohne Sorgepflichten anzusehen (Anm: Sohn XXXX , geb. XXXX , ist bereits erwachsen). Verheiratete Paare wie die beiden BF (im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf) können aber nach Auffassung von UNHCR auch ohne externe Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in Afghanistan in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, welche die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 [deutsche Fassung], nahezu gleichlautend die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 [englische Fassung], vgl. dort S. 110). Daher werden die beiden BF - durch Nutzung der Berufserfahrung und [in Mazar-e Sharif: durch Ortskunde] des BF2 in Mazar-e Sharif oder in Herat - das wirtschaftliche Überleben unter würdigen Bedingungen sichern können.

 

Für den Fall, dass die beiden BF bei der Wiederansiedelung keine Unterstützung durch in Afghanistan ansässigen Familienangehörige erlangen, ist zu sagen, dass die beiden allenfalls auf die Unterstützung der Mitglieder der Volksgruppe und / oder der Religionsgemeinschaft zurückgreifen können.

 

Unter Hinweis auf den "Auszug aus EASO Bericht Afghanistan Netzwerke vom Januar 2018, Seite 29-31" ist festzuhalten, dass derzeit der Zugang zum Arbeitsmarkt in Afghanistan angespannt und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig, ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Die einzige Ausnahme vom sohin generell gültigen Grundsatz, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur dort angenommen werden kann, wo die betroffenen Personen Zugang zu einem unterstützungsfähigen und -willigen Netzwerk verfügen, stellen laut UNHCR alleinstehende Männer im arbeitsfähigen Alter und verheiratete Paare ohne besonderen Schutzbedarf (keine besonderen Vulnerabilitäten wegen Alter, Geschlecht, Gesundheit, Behinderungen, Familien- und Beziehungssituation) dar. Nur unter bestimmten Umständen könnten diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in städtischen und halbstädtischen Gebieten, die über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügen, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken, und die der staatlichen Kontrolle unterliegen, leben (vgl UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S. 110).

 

Die beiden BF sind jeweils im erwerbsfähigen Alter, sie sind beide nicht lebensbedrohlich krank und ohne Sorgepflichten, ohne besondere Vulnerabilität.

 

Der gegenständliche Fall ist somit mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 in Einklang zu bringen.

 

Unter Hinweis auf den EASO-Bericht "Country Guidance Afghanistan" aus Juni 2018 ist zu sagen, dass in diesem EASO-Bericht zur innerstaatlichen Fluchtalternative dargetane Befürchtungen auf die beiden BF nicht zutreffen: beide BF sind in Afghanistan geboren und haben bis zur Einreise in das westliche Österreich in von islamischen Werten getragenen Staaten (Afghanistan, Iran, Türkei) gelebt. Der BF1 als Ehemann der BF2 bestritt seinem Lebensunterhalt und jenen der BF2 durch seine Erwerbstätigkeit. Bei Rückkehr wird er dies ebenso tun können - da er (trotz der im Arztbrief Dris. XXXX vom 1.12.2017 genannten "depressive Symptomatik seit gut 15 Jahren") laut seinen eigenen Angaben sowohl im Iran als auch in der Türkei zur Bestreitung des Unterhalts des BF1, der BF2 und des Sohnes erwerbstätig war.

 

Für den Fall, dass weder die Familienangehörigen, noch die Mitglieder der Volksgruppe und / oder der Religionsgemeinschaft der beiden BF willens sind, diesen bei der Wiederansiedelung ein Netzwerk zu bilden, so ist zu sagen, dass die beiden BF sich bei Paschtunen auf die Gastfreundschaft Melmastiya aus dem Paschtunwali berufen können: Die Paschtunen haben das gleiche Glaubensbekenntnis wie die beiden BF. Gastfreundschaft ist ein wesentlicher Aspekt des Paschtunwali, dem Kodex der Paschtunen. Dem Dossier der Staatendokumentation "AfPak Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur" (7.2016) zufolge bedeutet die Gastfreundschaft des Paschtunwali Melmastiya, allen Besuchern Gastfreundschaft und tief empfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zugehörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird. Die Paschtunen sind mit 40% der Bevölkerung Afghanistans die Mehrheitsethnie und leben auch in Herat und Mazar-e Sharif, sodass beide BF sich dort bei Mitgliedern der Mehrheitsethnie der Paschtunen auf die Gastfreundschaft des Paschtunwali berufen können.

 

Überdies stehen den beiden BF die Rückkehrprogramme der Regierung und / oder der vor Ort internationalen Organisationen für die Wiederansiedelung zur Verfügung.

 

Bis zum 31.12.2019 können die beiden BF im Rahmen des vom österreichischen IOM-Landesbüro durchgeführten und vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) kofinanzierten Projekts Restart II als freiwillige Rückkehrer nach Afghanistan nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor.

 

Den beiden BF werden bei Rückkehr in den Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK) drohen. Aufgrund oben gemachter Ausführungen zu den persönlichen Voraussetzungen wird der BF1 in der Lage sein, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse - wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich und die Ehefrau BF2 - befriedigen zu können, sodass die beiden nicht in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten werden.

 

Zur Versorgungslage und zu den allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Mazar-e Sharif und Herat ist im Hinblick auf die Länderfeststellungen und unter Berücksichtigung des sonstigen ins Verfahren eingebrachten Berichtsmaterials Folgendes auszuführen:

 

Es wird von der erkennenden Richterin keineswegs verkannt, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse - wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung - häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist und dass Personen, welche sich ohne jegliche familiäre oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte, Fachausbildung oder finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch Dritte in den beiden genannten Städten ansiedeln, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein werden. Die beiden BF haben jedoch in Mazar-e Sharif aus der Zeit des Aufenthalts des BF1 in Mazar-e Sharif in diesem Ort Ortskenntnis und allenfalls Bekanntschaften / Familienmitglieder. Zu beachten ist auch, dass der BF2 vor dem BFA im Juni 2018 einen Bekannten namens XXXX in der Türkei angab, welcher sich für die Familie verbürgt hat, um ihnen zu Aufenthaltskarten zu verhelfen. Diesen könnten die beiden BF nötigenfalls um finanziellen Beistand aus dem Ausland fragen. Zu beachten ist auch, dass der BF vor dem BFA am 5.12.2017 eine Person namens XXXX nannte, welcher ihm wohlgesonnen war, als er ihm anriet, Afghanistan zu verlassen (den BF1 betreffende BFA-Niederschrift, S. 8). Vor dem Bundesverwaltungsgericht bezeichnete er XXXX als "guten Freund von mir" und gab an "wir sind zusammen aufgewachsen" (Verhandlungsschrift S. 16). Der BF1 könnte den Kontakt zu diesem Menschen wiederaufleben lassen, um von diesem Unterstützung einzuholen, auch wenn er auf die Frage, wen er von der Rückkehr verständigen würde, zB XXXX , mit "ich habe dort niemanden" antwortete (Verhandlungsschrift S. 20). Seine Angabe "ich habe dort niemanden" ist vor dem Hintergrund der Ausführungen im Länderbericht, dass viele Migranten instruiert sind zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren, nicht glaubhaft und auch die Ausführung im Beschwerdeschriftsatz "wissen die BF nicht, wo sich ihre Verwandten genau aufhalten" (Beschwerdeschriftsatz S. 23) sind nicht geeignet, Glauben zu machen, dass die ihre Glaubwürdigkeit erschüttert habenden BF tatsächlich keine Verwandte in Afghanistan mehr haben bzw nicht um deren Aufenthaltsort wissen.

 

Aus den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten ist ableitbar, dass die als innerstaatliche Fluchtalternative geltende Stadt Mazar-e Sharif sich wirtschaftlich gut entwickelt. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Auch hinsichtlich Herat ist aus den Länderberichten ableitbar, dass es sich um eine relativ entwickelte Provinz Afghanistans handelt, in der im Harirud-Tal Baumwolle, Obst sowie Ölsaat angebaut werden und in der Safran produziert werden soll, was wiederum zu Arbeitsplätzen führen soll, und dass die Wirtschaftslage vergleichsweise gut ist.

 

Soweit die aktuellen Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 darauf hinweisen, dass die Provinzen Herat und Balkh von Dürre betroffen waren, ist auf die Ausführungen in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre und von ACCORD zu dem Thema "Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif", a-10743, zu verweisen: Darin werden als Folgen der Dürre eine deutlich geringere Getreideernte und Landflucht in Afghanistan genannt, was für die Betroffenen teilweise prekäre Lebensbedingungen zur Folge hat. Allerdings wird auch von zahlreichen internationalen Hilfsprogrammen für die vor der Dürre geflohene Bevölkerung, v.a. in der Provinz Herat, berichtet und schließlich ausgeführt, dass die Getreidepreise trotz geringerer Ernten auf Grund guter Ernten in Pakistan und im Iran im Mai 2018 nicht über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegen würden.

 

Vor diesem Hintergrund wird zwar keineswegs verkannt, dass die Folgen der Dürre in v.a. der Provinz Herat, aber auch in der Provinz Balkh und die damit verbundene "Landflucht" der betroffenen Bevölkerung negative Auswirkungen auf die Versorgungslage in den Städten Mazar-e Sharif und Herat nach sich zieht. In einer Gesamtbetrachtung ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in diesen Städten nicht als zumindest grundlegend gesichert anzusehen wäre.

 

2.16. Die unter II.1.1.12. getroffenen Feststellungen, dass die beiden BF eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen konnten und einer solchen nicht ausgesetzt waren bzw. ihnen eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, fußt auf Folgendem:

 

Gemäß der Judikatur (VwGH 29.5.2006, 2005/17/0252) hat ein BF sein Vorbringen glaubhaft zu machen. Der Ermittlungspflicht der Behörden steht eine Mitwirkungspflicht des BF gegenüber. Der VwGH hat in ständiger Judikatur erkannt, dass es für die Glaubhaftmachung der Angaben erforderlich ist, dass der BF die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert, und dass diese Gründe objektivierbar sind, wobei zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des "Glaubhaft-Seins" der Aussage des Asylwerbers selbst wesentliche Bedeutung zukommt. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit trifft den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 11.11.1991, 91/12/0143, VwGH 13.4.1988, 86/01/0268). Der Antragsteller hat daher das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (u.a. VwGH 26.6.1997, 95/18/1291, VwGH 17.7.1997, 97/18/0336, VwGH 5.4.1995, 93/180289). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

 

BF1 und BF2 wurden jeweils beim BFA und vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgefordert, die Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und alle zur Begründung des Antrages erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Sowohl BF1 als auch BF2 wurden beim BFA jeweils aufgeklärt, dass es unumgänglich sei die Wahrheit zu sagen. Die Antworten und Angaben der beiden BF waren jedoch nicht geeignet, eine derart schwere Verfolgung glaubhaft zu machen, welche die beiden BF dazu veranlasst hätten, den Herkunftsstaat zu verlassen.

 

Es besteht keine Verpflichtung, mangelhafte und bereits als objektiv unglaubhaft einzustufende Angaben durch weitere Erhebungen zu überprüfen. Insgesamt war in Bezug auf die Fluchtgründe von bloßen Behauptungen auszugehen, sodass sich eine nähere Überprüfung dieser Angaben im Heimatland des BF somit erübrigte.

 

Das Verwaltungsverfahren im Asylverfahren sieht neben der allgemeinen Manuduktionspflicht des AVG (§ 13a leg. cit.) eine Reihe weiterer verfahrenssichernder Maßnahmen vor, um einerseits der Verpflichtung nach § 37 AVG nachhaltig Rechnung zu tragen, sowie andererseits um die in einem solchen Verfahren oft schwierigen Beweisfragen zu klären. Daher ist das erkennende Gericht auch auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze angewiesen (vgl. VwGH 16.3.1978, 747/78). Die Bildung von solchen Erfahrungssätzen ist aber nicht nur zu Gunsten des Asylwerbers möglich, sondern sie können auch gegen ein Asylvorbringen sprechen.

 

Zu dem Abstellen auf die allgemeine Lebenserfahrung ist zu sagen, dass es dem Verwaltungsgericht laut Judikatur nicht verwehrt ist, im Rahmen der freien Beweiswürdigung iSd gemäß § 17 VwGVG anzuwendenden § 45 Abs 2 AVG auch die allgemeinen Lebenserfahrungen zu verwerten (VwGH 16.3.1978, 2715/77, 747/78).

 

Es entspricht der ständigen Judikatur des VwGH, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen, oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

 

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 liegt es auch an einem BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Laut Rspr des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs 1, letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt mit Hilfe so genannter "parater" Bescheinigungsmittel zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.5.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und dies betreffend konkrete Umstände anzuführen, welche objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

 

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, welche sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt.

 

Glaubhaftmachung bedeutet davon zu überzeugen, dass der behauptete Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I², Anm. 1 zu § 45, S. 640). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.4.1992, 90/13/0201; VwGH 22.12.1992, 91/04/0019; VwGH 11.6.1997, 95/01/0627; VwGH 19.3.1997, 95/01/0466).

 

Die Glaubhaftmachung hat zum Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.5.2006, 2005/17/0257). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen eines Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, welche für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektive Sichtweise anzustellen. In diesem Zusammenhang ist der unmittelbar anzuwendende Art 4 Abs 5 der Richtlinie 2011/95/EU (Status-RL) maßgeblich, welcher betreffend "Prüfung der Tatsachen und Umstände" im Abs 5 normiert wie folgt:

 

"Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

 

a)-der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

 

b)-alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

 

c)-festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

 

d)-der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

 

e)-die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

 

Unter diesen Maßgaben ist ein Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen und ist dabei auf folgende Kriterien abzustellen: zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, welche insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswich sind oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

 

Am 16.10.2019 gab die BF2 von der erkennenden Richterin zu ihren Fluchtgründen befragt keine in Afghanistan gegen ihre Person gerichtete Verfolgung und / oder Verfolgung an. Auch bei der behaupteten Rede des BF1 auf der Trauerfeier für seinen Bruder war die BF2 nicht persönlich anwesend und berichtete nur vom Hören-Sagen ("ich selber war nicht persönlich dabei, das hat mir mein Mann erzählt", "nein, ich war nicht persönlich dabei" Verhandlungsschrift S. 8).

 

Sie verneinte jeweils eine stattgefunden habende Bedrohung / Verfolgung aufgrund der Volksgruppe, der Religion, sie hatte weder Probleme mit Behörden, Polizei oder einem Gericht in Afghanistan und sei nie politisch tätig oder Parteimitglied gewesen. Die BF2 verneinte die Teilnahme an bewaffneten Konflikten, ebenso verneinte sie die Existenz eines Haftbefehls gegen ihre Person und das Vorliegen einer Fahndungsmaßnahme in Afghanistan. Sie konnte mit ihren Angaben zu den Fragen "Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?, Ist jemand persönlich zu Ihnen gekommen und hat gesagt, Ihnen etwas antun zu wollen, weil Sie die Schwägerin des Getöteten sind? Wer ist zu Ihnen gekommen und was hat diese Person zu Ihnen gesagt? Beschreiben Sie es. Erzählen Sie konkret mit Details. Ist da jemand zu Ihnen persönlich gekommen und hat mit Ihnen persönlich gesprochen? Wurden Sie in Afghanistan jemals bedroht oder verfolgt, weil Sie eine Frau sind? Hat jemals jemand zu Ihnen gesagt: Ich tue dir dieses oder jenes an, weil Du eine Frau bist und kein Mann?, Wenn Sie sagen "von unseren Feinden", meinen Sie die Taliban oder auch noch andere Personen?"

(Verhandlungsschrift S. 9 f) eine asylrelevante Verfolgung nicht darzutun.

 

Zu beachten ist auch, dass die BF2 mit ihrer Angabe zu einem seit zwei Jahren bestehenden Leiden an ihrem Fuß ihre Glaubwürdigkeit beschädigte (siehen oben unter II.2.15.).

 

Dass den beiden BF eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban droht, ist nicht plausibel. Der BF1 brachte vor in der Verhandlung vor, er habe 14 Jahre nach dem Tod seines Bruders - auf dessen Beerdigung er auf die Taliban schimpfte, sodass diese danach gegenüber seine Person angriffig wurden - Afghanistan verlassen und sei dann aus dem Iran anlässlich des Gesundheitszustands seiner Mutter (Koma) nach Afghanistan zurückgekehrt, er habe auch "ausprobieren, ob ich dort leben kann" wollen (Verhandlungsschrift S. 17). Er gab an, sich einen Vollbart haben zu lassen, um auf ihr Begräbnis zu gehen und habe man dort nach ihm gefragt ("ob ich da bin oder nicht").

 

Einerseits ist - bei Wahrunterstellung - davon auszugehen, dass es dem BF1 mit seinem Erscheinungsbild "Vollbart" gelungen ist, nicht erkannt zu werden, denn er gab an "ich hab es selbst gehört" (Verhandlungsschrift S. 18), dass zwei ihm unbekannte Männer nach ihm fragten. Das bedeutet, dass er in hörbarer Nähe zu diesen Männern stand und von diesen nicht erkannt wurde, andernfalls es nicht der Nachfrage nach ihm bedurft hätte. Zu beachten ist dabei auch, dass es sich beim Begräbnis seiner Mutter um ein solches Ereignis handelt, bei welchem ein Kind der verstorbenen Frau als Teilnehmer erwartet wird und daher davon auszugehen ist, dass ihm nicht wohlgesonnene Personen verstärkt darauf bedacht gewesen wären, ihn zu erkennen bzw ihn zu enttarnen bzw ihn an die beiden nach ihm fragenden Männer zu verraten. Dem BF1 gelang es aber laut seinen Angaben, nicht erkannt zu werden. Daher ist davon auszugehen, dass der BF1 auch im Falle der Rückkehr es bewerkstelligen wird können, nicht erkannt zu werden und mangels Meldewesen und infolge dessen, dass er nicht angab, bei Rückkehr seine Daten herauszugeben (Verhandlungsschrift S. 20), es ihm nicht wohlgesonnenen in der Herkunftsprovinz Kapisa befindlichen Menschen benommen sein wird, ihn etwa in einer der innerstaatlichen Fluchtalternativen zu finden.

 

Der BF2 versuchte jedoch nicht bloß am Begräbnis seiner Mutter in Nijrab in Kapisa durch das Tragen eines Vollbartes seine Identität zu verschleiern, sondern auch in der Türkei, als er sich über seinen Bekannten XXXX eine auf einen anderen Namen lautende Aufenthaltsberechtigungskarte ausstellen ließ und vor dem Bundesverwaltungsgericht, als er - trotzdem, dass er von der erkennenden Richterin zu Beginn aufgefordert wurde "Namen nennen", Verhandlungsschrift S. 5, nur angab "Jemand hat für mich einen Reisepass organisiert" (Verhandlungsschrift S. 17) und dazu ist anzumerken, dass er bei der Erstbefragung am 14.10.2015 angab "Ich hatte noch nie einen Reisepass" (Erstbefragung des BF1, S. 4) auf die Frage "Hatten Sie je ein Reisedokument oder sonstigen Identitätsnachweis? Wo befindet sich der Reisepass" antwortete.

 

Der VwGH hat zwar wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH vom 14.6.2017, Ra 2017/18/0001, mwN). Gleichwohl ist es aber nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (VwGH 3.9.2019, Ra 2018/01/0187).

 

Die Erstbefragung wurde von einem Sicherheitsorgan unter Beiziehung eines Dolmetsch für Dari durchgeführt, dem BF in einer für ihn verständlichen Sprache rückübersetzt und ist darin vermerkt, dass der BF keine Ergänzungen / Korrekturen vornehmen ließ und sowohl zu Beginn (Verstehen Sie den Dolmetscher? - "ja") als auch am Ende der Amtshandlung auf die Frage "Gab es Verständigungsprobleme?" mit "nein" antwortete.

 

Hierbei ist zu beachten, dass die Erstbefragung durch einen Gruppeinspektor der PI XXXX am 14.10.2015 unter Verwendung eines Formulars (Formularversion 19.8.2015) durchgeführt wurde. Es handelt sich bei dem Verfasser der Niederschrift über die Erstbefragung um ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, welcher bei Dienstantritt einen Diensteid geleistet hat und überdies mit dem Verfassen der Niederschrift über die Erstbefragung eine öffentliche Urkunde schuf. Gemäß § 292 Abs 1 ZPO begründet eine solche Urkunde, welche [...] von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form auf Papier oder elektronisch errichtet, vollen Beweis dessen, was darin erklärt wird oder von der Urkundsperson bezeugt wird.

 

Die öffentliche Urkunde "Niederschrift über die Erstbefragung" des BF vom 14.10.2015 ( XXXX ) betreffend wurde vom BF über das gesamte Verfahren nicht vorgebracht, dass der Beweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges oder der bezeugten Tatsache zu erbringen wäre oder das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unrichtig beurkundet hätte.

 

Es muss einem auf die Vernehmung von zu beamtshandelnden Personen geschulten und zur Überwachung der Einhaltung der fremdenpolizeilichen Vorschriften geschulten Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zugebilligt werden, dass dieser eine Erstbefragung nach dem AsylG unter Verwendung des hierfür vorgesehen Formularmusters ordnungsgemäß durchführt und dabei die danebenstehende kleingedruckte Anmerkung beachtet, sodass die zur Entscheidung berufene Richterin davon ausgeht, dass dem BF1 die im Formular unter "9.5." und "9.7." abgedruckten Fragen "Hatten Sie je ein Reisedokument oder sonstigen Identitätsnachweis?" und "Wo befindet sich der Reisepass?" auch so gestellt wurde. Hätte der BF1 einen solchen erwähnt oder etwa vorgelegt, so wäre das Organ des Sicherheitsdienstes laut dem Formular (Beisatz zu 9.7.: "Bei Vorlage des Dokuments Kopien anfertigen") verpflichtet gewesen, eine Ablichtung zur Niederschrift zu nehmen.

 

Einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes muss zugebilligt werden, die im Rahmen der Erstbefragung getätigten Angaben eines Asylwerbers in der Verschriftlichung richtig zu dokumentieren und ist mit der allgemeinen Lebenserfahrung es nicht in Einklang zu bringen, dass ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Anderes als das vom dem Asylwerber im Rahmen der Erstbefragung Angegebene dokumentieren würde, zumal der Beamte einen Diensteid (iSd § 12 DP bzw ab 1.1.1978 § 7 BDG) abgelegt hat und durch eine vorsätzliche falsche Dokumentation die Amtspflicht nach dem 22. Abschnitt des besonderen Teiles des StGB verletzen würde und so eine dienstrechtliche und eine strafrechtliche Sanktion zu befürchten hätte.

 

Daraus folgt die Würdigung, dass der BF1 nicht über das gesamte Verfahren gleichbleibend zu seinem Reisepass ausführte und damit seine Glaubwürdigkeit beschädigte.

 

Seiner Glaubwürdigkeit tat der BF1 einen weiteren Abbruch, indem er vor dem Bundesverwaltungsgericht abweichend zu seinen Angaben vor dem BFA am 5.12.2017 vortrug: während er beim BFA angab, nach dem Tod des Bruders die Taliban in der Moschee beschimpft zu haben und sei danach XXXX zu ihm nach Hause gekommen und habe gesagt, dass jemand die Taliban angerufen habe und XXXX ihm geraten habe, von hier zu verschwinden (den BF1 betreffende BFA-Niederschrift S. 8), gab er fast zwei Jahre später vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Protokoll, dass er bei der Trauerfeier schlecht über die Taliban gesprochen habe und "als ich draußen war" hätten ein paar Männer gewartet, ihn zur Seite genommen und gefragt, warum er das getan habe, nämlich schlecht über die Taliban zu sprechen, sodass sie das ‚Gesicht verlieren'. Er habe ihnen geantwortet "Weil ihr meinen Bruder umgebracht habt" und sofort seien diese auf ihn losgegangen" (Verhandlungsschrift S. 16). Es ist nicht mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang zu bringen, dass der BF1 zwei Jahre zuvor vor dem BFA - als laut vorgelegten ärztlichen Berichten der neuro-psychiatrische Gesundheitszustand des BF1 ein besser gewesen sei als im Oktober 2019 - sich nicht daran erinnerte, dass er - bei Wahrunterstellung - persönlich direkt im Anschluss an seine Rede von Männern körperlich angegriffen wurde. Das Vorbringen vor dem Bundesverwaltungsgericht bedeutet eine Steigerung seiner Fluchtgeschichte.

 

Infolge der oben thematisierten Beschädigungen seiner Glaubwürdigkeit und der Steigerung seines Fluchtvorbringens sind die Fluchtgründe nicht glaubhaft und ist an dieser Stelle auf das Judikat des OGH vom 24.1.1980, 8Ob528/79, hinzuweisen, wonach das Gericht bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht nur auf den Wortlaut einer Aussage beschränkt ist, sondern es ihm freisteht, in dem Zusammenhang auch aus anderen Verfahrensergebnissen und auch aus dem Vorbringen und Handeln der in der Verhandlung auftretenden Personen Rückschlüsse zu ziehen. Die erkennende Richterin zieht aus dem Auftreten des BF1 einen Rückschluss auf seine Glaubwürdigkeit:

er hinterließ in der Verhandlung am 16.10.2019 bei der erkennenden Richterin den Eindruck wach, persönlich und zeitlich orientiert zu sein, sodass sie seine Aussagen trotz seiner eingangs gemachten Angabe "Ehrlich gesagt, ich vergesse vieles" (Verhandlungsschrift S. 14) voll wertet.

 

Da es somit nicht glaubhaft ist, dass Taliban den BF1 und damit auch seine Ehefrau BF2 in Afghanistan verfolgt haben, ist unter Hinweis auf die oben unter II.1.2. wiedergegebene Anfragebeantwortung zu Afghanistan betreffend Fähigkeit der Taliban, Personen in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), Februar 2013, zu sagen, dass nicht anzunehmen ist, dass die Taliban - oder das in der Beschwerde genannte Spitzelnetzwerk der Taliban - gegen die beiden BF vorgehen würden. Aus der oben unter II.1.2. wiedergegebenen Anfragebeantwortung geht hervor, dass die Taliban gegen "wichtige Personen" vorgehen können. Dass es sich bei ihnen um Personen besonderer Wichtigkeit handeln könnte, brachten weder der BF1, noch die BF2 über das gesamte Verfahren vor.

 

Beachtet werden auch die Angaben des BF1 in der Verhandlung zu den Fragen ob er in Afghanistan wegen der Religionszugehörigkeit einmal bedroht oder verfolgt worden sei. Dies verneinte er ebenso wie die Frage nach politischer Tätigkeit und Parteimitgliedschaft, nach Haft in Afghanistan und nach dem Bestehen einer Fahndungsmaßnahme gegen seine Person. Er verneinte Probleme mit Behörden, Polizei und Gerichten in Afghanistan ebenso. Die Beschwerde führt auf S. 13 eine Anfragebeantwortung von ACCORD zu Afghanen, die im Iran gezwungen wurden, in Syrien zu kämpfen an und ist dabei darauf hinzuweisen, dass der BF1 nicht vorbrachte, dass man ihn im Iran zum Kampf in Syrien gezwungen habe (vgl. Verhandlungsschrift S. 19 zur Frage ob er an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teilgenommen habe und gab er nicht etwa an, in Syrien gekämpft zu haben).

 

Dem im Beschwerdeschriftsatz zitierten Sachverständigengutachten von Dr. Rasuly vom 29.1.2018 zur Sicherheitslage in Kabul ist zu entgegnen, dass die erkennende Richterin in der Hauptstadt Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative erblickt. Zu den in der Beschwerde mit Hinweis auf eine Stellungnahme von AI an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018 (Beschwerdeschriftsatz S. 7 f) und auf Seite 14 zur Sicherheitslage in Afghanistan ist auszuführen, dass von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden Gefährdungssituation im Sinne des Art 3 EMRK in Afghanistan jedenfalls nicht auszugehen ist. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die afghanischen Behörden grundsätzlich fähig und auch willens sind, Schutz vor strafrechtswidrigen Übergriffen zu gewähren. Ein lückenloser Schutz, auch vor terroristischen Anschlägen, ist in Afghanistan - ebenso wie in allen anderen Ländern - aber nicht möglich.

 

Die im Beschwerdeschriftsatz auf S. 5 erwähnte Präsentation der stellvertretenden Leiterin des UNHCR in Afghanistan, Aurvasi Patel, am 12.3.2018 veranlasst die erkennende Richterin nicht, an den unter II.1.2. wiedergegebenen Quellen zu zweifeln und davon abzugehen, diese als Feststellungen zum Herkunftsstaat der Entscheidung zu Grunde zu legen.

 

Der im Beschwerdeschriftsatz auf S. 16 f. ins Treffen geführte Artikel der Friederike Stahlmann im Asylmagazin 3/2017 ist entgegen zu halten, dass die Autorin Mitglied der International Max Planck Research School on Retaliation Mediation und Punishment und u.a. Gutachterin für britische Gerichte und etwa das VG Wiesbaden zu Afghanistan in Asylrechtsfällen ist. Der von ihr verfasste Artikel basiert auf hoher Fachkompetenz, jedoch ist dieser nicht geeignet, die erkennende Richterin zu veranlassen, an den unter II.1.2. genannten Quellen zu zweifeln, da die erkennende Richterin dem von der Staatendokumentation aus diversen Quellen zusammengetragenen Länderbericht Vertrauen schenkt.

 

Die unter II.1.1.12. getroffenen Feststellungen, dass die beiden BF keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnten, einer solchen nicht ausgesetzt waren bzw. ihnen eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, fußt auch auf den weiteren Angaben der beiden BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.10.2019: Sie wurden in Afghanistan weder wegen der Volksgruppe verfolgt oder bedroht, noch wegen der Religion. Beide waren nie Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig, auch nicht in Haft oder vorbestraft. Beide BF werden dort auch nicht gesucht und hatten keine Probleme mit Polizei, Behörden oder einem Gericht in Afghanistan.

 

Beiden BF wurde am 16.10.2019 in der Zeit von 14.30 Uhr bis 17.55 Uhr ausreichend Gelegenheit eingeräumt, sich an die Fluchtgründe zurückzuerinnern. Beide BF wurden jeweils von der erkennenden Richterin zu Beginn ihres Fluchtvortrags aufgefordert "in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen". Sie forderte ihn auf "Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit Ihres Fluchtberichts. Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen." (Verhandlungsschrift S. 6 f. und S. 15) und wurde in der Verhandlung durch Nachfragen der Richterin den beiden BF die Möglichkeit eingeräumt, sich an die Fluchtgründe zurückzuerinnern. Der BF2 wurde gesagt, sie solle sich vorstellen, auf einer Parkbank zu sitzen, ohne Stress und dort von ihren Fluchtgründen zu erzählen.

 

Zu dem oben vorgenommenen Abstellen auf die allgemeine Lebenserfahrung ist zu sagen, dass es dem Verwaltungsgericht laut Judikatur nicht verwehrt ist, im Rahmen der freien Beweiswürdigung iSd gemäß § 17 VwGVG anzuwendenden § 45 Abs 2 AVG auch die allgemeinen Lebenserfahrungen zu verwerten (VwGH 16.3.1978, 2715/77, 747/78). Im Asylverfahren kommt es (auch) auf die Verwertung allgemeiner Erfahrungssätze ankommt. Die Bildung von solchen Erfahrungssätzen ist aber nicht nur zu Gunsten des Asylwerbers möglich, sondern können diese auch gegen ein Asylvorbringen sprechen.

 

Insgesamt ist festzuhalten, dass infolge der Beschädigung der Glaubwürdigkeit und aufgrund des oben Dargetanen die beiden BF den Eindruck hinterlassen sich einer konstruierten Fluchtgeschichte zu bedienen und ist daher der Fluchtgrund nicht glaubhaft.

 

Aufgrund des oben Dargetanen ist darauf fußend auszuschließen, dass die beiden BF der "sozialen Gruppe der Talibangegner, die von dieser Terrorgruppe aktiv gesucht werden" angehören.

 

Es ist daher nicht gelungen, eine Gefährdung durch Taliban glaubhaft zu machen und werden die beiden BF daher auch nicht bei Rückkehr von den Taliban gesucht werden. Bei Rückkehr können die beiden BF auch nicht von ihnen nicht wohlgesonnenen Menschen aufgefunden werden, da es in Afghanistan kein Meldewesen gibt und somit auszuschließen ist, dass ihnen nicht wohlgesonnene Menschen von der Rückkehr erfahren.

 

Das gegenständliche Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass die beiden BF nicht eine Person aus einem der Risikoprofile (1) bis (15) aus den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016" sind: weder wegen (1), noch wegen (6), noch wegen (9).

 

2.17. Die unter II.1.2. getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat gründen auf den Länderfeststellungen, welche sich aus dem Länderbericht der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl idgF ergeben. Dieser Länderbericht wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Überdies gründen die unter II.1.2. getroffenen Feststellungen auf den unter II.1.2. zitierten Quellen aus der Feder des UNHCR.

 

Ein Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation ist ein COI-Dokument, das beruhend auf den Bedürfnissen in Verfahren des Asyl- und Fremdenwesens (RD, EASt, ASt, BVwG) mittels Recherche von vorhandenen, vertrauenswürdigen und vorrangig öffentlichen Informationen gemäß den Standards der Staatendokumentation erstellt wird.

 

Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen im Länderbericht und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen im Länderbericht besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der Islamischen Republik Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Gericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums die Beurteilung des gegenwärtigen Situationsfalls relevant nicht wesentlich geändert haben.

 

Gemäß der höchstgerichtlichen Judikatur sind einer Entscheidung stets die im Zeitpunkt der Entscheidung aktuellen Erkenntnisquellen zu Grunde zu legen und wird der Länderbericht in der am Tag der Verkündung geltenden Fassung als Primat herangezogen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gegenständlich sind das VwGVG und gemäß § 17 VwGVG die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005, samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht [ ].

 

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Zu A)

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; VwGH 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.3.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.6.2006, 2002/20/0167).

 

Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) - kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit aufgrund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191)

 

Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

 

Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich im Lichte des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist. Insbesondere konnte vom BF eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft gemacht und auch sonst vom erkennenden Gericht nicht festgestellt werden:

 

Wie bereits in der Beweiswürdigung dargestellt, ist es insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen BF1 und BF2 gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass den beiden BF aus den von ihnen ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

 

Zusammenfassend wurde keine Verfolgung der beiden BF dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, welche auf einem der in Art. 1 A Z 2 GFK genannten Konventionsgründe - nämlich Verfolgung aufgrund der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - beruht. Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen für sich genommen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird und wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offensteht.

 

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG 2005).

 

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen (z.B. VwGH 30.5.2001, 97/21/0560).

 

Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; VwGH 8.9.2016, Ra 2016/20/0063).

 

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 5.9.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09; dazu zuletzt auch VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

In seinem Judikat vom 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (vgl. die Urteile des EGMR jeweils vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande:

S. D. M., Nr. 8161/07; A. G. R., Nr. 13 442/08; A. W. Q. und D. H., Nr. 25 077/06; S. S., Nr. 39 575/06; M. R. A. u. a., Nr. 46 856/07).

 

In seinem Erkenntnis vom 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich mit der Frage der Zumutbarkeit einer in Betracht kommenden innerstaatlichen Fluchtalternative auseinandergesetzt: Demnach unterscheidet § 11 AsylG 2005 nach seinem Wortlaut zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist.

 

Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen.

 

Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (oder aufgrund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

 

Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen.

 

Nach allgemeiner Auffassung soll die Frage der Zumutbarkeit danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann (vgl. etwa UNHCR Richtlinien Nr. 4., Rz 22 ff; Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie [2009], 226 ff).

 

Dabei ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005; vgl. auch die im Wesentlichen gleichlautenden Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie). Marx (a.a.O., 227) argumentiert, die zentrale Frage laute, ob bei Berücksichtigung sämtlicher konkreter Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten vom Asylwerber vernünftigerweise verlangt werden könne, einen anderen Ort innerhalb seines Herkunftslandes aufzusuchen. Der dort zur Verfügung stehende Schutz müsse angemessen und erreichbar sein. Zusätzlich zu konkreten Sicherheitsfragen erfordere dies eine Berücksichtigung grundlegender ziviler, politischer und sozioökonomischer Rechte. Kontroversen kämen indes auf, wenn es um konkrete Fragen, wie etwa den Zugang zu angemessenen Arbeitsmöglichkeiten und um soziale Unterstützung gehe. Insoweit bestehe lediglich Übereinstimmung, dass die soziale und wirtschaftliche Existenz am Ort der innerstaatlichen Schutzalternative sichergestellt sein müsse.

 

UNHCR formuliert in seinen Richtlinien Nr. 4, Rz 24 ff., dass die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, von mehreren Faktoren abhängt. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen (einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung), die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Zum Aspekt des wirtschaftlichen Überlebens führt der UNHCR u.a. aus, dass ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation keine ausreichenden Gründe seien, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssten aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen. Wäre eine Person in dem Gebiet etwa ohne familiäre Bindungen und ohne informelles soziales Netzwerk, sei eine Neuansiedlung möglicherweise nicht zumutbar, wenn es der Person nicht auf andere Weise gelingen würde, ein relativ normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum zu führen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hielt weiters fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein.

 

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, denen zufolge es verheirateten Paaren und alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118).

 

Dem fügte der Verwaltungsgerichtshof in seinem eingangs zitierten Erkenntnis hinzu, dass bei dieser Sichtweise dem Kriterium der "Zumutbarkeit" neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, durchaus Raum gelassen wird.

 

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es somit nicht aus, dem Asylwerber entgegenzuhalten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinne des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des BF bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der ihm dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.3.2013; U1674/12; 12.6.2013, U2087/2012; 13.9.2013, U370/2012).

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Asylwerber konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül somit insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Der EGMR geht gestützt auf die Afghanistan-Richtlinien des UNHCR davon aus, dass die Übersiedlung in einen anderen Teil Afghanistans zumutbar ist, wenn Schutz durch die eigene Großfamilie, Gemeinschaft oder den Stamm am Zielort verfügbar ist; alleinstehenden Männern und Kleinfamilien ist es unter bestimmten Umständen auch möglich, ohne Unterstützung durch Familie und Gemeinschaft in städtischen oder halbstädtischen Gebieten mit existenter Infrastruktur und unter effektiver staatlicher Kontrolle zu überleben. Wegen des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Zusammenhalts in Afghanistan, der durch jahrzehntelange Kriege, massive Flüchtlingsströme und Landflucht verursacht worden ist, ist aber eine Prüfung jedes einzelnen Falles notwendig (VfGH 13.9.2013, U 370/2012 mit Verweis auf EGMR, 13.10.2011, Fall Husseini, App. 10.611/09, Z 96; 9.4.2013, Fall H. und B., Appl. 70.073/10 und 44.539/11, Z 45 und 114).

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits oben erwähnten Beschluss vom 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, ausgeführt hat, reicht es für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan nicht aus, bloß auf die allgemeine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu verweisen. Hinsichtlich der Sicherheitslage geht der Verwaltungsgerichtshof von einer kleinräumigen Betrachtungsweise aus, wobei er trotz der weiterhin als instabil bezeichneten Sicherheitslage eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage als nicht grundsätzlich ausgeschlossen betrachtet (VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134; VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036).

 

Mit dem Aufzeigen der bloßen Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat wird die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze damit nicht dargetan. Auch das Faktum, dass der Asylwerber über keine guten Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten verfügt, reicht für sich betrachtet für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht aus (vgl. VwGH 8.9.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den UNHCR Richtlinien besondere Beachtung zu schenken (s. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/20/0259, mwN; 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; zur "Indizwirkung" vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, mwN). Diese Rechtsprechung geht auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zurück, in der dieser erkannte, dass Empfehlungen internationaler Organisationen zweifelsohne Gewicht zukommt, wenn es um die Beurteilung der allgemeinen Verhältnisse vor Ort geht. Sie ersparen jedoch nicht eine nähere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt (vgl. VwGH 28.3.2019, 2018/14/0067 und VwGH 13.11.2001, 2000/01/0453).

 

UNHCR äußerte in den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 die Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung, wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Zudem kann eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016 [deutsche Fassung], nahezu gleichlautend die UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 [englische Fassung], vgl. dort S. 110).

 

In den aktuellen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 gelangte UNHCR angesichts der gegenwärtigen Sicherheitslage sowie der menschenrechtlichen und humanitären Situation in Kabul zur Auffassung, dass eine interne Flucht- und Neuansiedlungsalternative in dieser Stadt "grundsätzlich" nicht zur Verfügung stehe (arg. S. 114: "UNHCR considers that given the current security, human rights and humanitarian situation in Kabul, an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) is generally not available in the city.").

 

UNHCR änderte damit im Vergleich zu seinen Richtlinien vom 19.4.2016 seine Beurteilung der Relevanz und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in der Stadt Kabul, dies auf Basis der dem UNHCR am 31.5.2018 bekannten Informationen (vgl. FN 2 auf S. 5 der Richtlinien vom 30.8.2018).

 

Den UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 zufolge ist eine vorgeschlagene innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur sinnvoll möglich (und zumutbar), wenn die Person Zugang hat zu einer Unterkunft, zu Grundversorgung, etwa mit Trinkwasser und sanitärer Infrastruktur, zu Gesundheitsdiensten und Bildungseinrichtungen und zu Erwerbsmöglichkeiten oder erwiesener und nachhaltiger Unterstützung, um einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen. Darüber hinaus hält UNHCR eine innerstaatliche Flucht- und Neuansiedlungsalternative nur für zumutbar, wenn die Person Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer (erweiterten) Familie oder Mitgliedern ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft in der Gegend der potenziellen Umsiedlung hat, die bereit und in der Lage sind, ihr echte Unterstützung zu leisten. UNHCR ist weiters der Ansicht, dass die einzige Ausnahme von der Anforderung der externen Unterstützung alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter sind, soweit keine spezifischen Vulnerabilitäten vorliegen. Unter bestimmten Umständen können diese Personen ohne familiäre und soziale Unterstützung in urbaner und semi-urbaner Umgebung leben, soweit diese Umgebung über die notwendige Infrastruktur und Lebensgrundlagen verfügt, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu decken und soweit diese einer wirksamen staatlichen Kontrolle unterliegt (vgl. S. 109 f. der UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018).

 

Insofern ergibt sich aus den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 im Vergleich zu den Richtlinien vom 19.4.2016 - mit Ausnahme der Stadt Kabul - keine maßgeblich geänderte Beurteilung hinsichtlich der Verfügbarkeit innerstaatlicher Fluchtalternativen in urbanen und semi-urbanen Gebieten.

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes - insbesondere betreffend das Alter, die Sprachkenntnisse, den Gesundheitszustand, die Bildung, die Arbeitsfähigkeit und die in Afghanistan möglichen Unterstützungsmöglichkeiten der beiden BF und betreffend die vorhandenen Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan - ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 im vorliegenden Fall nicht gegeben sind:

 

Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zunächst, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

 

Da die beiden BF aus Kapisa sind, droht diesen in der Herkunftsprovinz eine Art. 3 EMRK widrige Situation (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106), sodass eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz nicht möglich und daher nicht zumutbar ist.

 

Als Zielort einer allfälligen Rückverbringung sind aber die innerstaatlichen Fluchtalternativen Herat und Mazar-e Sharif zu prüfen. In Mazar-e Sharif besteht für beide BF weder wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK noch sind in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gegeben.

 

Unter Berücksichtigung der ausführlich dargelegten persönlichen Umstände der beiden BF wäre es ihnen möglich und zumutbar, sich in Mazar-e Sharif - wo der BF1 bereits lebte - anzusiedeln.

 

Die lokale Sicherheitslage in Mazar-e Sharif stellt zum Entscheidungszeitpunkt kein Hindernis einer Rückkehr (nach den oben genannten Maßstäben) dar. Wie festgestellt, ist die Provinz Balkh nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans; sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Balkh, wo sich die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes befindet, gehört gesamthaft betrachtet auch im Lichte der in den Länderberichten verzeichneten Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle dennoch zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans.

 

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

 

Die beiden BF können Mazar-e Sharif von Österreich über den Luftweg via Internationalen Flughafen Mazar-e Sharif sicher erreichen.

 

Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet. Ende Oktober 2017 wurde verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen.

 

Die beiden BF können Herat von Österreich über den Luftweg via Internationalen Flughafen Herat sicher erreichen.

 

Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Zu den Unterstützungsmöglichkeiten der beiden BF wurde bereits oben ausgeführt.

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

Der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie zu Erwerbsmöglichkeiten ist in Mazar-e Sharif mit Blick auf die o.a. Länderfeststellungen grundsätzlich gegeben, wenn auch die Gesamtsituation insbesondere wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der notorischen aktuellen Dürre (u.a.) in der Provinz Balkh derzeit angespannt ist. Der aktuellen Berichtslage ist jedoch nicht zu entnehmen, dass etwa die Grundversorgung der Bevölkerung in der Stadt Mazar-e Sharif (mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser) generell nicht mehr gewährleistet oder dass die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen wäre. Ebenso wenig sind dem Bundesverwaltungsgericht Berichte über eine bestehende (oder unmittelbar drohende) Hungersnot bzw. über eine (herannahende) humanitäre Katastrophe in Mazar-e Sharif bekannt.

 

Es wäre den beiden BF somit zumutbar und möglich, sich - wie oben ausgeführt - sich in Mazar-e Sharif oder in Herat anzusiedeln, ist für die BF eine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht gegeben und in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben.

 

Unter Berücksichtigung der bereits ausführlich dargelegten persönlichen Umstände der beiden BF wäre es diesen ebenso möglich und zumutbar, sich in Herat wieder anzusiedeln.

 

Die Stadt Herat ist die Hauptstadt der vergleichsweise gut entwickelten gleichnamigen Provinz im Westen des Landes. Herat wird als relativ friedliche Provinz gewertet. Aufständische sind in einigen Distrikten der Provinz, nicht jedoch in der Stadt Herat, aktiv. Die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle ist vergleichsweise gering. Die Lage in der Stadt Herat kann insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden. Auch ist Herat eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut und sicher erreichbare Stadt.

 

In Herat ist der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie zu Erwerbsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der o.a. Länderfeststellungen ebenso grundsätzlich gegeben, wenn auch in dieser Stadt die Gesamtsituation insbesondere wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der notorischen aktuellen Dürre (u.a.) in der Provinz Herat derzeit angespannt ist. Der aktuellen Berichtslage ist jedoch auch in Bezug auf die Stadt Herat nicht zu entnehmen, dass die Grundversorgung der dortigen Bevölkerung (mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser) generell nicht mehr gewährleistet oder dass die Gesundheitsversorgung zusammengebrochen wäre. Ebenso wenig sind dem Bundesverwaltungsgericht Berichte über eine bestehende (oder unmittelbar drohende) Hungersnot bzw. über eine (herannahende) humanitäre Katastrophe in Herat bekannt.

 

Dafür, dass die beiden BF in Ansehung der Sicherheitslage und existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft etc.) in Mazar-e Sharif oder Herat einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, gibt es somit keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt daher im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass die BF in der Lage wären, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Eine Neuansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat ist den beiden BF somit möglich und zumutbar.

 

Die Rückverbringung der beiden BF nach Afghanistan über den sicheren Luftweg steht daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb den beiden BF nach den genannten Bestimmungen der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen ist.

 

Aufgrund der vorgenommenen Prüfung im Einzelfall (VfGH 13.9.2012, U370/2012) unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten und der persönlichen Umstände des BF sowie unter Beachtung der Rechtsprechung des VwGH und Bezugnahme der Rechtsprechung des EGMR war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

Zur Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und [...]

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

BF1 und BF2 befinden sich seit Oktober 2015 im österreichischen Bundesgebiet. Deren Aufenthalt ist nicht geduldet. Weder BF1, noch die BF2 sind Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die beiden BF sind als Staatsangehöriger von Afghanistan keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

* die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

* das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

* die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

* der Grad der Integration,

 

* die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

* die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

* Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

* die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

* die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Nach der Judikatur des VwGH ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265, mwN, sowie zuletzt den Beschluss vom 07.09.2016, Ra 2016/19/0168).

 

Der VwGH hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (s. etwa die Erkenntnisse vom 30.7.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058, vom 21.1.2016, Ra 2015/22/0119, und in diesem Sinn auch jenes vom 15.12.2015, Ra 2015/19/0247 mwN sowie den Beschluss vom 15.3.2016, Ra 2016/19/0031). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgeführt, dass das persönliche Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 22.9.2011, 2007/18/0864 bis 0865 mwN). Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.5.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.03.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423; vgl. auch VwGH 8.6.2006, 2003/01/0600 sowie VwGH 26.1.2006, 2002/20/0235, wonach das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

 

Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua). Bei dem Begriff "Familienleben" im Sinne des Art. 8 EMRK handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß aufgrund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516/2005 und VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Zur Lehre bzw. Berufsausübung als öffentliches Interesse ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der solche Interessen des inländischen Arbeitsmarktes nicht von Art. 8 EMRK umfasst sind (vgl. VwGH 5.10.2010, 2010/22/0147, VwGH 26.5.2003, 2001/18/0071). Generell sind bei der Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK zu Gunsten des Fremden nur die den privaten und familiären Bereich betreffenden Umstände, nicht jedoch öffentliche Interessen zu berücksichtigen. Zudem ist bei der Lehre bzw. Berufsausübung das Kriterium des Bewusstseins des unsicheren Aufenthalts zu berücksichtigen (VwGH 28.2.2019, 2019/01/0003).

 

Die beiden BF befinden sich seit Oktober 2015 (über vier Jahre) in Österreich und ist das ihren Familienangehörigen (Sohn XXXX ) anbelangende Verfahren derzeit noch beim Bundesverwaltungsgericht in der Gerichtsabteilung W265 anhängig.

 

Der Aufenthalt der beiden BF im Bundesgebiet stützte sich für die Dauer des Verfahrens alleine auf das Asylgesetz. Sie konnten den Aufenthalt lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren und begründeten das Privatleben zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung des unbegründeten Asylantrages unsicher war. Beide BF mussten sich daher bewusst sein, dass etwaig eingegangene Bindungen im Bundesgebiet im Falle der Abweisung des Antrags nicht aufrechterhalten werden können.

 

Es ist nicht vom Vorliegen eines ausgeprägten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK in Österreich, sondern allenfalls vom Vorliegen eines bestehenden Privatlebens in Österreich, auszugehen.

 

Die beiden BF betreffend scheinen im Strafregister keine Verurteilungen auf. Die Integrationsbemühungen sind durch das Belegen von Deutschkursen und - beim BF1 - durch ehrenamtliche Tätigkeiten belegt.

 

Die beiden BF verfügen nicht über den eigenen Lebensbedarf deckende finanzielle Mittel und beziehen seit der Ankunft in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung.

 

Es ist zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich zu integrieren. Die Integrationsbemühungen sind jedoch im Hinblick auf die am 16.10.2019 dargebotenen Sprachkenntnisse nach dem Besuch mehrerer Sprachkurse nicht dermaßen, dass von einer besonderen Integrationswilligkeit oder Integrationsbemühung gesprochen werden könnte. Beide sind sie auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen. Eine tiefgreifende Integrationsverfestigung kann unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung jedoch nicht erkannt werden, zumal auch der Zeitraum des Aufenthalts der beiden BF iSd Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 30.7.2015, Ra 2014/22/0055, mwH) und der oben getroffenen Ausführungen als kurz anzusehen ist.

 

Weiters kommt der EGMR in seiner Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 8.4.2008 (Appl. Nr. 21.878/06) zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon zehn Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Die BF2 des Jahrgangs XXXX und der BF1 des Jahrgangs XXXX verbrachten den überwiegenden Teil des Lebens in einem von islamischen Werten geprägten Land, wurden dort im Familienverband sozialisiert und sprechen jeweils eine in der Heimat Afghanistan verbreitete Sprache auf muttersprachlichem Niveau. Deren Bindung zu Afghanistan ist aufgrund der Sozialisierung und Sprache und der vom BF1 im Herkunftsstaat und in von islamischen Werten geprägten Ländern erlangten Berufserfahrung deutlich intensiver als jene zu Österreich. Es deutet nichts darauf hin, dass es den beiden BF bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren.

 

An dieser Stelle sei zu dem Thema "mangelnde familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte" in Herat oder Mazar-e Sharif auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu verweisen, wonach einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat (vgl. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017; vgl. dazu auch VwGH 30.5.2018, Ra 2018/18/0228, Rz 10; VwGH 24.5.2018, Ra 2018/19/0234; VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103 und VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0351). Dass der BF1 arbeitswillig ist, ist aufgrund seiner freiwilligen Arbeitsleistungen in Österreich für die Volkshilfe belegt (Bestätigung Hilfstätigkeit des BF1 bei der XXXX Wien vom 21.10.2019) und ist seine Fähigkeit Gelegenheitsarbeiten zu verrichteten dadurch belegt, dass er laut seinen Angaben und laut Angaben der BF2 auch während des vor Einreise nach Österreich in der Türkei stattgefundenen Aufenthalt dort als Gelegenheitsarbeiter tätig war (vgl. die BF2 betreffende BFA-Niederschrift aus Juni 2018, S. 2).

 

Zu der Unbescholtenheit der beiden BF ist auszuführen, dass Unbescholtenheit laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen (z.B. VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.4.2012, 2011/18/0253) darstellt. Der Verwaltungsgerichtshof geht vielmehr davon aus, dass es von einem Fremden, der sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.

 

Ausgeprägte private und persönliche Interessen haben die beiden BF im Verfahren nicht dargetan.

 

Es sind - unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer - auch keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten, dauernden Integration hervorgekommen. Zudem ist die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens der beiden in Österreich aufgrund des Umstandes, dass diese beiden den Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag stützen, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass die beiden BF den überwiegenden Teil des Lebens in von islamischen Werten geprägten Ländern verbracht haben, demgegenüber die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet als kurz zu bezeichnen ist, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen.

 

Daher ist im Lichte einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die Interessen der beiden BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Erlassung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall gemäß § 9 BFA-VG geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der beiden BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Wie bereits oben ausgeführt sieht auch der EGMR in seiner jüngsten Rechtsprechung die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde.

 

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird (§ 58 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Da dies - wie ausgeführt wurde - nicht der Fall ist, war keine amtswegige Prüfung nach § 55 AsylG 2005 vorzunehmen.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige besondere Umstände von den beiden BF nicht substantiiert behauptet und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

 

Ad B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine

 

ohnehin klare Rechtslage stützen.

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