Normen
AsylG 2005 §8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
EMRK Art8;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180228.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 3. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 5. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht u.a. aus, der Revisionswerber sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Er sei im Iran geboren und aufgewachsen, habe dort drei Jahre die Schule besucht und sei anschließend im Iran auf Baustellen und als Friseur tätig gewesen. Seine aus der Provinz Kunduz (Afghanistan) stammende Familie lebe nach wie vor im Iran. Eine Rückkehr des Revisionswerbers in die Provinz Kunduz komme aufgrund der dort bestehenden sicherheitsrelevanten Lage nicht in Betracht. Dem jungen, mobilen, gesunden, anpassungs- und arbeitsfähigen Revisionswerber sei jedoch eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und zumutbar. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Revisionswerber auch im Iran seinen Lebensunterhalt verdient habe, obwohl er sich dort illegal aufgehalten habe und aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit mehrmals festgenommen worden sei. Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Iran sei für den Revisionswerber mit großen Hürden verbunden gewesen. Es sei daher nicht ersichtlich, weshalb es dem Revisionswerber nicht gelingen sollte, auch in Afghanistan einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zwar verfüge der Revisionswerber in Kabul über keine familiären oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte, jedoch seien ihm die kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und die Sprache durch seine Eltern vertraut. Zudem könne der Revisionswerber auf die finanzielle Unterstützung durch seine im Iran lebende Familie zurückgreifen und hätte er Zugang zu Leistungen der Rückkehrhilfe. Es sei vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen, dass der Revisionswerber im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2018, E 4152/2017-7, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG ablehnte und diese über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 23. März 2018, E 4152/2017-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend gemacht, Kabul komme als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht, wenn die Asylsuchenden dort bisher nie gelebt hätten und in Afghanistan weder über familiäre Anknüpfungspunkte noch über ein soziales Netzwerk verfügten. Der Revisionswerber sei mit den traditionellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes nicht vertraut, weshalb fallbezogen eine - die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausschließende - "spezifische Vulnerabilität" gegeben sei. Die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts sei insofern unschlüssig, als das Gericht seiner Entscheidung die Annahme, der Revisionswerber sei mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut, zu Unrecht zugrunde gelegt habe. Im Übrigen stütze sich das angefochtene Erkenntnis auf ein länderkundliches Gutachten, dessen Beweiskraft aus mehreren Gründen zu relativieren sei. Auf die vom Revisionswerber vorgelegten Gutachten sei das Bundesverwaltungsgericht hingegen inhaltlich nicht eingegangen. Weiters wendet sich die Revision gegen die im angefochtenen Erkenntnis durchgeführte Interessenabwägung im Sinne von Art. 8 EMRK. Die Revision erweist sich als nicht zulässig.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zunächst ist festzuhalten, dass die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, der 20-jährige, gesunde, arbeits- und anpassungsfähige Revisionswerber finde aufgrund der aufgezeigten Umstände des Einzelfalls in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor, im Ergebnis keinen Bedenken begegnet und in diesem Zusammenhang eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ersichtlich ist (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN; vgl. auch VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).
9 Zudem ist der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0307, mwN).
10 Mit dem Hinweis, allein die Erziehung durch seine Eltern rechtfertige nicht die Annahme, dass er mit afghanischen Gepflogenheiten vertraut sei, vermag der Revisionswerber derart massive Mängel der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nicht darzulegen. Überdies ist das Vorliegen einer "spezifischen Vulnerabilität" des Revisionswerbers auf dem Boden der Zulässigkeitsbegründung nicht ersichtlich (vgl. betreffend im Iran aufgewachsene Staatsangehörige Afghanistans und die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch VwGH 20.4.2018, Ra 2018/18/0194; 7.3.2018, Ra 2018/18/0103).
11 Darüber hinaus stützte sich das Gericht bei seiner Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten in Afghanistan nicht nur auf das vom Revisionswerber kritisierte Gutachten, sondern auch tragend auf Länderberichte, denen die Revision nicht substantiiert entgegen zu treten vermochte (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0538, mwN). Dabei gelingt es der Revision im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz auch nicht (vgl. im Zusammenhang mit der spezifischen Situation in Afghanistan VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095), betreffend den von ihr behaupteten Begründungsmangel die zur Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erforderliche Relevanz desselben aufzuzeigen (VwGH 1.2.2018, Ra 2017/18/0337).
12 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0276, mwN). Dass das Bundesverwaltungsgericht, das sowohl die Aufenthaltsdauer als auch die persönliche Situation des Revisionswerbers im Bundesgebiet ausreichend berücksichtigte, bei der Interessenabwägung im Sinne von Art. 8 EMRK höchstgerichtliche Leitlinien nicht beachtet hätte, ergibt sich im Lichte der Revision nicht.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. Mai 2018
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