Normen
AsylG 2005 §2 Abs1 Z23;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190234.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte erstmals am 20. Jänner 2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu führte er im Wesentlichen aus, er habe zuletzt in der Stadt Herat gelebt und Afghanistan wegen Grundstücksstreitigkeiten zwischen seinem Vater und dessen ehemaligem Geschäftspartner sowie der in diesem Zusammenhang stehenden Ermordung seines Onkels mütterlicherseits verlassen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag - im zweiten Rechtsgang - mit Bescheid vom 11. März 2016 zur Gänze ab. Begründend gelangte es zum Ergebnis, der Revisionswerber habe eine Verfolgung aus Gründen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht glaubhaft darlegen können, weshalb ihm der Status eines Asylberechtigten nicht erteilt werde. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm keine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte, weshalb ihm auch nicht der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde.
3 Dieser Bescheid erwuchs in der Folge in Rechtskraft. 4 Am 13. Jänner 2017 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag und brachte dazu vor, in seinem ersten Verfahren nicht die Wahrheit angegeben zu haben. Tatsächlich sei er im Iran geboren, er besitze jedoch die afghanische Staatsbürgerschaft. Er wohne nunmehr mit seinen - zwischenzeitig in Österreich eingereisten - Eltern, die sich um ihn sorgten und für ihn kochten, im gemeinsamen Haushalt. Es bestehe ein enges familiäres Verhältnis zu diesen und er sei von ihnen finanziell abhängig. Auch bestünde mit einem Cousin und zwei Onkeln, die sich ebenso in Österreich aufhielten, eine familiäre Beziehung. Der Revisionswerber halte sich bereits seit sieben Jahren im Bundesgebiet auf, habe zwei Deutschkurse besucht und hier einige Freundschaften geknüpft.
5 Am 14. März 2017 langte beim BFA eine Stellungnahme des Revisionswerbers ein. Darin führte er ergänzend aus, seine aus der Provinz Herat stammenden Eltern hätten bereits 35 Jahre lang im Iran gelebt, wo auch deren drei Kinder geboren worden seien. Die Eltern und die jüngere Schwester des Revisionswerbers hätten nunmehr am 8. Juli 2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Ihnen sei mit Bescheiden des BFA vom 17. Jänner 2017 der Status von subsidiär Schutzberechtigten aufgrund "ihrer langjährigen Abwesenheit vom Herkunftsstaat, des Fehlens von familiären und sozialen Anknüpfungspunkten und auch infolge der Kriminalität in Afghanistan" zuerkannt worden. Aus diesen Gründen sei auch dem Revisionswerber die Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar. Der Folgeantrag erweise sich daher vor dem Hintergrund der maßgeblich veränderten Sachlage als berechtigt.
6 Das BFA wies den Folgeantrag mit Bescheid vom 11. Juni 2017 gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber und stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan fest.
7 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird zunächst vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es von einer entschiedenen Sache im Sinn des § 68 AVG ausgegangen sei und demnach eine neuerliche Entscheidung über den Antrag des Revisionswerbers auf "Erteilung eines Aufenthaltstitels" abgelehnt habe. Da der Revisionswerber nie im Herkunftsland gelebt habe und somit dort über keine sozialen Kontakte verfüge, würde er im Falle seiner Rückkehr in eine aussichtslose, existenzbedrohende Lage geraten. Zudem fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, inwieweit falsche Angaben für eine Entscheidung nach § 68 AVG eine Rolle spielten bzw. inwieweit diese falschen Angaben Personen vorgeworfen werden könnten, die sich in einer "berücksichtigungswürdigen persönlichen Ausnahmesituation, wie sie bei Asylwerbern nach ihrer Flucht" vorliege, befänden.
12 Dem ist zu erwidern, dass "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG die Frage war, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgte. Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).
13 Diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.6.2014, Ra 2014/19/0018). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).
14 Das BVwG ging vor diesem Hintergrund zu Recht davon aus, dass der im Folgeantrag vorgebrachte Sachverhalt bereits vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens vorlag und daher von der Rechtskraftwirkung des den Erstantrag erledigenden Bescheides umfasst war. Deshalb war das Vorbringen nicht mehr zu berücksichtigen und auch nicht geeignet, eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände zu belegen, die dem Folgeantrag zum Erfolg verholfen hätte (vgl. etwa VwGH 12.7.2017, Ra 2017/18/0220- 0224). Zusammenfassend zeigt die Revision daher nicht auf, dass das BVwG in der angefochtenen Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Prozesshindernis der res iudicata abgewichen wäre.
15 Zum Einwand des Revisionswerbers gegen die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG, wonach der Frage Bedeutung zukomme, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen könne, ist festzuhalten, dass es sich bei dieser anhand der Kriterien des Art. 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte - um eine Einzelfallentscheidung handelt, welche grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0077; 18.10.2017, Ra 2017/19/0226, jeweils mwN).
16 Das BVwG gelangte zu dem Ergebnis, dass die Beziehung zwischen dem erwachsenen Revisionswerber und seinen in Österreich subsidiär schutzberechtigten Eltern nicht unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK falle, weil der Revisionswerber fünf Jahre lang im Bundesgebiet ohne seine Familienangehörigen habe auskommen können und das Familienleben erst in einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich der Revisionswerber - insbesondere aufgrund der Nichtbeachtung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung - seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Demnach sind die von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Beziehung unter Erwachsenen unter dem Gesichtspunkt eines unverhältnismäßigen Eingriffs in das Privat- und Familienleben geforderten zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit, die über die üblichen Bindungen zwischen Eltern und ihren minderjährigen Kindern hinausgehen, nicht gegeben (vgl. etwa VwGH 13.2.2018, Ra 2018/18/0059; 15.12.2015, Ra 2015/19/0149, jeweils mwN).
17 Auch nach eingehender Würdigung der privaten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Verbleib in Österreich, insbesondere seines mittlerweile siebenjährigen Aufenthaltes, führte das BVwG aus, selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens, er sei im Iran geboren und nie in Afghanistan gewesen, vermöge die fehlende Bindung zu seinem Herkunftsland aufgrund des deutlichen Überwiegens des öffentlichen Interesses an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens nichts am Ergebnis der Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zu ändern. Der Eingriff der Rückkehrentscheidung in sein Privat- und Familienleben sei daher nach Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig. Vor diesem Hintergrund gelingt es dem Revisionswerber nicht, die Unvertretbarkeit der Interessenabwägung aufzuzeigen.
18 Zuletzt wendet sich der Revisionswerber gegen die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine "absolute" (generelle) Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 5.12.2017, Ra 2016/01/0166; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422-0424, jeweils mwN). Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das BVwG hier - wie die eben dargestellte nicht revisible Interessenabwägung zeigt - im vorliegenden Fall in vertretbarer Weise angenommen. Die Revision legt mit ihrem dazu abstrakt gehaltenen Vorbringen nicht dar, warum die Voraussetzungen für die Abstandnahme der Verhandlung nicht gegeben gewesen wären.
19 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
20 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 24. Mai 2018
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