BVwG W104 2180359-1

BVwGW104 2180359-113.8.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W104.2180359.1.00

 

Spruch:

W104 2180359-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian Baumgartner über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 46 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang

 

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und wurde am 17.04.2015 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten und festgenommen. Im Zuge dieser Amtshandlung stellte der Beschwerdeführer am 17.04.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

 

Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.04.2015 gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er sei unverheiratet und am XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren. Zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass ihn die Taliban gezwungen hätten, für sie in der Küche als Koch zu arbeiten. Er sei schlecht behandelt worden. Man habe ihm vorgeworfen, dass er falsch bete, weil er Schiite sei. Der Beschwerdeführer sei daher weggelaufen. Ein paar Tage später sei das Gebiet der Taliban von der Regierung angegriffen worden, wobei mehrere Taliban ums Leben gekommen seien. Die Taliban seien der Meinung gewesen, dass der Beschwerdeführer sie verraten habe. Der Beschwerdeführer sei daher von zu Hause weggelaufen und habe sich beim Bruder seiner Schwägerin versteckt. Nach fünf Tagen habe ihm dieser erzählt, dass das Haus des Beschwerdeführers angegriffen worden sei. Dabei sei der Bruder des Beschwerdeführers gestorben. Der Beschwerdeführer habe daher auch um sein Leben gefürchtet und seine Heimat verlassen.

 

Aufgrund von Zweifeln an der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers holte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein rechtsmedizinisches Sachverständigengutachten zum Lebensalter des Beschwerdeführers ein. Laut diesem Gutachten vom 19.06.2015 ist das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers der XXXX . Mit Verfahrensanordnung vom 06.07.2015 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren wurde.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 08.06.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Diese Einvernahme wurde am 08.06.2017 um 12:06 Uhr abgebrochen. Am 05.10.2017 wurde die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers fortgesetzt. Der Beschwerdeführer führte vor der belangten Behörde zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass die Taliban zu seiner Familie gekommen seien und seinem Bruder gesagt hätten, dass die Familie eine Person den Taliban geben müsse. Die Taliban hätten daher den Beschwerdeführer mitgenommen und in ein Dorf namens XXXX gebracht, wo der Beschwerdeführer für die Taliban als Koch arbeiten habe müssen. Der Beschwerdeführer sei zwei Tage bei den Taliban gewesen. Am ersten Tag hätten die Taliban zum Beschwerdeführer gesagt, dass er falsch bete. Am zweiten Tag sei er bedroht worden, wenn er weiter bete wie die Schiiten. Die Taliban hätten angefangen, ihm beizubringen, wie man richtig bete. Am dritten Tag sei es dem Beschwerdeführer gelungen zu fliehen und nach Hause zu gehen, wo er sich zwei Tage aufgehalten habe. Am dritten Tag habe ihm sein Bruder mitgeteilt, dass der Stützpunkt der Taliban von der Regierung angegriffen worden sei. Es bestünde die Gefahr, dass die Taliban nach dem Beschwerdeführer suchen und ihn des Verrats verdächtigen könnten. Der Beschwerdeführer müsse sich in Sicherheit bringen. Er sei daher zum Schwager seines Bruders namens XXXX geflohen und dort fünf Tage lang geblieben. Am fünften Tag habe ihm XXXX mitgeteilt, dass die Taliban das Haus der Familie überfallen und seinen Bruder getötet hätten. Am nächsten Tag in der Früh habe der Schwager des Bruders zu ihm gesagt, dass er mitkommen solle. XXXX habe den Beschwerdeführer zu einem LKW gebracht, mit dem der Beschwerdeführer sodann seine Flucht angetreten habe.

 

Mit Schreiben vom 31.10.2017 legte der Beschwerdeführer ein Deutschzertifikat Niveau A2 vor.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , zugestellt am 22.11.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs 1 AsylG iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen sei in keiner Weise nachvollziehbar und völlig unglaubwürdig. Es seien gravierende Ungereimtheiten und Widersprüche in den Schilderungen des Beschwerdeführers festzustellen, weshalb es naheliege, dass das Erzählte nicht tatsächlich erlebt worden sei. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Lebenssituation geraten könne. Eine Neu- bzw. Wiederansiedelung in Afghanistan könne dem Beschwerdeführer in der Hauptstadt Kabul zugemutet werden.

 

Dagegen richtet sich die am 15.12.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erlassen worden wäre. In dieser Beschwerde wird das Vorbringen zum Fluchtgrund wiederholt, näheres zur prekären Sicherheitslage in Afghanistan (insbesondere zur Sicherheitslage in Kabul sowie zu jener der Hazara) ausgeführt und Vorbringen zur Glaubwürdigkeit des vorgebrachten Fluchtgrundes erstattet. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien nicht vollständig und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer und aufgrund der ihm unterstellten politischen Gesinnung wegen seines unkooperativen Verhaltens gegenüber den Taliban.

 

Am 01.02.2018 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht die unterfertigte Wohnsitzbeschränkung betreffend den Beschwerdeführer zur Kenntnis.

 

Mit Schreiben vom 10.04.2019 beraumte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung für den XXXX an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 12.04.2019 mit, dass eine Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei, und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.

 

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am XXXX eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

 

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen Verfolgung durch die Taliban aufrecht. Weiter legte der Beschwerdeführer ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowie eine Stellungnahme seiner Rechtsvertretung zur ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers, seinem Vorbringen in Zusammenhang mit der Ablehnung der Kooperation mit den Taliban sowie zur schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vor.

 

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

 

* Bestätigung über Teilnahme am Deutschunterricht von Frau XXXX und Frau XXXX (beide undatiert);

 

* Zertifikat ÖSD Deutsch A2 "nicht bestanden" vom 18.04.2017;

 

* Zertifikat ÖSD Deutsch A2 "gut bestanden" vom 17.10.2017;

 

* Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 22.08.2018;

 

* Teilnahmebestätigung der XXXX GmbH über Teilnahme am Deutschkurs Niveau B1 vom 26.01.2019;

 

* Bestätigung der Sport- und Veranstaltungszentren XXXX über Hilfstätigkeiten des Beschwerdeführers vom 24.03.2017;

 

* Bestätigung des Gemeindeamts XXXX über eine Beschäftigung des Beschwerdeführers vom 26.04.2017;

 

* Arbeitsbestätigung des Amts der XXXX Landesregierung, Landesfortgarten XXXX betreffend gemeinnützige Arbeiten als Aushilfsarbeiter vom 05.05.2017 sowie vom 05.09.2017;

 

* Bestätigungen über den freiwilligen Hilfsdienst " XXXX " vom 21.01.2018 sowie vom 11.04.2018;

 

* Bestätigung der Gemeinde XXXX über gemeinnützige Arbeiten des Beschwerdeführers vom 14.05.2019;

 

* Arbeitszeitbestätigung der Marktgemeinde XXXX hinsichtlich gemeinnütziger Tätigkeiten vom 16.05.2019;

 

* Diverse Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Beweisaufnahme:

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

* Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;

 

* Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;

 

* Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

* Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

 

2. Feststellungen:

 

2.1. Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

 

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Maidan Wardak geboren. Er besuchte dort sieben Jahre lang die Schule und arbeitete von seiner Kindheit bis zu seiner Ausreise als Landwirt in der Landwirtschaft der Familie.

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, zudem spricht er Deutsch auf dem Niveau A2. Er ist ledig und kinderlos.

 

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

Die Mutter des Beschwerdeführers, sein Bruder, dessen Ehefrau sowie die vier Kinder des Bruders leben noch im Herkunftsstaat im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Maidan Wardak. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Beschwerdeführers bereits verstorben ist. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie.

 

Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit 17.04.2015, als er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen wurde und seinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat in Österreich einige soziale Kontakte geknüpft, an Deutschkursen teilgenommen sowie einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF absolviert. Am 17.10.2017 legte er erfolgreich eine Prüfung aus der Stufe A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab. Der Beschwerdeführer arbeitet ehrenamtlich für diverse Gemeinden sowie für das Amt der XXXX Landesregierung (Landesforstgarten XXXX ). Er ist kein Mitglied in einem Verein und geht in seiner Freizeit ins Fitnessstudio oder laufen. Zukünftig möchte der Beschwerdeführer eine Ausbildung zum Installateur machen.

 

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

 

2.2. Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

 

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den Taliban entführt und als Koch rekrutiert wurde. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Taliban das Haus der Familie des Beschwerdeführers überfielen und dessen Bruder töteten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Taliban den Beschwerdeführer des Verrats beschuldigen. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr Übergriffen bzw. Verfolgung durch die Taliban etwa aufgrund einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung bzw. wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer ausgesetzt wäre, ist nicht zu erwarten.

 

Dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Zwangsrekrutierung oder Übergriffe wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit drohen, ist nicht zu erwarten.

 

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

 

Die Provinz Maidan Wardak zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv und es kommt zu Zusammenstößen zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. In der Provinz werden groß angelegte militärische Operationen, etwa in Form von Luftangriffen und Bodenoffensiven, durchgeführt.

 

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Maidan Wardak droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

 

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban, des Haqqani-Netzwerkes und des IS betroffen. Kabul verzeichnet die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch. Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

 

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Sie verzeichnet Aktivitäten von Aufständischen in einigen Distrikten. Die Hauptstadt der Provinz - Herat (Stadt) - ist davon wenig betroffen und steht wie auch Mazar-e Sharif in Balkh unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

 

Die Provinzen Balkh und Herat sind von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

 

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

 

Im Fall einer Rückführung des Beschwerdeführers nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können und im Fall seiner Niederlassung ein Leben ohne unbillige Härten wird führen können, so wie es auch seine Landsleute führen.

 

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationalen Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

 

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

 

2.3.1. Staatendokumentation (Stand 29.06.2018, außer wenn anders angegeben):

 

Allgemeine Sicherheitslage

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

 

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

 

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

 

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die Zahl gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

 

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

 

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

 

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

 

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

 

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

 

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.

 

Sicherheitslage Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

 

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

 

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

 

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

 

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

 

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

 

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

 

Folgende öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele wurden im Jahr 2018 registriert (kein Anspruch auf Vollständigkeit).

 

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

 

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

 

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

 

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

 

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

 

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

 

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

 

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.1.

 

Wirtschafts- und Sicherheitslage Balkh

 

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.:

Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts¬und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018). Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

 

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, [...].

 

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.5.

 

Erreichbarkeit

 

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan. trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk zählen zu den Projekten. die systematisch geplant und umgesetzt werden. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z.B. Vervollständigung der Kabul Ring Road. des Salang-Tunnels. etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 5.12.2017).

 

Verkehrsunfälle sind in Afghanistan keine Seltenheit; jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen. hohe Geschwindigkeiten und Nachlässigkeit der Fahrer während der Fahrt (KT 17.2.2017; vgl. IWPR 26.3.2018). Die Präsenz von Aufständischen sowie Zusammenstöße zwischen letzteren und den Sicherheitskräften entlang einiger Straßenabschnitte gefährden die Sicherheit auf den Straßen. Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kandahar-Uruzgan (Pajhwok 28.4.2018). Ghazni-Paktika (Reuters 5.5.2018). Kabul-Logar (Tolonews 21.7.2017) und Kunduz-Takhar (Tolonews 12.5.2017).

 

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.).

 

Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistans Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

 

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu¬Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.35.

 

Wirtschafts- und Sicherheitslage Herat

 

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

 

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

 

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

 

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

 

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

 

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018). ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.13.

 

Erreichbarkeit:

 

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.35.

 

Wirtschafts- und Sicherheitslage Wardak / Maidan Wardak

 

(Maidan) Wardak ist eine der zentralen Provinzen Afghanistans (Pajhwok o.D.). Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud/Behsood und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.; vgl. UN OCHA 4.2014). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 615.992 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben hauptsächlich ethnische Paschtunen, Tadschiken und Hazara; auch Kuchis sind in der Vergangenheit insbesondere in den Distrikt Behsood gezogen (EASO 12.2017).

 

Die Hauptautobahn (Ring Road) Kabul-Kandahar führt durch die Provinz Maidan Wardak, von wo aus sie die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen des Landes mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Khaama Press 6.5.2016; vgl. Tolonews 23.1.2018). Polizisten arbeiten hart daran, die Autobahn von Minen zu befreien, da der südliche Abschnitt der Kabul-Kandahar Autobahn neun Provinzen mit der Hauptstadt Kabul verbindet (Tolonews 23.1.2018).

 

Mit Stand November 2017 ist die Provinz Wardak zumindest seit dem Jahr 2006 komplett opiumfrei - im Jahr 2005 wurden in Daimirdad noch 106 Hektar Mohnanbauflächen verzeichnet (UNODC 11.2017).

 

Drei Frauen haben bei der Provinzwahl von Maidan Wardak Sitze für den Provinzrat erhalten (GV 8.3.2018). Im März 2018 hat eine Gruppe junger Frauen in der Provinz die Kunstbewegug "Village Sisters Art Movement" gegründet, wodurch Lyrik-Vorträge organisiert werden. Das Projekt wird vom Kultur- und Informationsdepartment begrüßt (Pajhwok 9.3.2018).

 

Wardak zählt seit einiger Zeit zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv - speziell in den Distrikten nächst der Autobahn (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 1.1.2018, Khaama Press 25.12.2017, Khaama Press 8.12.2017, Khaama Press 23.11.2017, FN 8.11.2017, Khaama Press 21.8.2018, Khaama Press 11.7.2017).

 

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 81 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 83 zivile Opfer (42 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten/willkürlichen Tötungen und Luftangriffen. Dies deutet einen Rückgang von 35% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

 

In der Provinz Wardak werden groß angelegte militärische Operationen durchgeführt (Tolonews 23.11.2017; vgl. Xinhua 18.3.2018, Tolonews 18.3.2018, Tolonews 22.11.2017, Tolonews 1.7.2017 Pajhwok 19.5.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Xinhua 18.3.2018; vgl. Tolonews 18.3.2018, Tolonews 23.11.2017). Bei diesen Operationen werden unter anderem auch Führer von regierungsfeindlichen Gruppierungen getötet (Xinhua 14.1.2018; vgl. Khaama Press 23.11.2017, Tolonews 1.7.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt; bei diesen werden auch Aufständische getötet (Independent 24.11.2017; vgl. Khaama Press 12.8.2017, Pajhwok 10.4.2017).

 

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (Pajhwok 3.3.2018; vgl. Tolonews 7.11.2017, Tolonews 11.7.2017).

 

Regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv (Khaama Press 11.3.2018). Dazu zählen u. a. die Taliban (Tolonews 18.2.2018; vgl. Xinhua 14.1.2018, Khaama Press 9.12.2017); Quellen zufolge hat das Haqqani-Netzwerk in einem Teil der Provinz Wardak eine Zentrale gehabt (ATN 23.11.2017; vgl. Tolonews 23.11.2017, Khaama Press 23.11.2017, SP 13.3.2018, UW 3.2012). Das Haqqani-Netzwerk operiert großteils in Ostafghanistan und der Hauptstadt Kabul (Xinhua 18.3.2018).

 

Für den Zeitraum 1.1.2017-31.1.2018 wurden keine IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet (ACLED 23.2.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

3.33.

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (AA 5 .2018).

 

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen (USDOS 20.4.2018). Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (AI 22.2.2018).

 

Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 5 .2018). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 5 .2018). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen. Regierungsbedienstete sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar (USDOS 20.4.2018). Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Afghanistan Independent Human Rights Commission AIHRC bekämpft weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte, das Komitee für Drogenbekämpfung, berauschende Drogen und ethischen Missbrauch sowie der Justiz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 20.4.2018).

 

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

 

Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

10.

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).

Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).

 

Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5 .2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5 .2018).

 

Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).

 

Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).

 

Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens‑)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9 .2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).

 

Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap. 4

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi- Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

 

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

 

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht- muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

 

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

 

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

 

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

15.

 

Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).

 

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).

 

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).

 

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

15.

 

Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5 .2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

 

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

16.

 

Grundversorgung und Wirtschaft, Arbeitsmarkt

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

 

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

 

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

 

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

 

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018).

 

Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

 

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

12.

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

 

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

12.

 

Medizinische Versorgung

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baghlan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei

Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).

 

Mehrere Nichtregierungsorganisationen betreiben Einrichtungen, wo medizinische und psychologische Hilfe geleistet wird.

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw. schnellere medizinische Versorgung zu bekommen (IOM 5.2.2018). Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (RFG 2017). In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw. fachlicher Expertise nicht behandelt werden können (IOM 5.2.2018). Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen (RFG 2017). Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (IOM 5.2.2018).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

22.

 

Rückkehr

 

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

 

Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).

 

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer/innen sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 18.4.2018).

 

Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig:

 

IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer/innen nach Afghanistan und in den Iran, nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr - und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerninstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program, nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance) eine gemeinnützige Organisation bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrer/innen zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrer/innen bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrer/innen aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein. Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer/innen zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrer/innen und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl UNHCR 13.12.2017).

 

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017) - alle Leistungen sind kostenfrei (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Info Migrants 2.1.2018). Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017). Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung:

 

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr/innen nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AAN 19.5.2017).

 

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer/innen:

 

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. BFA/EASO 1.2018).

 

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).

 

Quellen siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Kap.

23.

 

2.3.2. Landinfo Report Afghanistan: Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban vom 29.06.2017:

 

Zusammenfassung

 

Die Taliban sind im Wesentlichen immer noch eine Bewegung der Paschtunen. Im letzten Jahrzehnt hat sich allerdings die Rekrutierung von Nichtpaschtunen verstärkt.

 

Das Konfliktschema in Afghanistan hat sich seit der Übergangsperiode 2014 verändert, die Taliban konzentrieren sich seither auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation. Das hat Folgen für die Rekrutierung, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen, als auch im Hinblick auf ihre Ausbildung. Religion und die Idee des Dschihad spielen bei der Rekrutierung weiterhin eine bedeutsame Rolle, ebenso die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Das kulturelle und sozioökonomische Umfeld erlegt den meisten Afghanen Einschränkungen auf, viele von ihnen haben keine andere Wahl als sich den Taliban anzuschließen.

 

Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet.

 

Wer wird von den Taliban Rekrutiert?

 

Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte verfügt über diese Sachkompetenzen, und von mehreren Quellen hieß es, dass die Taliban aktiv versuchen würden, sie auf ihre Seite zu ziehen. Da nun ein stärkerer Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrung gelegt wird, ist auch das wahrscheinliche Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen (Gespräch mit einer internationalen Organisation in Kabul; Gespräch mit einem Thinktank in Kabul, April/Mai 2017).

 

Da die Taliban nun beträchtliche Gebiete kontrollieren, einschließlich der Provinz Helmand, wo angenommen wird, dass 80% des Territoriums unter ihrer Kontrolle stehen, werden die Rekruten nun im Vergleich zu früher verstärkt auf afghanischem Boden ausgebildet. Laut einer Quelle von Landinfo betreiben die Taliban derzeit in vielen Landesteilen Ausbildungslager (Gespräch mit einer internationalen Organisation in Kabul, April 2017). Die Taliban haben dies in einem Artikel in der Zeitschrift Long War Journal bestätigt: Zusätzlich zu den Camps im Süden gibt es Ausbildungslager im Norden (Kunduz, Faryab und Jawzjan) und im Osten (Kunar und Paktika) (Roggio 2016).

 

So wie die afghanischen Sicherheitskräfte verlieren auch die Taliban zahlreiche Männer auf dem Schlachtfeld oder bei sonstigen bewaffneten Aktivitäten. Aus der Sicht der Rekrutierung dürften die Verluste für die Taliban bisher kein Problem darstellen, die Bewegung scheint mit dem Zugang zu Rekruten keine Schwierigkeiten zu haben. Dies steht im Gegensatz zu den Erfahrungen der afghanischen Sicherheitskräfte. Eine gut informierte Quelle unterstrich bei einem Treffen mit Landinfo, je schwächer der Staat und die Behörden erscheinen, und je weniger Vertrauen die Bevölkerung in das Projekt der Staatsbildung habe, desto einfacher sei für die Taliban die Rekrutierung (Gespräch mit internationaler Organisation in Kabul im April 2017). Die politische Kultur ist durch Pragmatismus und die Abwägung gekennzeichnet, mit wem zu welchem Zeitpunkt ein Bündnis am günstigsten erscheint, und das könnte dazu beigetragen haben, die Schwelle für den Beitritt zu den Taliban abzusenken.

 

Wie rekrutieren die Taliban?

 

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte erfolgt; sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban (Clark 2011) enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich.

 

Vor einigen Jahren waren alle Mittel, von Pamphleten, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung, wichtige Instrumente des Propagandaapparats (ICG 2008, S.ii). Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Wie der Journalist Bashir Ahmad Gwakh (2011) in Radio Free Europe ausführte, haben die Taliban verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut (EASO 2016, S.17).

 

Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke. Das kann bei den Freitagsgebeten in der Moschee oder bei anderen lokalen Veranstaltungen und Schauplätzen geschehen (Gespräch mit lokalem Thinktank, April 2016). Ein großer Apparat von politischen Agenten und Vermittlern ist mit der Anwerbung in Moscheen und Madrassen befasst, häufig in Pakistan (Gespräch mit Giustozzi in Oslo, November 2015), aber es gibt auch einige Berichte über Madrassen als zentrale Rekrutierungsstätte in Afghanistan (EASO 2016, Seite 17).

 

Afghanen stehen in Pakistan in den letzten Jahren unter massivem Druck. Flüchtlingslager waren traditionell ein wichtiger Schauplatz für die Rekrutierung der Taliban. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Lager geschlossen. Sowohl die registrierten als auch die nicht registrierten Afghanen fühlen sich im Vergleich zu früher von der Bevölkerung und den Behörden weniger willkommen geheißen. Im zweiten Halbjahr 2016 sind über 600.000 Afghanen nach Afghanistan zurückgekehrt (E-Mail von diplomatischer Quelle, 8. Februar 2017). Landinfo sind keine Quellen bekannt, die erläutern könnten, ob sich dies auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban in Pakistan ausgewirkt hat, oder inwieweit nach Afghanistan zurückgekehrte Menschen sich den Taliban oder anderen militanten aufständischen Gruppen anschließen.

 

Erklärungsmodelle, warum sich Menschen den Taliban anschließen

 

Es gibt mehrere Erklärungsmodelle, warum sich so viele Menschen den Taliban anschließen. Zwei Modelle dominieren:

 

* Ein Modell unterstreicht die materiellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten; die Rekruten seien durch Armut, fehlende sonstige Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert.

 

* Das andere Modell unterstreicht die religiösen und kulturellen Gegebenheiten. Die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, spielt dabei eine zentrale Rolle.

 

Professor Peter Bergen von der Arizona State University und der Wissenschaftler Matt Waldman von der Universität Harvard beschreiben den Unterschied zwischen den beiden Modellen wie folgt:

 

Den Arbeitslosen und Armen bot der Aufstand Status, Lebenssinn und eine "ehrenwerte" Möglichkeit, ihre Familien zu ernähren, während der Dschihad für die in Hardliner-Madrassen Ausgebildeten eine religiöse Pflicht darstellte (Bergen & Waldman 2014, S. 3).

 

Die Motive überschneiden sich vermutlich, es stimmt nicht unbedingt, dass wirtschaftliche Motive für religiös überzeugte Rekruten keine Geltung hätten. Bei den Elitetruppen sind wahrscheinlich beide Parameter stark ausgeprägt.

 

Die Quellen betonen Religion und Ideologie in unterschiedlichem Ausmaß. Einige Quellen, wie der frühere Berater des US-Sondereinsatzkommandos in Afghanistan Seth G. Jones, stellten im Jahr 2008 fest, dass fast nur die Führung und die wichtigsten Kommandanten der Taliban durch den Islam motiviert seien und den Aufstand als Kampf gegen die westliche Präsenz und die "Marionettenregierung" in Kabul betrachteten. Die Motive der meisten Kader, der "unteren Ebene der Taliban" würden auf wirtschaftliche Aspekte und Frustration hinauslaufen (Jones 2008). Giustozzi beschreibt auch zwei Gruppen, die sich im Hinblick auf Religion und Ideologie unterscheiden. Er argumentiert, dass es in einer Gruppe, nämlich bei den "Vollzeitkämpfern", einige gäbe, deren "Loyalität gegenüber den Taliban in der Sache des Dschihad stärker zu sein scheint". Er vertritt die Ansicht, dass sehr viele professionelle Vollzeitkämpfer vom Dschihad wahrhaftig überzeugt sind (Giustozzi 2010).

 

Materielle und wirtschaftliche Gegebenheiten

 

Die Taliban haben ihre Position in Afghanistan gestärkt. Ihre Sympathisanten sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe, warum sich viele schließlich den Taliban zuwenden (Gespräch mit NGO A in Kabul, Mai 2017).

 

Das internationale Staatsbildungsprojekt in Afghanistan hat die sozioökonomischen Realitäten für breite Bevölkerungsschichten nicht verändert. Bereits 2011 war die öffentliche Meinung relativ eindeutig "[...] in den Augen der Menschen Afghanistans haben die internationalen Bemühungen ihr Leben kaum verbessert" (The Asia Foundation 2012). Mehrere Wirtschaftsindikatoren sind rückläufig, die Sicherheitslage verschlechtert sich. Pessimismus innerhalb der Bevölkerung und mangelnde Zuversicht für die Zukunft sind vorherrschend und weit verbreitet (Asia Foundation 2016, S. 6).

 

Das Institute for War and Peace Reporting (zitiert in EASO 2012, S. 27) hat schon in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass "[...] Schätzungen zufolge bis zu 70% der jungen Talibankämpfer aus finanziellen und nicht aus ideologischen Gründen in den Kampf ziehen." Auch Behördenvertreter führen häufig wirtschaftliche und materielle Ursachen und nicht Überzeugungen als Beweggründe an:

 

Nach Auskunft der Beamten des NDS bieten die Aufständischen den Jungen, die sich ihnen freiwillig anschließen, Autos, Geld und Waffen und Ähnliches als Anreiz (ACCORD 2014).

 

Es besteht weitestgehend Übereinstimmung darüber, dass durch die internationale Militärpräsenz vor dem Jahr 2014 viele Arbeitsplätze geschaffen wurden. Nach Schätzungen einer NGO (Gespräch in Kabul im April 2016) sind seit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") nahezu eine halbe Million Arbeitsplätze verloren gegangen. Die allgemeine wirtschaftliche und materielle Lage ist ein Rekrutierungsanreiz und verstärkt auch in verschiedener Hinsicht den Druck, sich den Taliban anzuschließen.

 

Junge Menschen, vor allem in ländlichen Gebieten, haben äußert beschränkte Möglichkeiten und wenige Chancen, sich ein Einkommen zu verschaffen. Viele verfügen über eine minimale Schulbildung und geringe Ressourcen. Um ein Einkommen zu erwirtschaften, können sie sich entweder den Taliban oder den Sicherheitskräften anschließen. In einigen Teilen des Landes, vor allem in konservativen ländlichen Gebieten, ist die Unterstützung der Behörden keine wirkliche Alternative, da die Behörden als vom Volk abgehoben gelten (Gespräch mit NGO A in Kabul, Mai 2017).

 

In manchen Milieus ist der soziale Status einer Assoziation mit den Taliban wesentlich höher als mit den Sicherheitskräften. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Löhne der Sicherheitskräfte unregelmäßig ausbezahlt werden; zwischen den einzelnen Auszahlungen können Monate vergehen und die Anzahl der Todesfälle ist hoch. Es ist nicht gesichert, dass ein im Dienst gefallener Soldat der Sicherheitskräfte in seinem Heimatort begraben werden kann, da der örtliche Mullah einer Bestattung möglicherweise nicht zustimmt. Stirbt jedoch ein Mitglied der Taliban, wird er als Märtyrer verehrt (Gespräch mit einer lokalen NGO, April 2016).

 

Die Sicherheitskräfte gelten gemeinhin als korrupt. Ein Mitarbeiter einer NGO vor Ort (NGO B, Gespräch in Kabul, Mai 2017) berichtete, dass die Rekruten der Sicherheitskräfte erleben, wie ihre Vorgesetzen Waffen und Munition an die Taliban verkaufen. Die Korruptionstheoretikerin Sarah Chayes (Hammer & Jensen 2016, S. 318) konstatierte, dass die Billigung der Taliban unter der Bevölkerung nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt ist, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft. Nach Ansicht von Chayes ist dies mit eine Erklärung für die Anziehungskraft der Taliban.

 

In einem Kontext, in dem sich Politik zumeist um Allianzen und Macht dreht, ist die nunmehr gestärkte Position der Taliban ein Vorteil bei der Rekrutierung; verbündet zu sein mit dem Starken oder der Partei, die eine Stärkung erfährt, gilt, wie bereits erwähnt, als Ideal (Hammer & Jensen, 2014, S. 32).

 

Wenn, darüber hinaus, eine Verbündung mit den Taliban dem Einzelnen, Gruppen oder Gemeinschaften zu Erwerbsmöglichkeiten verhilft, erhöht dies vermutlich die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Allianzen eingegangen werden. Bei kriminellen Gruppen durchsetzen wirtschaftliche und interessens-bezogene Motive die Zusammenarbeit mit den Taliban. Die Taliban haben eine Stellung, d.h. sie können unter anderem den Schutz von Schmuggelrouten gewährleisten. Man weiß beispielsweise, dass die Opiumbauern in Helmand die Taliban im Gegenzug für deren Schutz der Handels- und Schmuggelrouten unterstützen (Gespräch mit NGO B in Kabul, Mai 2017).

 

Die Taliban sind in den großen Städten am wenigsten stark etabliert. Der Analytiker Boran Osman (zitiert in EASO 2016) verwies jedoch darauf, dass die Talibansympathisanten an mehreren Universitäten offen Propaganda betreiben, etwa in Nangarhar, Khost, Kabul und Kandahar. Die Organisation rekrutiert unter schlecht vernetzten jungen Neuankömmlingen (Giustozzi 2012, S. 60).

 

Entlohnung und sonstige Vergütungen

 

Es ist unklar, in welcher Form die Taliban entlohnen und was die Kader verdienen. Vieles deutet auf unterschiedliche Konditionen hin, jedoch scheint Konsens darüber zu herrschen, dass die Konditionen vergleichsweise gut sind. Ein Diplomat (Gespräch in Kabul, 2013) behauptete, die Taliban zahlten USD 8-10 pro Tag, schränkte aber gleichzeitig ein, dass viele nur auf Teilzeitbasis engagiert sind oder ihre Tätigkeit für die Taliban mit Arbeit in der Landwirtschaft oder in einem Basar verbinden. Nach Schätzungen eines Vertreters einer internationalen NGO (Gespräch in Kabul, Oktober 2013) bezahlen die Taliban USD 10-15 pro Tag, während der Tagessatz der NGO bei lediglich USD 3-4 liegt. Ein anderer Mitarbeiter einer örtlichen NGO (Treffen in Kabul, April 2016) gab an, die Taliban zahlten bis zu USD 300 monatlich, betonte jedoch wie andere Quellen, dass das Lohnniveau schwanke, und dass die Tätigkeit saisonal und situationsabhängig sei.

 

Neben ihrer Entlohnung in Form von Gehalt verfügen die Talibankämpfer über weitere Erwerbsquellen. Die Layha (Rechts- und Verhaltenskodex der Taliban) regelt die Handhabung von Wirtschaftsgütern durch die Kader. Landinfo interpretiert diese Bestimmungen als Bestätigung für den "unrechtmäßigen" Erwerb von Gütern durch die Taliban, z.B. durch Straßenkontrollen. Gemäß §§ 27-33 der Layha sind Kriegsgeschäfte eine "legitime" Einnahmequelle, sowohl für die Aufständischen als auch für Zivilisten. Nach § 27 gehen die Einkünfte aus Kriegsgeschäften nicht ausschließlich an die Organisation:

 

[...] vier Fünftel [...] gehen an diejenigen Mudschaheddin-Kämpfer, die an der Front waren, und an diejenigen, die von ihrem Anführer ausgesandt wurden, um einen Hinterhalt zu legen oder Informationen für den Kampf zu liefern sowie an diejenigen, die aus gutem Grund anderswohin gesandt wurden (Clark 2011).

 

Eine NGO (Gespräch in Kabul, April 2016) bekräftigte, dass die Bestimmungen der Layha in der Praxis auch Anwendung finden. Nach Angaben dieser Quelle gehen Lösegelder aus Erpressungen und "Straßenbenützungsgebühren" nach einem vereinbarten Schlüssel an die Kader.

 

Religiöse und kulturelle Gegebenheiten

 

Neben der Erfahrung von Ungerechtigkeit und Opposition gegenüber staatlichen und internationalen Kräften sind religiöse, ideologische und politische Beweggründe schon seit jeher maßgeblich für eine Rekrutierung (Ladbury 2009, S. 4-6; Mercy Corps 2016).

 

Nach Giustozzi (Gespräch in Oslo, November 2015) sind religiöse und familiäre Verpflichtungen ein zentraler Beweggrund für diejenigen, die sich der Organisation als Vollzeitkämpfer anschließen. Giustozzi behauptete, die Rekruten seien zunehmend ideologisch/religiös motiviert und dass, wie erwähnt, ein weitreichender Propagandaapparat in und um die Madrassen aufgebaut wurde. Er wies ferner darauf hin, dass Familiennetzwerke eine wesentliche Rolle spielen. In afghanischen Kreisen in Pakistan wird eindeutig erwartet, dass jede Familie Männer zur Bekämpfung des Regimes in Kabul stellt. Die politische Stimmung sei mit ein Grund, warum viele Familien ein strategisches Interesse daran haben, dass sich einige ihrer jungen Männer den Taliban anschließen. Borhan Osman (zitiert in EASO 2016, S. 21) bestätigte im August 2016, dass Ideologie "eine wichtige Triebkraft für junge Männer" darstellt.

 

Es herrscht weitgehend Unzufriedenheit über das Agieren der internationalen und afghanischen Sicherheitskräfte. Die Art und Weise, wie die Kräfte operieren, verstößt mancherorts gegen zentrale traditionelle Normen; beispielsweise führten die ISAF-Kräfte eine Reihe von Hausdurchsuchungen in privaten Häusern mit Leibesvisitationen von Frauen und Männern durch, etwas, das der afghanischen Kultur absolut fremd ist und ihre Grundprinzipien verletzt (siehe z.B. Landinfo 2012, S. 2). Dies wird in der Propaganda der Taliban auch instrumentalisiert. Die Taliban hingegen vertreten eine Weltanschauung, die den Normen und der Kultur der afghanischen Gesellschaft entspricht.

 

Vor allem in ländlichen Gebieten wenden sich viele Afghanen den Taliban als Beschützer zu, sowohl kurzfristig als auch langfristig. Der von den Taliban gewährte Schutz ist ein wichtiger Anreiz, sich dieser Bewegung anzuschließen. Milizen, lokale Persönlichkeiten und Kommandanten verfügen in Afghanistan über große Handlungsspielräume und die von diesen Gruppen und Personen begangenen Verbrechen und Übergriffe sind im Alltag vieler Afghanen präsent. In einem Gespräch mit Landinfo (Kabul, Mai 2017) gab ein Analytiker an, die regierungsfreundlichen Milizen im Nordosten (einschließlich der lokalen afghanischen Polizei /ALP) gingen mit besonderer Brutalität vor und hätten weit verbreitete Übergriffe auf Zivilisten zu verantworten. Diese Milizen sind in der Bevölkerung sehr gefürchtet und nach Angaben des Analytikers ist die Notwendigkeit und das Bestreben, sich vor diesen Milizen zu schützen, eines der Hauptmotive in den nordöstlichen Provinzen, sich den Taliban anzuschließen. Dies könnte auch ein Grund sein, warum die Taliban in dieser Region stark Fuß fassen konnten.

 

Die Madrassen sind ein wichtiger Stützpunkt für die Rekrutierung von ideologieverhafteten Erwachsenen und Jugendlichen. Auch wenn die Taliban in den vergangenen Jahren in Afghanistan ihre Stellung massiv ausweiten konnten, verwies Giustozzi (zitiert in EASO 2016, S. 25) darauf, dass die Madrassen und Flüchtlingslager in Pakistan nach wie vor ein wichtiges Rekrutierungsfeld darstellen (EASO 2016). Gleichzeitig ist zu betonen, dass - auch wenn Religionsunterricht in Moscheen stark verbreitet ist - die meisten Menschen nicht zu militanten Aufständischen werden.

 

Nach Ansicht einer internationalen Quelle, welche die Entwicklung der Sicherheitslage mit großer Aufmerksamkeit verfolgt (Kabul, Interview April 2017), finden Rekrutierungen im Vergleich zu früher heute verstärkt in Afghanistan statt, da die Taliban nun größere Bewegungsfreiheit als in der Vergangenheit genießen und relativ große Bereiche kontrollieren.

 

Freiwilligkeit und Zwang

 

Das Spannungsfeld von Freiwilligkeit und Zwang lässt sich anhand verschiedener rechtlicher und moralischer Standards und Kriterien beurteilen. Die Vereinten Nationen (VN B, Gespräch in Kabul im Jahr 2016) sehen Zwang immer dann gegeben, wenn die internationalen Altersbeschränkungen für die Streitkräftemobilisierung verletzt werden.

 

UNHCR hat, nach dem Verständnis von Landinfo, ebenfalls eine relativ breite Auffassung von Zwang im Zusammenhang mit der Rekrutierung für Streitkräfte (Taliban) in Afghanistan. In einer Stellungnahme zu dem EASO Bericht 2012 führte das Flüchtlingshochkommissariat wie folgt aus:

 

Die in diesem Bericht enthaltene Definition lässt die Rekrutierungsmechanismen der Taliban außer Acht, die sich auf breitere Zwangsstrategien stützen, etwa Angst, Einschüchterung und Stammesverfahren, mittels derer auf Einzelpersonen Druck ausgeübt wird, sich den Taliban anzuschließen. Die Schlussfolgerung in diesem Bericht, es handle sich bei Zwangsrekrutierungen um die Ausnahme und nicht die Regel, sollte deshalb nicht als für diese anderen Formen der Zwangsrekrutierung geltend aufgefasst werden (UNHCR 2012).

 

Der Begriff Zwangsrekrutierung wird also von den Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zu Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert. Das vorstehende Zitat macht deutlich, wie unterschiedliche Ausgangspunkte zu diametral entgegengesetzten Schlussfolgerungen führen. Landinfo ist sich nicht im Klaren darüber, was der Begriff "breitere Zwangsstrategien" impliziert, insbesondere da Angst (angenommen als subjektiv) und Stammesmechanismen (angenommen als traditionell und als akzeptierte Spielregeln, Lösungsmethoden und Vorgehensweisen) von der Definition erfasst sind, ebenso wie "Einschüchterung". Der Verweis des UNHCR auf "Stammesmechanismen" bezieht sich nicht auf eine bestimmte Altersgruppe, sondern auf alle, die sich den Taliban anschließen. Nach Ansicht von Landinfo könnte es sich schwierig gestalten, den Druck, der den kulturellen Praktiken und Bräuchen einer auf traditionellem Recht fußenden Gesellschaft innewohnt, zu operationalisieren.

 

Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen und Übergriffe können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder der betroffenen Person, gerichtet sein.

 

Die Grenzen von unmittelbarem, konkretem und strukturellem Zwang sind vielleicht fließend; innerhalb dieses Spektrums macht es vermutlich wenig Sinn, von Freiwilligkeit zu sprechen, eben weil die Alternativen für den Betroffenen sehr beschränkt sind. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen.

 

Nach Meinung mancher Quellen, so auch des UNHCR, rekrutieren die Taliban mittels Zwang. In den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender heißt es:

 

Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (UNHCR 2016, S. 51/52 deutsche Version).

 

Die Behauptungen sind geografisch begrenzt auf "Gebiete, in denen regierungsfeindliche Kräfte tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben". Daher ist schwer nachvollziehbar, auf welche Gebiete sich UNHCR bezieht und ob die Behauptung nur für diese Gebiete gilt. Landinfo gestattet sich darauf hinzuweisen, dass sich UNHCR durch die Verwendung der Bezeichnung "Berichten zufolge" anscheinend von der Gültigkeit der inhaltlichen Aussagen in der Dokumentation distanziert.

 

Der Vorwurf von Zwang wird durch Verweise auf die Dokumentation sowohl des UNHCR selbst, auf Nachrichtenmedien, afghanische Behörden und andere internationalen Organisationen wie Human Rights Watch (HRW) und International Crisis Group bekräftigt. In einigen Fällen besteht nach Ansicht von Landinfo kein oder ein nur geringer Bezug zwischen den Einschätzungen des UNHCR und der verfügbaren Dokumentation (Länderinformation). Dies gilt sowohl für die Behauptung "[...] einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang" als auch für die Behauptung "[...] gefährdet, getötet oder bestraft zu werden." (UNHCR 2016).

 

Ausmaß des unmittelbaren Zwangs

 

Quellen von Landinfo haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen (Gespräch mit NGO A in Kabul, Mai 2017).

 

Nach Aussagen der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan (UNAMA) ist die Gruppe der Stammesältesten gezielten Tötungen ausgesetzt (UNAMA & OHCHR 2017, S. 64). Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Der Analytiker Borham Osman (berichtet in EASO 2016, S. 24) hat auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfen verweigert haben, verwiesen. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet (NGO A, Kabul, Mai 2017), meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen.

 

Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Nach Osman (zitiert in EASO 2016, S. 24) kann die erweiterte Familie allerdings auch eine Zahlung leisten anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich frei zu kaufen.

 

Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (Gespräch mit einer internationalen Organisation; Gespräch mit einem Thinktank, Gespräch mit einem örtlichen Journalisten April/Mai 2017).

 

Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die Personen dazu bewegt, sich den Taliban anzuschließen. Allerdings gibt es nur sehr begrenzte Informationen über den Einsatz unmittelbarer Gewalt im Zusammenhang mit der Rekrutierung und Mobilisierung unter der Schutzherrschaft der Taliban. In Gesprächen mit Landinfo im Herbst 2010 meinte Giustozzi, dies sei bedingt durch die Tatsache, dass die Taliban im Zusammenhang mit ihrer Expansion noch nicht genötigt waren, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. In dem Artikel Afghanistan: Human Rights and Security Situation aus 2011 trifft er folgende Feststellung:

 

Zwangsrekrutierungen waren bislang noch kein herausragendes Merkmal dieses Konflikts. Die Aufständischen bedienen sich Zwangsrekrutierungen nur sehr vereinzelt, vor allem, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache der Aufständischen nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Giustozzi 2011, S. 6).

 

Die Angaben Giustozzis über im November 2015 erfolgten Zwangsrekrutierungen (Gespräch Oslo) stehen nicht im Widerspruch zu seiner 2011 getätigten Einschätzung. Das relativ eindeutige Bild über Rekrutierungen durch die Taliban deutet darauf hin, dass die Organisation Zwangsrekrutierungen nicht systematisch betreibt und dass Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht werden. Zahlreiche Gesprächspartner von Landinfo in Kabul (April 2016) waren der Ansicht, dass die Taliban keine Zwangsrekrutierungen durchführen. Eine NGO (April 2016) verwies darauf, dass es sehr einfach sei zu desertieren (Gespräch in Kabul, April 2016). Erklärungen eines nationalen Thinktanks zufolge (April 2016) stünde eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit (siehe zB Landinfo 2011) entgegen. Eine internationale Organisation (April 2016) verwies auf ein Argument, das seitens Landinfo im Zusammenhang mit einer quellenkritischen Bewertung von Informationen über die Zwangsrekrutierung aufgeworfen worden war: bei den Quellen handle es sich oft um Personen oder Gruppen, die Anschuldigungen betreffend Zwangsrekrutierungen im Eigeninteresse erheben, etwa Personen, die von den Sicherheitskräften festgenommen wurden oder die als Binnenvertriebene (IDPs) anerkannt werden möchten.

 

Die Beantwortung einer Anfrage zur Rekrutierung durch Landinfo im Februar 2012 kommt zu dem Schluss, dass es nur in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban gekommen ist. Die Antwort bezieht sich auf Gespräche, die Landinfo im Oktober 2011 in Kabul geführt hat (Landinfo 2012). Es gibt keine Angaben, die darauf hindeuten, dass sich das Ausmaß von Zwangsrekrutierungen in den vergangenen Jahren erhöht hat. Das geänderte Konfliktschema und die Tatsache, dass die Taliban ihre Truppen professionalisiert haben, bedeuten auch, dass unmittelbare Zwangsrekrutierungen vermutlich sehr gering verbreitet sind. Dies wurde in Gesprächen von Landinfo im April/Mai 2017 in Kabul bestätigt; unmittelbare Zwangsrekrutierungen erfolgen in sehr beschränktem Ausmaß und lediglich in Ausnahmefällen. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Eine Quelle äußerte den Gedanken, dass es "schwierig sei, einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden/etwas zu kämpfen".

 

Strukturelle Gegebenheiten

 

Es sind in erster Linie die strukturellen Gegebenheiten, die als eine Form von Zwang in der Rekrutierung durch die Taliban betrachtet werden können. Strukturelle Gegebenheiten können allgemeine kulturelle, religiöse oder soziale Faktoren sein, gepaart mit eingeschränktem Vertrauen in den Staatsbildungsprozess. Traditionsbedingte Verpflichtungen im Zusammenhang mit Stammesgruppen und örtlichen Machtgruppen bedeuten, dass Menschen als Ergebnis von Entscheidungen (Bildung von Allianzen), auf die sie selbst wenig Einfluss haben, Teil der Taliban werden. Lokale Drahtzieher spielen in dem Prozess, wie sich die Taliban in einem Gebiet etablieren und die Kontrolle erlangen, eine zentrale Funktion. Wenn ein zentraler Kommandant bzw. Stammesältester ein Bündnis mit den Taliban eingeht, so geschieht dies vielfach zur Sicherung der Interessen der Gemeinschaft (Hammer & Jensen 2016). Gleichzeitig könnte sich dies, sowohl durch ein geändertes Feindbild als auch hinsichtlich der Mobilisierungserwartungen auf die Zivilbevölkerung in dieser Gegend auswirken.

 

Die Bedachtnahme auf das Kollektiv und das kollektive Denken ist in allen ethnischen Gruppen Afghanistans zentral verankert. Das Kollektiv steht über den Wünschen und Bedürfnissen des Einzelnen, die Rechte des Einzelnen sind sekundär (EASO 2016, S. 22). Für Einwendungen oder die kritische Hinterfragung von Entscheidungen, die vom Kollektiv getroffen wurden, sei es von der erweiterten Familie oder der lokalen Gemeinschaft, besteht wenig Spielraum. Traditionelle Führungsgremien wie die Stammesältesten oder Stammesräte gestatten es den Gemeinschaften, die Taliban aufzunehmen, vielfach als Reaktion auf Misswirtschaft oder Diskriminierung durch die nationalen Behörden. Derartige kollektive Entscheidungen können auch das Ergebnis lokaler Konflikte sein; es wird als nützlich erachtet, sich mit den Taliban zu verbünden, um eigene Interessen zu wahren oder zu stärken. In Afghanistan besteht eine langjährige und verbreitete Tradition kollektiver Entscheidungen, was den Wechsel von Loyalitäten und das Schmieden von Allianzen anbelangt, aus offenkundig sehr unterschiedlichen Beweggründen. Einigen Gruppen wie beispielsweise ortsansässigen Banden, welche die Kontrolle über Schmuggelrouten aufrecht erhalten wollen, geht es darum, ihre Möglichkeiten zur Ausübung krimineller Tätigkeiten zu sichern.

 

Entscheidungen werden von Zufällen und von strukturellen Gegebenheiten beeinflusst. Wenn die Optionen in einem wichtigen Gebiet beschränkt sind, kann es Zwang in irgendeiner Form geben. Wie zuvor ausgeführt, ist der Beschäftigungsmarkt für junge Menschen in Afghanistan sehr eng. Für viele ist der Eintritt in die nationalen Sicherheitskräfte oder ein Anschluss an die Bewegung der Aufständischen eine von wenigen realen Optionen. Die Umstände und strukturellen Gegebenheiten, die diese Entscheidung maßgeblich beeinflussen, variieren von Ideologie, Religion und Tradition bis zu sozialer Notlage. Viele, die sich für die Taliban entscheiden, sind einer gewissen Form von strukturellem Zwang ausgesetzt, die religiösen und familiär bedingten Anreize, den Aufstand zu unterstützen, sind stark und Armut ist weit verbreitet.

 

Die Wahlmöglichkeiten werden durch sozio-ökonomische bzw. familiäre Beziehungen, durch Erwartungen des Clans oder Stammes und örtliche politische Entscheidungen eingeschränkt. Der strukturelle Zwang wird durch ein kulturelles Merkmal verstärkt, nämlich dass das Kollektiv wichtiger als der Einzelne ist, und dass der Einzelne in nahezu jeder Hinsicht eine Gruppe vertritt. Dies löst Erwartungen ebenso wie Verpflichtungen aus. Die herrschende Kombination von kulturell bedingten Verpflichtungen, religiöser Uniformität, bestehenden Machtverhältnissen und sozio-ökonomischen Gegebenheiten bedeutet, dass breite Bevölkerungsschichten vielfach nur sehr eigeschränkte Wahlmöglichkeiten haben. Die grundlegenden Lebensbedingungen stellen einen strukturellen Zwang dar, die verfügbaren Alternativen schränken entweder die Freiheit ein, bedeuten massives Stigma, verletzen die Grundrechte oder bergen das Risiko eines Übergriffs oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.

 

Auch wenn der Einzelne speziellen Androhungen von Sanktionen bzw. Angriffen im Zusammenhang mit der Entscheidung, sich den Taliban anzuschließen, nicht ausgesetzt ist, stellen die begrenzten Möglichkeiten durchaus einen herausfordernden Zwang dar.

 

Bibliographie und Quellen S. 24 ff. des Berichts

 

2.3.3. EASO: Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen von September 2016:

 

Anreize für die Rekrutierung:

 

Wirtschaft und Arbeitslosigkeit

 

Nach dem Abzug von ausländischen Truppen und Hilfsorganisationen (2013-2015) nahm die Arbeitslosigkeit in Afghanistan zu. Junge Menschen mit einem Universitätsabschluss finden nur schwer einen Arbeitsplatz. Mehrere Quellen nennen Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Erwägungen als wichtige Anreize dafür, sich den Taliban anzuschließen.

 

Afghanische Offizielle in Kunduz erklärten Pajhwok, wie Arbeitslosigkeit, Armut und mangelnde Aufmerksamkeit der Regierung der Jugend kaum andere Möglichkeiten lassen, als sich den Reihen der Aufständischen anzuschließen. Ein Offizieller gab an, Hunderte gebildeter junger Leute in Kunduz hätten sich den Taliban angeschlossen, weil sie keine Arbeit finden konnten. Er erwähnte in diesem Zusammenhang den Distrikt Dasht-e Archi, in dem drei Taliban-Kommandeure aktiv waren. Dies wurde von Personen vor Ort bestätigt. Nach Angaben eines afghanischen Offiziellen in Helmand versprechen die Taliban jungen Menschen, um sie zum Kämpfen zu überreden, sie dürften beschlagnahmte Waffen verkaufen. In einem Artikel in der Tageszeitung Gardab Daily (Kandahar) war folgende Information des NDS zu finden:

 

"Nach Erkenntnissen von ‚Gardab Daily' haben Aufständische in der Provinz Kandahar damit begonnen, junge Menschen auf verschiedene Weise dazu zu bringen, sich ihnen anzuschließen; so haben sie beispielsweise verschiedene Anreize wie Autos, Geld und Stellungen den jungen Menschen angeboten, die sich ihnen in ihrem Kampf gegen die ANSF [Afghanische Nationale Sicherheitskräfte] anschließen."

 

Clark warnt, die NDS sei Konfliktpartei und derartige Aussagen müssten von unabhängiger Seite überprüft werden.

 

Ein Filmausschnitt von CNN zeigte einen Taliban-Kämpfer, der zwei Männer rekrutiert. Für beide Rekruten waren Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, Anlass, sich den Taliban anzuschließen. Einer von ihnen gab sogar zu, die Ideologie der Taliban nicht zu unterstützen.

 

Ein Forscher am Zentrum für Konflikt- und Friedensforschung (CCPS) sagt, die meisten jungen Leute ließen sich rekrutieren, weil die Taliban gut zahlten. Einige Kommandeure und Kämpfer erklärten ihm, sie wollten sich eigentlich den ANSF anschließen, könnten dies aber aus Angst vor Repressalien durch die Taliban nicht tun. Nach Aussage von Aziz Hakimi spielen die lokale Geschichte, die lokale Dynamik und schwelende Konflikte häufig eine Rolle bei der Rekrutierung von Gemeinschaften oder Gruppen in die Reihen der bewaffneten Akteure. Hakimi erwähnte das Beispiel des Landkonflikts in Achin (Nangarhar) zwischen zwei Zweigen des Stammes der Shinwari. Einer dieser Zweige hatte beim US-Militär um Hilfe ersucht und Geld und Waffen für die Bekämpfung der Taliban erhalten. Bekämpft wurden dann allerdings die Gegner in diesem Streit um Land, was den anderen Zweig unweigerlich in die Arme der Taliban trieb, bei denen er Ressourcen finden konnte, um die Machtverhältnisse in dem Streit auszugleichen. In diesem Fall kam dem Land eine sehr wichtige wirtschaftliche Funktion zu, denn es spielte eine Hauptrolle für den Handel mit Drogen.

 

Hakimi beschreibt noch ein weiteres Beispiel für die wirtschaftlichen Vorteile einer Unterstützung der Taliban. In Nangarhar verhängten der Islamische Staat und die Regierung ein Verbot des Opiumanbaus, doch erlauben die Taliban den Gemeinschaften das Ernten des Mohns. Bei den Taliban erhielten diese Gemeinschaften Schutz für ihre Produkte und ihre wirtschaftliche Tätigkeit. Es kommt vor, dass in einer Familie ein Sohn auf den Feldern arbeitet, während der andere mit den Taliban kämpft. In Helmand spielen Drogenhandel und Mohnanbau eine große wirtschaftliche Rolle.

 

Durch andere bewaffnete Akteure hervorgerufene Unsicherheit

 

Mitunter tut sich die lokale Bevölkerung in dem Versuch mit den Taliban zusammen, Schutz vor anderen bewaffneten Akteuren zu finden. Ein Beispiel hierfür war die Lage im Distrikt Khanabad (Kunduz), wo Belästigung, Missbrauch, illegale Steuereintreibung und Zwangsrekrutierung durch lokale (regierungsfreundliche) Milizen die Menschen in die Arme der Taliban trieb.

 

Dies gilt auch für einige lokale Hazara-Milizen, die sich zum Schutz lokaler Interessen, darunter Schutz gegen kriminelle Banden, den Taliban angeschlossen haben (siehe den Abschnitt Hazara in den Reihen der Taliban).

 

Ein weiteres Beispiel ist der Distrikt Khas Uruzgan, wo ein lokaler Kommandeur lokalen Gemeinschaften Probleme bereitete. Viele Familien schickten Kämpfer zu den Taliban, die Truppen gegen diesen Kommandeur in Bewegung setzten.

 

Nach Aussage von Hakimi nutzen die Taliban lokale Streitigkeiten aus, um die Machtdynamik zu infiltrieren. Lokale Gemeinschaften oder bewaffnete Gruppen begrüßen oft die Aufständischen der Taliban und erlauben ihnen, die Kontrolle über ihre Region zu übernehmen, um ein Gegengewicht zum Einfluss räuberischer bewaffneter Gruppen in dem Gebiet zu schaffen. Hakimi erwähnt ferner das Beispiel von Khanabad in Kunduz, wo lokale paschtunische Bauern von ALP-Milizen schikaniert wurden. Zu ihrem Schutz verbündeten sie sich mit den Taliban.

 

Ideologie

 

In dem EASO-Bericht von 2012 wurde erklärt, wie religiöse Überzeugung als wichtige Triebkraft für Rekrutierung durch die Taliban genutzt wurde. Borhan Osman erläuterte, inwieweit Ideologie noch immer ein wichtiger Antrieb für junge Männer sein kann, doch wies er auch darauf hin, dass sich bei den Argumenten, die die Taliban zur Überzeugung verwenden, seit dem Abzug eines Großteils der ausländischen Truppen und Auftragnehmer eine Verschiebung ergeben hat: Früher ging es um den Kampf gegen die Invasoren, gegen die Ausländer und für den Islam; heute stehen eher die Wiedererrichtung eines Islamischen Emirats und die Fortsetzung des Kampfes gegen die Marionettenregierung im Mittelpunkt.

 

Seit den Anfängen der Bewegung werden Rekruten und Kämpfer der Taliban von religiösen Beweggründen angetrieben. Eine wichtige Rolle dabei spielen häufig auch Ärger über fehlende Gerechtigkeit, Widerstand gegen die Regierung und ausländische Truppen.

 

Klagen über die Regierung

 

Die Unterstützung der Taliban durch Gemeinschaften rührt häufig von der Unzufriedenheit mit den Behörden oder von Klagen über wahrgenommenes Versagen der Regierung (wie Korruption) her.

 

Abenteuer, Ehre und Stolz

 

Borhan Osman erklärt, dass für die Jugendlichen in verschiedenen Regionen Afghanistans die Taliban auf der Gewinnerseite stehen und dass es als "cool" gilt, sich ihnen anzuschließen. Aziz Hakimi unterstreicht, dass nach dem Fall der Stadt Kunduz (Ende September 2015) Kinder ohne Bartwuchs (ein Kriterium, anhand dessen die Taliban das waffenfähige Alter beurteilen, siehe Abschnitt Rekrutierung von Kindern) Selfies mit Taliban-Kämpfern machten.

 

Zwangsrekrutierung und Nötigung

 

Laut Antonio Giustozzi werden in den gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan Entscheidungen von Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Anführern von Gemeinschaften getroffen (siehe Abschnitt Lokale Taliban-Fronten). Sie entscheiden über die Mobilisierung von Kämpfern, und Afghanen sprechen nicht von "Zwangsrekrutierung", da sie nicht in Kategorien individueller Rechte denken. Die von den Führern getroffenen Entscheidungen sind legitim und werden von den gesellschaftlichen Einheiten (Familie und Stamm) akzeptiert. "Zwangsrekrutierung" ist daher ein Konzept, das sich nicht aus dem gesellschaftlichen Kontext Afghanistans ergibt.

 

In Monthly IDP-Updates des UNHCR hieß es, Binnenvertriebene hätten Zwangsrekrutierungen durch Aufständische gemeldet, beispielsweise in: Paktya (Ende 2014); Distrikt Tagab von Kapisa (Dezember 2014); Provinzen Logar und Herat (Februar 2015). In diesen Berichten wird jedoch nicht erläutert, was genau unter "Zwangsrekrutierung" zu verstehen ist, und es liegen auch keine Angaben zu den beteiligten Akteuren oder zur Prävalenz vor.

 

Patricia Gossman (HRW) sagt, Zwangsrekrutierung dürfe nicht nur dahingehend verstanden werden, dass Taliban-Kämpfer in eine Familie eindringen, sich deren Kinder schnappen und ihnen mit vorgehaltener Waffe befehlen, für sie zu kämpfen. Die Akteure der Rekrutierung sind nämlich schon da, sind diesen Kindern bekannt und überreden sie zum Mitmachen. Manchmal üben sie auf die Familien Druck aus. Nötigung oder Druck kann von einem Familienmitglied ausgehen, das schon bei den Taliban ist. Mitunter erhalten Familien Geld, damit Söhne zu den Taliban gehen. Es gibt also Zwang oder Nötigung, aber nicht immer Gewalt.

 

Nach Aussage von Borhan Osman steht die Prävalenz von Zwangsrekrutierungsstrategien in direktem Verhältnis zu dem Druck, unter dem eine bewaffnete Gruppe steht. In vielen Gebieten gelten die Taliban als siegreiche Kraft und verfügen über zahlreiche freiwillige Kämpfer, sodass sie bei der Rekrutierung auf Nötigung verzichten können. In anderen Gebieten mag der Druck für die Taliban, neue Kämpfer aufzutun, größer sein, aber auch dann werden Zwang oder Nötigung bei der Rekrutierung nur in Ausnahmefällen eingesetzt.

 

Osman weist auf die neue Lösung hin, die die Taliban für dieses Problem des Mangels gefunden haben: die mobilen Sondereinsatzkräfte (siehe den Abschnitt Mobile Taliban-Einheiten), die zur Bereinigung einer Situation in ein Gebiet geschickt werden können. Dank dieser neuen militärischen Struktur muss auf lokaler Ebene weniger auf Zwangsrekrutierung zurückgegriffen werden.

 

Auf die Frage nach der Verpflichtung, gefallene oder kampfunfähig gewordene Kämpfer durch andere Familienmitglieder zu ersetzen (die im EASO-Bericht von 2012 erwähnte Praxis von "Einberufungen"), antwortete Osman, dies komme ihm sehr seltsam vor. Er glaube eher, die Taliban würden der Familie Achtung zollen und sie sogar nach dem Tod des Familienmitglieds finanziell unterstützen.

 

In den folgenden Abschnitten werden Beispiele für Rekrutierung durch Zwang oder Nötigung beschrieben, die aus verschiedenen Provinzen berichtet wurden. Die Korrektheit dieser Berichte muss allerdings überprüft werden. Eine unabhängige Prüfung ist vor allem dann erforderlich, wenn sie von einem einzelnen Offiziellen der Regierung stammen.

 

Quellen siehe Kap 1.5

 

2.3.4. EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018:

 

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

 

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

 

Stämme und Clans

 

Die soziale Organisation in Stämmen und Clans beruht auf der Annahme eines gemeinsamen Vorfahren und somit einer vermuteten Beziehung zwischen den Mitgliedern des Stammes/Clans. Einige Stämme und Clans der Paschtunen sind groß und umfassen Millionen Menschen.

 

Es wird angenommen, dass die Paschtunen die größte Stammesgesellschaft der Welt bilden; ihre Sozialstruktur besteht aus Stämmen, die ihrerseits in Clans gegliedert sind. Der Begriff Clan wird auch von anderen ethnischen Gruppen verwendet und bilden einen wichtigen Teil der Sozialstruktur in ländlichen Gebieten Afghanistans. So ist die Abstammung zum Beispiel auch für Hazara wichtig und gilt als Grundlage ihrer Sozialstruktur, obwohl die meisten ihre Vorfahren höchstens acht Generationen zurückverfolgen können. Im Gegensatz zu den Paschtunen und Hazara ist die tadschikische Bevölkerung Afghanistans nicht in Stämmen und Clans organisiert, sie hat auch keine Vorstellungen eines gemeinsamen Ahnen.

 

In Afghanistan besteht eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung, und der Stammesführer verfügt in diesem Zusammenhang über große Macht. Die führenden Familien innerhalb der Stämme genießen hohen sozialen und wirtschaftlichen Status. Die Identifikation mit einem Stamm/Clan ist ein wichtiger sozialer Indikator um zu zeigen: ‚Ich bin einer von euch'. Die verschiedenen Stämme/Clans bilden jedoch keine homogene Gruppe, unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und wertebezogene Trennlinien können die Mitglieder spalten. Die verschiedenen Regime, die das Land regiert haben, hatten sowohl Anhänger als auch Gegner innerhalb desselben Stammes und Clans. Das gilt auch noch heute, in den meisten Stämmen findet man Anhänger und Gegner sowohl des Staatsbildungsprojektes als auch der bewaffneten Opposition.

 

Zugang zum Arbeitsmarkt

 

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

 

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

 

Zugang zu Unterkunft

 

Für Fahrer und andere Reisende, Tagelöhner, Straßenverkäufer, Jugendliche, unverheiratete Männer und andere, die über keine permanente Wohnmöglichkeit in der Gegend verfügen, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität. Dabei handelt es sich um einfache, große Zimmer, wo Tee und einfaches, billiges Essen aufgetischt wird. Um wenig Geld kann man hier auch übernachten. Nach Quellen von Landinfo beträgt der Preis zwischen 30 und 100 Afghani (in etwa USD 0,4 bis 1,4) pro Nacht. Diese Lokale werden örtlich als chai khana bezeichnet - generell bekannt als samawar - oder übersetzt Teehaus. In Kabul und den anderen großen Städten gibt es viele solcher chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden, und es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gäste alleine kommen. Der afghanische Forscher Hafizullah Emadi bezeichnet die chai khana als wichtige Treffpunkte und Orte der Sozialisierung.

 

Hilfe aus entfernten Netzwerken

 

In einer Empfehlung des UNHCR an Asylländer im Juni 2005 heißt es, dass Hilfe und Unterstützung durch Netzwerke auf Gebiete beschränkt seien, wo diese Netzwerke physisch präsent sind. Nach Einschätzung von Landinfo verliert der Faktor geografische Nähe durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit für den Zugriff auf Netzwerke. Wie schon erwähnt, ist der Besitz von Mobiltelefonen "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

 

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, doch nicht alle Afghanen verfügen über ein Bankkonto. Dies gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung. In der Durchschnittsbevölkerung ist das Vertrauen in Banken und den Bankenapparat gering. Wer das Bankensystem nicht nutzen kann oder möchte, kann Geld über ein informelles Geldüberweisungssystem (hawala) überweisen. Es gibt ein gut etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Überweisungen, in das die Menschen Vertrauen haben. Ein gewisser Prozentsatz der transferierten Summe wird als Gebühr verrechnet. Geld kann in alle Landesteile überwiesen werden, auch in die und aus den Nachbarstaaten, etwa Iran und Pakistan.

 

2.3.5. EASO-Bericht "Country Guidance Afghanistan", Juni 2018:

 

Aus den Anzeigen kann geschlossen werden, dass willkürliche Gewalt in der Provinz Wardak herrscht. Eine reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung droht einer Person dann, wenn der Antragsteller speziell aufgrund besonderer Faktoren oder seiner persönlichen Umstände betroffen ist (S. 91).

 

Alleinstehende Männer finden in den größeren Städten in der Regel zumutbare und vernünftige Fluchtalternativen vor (S. 30, 106). Für Antragsteller, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder sehr lange Zeit außerhalb Afghanistan gelebt haben, kann sich eine innerstaatliche Fluchtalternative als vernünftigerweise nicht vorhanden erweisen, wenn sie kein unterstützendes Netzwerk vorfinden, das bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen unterstützt. Neben dem Vorhandensein eines Netzwerks sind noch lokales Wissen und Bindungen zum Heimatstaat sowie der soziale und wirtschaftliche Hintergrund einschließlich der erlangten Bildung oder professionellen Ausbildung des Antragstellers zu berücksichtigen (S. 30, 109).

 

2.3.6. Landinfo-Bericht "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungs- kampagne", August 2017:

 

Die Regierungsbeamten sind überzeugt, dass die Taliban über alles unterrichtet sind, was geschieht, selbst in Gegenden, in denen sie nur schwach vertreten sind. In Kabul sollen die verschiedenen Nachrichtendienste der Taliban über 1.500 Spione in allen Stadtteilen haben. Die Taliban haben auch Personen im Visier, von denen angenommen wird, dass sie der Regierung in irgendeiner Weise helfen.

 

2.3.7. Ecoi.net - European Country of Origin Information Network:

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke),

Februar 2013:

 

Lt. verschiedener Quellen können die Taliban gegen wichtige Personen in Kabul vorgehen. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass die Taliban das Aufspüren von Personen von geringerer Bedeutung in Kabul zu einer Priorität machen würden bzw. dazu die Möglichkeiten hätten. Hinsichtlich der Präsenz der Taliban ist die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat ähnlich wie in Kabul.

 

Nach den Regeln der Taliban müssen Kollaborateure mindestens zweimal gewarnt werden, bevor gegen sie Gewalt angewendet wird.

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1. Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

 

Die Feststellungen zur Herkunft, Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers, seinem Familienstand, dessen schulischer Laufbahn und seiner Berufstätigkeit im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im gesamten Verfahren gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers.

 

Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem durch die belangte Behörde eingeholten rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten, welches nachvollziehbar darlegt, dass das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum nicht mit seinem tatsächlichen Mindestalter übereinstimmen kann. Es gab für den erkennenden Richter keinen Grund, an der Richtigkeit des Sachverständigengutachtens zu zweifeln. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr in seiner Beschwerde erstmals vermeint, die belangte Behörde habe das fiktive Alter laut Altersfeststellung angenommen, ohne das medizinische Sachverständigengutachten zu würdigen, ist dem entgegenzuhalten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom 06.07.2015 Gelegenheit gab, sich zum festgestellten Geburtsdatum mittels schriftlicher Stellungnahme zu äußern. Diese Möglichkeit nahm der Beschwerdeführer nicht wahr. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Altersfeststellung sind daher als verspätet anzusehen. Zudem geht aus der Niederschrift vom 08.06.2017 hervor, dass der Beschwerdeführer selbst nicht genau weiß, wie alt er ist (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 3). Bereits aus diesem Grund kann den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsdatum nicht gefolgt werden. Das Geburtsdatum des Beschwerdeführers war daher mit XXXX festzusetzen.

 

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden. Zur Angabe des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX, wonach er an einer Heuschnupfenallergie leide (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 2), ist auszuführen, dass es sich bei einer Heuschnupfenallergie zum einen nicht um eine ernsthafte Beeinträchtigung des Beschwerdeführers handelt, zum anderen wurden diesbezügliche (medizinische) Belege nicht vorgelegt. Mangels Objektivierbarkeit der vorgebrachten Heuschnupfenallergie konnte diese nicht festgestellt werden. Das erkennende Gericht kam daher zum Schluss, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen gesund ist.

 

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

 

Dass der Bruder des Beschwerdeführers bereits verstorben ist, konnte nicht festgestellt werden, da das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er von den Taliban entführt worden sei und habe fliehen können, woraufhin die Taliban das Haus der Familie des Beschwerdeführers überfallen und seinen Bruder ermordet hätten, wie unten unter Punkt 3.2. ausgeführt, in seiner Gesamtheit nicht glaubwürdig ist. Da sich die vom Beschwerdeführer geschilderte Todesursache des Bruders als unglaubwürdig erwies, geht der erkennende Richter davon aus, dass der Bruder noch am Leben ist und - mangels sonstiger Anhaltspunkte zu seinem Aufenthaltsort - bei der Familie lebt. Hinsichtlich der übrigen Familienmitglieder gab der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren konsistent an, dass sich diese im Dorf XXXX in seinem Heimatdistrikt aufhalten. Das erkennende Gericht hatte keinen Grund an dieser Angabe zu zweifeln.

 

Wenn der Beschwerdeführer jedoch vermeint, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, so konnte dem aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden: Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer noch an, Kontakt zum Bruder des Schwagers zu haben (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 6). Bereits hier ist auffällig, dass der Beschwerdeführer eine Prüfung seines Handys auf afghanische Telefonnummern durch den Dolmetscher verweigerte. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Beschwerdeführer rund zwei Jahre nach seiner Einvernahme bei der belangten Behörde in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX aussagte, vor ca. zweieinhalb Jahren zuletzt mit dem Schwager des Bruders, XXXX , Kontakt gehabt zu haben (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 7), während er nur zwei Jahre zuvor angab, in Kontakt mit dem Schwager des Bruders zu stehen. Dass seit rund einem halben Jahr kein Kontakt mehr mit XXXX besteht, erwähnte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit keinem Wort. Warum sich der Beschwerdeführer diesbezüglich widerspricht, ist nicht nachvollziehbar und konnte nicht aufgeklärt werden. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass Auslandsafghanen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan pflegen und nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie verlieren. Hätte der Beschwerdeführer mit XXXX tatsächlich den letzten Kontakt zu seiner Familie verloren, so hätte sich dieser Verlust wohl im Gedächtnis des Beschwerdeführers eingeprägt. Dass der Beschwerdeführer hinsichtlich dieses Kontaktabbruchs keine genauen zeitlichen Angaben machen kann, ist daher nicht nachvollziehbar. Das erkennende Gericht geht unter Berücksichtigung der Weigerung des Beschwerdeführers, sein Handy von der belangten Behörde prüfen zu lassen, sowie aufgrund des dargelegten Widerspruchs hinsichtlich des Kontaktabbruchs zu XXXX davon aus, dass der Beschwerdeführer über soziale Netzwerke, Telefon oder sonstige Medien in Kontakt mit seiner Familie in Afghanistan steht. Dies deckt sich auch mit den Länderberichten, wonach Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied halten und viele Migranten oft instruiert sind, zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

 

Das Antragsdatum ist aktenkundig. Dafür, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist wäre, haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig ist und von der Grundversorgung lebt, ergibt sich zum einen aus den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, zum anderen aus dem im Akt erliegenden Auszug aus der Grundversorgungsdatenbank. Dass der Beschwerdeführer in Österreich einige Kontakte geknüpft hat, gründet auf den vorgelegten Empfehlungsschreiben und den Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren. Die Feststellungen zum vom Beschwerdeführer wahrgenommenen Bildungsangebot in Österreich und seinen Deutschkenntnissen ergeben sich aus den im Verfahren vorgelegten Kursbesuchsbestätigungen und Urkunden. Zudem konnte sich der erkennende Richter persönlich ein Bild in der mündlichen Verhandlung machen. Die Feststellungen zu den ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers sowie zu seinen Freizeitaktivitäten und seinem zukünftigen Berufswunsch ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen und konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren, zum anderen aus den im Akt erliegenden Empfehlungs- und Bestätigungsschreiben.

 

Dass der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten oder Familienangehörigen hat, gab dieser bereits vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Protokoll. Gegenteiliges wurde auch im weiteren Verfahren nicht behauptet.

 

3.2. Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

 

3.2.1. Zwangsrekrutierung / Verfolgung durch die Taliban:

 

Der Beschwerdeführer schilderte seine Fluchtgründe in der Einvernahme vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen übereinstimmend. Dennoch weisen seine Angaben Unplausibilitäten auf, die nicht aufgeklärt werden konnten:

 

Der Beschwerdeführer gab an, dass die Taliban in sein Heimatdorf gekommen seien und jede Familie im Dorf gezwungen hätten, den Taliban eine Person zur Verfügung zu stellen (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 11). Im Dorf des Beschwerdeführers habe es ungefähr 30 bis 40 Häuser bzw. Familien gegeben (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 10; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 11). Wenn nun jede Familie einen Freiwilligen zur Verfügung stellen musste, hätten die Taliban ca. 30 bis 40 Hazara in ihr Lager mitnehmen müssen. Es erscheint daher nicht nachvollziehbar, wenn der Beschwerdeführer im gesamten Lager nur einen weiteren Hazara gesehen haben will (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 10; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 12). Der Beschwerdeführer vermochte dies auch nicht aufzuklären. Insbesondere konnte er nicht angeben, woher er dann wisse, dass jede Familie gezwungen worden sei, einen Angehörigen den Taliban zu übergeben. Auffällig erscheint auch, dass sich der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Anzahl an Hazara, welche er im Lager gesehen haben will, zunächst widersprochen hat. So gab er an, dass er im Lager zwei weitere Hazara gesehen habe, die nicht aus seinem Dorf gewesen seien (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 11). Erst auf konkrete Nachfrage bemerkte der Beschwerdeführer diesen Widerspruch und stellte klar, dass "wir insgesamt zwei Hazara dort waren, nicht außer mir noch zwei andere" (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 12).

 

Weiter schilderte der Beschwerdeführer, dass sein Dorf unter der Kontrolle der Regierung stünde und auch Polizisten anwesend seien (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 5). Dem erkennenden Richter erscheint es daher unglaubwürdig, wenn der Beschwerdeführer meint, die Taliban seien am Vormittag gegen 11 Uhr ins Dorf gekommen und hätten die Dorfbewohner um sich gesammelt, ihnen ihre Forderung mitgeteilt und die Drohung ausgesprochen, dass sie das Dorf verlassen müssten, sollten sie dieser Forderung nicht nachkommen (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 8 und 11). Eine derartige Vorgehensweise erscheint äußerst unvorsichtig und vermochte der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar darzulegen, warum die Taliban dieses Risiko eingegangen wären, nur um an die 40 kampfunerfahrene Hazara zu rekrutieren. Vielmehr gab der Beschwerdeführer auf Vorhalt, dass dann ja ganz viele Autos im Dorf unterwegs gewesen sein müssten, an, dass die Leute nicht gleichzeitig rekrutiert worden seien und sich die Taliban sehr vorsichtig verhalten würden (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 11). Dies lässt sich jedoch nicht damit in Einklang bringen, dass der Beschwerdeführer zugleich vermeint, die Taliban hätten auch den anderen Familien im Dorf gesagt, dass sie jemanden den Taliban geben müssten (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9). Dadurch hätten die Taliban die anderen Familien vorgewarnt, was nicht in deren Interesse sein konnte. Zudem gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde auf die Frage, ob die Taliban an diesem Tag auch andere Leute mitgenommen hätten, noch an, dass jede Familie den Taliban eine Person gegeben habe (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9). Völlig unplausibel erscheint es auch, wenn der Beschwerdeführer vermeint, dass er alleine mit dem Auto mitgenommen worden sei, wäre doch Platz für zumindest eine weitere Person gewesen. Wenn die Taliban tatsächlich vorhatten, 30 bis 40 Leute zu rekrutieren, so ist davon auszugehen, dass sie den vorhanden Raum im Auto voll ausgenutzt hätten, riskierten sie doch mit jedem neuen Transport, von der Regierung entdeckt und bis zu ihrem Lager verfolgt zu werden.

 

Die gesamte Schilderung des Lagers und der Umstände seiner Gefangenschaft durch den Beschwerdeführer erwies sich als farblos, undetailliert und holzschnittartig. Der Beschwerdeführer erweckte dadurch beim erkennenden Richter den Eindruck, als vermeide er die Nennung von Details, um sich nicht in Widersprüche zu verstricken. So konnte er etwa keine Angabe dazu machen, wie viele Taliban sich im Lager befunden hätten. Es seien "viele" gewesen. Befragt, welche Farbe das Gebäude gehabt habe und ob es Einrichtungsgegenstände gab, antwortete der Beschwerdeführer lediglich pauschal, das Gebäude sei aus Lehm und Stein gewesen. Der Frage nach etwaigen Einrichtungsgegenständen wich er aus: "Dort gab es einen großen Raum und ein Zelt, in dem wir gekocht und geschlafen haben" (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 10). Er konnte weder Angaben dazu machen, um welche Einheit der Taliban es sich gehandelt habe, noch konnte er den Namen des Kommandanten nennen (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 11). Gefragt, wie die Küche ausgesehen habe, skizzierte der Beschwerdeführer lediglich allgemein gehalten, was man in einer Küche brauche, um zu kochen: "Das ist klar, dass man für das Kochen ein Feuer braucht. Dafür haben wir Holz benutzt. Wir hatten einen Topf und Schüsseln und Teller und große Löffel" (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 12). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vermochte der Beschwerdeführer die Gegebenheiten im Lager nicht lebensnah und detailliert zu schildern: Im Lager habe es ein "großes Haus" gegeben, in dem die Taliban gegessen hätten. Zum Tagesablauf der Taliban gab er an, "einige haben gegessen und sind gegangen und einige sind geblieben." Für ihn sei ein Zelt aufgeschlagen worden, in dem sie gekocht und auch gewohnt hätten (Verhandlungsprotokoll XXXX, S. 12). Aufgrund der farblosen Schilderung des Lagers durch den Beschwerdeführer erweckte dieser beim erkennenden Richter den Eindruck, als schildere er einen Ort, den er nur aus den Erzählungen dritter Personen kenne und nie zuvor selbst gesehen habe. Der Beschwerdeführer vermochte nicht glaubhaft zu machen, das Leben im Lager selbst wahrgenommen und erlebt zu haben. Die Darstellungen hinsichtlich des Lebens im Lager wirkten inhaltlich leer, als handle es sich um eine Rahmengeschichte, der es an jeglichen Details mangelt.

 

Selbst die vermeintlichen Bedrohungen durch die Taliban im Lager vermochte der Beschwerdeführer nicht lebensnah darzulegen: Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer lediglich an, die Taliban hätten zu ihm gesagt, dass er falsch bete und anders beten müsse. Wenn er das nicht mache, würden sie ihn bestrafen. Eine konkrete angedrohte Konsequenz konnte der Beschwerdeführer auch auf nähere Nachfrage durch die Behörde nicht angeben. Auch auf die Frage, wo, wann und wie dies vor sich gegangen sei, vermochte der Beschwerdeführer nur anzugeben, dass er im Hof gewesen sei. Auch am zweiten Tag hätten sie ihn bedroht und gesagt, er dürfte nicht mehr so beten wie die Schiiten (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 12). Wie genau die Drohung vor sich ging, von wie vielen Taliban er bedroht wurde und welche Konsequenz ihm konkret angedroht wurde, vermochte der Beschwerdeführer sohin nicht zu sagen. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Richter blieb der Beschwerdeführer in seinen Schilderungen zunächst allgemein und vage, indem er angab, die Taliban würden sich den Hazara-Angehörigen gegenüber sehr unmenschlich verhalten. Anschließend führte er jedoch erstmals ins Treffen, dass er während des Gebets mit Steinen beworfen worden sei (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 8). Im bisherigen Verfahren erwähnte der Beschwerdeführer eine derartige Situation mit keinem Wort, obwohl er durchaus Gelegenheit dazu gehabt hätte. So wurde er von der belangten Behörde auch aufgefordert, zu schildern, wie genau er beim Gebet bedroht worden sei. Diese Gelegenheit nutze der Beschwerdeführer nicht, um wiederzugeben, dass er mit Steinen beworfen worden sei. Die diesbezügliche erstmalige Angabe vor dem Bundesverwaltungsgericht ist daher als Steigerung im Sinn der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu werten und aus diesem Grund nicht glaubwürdig. Es ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer eine solche Situation nicht bereits früher im Verfahren schildern hätte sollen. Der erkennende Richter hat den Eindruck, als nenne der Beschwerdeführer bewusst erstmals eine konkrete Bedrohungssituation, um sein Fluchtvorbringen in Hinblick darauf, dass ihm seitens der belangten Behörde kein Glauben geschenkt wurde, zu untermauern.

 

Der Eindruck der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers wird durch die Beschreibung seiner Flucht noch verstärkt. Wenn der Beschwerdeführer vermeint, es sei ihm am dritten Tag in der Früh gelungen aus dem Lager zu fliehen, weil ein paar Taliban noch geschlafen hätten (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 12; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 9) so ist dies nicht nachvollziehbar. Im Lager der Taliban hielten sich zwangsrekrutierte Personen wie etwa der Beschwerdeführer auf. Es steht vollkommen außerhalb der Lebenserfahrung, dass die Taliban laut Angaben des Beschwerdeführers nur tagsüber Wachen aufgestellt hätten (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 10), mussten sie doch gerade nachts und in den dämmrigen Morgenstunden mit Fluchtversuchen rechnen. Dass die Taliban derart nachlässig gewesen sein sollen und dadurch den Verrat ihres Verstecks an die Regierung riskiert hätten, ist nicht plausibel. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Taliban den Hazara ein solches Vertrauen entgegengebracht hätten, dass sie nachts auf Wachen verzichteten. Insbesondere, wenn die Mauer tatsächlich nur kopfhoch war, wie vom Beschwerdeführer angegeben (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 11), mussten sie damit rechnen, dass der ein oder andere versuchen würde, über die Mauer zu entkommen. Dass die Taliban derart nachlässig gewesen wären, dass es dem Beschwerdeführer völlig unbemerkt gelungen sein soll, über die Mauer zu entkommen, ist nicht nachvollziehbar. Ebenso entspricht es nicht dem üblichen Verhalten eines Gefangengen, der nach drei Tagen endlich fliehen kann, ausgerechnet nach Hause zurückzukehren, wo es für die Taliban ein leichtes ist, ihn ausfindig zu machen. Gerade bei seiner Familie konnte sich der Beschwerdeführer unmöglich in Sicherheit wiegen, musste er doch jederzeit damit rechnen, dass die Taliban ihn dort aufsuchen würden. Das Verhalten des Beschwerdeführers erscheint daher nicht nachvollziehbar. Wenn der Beschwerdeführer versucht, seine Flucht zur Familie damit zu erklären, dass er an nichts anderes habe denken können und nur nach Hause zu seinem Bruder und seiner Familie gewollt habe (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 13), vermag dies nichts zur Glaubwürdigkeit seiner Erzählung beizutragen. Selbst wenn der Beschwerdeführer von Furcht getrieben zu seiner Familie gelaufen wäre, hätte ihm doch spätestens am nächsten Tag bewusst werden müssen, dass er dort unmöglich in Sicherheit vor den Taliban sein konnte. Dennoch will der Beschwerdeführer noch zwei Tage zu Hause gewesen sein, ehe er am dritten Tag zum Schwager seines Bruders floh (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 8; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 6).

 

Auffällig ist auch, dass der Beschwerdeführer angab, er sei mit den Taliban am Tag seiner Rekrutierung eine halbe Stunde mit dem Auto gefahren und anschließend ca. 20 bis 25 Minuten bis zum Lager gegangen (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 8). Insgesamt dauerte die Anreise zum Lager laut Aussage des Beschwerdeführers sohin 50 bis 55 Minuten, wobei ein guter Teil der Strecke mit dem Auto zurückgelegt wurde. Für seinen Fluchtweg vom Lager nach Hause, den der Beschwerdeführer zu Fuß zurücklegen musste, will er jedoch nur ein bis eineinhalb Stunden gebraucht haben, obwohl der Rückweg länger als der Hinweg gewesen sei, weil er seine Richtung ständig geändert habe (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 13; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 9). Wenn der Beschwerdeführer diese relativ kurze Dauer für den Fluchtweg vor dem Bundesverwaltungsgericht dadurch zu erklären versucht, dass er aufgrund seiner Angst so schnell gelaufen sei, wie er konnte (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 10), ist dem entgegenzuhalten, dass er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angab, gelaufen, manchmal jedoch auch langsam gegangen zu sein (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 13). Dem erkennenden Richter scheint es sohin gänzlich unplausibel, wenn der Beschwerdeführer vermeint, er habe für dieselbe Strecke zu Fuß nur eine halbe Stunde länger gebraucht als für den Hinweg, welcher zum Großteil mit dem Auto zurückgelegt wurde. Dass der Beschwerdeführer angab, der Rückweg sei länger als der Hinweg gewesen, weil er seine Richtung ständig geändert habe, lässt die Zeitangabe des Beschwerdeführers noch unglaubwürdiger erscheinen.

 

Der Beschwerdeführer gab weiter an, dass er sich nach seiner Flucht vor den Taliban zwei Tage im Haus seiner Familie aufgehalten habe. Am dritten Tag habe der Bruder des Beschwerdeführers erfahren, dass der Stützpunkt der Taliban von der Regierung angegriffen worden sei. Aus Angst, er könne verdächtigt werden, die Taliban verraten zu haben, sei der Beschwerdeführer zum Schwager seines Bruders geflohen (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 8; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 6 und 7). Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Schwager des Bruders ( XXXX ) laut Aussage des Beschwerdeführers im selben Ort wie der Beschwerdeführer wohnt (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 5). Wenn der Beschwerdeführer also angibt, er sei zum Schwager des Bruders geflohen, weil sein Haus den Taliban bekannt sei, so ist dies nicht nachvollziehbar. XXXX wohnt im selben Dorf wie der Beschwerdeführer, in dem die Taliban laut Beschwerdeführer eine Person pro Familie mitnehmen wollten. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass den Taliban auch das Haus von XXXX und dessen verwandtschaftliche Beziehung zum Beschwerdeführer bekannt ist. Warum der Beschwerdeführer ausgerechnet zum Schwager des Bruders und nicht etwa in ein anderes Dorf oder eine andere Provinz Afghanistans geflohen sein will, ist vor diesem Hintergrund nicht plausibel. Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass der Beschwerdeführer zum Überfall der Regierung auf die Taliban selbst keine Angaben und Wahrnehmungen machen kann (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 13). Hätten der Beschwerdeführer und sein Bruder tatsächlich gefürchtet, dem Beschwerdeführer werde von den Taliban unterstellt, er habe deren Lager verraten, so wäre auch anzunehmen gewesen, dass die gesamte Familie die Flucht antritt. Nicht nachvollziehbar ist, warum die Mutter des Beschwerdeführers, sein Bruder und dessen Familie im Familienhaus blieben und damit das Risiko eingingen, den Zorn der Taliban auf sich zu ziehen. Weiter entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass der Beschwerdeführer, bestünde gegen ihn tatsächlich ein solcher Verdacht, ganze fünf Tage völlig unbehelligt bei XXXX leben konnte, ehe ihn die Nachricht vom Überfall auf das Familienhaus und der Ermordung des Bruders ereilte (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 7). Würden die Befürchtungen des Beschwerdeführers stimmen, so hätten die Taliban sein Haus doch bereits viel früher - spätestens am Tag nach dem Angriff der Regierung auf das Lager der Taliban - aufgesucht, um sich an ihm zu rächen. Dass die Taliban so viel Zeit ungenützt verstreichen lassen sollten, entspricht nicht der Lebenserfahrung, riskierten sie dadurch doch, dass der Beschwerdeführer die Flucht antrat. Dem erkennenden Richter erscheint es auch nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer keine Angaben dazu machen konnte, wie der Bruder ermordet wurde. Wenn der Beschwerdeführer dies dadurch zu erklären versucht, dass er bei Erhalt der Nachricht nicht in der Lage gewesen sei, XXXX danach zu fragen, weil es ihm so schlecht gegangen sei (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 7), so erklärt dies nicht, warum der Beschwerdeführer sich nicht später im Zuge der aus Europa mit XXXX geführten Telefonate danach erkundigte. Dass der Beschwerdeführer kein Interesse daran hat, wie sein Bruder ums Leben kam, ist nicht glaubwürdig. Offenbar standen sich der Beschwerdeführer und sein Bruder recht nah. Gerade beim Tod einer nahestehenden Person entspricht es doch dem üblichen Geschehnisverlauf, dass man über dessen nähere Umstände Bescheid wissen und nicht in Ungewissheit leben will. Aufgrund der oben dargelegten Unplausibilitäten erscheint dem erkennenden Richter die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers, insbesondere die Umstände zu seiner Flucht, zum Überfall auf das Familienhaus und zur Ermordung des Bruders insgesamt betrachtet nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer erweckte den Eindruck als erzähle er eine auswendig gelernte Geschichte, welche nicht derart gut durchdacht ist, dass sie sich bei detaillierter Betrachtung als glaubwürdig erweisen könnte.

 

Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer selbst angab, seine Flucht nach Österreich hätte drei Monate gedauert (Niederschrift vom 18.04.2015, S. 4; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 9), dann jedoch vermeint, der geschilderte Vorfall habe sich im Sommer des Jahres 1393 (entspricht Juli/August 2014) ereignet (Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 8). Der Beschwerdeführer reiste im April 2015 illegal in die Republik Österreich ein. Folgt man den Angaben des Beschwerdeführers, wonach seine Reise drei Monate gedauert habe, müsste er Afghanistan ungefähr im Jänner 2015 verlassen haben. Die Aussage des Beschwerdeführers, wonach sich der geschilderte Vorfall im Juli/August 2014 ereignet habe, stimmt daher nicht mit seiner Angabe, er habe seine Heimat einen Tag, nachdem er vom Tod seines Bruders erfahren habe, verlassen, (Niederschrift vom 08.06.2017, S. 9; Verhandlungsprotokoll vom XXXX, S. 9) überein und lässt sich nicht miteinander in Einklang bringen. Auch der Beschwerdeführer vermochte diesen Widerspruch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht aufzuklären.

 

Zu guter Letzt ist anzuführen, dass den Länderberichten keine Zwangsrekrutierungen von Hazara in Maidan Wardak entnommen werden können. Dies schließt freilich nicht aus, dass es zu vereinzelten Fällen von Zwangsrekrutierung kommen kann. Dennoch erscheint es dem erkennenden Gericht insbesondere vor dem Hintergrund der dargelegten Unplausibilitäten unwahrscheinlich, dass die Taliban Hazara, denen sie traditionell eher feindlich gegenüberstehen, massenweise rekrutieren würden. Eine solche Vorgehensweise der Taliban findet auch keine Deckung in den Länderberichten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Taliban ein ganzes Dorf kampfunerprobter Hazara rekrutieren sollten, da sie diese auch verköstigen und bewachen müssten. Die Taliban müssten für die Zwangsrekrutierungen Ressourcen aufwenden, die sie auch anderweitig einsetzen könnten. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Vorteile die Nachteile einer solchen massenweisen Rekrutierung ausgleichen sollten.

 

Insgesamt erscheint das Fluchtvorbringen in seiner Gesamtheit aufgrund der oben dargelegten Unplausibilitäten nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer konnte ein konkretes Bedrohungsszenario als Folge seiner Flucht vor den Taliban nicht glaubhaft machen und vermochte seine Befürchtung einer Bedrohung durch die Taliban in keiner Weise zu konkretisieren.

 

Zur einer möglichen allgemeinen Zwangsrekrutierungsgefahr für im Herkunftsstaat anwesende Personen ist auf die zitierten Berichte zur Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu verweisen, denen zufolge Zwangsrekrutierungen lediglich als Ausnahmen vorkommen, sowie darauf, dass die Taliban im Allgemeinen keine Schwierigkeiten mit der Rekrutierung von Kämpfern hätten (Landinfobericht Zwangsrekrutierung, Zusammenfassung, S. 3; EASO-Bericht Zwangsrekrutierung, Kapitel 1.5 Zwangsrekrutierung und Nötigung, S. 23), auch weil ausreichend Anreize bestünden, sich ihnen freiwillig anzuschließen (siehe dazu EASO-Bericht Zwangsrekrutierung, Kapitel

1.4 Anreize für die Rekrutierung, S. 21 f., Landinfobericht Zwangsrekrutierung, Kapitel 4. Wie rekrutieren die Taliban? S. 12 ff.). Daraus lässt sich weder ein maßgebliches allgemeines Risiko ableiten, im Rückkehrfall einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt zu sein, noch wird die vage Behauptung des Beschwerdeführers, er sei individuell von Zwangsrekrutierung betroffen gewesen, gestützt.

 

Folglich schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde, die das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers bereits als nicht nachvollziehbar und völlig unglaubwürdig wertete, an.

 

Selbst für den Fall, dass unterstellt würde, dass das Vorbringen, wonach der Beschwerdeführer für die Taliban Zwangsarbeit habe leisten müssen und geflohen sei, der Wahrheit entspricht, ist nicht davon auszugehen, dass eine akute Gefahr der Verfolgung des Beschwerdeführers besteht. So lebte dieser laut eigenen Angaben nach seiner Flucht gänzlich unbehelligt zwei Tage im Haus der Familie und anschließend weitere fünf Tage im Haus des Schwagers des Bruders. Bereits vor seiner Flucht nach Europa haben die Taliban offensichtlich keine allzu großen Anstrengungen unternommen, den Beschwerdeführer zu finden und stand dieser offenbar nicht ganz oben auf ihrer Prioritätsliste.

 

Es ist daher anzunehmen, dass der Beschwerdeführer auch im Fall der Wahrunterstellung insbesondere in Hinblick auf die seit dem vermeintlichen Vorfall vergangene Zeitspanne von mehr als vier Jahren in den Großstädten Mazar-e Sharif bzw. Herat (Stadt) vor Verfolgung geschützt ist: Nach EASO-Country Guide: Afghanistan, S. 41, besteht im Fall von Individualpersonen, die prioritäre Ziele für regierungsfeindliche Gruppen sind (z.B. Offiziere der Sicherheitskräfte, Mitglieder der afghanischen lokalen Polizei oder von Wehr-Milizen) eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen. Im Fall anderer Individualpersonen unter diesem Risikoprofil müsse individuell geprüft werden, wobei Ort und Sichtbarkeit der Arbeit des Antragstellers, die Herkunftsregion einschließlich Präsenz von aufständischen Truppen (im Besonderen in Beziehung zu deren Checkpoints), die seit dem Verlassen der Sicherheitskräfte vergangene Zeit, persönliche Eigenschaften usw. zu berücksichtigen seien.

 

Beim Beschwerdeführer handelt es sich nicht um eine exponierte ("high profile") Person, ein "high profile" ist aufgrund seiner Flucht aus einem Lager der Taliban nicht anzunehmen. Es haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer überregional bekannt wäre. Selbst wenn der Beschwerdeführer aufgrund seiner Flucht vor den Taliban bzw. als Mann im wehrfähigen Alter oder Angehöriger einer religiösen und ethnischen Minderheit Risikoprofilen entsprechen würde, haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er in den geographisch weit von seiner Heimatprovinz entfernten Städten Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) wegen früherer Geschehnisse überhaupt bekannt und aufgrund dessen belangt würde. Dabei bietet ihm die Anonymität in diesen Städten Schutz, zudem stehen sie unter der Kontrolle der Regierung, sodass staatlicher Schutz geboten werden kann. Wie aus dem Bericht "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 20.08.2017 hervorgeht, können die Taliban gegen wichtige Personen in den Städten vorgehen. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom XXXX darauf hinweist, dass sich aus diesem Bericht ergebe, eine weniger wichtige Zielperson, die in einem leicht zugänglichen Gebiet mit guten Fluchtmöglichkeiten wohnt, könne von den Taliban eher liquidiert werden, als eine bedeutendere, die besser geschützt ist, so ergibt sich daraus lediglich, dass unbedeutendere Personen für die Taliban ein leichteres Ziel sind, während bei gut bewachten Personen das Risiko besteht, dass das Mordkommando der Taliban die Operation nicht überlebt. Diesem Zitat ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Taliban an der Verfolgung einer unbedeutenden Person ein besonderes Interesse hätten. Vielmehr ist es unwahrscheinlich, dass die Taliban das Aufspüren von Personen von geringerer Bedeutung in Herat (Stadt) oder Mazar-e-Sharif zu einer Priorität machen würden bzw. dazu die Möglichkeiten hätten. Da die Städte Mazar-e-Sharif und Herat (Stadt) über den dortigen Flughafen sicher erreichbar sind und die nach wie vor in Afghanistan befindliche Familie und ihr Netzwerk die Möglichkeit haben, den Beschwerdeführer durch Ansiedlung in einer dieser Städte oder auch über die Ferne zu unterstützen, ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer die aus seinem Risikoprofil erfließenden Gefahren wie Checkpoints am Land weitgehend vermeiden kann.

 

3.2.2. Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara:

 

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm würden aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit Übergriffe drohen, ist zunächst auszuführen, dass die schiitische Religionszugehörigkeit dem Länderinformationsblatt zufolge wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählt (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.1. Hazara) und bedingt durch diese untrennbare Verbundenheit oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden kann (siehe auch EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 61). Daher scheint in diesem Fall eine gemeinsame Betrachtung der Merkmale der Religions- und der Volksgruppenzugehörigkeit geboten.

 

Weder aus dem Länderinformationsblatt (Kapitel 15.

Religionsfreiheit, insbesondere Unterkapitel 15.1. Schiiten sowie Kapitel 16. Ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.2. Hazara) noch aus der EASO Country Guidance ergibt sich, dass es systematisch zu so intensiven Übergriffen gegen schiitische Hazara kommt, dass gleichsam jeder Angehörige dieser Volksgruppe aufgrund seiner Anwesenheit im afghanischen Staatsgebiet mit Übergriffen rechnen muss.

 

Derart intensive Übergriffe lassen sich auch den vom Beschwerdeführer mit Stellungahme vom XXXX eingebrachten Länderberichten nicht entnehmen. Zwar berichten das Länderinformationsblatt, die UNHCR-Richtlinien und die weiteren vom Beschwerdeführer angeführten Länderberichte von Angriffen gegen schiitische Glaubensstätten, sozialen Ausgrenzungen und Diskriminierung ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag, die nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert werden, und auch davon, dass ethnische Spannungen weiterhin zu Konflikten und Tötungen führen. Gleichzeitig ist aber auch von einer grundsätzlichen Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Ende der Taliban-Herrschaft sowie von deren Etablierung in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft die Rede. Auch berichtet wird von sozialer Diskriminierung, illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, physischer Misshandlung und Festnahme. EASO zufolge haben jedoch nicht alle Hazara nur aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Grund zur Angst vor Übergriffen.

 

Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich der Lage von schiitischen Hazara in Afghanistan auf Auszüge des Gutachtens von Friederike Stahlmann vom März 2018, welches im Auftrag des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden erstellt wurde, verweist, ist auszuführen, dass das Gutachten keine konkrete und individuell den Beschwerdeführer treffende Bedrohung bzw. Verfolgung aufzeigt. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass Angehörigen der Hazara landesweit sowohl von staatlicher als auch extremistischer islamischer Seite eine erhöhte Verfolgungsgefahr drohen würde. Hazara würden weiterhin als politische Gegner der Taliban gelten und ihre Situation habe sich nicht gebessert. Hierzu ist zu beachten, dass im gegenständlichen Gutachten eine subjektive Quellenauswahl und Quelleninterpretation vorgenommen wurde und von regionalen Einzelfällen Rückschlüsse auf die Situation in Afghanistan landesweit gezogen werden. Die Gutachterin trifft insbesondere zur Sicherheitslage von Hazara in Afghanistan teilweise nur sehr allgemein gehaltene Aussagen, die einer rechtlichen Beurteilung gleichkommen, und lässt dabei vor allem regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Provinzen vollkommen außer Acht. Außerdem sind die Schlussfolgerungen der Gutachterin, wonach Hazara landesweit Verfolgung drohe, aufgrund der zugrundeliegenden Quellen zu allgemein gehalten, um daraus eine verallgemeinerungsfähige, über den Einzelfall hinausgehende Feststellung zu treffen. Schließlich weist dieses Gutachten für das erkennende Gericht auch nicht denselben Beweiswert auf, wie die herangezogenen länderkundlichen Informationen, die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, sodass das Gericht seine Feststellungen auf die jeweils zitierten Quellen stützt.

 

Auch die übrigen vom Beschwerdeführer zur Lage von schiitischen Hazara in Afghanistan eingebrachten Berichte waren nicht geeignet, eine automatische Betroffenheit aller Hazara von Übergriffen darzulegen. Eine konkrete Betroffenheit des Beschwerdeführers von derartigen Übergriffen wurde nicht substantiiert dargetan. Vielmehr gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde selbst an, wegen seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit nicht verfolgt worden zu sein (Niederschrift vom 05.10.2017, S. 6). Dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara Übergriffe drohen, konnte daher nicht festgestellt werden.

 

3.2.3. Sonstiges:

 

Ein weiteres Vorbringen zu ihm im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohenden Übergriffen hat der Beschwerdeführer nicht erstattet, während sich für eine Verfolgung aus anderen als den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründen im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben haben.

 

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat lässt sich im Wesentlichen dem Länderinformationsblatt entnehmen, insbesondere Kapitel 3. Sicherheitslage und findet auch Bestätigung in den UNHCR-Richtlinien (siehe insbesondere Kapitel II. Überblick, Unterkapitel A. Die wichtigsten Entwicklungen in Afghanistan, S. 13 f. und Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel B. Flüchtlingsstatus nach den weitergehenden Kriterien gemäß dem UNHCR-Mandat oder nach regionalen Instrumenten und Schutz nach ergänzenden Schutzformen, Unterkapitel 2. Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie der EU [Richtlinie 2011/95/EU ], S. 117 f.) Insbesondere die UNHCR-Richtlinie betont die uneinheitliche Betroffenheit der unterschiedlichen Gebiete vom innerstaatlichen Konflikt. Dies lässt sich auch aus den Erläuterungen des Länderinformationsblattes und der Country-Guidance zu den einzelnen Provinzen gut nachvollziehen.

 

Die Feststellungen zur Sicherheitslage und Konfliktbetroffenheit der Provinz Maidan Wardak ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.33 sowie aus der EASO Country Guidance (S. 91).

 

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe durch Aufständische zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden, speist sich aus den oben zitierten Berichten zur Herkunftsprovinz.

 

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul beruhen im Wesentlichen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.1. Kabul. Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Kabul die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden, basiert auf den bereits zitierten Informationen zur Sicherheitslage in Kabul aus dem Länderinformationsblatt sowie auf der Einschätzung in der UNHCR-Richtlinien, der zufolge Zivilisten in Kabul auf ihren täglichen Wegen einem erheblichen Risiko, Opfer einer der in der Stadt allgegenwärtigen Gefahren, wie sie auch festgestellt sind, (S. 126-127), ausgesetzt sind. Dieses Risiko bestünde im Fall einer Niederlassung in Kabul auch für den Beschwerdeführer.

 

Die Feststellungen zu Sicherheits- und Wirtschaftslage in Herat und Balkh ergeben sich aus den jeweiligen Kapiteln zu den genannten Provinzen im Länderinformationsblatt (Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.5. Balkh und Unterkapitel 3.13. Herat). Die Feststellung, dass die Städte Mazar-e Sharif und Herat unter Regierungskontrolle stehen, basieren darauf, dass von einer Eroberung durch Aufständische und dergleichen nicht berichtet wird.

 

Die Feststellungen zum Flughafen in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) fußen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationale Flughäfen in Afghanistan.

 

Bedingt durch die relativ gute Sicherheitslage und die geringe Betroffenheit der Städte Mazar-e Sharif und Herat vom Konflikt im Herkunftsstaat konnte nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer für den Fall einer dortigen Niederlassung die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass die Städte gelegentlich von Angriffen und Anschlägen durch Aufständische betroffen sind, wie sich etwa den die jeweilige Provinz betreffenden Statistiken sicherheitsrelevanter Vorfälle im Länderinformationsblatt (Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.5. Balkh und Unterkapitel 3.13. Herat) entnehmen lässt. Allerdings ist die Vorfallshäufigkeit nicht so groß, dass gleichsam jede in der Stadt anwesende Person mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Vorfall betroffen wäre. Spezifische Gründe für ein erhöhtes auf seine Person bezogenes Risiko hat der Beschwerdeführer nicht dargetan.

 

Die Feststellung zur Dürre unter anderem in der Provinz Balkh und in der Provinz Herat ist den UNHCR-Richtlinien entnommen (Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 3. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in afghanischen Städten, S. 126). Diese belegen zwar, dass der Bedarf an akuter humanitärer Hilfe durch die Dürre zugenommen hat. Dass sich der Herkunftsstaat allerdings in einer Hungersnot oder Hungerkrise befindet, ist dem vorliegenden Berichtsmaterial nicht zu entnehmen. Der Country-Guidance ist zu entnehmen, dass in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich Zugang zu Wohnmöglichkeiten bzw. Unterkunft sowie zu medizinischer Versorgung vorhanden ist (S. 104). Wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich der Versorgungslage in Mazar-e Sharif und Herat auf den EASO-Bericht vom April 2019 verweist, ist festzuhalten, dass dem Bericht eine generelle Hungersnot nicht entnommen werden kann. So ist die Versorgung mit Grundlebensmitteln etwa durch NGOs gewährleistet. Hinsichtlich der Trinkwasserversorgung ist dem Bericht zu entnehmen, dass die Versorgung in den Städten grundsätzlich gewährleistet ist und lediglich in den ländlichen Gegenden Wasserknappheit herrscht. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass Herat von Landflucht betroffen und die Situation in Herat aus diesem Grund angespannt ist. Mazar-e Sharif ist hiervon jedoch nicht betroffen, weshalb der Beschwerdeführer neben Herat auch auf Mazar-e Sharif als innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen wird.

 

Zur Verfügbarkeit medizinischer Versorgung ist auch dem Länderinformationsblatt (Kapitel 22. Medizinische Versorgung) zu entnehmen, dass die primäre Gesundheitsversorgung prinzipiell, wenn auch nicht flächendeckend und von variierender Qualität, kostenfrei verfügbar ist. Zudem besteht die Möglichkeit privater Behandlung. Auch von einer Verbesserung der Flächendeckung und Fortschritten der Versorgung wird berichtet. Die öffentlichen Krankenhäuser der größeren Städte können den vorliegenden Informationen zufolge leichte und saisonbedingte Krankheiten und medizinische Notfälle behandeln. Auch in Mazar-e Sharif gibt es den Informationen zufolge einige staatliche Krankenhäuser (siehe "Liste einiger staatlicher Krankenhäuser" im schon zitierten Kapitel 22. Medizinische Versorgung des Länderinformationsblattes).

 

Zu Armut und Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass sich aus dem Länderinformationsblatt zunächst ergibt, dass Armut und Arbeitslosigkeit in ganz Afghanistan hoch sind, jedoch auch, dass beim Wiederaufbau Fortschritte erzielt werden können (Kapitel 21. Grundversorgung und Wirtschaft). Außerdem wird zu Mazar-e Sharif berichtet, die Region entwickle sich wirtschaftlich gut, es würden neue Arbeitsplätze entstehen, sich Firmen ansiedeln und der Dienstleistungsbereich wachse (Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Sicherheitslage, Unterkapitel 3.5. Balkh). Auch dem vom Beschwerdeführer eingebrachten EASO-Bericht aus April 2019 ist zu entnehmen, dass in Herat Arbeitsmöglichkeiten etwa als Tagelöhner bestehen. Hinsichtlich Mazar-e Sharif geht aus dem Bericht hervor, dass dort eine große Anzahl an kleinen und mittelgroßen Unternehmen existiert und die Lage als relativ stabil anzusehen ist.

 

Die Feststellung zur Lebensgrundlage des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) speist sich insbesondere aus den Informationen dazu in Country-Guidance, siehe insbesondere Kapitel V. Internal protection alternative, Unterkapitel General situation, S. 103 ff. sowie den UNHCR-Richtlinien, denen zufolge maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Mazar-e Sharif bzw. Herat (Stadt) eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund sind (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122).

 

Demnach haben Personen, die die Eigenschaften des Beschwerdeführers in sich vereinen zwar im Fall einer Niederlassung mit Startschwierigkeiten zu rechnen, jedoch könne dennoch von deren grundsätzlicher Fähigkeit, sich selber zu versorgen, ausgegangen werden. Zweifellos handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten, der in seinem Herkunftsstaat Afghanistan schon Berufserfahrung als Landwirt sammeln konnte. Er hat den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, wurde dort sozialisiert und spricht mit Dari eine Landessprache muttersprachlich, sodass er über das notwendige Wissen über die afghanische Kultur und Tradition verfügt und nach einer anfänglichen Orientierungsphase zweifellos allenfalls durch Gelegenheitsjobs und die Teilnahme am informellen Arbeitsmarkt sein Auskommen erwirtschaften wird können. Auch der starke Bezug des Beschwerdeführers zum Herkunftsstaat ist nach wie vor aufrecht und er verfügt, wenn auch in Maidan Wardak, über ein soziales Netzwerk in Form seiner Mutter, seines Bruders und dessen Familie, das ihn allenfalls zu Beginn über die Provinzgrenzen hinweg beratend und finanziell unterstützen könnte, bis der Beschwerdeführer sich eine selbstständige Existenzgrundlage aufbauen kann. Allenfalls könnte der Beschwerdeführer auch die angebotenen Reintegrationsmaßnahmen in Anspruch nehmen, wobei ihm auch freisteht, seine Rückkehr und Reintegration bereits von Österreich aus vorzubereiten, um auf diese Weise besser an den angebotenen Maßnahmen partizipieren zu können.

 

Die Feststellung zur Rückkehrhilfe ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23. Rückkehr.

 

Soweit der Beschwerdeführer auf Berichte und Analysen zur Lage in Kabul verweist, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr auf eine zumutbare Neuansiedelung in anderen Großstädten als Kabul (nämlich Herat und Mazar-e Sharif) verwiesen wird.

 

Wenn der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom XXXX hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan auf Auszüge des Gutachtens von Friederike Stahlmann vom März 2018, welches im Auftrag des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden erstellt wurde, verweist, ist auszuführen, dass das Gutachten zum Schluss kommt, der Zugang zu grundlegenden Rechten und Ressourcen wie Arbeitsplätzen oder Wohnungen sei Rückkehrern aus Europa faktisch nicht möglich. Es wird zwar seitens der Gutachterin eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür aufgezeigt, dass es für afghanische Rückkehrer schwer ist, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden, sie liefert jedoch keinen Nachweis dafür, dass sich die beschriebenen Risiken bei einer bestimmten Anzahl von Rückkehrern tatsächlich realisiert haben und deswegen jeder Rückkehrer einer tatsächlichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wäre. Zudem weist dieses Gutachten wie bereits an obiger Stelle ausgeführt für das erkennende Gericht nicht denselben Beweiswert auf, wie die herangezogenen länderkundlichen Informationen, die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, sodass das Gericht seine Feststellungen auf die herangezogenen jeweils zitierten Quellen stützt.

 

Auch die übrigen vom Beschwerdeführer eingebrachten Berichte waren nicht geeignet, die Richtigkeit der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Quellen in Zweifel zu ziehen. Insgesamt ist kein Grund ersichtlich, warum es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif (oder auch in Herat Stadt) nicht möglich sein sollte, ein gemessen an den üblichen Verhältnissen im Herkunftsstaat normales Leben zu führen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif wie festgestellt eine Lebensgrundlage wird aufbauen können.

 

3.3. Lage im Herkunftsstaat

 

Zur Seriosität des beweiswürdigend herangezogenen und oben unter

2.3. teilweise wiedergegebenen Berichtsmaterials ist auszuführen, dass diese länderkundlichen Informationen (Länderinformationsblatt, UNHCR-Richtlinien, Country Guidance), einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen. Die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist insbesondere nach § 5 Abs. 2 BFA-G verpflichtet, die gesammelten Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgenden Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Weiter ist nach der schon zitierten Rechtsprechung des VwGH den UNHCR-Richtlinien besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"; zuletzt VwGH 23.01.2019, Ra 2018/18/0521 mwN). Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Feststellungen daher auf die bereits zitierten Quellen, wobei anzumerken ist, dass diese zu den fallrelevanten Gesichtspunkten ein insgesamt übereinstimmendes Bild zur Situation im Herkunftsstaat zeichnen, mögen sie auch im Detailgrad - wie oben im Einzelfall berücksichtigt - eine unterschiedliche Tiefe aufweisen.

 

Zur Aktualität der herangezogenen Quellen ist auszuführen, dass neuere Berichte und Informationen, denen zufolge es zu einer verfahrensrelevanten Änderung der Lage im Herkunftsstaat gekommen ist, nicht amtsbekannte sind. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat und seine Beweiswürdigung zu den Fluchtgründen daher auf die angeführten Quellen, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail unter 3.1. und 3.2. erfolgt ist.

 

4. Rechtliche Beurteilung:

 

4.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

 

Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist), dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); diese muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).

 

"Glaubhaftmachung" im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. die Erkenntnisse des VwGH 23.01.1997, 95/20/0303, sowie 28.05.2009, 2007/19/1248) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann allerdings nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256; VwGH 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

 

4.1.1. Zum Fluchtvorbringen einer Zwangsrekrutierung, Entführung oder Ermordung durch die Taliban

 

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

 

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, er würde im Rückkehrfall von den Taliban aufgrund seiner Flucht wegen einer ihm unterstellten oppositionellen Gesinnung verfolgt werden, fällt sohin nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter den GFK-Grund der (unterstellten) politischen Einstellung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

 

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er von den Taliban entführt und als Koch rekrutiert und sein Bruder nach seiner Flucht im Zuge eines Überfalls auf das Haus der Familie ermordet wurde. Der Beschwerdeführer vermochte nicht überzeugend darzulegen, dass er im Herkunftssaat von Zwangsrekrutierung durch die Taliban betroffen war bzw. ihm im Fall einer Rückkehr Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch die Taliban drohe. Eine mögliche Verfolgung durch die Taliban wegen einer ihm zumindest unterstellten politischen Gesinnung konnte der Beschwerdeführer damit nicht glaubhaft machen.

 

4.1.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers wegen Zugehörigkeit zur "sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung betroffenen jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer"

 

Eine soziale Gruppe "der von Zwangsrekrutierung betroffenen jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer" geht schon wegen der Disparität einer solchen Gruppe ohne zusätzlichen Merkmals zu weit. Der Ausdruck "soziale Gruppe", der als Auffangtatbestand in die GFK eingefügt wurde, wurde in Lehre und Rechtsprechung durchaus unterschiedlich definiert. Nach der Definition des kanadischen Obersten Gerichtshofes (Supreme Court), auf die auch der Verwaltungsgerichtshof verweist (vgl VwGH 20.10.1999, 99/01/0197), umfasst eine soziale Gruppe iSd. GFK folgende drei Personenkreise:

 

* Personen, die ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal wie Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung aufweisen;

 

* Personen, die freiwillig aus Gründen verbunden sind, die für ihre Menschenwürde derart fundamental sind, dass sie nicht gezwungen werden sollten, diese Verbindung aufzugeben, und schließlich

 

* Personen, die durch einen früheren freiwilligen Zustand verbunden sind, der aufgrund seiner historischen Dauer nicht geändert werden kann (vgl die in Goodwin-Gill, The Refugee in International Law [1996] 359 f, wiedergegebenen Fälle, insbesondere den Fall Canada v. Ward).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Verweis auf Art. 10 Abs 1 lit d der Statusrichtlinie ausgesprochen, dass eine Gruppe insbesondere dann als eine "bestimmte soziale Gruppe" gilt, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350 mit Verweis auf EuGH 07.11.2013, C-199/12 bis C- 201/12 ). Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Eine soziale Gruppe kann nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350; VwGH 29.06.2015, Ra 2015/01/0067; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, mwN).

 

Die Qualifizierung des Beschwerdeführers als Angehöriger einer "sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung betroffenen jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer" scheitert bereits daran, dass diese Eigenschaft kein (im Sinn der obigen Definitionen) besonders geschütztes unveränderbares Merkmal (und jedenfalls auch kein angeborenes Merkmal) darstellt. Spätestens im Alter fällt die Eigenschaft als "junger waffenfähiger bzw. wehrfähiger Mann" weg. Zudem macht das junge wehrfähige Alter des Beschwerdeführers ihn nicht zum Mitglied einer von der Gesellschaft insgesamt hinreichend unterscheidbaren und deutlich identifizierbaren Gruppe. Als gemeinsames Merkmal wäre das Vorliegen des wehrfähigen Alters zu sehen, wobei eine Gruppe "junger waffenfähiger bzw. wehrfähiger Männer" die unterschiedlichsten Altersabstufungen erfassen würde.

 

Im vorliegenden Fall handelt es sich beim "jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen" Alter des Beschwerdeführers weder um ein angeborenes Merkmal, noch um einen unveränderbaren Hintergrund. Die Annahme einer sozialen Gruppe der "von Zwangsrekrutierung betroffenen jungen waffenfähigen bzw. wehrfähigen Männer" scheidet schon aus diesem Grund aus.

 

Abgesehen davon ist aus der Berichtslage nicht ableitbar, dass Männer im wehrfähigen Alter einer systematischen Verfolgung und Zwangsrekrutierung in Afghanistan ausgesetzt wären. Der Beschwerdeführer vermochte auch nicht darzulegen, inwiefern gerade ihm die Verwirklichung eines solchen Risikos mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Hinweise darauf, dass gerade der Beschwerdeführer aufgrund von Eigenschaften, die ihn von anderen in Afghanistan aufhältigen jungen Männern maßgeblich unterscheiden würden, besonders von jenen Risiken betroffen wäre, haben sich im Verfahren nicht ergeben.

 

Das junge wehrfähige Alter des Beschwerdeführers begründet aufgrund dieser Erwägungen sohin keine Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe im Sinn der GFK und ist daher nicht asylrelevant.

 

4.1.2. Zu einer etwaigen Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers

 

Zum einer etwaigen Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des VwGH Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention auch darin begründet sein kann, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeine Gefahr eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", so hat jedes einzelne Mitglied schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 23.02.2017, Ra 2016/20/0089 mwN).

 

Der Beschwerdeführer konnte wie festgestellt seine Zugehörigkeit zur Gruppe der schiitischen Hazara glaubhaft machen.

 

Der Beschwerdeführer vermochte wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt jedoch nicht glaubhaft zu machen, dass schiitische Hazara im Herkunftsstaat allein aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit ohne Hinzutreten konkreter individueller Gefährdungsmomente gleichsam automatisch Übergriffen ausgesetzt sind.

 

Der Verwaltungsgerichtshof nahm in den letzten Jahren eine Gruppenverfolgung der Hazara nirgendwo in Afghanistan an (zuletzt VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

 

Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung nicht ableiten.

 

Eine Betroffenheit seiner Person von Verfolgungshandlungen aus einem der GFK-Fluchtgründe hat der Beschwerdeführer damit nicht glaubhaft machen können. Auf die sich für den Beschwerdeführer aus der allgemeinen Sicherheitslage ergebenden Gefahren wird allerdings sogleich noch unter Punkt 4.2. eingegangen werden.

 

Im Ergebnis war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher abzuweisen.

 

4.2. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (subsidiärer Schutz)

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG führt jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

 

Nach § 8 Abs 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH, 30.01.2018, Ra 2017/20/0406). Der Verwaltungsgerichtshof stellt daher für die Gewährung von subsidiärem Schutz insbesondere auf den Maßstab des Art. 3 EMRK ab (vgl. etwa VwGH, 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, zuletzt VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/006). Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen. Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein sowie ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art 3 EMRK zu fallen (siehe VwGH 30.5.2001, 97/21/0560).

 

Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 23.1.2018, Ra 2017/20/0361, mit Verweis auf VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, und 8.9.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

 

Nach der jüngsten Rechtsprechung ist § 8 Abs 1 AsylG nicht unionskonform auszulegen. Der VwGH hat zuletzt erkannt, dass aus dem klaren Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG 2005, wonach einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter anderem dann zuzuerkennen ist, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Heimatstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK" bedeuten würde, (im Sinn der bisherigen Non-Refoulement-Prüfung) ableitbar ist, dass für die Gewährung des subsidiären Schutzstatus bereits jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art. 3 EMRK an sich, unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat, ausreicht. Eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, würde demnach die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen. Eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat kann daher auch dann die Zuerkennung von subsidiären Schutz nach § 8 Abs 1 AsylG 2005 begründen, wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird (vgl VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

 

4.2.1. Zur Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsregion

 

Für die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Maidan Wardak) ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr dorthin die Gefahr droht, im Zuge des im Herkunftsstaat herrschenden bewaffneten Konfliktes getötet, verletzt oder misshandelt zu werden. Daher droht ihm ein Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie durch einen innerstaatlichen Konflikt iSd lit. c leg cit.

 

4.2.2. Zum Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

 

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

 

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Nach der Rechtsprechung des VwGH sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Zunächst muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Der VwGH hält das Kriterium der Zumutbarkeit als getrennt zu prüfende Voraussetzung auch in seiner jüngsten Rechtsprechung weiterhin aufrecht (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

Fallbezogen ist dazu auszuführen, dass sich für die Stadt Kabul ergibt, dass der Beschwerdeführer im Fall einer dortigen Niederlassung Bedingungen ausgesetzt wäre, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, weil die Stadt, wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, vom innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat relativ stark betroffen ist. Kabul kommt daher nicht als innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Betracht.

 

Zur Frage, ob auch für Mazar-e Sharif Bedingungen vorliegen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, ist auszuführen, dass die genannte Stadt den Feststellungen zufolge vom innerstaatlichen Konflikt in Afghanistan weit weniger intensiv betroffen ist als Kabul und zu den ruhigen Landesteilen zählt. Insbesondere steht die Stadt den Feststellungen zufolge unter der Kontrolle der afghanischen Regierung, auch wenn aufständische Gruppierungen prinzipiell auf Zivilpersonen auch in den größeren Städten zugreifen können. Ein spezifisches Risiko, dass sich ein Angriff Aufständischer auf den Beschwerdeführer beziehen oder besonders auswirken könnte, ist von diesem nicht dargetan worden bzw. wurde beweiswürdigend verneint und sind auch sonst keine diesbezüglichen Anhaltspunkte im Verfahren hervorgekommen. Demnach liegen Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, in Mazar-e Sharif nicht vor.

 

Auch hinsichtlich Herat (Stadt) ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass bedingt durch die relativ geringe Betroffenheit der Stadt vom Konflikt für den Fall einer dortigen Niederlassung des Beschwerdeführers eine Gefahr, dass dieser im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommt oder misshandelt oder verletzt zu wird, nicht droht. Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz für den Beschwerdeführer rechtfertigen würden, liegen demnach dort nicht vor.

 

Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des VwGH die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (vgl. abermals VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass es nie zumutbar sein kann, dass ein Antragsteller eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte in Kauf nehmen muss. Folglich müssen Umstände, die im Fall einer Rückkehr im als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Teil des Staatsgebietes zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK führen würden, im Zuge der Prüfung der Zumutbarkeit Berücksichtigung finden.

 

Nach der auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezugnehmenden ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN). Insbesondere ist die allgemeine Situation in Afghanistan, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 mwN).

 

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, ist damit zu rechnen, dass sich der Beschwerdeführer im Fall seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wird decken können. Exzeptionelle Umstände im Sinne der oben zitierten Judikatur hat der Beschwerdeführer daher nicht dargetan. Damit ist eine durch die Lebensbedingungen im Herkunftsstaat bedingte Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK für den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat zu verneinen.

 

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B2400/07 mwN).

 

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR bereits ausgesprochen, dass die nach der oben zitierten geforderten außergewöhnlichen Umstände, die zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen können, vorliegen, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (zuletzt VwGH 30.06.2017, Ra 2017/18/0086).

 

Den Feststellungen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer gesund ist. Auch ist - wie beweiswürdigend ausgeführt - die primäre Gesundheitsversorgung in Mazar-e Sharif und Herat grundsätzlich gewährleistet. Außergewöhnliche Umstände im Sinne der oben zitierten Judikatur wurden damit nicht dargetan und es kann im gegenständlichen Fall nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr der realen Gefahr im Sinne der oben zitierten Judikatur ausgesetzt wäre, wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung oder mangelnden Zugangs zu einer solchen eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die ein starkes Leiden zu Folge hätte, oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren. Die gesundheitliche Verfassung des Beschwerdeführers führt demnach für den Beschwerdeführer nicht zur Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat. Die Gefahr eines Eingriffes in Art. 3 EMRK aufgrund des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ist damit zu verneinen.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind hinsichtlich des bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative anzuwendenden Maßstabs die allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und die persönlichen Umstände des Asylwerbers zu berücksichtigen. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 27.06.2018, Ra 2018/18/0269).

 

Eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (zuletzt VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

Zweifellos hat der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat und seiner Niederlassung in Mazar-e Sharif bzw. Herat (Stadt) beim Aufbau seiner Lebensgrundlage mit Startschwierigkeiten zu rechnen. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt ist jedoch damit zu rechnen, dass er sich allenfalls mit der Unterstützung seiner im Herkunftsstaat ansässigen Verwandten bzw. unter Rückgriff auf eines der Rückkehrhilfeangebote eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, weswegen sich seine Niederlassung im als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet - gegenständlich Mazar-e Sharif bzw. Herat (Stadt) - als zumutbar im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erweist.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

4.3. Zur Abweisung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Rückkehrentscheidung)

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG ist eine Entscheidung nach dem AsylG mit einer Rückkehrentscheidung nach dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

 

4.3.1. Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG an den Beschwerdeführer

 

Nachdem der Antrag des Beschwerdeführers mit diesem Erkenntnis sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, ist vor Erlassung der Rückkehrentscheidung und der damit verbundenen Zulässigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG zwingend zunächst eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG vorzunehmen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht Kommentar § 10 AsylG K6). Damit korrespondierend sieht auch § 58 Abs. 1 Z. 1 AsylG vor, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen ist, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

 

Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 1, 2 oder 3 AsylG erfüllt, sind im Verfahren weder geltend gemacht worden noch hervorgekommen. Daher ist die Beschwerde gegen die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Nichtzuerkennung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz abzuweisen.

 

4.3.2. Zur Rückkehrentscheidung

 

Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

§ 9 Abs. 1 BFA-VG normiert, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst Ehegemeinschaften und auch nicht formalisierte eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau; bei solchen ist normalerweise das Zusammenleben der beiden Partner in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich, es können aber auch andere Faktoren wie etwa die Dauer oder die Verbundenheit durch gemeinsame Kinder unter Beweis stellen, dass die Beziehung hinreichend konstant ist (EGMR vom 27.10.1994, 18535/91 Kroon und andere gg. die Niederlande, Z 30; EGMR vom 22.04.1997, 21.830/93, X,Y und Z gg. Vereinigtes Köngreich, Z 36)

 

Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. Zum geschützten Privatleben gehört das Netzwerk der gewachsenen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen (EGMR vom 09.10.2003, 48321/99, Slivenko gg. Lettland). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als "Privatleben" relevant sein.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1-9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

 

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (zuletzt VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026).

 

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem gegenwärtigen sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

 

Der Beschwerdeführer hält sich infolge seiner illegalen Einreise seit zumindest April 2015 und damit etwas über vier Jahre durchgehend im Bundesgebiet auf, wobei der Beschwerdeführer durchgehend gemäß § 13 AsylG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt war. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich dabei um eine nur vorläufige Aufenthaltsberechtigung handelt, der der Verwaltungsgerichtshof, wenn sie nur auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist, keine hohe Bedeutung zumisst (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Auch ist ein Aufenthalt eines Asylwerbers im Bundesgebiet in der Dauer von weniger als vier Jahren nicht so lang, dass daraus automatisch eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188). Dasselbe muss für einen Aufenthalt von etwas mehr als vier Jahren, jedoch weniger als fünf Jahren gelten.

 

Nachdem der Beschwerdeführer keine im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen hat und familiäre Bindungen nicht geknüpft hat, greift die Rückkehrentscheidung nicht in das Familienleben des Beschwerdeführers ein (§ 9 Abs. 2 Z 2 BFA-VG).

 

Die Rückkehrentscheidung greift allerdings in das Recht auf Achtung des Privatlebens ein, weil und soweit sie den Beschwerdeführer von seinem gegenwärtigen sozialen Umfeld in Österreich trennt. Ein schutzwürdiges Privatleben des Beschwerdeführers ist daher zweifellos gegeben (§ 9 Abs. 2 Z 3 BFA-VG). Maßgeblich relativierend ist jedoch in die Gewichtung einzubeziehen, dass die das Privatleben des Fremden in Österreich betreffenden integrationsbegründenden Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem er sich (spätestens nach Abweisung seines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034; § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG). Das Gewicht des schutzwürdigen Privatlebens des Beschwerdeführers ist daher insofern erheblich gemindert.

 

Zum Grad der Integration des Beschwerdeführers (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG) ist zunächst auszuführen, dass mit § 2 Integrationsgesetz (IntG), StF: BGBl. I Nr. 68/2017 den Materialien zufolge erstmals bundesweit geregelt wurde, was unter dem Begriff Integration verstanden wird (Vgl. ErläutRV 1586 Blg NR 25. GP 2). Zwar fällt der Beschwerdeführer als Asylwerber nach der taxativen Aufzählung des § 3 IntG (Vgl. auch ErläutRsehr V 1586 Blg NR 25. GP 3) nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Allerdings handelt es sich bei den §§ 1 und 2 IntG um programmatische Umschreibungen von Zielvorstellungen des Gesetzgebers ohne normativen Gehalt (Vgl. Czech, Integriert Euch! Ein Überblick über Integrationsgesetz und Integrationsjahrgesetz. FABL 2/2017-I, 25), aus denen Rechte und Pflichten nicht abgeleitet werden können. Bedingt durch den Verweisungszusammenhang zwischen AsylG (§ 55 Abs. 1 Z 1 AsylG), IntG und BFA-VG erscheint eine Berücksichtigung der Ziele und der Teleologie des IntG dennoch geboten, mag der Beschwerdeführer auch nicht in den Genuss der im IntG vorgesehenen Fördermaßnahmen kommen.

 

Aus § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 IntG ergibt sich in Zusammenschau mit den im IntG vorgesehenen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Erläuterungen, dass Sprachkenntnisse, wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die Anerkennung und Einhaltung der österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung die drei Grundpfeiler der Integration darstellen (Vgl. ErläutRV 1586 Blg NR 25. GP 1).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur zu § 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG auch bereits ausgesprochen, dass den sehr guten Deutschkenntnissen des Fremden bei der Beurteilung des Grades der Integration Bedeutung zukommt (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0224). Der Beschwerdeführer hat wie festgestellt mehrere Deutschkurse besucht und eine Prüfung aus der Stufe A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen abgelegt. Es kann daher von einer gewissen Integrationsverfestigung im Teilaspekt der Sprachkenntnisse ausgegangen werden.

 

Zur wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass dieser von der Grundversorgung lebt und nicht erwerbstätig ist. Auch Einstellungszusagen wurden nicht vorgelegt. Der Beschwerdeführer ist damit nicht wirtschaftlich selbsterhaltungsfähig.

 

Zur Anerkennung und Einhaltung der österreichischen und europäischen Rechts- und Werteordnung ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer dadurch, dass er sich keine aktenkundigen Rechtsverstöße zuschulden hat kommen lassen, wohl ausdrückt, dass er die österreichische Rechtsordnung einhält und anerkennt (Vgl. auch Czech, Integriert Euch! Ein Überblick über Integrationsgesetz und Integrationsjahrgesetz. FABL 2/2017-I, 25). Zu beachten ist allerdings, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes strafgerichtliche Unbescholtenheit insofern nicht besonders ins Gewicht fällt, als nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die strafrechtliche Unbescholtenheit weder das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen vermag (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253 mwN). Dies muss auch für das Nichtvorliegen von Verstößen gegen die öffentliche Ordnung gelten (§ 9 Abs. 2 Z 6 und 7 BFA-VG). Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Österreichische Werteordnung nicht achten würde, haben sich im Verfahren nicht ergeben.

 

Gemessen an seiner etwa etwas über vierjährigen Aufenthaltsdauer hat der Beschwerdeführer insgesamt betrachtet insbesondere durch seine Sprachkenntnisse zwar zu beachtende Integrationserfolge erzielt. Allerdings muss sich der Asylwerber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfGH 12.06.2013, U485/2012; § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG). Demnach ist das Gewicht der Integrationserfolge des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukomme. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine kürzere Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen kann und somit schon allein aufgrund des kürzeren Aufenthaltes von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen sei. Da es sich bei der Aufenthaltsdauer um einen von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstand handelt, ist die Annahme eines Automatismus, wonach ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer kürzeren Aufenthaltsdauer als fünf Jahren jedenfalls abzuweisen wäre, verfehlt (zuletzt VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191).

 

Der Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat geboren und aufgewachsen und hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise dort verbracht. Außerdem sind seine Mutter, sein Bruder und dessen Familie im Herkunftsstaat aufhältig. Es ist daher grundsätzlich von einer besonders ausgeprägten Bindung zum Herkunftsstaat auszugehen. Nach der Rechtsprechung des EGMR sind bei der Beurteilung, inwieweit noch ein Bezug zum Herkunftsstaat besteht, auch die Sprachkenntnisse zu berücksichtigen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht. § 9 BFA-VG K46), wobei der Beschwerdeführer mit Dari eine weit verbreitete Landessprache des Herkunftsstaates muttersprachlich spricht. Unter dem Blickwinkel der Bindung zum Heimatsstaat ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes außerdem auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Bedacht zu nehmen (VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0083 mwN). Dazu wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass für den Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr mit einer solchen Möglichkeit zu rechnen ist. Insgesamt geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass eine ausgeprägte Bindung des Beschwerdeführers zum Heimatstaat besteht. Außerdem vermögen Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland des Fremden dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr - letztlich auch als Folge eines seinerzeitigen, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiärem Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0188;§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG).

 

Die Dauer des Asylverfahrens des Beschwerdeführers mit etwas über vier Jahren übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist.

 

Fallbezogen ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zwar bereits seit vier Jahren in Österreich aufhältig ist. Dieser Aufenthalt gründet sich jedoch lediglich auf einen nicht berechtigten Asylantrag des Beschwerdeführers. Zwar hat dies nicht zur Konsequenz, dass der während des unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325), im Ergebnis weist der Beschwerdeführer jedoch nur ein typisches Privatleben auf. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass der Beschwerdeführer besondere Bemühungen bei der Erlangung von Deutschkenntnissen und seiner Integration zeigte. Allerdings besteht insgesamt keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, dass von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden kann und ihm allein deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191). Letztlich versuchte der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl dazu VwGH 21.02.2013, 2011/23/0617). Auch die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers für diverse Gemeinden und das Amt der XXXX Landesregierung mögen daran nichts zu ändern. So hat der VwGH etwa im Fall eines Revisionswerbers, welcher zuletzt berufstätig war, Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und eine fünfjährige Aufenthaltsdauer im Bundesstaat vorweisen konnte, sowie Mitglied beim Roten Kreuz ist, festgehalten, dass auch (ergänzende) Feststellungen zur Funktion als Dolmetscher für einen Verein keinen anderen (für den Revisionswerber positiven) Ausgang des Verfahrens begründen hätten können (vgl VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0062). Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte auf, seine Familie lebt im Herkunftsstaat. Die in Österreich erworbenen Sozialkontakte können auch auf brieflichem, telefonischem oder elektronischem Weg aufrechterhalten werden. Es kann daher insgesamt keine von Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" angenommen werden (vgl. VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, einer feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung jedoch keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354).

 

Insgesamt lässt sich unter Berücksichtigung der Umstände des Falles bei einer gewichtenden Gegenüberstellung der eben beleuchteten vorhandenen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich mit dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens - wobei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen besteht (VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0062) - nicht sagen, dass der mit der Rückkehrentscheidung verbundene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers unverhältnismäßig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt daher keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG war nicht geboten. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

4.4. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Zulässigkeit der Abschiebung)

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 leg. cit. in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Für diese Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Maßstab des § 50 FPG (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234, siehe insbesondere Rechtssatz 2).

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Soweit sich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG auf Sachverhalte bezieht, die zur Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz führen können, ist sie nur Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

Mit gegenständlicher Entscheidung wurde das Vorliegen von Sachverhalten, die zur Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz führen könnten, und damit das Vorliegen eines der Bestimmung des § 50 Abs. 2 FPG entsprechenden Sachverhalts bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes iSd § 50 Abs. 1 FPG im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat bereits verneint.

 

Die Prüfung, ob im Fall der Rückführung des Beschwerdeführers nach Afghanistan Art. 2. oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. Zusatzprotokoll zur EMRK aus anderen Gründen verletzt würden (§ 50 Abs. 1 FPG), als jenen, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Betracht kommen (Vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106), wurde in Bezug auf die ins Auge gefasste Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif bzw. Herat (Stadt) bereits im Zuge der Überprüfung der Zumutbarkeit Mazar-e Sharifs bzw. Herats (Stadt) als innerstaatliche Fluchtalternative abgehandelt, sodass auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden kann.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher zulässig und die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides war spruchgemäß abzuweisen.

 

4.5. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Frist für die freiwillige Ausreise)

 

Gegen die Rechtsrichtigkeit der mit Spruchpunkt IV. gesetzten 14-tägigen Frist zur Ausreise gemäß § 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG wurde weder auf der Tatsachenebene noch in rechtlicher Hinsicht ein näheres Vorbringen erstattet. Auch das Bundesverwaltungsgericht hegt keine dahingehenden Bedenken.

 

Auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

4.6. Unzulässigkeit der Revision:

 

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich bei seinen rechtlichen Ausführungen auf die dort zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Zur Frage, ob dem Beschwerdeführer nach § 8 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, hat sich das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls an der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes orientiert, so wie auch bei der Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung folgt das Bundesverwaltungsgericht den in der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofes entwickelten Leitlinien. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Abschiebung folgt das Bundesverwaltungsgericht ebenso der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie dem ohnehin klaren Gesetzeswortlaut. Ansonsten waren beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich.

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