VwGH Ra 2018/19/0154

VwGHRa 2018/19/01545.4.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache 1. des M R, 2. der F R, und 3. der A R, alle in W, alle vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes je vom 1. Februar 2018, 1) W247 2164400- 1/9E, 2) W247 2164399-1/9E und 3) W247 214396-1/7E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32011L0095 Status-RL Art8 Abs1;
AsylG 2005 §11 Abs1;
AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art3;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190154.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Die revisionswerbenden Parteien bekämpfen zunächst - im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit ihrer Revision einen Begründungsmangel der angefochtenen Erkenntnisse geltend machend, aber insoweit undifferenziert sowohl die beweiswürdigenden Überlegungen als auch die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts in Frage stellend - die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine "westliche Lebensweise" nicht wesentlicher Bestandteil der Identität der aus Afghanistan stammenden Zweitrevisionswerberin geworden sei.

5 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts richten, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0545).

6 Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass dies fallbezogen gegeben wäre. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der aktuellen Lebenssituation der Zweitrevisionswerberin auseinander und kam letztlich zum Schluss, dass sie keine solche Lebensweise angenommen habe, welche dazu führen würde, dass ihr der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre.

7 Es ist aber in Bezug auf die damit in Zusammenhang stehende Rechtsfrage auch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten hat, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (vgl. insbesondere in Bezug auf Afghanistan VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 bis 0306). Die anhand der - wie erwähnt: mängelfrei zustande gekommenen - Feststellungen in Bezug auf die Zweitrevisionswerberin erfolgte Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich entgegen den Revisionsausführungen nicht als unvertretbar dar.

8 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien darauf berufen, es liege keine einheitliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "zur westlichen Orientierung" vor, ist dem zu entgegen, dass es darauf - selbst wenn dies zutreffen sollte - bei der Beurteilung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt, nicht ankommt. Eine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, liegt nach dem Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG unter anderem dann vor, wenn die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine uneinheitliche Rechtsprechung eines oder mehrerer Verwaltungsgerichte erfüllt hingegen für sich genommen nicht diesen Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2015/22/0042, 0044; 4.5.2016, Ra 2014/17/0005; 19.7.2017, Ra 2017/01/0182). Dass aber in Bezug auf die dem angesprochenen Thema zugrunde liegende Rechtsfrage eine uneinheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegen würde, wird nicht behauptet (und wäre zudem auch nicht zutreffend).

9 Des Weiteren wird von den revisionswerbenden Parteien betreffend die Frage, ob subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, nicht aufgezeigt, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht von den durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aufgestellten Leitlinien betreffend die Beurteilung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen wäre.

10 § 11 AsylG 2005 unterscheidet nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Demgemäß verbietet sich die Annahme, der Schutz eines Asylwerbers sei innerstaatlich zumindest in einem Teilgebiet gewährleistet, jedenfalls dann, wenn in dieser Region Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthaltes ist daher von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen. Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die Art. 3 EMRK widersprechen (oder auf Grund derer andere Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllt wären), wäre eine innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthaltes in diesem Gebiet zu verneinen.

Im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung ist das Kriterium der "Zumutbarkeit" nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen. Die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates hat wesentliche Bedeutung. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein.

Dem Kriterium der "Zumutbarkeit" neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, ist aber durchaus Raum gelassen. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinn des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss.

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen ausführlich VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).

11 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit den individuellen Umständen der revisionswerbenden Parteien auseinander und kam letztlich, gestützt unter anderem auch auf Basis der Feststellungen zur Lage in Kabul, zum Ergebnis, dass den revisionswerbenden Parteien in den gegenständlichen Fällen der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative nicht nur Art. 3 EMRK nicht entgegensteht, sondern ihnen die Inanspruchnahme auch zumutbar ist. In diesem Zusammenhang verwies das BVwG unter anderem auf die Berufserfahrungen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin, aufgrund derer sie ihren Lebensunterhalt sowie den ihres gemeinsamen Kindes sichern könnten und die Möglichkeit, im engen Familienverband nach Kabul zurückzukehren. Den Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts, die auf die Umstände der konkreten Fälle Bedacht nehmen, treten die revisionswerbenden Parteien nicht konkret entgegen. Vielmehr beschränken sie sich bloß auf Ausführungen zur allgemeinen Sicherheitslage, ohne konkret aufzuzeigen, inwiefern dies fallbezogen zu einer Unzumutbarkeit der gemeinsamen Rückkehr der revisionswerbenden Parteien in ihr Heimatland und dort nach Kabul führen würde.

12 Soweit vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht wäre angesichts der Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan und den notorischen Anschlägen in Kabul verpflichtet gewesen, ergänzende Ermittlungen zur Situation in Kabul vorzunehmen, ist auszuführen, dass damit ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne in konkreter Weise die Relevanz eines Verfahrensmangels darzulegen (vgl. VwGH 13.12.2017, Ra 2017/01/0187, mwN). Derartiges gelingt den Revisionen mit ihren Ausführungen aber nicht, weil nicht zu sehen ist, weshalb die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts unter Bedachtnahme auf die in der Revision ins Treffen geführten Anschläge anders hätte ausfallen müssen (vgl. etwa VwGH 6.3.2018, Ra 2017/18/0413).

13 Soweit die Revision rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich zur Beurteilung der Lage in Kabul tragend auf ein mangelhaftes Gutachten des Sachverständigen Mag. M gestützt, ist ihr entgegenzuhalten, dass dies nicht zutrifft, hat sich doch das Verwaltungsgericht bei seiner Beurteilung nicht nur auf dieses Gutachten gestützt, sondern maßgeblich auch weitere Berichte zur Situation in Afghanistan und im Besonderen in Kabul herangezogen, denen die revisionswerbenden Parteien nicht überzeugend entgegenzutreten vermochten (vgl. VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103).

14 Im Übrigen ist noch auf Folgendes hinzuweisen:

Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dem Erfordernis der gesonderten Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit der Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG wird nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung Genüge getan. Enthält eine Revision die Ausführungen zu ihrer Begründetheit wortident auch als Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision, wird damit dem Erfordernis der gesonderten Darlegung von in § 28 Abs. 3 VwGG geforderten Gründen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, nicht entsprochen. Daran vermag auch der Umstand, dass in den Ausführungen zu den Revisionsgründen der sonst wortidenten Wiedergabe des Textes der Zulässigkeitsbegründung für sich inhaltsleere Behauptungen der Rechtswidrigkeit des Erkenntnisses hinzugefügt werden, nichts zu ändern (vgl. zum Ganzen VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0024, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Ausgehend davon erweist sich die vorliegende Revision, deren Begründung zur Zulässigkeit sich nahezu wortident - wenn auch teilweise in Änderungen der Reihenfolge von Absätzen und mit ergänzenden Zitaten versehen - in den Revisionsgründen findet, als nicht gesetzmäßig ausgeführt.

15 Die Revision eignet sich sohin sowohl aus formellen Gründen als auch wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zu ihrer Behandlung. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 5. April 2018

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