VwGH Ra 2016/20/0089

VwGHRa 2016/20/008923.2.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schweda, über die Revision des S A in M, vertreten durch Dr. Günther Viehböck, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Bahnhofsplatz 1a/Stg.1/Top 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2016, Zl. W209 1438224- 1/15E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

32013L0032 IntSchutz-RL Art16;
32013L0032 IntSchutz-RL Art2 litf;
32013L0032 IntSchutz-RL;
AsylG 1968 §1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
EURallg;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGVG 2014 §17;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016200089.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23. September 2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Bei der Erstbefragung führte der Revisionswerber als Fluchtgrund aus, das Gebiet, in dem er gewohnt habe, werde von den Taliban beansprucht, weil diese der Meinung seien, das Land gehöre ihnen. Es sei zu einer großen Auseinandersetzung gekommen, bei der einige Personen getötet worden seien. Die Taliban hätten ihn und seine Familie von dort vertreiben wollen, daher sei er geflüchtet. Auch seine Familie habe die Absicht zu flüchten.

3 Anlässlich der ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) gab der Revisionswerber Angst vor den pashtu-sprachigen Taliban als Fluchtgrund an.

4 Im Rahmen seiner zweiten Vernehmung vor der Behörde führte der Revisionswerber zusammengefasst aus, er habe in Kabul im Bezirk Dasht-e Barchi, Qala-e Qazi, mit seinen Brüdern und seiner Mutter in einem Mietshaus gelebt. Seine Familie habe nicht in der Nähe befindliche "Grundstücke" besessen und bestellt, die er selbst aber nie gesehen habe. Sein Bruder habe Probleme mit den Kutchis gehabt, die ihm "das Grundstück" hätten wegnehmen wollen. Das Problem seiner Familie sei nicht groß gewesen, es habe nur einen ihm unbekannten Kutchi und seinen Bruder betroffen. Er selbst habe nie Kontakt mit einem Kutchi gehabt. Sein Bruder habe dort Probleme, nicht er. Sein Bruder habe entschieden, den Revisionswerber nach Österreich zu schicken. Sein ältester Bruder habe ihn bis nach Nimroz begleitet und dort dem Schlepper übergeben, der Rest der Familie sei "irgendwohin" gegangen.

5 Mit Bescheid vom 19. September 2013 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz sowohl gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.) und sprach gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof. Das Verfahren über die Beschwerde wurde gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende geführt.

7 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. März 2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet ab, verwies die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an die Verwaltungsbehörde zurück und sprach aus, dass die Revision gegen diese Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Dabei stellte das Bundesverwaltungsgericht zur Person des Revisionswerbers fest, er sei Staatsangehöriger Afghanistans, schiitischen Glaubens, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und spreche Dari. Er sei in Kabul geboren und habe sich dort bis zu seiner Ausreise aufgehalten. Der Revisionswerber verfüge über eine mehrjährige Schulbildung und habe vor seiner Ausreise mehrere Jahre als Hilfsarbeiter in einer Autowerkstätte gearbeitet. Er sei gesund, arbeitsfähig und in der Lage, sich im Herkunftsstaat den notwendigen Lebensunterhalt zu sichern, zumal er in Kabul über soziale Anknüpfungspunkte verfüge. In Österreich befinde er sich seit September 2012, er spreche mittlerweile etwas Deutsch und besuche seit September 2014 die Fachschule der HTL. Der Revisionswerber habe bereits einen Freundeskreis in Österreich, sei strafrechtlich unbescholten, trainiere regelmäßig in einem Verein und besuche Deutschkurse. Im Anschluss stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei vor seiner Flucht keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen. Schließlich traf das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen zum Herkunftsstaat des Revisionswerbers. Zur Sicherheitslage in der Hauptstadt Kabul stellte es im Wesentlichen fest, diese sei grundsätzlich gut gesichert, es sei jedoch im Frühjahr 2015 sowie im August 2015 zu schweren Anschlägen gekommen, die eine hohe Zahl an Todesopfern und Verletzten unter der Zivilbevölkerung gefordert hätten.

9 Beweiswürdigend erwog das Bundesverwaltungsgericht, die Feststellung, wonach der Revisionswerber über soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge, ergebe sich aus seinen im Zuge des Verfahrens getätigten widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben dahingehend, dass er über keine solchen mehr verfüge. So habe er im Rahmen der Erstbefragung angegeben, dass auch seine Familie die Absicht habe zu flüchten. In der Einvernahme habe er ausgeführt, dass sich seine Mutter, seine drei Brüder und seine vier Schwestern in Afghanistan aufhalten würden, er jedoch nicht wisse, in welchem Teil des Landes sie sich befänden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe der Revisionswerber jedoch angegeben, dass seine Familie noch in Kabul gewesen sei, als er nach Österreich gekommen sei, und (erst) jetzt weggezogen sei; seit er Afghanistan verlasse habe, habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, sodass er nicht wisse, wo sie sich nun aufhalte. Auch das Vorbringen des Revisionswerbers, seine Familie habe derart überstürzt ihre Wohnung in Kabul verlassen, dass sie die Geburtsurkunde des Revisionswerbers zurückgelassen hätte, welche der Hausbesitzer dann in der Folge per Post an ihn übermittelt hätte, sei nicht glaubwürdig; ebenso wenig, dass er das einzige Telefon seiner Familie mitgenommen habe, nur um dann seit über drei Jahren von keinem Mitglied seiner Familie angerufen zu werden. Im Ergebnis sei daher der Schluss zu ziehen gewesen, dass zumindest ein Teil der Familie des Revisionswerbers nach wie vor in Kabul lebe.

10 Die Angaben des Revisionswerbers zu seinem Fluchtgrund seien nicht glaubwürdig, weil er in der Erstbefragung und seiner ersten Einvernahme Angst vor den Taliban geäußert habe, die seine Familie vertreiben hätten wollen, in seiner zweiten Einvernahme aber erstmals eine Bedrohung durch die Kutchis vorgebracht habe, welche ihnen das familieneigene Grundstück hätten wegnehmen wollen. Ferner habe er nicht nur die Akteure, von denen die Bedrohung ausgegangen sei, sondern auch die Geschehnisse - von der "großen Auseinandersetzung" bis zum "kleinen Problem" - unterschiedlich geschildert.

11 Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Beschwerde gegen die Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, der Revisionswerber habe wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, weil sein Vorbringen zu Verfolgungshandlungen durch die Taliban bzw. die Kutchis unglaubwürdig sei und es hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit in Afghanistan zwar zu Diskriminierungen kommen könne, dies jedoch nicht in einem Ausmaß, dass jeder dort lebende schiitische Hazara mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung zu fürchten hätte. Betreffend subsidiären Schutz führte es aus, den Feststellungen zur Situation in Afghanistan sei zu entnehmen, dass Teile der Zivilbevölkerung je nach der Sicherheitslage in der jeweiligen Provinz erheblicher Gefahr ausgesetzt seien, bei Anschlägen umzukommen, verschleppt zu werden, bei Vergehen kein Gerichtsverfahren zu erhalten oder ihren Lebensunterhalt nicht menschenwürdig bestreiten zu können; die Sicherheitslage in Kabul sei jedoch besser als in anderen Teilen des Landes, obwohl es auch hier zu - in der Regel nicht gegen Zivilpersonen gerichteten - Anschlägen komme. Das Fehlen eines verwandtschaftlichen Netzes könnte "bei der insgesamt schwierigen Versorgungslage (...) dazu führen, dass der Rückkehrer dort nicht Fuß fassen und seinen Lebensunterhalt in menschenwürdiger Weise bestreiten" werde können. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, weil der Revisionswerber jung, gesund und arbeitsfähig sei, über Schulbildung und Arbeitserfahrung verfüge und "in der Hauptstadt Kabul ein stabiles soziales Netz" vorfinden werde.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Deren Zulässigkeit wird - unter anderem und zusammengefasst - mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob jene Judikatur, wonach "die belangte Behörde im Asylverfahren nicht verhalten sei, den Asylwerber zu Widersprüchen in Ansehung seines Asylantrages zu befragen" (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, 92/01/0705), angesichts der Bestimmung des Art. 16 der Verfahrensrichtlinie noch aufrechtzuerhalten sei. Im vorliegenden Fall sei dem Revisionswerber keine Möglichkeit eingeräumt worden, (vermeintliche) Ungereimtheiten hinsichtlich der Frage des Bestehens sozialer Anknüpfungspunkte in Kabul aufzuklären. Das BVwG hätte dem Revisionswerber seine Zweifel am Nicht-Bestehen familiärer Anknüpfungspunkte vorhalten müssen. Dies gelte auch für das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers; in diesem Zusammenhang sei ebenso auf (vermeintliche) Widersprüche - so etwa den Austausch der Verfolgungsakteure - abgestellt worden, ohne dies mit dem Revisionswerber jemals erörtert zu haben. Bei Vorhalt hätte dieser etwa darauf hinweisen können, dass die genannten Akteure gemeinsam angreifen würden, was sich unter Heranziehung der (näher zitierten) Berichtslage auch belegen ließe.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

13 Die Revision ist zulässig, weil zur von der Revision aufgeworfenen Rechtsfrage, ob Parteiengehör im Licht des Art. 16 Verfahrensrichtlinie zu beweiswürdigenden Überlegungen betreffend das Aussageverhalten eines Asylwerbers zu gewähren ist, noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt.

14 Die Revision ist aber nicht begründet.

15 Die relevanten Bestimmungen des AsylG 2005 samt

Überschriften lauten auszugsweise:

"Ermittlungsverfahren

§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

(...)"

"Befragungen und Einvernahmen

§ 19. (1) Ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. (...)

(2) Ein Asylwerber ist vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. (...)"

16 Die relevanten Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) samt Überschriften lauten auszugsweise:

"Allgemeine Grundsätze

§ 37. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach einer Antragsänderung (§ 13 Abs. 8) hat die Behörde das Ermittlungsverfahren insoweit zu ergänzen, als dies im Hinblick auf seinen Zweck notwendig ist.

(...)

"Allgemeine Grundsätze über den Beweis

§ 45. (1) Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.

(2) Im übrigen hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

(3) Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen."

17 Art. 16 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABl. L 2013/180, 60 ("Verfahrensrichtlinie"), lautet:

"Artikel 16

Inhalt der persönlichen Anhörung

Wird eine persönliche Anhörung zum Inhalt eines Antrags auf internationalen Schutz durchgeführt, so stellt die Asylbehörde sicher, dass dem Antragsteller hinreichend Gelegenheit gegeben wird, die zur Begründung seines Antrags notwendigen Angaben gemäß

Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU möglichst vollständig vorzubringen. Dies schließt die Gelegenheit ein, sich zu fehlenden Angaben und/oder zu Abweichungen oder Widersprüchen in den Aussagen des Antragstellers zu äußern."

18 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, gelten jedenfalls in den der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte unterliegenden Fällen auf dem Boden des § 17 VwGVG auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG (vgl. VwGH vom 20. Dezember 2016, Ra 2016/15/0003, mwN). Das Recht auf Parteiengehör bezieht sich auf den von der Behörde gemäß § 37 AVG festzustellenden maßgebenden Sachverhalt. Den Parteien ist daher gemäß § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten, das sind insbesondere all jene rechtserheblichen Tatsachen, die das zuständige Organ als erwiesen erachtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2014, 2013/08/0087, mwN; Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 24, mwH). Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG, also die Frage, aus welchen Gründen die Behörde welchen Beweismitteln zu folgen gedenkt, zählt aber nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Die Behörde ist auch nicht gehalten, die Partei zu der von ihr vertretenen Rechtsansicht anzuhören, ihr also mitzuteilen, welche Vorgangsweise sie in rechtlicher Hinsicht auf Grund des als maßgeblich festgestellten Sachverhaltes ins Auge fasst (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. Februar 2010, 2008/18/0411, vom 27. April 2011, 2010/08/0091, und vom 31. Jänner 2013, 2011/23/0432; vgl. auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 25f, mwN aus der hg. Judikatur).

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits festgehalten, dass der ermittelte Sachverhalt, wenn die eigenen Angaben der Partei die wesentliche Entscheidungsgrundlage bilden, sowie die Würdigung der von der Partei selbst stammenden Beweismittel und die darauf gestützte rechtliche Beurteilung dieser Partei nicht vor der Bescheiderlassung zur Kenntnis gebracht werden müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2000, 97/21/0510;

idS auch das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, 97/18/0088;

vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 29, mwN aus der hg. Judikatur).

20 Der Verwaltungsgerichtshof erkannte auch bereits das Asylverfahren betreffend, dass für die Behörde keine Verpflichtung besteht, dem Asylwerber im Wege eines Vorhalts zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden seien, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu seinem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihm aus diesem Grunde eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. November 1992, 92/01/0560; idS auch das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, 92/01/0705).

21 Für das vorliegende Verfahren bedeuten diese Grundsätze, dass den Ausführungen in der Revisionsbegründung, wonach dem Revisionswerber keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Ungereimtheiten in seinen Angaben hinsichtlich der Frage des Vorhandenseins sozialer Anknüpfungspunkte in Kabul aufzuklären, zu entgegnen ist, dass - nach der bisherigen Rechtsprechung - insofern eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vorliegt, weil die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens zählt, zu denen im Rahmen des Parteiengehörs zwingend eine Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen gewesen wäre (vgl. allgemein das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2013, 2011/23/0432, sowie spezifisch das Asylverfahren betreffend das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 4. November 1992, 92/01/0560). Ebendies gilt auch hinsichtlich der vom Bundesverwaltungsgericht als widersprüchlich angesehenen Angaben des Revisionswerbers zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates.

22 Darüber hinaus traf bereits die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde in ihrem Bescheid die Feststellung, dass der Revisionswerber über soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge, zumal dessen Mutter und Brüder nach wie vor dort leben würden. Der Revisionswerber hatte daher schon im Rahmen seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht die Gelegenheit, sich zu dieser von der Behörde getroffenen Feststellung zu äußern; davon machte er insofern Gebrauch, als er erneut auf seine Aussage in der Einvernahme vor der Behörde verwies, wonach sich seine Familie nicht mehr in Kabul befinde. Schließlich wurde der Revisionswerber auch im Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung zum Wohnort seiner Familienmitglieder befragt. Es kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede davon sein, der Revisionswerber habe keine Gelegenheit gehabt, sich zu seinen abweichenden Angaben zu erklären.

23 Die nationale Rechtslage erweist sich aber auch vor dem Hintergrund des von der Revision ins Treffen geführten Art. 16 der Verfahrensrichtlinie in Bezug auf Asylverfahren als nicht unionsrechtswidrig:

24 Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung schließt die persönliche Anhörung die Gelegenheit ein, sich zu fehlenden Angaben und/oder zu Abweichungen oder Widersprüchen in den Aussagen des Antragstellers zu äußern ("opportunity to give an explanation"). Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich Art. 16 der Verfahrensrichtlinie nach seinem klaren Wortlaut an die Asylbehörde ("determining authority") richtet; diese ist gemäß Art. 2 lit. f der Verfahrensrichtlinie jede gerichtsähnliche Behörde beziehungsweise jede Verwaltungsstelle eines Mitgliedstaats, die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig und befugt ist, erstinstanzliche ("at first instance") Entscheidungen über diese Anträge zu erlassen.

25 Abgesehen davon sind auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 16 der Verfahrensrichtlinie (bzw. Art. 15 des Entwurfs) keine stichhaltigen Hinweise darauf zu erkennen, dass damit eine Stärkung der Verfahrensgarantien der Partei insofern beabsichtigt gewesen wäre, als Widersprüche im Einzelnen im Rahmen einer Einvernahme zur Äußerung vorzuhalten wären.

26 Artikel 15 des Vorschlags der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 22. Oktober 2009 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzstatus (Neufassung), KOM (2009) 554 endg., lautete:

"Artikel 15

Inhalt der persönlichen Anhörung

Wird eine persönliche Anhörung zum Inhalt eines Antrags auf internationalen Schutz durchgeführt, trägt die Asylbehörde dafür Sorge, dass dem Antragsteller hinreichend Gelegenheit gegeben wird, die zur Begründung seines Antrags notwendigen Angaben gemäß

Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie (.../../EG) (Anerkennungsrichtlinie) vorzubringen. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass

a) die an den Antragsteller gerichteten Fragen für die Beurteilung, ob er internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie (.../../EG) (Anerkennungsrichtlinie) benötigt, relevant sind;

b) der Antragsteller hinreichend Gelegenheit hat, sich zu fehlenden Angaben zu äußern, die für die Begründung seines Antrags notwendig sind, und/oder zu Abweichungen oder Widersprüchen in seinen Aussagen."

Der Hintergrund des Vorschlags wurde (auszugsweise) folgendermaßen erläutert:

"1.1 Gründe und Ziele

(...)

Der vorliegende Vorschlag gehört zu den in der Mitteilung über die künftige Asylstrategie angekündigten Initiativen, mit denen unionsweit für qualitativ bessere und stärker vereinheitlichte Standards im Bereich des internationalen Schutzes gesorgt werden soll. Die geplanten Maßnahmen sollen die Kohärenz zwischen den Asylrechtsakten der EU verbessern, die Verfahrensvorschriften in der EU vereinfachen, angleichen und konsolidieren und zu tragfähigeren erstinstanzlichen Entscheidungen führen, um auf diese Weise Missbrauch zu verhindern und ein effizienteres Asylverfahren zu erreichen.

(...)

3.1 Zusammenfassung des Vorschlags

(...)

Der Vorschlag soll durch seine Betonung auf Serviceleistungen, Sach- und Prüfungskompetenz und den Ansporn für die Mitgliedstaaten, innerhalb einer angemessenen Frist tragfähige Entscheidungen in erster Instanz zu treffen, Effizienz und Qualität der Verfahren gleichermaßen verbessern. Effizientere und qualitativ bessere Asylverfahren sollen

a) den Mitgliedstaaten ermöglichen, bei unterschiedlich

zusammengesetzten Gruppen von Ankömmlingen rascher zwischen Asylsuchenden und anderen Migranten zu unterscheiden, um die personellen und administrativen Ressourcen, die es zur Bestimmung des zutreffenden Verfahrens und zu seiner Durchführung bedarf (Rückführung, Asyl, humanitärer Status, Auslieferung usw.), optimal einsetzen zu können;

b) die Asylbehörden in die Lage versetzen, auf der

Grundlage eines vollständig und zuverlässig ermittelten Sachverhalts tragfähige Entscheidungen zu treffen, negative Entscheidungen besser zu fundieren und so das Risiko ihrer Aufhebung in der Berufungsinstanz zu mindern;

c) dem Asylpersonal ermöglichen, unbegründete oder

missbräuchliche Anträge - auch solche, die auf einer falschen

Identität oder Staatsangehörigkeit beruhen - leichter zu erkennen;

d) die Kosten der Mitgliedstaaten für die Aufnahme von

Asylbewerbern reduzieren und die Mitgliedstaaten in ihren Bemühungen unterstützen, abgewiesene Asylbewerber aus ihrem Hoheitsgebiet abzuschieben, da schneller und fundierter entschieden wird und mehr Verfahren bereits in der ersten Instanz endgültig abgeschlossen werden.

Echte Flüchtlinge und Personen, die subsidiären Schutz benötigen, könnten so schneller die in der Anerkennungsrichtlinie aufgeführten Leistungen in Anspruch nehmen.

(...)

3. Verfahrensgarantien in der ersten Instanz

(...)

Der Vorschlag zielt auf eine einheitlichere Anwendung

vereinbarter Verfahrensgrundsätze und -garantien ab, um

Asylverfahren insgesamt gerechter zu machen. Die Änderungen

orientieren sich größtenteils an der Rechtsprechung des

Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den allgemeinen

Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie zum Recht auf

Verteidigung, zum Grundsatz der Waffengleichheit und zum Recht auf

einen wirksamen Rechtsschutz. Weitere grundlegende Anhaltspunkte

für die Weiterentwicklung der Verfahrensgarantien für Personen,

die internationalen Schutz beantragen, lieferte der Europäische

Gerichtshof für Menschenrechte. Wesentliches Anliegen ist es, dem

Antragsteller eine angemessene, konkrete Möglichkeit zu bieten,

seinen Antrag auf internationalen Schutz zu begründen, und eine

sachgerechte Beurteilung seines Schutzbedürfnisses durch die

zuständigen Behörden zu gewährleisten. Dementsprechend stellen die

Änderungsvorschläge darauf ab,

a) die Ausnahmen von den in dieser Richtlinie enthaltenen

Verfahrensgrundsätzen und -garantien zu beschränken und

insbesondere von der Möglichkeit abzusehen, in einem

beschleunigten Verfahren auf die persönliche Anhörung zu verzichten;

b) zusätzliche Garantien aufzunehmen wie das Recht auf

unentgeltlichen rechtlichen Beistand für Antragsteller in

erstinstanzlichen Verfahren;

c) für schutzbedürftige Antragsteller besondere Garantien

einzuführen. Hierzu zählen unter anderem Vorschriften über rechtsmedizinische Gutachten, die Freistellung bestimmter Gruppen von Antragstellern von beschleunigten Verfahren oder Verfahren an der Grenze sowie Verfahrensregeln für die Feststellung der Begründetheit des Antrags in Fällen, in denen eine Verfolgung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit oder des Alters geltend gemacht wird.

Die geplanten Maßnahmen sollen unter anderem dazu beitragen, einem Verfahrensmissbrauch entgegenzuwirken, indem die Antragsteller besser über die geltenden Anforderungen informiert werden, was wiederum eine bessere Beachtung der verfahrensbezogenen Pflichten bewirken dürfte. Gleichzeitig werden damit die Asylbehörden in ihrem Bemühen unterstützt, fundierte, tragfähige Entscheidungen zu erlassen, die auf eine vollständige und ordnungsgemäße Sachverhaltsfeststellung gestützt sind."

27 Artikel 16 des geänderten Vorschlags für die genannte Richtlinie vom 1. Juni 2011, KOM/2011/0319 endg., lautete:

"Artikel 16

Inhalt der persönlichen Anhörung

Wird eine persönliche Anhörung zum Inhalt eines Antrags auf internationalen Schutz durchgeführt, trägt die Asylbehörde dafür Sorge, dass dem Antragsteller hinreichend Gelegenheit gegeben wird, die zur Begründung seines Antrags notwendigen Angaben gemäß

Artikel 4 der Richtlinie (.../.../EU) (Anerkennungsrichtlinie) möglichst vollständig vorzubringen. Dies schließt die Gelegenheit ein, sich zu fehlenden Angaben und/oder zu Abweichungen oder Widersprüchen in den Aussagen zu äußern."

Die Umformulierung des ursprünglich in Artikel 15 verankerten Textes wird im Vorschlag nicht eigens erläutert.

28 Wesentliche Ziele der neuen Verfahrensrichtlinie waren somit die Einräumung einer angemessenen, konkreten Möglichkeit für den Antragsteller, seinen Antrag auf internationalen Schutz zu begründen, um eine sachgerechte Beurteilung seines Schutzbedürfnisses durch die zuständigen Behörden zu gewährleisten. Die Asylbehörden sollten in die Lage versetzt werden, auf der Grundlage eines vollständig und zuverlässig ermittelten Sachverhalts tragfähige Entscheidungen zu treffen, negative Entscheidungen besser zu untermauern und so das Risiko ihrer Aufhebung durch eine übergeordnete Instanz zu mindern. Der Verbesserung der Qualität des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens kam somit ein hoher Stellenwert zu. In diesem Lichte ist auch die Einführung des Artikels 16 der Verfahrensrichtlinie zu betrachten, trägt doch eine im Sinn dieser Bestimmung geführte Einvernahme, die dem Antragsteller ausreichend Gelegenheit zur Antragsbegründung - inklusive Begründungsergänzung und Äußerung zu voneinander abweichenden Angaben - gewährt, wesentlich zur Ermittlung des relevanten Sachverhaltes schon in erster Instanz bei.

29 Art. 16 der Verfahrensrichtlinie sieht hierbei (bloß) die Gelegenheit ("opportunity") vor, sich zu Abweichungen oder Widersprüchen in der eigenen (und dem Asylwerber somit bekannten) Aussage zu äußern. Maßgeblich ist demnach nur, dem Antragsteller die Möglichkeit einzuräumen, von sich aus die in der genannten Bestimmung angesprochenen Ergänzungen bzw. Klarstellungen anzubringen.

30 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass

Artikel 16 der Verfahrensrichtlinie nicht entnommen werden kann, dass dem Antragsteller allfällige in seinen Aussagen vorhandenen Widersprüche im Einzelnen vorgehalten werden müssten.

31 Dies führt zum Ergebnis, dass die oben dargelegte nationale Rechtslage im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben steht.

32 Dass der Revisionswerber in der Beschwerdeverhandlung keine Gelegenheit gehabt hätte, von sich aus Ergänzungen bzw. Klarstellungen anzubringen, wird im Übrigen in der Revision nicht einmal behauptet.

33 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2016, Ra 2015/20/0161, mwN).

34 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung eine den zitierten Grundsätzen entsprechende Beweiswürdigung vorgenommen; die Gründe, welche die Behörde in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, den der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt festzustellen, sind hinreichend erkennbar, die (zum Antragszeitpunkt noch bestehende) Minderjährigkeit des Revisionswerbers wurde - entgegen den Revisionsausführungen - ins Kalkül gezogen, und die Einbeziehung abweichender Angaben aus der Erstbefragung erfolgte unter Beachtung der dazu entwickelten Grundsätze (vgl. näher zB das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2015, Ra 2014/19/0171). Es kann - ausgehend vom Revisionsvorbringen - kein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler in der Beweiswürdigung erkannt werden.

35 Die Revision bekämpft die Schlüssigkeit des im Verfahren vor dem Bundesasylamt eingeholten Gutachtens zur medizinischen Altersdiagnose deshalb, weil "der Schlüssigkeit des Gutachtens in Bezug auf die Beweiswürdigung zur Glaubhaftmachung des Vorbringens wesentliche Bedeutung" zukäme, habe doch das Bundesverwaltungsgericht den Revisionswerber aufgrund seiner - mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht in Einklang zu bringenden - Altersangaben als "persönlich unglaubwürdig" bezeichnet. Dabei übersieht der Revisionswerber aber, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts nach Sachthemen gegliedert ist und die beweiswürdigenden Überlegungen zum Thema "Altersfeststellung" nicht in die Beweiswürdigung des in einem eigenen Kapitel abgehandelten Fluchtvorbringens einflossen. Insofern liegt die von der Revision angenommene Relevanz nicht vor. Hinsichtlich des behaupteten Verfahrensmangels im Zusammenhang mit der Überprüfbarkeit der vom Revisionswerber vorgelegten Tazkira unterlässt die Revision überhaupt die erforderliche Relevanzdarstellung.

36 Die Revision führt ferner ins Treffen, dem Revisionswerber wäre - unabhängig von dessen Fluchtvorbringen, das vom Bundesverwaltungsgericht als unglaubwürdig erachtet wurde - der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen, weil er der Volksgruppe der Hazara, die systematischer Diskriminierung ausgesetzt sei, angehöre. Es stelle sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob hier eine Gruppenverfolgung anzunehmen gewesen wäre.

37 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0036, vom 17. Dezember 2015, Ra 2015/20/0048, vom 13. Oktober 2015, Ra 2015/19/0106, und vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/18/0078, jeweils mwN).

38 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seiner rechtlichen Beurteilung mit der Frage einer drohenden Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zur ethnischen Minderheit der Hazara auseinandergesetzt. Dass es sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt habe, vermag die Revision - auf Basis der vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall getroffenen Feststellungen -

jedoch nicht konkret aufzuzeigen.

39 Soweit mit den Revisionsausführungen - hinsichtlich des Spruchpunktes der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der Judikatur keine ganzheitliche Bewertung der Gefahren vorgenommen, weil nicht auf die persönliche Situation des Revisionswerbers in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage Bedacht genommen worden sei, ist Folgendes auszuführen:

40 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Fall der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen. Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (vgl. den hg. Beschluss vom 19. November 2015, Ra 2015/20/0236, mwN).

41 Im vorliegenden Fall traf das Bundesverwaltungsgericht konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers (u.a. zu dessen unbeeinträchtigter Gesundheit, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner mehrjährigen Schulbildung, zu im Herkunftsstaat ausgeübten Tätigkeiten sowie zum Vorhandensein sozialer Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsort Kabul) als auch die allgemeine Sicherheits- und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat (insbesondere in Kabul) betreffende Feststellungen. Dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Gefahrenprognose keine ganzheitliche Bewertung der Gefahren unter Einbeziehung der persönlichen Situation des Revisionswerbers in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat vorgenommen hätte oder bei ebendieser von den hg. Leitlinien abgewichen wäre, ist fallbezogen nicht ersichtlich.

42 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang ferner (der Sache nach) rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe sich veralteter Länderinformationen bedient, weil die Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul seit Mitte 2015 nicht berücksichtigt worden sei - und hierzu überwiegend auf Geschehnisse und Berichte vom April und Mai 2016 (sohin nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom 30. März 2016) verweist -, ist zu entgegnen, dass der Berücksichtigung der vorgebrachten und allenfalls maßgeblichen Sachverhaltsänderungen im April und Mai 2016 das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG zu beachtende Neuerungsverbot entgegen steht.

43 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Wien, am 23. Februar 2017

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