VwGH 99/20/0505

VwGH99/20/050512.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der Z A in Pichlwang, geboren am 14. Jänner 1963, vertreten durch Dr. Raimund Garber, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Feldgasse 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. April 1999, Zl. 207.724/0-VI/18/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Aserbaidschan, begründete ihren Asylantrag vor dem Bundesasylamt am 22. Dezember 1998 damit, dass sie armenischer Abstammung sei und in ihrer Heimat deswegen verfolgt werde. Die Probleme hätten am 20. Jänner 1990 begonnen, als viele Armenier, darunter auch ihr Vater, von der "Volksfront" ermordet worden seien. Ihr Haus sei angezündet und die Beschwerdeführerin brutal zusammengeschlagen worden, doch habe sie mit ihrer Mutter zu Nachbarn flüchten können, wo sie bis zu ihrer Ausreise im November 1998 hätte versteckt leben können. Im Haus der Nachbarn habe die Beschwerdeführerin als Näherin gearbeitet und nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1995 das Geld für ihre Flucht zusammengespart. Auf den Vorhalt, dass "derzeit Armenier in Aserbaidschan alleine aufgrund ihrer Abstammung nicht von staatlichen Stellen verfolgt" würden, sondern "es höchstens zu Übergriffen von Privaten" kommen könne, gab die Beschwerdeführerin an, sie fürchte im Fall der Rückkehr in ihre Heimat um ihr Leben. Aserbaidschan sei ein islamisches Land, wo sie als Christin von den Moslems, deren Organisation die "Volksfront" sei, umgebracht werde.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Jänner 1999 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Aserbaidschan gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei. Den abweisenden Teil seiner Entscheidung begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass die armenische Bevölkerung in Aserbaidschan "derzeit ... einer Gruppenverfolgung" nicht ausgesetzt sei. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die armenische Bevölkerung, speziell alleinstehende Frauen, auf Grund des Konfliktes "mit der Mehrheitsbevölkerung" in Aserbaidschan in Rechten sukzessive eingeschränkt würde. Da somit die Lebensführung der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat nicht gesichert sei, und ihr aus diesem Grund eine Rückkehr in ihre Heimat nicht zugemutet werden könne, sei ihr Abschiebeschutz zu gewähren.

In ihrer gegen den asylabweisenden Teil dieser Entscheidung erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin unter anderem darauf hin, dass ihr ermordeter Vater einer der Vorsitzenden einer armenischen Organisation, die sich für die Eigenständigkeit der Region Nagorny-Karabach eingesetzt habe, gewesen sei. Zum genannten Brandanschlag auf ihr Elternhaus brachte die Beschwerdeführerin vor, "die Leute von der Volksfront" gingen vom Tod der Beschwerdeführerin aus und würden die Beschwerdeführerin, sobald sie ihren Irrtum bemerkten, töten. Zur Situation in Armenien verwies die Beschwerdeführerin unter anderem auf Berichtsquellen, denen zufolge "Armenier das Ziel von Gewalt von gesellschaftlichen Kräften " seien, und die aserbaidschanische Regierung unfähig oder in manchen Fällen nicht willens sei, Schutz vor dieser Gewalt zu bieten.

In der von der belangten Behörde durchgeführten Verhandlung wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihre Fluchtgründe. Auf den Vorhalt, dass die für die Pogrome von 1990 verantwortliche Volksfront nach Einmarsch von Sowjettruppen in den letzten Jahren völlig an Einfluss verloren habe, antwortete die Beschwerdeführerin, dass dies die offizielle politische Seite, nicht aber die Realität sei. Die Frage des Verhandlungsleiters, ob die Volksfront derzeit überhaupt im Parlament vertreten sei, konnte die Beschwerdeführerin nicht beantworten und keine Angaben über die "sonstige politische Situation in Aserbaidschan" machen. Angesprochen auf einen im Mai 1994 in der Region Nagorny-Karabach abgeschlossenen Waffenstillstand meinte die Beschwerdeführerin, der "Krieg im Alltag" gehe weiter, und es gebe in Aserbaidschan "fast keine armenische Bevölkerung mehr".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. In den Feststellungen ihrer Bescheidbegründung folgte die belangte Behörde den Angaben der Beschwerdeführerin zu den von ihr erlebten Ereignissen im Rahmen des "anti-armenischen Pogroms" im Jänner 1990. Die Beschwerdeführerin verfüge jedoch in Bezug auf die gesamtpolitische Entwicklung in ihrer Heimat, so auch über das Ende des Pogroms nach Entsendung von Truppen des ehemaligen sowjetischen Regimes, nur über ein sehr geringes Wissen. Die aserbaidschanische Volksfront, von der die Pogrome im Jahre 1990 ausgegangen seien, habe zwischenzeitig völlig an politischem Einfluss verloren und sei im März 1995 sogar durch die Regierung verboten worden. Die Furcht der Beschwerdeführerin, die davon überzeugt sei, dass die aserbaidschanische Volksfront weiterhin ein uneingeschränktes Machtmonopol besitze, sei daher nicht objektiv begründbar. Angesichts der geänderten politischen Verhältnisse in der Heimat der Beschwerdeführerin sei vielmehr davon auszugehen, dass sie im Fall ihrer Rückkehr nach Aserbaidschan "einer zielgerichteten Verfolgung durch staatliche Stellen" nicht ausgesetzt wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde wendet im Wesentlichen ein, die belangte Behörde habe es unterlassen, Ermittlungen über die Lage der armenischen Minderheit in Aserbaidschan anzustellen. Wie schon ihre in der Berufung zitierten Berichte zeigten, sei es ihr nicht möglich oder zumutbar, staatliche Hilfe gegen das Vorgehen der aserbaidschanischen Volksfront "bzw. deren Helfeshelfer und Gönnern in der Bevölkerung" in Anspruch zu nehmen.

Bereits im Verwaltungsverfahren hat die Beschwerdeführerin, wie erwähnt, vorgebracht, dass sie als Angehörige der christlichen armenischen Minderheit in Aserbaidschan Verfolgung durch die dortige moslemische Bevölkerungsmehrheit befürchte. Auch die Erstbehörde ging in ihrer Refoulement-Entscheidung von der Beschwerdeführerin von Seiten "der Mehrheitsbevölkerung" drohenden Gefahren aus. Wenn die belangte Behörde die behauptete Verfolgungsgefahr verneint, begründet sie dies im angefochtenen Bescheid nur mit den geänderten politischen Verhältnissen in Aserbaidschan, die eine zielgerichtete Verfolgung "durch staatliche Stellen" nicht (mehr) befürchten ließe. Damit übersieht die belangte Behörde, dass eine dem Staat zuzurechnende asylrelevante Verfolgungssituation auch dann gegeben sein kann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, von "Privatpersonen" ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa die Erkenntnisse vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208, und vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509).

Nach dem Gesagten kommt es daher nicht darauf an, ob, wie die belangte Behörde feststellte, die aserbaidschanische Volksfront - als Organisation - ihre politische Bedeutung verloren hat und daher als solche Verfolgungshandlungen gegen die armenische Minderheit (von staatlicher Seite) nicht mehr setzen kann. Zu prüfen ist vielmehr, ob die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr, wie sie behauptet, aus ethnischen und religiösen Gründen Verfolgung durch die (weiterhin vorhandene) moslemische Bevölkerungsmehrheit zu befürchten hat. Darüber hat die belangte Behörde in insoweit unrichtiger Beurteilung der Rechtslage keine Ermittlungen angestellt (der Verweis auf Beilagen zur Gegenschrift der belangten Behörde kann dieses Versäumnis nicht ausgleichen) und belastete deshalb ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. September 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte