Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid Staatsangehöriger des Sudan und am 2. Dezember 1998 in das Bundesgebiet eingereist. Er hat am 3. Dezember 1998 einen Asylantrag gestellt. Bei seiner Vernehmung am 10. Februar 1999 hat er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes angegeben:
Er entstamme einer Beziehung von Geschwistern. Seine Eltern habe er nicht gekannt. Er sei bei einem Pastor aufgewachsen. Er werde von der übrigen Dorfbevölkerung nicht akzeptiert. Als Kind hätten die anderen Kinder nichts mit ihm zu tun haben wollen. Er habe sich ständig in der Kirche aufgehalten; es sei ihm nicht gestattet gewesen, die Kirche zu verlassen. Von dem Pastor habe er erfahren, dass die Dorfbevölkerung (die Leute, die "nicht in die Kirche gehen") vorhabe, ihn im Alter von 20 Jahren einem Gott zu opfern. Er fürchte also um sein Leben.
Mit Bescheid vom 18. Februar 1999 hat das Bundesasylamt den Antrag gemäß § 6 Z. 2 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, als offensichtlich unbegründet abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan zulässig sei.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung präzisierte der Beschwerdeführer, dass er durch die Mitglieder einer in seinem Heimatland verbreiteten Naturreligion mit dem Tod bedroht werde, weil er einer Inzest-Beziehung entstamme.
Mit Bescheid vom 10. März 1999 hat der unabhängige Bundesasylsenat diese Berufung abgewiesen. Die belangte Behörde führte dazu aus, dass die Furcht des Beschwerdeführers, von Anhängern einer in seinem Heimatland praktizierten Naturreligion getötet zu werden, weil er einer Inzest-Beziehung entstamme, offensichtlich nicht auf die Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzuführen sei. Diese Verfolgung gründe nämlich nicht in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers, sondern entspringe der religiösen Überzeugung der Verfolger und sei somit nicht asylrelevant. Weiters habe der Beschwerdeführer nicht dargetan, Schutz vor den Anhängern dieser Naturreligion bei den sudanesischen Behörden gesucht zu haben. Es ergäben sich keine konkreten Anhaltspunkte, dass ihm dieser Schutz verweigert würde. Darüberhinaus habe der Beschwerdeführer dem Argument der erstinstanzlichen Behörde, dass er der vorgebrachten Verfolgung durch Verlegung seines Wohnsitzes innerhalb des Sudan entgehen könne, nichts Stichhältiges entgegengesetzt.
Zur Frage der Feststellung gemäß § 8 AsylG sei ebenfalls auszuführen, dass der Beschwerdeführer die mangelnde Schutzgewährung durch staatliche Behörden nicht dargetan habe und sich die Verfolgung nicht auf das gesamte Staatsgebiet beziehe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist u.a. der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist (Z. 2).
Die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe sind: Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung.
Da die belangte Behörde den Asylantrag bereits deswegen gemäß § 6 Z. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen hat, weil die behauptete Verfolgungsgefahr offensichtlich nicht auf die zitierten Gründe zurückzuführen sei, braucht vorliegend nicht darauf eingegangen zu werden, ob die weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, insbesondere ob staatliche Stellen des Sudan vor der vorgebrachten Verfolgung ausreichend Schutz gewähren und ob eine inländische Fluchtalternative besteht, weil diese Begründungsteile nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung erlangten. Weiters ist es dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt, auf den am 24. Juni 1999 vorgelegten Bericht der Bundespolizeidirektion Wien vom 10. Juni 1999 einzugehen, wonach der Beschwerdeführer tatsächlich einen anderen Namen trage und bereits 1970 geboren sei.
Die belangte Behörde hat aus folgenden Gründen insoweit die Rechtslage verkannt, als sie die Auffassung vertrat, die Verfolgung von Personen, welche aus Inzest-Beziehungen stammen, sei offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen:
Bei der in der zitierten Bestimmung der Konvention genannten "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese (Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I, 1966, Seite 219; Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999) RZ 406).
Kälin (Grundriss des Asylverfahrens, 1990, Seite 96 f) versteht unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten.
Im "Gemeinsamen Standpunkt" des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (abgedruckt bei Rohrböck a.a.O. RZ 407) wird zum Begriff der "sozialen Gruppe" ausgeführt: "Eine bestimmte soziale Gruppe umfasst in der Regel Personen mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Gewohnheiten oder ähnlichem sozialen Status."
Der kanadische Oberste Gerichtshof (Supreme Court) qualifizierte in den von Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2, 1996, S. 359f, dargestellten Entscheidungen Frauen aus China, die bereits (mehr als) ein Kind haben und deshalb mit zwangsweiser Sterilisierung rechnen müssen, als soziale Gruppe. Dieser Gerichtshof fand eine Definition des Begriffes der sozialen Gruppe, die drei Personenkreise umfasst, wobei einer dieser Kreise von Personen gebildet wird, die sich durch ein gemeinsames angeborenes oder unabänderliches Merkmal, wie z.B. Geschlecht, sprachliche Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung, auszeichnen.
Bei der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung auf Grund der Abstammung aus einer Inzest-Beziehung läge nach allen obigen Definitionen - ungeachtet ihrer Unterschiede im Detail - jedenfalls eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten, wenn auch sehr kleinen sozialen Gruppe vor. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in dem von ihm bewohnten Dorf das einzige Mitglied dieser Gruppe ist, macht keinen Unterschied.
Soweit der Asylantrag gemäß § 6 Z. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde, war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Aufgrund der "ex tunc"-Wirkung dieses Ausspruches befindet sich das Verfahren im Berufungsstadium, weshalb eine abweisende zweitinstanzliche Entscheidung über den Asylantrag als Voraussetzung für eine Entscheidung der belangten Behörde gemäß § 8 AsylG fehlt. Der angefochtene Bescheid war daher auch insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, als die belangte Behörde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan feststellte.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Oktober 1999
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