AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2196719.1.00
Spruch:
L526 2168073-1/ 13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, Zl. XXXX
, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
3.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX und XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
4.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX und XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
5.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX und XXXX , diese vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
I.1. I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als "BF1" bis "BF5" bezeichnet) sind Staatsangehörige der Türkei. BF1 bis BF4 brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 7.2.2017 (BF1) und am 15.3.2017 (BF2 bis BF4) bei der belangten Behörde (in weiterer Folge kurz "bB" genannt) Anträge auf internationalen Schutz ein. Für die in Österreich geborene BF5 wurde am 20.4.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.
I.2. Der männliche BF1 und die weibliche BF2 sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen BF3 bis BF5.
I.3. Anlässlich seiner Einvernahme durch die Landespolizeidirektion Oberösterreich brachte BF1 im Wesentlichen vor, er habe sein Land verlassen, da er Kurde sei und zur kurdischen Partei in XXXX gehört hätte. Er hätte Angst vor der Polizei gehabt und sei deshalb geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von den türkischen Behörden umgebracht zu werden. Zur Frage, ob er ein bestimmtes Reiseziel hatte und warum er dieses bestimmte Land erreichen habe wollen, gab BF1 an, es sei Österreich gewesen; Österreich gefalle ihm einfach.
BF2 gab vor der Landespolizeidirektion Oberösterreich an, sie habe ihr Land wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verlassen, derentwegen sie in der Türkei keine Chance auf Arbeit und ein gutes Leben habe; sie habe auch zu ihrem Gatten gewollt. Zur Frage nach ihrer Rückkehrbefürchtungen gab BF2 an, sie habe keine Perspektiven in der Türkei; sie habe auch Angst vor der dortigen Polizei, da ihre Schwester und ihr Onkel wegen der Polizei verstorben seien.
Anlässlich seiner Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF1 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):
"[...]
LA: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?
VP: Die Kinder haben eigentlich auch Probleme zB in der Schule. Sie werden unterdrückt, dass sie nicht Kurdisch reden sollen. Aber ich würde sagen, sie sind mit uns gekommen.
LA: Sind Ihre Kinder gesund?
VP: Ja.
LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?
VP: Mutter und Vater sind verstorben. Geschwister: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX . Wie alt sie sind weiß ich nicht genau.
LA: Haben Sie noch Onkeln Tanten, Cousins oder Cousinen?
VP: Ich hatte einen Onkel väterlicherseits, er ist aber bereits gestorben. Drei Onkeln mütterlicherseits, sind auch alle bereits gestorben. Ich habe keine Tanten.
LA: Haben Sie Cousins oder Cousinen?
VP: Ich habe schon Cousins..ich habe viele.
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten?
VP: Zur Zeit nicht.
LA: Also gegenwärtig besteht kein Kontakt zu Ihren Geschwistern in der Türkei?
VP: Nein.
LA: Wann kommunizierten Sie zuletzt mit Ihren Geschwistern in der Türkei?
VP: Bevor ich nach Österreich kam habe ich mit einem Bruder, der in XXXX gesprochen, mit den anderen auch nicht.
LA: Gibt's dafür irgendeinen Grund?
VP: Es gibt keinen Grund dafür, das ist einfach so.
LA: Grundsätzlich verstehen Sie sich mit Ihren Geschwistern?
VP: Das schon, ja.
LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?
VP: XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX leben in unserem Dorf, XXXX in XXXX , XXXX und XXXX in Istanbul
LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!
VP: XXXX . Das gehört zu XXXX . Meine Straßennummer weiß ich nicht mehr.
LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?
VP: Nur hier.
LA: Wie lange lebten Sie dort?
VP: 2004 bin ich von der Heimat weggegangen, also seit 2004 habe ich dort gelebt.
LA: Sie haben dort 13 Jahre gelebt und können sich an die Straße nicht mehr erinnern?
VP: Ich bin generell vergesslich. Ich weiß, dass das mit 2000 begann, aber ich kann mich nicht mehr erinnern...2507 vielleicht.
LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?
VP: Mit meiner Frau und meinen Kindern.
LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
VP: Kurz gesagt habe ich so viel erlebt. Aber soll ich bei meiner Kindheit beginnen?
LA: Wie Sie möchten.
VP: Ich konnte die Schule als Kind nicht besuchen, unsere Schulen wurden oftmals angezündet, obwohl ich sehr gerne wollte, konnte ich deshalb die Schule damals nicht abschließen. Als ich beim Militär war starb meine Mutter. Ich bin zur Beerdigung gegangen. Als ich von dort zurückkam wurde ich zusammengeschlagen. Als ich bei der Beerdigung meiner Mutter war, gab es einen Kampf zwischen Soldaten und den Leuten in den Bergen. Man hat 16 Leichen gebracht und sogar am Boden geschleift. Ich konnte aus diesem Grund nicht rechtzeitig zum Militär zurückkehren. Wie gesagt als ich wegen meiner Mutter in der Heimat war bin ich einen Tag zu spät gekommen und ich hätte am Abend Bescheid geben sollen, das konnte ich aber nicht. Nur aus diesem Grund haben sie mich vor allen anderen Soldaten zusammengeschlagen und erniedrigt. Meine Ehre war beleidigt. 2014 übersiedelte ich nach XXXX . Dort erlebte ich auch viele Probleme. Vor allem wirtschaftliche Probleme. Weil ich Kurde war fand ich keine Arbeit. Ich sollte nicht falsch verstanden werden: ich habe schwarz gearbeitet, einen guten Job fand ich nie. Ich habe als Hilfsarbeiter gearbeitet, um das Brot für meine Kinder zu verdienen. zB habe ich auf meinem Rücken große Kühlschränke in den 13. Stock tragen müssen. Wie kann man einen Kühlschrank in den 13. Stock tragen? Aber ich habe das gemacht, weil ich sonst nichts gefunden habe. (VP sagt nichts)
LA: Bitte reden Sie weiter.
VP: Als ich ein Kind war, das habe ich vorher vergessen, zB auf einer Seite des Flusses war ich mit meinen Schafen, auf der anderen Flussseite waren die Sicherheitsbehörden. Sie haben immer absichtlich in unsere Richtung geschossen. Ich habe damals immer wieder Angst gehabt, von einer Kugel getroffen zu werden. Sie haben das spaßhalber gemacht, aber ich hatte Angst, für mich war das kein Spaß.
LA: Bitte reden Sie weiter.
VP: Ehrlich gesagt, ich habe viel erlebt, viel gesehen, viel gehört. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich euch erzählen soll. Man hat einmal meinen Vater, er war alt und schwach, aufs Polizeirevier nur deshalb mitgenommen, weil er Kurde ist. Nicht nur mein Vater, auch die Nachbarn, ich meine damit, solche Ereignisse haben wir immer wieder erlebt, immer wieder gesehen, sie haben sie nur mitgenommen in der Absicht "ihr helft der PKK". Ob das stimmt oder nicht war ihnen egal.
LA: Relevant für mich ist, wieso Sie sich letztlich entschieden haben, Ihr Land zu verlassen. Also welche Ereignisse letztlich dazu führten, dass Sie nach Österreich ausgereist sind.
VP: Wie gesagt: die Gründe, die ich gesagt habe, noch dazu habe ich immer Druck von der Polizei bekommen. Sie haben mich nicht in Ruhe gelassen. Deshalb musste ich das Land verlassen.
LA: Das heißt, Sie verließen Ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen und weil Sie von der Polizei schikaniert wurden, verstehe ich das richtig?
VP: Eher wegen des polizeilichen Drucks.
LA: Wie kann ich mir den Druck vorstellen und warum wurde dieser "Druck" überhaupt ausgeübt?
VP: Sie behauptete, du bist ein Kurde und ich würde auch die politische Partei unterstützen. Nachdem ich die Partei unterstütze und Kurde bin haben sie mich immer ausgeschlossen. Wie ich schon erzählte, dann bin ich hierhergekommen und habe um Asyl angesucht.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Ich kann mich nicht an weiteres erinnern, wie ich sagte, ich vergesse sehr schnell. Vielleicht fällt mir in der nächsten Minute wieder etwas ein.
LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?
VP: Wie soll man Beziehung verstehen? Ich habe sie nicht praktisch unterstützt, aber als Kurde hatte ich schon Sympathien. Ich habe sie auch mündlich unterstützt, aber ich bin nicht in die Berge gegangen und habe mitgekämpft.
LA: Sie meinten, die Polizisten hätten Ihnen unterstellt, die "politische Partei" unterstützt zu haben. Welche Partei war damit gemeint?
VP: Die kurdische Partei HDP.
LA: Haben Sie die HDP unterstützt?
VP: Ja.
LA: Waren Sie offiziell Parteimitglied?
VP: Ich war Mitglied, jetzt bin ich es nicht mehr. 2015 ist - wie ihr wisst - das Parteigebäude komplett verbrannt, alle Unterlagen, auch meine Daten sind verbrannt.
LA: Das heißt es gibt keine Daten mehr darüber, dass Sie bei der HDP waren?
VP: Ich habe nichts mehr gefunden, was ich anfordern konnte. Nicht nur die Partei, auch die Nachbargeschäfte sind komplett verbrannt.
LA: Bei welcher "Zweigstelle" der HDP waren Sie aktiv?
VP: In XXXX .
LA: Waren Sie nur Mitglied oder hatten Sie in der HDP auch Aufgaben?
VP: Ich war nur Mitglied.
LA: Waren Sie - aus welchen Gründen auch immer - bekannt als Aktivist für die Rechte der Kurden?
VP: Ich war nicht Aktivist, ich hätte es sein wollen, aber das lässt man bei uns nicht zu. Kaum will man etwas für die Kurden machen, wird man gestoppt.
LA: Waren Sie einer breiteren Öffentlichkeit aufgrund Ihrer politischen Tätigkeiten bzw. aufgrund Ihrer Parteimitgliedschaft bekannt?
VP: Bekannt insofern, dass ich immer am Newroz teilgenommen habe und an Parteiveranstaltungen und Meetings. Überall habe ich teilgenommen.
LA: Wie viele Teilnehmer hatten diese Veranstaltungen circa?
VP: Es war immer unterschiedlich, obwohl es XXXX war und kein kurdisches Gebiet haben immer so ungefähr 2.000 Menschen teilgenommen.
LA: Können Sie einen Mitgliedsausweis oder dergleichen vorlegen?
VP: Nein.
LA: Können Sie mir etwas über Ihre Politisierung erzählen?
VP: Ich habe eine, wie sagt man, herzliche Verbindung zur kurdischen Partei, weil ich selbst auch Kurde bin und wir hatten eine kurdische Partei, die die Kurden vertritt. Deswegen unterstützte ich diese Partei. Und so viel von meiner Politisierung.
LA: Sie sagten mir vorhin, die Polizei hätte Druck auf Sie ausgeübt. Könnten Sie mir bitte näher erläutern, wie dieser "Druck" konkret aussah?
VP: Vor allem haben sie.. meistens haben sie gesagt, "ihr seid alle PKK". Obwohl ich Kurde bin, gibt es keine Beweise dafür, dass ich PKK-Kämpfer oder Sympathisant bin, aber sie sagten immer "ihr PKK", damit haben sie mich erniedrigt. Das sagten sie in einem erniedrigenden Tonfall. Ich wurde beobachtet.
LA: Inwiefern wurden Sie beobachtet?
VP: Zum Beispiel wenn wir an Newroz oder an anderen Veranstaltungen teilgenommen haben, haben sie beobachtet, wer teilnimmt..wer schreit. Deswegen sage ich, dass wir generell unter Beobachtung waren.
LA: Das heißt aber, Sie wurden nur als Mitglied dieser Gruppe bei Veranstaltungen beobachtet und nicht eigens observiert. Verstehe ich das richtig?
VP: Ich wurde schon ein paar Mal beobachtet 1:1 und sie haben mir den Ausweis weggenommen und kurz einvernommen nachdem sie etwas Negatives gefunden haben, haben sie mich wieder freigelassen. Zum Beispiel als ich als Hilfsarbeiter gearbeitet habe, haben wir auch Aufträge für Polizisten bekommen und sie sagten zu unserem Arbeitgeber, dass sie überhaupt keine Kurden beauftragen sollen, sie wollen keine Kurden in ihrem Haus sehen.
LA: Wie oft wurden Sie einvernommen?
VP: Zwei Mal.
LA: Wann war das jeweils?
VP: Kurz bevor ich nach Österreich kam.
LA: Wie lange dauerte die Einvernahme?
VP: Circa 15 Minuten.
LA: Worum ging es in der Einvernahme?
VP: "du bist Kurde". Ich habe sonst nichts angestellt, meine Schuld ist nur, dass ich Kurde bin.
LA: Wurden Sie im Rahmen der Einvernahme geschlagen oder bedroht?
VP: Geschlagen nicht, bedroht aber schon.
LA: Wie wurden Sie bedroht?
VP: "Warum seid ihr nicht in XXXX geblieben, sondern in unsere Stadt gekommen, wir werden euch vernichten".
LA: Wie wirkte sich dieser "Druck" auf Ihr Leben aus?
VP: Ehrlich gesagt, wenn ich Polizisten sehe, habe ich aufgrund dieses Drucks Angst vor Polizisten. Obwohl ich jetzt hier in Österreich lebe habe ich Angst vor Polizisten. Einmal - ich kann es nicht beweisen - hat er seine Waffe gezogen, er wollte fast schießen. Ich bin mit meinem Bruder mit dem LKW gefahren, er hat gemeint, wir hätten ihm den Vorrang geben müssen "seid ihr Kurden alle so ungebildet und wisst nicht, wer Vorrang hat". Er war gleich so sauer und hat seine Pistole gezogen, nur weil ich nicht stehen geblieben bin.
LA: Woran hat er Sie als Kurde erkannt?
VP: Er ist ein Stückchen gefahren, dann wiedergekommen, inzwischen haben wir an der Seite geparkt und unter uns Kurdisch gesprochen, er muss es an meinem Dialekt bemerkt haben.
LA: Gab es sonst noch Angriffe oder Drohungen seitens Polizeibeamter gegen Sie?
VP: Ich muss überlegen. (VP überlegt) (VP schüttelt den Kopf) Mir fällt nichts ein.
LA: Gab es allgemein Drohungen gegen Sie persönlich?
VP: Außer diese Ereignisse nicht.
LA: Gab es allgemein Angriffe gegen Sie persönlich?
VP: Nein, persönlich nicht. Weil ich ein Kurde war ja, aber persönlich oder direkt nicht.
LA: Also wurden Sie nicht körperlich angegriffen, wenn ich Sie richtig verstehe?
VP: Körperlich angegriffen nicht, nein.
LA: Was hat Sie davon abgehalten, in einen kurdischen Landesteil zu ziehen?
VP: Wo gibt es kurdische Gebiete bitte? Es wird überall bombardiert. In Ostanatolien gab es fast keine Kurden mehr, die sind überall verstreut. In Dörfern vor allem, in ostanatolischen Dörfern lebt fast keiner mehr.
LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich habe Angst um mein Leben, ich habe Angst um die Zukunft meines Kindes. Die Psychen meiner beiden Kinder sind sehr schlecht. Sie haben solche Angst vor Polizisten. Ich würde gerne ein Ereignis erzählen: Vor zwei Wochen hat die Caritas uns ein Schreiben gegeben, dass wir die Kinder für die Schule anmelden sollen. Ich war mit den Kindern an dieser Adresse. Ich habe diese Adresse stundenlang nicht gefunden. Da sagte ich zu meinen Kindern, gehen wir zum Polizeirevier. Da ist einer, die sollen uns helfen. Meine Kinder haben dann angefangen zu weinen, weil sie solche Angst vor Polizisten haben. Diese Angst kam aus der Heimat.
LA: Fürchten Sie um Ihr Leben aufgrund der bereits geschilderten Ereignisse oder haben Sie noch weitere Gründe, um Ihr Leben zu fürchten?
VP: Aus den Gründen, die ich bereits erzählt habe.
LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?
VP: Ja, viele. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin. Ich konnte nicht einmal sagen, wer ich bin: ich bin Alevit, ich konnte aber nicht sagen, dass ich Alevit bin. Könnt ihr euch vorstellen, welche psychische Belastung das ausmacht?
LA: Bei der Polizei sagten Sie, Sie wären Sunnit.
VP: Es war ein Missverständnis zwischen mir und dem Dolmetscher. Ich habe gesagt "Ich bin kein Sunnit", er hat mich vielleicht umgekehrt verstanden, oder ich habe ihn umgekehrt verstanden. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin, einer von uns muss einen Fehler gemacht haben. Er hat mich nicht 1:1 gefragt, ob ich Alevit oder Sunnit bin. Er hat mich gefragt, ob ich Schiit bin irgendwie so ist das passiert. Aber ich bin Alevit.
LA: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihres Alevitentums?
VP: Sie denken über Aleviten, Aleviten sind keine Muslime, sie sind Ungläubige. Sie fasten nicht, sie beten nicht. Sie haben keinen guten Eindruck von Aleviten generell. Wir wurden als Aleviten immer von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich wollte Mitglied einer alevitischen Vereinigung sein, aber nur aus diesem Grund war ich nie ein offizielles Mitglied.
LA: Gab es körperliche Übergriffe oder Drohungen auf Sie, weil Sie Alevit sind?
VP: Ich hatte immer Probleme bei den Behörden als Alevit. Und außerdem gab es private Diskussionen über Aleviten. Wie schon gesagt: wir wurden generell als Alevit ausgeschlossen.
LA: Wovon wurden Sie ausgeschlossen?
VP: Die Moslems, die sich als Moslems bezeichnen, hatten uns ausgeschlossen. Sie wollten mit uns nicht unbedingt zusammen sein, weil wir Aleviten sind, weil wir nicht beten, weil wir nicht fasten.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen, die Sie mir heute noch nicht geschildert haben?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?
VP: Nein, ich war nur Mitglied der Partei, sonst nirgends. Daher keine Probleme.
LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?
VP: So behördlich oder gerichtlich nicht. Aber behördlich wie oben erwähnt mit der Polizei und so.
LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?
VP: Drei Tage bevor ich hier in Österreich um Asyl angesucht habe.
LA: Also am 04.02.2017.
VP: Am 07.02.
LA: Am 07.02. haben Sie den Antrag gestellt. Drei Tage zuvor wäre der 04.
VP: Es muss der 03. oder 04. gewesen sein.
LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?
VP: Ich war in einem geschlossenen Laderaum, in einem kleinen LKW. Ich weiß nicht, über welche Länder ich gekommen bin, da der Laderaum geschlossen war.
LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?
VP: Nur den kleinen LKW. Wir sind nicht einmal ausgestiegen.
LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?
VP: Illegal.
LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?
VP: Drei oder vier Tage.
LA: Also Sie waren drei oder vier Tage durchgehend in dem kleinen Laderaum?
VP: ja.
LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?
VP: 5.000 Türkische Lira.
LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?
VP: Ich wollte hierher nach Österreich. Ich habe nicht an ein anderes Land gedacht.
LA: Warum gerade Österreich?
VP: Ich hörte, dass Österreich ein schönes Land ist und man hat über Österreich nur positiv gesprochen.
LA: Was genau erzählt man sich über Österreich?
VP: Dass es ein kleines Land ist, das schön und ruhig ist. Menschenrechte, Kinderrechte und Frauenrechte herrschen in Österreich.
LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?
VP: Nein, ich bin das erste Mal nach Österreich gekommen.
LA: Wo ist Ihr Reisepass?
VP: Ich habe keinen.
LA: Sind Sie zum ersten Mal im Ausland?
VP: Ja.
LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Ja. Meine Brüder.
LA: Wo leben Ihre Brüder?
VP: Einer lebt in XXXX , einer in XXXX . Die Schwester meiner Frau ist in XXXX . Ich habe auch einen Cousin, der in XXXX wohnt.
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in Österreich?
VP: Am Anfang nicht, dann ist mein Bruder irgendwann zu mir gekommen nachdem er hörte, dass ich schon hier bin.
LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: In Deutschland habe ich zwei Schwestern. Sonst nichts.
LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.
VP: Vier Jahre. Nachdem meine Schule abgebrannt war konnte ich nicht mehr.
LA: Wie haben Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Als Hilfsarbeiter, es war eine sehr schwierige Arbeit.
LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?
VP: Mittelmaß
LA: Waren Sie zuletzt arbeitslos?
VP: Ja, offiziell arbeitslos, aber bei dieser Hilfsarbeit hat man einen Tag Arbeit, dann drei Tage nichts, dann war immer wechselhaft.
LA: Wie konnten Sie sich Ihre Flucht leisten?
VP: Ich habe viel gespart, ich habe jeden Groschen gespart.
LA: Haben Sie explizit auf Ihre Flucht hin gespart?
VP: Ja. Auch nicht unbedingt, man spart, man denkt, irgedwann gibt es eine Not und spart deswegen.
LA: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, Ihr Land zu verlassen?
VP: Bevor ich herkam, vier, fünf Tage vorher.
LA: Haben Sie sonst noch Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?
VP: Nein. Eine Schwester in XXXX . XXXX und XXXX haben wir gesagt, XXXX haben wir nicht gesagt.
LA: Also haben sowohl Sie als auch Ihre Frau jeweils eine Schwester in XXXX ?
VP: Ja, stimmt.
LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?
VP: Nein.
LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?
VP: Ich besuche einen Deutschkurs und lerne auch mit den Kindern Deutsch.
LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Sprechen Sie Deutsch?
VP: (auf Deutsch) Sprechen Sie Deutsch? (VP zuckt mit den Schultern)
LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Wie heißen Sie?
VP: (auf Deutsch) Wie heißen (VP sagt einige Worte auf Türkisch) (auf Deutsch) 37 Jahre alt.
LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?
VP: Ich habe keinen österreichischen Freundeskreis, es ist mir peinlich, dass ich die deutsche Sprache nicht kann. Wir müssen so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen, wenn ich im Krankenhaus bin kann ich mich selbst nicht äußern, dann bin ich sehr traurig. Ich möchte so gerne die deutsche Sprache lernen.
LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?
VP: Nein.
LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?
VP: Ich denke nicht zurückzukehren. Aber wenn ich was sagen soll: die Rechte müssen für jeden gleich sein, dass man in der Schule auch die eigene Sprache reden kann und solche Rechte.
LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?
VP: Bis jetzt nein. Die lächeln alle, es erniedrigt mich keiner hier. Deshalb läuft alles gut.
LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?
VP: Ich habe mein ganzes Leben sehr schwer gearbeitet als Hilfsarbeiter und mich juckt es, wenn ich zur Caritas gehe und Taschengeld erwarte, ich möchte gerne arbeiten dürfen und arbeiten und für meine Kinder Brot nach Hause bringen.
LA: Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?
VP: Nachdem ich nicht arbeiten darf muss ich warten, bis die Caritas mir Taschengeld gibt.
[...] "
Anlässlich ihrer Einvernahme vor bB am 5.7.2017 gab BF2 Folgendes an (Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll der bB):
" [...]
LA: Stimmen die Angaben, die Sie bisher im Verfahren getätigt haben?
VP: Ja. Bei der Polizei hatte ich bei der Polizei ein bisschen Angst. Sie haben mich damals nach meinen Brüdern gefragt, nach deren Alter. Da habe ich bestimmt falsche Antworten gegeben.
LA: Nennen Sie bitte Ihre Daten zu Familienstand, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Volksgruppe, Religionszugehörigkeit!
VP: Verheiratet, XXXX , ich bin Kurdin, ich habe keinen Pass,
LA: Aber Sie sind türkische Staatsangehörige.
VP: Kurdin.
LA: Religionszugehörigkeit?
VP: Islam
LA: Sunnit, Schiit, Alevit?
VP: eher Alevit.
LA: Haben Sie Kinder?
VP: Ja. Zwei.
LA: Habe Ihre Kinder eigene Fluchtgründe oder berufen sich Ihre Kinder auf Ihre Fluchtgründe?
VP: Ich habe sie gebracht.
LA: Haben Ihre Kinder auch Probleme in der Türkei?
VP: Mein Sohn hat einige Probleme erlebt. Dazu kommen wir eh noch, warum und wieso.
LA: Welche Probleme haben Ihre Kinder?
VP: Mein Sohn heißt Baran. Wenn Sie untereinander Kurdisch gesprochen haben in der Schule hat er vom Lehrer immer Schimpfe bekommen, dass sie nicht Kurdisch reden sollen, dass Kurdisch reden verboten ist. Und dadurch war mein Sohn Baran immer traurig.
LA: Welche Angehörigen haben Sie in der Türkei und wie alt sind diese?
VP: Meine Mutter ( XXXX ) ist circa 65, Vater ( XXXX ) circa 75, Geschwister: Filiz ( XXXX ) circa 38, XXXX ( XXXX ) circa 37, Kemal ( XXXX ) circa 34, XXXX ( XXXX ) circa 40, XXXX ( XXXX ) circa 24; beim Alter bin ich mir nicht ganz sicher wie gesagt, das ist nur ungefähr; XXXX ist bereits gestorben. Zwei Onkel väterlicherseits, fünf Onkel mütterlicherseits in der Türkei, zwei Tanten mütterlicherseits in der Türkei, drei Tanten väterlicherseits
LA: Haben Sie Kontakt zu Ihren Verwandten in der Türkei?
VP: Mit allen nicht, aber mit meiner Mutter und meinen Geschwistern schon. Mit den restlichen nicht so. Ein Onkel von mir ist ums Leben gekommen im Kampf.
LA: Wie häufig und auf welchen Kommunikationswegen haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?
VP: Mit der Mutter und dem Vater meistens telefonisch. Jede zweite Woche meisten.
LA: Wo leben Ihre Angehörigen in der Türkei?
VP: (Anm.: Frage bereits beantwortet, daher nicht gestellt)
LA: Nennen Sie mir bitte Ihre Wohnadresse in der Türkei!
VP: XXXX . Die Nummer müsste 507 sein, ich weiß es nicht genau.
LA: Gab es noch andere Adressen in der Türkei?
VP: Bis 2004 hatte ich in XXXX eine Adresse, aber aktuell war nur eine. Davor habe ich in XXXX eine andere Adresse gehabt, eine Mietwohnung.
LA: Aber an der gerade genannten Adresse haben Sie zuletzt gewohnt?
VP: Ja, stimmt.
LA: Mit wem haben Sie in der Türkei zusammengewohnt?
VP: Mit meinem Gatten und meinen Kindern.
LA: Sie haben heute Gelegenheit, die Gründe für Ihren Antrag auf internationalen Schutz ausführlich darzulegen. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Ihre Gründe so detailliert zu schildern, dass diese auch für eine unbeteiligte Person nachvollziehbar sind. Schildern Sie bitte, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
VP: Als ich ein kleines Kind war, wollte ich so gerne die Schule besuchen, studieren, bin auch in die Schule gegangen. Unsere Schule wurde abgebrannt von Soldaten mit der Absicht, das sei ein Dorf von lauter PKK-Anhängern. Die Soldaten haben unsere Schule abgebrannt, deswegen haben auch die Lehrer Angst gehabt und kein Lehrer wollte mehr zu unserer Schule kommen. Die Familie, diejenigen, die wirtschaftlich in einer guten Lage waren, haben ihre Kinder in einen Bezirk geschickt, wo sie die Schule besucht haben. Mein Vater war ein armer Mann, deswegen konnte er mich nicht an eine Schule in einer anderen Stadt schicken, deswegen konnte ich auch die Schule nicht abschließen. Irgendwann, drei, vier Personen von unserem kleinen Dorf, haben sich der PKK angeschlossen. Und nachdem das bekannt wurde, wurden wir von Behörden vor allem von Soldaten unter Druck gesetzt unser kleines Dorf. Und wir bekommen weder Brot noch andere wichtige Nahrungsmittel. Ich kann mich ganz gut erinnern, als ich jung war haben wir drei Tage nichts zu essen gehabt. Mein Onkel mütterlicherseits wurde getötet von Soldaten mit der Absicht, dass er PKK-Anhänger ist. Dann heiratete ich meinen jetzigen Mann irgendwann in unserem kleinen Dorf. Dann siedelten wir nach XXXX mit ihm. In XXXX hatten wir auch kein einfaches Leben gehabt, wie ich schon sagte, ich konnte nicht in die Schule gehen bzw. diese nicht abschließen. Ich konnte nicht richtig lesen und schreiben. Und ich wurde auch in XXXX auch immer von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Und sie sagten zu mir immer "du bist eine Kurdin", sie wollten mit mir nicht viel zu tun haben. Mein Mann fand auch damals keine Arbeit, er hat so schwer gearbeitet. Mein Mann hat immer inoffiziell der kurdischen Partei geholfen und deshalb haben sie ihn meiner Meinung nach auch nicht in Ruhe gelassen. Meine große Schwester war schwer krank, wir wollten sie nach XXXX bringen. Mein Vater und mein Bruder haben sie hingebracht, ich war nicht dabei. Sie wurden von Soldaten auf dem Weg aufgehalten. Die Soldaten waren so böse und grantig auf meinen Vater und meine Schwester und meine Familie, die dabei waren. Die müssten so einen Druck ausgeübt haben, dabei bekam meine Schwester einen Herzinfarkt und starb auf der Stelle. Mein Vater hat auch diese Soldaten damals angezeigt. Aber es ist leider nichts geworden. Wie gesagt, es ist nichts geworden, weil die Soldaten...wer kann Soldaten etwas antun? Mein Onkel wurde getötet, das war eine traurige Zeit für uns, daraufhin meine Schwester, sie wurde getötet oder war wegen der Soldaten tot. "Trauer auf Trauer" sozusagen. Wie soll ich sagen, mein Leben bis heute ist so vergangen: mein Leben war immer bitter. Unterdrückung, Armut. Es war ein sehr bitteres Leben. Alles, was ich erlebt habe, hat bei mir eine Spur hinterlassen. Egal, wie gut es mir hier geht in Österreich, ich kann meine Vergangenheit nicht vergessen. Ich habe vielleicht bis jetzt wenig erzählt, aber ich habe viel Negatives erlebt.
LA: Wann sind Ihr Onkel und Ihre Schwester gestorben?
VP: Das Datum kann ich nicht sagen, aber ich war 13 Jahre alt. Jetzt bin ich 30. Ich glaube, es war 2007 als meine Schwester starb.
LA: Gibt es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu gebracht hat Ihr Land zu verlassen?
VP: Wir haben ganz großen Druck von Soldaten erlebt. Sie haben uns kein essen gegeben. Sie haben uns nur ein Brot für die ganze Familie gegeben. In der Woche ein Kilo Reis. Sie haben meine Mutter geschlagen. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt. Ich habe meine Kindheit nicht erlebt, das war kein Leben für mich. Bis XXXX war es in meiner Heimat sowieso kein Leben für mich. Ich habe ein Leben wie eine Sklavin gelebt unter dem ständigen Druck von Soldaten. Ich dachte, in XXXX hätten wir Ruhe, in XXXX hat sich auch nicht viel geändert.
LA: Wie alt waren Sie als die Soldaten Sie unterdrückt haben?
VP: Seit meinem Schulalter. Ständig und durchgehend. Ich kann mich noch erinnern, ich war klein, sie haben meine Mutter und meinen Vater vor meinen Augen geschlagen.
LA: Wie haben die Soldaten Sie in letzter Zeit unterdrückt? Also nicht als Sie ein Kind waren, sondern in letzter Zeit.
VP: Sie haben oftmals meinen Mann mitgenommen zum Gendarmerierevier. Ohne Grund. Ich hatte kein gutes Leben. Mein Mann war auch schwer krank als wir nach XXXX siedelten.
LA: Jetzt haben Sie mir gesagt, dass Ihr Mann öfters mitgenommen wurde. Wurden Sie selbst auch unterdrückt?
VP: Ich wurde nicht zum Revier gebracht, aber ich habe mitgelitten. Sie sind oft auch zu uns gekommen und haben unser Haus durchsucht. Jedes Mal hatte ich Angst vor ihnen, sie waren bewaffnet.
LA: Wie oft wurde Ihr Haus durchsucht?
VP: Fast jede Woche. Nicht nur unser Haus, das ganze Dorf.
LA: Wann war das?
VP: Ja, bis 2002. 2002 war noch schlimmer. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Sie nannten unser Dorf "Dorf der PKK". Und alle Jugendlichen haben unser Dorf wegen des Drucks verlassen. Es leben nur mehr alte Leute dort.
LA: Wann wurden Sie das letzte Mal von türkischen Soldaten oder Polizisten drangsaliert?
VP: Mein Mann war hier in Österreich, das letzte Mal sind sie in XXXX zu uns gekommen. Man nennt das "Frühuntersuchung", das ist gegen 3 oder 4 in der Früh. Sie sind plötzlich vor der Tür gestanden, ich sagte, mein Mann ist nicht zu Hause, sie haben meinen Mann gesucht. Sie haben mich auf die Seite geschubst, ich bin runtergefallen, meine Kinder haben das gesehen und Angst bekommen. Seitdem ist ihre Psyche nicht mehr so gut.
LA: Haben Sie davon Ihrem Mann erzählt?
VP: Ich kann mich nicht erinnern. Mein Mann war ja hier und seine Psyche war auch nicht so gut. Es kann sein, dass ich ihm davon nicht erzählt habe. Ich habe ihm nur gesagt, dass Polizisten da waren und ihn gesucht haben, ich habe ihm das nicht detailliert erzählt. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen um uns macht. Nach diesem Ereignis hat er gesagt, "wenn du es schaffst, dann versuchst du zu mir zu kommen".
LA: Was wollten die Soldaten?
VP: Es waren Polizisten und Soldaten. Sie haben meinem Mann gesucht, sie wollten nichts von mir. Sie haben irgendeinen Beweis gesucht, sie haben das Haus durchsucht. Ich als ein Mensch, normalerweise sollte man vor der Polizei keine Angst haben, aber ich hasse Polizisten und Gendarmen bis es nicht mehr geht, weil ich seit meiner Kindheit nur Negatives gesehen und gehört habe.
LA: Warum ist Ihr Mann für die Polizisten bzw. Soldaten interessant gewesen?
VP: Mein Mann erzählt mir natürlich auch nicht alles. Es kann sein, dass die Polizisten etwas über meinen Mann wissen, was ich nicht weiß. Mein Mann sagte immer wieder, ich muss mich retten, ich muss raus aus der Türkei. Mein Mann wollte immer Mitglied bei der Partei sein, er wurde es aber nie, weil wenn man legal Parteimitglied ist, kommt man sowieso sofort drauf. Schauen sie sich die letzten zwei Jahre an. Die letzten zwei Jahren ist die Türkei ganz anders geworden, man sucht nur einen kleinen Beweis, wenn du der Partei hilfst, dann bist du in ihren Augen ein Terrorist. Die Behörden suchten einen kleinen Beweis, um dich verhaften zu können. Bei den letzten Wahlen, beim Referendum, hat man in unserem Dorf alle Jugendlichen gesammelt und ins Gefängnis gesteckt, damit sie nicht zu den Wahlen gehen können. Der Rassismus wird in der Türkei immer größer.
LA: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
VP: Nein. Nur das, was ich schon erzählte. Reichen die nicht?! Verstehen Sie mich nicht falsch, seien Sie nicht böse wegen dem, was ich gesagt habe. Ich meinte damit, ich habe viel Negatives erlebt, aber ich kann vieles nicht in Worte fassen. Und ich möchte, dass meine Kinder das, was ich erlebt habe, nicht erleben. Deshalb suche ich hier Schutz.
LA: Stehen oder standen Sie oder Ihre Familie in einer Beziehung zur PKK?
VP: Insofern mit der PKK, wir haben die PKK immer unterstützt und die PKK hat uns nichts angetan, im Gegenteil, sie hat uns immer geholfen. Der Staat hat uns immer unter Druck gesetzt, aber die PKK nicht. Deshalb mögen wir die PKK und haben sie unterstützt. Ich wollte als Kind immer in studieren, das konnte ich nicht. Die einzigen Schulen hat der türkische Staat. Als mein Onkel damals getötet wurde, wurde auch ein Nachbar von uns als er aufs WC ging, die WCs waren draußen damals, er wurde auch angeschossen und getötet. Seine Tochter war schwer verletzt. Sie lebt noch immer mit den Schusswunden. Warum ich das erzähle: weil ich das Ganze auch 1:1 erlebt habe, das belastet mich psychisch. (VP trifft Ausführungen zur psychischen Erkrankung ihrer Schwester, wird mangels Verfahrensrelevanz nicht protokolliert)
LA: Welche Partei hat Ihr Mann unterstützt?
VP: Die kurdische Partei.
LA: Welche Partei genau?
VP: Die HDP.
LA: Welche Aufgaben hatten Ihr Mann in der Partei?
VP: Er erzählt mir solche Sachen nicht, was er macht. Nachdem ich von der Kindheit her immer ängstlich bin erzählt er mir nichts.
LA: Waren Sie auch Parteimitglied?
VP: Nein. Das war nicht möglich. Wenn man Mitglied wird, wird man eingesperrt. Aber ich habe nur hin und wieder an Meetings und diesem und jenem teilgenommen.
LA: Gab es Drohungen gegen Sie persönlich?
VP: Nein.
LA: Gab es Angriffe gegen Sie persönlich?
VP: In der Kindheit. (VP trifft Ausführungen zu ihrer Kindheit, Protokollierung erfolgt mangels Verfahrensrelevanz nicht) Nachdem mein Onkel tot war hasste ich Soldaten und Polizisten.
LA: Was hätten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich werde das, was ich bisher erlebt habe, wieder erleben. Außerdem werden sie mich einsperren. Und sie werden fragen, warum ich ins Ausland gegangen bin und um Asyl angesucht habe.
LA: Bei der Polizei sagten Sie außerdem, Sie hätten keine Perspektiven in der Türkei und hätten keine Chance auf Arbeit. Können Sie mir dazu mehr erzählen?
VP: Das stimmt schon, das habe ich gesagt. Das war auch so. das alles habe ich erlebt. Wenn ich zurückkomme werde ich wieder keine Arbeit mehr finden und werde von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen, das wird gleichbleiben.
LA: Es gibt aber zB in Istanbul große kurdische Gemeinschaften. Was hätte dagegengesprochen, dorthin zu ziehen und sich dieser Gemeinschaft anzuschließen?
VP: Ich und mein Mann, wir sind beide Analphabeten, wir haben zwar die Schule besucht, aber wir können nicht richtig lesen. Istanbul wäre für uns eine Nummer zu groß gewesen. Wir wollen weder nach Istanbul noch in die Heimat. Mein Mann hat als Arbeiter so schwer gearbeitet, bevor Sie uns wieder nach Istanbul oder in die Heimat schicken, lieber sollen wir hier sterben.
LA: Sind Sie in einem anderen Land als Ihrer Heimat vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Religion?
VP: Ja, im Grunde genommen ja. Wir wurden immer von der Mehrheitsgesellschaft aufgrund unserer Religion ausgeschlossen.
LA: Hatten Sie außer dem bereits besprochenen Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?
VP: Im Grunde genommen das, was ich erzählt habe.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer politischen Überzeugungen?
VP: Nachdem ich offiziell nicht Mitglied bei der Partei war, habe ich nicht unbedingt etwas erlebt. Ich habe illegal, versteckt, an Meetings und so etwas teilgenommen.
LA: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe?
VP: Nein.
LA: Hatten Sie persönliche Probleme mit staatlichen Behörden, Gerichten in Ihrem Heimatland?
VP: Nein.
LA: Wann genau haben Sie die Türkei verlassen?
VP: Ich glaube, am 17. März. 15. oder 17. März.
LA: Welche Transportmittel nutzten Sie?
VP: In einem Klein-LKW. Er war aber nicht so klein.
LA: Sind Sie legal oder illegal ausgereist?
VP: Illegal.
LA: Wie lange dauerte die Reise insgesamt?
VP: Drei Tage.
LA: Wie viel kostete Ihre gesamte Reisebewegung?
VP: EUR 6.000,--.
LA: Warum kostete die Reise Ihres Mannes 5.000 TL, aber Ihre 6.000 Euro?
VP: Er ist ein Mann, ich bin eine arme Frau. Kann sein, dass man mich hereingelegt hat. Außerdem hatte ich zwei Kinder dabei, wir waren zu dritt.
LA: Auf welcher Route kamen Sie nach Österreich?
VP: Ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen. Ich war auf der Ladefläche.
LA: Was war das Ziel Ihrer Reise?
VP: Österreich, weil mein Mann da war.
LA: Haben Sie in einem anderen Land jemals einen Asylantrag gestellt?
VP: Nein.
LA: Wo ist Ihr Reisepass?
VP: Ich habe keinen. Meine Ausweise sind von den Schleppern weggenommen und verbrannt, auch die von den Kindern.
LA: Welches Interesse sollten Ihre Schlepper daran haben, Ihre Ausweise zu zerstören?
VP: Er sagte zu mir, was machst du mit diesen Ausweisen im Ausland? Wir verbrennen generell Ausweise und Pässe das brauchst du im Ausland nicht.
LA: Wissen Sie, warum er das gemacht hat?
VP: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wenn wir was gefragt haben oder was wissen wollten, dann schimpfte er uns und sagte "wenn ihr hinkommen wollt, wo ihr hinwollt, dann müsst ihr Ruhe geben und nicht so viel fragen".
LA: Das wird gemacht, um die Arbeit der Fremdenbehörden zu erschweren.
VP: Wie gesagt, wir durften keine Fragen stellen. Sie sagten zu uns "wenn ihr hinkommen wollt, wo ihr hinwollt, müsst ihr Ruhe geben".
LA: Sind Sie zum ersten Mal im Ausland?
VP: ja.
LA: Gibt es Personen in Österreich, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Eine Schwester, einen Onkel, eine Tante.
LA: Gibt es Personen in Europa, die Sie schon aus Ihrem Heimatland kennen?
VP: Nein.
LA: Bitte schildern Sie mir kurz Ihre Schullaufbahn.
VP: 2 Jahre, aber nicht einmal voll.
LA: Wie haben Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Mein Mann war Hilfsarbeiter und hat hin und wieder gearbeitet.
LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche Lage in der Türkei einschätzen?
VP: Wir waren arm. Mein Vater war sowieso arm.
LA: Wie konnten Sie sich Ihre Flucht leisten?
VP: Ein bisschen hat mein Vater geholfen, ich habe ihm nicht gesagt, dass ich ins Ausland gehe. Für den Rest habe ich meine Sachen verkauft.
LA: Haben Sie noch weitere Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich?
VP: Ich wusste nicht einmal, dass meine Tante und mein Onkel hier leben. Ich dachte, sie leben in Australien.
LA: Besteht zu einer Person in Österreich ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis?
VP: Nein, niemand. Nur meine Schwester hilft mir ab und zu. Keine Abhängigkeit.
LA: Können Sie Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?
VP: Ich habe einen Monat einen Deutschkurs besucht. Wegen Schwangerschaft musste ich unterbrechen. Nicht unbedingt sonst.
LA: Bitte antworten Sie auf Deutsch; Sprechen Sie Deutsch?
VP: (auf Türkisch) Das habe ich verstanden. Ich glaube, er hat mich gefragt, ob ich Deutschkurs gehe, aber aufgrund der Schwangerschaft kann ich nicht. Sowas wie "wie geht's" kann ich schon. Ein bisschen was habe ich schon gelernt, aber...
LA: Haben Sie einen österreichischen Freundeskreis?
VP: Nein.
LA: Sind Sie in Vereinen aktiv?
VP: Ich würde schon arbeiten, wenn ich Gelegenheit hätte. Wenn wir hoffentlich hierbleiben dürfen, werden wir schon probieren zu arbeiten.
LA: (Frage wird wiederholt)
VP: Nein.
LA: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren können?
VP: So lange die PKK existiert wird das nicht möglich sein. Seit 30 Jahren kämpfen die PKK und der türkische Staat, solange diese zwei kämpfen wird nichts Positives in der Türkei passieren.
LA: Hatten Sie in Österreich Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten?
VP: Nein. Im Gegenteil, als ich herkam hat man sich sehr gut um mich gekümmert, ich hatte große Angst und habe bei der Polizei deshalb viel geweint, sie waren aber sehr nett zu mir.
LA: Wie möchten Sie in Österreich Ihr Leben gestalten?
VP: Wenn ich bleiben darf möchte ich natürlich ein normales Leben haben wie jeder normale Mensch. Arbeiten für meine Kinder, für die Partei. Und Deutsch lernen natürlich.
LA: Für welche Partei?
VP: Die gleiche. Ich werde die Partei nie wechseln.
LA: Ihnen ist schon bewusst, dass in Österreich HDP, AKP usw. nicht existieren?
VP: Das weiß ich nicht, aber ich denke, es gibt sicher eine Unterstützung für die Partei auch hier. Ich bin mir sicher, dass es eine Gelegenheit gibt, von hier aus meine Partei zu unterstützen.
LA: Wie finanzieren Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich?
VP: Caritas gibt uns Geld. Wir kommen damit nicht zurecht. Es ist zu wenig, aber ok. Meistens kosten die Kinder viel. Aber ich bin trotzdem dankbar.
[...] "
I.2. Die Anträge auf internationalen Schutz wurden folglich mit den im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.)
I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der BF in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht asylrelevant, als die BF im Wesentlichen vorbrachten, von Verbalinjurien betroffen gewesen und von der Mehrheitsbevölkerung ausgeschlossen worden zu sein. Ein ernsthaftes Interesse der türkischen Behörden an den BF sei in Anbetracht der Gesamtumstände offenkundig nicht gegeben. Eine Asylrelevanz sei auch durch den Umstand dass BF1, sofern ihm diesbezüglich überhaupt Glauben zu schenken ist, auf Grund einer Mitgliedschaft zur HDP sowie des bloßen Umstandes zur Volksgruppenzugehörigkeit nicht indiziert, weil es eine notorische Tatsache sei, dass exponierte Vertreter pro-kurdischer Parteien oftmals - meist unter Unterstellung, der PKK anzugehören oder diese zu unterstützen - mit Repressionen seitens des türkischen Staates konfrontiert seien, es sich bei BF1 jedoch um einen Kurden handle, dessen politisches Engagement den eigenen Angaben nach als äußerst bescheiden zu qualifizieren sei. Eine exponierte Stellung innerhalb der türkischen bzw. kurdischen Gesellschaft sei ihm daher keinesfalls zuzuschreiben. Auch in Anbetracht der großen Anzahl von Kurden in der Türkei könne eine pauschale Verfolgung sämtlicher türkischer Kurden durch die Behörden nicht angenommen werden. Zur Lage der Aleviten sei anzuführen, dass eine Diskriminierung wegen deren Konfession zwar amtsbekannt sei, es sich jedoch um Diskriminierungen in religiöser Hinsicht handle, nämlich in Bezug auf die Anerkennung als Religionsgemeinschaft und der Teilnahme am staatlichen Religions- und Ethikunterricht, von körperlichen Übergriffen auf Personen allein aufgrund ihrer Religion werde jedoch nichts berichtet.
Die bB ging auch davon aus, dass sich die BF aufgrund der vor der bB geschilderten Lebensläufe wieder in die Gesellschaft in ihrem Heimatland integrieren können. Aufgrund der Berufserfahrung des BF1 und seinem gesundheitlichen Zustandes werde es auch friktionsfrei möglich sein, sich binnen kurzer Zeit erneut eine gesicherte Existenz in der Türkei aufzubauen. Den BF stünde es auch frei, nach ihrer Rückkehr Unterkunft bei ihren Verwandten zu nehmen. Zudem sei auch die Wiedereinreise in die Türkei gefahrlos möglich.
I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen.
I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.
I.3. Gegen den genannten Bescheid wurde mit dem im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass die bB ihre Feststellungen auf teilweise unzureichende Länderinformationen stütze. In diesem Zusammenhang wurde auf mehrere Berichte aus dem von der bB in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie auf ergänzende Berichte zu Aleviten und Kurden aus "ARC: Turkey Country Report - Update 25.1.2017", "domradio.de" oder "Telepolis" verwiesen. Ferner wurde gerügt, dass die bB ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. Die bB hätte aufgrund der Angabe des BF1, wonach er Mitglied der HDP gewesen sei, dies jedoch nicht beweisen könne, da das Parteigebäude der HDP vollständig abgebrannt sei, selbständig ermitteln müssen. Die bB habe den Sachverhalt auch rechtlich unrichtig beurteilt. Die politische Gesinnung des BF1 werde insbesondere gezeichnet von der ehemaligen Mitgliedschaft bei der HDP, deren Mitglieder unter Generalverdacht gestellt und pauschal verurteilt würden, was dadurch deutlich werde, dass BF1 bereits zwei Mal grundlos zu Verhören mitgenommen worden sei und die Wohnung der BF regelmäßig durchsucht würde. Auch seien Sicherheitskräfte nach der Flucht des BF1 in das Haus der BF gekommen, hätten explizit nach BF1 gefragt und BF2 dabei misshandelt. Da er nun mit seiner gesamten Familie illegal ins Ausland geflüchtet sei, sei zu erwarten, dass sich der Verdacht gegen ihn verstärkt habe. Es drohe auch aufgrund der Zugehörigkeit der religiösen Minderheit der Aleviten Verfolgung. In diesem Zusammenhang wurde auf die Judikatur des VwGH zur "Gruppenverfolgung" verwiesen.
Die Beschwerde gelte gemäß § 34 AsylG als für die gesamte Familie erhoben.
Abschließend wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
I.4. Mit Eingabe vom 31.10.2017 wurden auf elektronischem Weg folgende Unterlagen vorgelegt:
- Antrag auf Mitgliedschaft/Beitrittserklärung für " XXXX " betreffend BF1 und BF2
- Schulbesuchsbestätigungen für BF3 und BF4
- Fotos von BF2 vor einem Getränkestand, in dessen Hintergrund beispielsweise ein Bild von Abdullah ÖCALAN ersichtlich ist
- Fotos von BF1, auf welchen er bei einer Demonstration mit einer "Freedom for Öcalan" - Flagge ersichtlich ist
Im Begleittext der elektronischen Nachricht wurde ausgeführt, dass mit den im Anhang befindlichen Dokumenten und Bildern das exilpolitische Engagement der BF und die daraus resultierende Verfolgung seitens der türkischen Regierung bewiesen würden.
I.5. Mit Stellungnahme vom 12.2.2018 wurden ein Beitrag einer Internetseite (www.vienna.at/wiener-aleviten-vertreter-darf-nicht-in-die-tuerkei-einreisen ) und einer Presseaussendung übermittelt. Dem auf der Webseite veröffentlichten Artikel ist zu entnehmen, dass ein Vertreter der österreichisch-alevitischen Föderation am 6.2.2018 bei seiner Ankunft in Istanbul angehalten, ihm die Einreise in die Türkei verweigert worden und eine Rückreise nach London in die Wege geleitet worden sei. In dem Artikel wird auch ein österreichischer Parlamentarier zitiert, der von einer Verhaftung der betroffenen Person spricht. Auch in einer ebenfalls übermittelten Presseaussendung eines Parlamentsklubs wird von der Verhaftung des österreichischen Staatsbürgers gesprochen.
Im Begleitschreiben der elektronisch eingebrachten Dokumente wurde dargelegt, dass mit den beigefügten Unterlagen die Gefahr einer Inhaftierung und Verfolgung der BF aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung mit ihrem politischen Engagement für die HDP bewiesen werde.
I.6. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden die BF am 10.5.2019 vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht informiert und wurde ihnen Gelegenheit gegeben, binnen einer Frist von vierzehn Tagen eine Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingebrachten Länderberichten abzugeben. Ferner wurden sie aufgefordert, binnen selbiger Frist Angaben zur Mitgliedschaft bzw. einer Funktion beim Verein XXXX zu machen sowie Auskunft darüber zu erteilen, seit wann die exilpolitische Tätigkeit ausgeübt werde und weshalb die BF aufgrund ihrer Mitgliedschaft und Teilnahme an Demonstrationen von einer Verfolgung durch die türkische Regierung, wie mit Eingabe vom 31.10.2017 vorgebracht, drohe.
I.7. In ihrer Stellungnahme vom 14.6.2019 brachten die BF vor, dass BF1 politisch bei der HDP tätig war und mehrmals an Demonstrationen teilgenommen habe. Aufgrund dessen sei er in der Türkei auch von der Polizei unterdrückt worden. In diesem Zusammenhang wurden Berichte aus dem Länderinformationsblatt sowie eines nicht näher genannten Dokumentes aus "ecoi.net" zitiert. Ferner wird in dieser Stellungnahme ausgeführt, dass BF1 von der türkischen Regierung eine von ihnen abweichende politische Gesinnung unterstellt werde, weshalb er inhaftiert worden sei. Aufgrund dieser Umstände sei er der Meinung, dass eine asylrelevante Verfolgung seiner Person durch staatliche Behörden von erheblicher Intensität gegeben und seine Furcht vor Verfolgung begründet sei.
Zusammen mit dieser Stellungnahme wurden folgende Dokumente übermittelt:
- Eine Bestätigung des XXXX , aus welcher Folgendes hervorgeht: die Tätigkeit des Verbandes sei unter anderem die breite Präsentation kurdischen Kulturschaffens in Malerei, Theater, Musik, Literatur, Tanz und Film gemeinsam mit dem österreichischen Kulturleben. Der Verband veranstalte im Weiteren Seminare und Diskussionsreihen mit internationalen Expertinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Politikerinnen, die zur soziokulturellen Entwicklung und zu neuen Perspektiven der in Österreich lebenden Kurdinnen beitragen. XXXX fördere die Zusammenarbeit von Österreicherinnen und Kurdinnen in den Bereichen Kultur, Integration, Gesellschaftspolitik, Arbeitsmarkt, Frauen, Wissenschaft, Menschenrechte, Globalisierung und internationale Kooperationen. Es werde bestätigt, dass BF1 seit etwa zwei Jahren bei den Vereinen der Dachorganisation aktiv sei und er bei vielen Vereinsaktivitäten ein aktiver Teilnehmer sei
- Ein Empfehlungsschreiben einer Familie XXXX
- Eine Zusage der XXXX KG für eine Beschäftigung des BF1 als Koch
I.8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.6.2019 wurden die BF eingeladen, Angaben in Bezug auf ihre Ausreisegründe, ihren Gesundheitszustand, die privaten und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich und ihre Integration zu tätigen und entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen. Ferner wurden die BF unter Hinweis auf die Internetseite der von BF1 genannten Partei, deren Mitglied er gewesen sei, eingeladen, mit dieser in Kontakt zu treten, um Unterstützung bzw. Bescheinigungsmittel für sein Vorbringen anzufordern. In Bezug auf die am 14.6.2019 vorgelegte Bestätigung des XXXX wurde den BF mitgeteilt, dass dieses Schreiben nicht geeignet ist, die behauptete Gefahr einer Verfolgung zu belegen. Den BF wurde eine Frist von zwei Wochen für eine Stellungnahme und die Vorlage weiterer Unterlagen eingeräumt. Die BF wurden auch auf die Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren hingewiesen.
I.9. Mit Stellungnahme vom 9.7.2019 wurde vorgebracht, dass die BF gesund seien und derzeit keine Medikamente nehmen müssten. Es bestünden folgende familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich: ein Schwager des BF1 mit seiner Frau und drei Kindern, zwei Brüder und ein Onkel. Die BF würden von ihren Bekannten finanziert und fielen dem Österreichischen Staat nicht zur Last. Sein Schwager würde BF1 in seinem Restaurant anstellen. BF1 und BF2 würden Deutschkurse für das Niveau A1 besuchen und suchten nach einem Kurs für das Niveau A2. BF3 und BF4 würden die Mittelschule besuchen. BF1 kümmere sich darum, eine Bestätigung der HDP zu erlangen, bis dato habe er aber keine Antwort bekommen. Abschließend wurde darum ersucht, das Bundesverwaltungsgericht möge im Sinne der in der Beschwerde gestellten Anträge entscheiden und zu einer positiven Entscheidung gelangen.
I.10. Mit Schreiben vom 30.7.2019 wurde ein Antragsformular für die Mitgliedschaft bei der Demokratischen Partei der Völker (HDP) vom 15.7.2014 übermittelt und um Berücksichtigung ersucht.
I.11. Das Vorbringen vom 30.7.2019 stellt die letzte Äußerung der BF im Verfahren zu den gegenständlichen Anträgen dar.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
II.1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Türkei, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und der alevitischen Glaubensrichtung. BF1 und BF2 sind verheiratet, BF3 bis BF5 sind ihre gemeinsamen, minderjährigen Kinder.
BF1 wurde am XXXX in XXXX geboren und besuchte dort die drei Jahre lang die Grundschule. Anschließend begann BF1 mit seiner beruflichen Tätigkeit; er arbeitete Hilfsarbeiter. Im Jahr 2014 übersiedelte BF1 nach XXXX , wo er bis zur Ausreise mit seiner Familie lebte. BF1 spricht Türkisch und Kurdisch.
In der Türkei leben Geschwister des BF1 sowie zahlreiche Verwandte zweiten Grades. In Österreich leben zwei Brüder des BF sowie ein Onkel.
Anfang Februar 2017 verließ BF1 die Türkei illegal und schlepperunterstützt auf dem Landweg nach Österreich und stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 07.02.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
BF2 wurde am 1.1.1986 in XXXX geboren und besuchte dort die zwei Jahre lang die Grundschule. Bis zu ihrer Ausreise lebte BF2 in XXXX mit ihrem Ehemann und ihren Kindern und betätigte sich dort als Hausfrau. Sie reiste zusammen mit ihren Kindern zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im März 2017 schlepperunterstützt und illegal aus der Türkei aus, um in Österreich ihren Gatten zu treffen und mit ihm zu leben. Am 15.3.2017 stellte sie die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz für sich und ihre Kinder.
Eine Schwester der BF2 lebt in XXXX .
Auch BF2 hat familiäre bzw. verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Türkei, beispielsweise in Form ihrer Geschwister und mehrerer Onkel und Tanten.
BF3 bis BF5 sind die minderjährigen Kinder des BF1 und der BF2. BF3 und BF4 sind am XXXX bzw. am XXXX in der Türkei geboren. Die weibliche BF3 und der männliche BF4 sind zusammen mit ihrer Mutter ins Bundesgebiet eingereist, wo für sie ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht wurde. Zum Zeitpunkt der Einreise waren BF3 und BF4 etwa dreizehn bzw. zwölf Jahre alt. Die weibliche BF5 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Für sie wurde von BF2 als deren gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.
Die Identität der BF steht fest. BF1 und BF2 verfügen über ein türkisches Ausweisdokument (Nüfus) im Original.
II.1.2. BF2 gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte vor ihrer Ausreise keine Schwierigkeiten mit den Behörden ihres Heimatstaates zu gewärtigen. Ob BF1 Mitglied der Halklarin Demokratik Partisi (Demokratischen Partei der Völker, HDP) in der Türkei war, ist nicht feststellbar. Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 vor seiner Ausreise Repressalien und den von ihm behaupteten Gefährdungen ausgesetzt war bzw. im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer sonstigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in ihrem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder die BF im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.
Die BF haben in der Türkei keine Schwierigkeiten aufgrund ihres Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Sie unterliegen bei einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der Gefahr einer staatlichen Verfolgung im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe. Selbiges gilt für ihre Zugehörigkeit zur alevitischen Glaubensgemeinschaft.
BF1 unterliegt bei einer Rückkehr in die Türkei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Mitgliedschaft und Aktivitäten bei Vereinen innerhalb des Verbandes des XXXX oder der Teilnahme an pro-kurdischen Demonstrationen in Österreich.
Die BF unterliegen bei einer Rückkehr in die Türkei außerdem nicht der Gefahr einer (Straf-) Verfolgung oder Inhaftierung im Zusammenhang mit einer ihnen unterstellten politischen Gesinnung.
Es kann nicht festgestellt werden, dass den BF im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung der BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.
II.1.3. Die BF sind gesund. Sie leiden weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung. Sie nehmen derzeit keine Medikamente.
Bei BF1 und BF2 handelt es sich um gesunde, arbeitsfähige Menschen, wobei sich BF1 vor seiner Ausreise aus der Türkei als Hilfsarbeiter betätigt hat. Es bestehen familiäre und private Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage.
BF1 und BF2 verfügen für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument.
Die BF sprechen sowohl Kurdisch als auch Türkisch.
Den BF stehen die Systeme der sozialen Sicherheit in der Türkei offen und werden sie insbesondere leistbaren und nichtdiskriminierenden Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung in der Türkei finden.
Die BF halten sich seit ihrer Einreise zu den oben genannten Zeitpunkten in Österreich auf. BF1 bis BF4 reisten rechtswidrig in das Bundesgebiet ein; BF5 ist hier geboren. Sie sind seither Asylwerber und verfügen über keinen anderen Aufenthaltstitel.
II.1.4. Die BF pflegen normale soziale Kontakte. BF3 und BF4 besuchen die Mittelschule, verfügen über den für sie alterstypischen Freundeskreis und sprechen gut Deutsch. BF1 und BF2 nehmen an sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen für das Sprachniveau Deutsch A1 teil, haben jedoch keine Prüfung abgelegt.
BF1 engagiert sich in kurdischen Vereinen. Er verfügt auch über eine Einstellungszusage als Koch, wobei über das Ausmaß der Beschäftigung und das Entgelt aus der vorgelegten Absichtserklärung nichts hervorgehen.
Weitere Integrationsschritte haben die BF nicht ergriffen.
Die BF haben keine gemeinnützige Arbeit verrichtet.
Die BF beziehen Mittel aus der Grundversorgung und werden zudem von ihren Bekannten finanziell unterstützt. Sie leben an derselben Adresse wie der Schwager der BF1 und BF2.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Ihr Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
II.1.5. Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:
Kurzinformation vom 27.6.2019, neues Wehrgesetz (relevant für den Abschnitt: 10. Wehrdienst)
Am 25.6.2019 trat ein neues Wehrgesetz in Kraft. Die Wehrpflicht wird von zwölf auf sechs Monate verkürzt. Gemäß dem neuen Gesetz müssen männliche türkische Staatsbürger im Alter von über 20 Jahren (bis 41) eine einmonatige militärische Ausbildung absolvieren. Von den restlichen fünf Monaten ihres Wehrdienstes können sie sich unter Zahlung von 31.000 Lira (ca. 4.725 ) freikaufen. Männer, die gerade ihren Wehrdienst ableisten, haben die Chance auf eine vorzeitige Entlassung. Über 100.000 Soldaten werden nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes vorzeitig entlassen [da sie bereits sechs oder mehr Monate gedient haben], während etwa 460.000 Männer berechtigt sind sich frei zu kaufen.
Das Gesetz sieht überdies vor, dass Wehrpflichtige nach den sechs Monaten ihren Militärdienst freiwillig gegen ein monatliches Gehalt von 2.000 Lira verlängern können. Leisten die Betreffenden ihre zusätzlichen sechs Monate in den südöstlichen und östlichen Provinzen wie Gaziantep, Sirnak und Hakkari ab, erhalten sie zusätzlich monatlich 1.000 Lira. Der Staatspräsident ist befugt, die Dauer der Wehrpflicht zu ändern, wobei die gegebenen sechs Monate nicht unterschritten werden dürfen (HDN 25.6.2019, vgl. DS 25.6.2019, IPA News 26.6.2019).
Kurzinformation vom 24.6.2019, Wahlen in Istanbul, (relevant für die Abschnitte: 2. Politische Lage und 13.1.Opposition)
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese ist von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet. Zudem hatte Staatspräsident Erdogan mehrmals erklärt: wer Istanbul regiere, regiere die Türkei (NZZ 23.6.2019).
Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Ekrem Imamoglu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl, wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees, annullierte (FAZ 23.6.2019, vgl. Standard 23.6.2019).
Imamoglu gewann die wiederholte Wahl mit 54% bzw. mit einem Vorsprung von fast 800.000 Stimmen auf den Kandidaten der AKP, Ex-Premierminister Binali Yildirim, der 45% erreichte (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019).
Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdogan bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren), sowie die Großstädte Adana, XXXX und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirtas, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für Imamoglu betonte (NZZ 23.6.2019).
Kurzinformation vom 14.3.2019, Resolution des Europäischen Parlaments zur Menschenrechtslage (relevant für die Abschnitte: 4.Rechtsschutz/Justizwesen, 6.Folter und unmenschliche Behandlung, 12.Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, 12.Meinungs- und Pressefreiheit, 16.Religionsfreiheit
Infolge schwerer politischer und demokratischer Rückschritte in den letzten Jahren empfahl das Europäische Parlament (EP) am 13.3.2019 in einer Resolution die offizielle Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (EP 13.3.2019a).
Das EP begrüßte zwar den Beschluss vom 19. Juli 2018 zur Aufhebung des Ausnahmezustands, bedauerte jedoch, dass im Juli 2018 neue Rechtsvorschriften verabschiedet wurden, insbesondere das Gesetz Nr.7145, mit denen viele der dem Präsidenten und der Exekutive im Rahmen des Ausnahmezustandes verliehenen Machtbefugnisse beibehalten wurden, und Präsident und Exekutive praktisch weiter wie bisher mittels der entsprechenden Einschränkungen der Freiheiten und grundlegender Menschenrechte handeln können. Laut EP hat der lang andauernde Ausnahmezustand zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte geführt. Darüber hinaus würden viele der während des Ausnahmezustands geltenden Befugnisse von der Polizei und den lokalen Verwaltungen nach wie vor angewendet. Das EP zeigte sich beunruhigt angesichts der gravierenden Rückschritte in den Bereichen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Verfahrens- und Eigentumsrechte. Dazu zählen auch Verhaftungen legitimer oppositioneller Stimmen, darunter Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Oppositionelle, nebst der Tatsache, dass sich über 50.000 Personen zumeist ohne schlüssige Beweise weiterhin in Haft befinden. Von den 152.000 Staatsbediensteten, die aufgrund der Notstandsdekrete entlassen wurden, haben 125.000 Einspruch bei der Sonderkommission erhoben. 81.000 Beschwerden sind dort noch immer anhängig, wobei die positiven Bescheide im Sinne einer Wiedereinstellung nur sieben Prozent ausmachen.
Das EP zeigte sich zutiefst besorgt wegen der von mehreren Menschenrechtsorganisationen und dem Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte geäußerten Vorwürfe, dass Gefangene misshandelt und gefoltert würden. Das EP sieht die Antiterrormaßnahmen als Missbrauch zur Legitimation der Verstöße gegen die Menschenrechte und fordert die Türkei nachdrücklich auf, bei ihren Antiterrormaßnahmen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und ihre Rechtsvorschriften zur Terrorbekämpfung an die internationalen Menschenrechtsnormen anzupassen.
Das EP verurteilte die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind. Besorgnis herrschte angesichts der mangelnden Achtung der Religionsfreiheit, der fortgesetzten Diskriminierung religiöser Minderheiten und der aus religiösen Gründen verübten Gewalttaten. Besorgniserregend seien auch die Lage im Südosten der Türkei und die schwerwiegenden Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen, übermäßiger Gewaltanwendung, Folter und der massiven Beschneidung des Rechts auf Meinungsfreiheit und politische Teilhabe (EP 13.3.2019b)
Das türkische Außenministerium verlautbarte, dass es der Resolution keinen Wert beimesse, da sie einseitig, voreingenommen und unfair sei. Es sei u.a. bedenklich, dass der extreme rechte und linke Flügel, die das Europäische Parlament zu dominieren begännen, die Resolution in einen ausgrenzenden, diskriminierenden und populistischen Text verwandelt hätten, der nicht der Realität entspräche (TFM 13.3.2019).
Kurzinformation vom 28.1.2019, Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) zur Menschenrechtslage und der Situation der Opposition (relevant für die Abschnitte 4.Rechtsschutz/Justizwesen, 11.Allgemeine Menschenrechtslage und 13.1.Opposition)
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat am 24.1.2019 eine Resolution [Nr.2260] zur weiterhin besorgniserregenden Lage der Demokratie, sowie zur Verschlechterung der Situation der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte verabschiedet. Mit Sorge sieht PACE die Aufhebung der Immunität von über 154 Parlamentariern, wovon die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) unverhältnismäßig stark betroffen ist; die Auswirkungen der, während des Ausnahmezustandes zwischen Juli 2016 und Juli 2018 erlassenen Notstandsdekrete auf die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, die Medien und die lokale Demokratie;
die Verfassungsreformen von 2017; die übereilte Durchführung der vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2018 und die, diesen unmittelbar vorausgegangene, Wahlrechtsreform. Die Meinungsfreiheit steht laut PACE vor dauerhaften Herausforderungen, insbesondere durch das Anti-Terror-Gesetz und dessen breite Auslegung sowie durch die Artikel 299 und 301 des Strafgesetzbuches.
In diesem Zusammenhang bringt die Versammlung ihre Besorgnis über die Inhaftierung von oppositionellen Parlamentariern, einschließlich des ehemaligen Co-Vorsitzenden der HDP Selahattin Demirtas, zum Ausdruck. Laut PACE diente die wiederholte Haftverlängerung für Demirtas, gerade während der entscheidenden Kampagnen zum Verfassungsreferendum und den Präsidentschaftswahlen, dem Zweck den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken. Enttäuschend und besorgniserregend ist hierbei die Behauptung von Staatspräsident Erdogan, wonach die Türkei trotz der Verpflichtung, Gerichtsurteile gemäß Artikel 46 der Europäischen Menschenrechtskonvention umzusetzen, im Fall von Herrn Demirtas nicht an das Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebunden sei, dass dessen sofortige Freilassung eingemahnt hat. PACE ist daher der Ansicht, dass diese Entwicklungen in Summe die Fähigkeit der Oppositionspolitiker, ihre Rechte auszuüben und ihre demokratischen Rollen innerhalb und außerhalb des Parlaments zu erfüllen, zunehmend verringern, behindern oder untergraben. Zudem sind gemäß PACE die Rechte von Oppositionspolitikern auf lokaler Ebene eingeschränkt, insbesondere im Zusammenhang mit der Kurdenfrage, nämlich infolge des Austauschs von über 90 gewählten Bürgermeistern der HDP oder ihrer Schwesterpartei durch von der Regierung ernannte Treuhänder, unter Verstoß gegen die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung. Dies habe das Funktionieren der lokalen Demokratie, insbesondere im Südosten der Türkei, ernsthaft beeinträchtigt. Die Situation der Oppositionspolitiker hat sich in einem Kontext verschlechtert, der durch kontinuierliche restriktive Maßnahmen der Behörden gekennzeichnet ist, um insbesondere Journalisten, Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Wissenschaftler und andere abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen (PACE 24.1.2018).
1. Politische Lage
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (9.7.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, I der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen "Volksbündnis", verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).
Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit "Rechtskraft" zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).
Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wiedereingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen 457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018). [siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
2. Sicherheitslage
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018). Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).
Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen Agri, Batman, XXXX , Bitlis, Diyarbakir, Gaziantep, Hakkari, Kilis, XXXX , Sanliurfa, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van - ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbakir, Elazig, Hakkari, Siirt und Sirnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).
1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen "neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018).
Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten "Gülen-Bewegung", die nur in der Türkei unter der Bezeichnung "FETÖ" als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).
2.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Wohl kaum eine Person ist in der Türkei so umstritten wie Fethullah Gülen, ein muslimischer Prediger und als solcher charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung der Republik Türkei bezeichnet (bpb 1.9.2014). Die Gülen-Bewegung (türk.: Hizmet) definiert sich selbst als "eine weltweite zivile Initiative, die in der geistigen und humanistischen Tradition des Islam verwurzelt ist und von den Ideen und dem Aktivismus des Herrn Fethullah Gülen inspiriert ist" (GM o.D.). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet. Er fördert einen toleranten Islam, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen [zahlreiche hiervon wurden geschlossen] rund um den Globus. In der Türkei soll es möglicherweise Millionen Anhänger geben, oft in einflussreichen Positionen. Mit ihrem Fokus auf islamische Werte waren Gülen und seine Anhänger natürliche Verbündete Erdogans, als letzterer die Macht übernahm. Erdogan nutzte die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016), der im Dezember 2013 eskalierte, als angeblich Gülen nahestehende Staatsanwälte gegen vier Minister der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan Ermittlungen wegen Korruption einleiteten. In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).
Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014).
Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdogan, dass die Gülen-Bewegung auf der Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). In den offiziellen türkischen Quellen wird die "Gülenistische Bewegung" oder das "Netzwerk" nun als FETÖ/PDY, kurz: FETÖ (Fethullah Terror Organisation/ Strukturen des Parallelstaates) bezeichnet. Die türkischen Behörden, von einem breiten Konsens in der Gesellschaft unterstützt, machten angesichts des Putschversuches vom 15.7.2016 unmittelbar die Gülen-Bewegung für dessen Organisation verantwortlich. Fethullah Gülen wies jegliche Involvierung von sich. Bislang verweigerten die USA, wo Gülen im selbstgewählten Exil lebt, dessen Auslieferung (PACE 15.12.2016).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muinieks, stellte am 7.10.2016 zum vermeintlichen terroristischen Charakter der Gülen-Bewegung fest, dass die Bereitschaft der Gülen-Bewegung Gewalt anzuwenden, was eine Grundvoraussetzung für die Definition von Terrorismus ist, bis zum Tage des Putschversuches für die türkische Öffentlichkeit nicht augenscheinlich war. Er betonte die notwendige Unterscheidung bei der Kriminalisierung der Mitgliedschaft und der Unterstützung der Organisation, nämlich zwischen jenen, die in illegale Handlungen verwickelt sind und jenen, welche Sympathisanten, Unterstützer oder Mitglieder sind, ohne jedoch etwas über die Bereitschaft zur Gewaltbeteiligung zu wissen. Eine bloße Mitgliedschaft in, oder Kontakte zu einer Organisation, selbst wenn diese mit der Gülen-Bewegung in Verbindung steht, reicht nicht für eine strafrechtliche Verantwortung aus. Muinieks forderte die Behörden in diesem Zusammenhang auch dazu auf, dass Anklagen wegen Terrorismus nicht rückwirkend auf Handlungen angewendet werden, die vor dem 15.7.2016 als legal galten (CoE-CommDH 7.10.2016).
Die EU stuft die Bewegung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse schon "substanzielle" Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017).
Besonders besorgniserregend ist, dass auch Angehörige von Verdächtigen direkt oder indirekt von einer Reihe von Maßnahmen betroffen waren, darunter die Entlassung aus der öffentlichen Verwaltung und die Beschlagnahme oder Löschung von Pässen (EC 17.4.2018).
Gülen-Anhänger werden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Zusätzlich können sie noch wegen Terrorfinanzierung, Leitung bestimmter Gruppierungen, als Imame der Armee, Polizei, usw. angeklagt werden. Die Höchststrafe ist lebenslänglich. Mehrere Delikte (z.B. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Finanzierung, Mord, etc.) können gleichzeitig angeklagt werden, eventuell verhängte Freiheitsstrafen werden zusammengerechnet (VB 26.9.2018).
Für die Evidenz einer Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung genügen u.a. schon der Besuch eines Kindes an einer der Organisation angeschlossenen Schule, die Einzahlung von Geldern in eine der Organisation angeschlossenen Bank, i.e. die Asya-Bank oder der Besitz des mobilen Messenger-Dienstes "ByLock" (EC 17.4.2018, NYT 13.4.2017); der Besitz einer 1-US-Dollar-Banknote der F-Serie (als geheimes Erkennungszeichen), die Anstellung an einer mit der Gülen-Bewegung (ehemals) verbundenen Institution - z.B. einer Universität oder einem Krankenhaus; das Abonnieren der [vormaligen] Gülen-Zeitung "Zaman" oder der Besitz von Gülens Büchern (NYT 13.4.2017; vgl. taz.gazete 9.2.2018).
Ende November 2017 gab Innenminister Süleyman Soylu bekannt, dass 215.092 Personen als Nutzer der Smartphone-Anwendung "ByLock" aufgelistet und bereits 23.171 Nutzer verhaftet wurden (TM 27.11.2017). Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 entschied das Gericht jedoch, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend ist mit einer Mitgliedschaft und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul nach Razzien an 54 Orten verhaftet, denen vorgeworfen wurde, die verschlüsselte Messaging-Anwendung ByLock zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein (Anadolu 24.9.2018).
Das Oberste Berufungsgericht entschied, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstigter der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden des inzwischen geschlossenen islamischen Kreditgebers Bank Asya waren, die mit der Gülen-Bewegung verbunden war (TM 30.5.2018).
Laut Innenminister Süleyman Soylu wurden zwischen Juli 2016 und April 2018 77.000 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert. 2017 wurden 20.478 Personen verhaftet und in Untersuchungshaft genommen, in den ersten drei Monaten des Jahres 2018 weitere 2.706 Personen (SCF 28.4.2018). Türkische Staatsanwälte haben laut Justizministerium [Stand Juni 2018] seit dem Putsch gegen 203.518 Personen wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung ermittelt. Demnach wird derzeit 83.722 Anhängern der Gülen-Bewegung der Prozess gemacht und 16.195 befinden sich in Untersuchungshaft. Insgesamt 34.926 Anhänger der Gülen-Bewegung wurden verurteilt, davon 12.617 zu Gefängnisstrafen, während der Rest gegen Kaution freikam. Insgesamt wurden 13.992 Angeklagte von den Gerichten freigesprochen (SCF 20.6.2018). Mitte Juli 2018 gab Ömer Faruk Aydiner, stellvertretender Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, bekannt, dass bisher gegen 445.000 Personen Untersuchungen wegen ihrer Verbindungen zur Gülen-Bewegung durchgeführt wurden (TP 2.9.2018). [zu Verurteilungen siehe: 4.Rechtsschutz/Justizwesen].
Präsident Erdogan hatte Ende September 2018 angekündigt, der türkische Geheimdienst werde "Überseeoperationen" gegen Unterstützer Gülens starten. Laut offiziellen Angaben wurden seitdem gescheiterten Putschversuch 80 türkische Staatsbürger in 18 Ländern festgenommen. So wurde z. B. am 28.4.2018 in Aserbaidschan die Ehefrau eines Geschäftsmanns entführt und nach Istanbul verschleppt. Im März 2018 entführten türkische Geheimagenten sechs Männer aus dem Kosovo und brachten sie in einem Privatjet in die Türkei (Standard 3.10.2018, vgl. NYT 5.4.2018).
2.2. Terroristische Gruppierungen: PKK - Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
Ab Mitte der 1970er Jahre bildete sich eine breitere Front oppositioneller Kurden, die ein gemeinsames Ziel erreichen wollten: mehr Freiheit und am Ende einen unabhängigen Staat. Als Hauptakteur kristallisierte sich die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) heraus, die 1978 von Abdullah Öcalan gegründet worden war. Neben dem Kampf gegen den türkischen Nationalismus war sie auch stark marxistisch-leninistisch beeinflusst und machte das kapitalistische und imperialistische System verantwortlich für die Situation der Kurden. Nach dem Militärputsch von 1980 rief Öcalan 1984 den bewaffneten Kampf aus. Über kurdische Provinzen wurde der Ausnahmezustand verhängt, die Armee brannte ganze Dörfer nieder, deren Bewohner unter dem Verdacht standen, mit der PKK zu sympathisieren. Das wiederum verschaffte der PKK Zulauf (PW 21.1.2015). Heute teilen mindestens 80% der Kurden im Südosten der Türkei grundlegende Forderungen der PKK: Sie wollen Unterricht ihrer Kinder in der Muttersprache, lokale und regionale Autonomie vom türkischen Zentralstaat und eine Entschuldigung des Staates für die seit Anfang der Republik betriebene Politik der Leugnung kurdischer Sprache und Kultur, die gewaltsame Assimilationspolitik und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen (SWP 10.9.2015).
Der Kampf der marxistisch orientierten Kurdischen Arbeiterpartei bzw. Aufstandsbewegung PKK war ursprünglich u.a. gegen die regionale Rückständigkeit im Südosten der Türkei gerichtet (inkl. des fortbestehenden kurdischen Feudalsystems) und verwandelte sich erst in den späten 1980er Jahren in einen Kampf um kulturelle Rechte, regionale Unabhängigkeit bzw. de facto Sezession. Gegenwärtig ist offiziell eine weitreichende Autonomie innerhalb der Türkei das Ziel. Der PKK-Gewalt standen Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Militärregierung (ab 1980) gegenüber. Seit 1984 forderte der Konflikt über 40.000 militärische und zivile Opfer. Die PKK ist in der Türkei verboten und wird auch von USA und EU als terroristische Organisation eingestuft. Sie agiert v.a. im Südosten der Türkei, in den Grenzregionen zu Iran und Syrien, sowie im Nord-Irak, wo ihr Rückzugsgebiet liegt (Kandilgebirge) (ÖB 10.2017).
1993 gab es das erste Waffenstillstandsangebot der PKK. Deren Führung verwarf in einer Erklärung das Ziel eines unabhängigen Kurdistans und strebte stattdessen kulturelle Autonomie und lokale Selbstverwaltung innerhalb der Türkei an. Doch die türkische Regierung war zu keinen Kompromissen bereit und verstärkte ihre Militäroffensive. Im Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan festgenommen, was die Führung und Organisation der PKK empfindlich schwächte. Aus dem Gefängnis heraus warb er für eine friedliche Lösung des Konfliktes (PW 21.1.2015).
2012 initiierte die Regierung den sog. "Lösungsprozess" (keine offiziellen Verhandlungen), das hieß Direktgespräche des türkischen Nachrichtendienstes MIT mit PKK-Chef Öcalan, wobei HDP-Politiker als Vermittler fungierten. Der Erfolg der HDP bei den Juni-Wahlen 2015 führte zu Kontroversen zwischen der PKK und der HDP betreffend der Frage, wem dieser Erfolg geschuldet sei (ÖB 10.2017).
Der von der PKK gegenüber dem türkischen Staat angebotene Gewaltverzicht wurde im Sommer 2015 zurückgenommen. Auslöser für eine neuerliche Eskalation des militärischen Konflikts war ein der Terrormiliz Islamischer Staat zugerechneter Selbstmordanschlag am 20.7.2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç, der über 30 Tote und etwa 100 Verletzte gefordert hatte. PKK-Guerillaeinheiten töteten daraufhin am 22.7.2015 zwei türkische Polizisten, die sie einer Kooperation mit dem IS bezichtigten. Das türkische Militär nahm dies zum Anlass, in der Nacht zum 25.7.2015 Bombenangriffe auf Lager der PKK in Syrien und im Nordirak zu fliegen. Parallel fanden in der Türkei landesweite Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK statt. Noch am selben Tag erklärten die PKK-Guerillaeinheiten den seit März 2013 jedenfalls auf dem Papier bestehenden Waffenstillstand mit der türkischen Regierung für bedeutungslos. Die türkische Regierung tat dies ihrerseits nach deutlich intensivierten Kampfhandlungen der PKK am 28.7.2015. Mitte August 2015 rief die PKK in zahlreichen Provinzen mit überwiegend kurdischer Bevölkerung die "Selbstverwaltung" aus, da sie nicht mehr bereit sei, die Autorität des türkischen Staates in diesen Gebieten anzuerkennen (BMI-D 6.2016).
Türkische Sicherheitskräfte erklärten, allein zwischen Ende Juli und September 2015 mehr als 1.000 PKK-Kämpfer getötet zu haben. Aktionen der PKK sollen im selben Zeitraum mindestens 113 Sicherheitskräfte das Leben gekostet haben (bpb 10.4.2018).
Die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten der PKK in den süd-ostanatolischen Gebieten mit überwiegend kurdischer Bevölkerungsmehrheit hielten zwar an, erreichten jedoch nicht die Intensität des Jahres 2016. Eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat erscheint gegenwärtig unwahrscheinlich (BMIBH 7.2018). Die Regierung lehnt jegliche Verhandlungen mit der PKK bis zu deren völligen Entwaffnung ab (BBC 4.11.2016). Staatspräsident Erdogan verkündete, dass der Kampf gegen die PKK bis zum Jüngsten Tag fortgesetzt würde (HDN 9.6.2016).
2.3. Terroristische Gruppierungen: TAK - Teyrêbazên Azadiya Kurdistan - (Freiheitsfalken Kurdistans)
Die Einschätzungen hinsichtlich der Eigenständigkeit der TAK divergieren beträchtlich. Während außerhalb der Türkei die TAK mitunter als eigenständige Organisation angesehen wird oder zumindest deren Stellung als unklar gilt, betrachten die türkischen Behörden die TAK als Teil der PKK. So es der PKK opportun scheint, werden laut türkischer Polizei Anschläge unter dem Namen TAK verübt (TNP o.D.; TRAC 2018). Sicherheitskreise sagen, die TAK agiere auf eigene Faust, dennoch habe die PKK die Gruppierung nie verstoßen. Es fällt auf, dass die TAK sich mit Angriffen zurückhielt, als PKK-Anführer Abdullah Öcalan 2013 einen Waffenstillstand im Konflikt mit den türkischen Sicherheitskräften verkündete. Außerdem bekennt sich die TAK noch heute zu Öcalan. Sicherheitsexperten halten es für denkbar, PKK und TAK hätten eine Arbeitsteilung vereinbart: Die TAK verübt schwere Anschläge, die PKK bleibt im Hintergrund und kann sich weiter als politischer Ansprechpartner präsentieren. Als der von Öcalan ausgerufene Waffenstillstand 2015 zusammenbrach, wurde auch die TAK wieder aktiv (Tagesspiegel 13.12.2016).
Die TAK gilt als eine extrem geheime Organisation, deren Mitgliederzahl unbekannt ist. Laut Personen, die der PKK nahestehen, operiert die TAK in isolierten Zwei- bis Drei-Mann-Zellen, die zwar ideologisch der PKK folgen, jedoch unabhängig von dieser handeln (AM 29.2.2016).
Im Zuge der Eskalation des Kurdenkonflikts seit Sommer 2015 kam es am 23.12.2015 zu einem Anschlag der TAK auf den Istanbuler Flughafen "Sabiha Gökcen", bei dem eine Person ums Leben kam (TS 26.12.2015). In einer Erklärung kündigte die TAK den Beginn einer neuen Kampfinitiative an. Bislang hätte man aus Verantwortung und Loyalität gegenüber Öcalan auf Aktionen verzichtet. Aufgrund des totalen Krieges des AKP-Regimes gegen das kurdische Volk werde die TAK den Krieg auf die ganze Türkei ausweiten. Hierbei betonte die TAK ihre Unabhängigkeit von der PKK und anderen Organisationen, die sie angesichts der Vorgangsweise des türkischen Staates als zu humanistisch betrachtet (ANF 31.12.2015, vgl. AM 4.1.2016).
Am 17.2.2016 bekannte sich die TAK zu dem Anschlag auf einen Militärkonvoi in Ankara in unmittelbarer Nähe zum Hauptquartier der türkischen Streitkräfte, bei dem 29 Personen starben, dem weitere Anschläge am 13.3.2016 in Ankara am zentralen Kizilay-Platz mit 38 Toten sowie am 7.6.2016 auf einen Polizeibus in Istanbul mit zwölf Opfern folgten (SD 29.6.2016). Bei zwei Bombenexplosionen vor dem Besiktas-Fußballstadion und im nahen Maçka-Park wurden am 10.12.2016 über 40 Menschen getötet, die meisten von ihnen Polizisten (HDN 12.12.2016, vgl. Anadolu 12.12.2016). Mit den Anschlägen hat die TAK nach eigenen Angaben auf die Gefangenschaft des PKK-Anführers Abdullah Öcalan und die türkischen Militäroperationen vor allem im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen (TS 11.12.2016; vgl. Rudaw 11.12.2016).
Die TAK übernahm die Verantwortung für einen Anschlag am 5.1.2017 in Izmir, der auf ein Gerichtsgebäude abzielte. Ein Polizist und ein Mitarbeiter des Gerichtsgebäudes wurden bei einer Schießerei getötet. Die Terroristen wurden von Polizisten bei einem Schusswechsel nach der Detonation einer Autobombe am Eingang des Gerichtsgebäudes getötet (DS 11.1.2017). [Ansonsten gab es seit Ende 2016 keine nennenswerten Anschläge.]
Die TAK, welche seit 2006 auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet ist, kündigte am 6.6.2017 an, ihren Kampf in der Türkei zu intensivieren. So erklärte die TAK, alle Metropolen und Tourismusgebiete in der Türkei zu potenziellen Anschlagsgebieten (BMIBH 7.2018, vgl. TAK 21.1.2018).
2.4. Terroristische Gruppierungen: MLKP - Marksist Leninist Komünist Parti (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei)
Die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) ist 1994 im Wesentlichen durch die Vereinigung der TKPML-Hareketi und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) in der Türkei gegründet worden. Ideologisch bekennt sie sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und strebt unter der Errichtung der "Diktatur des Proletariats" die Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer sozialistischen (kommunistischen) Gesellschaftsordnung in der Türkei an. Die MLKP sieht nach eigener Aussage: "Aktionen von revolutionärer Gruppen- und Massengewalt gegen die konterrevolutionäre Gewalt [als] gerechtfertigte und wirkungsvolle Mittel des politischen Kampfes" (BMIBH 7.2018, vgl. MLKP o.D.).
In jüngster Zeit lagen keine Meldungen über bewaffnete Aktionen der MLKP in der Türkei vor. Die MLKP schickt angeblich seit 2012 Freiwillige nach Syrien, um in den kurdisch dominierten Volksschutzeinheiten (YPG) zu kämpfen. MLKP-Kämpfer haben sich auch den Formationen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) angeschlossen, die im Nordirak zur Verteidigung der jesidischen Minderheit von Sinjar [Shingal] kämpften. Mitglieder der MLKP haben sich auf Seiten der kurdischen YPG an den Kämpfen gegen den sog. Islamischen Staat in Syrien beteiligt (revolvy o.D., vgl. ANF 26.6.2016).
Fallweise kommt es zu Verhaftungen von regierungskritischen Journalisten, denen eine Mitgliedschaft oder Unterstützung der MLKP vorgeworfen wird. So wurde im April 2018 der deutsch-türkische Journalist Adil Demirci wegen Mitgliedschaft in der MLKP verhaftet, begründet mit der Teilnahme Demircis an den Beerdigungen von drei Mitgliedern der MLKP in den Jahren 2013, 2014 und 2015. Die MLKP-Mitglieder waren Soldaten, die aufseiten der kurdischen Miliz YPG in Syrien gegen den sogenannten Islamischen Staat gekämpft hatten (FR 20.4.2018). Dem 2017 verhafteten und mittlerweile freigekommenen deutsch-türkischen Journalisten, Deniz Yücel, wurde ebenfalls die Mitgliedschaft in der MLKP vorgeworfen (DerWesten 27.6.2018) ebenso wie der deutsch-türkischen Journalisten, Mesale Tolu, die 2017 zunächst festgenommen, und über die infolge ein Ausreiseverbot verhängt wurde, das im August 2018 aufgehoben wurde (SCF 20.8.2018).
2.5. Terroristische Gruppierungen: DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)
Die marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) spricht sich für eine revolutionäre Zerschlagung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei aus. Als Hauptfeinde betrachtet die DHKP-C die als "faschistisch" und "oligarchisch" bezeichnete Türkei und den "US-Imperialismus", der die Türkei in politischer, wirtschaftlicher und vor allem militärischer Hinsicht dominiere. Ihr Ziel, die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in der Türkei, ist laut Parteiprogramm der DHKP-C nicht durch Wahlen zu erreichen, sondern ausschließlich durch den "bewaffneten Volkskampf" unter der Führung der DHKP-C beziehungsweise ihres militärischen Arms, der "Revolutionären Volksbefreiungsfront" (DHKC). Die EU listet sie seit 2002 und die USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation (BMIBH 7.2018).
Die DHKP-C hat ihre terroristischen Aktivitäten in der Türkei im Jahr 2017 zwar fortgesetzt, jedoch ging das Ausmaß im Vergleich zum Vorjahr erneut zurück. Die seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 weiterhin verschärfte Sicherheitslage in der Türkei und die damit verbundenen umfangreichen staatlichen Maßnahmen hatten unmittelbare Auswirkungen auf die DHKP-C, etwa durch die Festnahme von Mitgliedern (BMIBH 7.2018). So wurden im Jänner 2018 sieben mutmaßliche Mitglieder der DHKP-C in Istanbul verhaftet (Anadolu 9.1.2018). Zudem wurde Anfang 2017 bekannt, dass Mitglieder der DHKP-C bei einem Luftangriff des türkischen Militärs getötet wurden (BMIBH 7.2018).
3. Rechtsschutz/Justizwesen
Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK, bis 2017 "Hoher Rat der Richter und Staatsanwälte", HSYK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Im Februar 2014 wurden im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des HSK vorgenommen. Sie führten zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenzen an den Justizminister, der gleichzeitig auch Vorsitzender des Rates ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers ist der Einfluss der Exekutive im HSK deutlich gestiegen. Seitdem kam es zu Hunderten von Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten. Im ersten Halbjahr 2015 wurde auch gegen Richter und Staatsanwälte ermittelt, die als mutmaßliche Gülen-Anhänger illegale Abhörmaßnahmen angeordnet haben sollen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet. Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK zur Hälfte von Staatspräsident und Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen einer Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde von 22 auf 13 reduziert (AA 3.8.2018).
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: Der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte), und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danistay), der Kassationshof (Yargitay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyusmazlik Mahkemesi). Die Staatssicherheitsgerichte (Devlet Güvenlik Mahkemeleri-DGM) wurden im Zuge der Reformen für die EU-Beitrittsverhandlungen 2004 abgeschafft und die laufenden Fälle an die Großen Strafkammern (Agir Ceza Mahkemeleri) abgegeben (ÖB 10.2017).
Es gab einen schweren Rückschritt hinsichtlich der Funktionsfähigkeit des Justizwesens. Die Unabhängigkeit der türkischen Justiz wurde ernsthaft untergraben, unter anderem durch die Entlassung und Zwangsversetzung von 30% der türkischen Richter und Staatsanwälte nach dem Putschversuch 2016. Diese Entlassungen hatten eine abschreckende Wirkung auf die gesamte Justiz und bergen die Gefahr einer weitreichenden Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten in sich (EC 17.4.2018, vgl. AI 22.2.2018).
Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, welche die Unabhängigkeit der Justiz gewährleisten. Im Gegenteil, Verfassungsänderungen in Bezug auf den Rat der Richter und Staatsanwälte haben dessen Unabhängigkeit von der Exekutive weiter untergraben. Es wurden keine Maßnahmen ergriffen, um den Bedenken hinsichtlich des Fehlens objektiver, leistungsbezogener, einheitlicher und im Voraus festgelegter Kriterien für die Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten Rechnung zu tragen (EC 17.4.2018).
Obwohl Richter immer noch gelegentlich gegen die Interessen der Regierung entscheiden, hat die Ernennung Tausender neuer, der Regierung gegenüber loyaler Richter, die bei einem Urteil gegen die Exekutive in bedeutenden Gerichtsfällen mit potenziellen beruflichen Konsequenzen zu rechnen haben, die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei stark geschwächt. Gleiches gilt für die Auswirkungen der laufenden Säuberung insgesamt. Diese Entwicklung setzte zwar schon weit vor dem Putschversuch im Juli 2016 ein, verstärkte sich aber bis Ende 2017 angesichts der Massenentlassungen von Richtern und Staatsanwälten. In hochkarätigen Fällen werden Richter und Gerichtsverfahren transferiert, so dass das Gericht der Position der Regierung wohlgesonnen ist. Eine langfristige Erosion der Garantie für ordnungsgemäße Verfahren hat sich im Ausnahmezustand beschleunigt. Antiterroranschuldigungen, die seit dem Putschversuch erhoben werden, beruhen oft auf sehr schwachen Indizienbeweisen, geheimen Zeugenaussagen oder einer sich ständig erweiternden Schuldvermutung durch die Festlegung neuer Verbindungspunkte. In vielen Fällen wurden Rechtsanwälte, die die Angeklagten wegen Terrorismusdelikten verteidigen, selbst verhaftet. Längere Untersuchungshaft ist zur Routine geworden (FH 1.2018).
Insgesamt wurden seit dem Putschversuch über 4.000 Richter und Staatsanwälte aus ihren Ämtern entlassen, von denen 454 später vom HSK wieder in ihre Ämter eingesetzt wurden. Gegenwärtig gibt es über 4.000 Richter und Staatsanwälte, gegen die rechtliche Schritte eingeleitet wurden (Entlassung oder Suspendierung). Richter und Staatsanwälte, die sich in Untersuchungshaft befanden, blieben im Durchschnitt mehr als ein Jahr lang ohne Anklage inhaftiert (EC 17.4.2018).
Die Vereinigung der Richter und Staatsanwälte (YARSAV), eine unabhängige Vereinigung der Mitglieder der Justiz in der Türkei, wurde nach dem Putschversuch aufgelöst und ihr Vorsitzender, Murat Arslan, sowie andere Mitglieder inhaftiert (PACE 15.12.2016, vgl. AM 9.11.2016). YARSAV gehörte zu den ersten, die auf internationaler Ebene über die Bedrohungen der Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei sprachen, und alsbald als einzige türkische Organisation der Internationalen Richtervereinigung sowie den "Europäischen Richtern für Demokratie und Freiheitsrechte" (MEDEL) beitrat. Obwohl YARSAV sich einst vehement gegen die Aufnahme von Gülen-Mitgliedern in die Justiz ausgesprochen hatte, wurde die Schließung von YARSAV mit der Nähe zur Gülen-Bewegung begründet (AM 9.11.2016).
Das Verfassungsgericht prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Nach dem Putschversuch wurden zwei Richter des Verfassungsgerichts verhaftet und mit Beschluss des Plenums des Gerichts entlassen. Im Januar 2018 entschied das Verfassungsgericht im Fall von zwei Journalisten, dass sie durch ihre Untersuchungshaft in ihren Grundrechten verletzt seien und aus der Haft zu entlassen seien. Die mit dem Fall befassten ordentlichen Gerichte weigerten sich jedoch, diese verbindliche Entscheidung umzusetzen (AA 3.8.2018).
Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der PKK oder ihrem zivilen Arm KCK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten (AA 3.8.2018).
Die maximale Untersuchungshaftdauer beträgt bei herkömmlichen Delikten je nach Schwere bis zu drei Jahre. Bei terroristischen Straftaten beträgt die maximale Untersuchungshaftdauer sieben Jahre (ÖB 10.2017).
Während des Ausnahmezustandes hat der Ministerrat mehr als 30 Dekrete erlassen, die nach der Verfassung "rechtskräftig" sind. Diese Notverordnungen betrafen die Einschränkung bestimmter bürgerlicher und politischer Rechte, der Ausweitung der Polizeibefugnisse und der Befugnisse der Staatsanwälte für Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen, die massiven Entlassungen von Beamten und die Schließung von Körperschaften sowie die Liquidation ihres Vermögens durch den Staat. Sie betreffen zudem Schlüsselrechte im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbeistand und das Recht auf Schutz des Eigentums. Sie enthalten Änderungen für andere wichtige Rechtsmaterien, die auch nach dem Ausnahmezustand Wirkung zeigen werden, insbesondere in Bezug auf Eigentumsrechte, lokale Behörden, öffentliche Verwaltung und Telekommunikation. Die Dekrete werfen ernsthafte Fragen die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen betreffend auf. Sie wurden vom Parlament nicht sorgfältig und wirksam geprüft und zudem verspätet verabschiedet. Folglich standen die Dekrete lange Zeit nicht der gerichtlichen Überprüfung offen, da die Verabschiedung durch das Parlament ein notwendiger Schritt vor jeder rechtlichen Anfechtung vor dem Verfassungsgericht ist. Keines der Dekrete war bisher Gegenstand einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (EC 17.4.2018).
Ein am 9.12.2016 von den Verfassungsrechtsexperten des Europarates - der Venedig-Kommission - verabschiedetes Gutachten kommt zum Schluss, dass die türkischen Behörden zwar "mit einer gefährlichen bewaffneten Verschwörung" konfrontiert waren und "gute Gründe" hatten, den Ausnahmezustand auszurufen, doch dass die von der Regierung ergriffenen Maßnahmen über das hinausgingen, was gemäß der türkischen Verfassung und dem Völkerrecht zulässig ist. Obwohl die Bestimmungen der türkischen Verfassung zur Ausrufung des Ausnahmezustands in Einklang mit den europäischen Normen zu stehen scheinen, übte die Regierung ihre Notstandsbefugnisse mithilfe einer Anlassgesetzgebung aus. Etwa die Massenentlassungen zehntausender Beamter auf der Grundlage von den Notdekreten beigefügten Listen, erwecken stark den Anschein von Willkür. Der Begriff der Verbindung (zur Gülen-Bewegung) ist zu vage definiert, und selbst wenn Mitglieder des Gülen-Netzwerks an dem gescheiterten Staatsstreich beteiligt waren, sollte dieser Umstand nicht dazu verwendet werden, gegen alle Personen vorzugehen, die in der Vergangenheit mit dem Netz irgendwie in Kontakt standen (CoE-VC 9.12.2016).
Die Verfassung sieht das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, obwohl Anwaltsverbände und Rechtsvereinigungen geltend machten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und Maßnahmen der Regierung durch Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährdet hätten. Richter können den Zugang von Rechtsanwälten zu den Akten der Angeklagten während der Strafverfolgungsphase einschränken. Zwar haben Angeklagte das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und rechtzeitig einen Anwalt hinzuzuziehen, doch stellten Beobachter fest, dass die Gerichte es insbesondere in hochkarätigen Fällen verabsäumen, den Angeklagten diese Rechte auch einzuräumen (USDOS 20.4.2018).
Die Regierung setzte auch ihre groß angelegte Entlassung von Beamten aus dem öffentlichen Dienst fort. Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden insgesamt 115.158 Beamte, Richter und Staatsanwälte entlassen. Das breite Spektrum und der kollektive Charakter dieser Maßnahmen wirft ernsthafte Fragen im Hinblick auf die mangelnde Transparenz der Verwaltungsverfahren, die zur Entlassung aus dem öffentlichen Dienst führen, und die Unklarheit der Kriterien für die Bestimmung angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung und die persönliche Beteiligung am Putschversuch auf. Von den Entlassungen waren vor allem das Innen- und Bildungsministerium betroffen. Tausende von Polizeibeamten, Lehrern, Akademikern, Gesundheitspersonal und Angehörigen der Justiz gehören zu denen, die aus dem Amt entfernt wurden (EC 17.4.2018).
Die Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen, die am 23.1.2017 gegründet wurde, hat am 17.7.2017 begonnen, Einsprüche von aufgrund der Notstandsdekrete entlassenen Personen, Vereinen und Firmen entgegenzunehmen (HDN 8.8.2017). Das Verfassungsgericht hatte zuvor rund 70.800 Individualbeschwerden in Zusammenhang mit Handlungen auf der Basis der Notstandsdekrete zurückgewiesen, da die Beschwerden nicht der Kommission zur Untersuchung der Notstandsmaßnahmen vorgelegt, und somit nicht alle Rechtsmittel ausgeschöpft wurden (bianet 7.8.2017, vgl. EC 17.4.2018). Nebst den direkt bei der Kommission eingereichten Beschwerden werden auch jene, die vor der Gründung der Kommission bei den Verwaltungsgerichten und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht wurden, übernommen. Der EGMR hatte zuvor 24.000 Beschwerden abgelehnt. Negative Bescheide der Kommission können bei den Verwaltungsgerichten beeinsprucht werden (HDN 8.8.2017). Bis zur Einsetzung der Kommission wurden 3.604 Personen per Dekret wieder ins Amt eingesetzt, während weitere 36.000 Wiedereinsetzungen nach einem unklaren und undurchsichtigen Verwaltungsverfahren in verschiedenen Institutionen erfolgten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat auch etwa 28.000 bei ihm eingegangene Beschwerden an die Berufungskommission weitergeleitet. Infolgedessen hat die Beschwerdekommission bis Anfang März 2018 insgesamt rund 107.000 Beschwerdeanträge erhalten. Die Urteilsverkündungen begannen im Dezember 2017. Bis Anfang März 2018 wurden insgesamt 6.400 Fälle untersucht, darunter 1.984 vorläufige Prüfungsentscheidungen zu Personen, die per Dekret wieder eingegliedert wurden. Die Beschwerdekommission hat über 4.400 Prüfungsentscheidungen getroffen. Von diesen waren 100 positiv und 4.316 wurden abgelehnt. Es bedarf laut Europäischer Kommission einer größeren Transparenz der Arbeit der Beschwerdekommission und einer klaren Begründung für ihre Entscheidungen auf der Basis einer individuellen Prüfung jeder Akte nach ihren eigenen Gesichtspunkten (EC 17.4.2018).
Am 24.12.2017 wurde das Notstandsdekret Nr. 696 veröffentlicht, welches u. a. die Straffreiheit von Zivilisten regelt, die während der Putschnacht vom 15. auf den 16.7.2016 Putschisten gewaltsam daran gehindert haben, die Regierung zu stürzen. Hierbei wurde Artikel 121 des Notstandsgesetzes vom 11.9.2016 um den Zusatz "Zivilisten" ergänzt, die keinen Beamtenstatus besitzen. Das ältere Notstandsgesetz besagte, dass gegen Beamte die beim Putschversuch und in diesem Zusammenhang in nachfolgenden Terroraufständen Widerstand geleistet haben, juristisch nicht belangt werden können (Turkishpress 25.12.2017). Kritiker befürchten, dass dies in Zukunft einen Freifahrtschein für ungezügelte Gewalt und Misshandlungen gegen Oppositionelle bedeute und den Aktionen paramilitärischer Einheiten Vorschub leiste (FNS 31.12.2017; vgl. OHCHR 3.2018). Der türkische Justizminister bekräftigte, dass das Notstandsdekret keine Blanko-Amnestie sei und sich ausschließlich auf die Umstände während der Putschnacht und der Periode unmittelbar danach bezöge (Turkishpress 25.12.2017, vgl. FNS 31.12.2017).
288 Prozesse wurden landesweit wegen des Putschversuches durchgeführt, bei denen die Gerichte 180 Urteile gefällt haben. 636 Verdächtige erhielten eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe, während 888 zu lebenslangen und 653 zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zwei Monaten bis zu 20 Jahren verurteilt wurden. In den Prozessen wegen des Putschversuches wurden 1.552 Verdächtige freigesprochen, und in 595 Fällen wurde eine sog. Nichtverfolgungsentscheidung getroffen (SCF 20.6.2018, HDN 7.6.2018). So verhängte ein Gericht in Izmir gegen 104 der 280 Angeklagten wegen "versuchten Umsturzes der Verfassungsordnung" sogenannte "verschärfte" lebenslange Haftstrafen. 21 weitere Angeklagte wurden zu zwanzigjährigen Haftstrafen wegen der versuchten Ermordung von Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan verurteilt. 31 Angeklagte müssen wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" für zehneinhalb Jahre in Haft. Alle Angeklagten seien frühere Angehörige des Militärs gewesen, darunter mehrere Generäle und ranghohe Offiziere (ZO 21.5.2018).
Per Dekret wurde Staatspräsident Erdogan im August 2017 ermächtigt, ausländische Gefangene ohne Einschaltung der Justiz in deren Heimatländer abzuschieben oder gegen türkische Staatsbürger auszutauschen (HB 28.8.2017). Dies geschieht auf Antrag des Außenministers. Somit kann die Türkei festgehaltene Ausländer in diplomatischen Verhandlungen nützen (AM 30.8.2017).
4. Sicherheitsbehörden
Die Polizei übt ihre Tätigkeit in den Städten aus. Die Jandarma ist für die ländlichen Gebiete und Stadtrandgebiete zuständig und untersteht dem Innenminister. Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz.Der Einfluss der Polizei wird seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung sukzessive von der AKP zurückgedrängt (massenhafte Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst und Strafverfahren). Die politische Bedeutung des Militärs ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Auch das traditionelle Selbstverständnis der türkischen Armee als Hüterin der von Staatsgründer Kemal Atatürk begründeten Traditionen und Grundsätze, besonders des Laizismus und der Einheit der Nation (v. a. gegen kurdischen Separatismus), ist in Frage gestellt (AA 3.8.2018).
Am 9.7.2018 erließ Staatspräsident Erdogan ein Dekret, das die Kompetenzen der Armee neu ordnet. Der türkische Generalstab wurde dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der Oberste Militärrat wurde aufgelöst. Erdogan hat auch den Nationalen Sicherheitsrat und das Sekretariat für nationale Sicherheit der Türkei abgeschafft. Ihre Aufgaben werden vom Komitee für Sicherheit und Außenpolitik (Board of Security and Foreign Policy) übernommen, einem von neun beratenden Gremien, die dem Staatspräsidenten unterstehen. Ebenfalls per Dekret wird der Verteidigungsminister nun zum wichtigsten Entscheidungsträger für die Sicherheit. Landstreitkräfte, Marine- und Luftwaffenkommandos wurden dem Verteidigungsminister unterstellt. Der Präsident kann bei Bedarf direkt mit den Kommandeuren der Streitkräfte verhandeln und Befehle erteilen, die ohne weitere Genehmigung durch ein anderes Büro umgesetzt werden sollen. Hiermit soll die Schwäche der Sicherheitskommando-Kontrolle während des Putschversuchs in Zukunft vermieden werden (AM 17.7.2018).
Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MIT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MIT-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen (z.B. Journalist Can Dündar). Auch Personen, die dem MIT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Entscheidung, ob gegen den MIT-Vorsitzenden ermittelt werden darf, bedarf mit der Novelle April 2014 der Zustimmung des Staatspräsidenten. Seit September 2017 untersteht der türkische Nachrichtendienst MIT direkt dem Staatspräsidenten und nicht mehr dem Amt des Premierministers (ÖB 10.2017).
Das türkische Parlament verabschiedete am 27.3.2015 eine Änderung des Sicherheitsgesetzes, das terroristische Aktivitäten unterbinden soll. Dadurch wurden der Polizei weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen. Zudem werden die von der Regierung ernannten Provinzgouverneure ermächtigt, den Ausnahmezustand zu verhängen und der Polizei Instruktionen zu erteilen (NZZ 27.3.2015, vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Chefs der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (Anadolu 27.3.2015).
Vor dem Putschversuch im Juli 2016 hatte die Türkei 271.564 Polizisten und 166.002 Gendarmerie-Offiziere (einschließlich Wehrpflichtige). Nach dem Putschversuch wurden mehr als 18.000 Polizei- und Gendarmerieoffiziere suspendiert und mehr als 11.500 entlassen, während mehr als 9.000 inhaftiert blieben (EC 9.11.2016). Anfang Jänner 2017 wurden weitere 2.687 Polizisten entlassen (Independent 7.1.2017). Die Regierung ordnete am 8.7.2018 im letzten Notstandsdekret vor der Aufhebung des Ausnahmezustandes die Entlassung von 18.632 Staatsangestellten an, darunter fast 9.000 Polizisten wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Terrororganisationen und Gruppen, die "gegen die nationale Sicherheit vorgehen", 3.077 Armeesoldaten, 1.949 Angehörige der Luftwaffe und 1.126 Angehörige der Seestreitkräfte (HDN 8.7.2018).
5.1. Dorfschützer/Sicherheitswachen
Die 1985 gegründeten Dorfschützer wurden ursprünglich als "Wald- oder Landwache" bezeichnet. Es handelt sich dabei um kurdisch-stämmige Zivilisten, welche die türkischen Sicherheitskräfte auf dem Land unterstützen. Bald jedoch wurden sie benutzt, um den Streitkräften mit ihrem lokalen Wissen zu helfen, die PKK in den Bergen zu bekämpfen. Es gab zahlreiche Missbräuche, da viele ihre Macht nutzten, um persönliche Rechnungen zu begleichen. Nachdem der zweieinhalbjährige Waffenstillstand zwischen dem Staat und der PKK im Juli 2015 gescheitert war, hat die Regierung die Struktur der Dorfschützer grundlegend verändert. und die Rekrutierung für die Miliz und ihre Verbindungen zum Militär mit strukturellen Veränderungen in der Organisation verstärkt (Ahval 14.7.2018). Der Name wurde in "Sicherheitswachen" geändert und das Pensionsalter auf 45 Jahre herabgesetzt, um ältere Kämpfer durch jüngere zu ersetzen. Mehr als 18.000 Dorfschützer wurden pensioniert und 21.000 neue Sicherheitskräfte eingestellt (ICG 20.7.2017, vgl. Ahval 14.7.2018).
Das Generalkommando der Gendarmerie übernahm die Lieferung von Uniformen, Bewaffnung und Ausrüstung. Die Dorfschützer erhalten Tagegelder und ihre Gehälter wurden an die der Beamten gekoppelt. Sie erhielten zudem die Erlaubnis, auch außerhalb des Dienstes Waffen zu tragen. Das Innenministerium stellte neue Hochsicherheitsausweise aus und verteilte mehr als 1.500 Mobiltelefone. Die Wachposten sind auf dem neuesten Stand der Technik. Eine der kritischsten Änderungen ist jedoch die Gewährleistung des staatlichen Schutzes vor Strafverfolgung. Wenn es eine Strafanzeige gegen ein Mitglied der Dorfschützer gibt, zahlt das Büro des Provinzgouverneurs die Anwaltskosten. Das neue Gesetz eröffnet den Weg für die Dorfschützer, zur Berufsarmee befördert oder sogar Offiziere zu werden. Die in den letzten zwei Jahren neu geschaffene Organisation hat sich zu einer kurdischen regierungsfreundlichen paramilitärischen Einheit entwickelt, die neben dem türkischen Militär in den Städten sogar über die Grenzen hinweg in Syrien und im Irak operiert (Ahval 14.7.2018).
In der Vergangenheit wurden die Dorfschützer für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, wie Entführungen, Folter und der Konfiszierung von Eigentum (US DOS 13.4.2016, vgl. EC 17.4.2018).
Allein zwischen August 2016 und März 2017 wurden zehn dieser Milizionäre von der PKK wegen "Verrat und Kollaboration mit dem Feind" hingerichtet (bpb 10.4.2018). Zwischen April und Juli 2017 wurden weitere 15 Dorfschützer getötet (ICG 20.7.2017). Bei einem Angriff der PKK in der Nähe einer Militärbasis in der Provinz Siirt wurden Ende März 2018 sechs Dorfschützer getötet (DW 30.3.2018).
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Die Türkei ist Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (Optional Protocol to the Convention Against Torture/ OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2010 ratifiziert. Menschenrechtsinstitutionen in der Türkei geben an, dass Fälle von Folterungen in Ermittlungsverfahren wieder häufiger geworden sind. Folter bleibt in vielen Fällen straflos - wenngleich es ebenso Fälle gibt, in welchen Anklage erhoben wird und Verurteilungen erfolgen (ÖB 10/2017).
Die deutliche Zunahme von Folter und anderen Formen der Misshandlung in amtlichen Haftanstalten während des Ausnahmezustands infolge des gescheiterten Militärputsches und während des Konflikts in Südost- und Ostanatolien nach Juli 2015, setzte sich auch 2017 fort, wenn auch in deutlich geringerem Maße als in den Wochen nach dem Putschversuch im Juli 2016 (IHD 6.4.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018). Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Vorwürfen zu Folter und anderer Misshandlungen von Häftlingen und Festgenommenen auf der Basis des Ausnahmezustandes. Bei Demonstrationen wurde von Sicherheitskräften Gewalt die gegen Personen angewendet wurden, die ihr Demonstrations- und Versammlungsrecht ausübten, die das Ausmaß von Folter und anderer Misshandlung erreichte. Nach Angaben des Menschenrechtsverbandes (IHD) sind 2017 insgesamt 2.682 Menschen Folter und Misshandlung ausgesetzt gewesen (IHD 6.4.2018).
Folter und Misshandlungen betreffen insbesondere Personen, die unter dem Anti-Terror-Gesetz festgehalten werden. Es gibt weit verbreitete Berichte, dass die Polizei Häftlinge geschlagen, misshandelt und mit Vergewaltigung bedroht, Drohungen gegen Anwälte ausgestoßen und sich bei medizinischen Untersuchungen eingemischt hat (HRW 18.1.2018). Es gibt keine funktionierende nationale Stelle zur Verhütung von Folter und Misshandlung, die ein Mandat zur Überprüfung von Hafteinrichtungen hat. Ebenso wenig sind Statistiken zur Untersuchung von Foltervorwürfen verfügbar. (AI 22.2.2018). Es gibt Berichte über nicht identifizierte Täter, die angeblich im Auftrag staatlicher Institutionen mindestens sechs Männer entführt und an geheimen Orten festgehalten haben sollen (HRW 18.1.2018).
Es gibt Vorwürfe von Folter und anderen Misshandlungen im Polizeigewahrsam seit Ende seines offiziellen Besuchs im Dezember 2016, u.a. angesichts der Behauptungen, dass eine große Anzahl von Personen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zur bewaffneten Arbeiterpartei Kurdistans zu haben, brutalen Verhör-Methoden ausgesetzt sind, die darauf abzielen, erzwungene Geständnisse zu erwirken oder Häftlinge zu zwingen andere zu belasten (Zu den Missbrauchsfällen gehören schwere Schläge, Elektroschocks, Übergießen mit eisigem Wasser, Schlafentzug, Drohungen, Beleidigungen und sexuelle Übergriffe (OHCHR 27.2.2018, vgl. OHCHR 3.2018). Die Regierungsstellen haben offenbar keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen, um diese Anschuldigungen zu untersuchen oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurden Beschwerden bezüglich Folter, Berichten zufolge von der Staatsanwaltschaft unter Berufung auf die Notstandsverordnung (Art. 9 des Dekrets Nr. 667) abgewiesen, die Beamte von einer strafrechtlichen Verantwortung für Handlungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand freispricht. Die Tatsache, dass die Behörden es versäumt haben, Folter und Misshandlung öffentlich zu verurteilen und das allgemeine Verbot eines solchen Missbrauchs in der täglichen Praxis durchzusetzen, fördert ein Klima der Straffreiheit, welches dieses Verbot und letztendlich die Rechtsstaatlichkeit ernsthaft untergräbt (OHCHR 27.2.2018). Der UN-Sonderberichterstatter vermutet, dass sich angesichts der Massenentlassungen innerhalb der Behörden Angst breit gemacht hat, sich gegen die Regierung zu stellen. Staatsanwälte untersuchen Foltervorwürfe nicht, um nicht selbst in Verdacht zu geraten (SRF 1.3.2018).
Viele Häftlinge haben bei späteren Gerichtsauftritten erzwungene Geständnisse zurückgezogen. Zu den Tätern gehörten auch Mitglieder der Polizei, der Gendarmerie, der Militärpolizei und der Sicherheitskräfte. Tausende von unzensierten Bildern von Folterungen mutmaßlicher Putschverdächtiger unter erniedrigenden Umständen wurden nach dem Putsch vom Juli 2016 in den türkischen Medien und sozialen Netzwerken verbreitet, ebenso wie Aussagen, die zu Gewalt gegen Regierungsgegner anstachelten. OHCHR erhielt Berichte über Personen, die von Anti-Terror-Polizeieinheiten und Sicherheitskräften in improvisierten Haftanstalten wie Sportzentren und Krankenhäusern ohne Anklage festgehalten und misshandelt wurden (OHCHR 3.2018).
6. Korruption
Korruption ist im öffentlichen und privaten Sektor der Türkei weit verbreitet. Öffentliche Aufträge und Bauprojekte sind besonders anfällig für Korruption, und es werden häufig Bestechungsgelder verlangt. Das türkische Strafgesetzbuch kriminalisiert verschiedene Formen korrupter Aktivitäten, darunter aktive und passive Bestechung, Korruptionsversuche, Erpressung, Bestechung eines ausländischen Beamten, Geldwäsche und Amtsmissbrauch. Aber Anti-Korruptionsgesetze werden uneinheitlich durchgesetzt und die Anti-Korruptionsbehörden arbeiten ineffizient. Die Strafe für Bestechung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren umfassen, und Unternehmen können mit der Beschlagnahme von Vermögenswerten und dem Entzug staatlicher Betriebsgenehmigungen rechnen. Es besteht ein hohes Korruptionsrisiko im Umgang mit der türkischen Justiz. Bestechungsgelder und Zahlungen als Gegenleistung für günstige Gerichtsurteile werden von den Unternehmen als recht häufig bezeichnet. Etwa ein Drittel der Türken und Türkinnen empfinden Richter und Gerichtsvollzieher als korrupt. Politische Einmischung, langsame Verfahren und ein überlastetes Gerichtssystem stellen ein hohes Risiko für Korruption in der türkischen Justiz dar. Korruption in der türkischen Polizei ist ein mittelgradiges Risiko. Unternehmen geben an, dass sie die Polizei als nicht ausreichend zuverlässig empfinden (BACP 6.2018).
Bei der Beseitigung der zahlreichen Lücken im türkischen Antikorruptionsrahmen sind keine Fortschritte zu verzeichnen. Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und gibt Anlass zur Sorge. Laut Europäischer Kommission muss der rechtliche und institutionelle Rahmen weiter an internationale Standards angepasst werden, da weiterhin eine unangemessene Einflussnahme der Exekutive bei der Ermittlung und Verfolgung von High-Profile-Korruptionsfällen vorliegt. Die Erfolgsbilanz der Türkei bei Ermittlungen, Strafverfolgung und Verurteilung in Korruptionsfällen ist nach wie vor schlecht, insbesondere bei hochkarätigen Korruptionsfällen. Die korruptionsbezogenen Verurteilungen durch die Gerichte gingen von 5.497 im Jahr 2016 auf 3.889 im Jahr 2017 zurück. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben Urteile keine abschreckende Wirkung. Besonders anfällig für Korruption sind die Kommunalverwaltungen, Behörden, die für die Flächennutzung zuständig sind, das öffentliche Beschaffungswesen sowie die Bau- und Verkehrswirtschaft (EC 17.4.2018).
Es gibt nach wie vor keine ständige, funktionell unabhängige Anti-Korruptionsbehörde und auch keine ausreichende Koordination der verschiedenen Institutionen, die für die Prävention oder Korruptionsbekämpfung zuständig sind. Die Inspektionskommission des Premierministers koordiniert präventive Antikorruptionsmaßnahmen, ist aber nicht unabhängig und hat keine eigenständigen Untersuchungsbefugnisse. Anti-Korruptions-Aufklärungskampagnen wurden nicht regelmäßig durchgeführt, und die Auswirkungen bleiben begrenzt. Die Antikorruptionsstrategie und der Aktionsplan 2010-2014 haben die meisten ihrer ursprünglichen Ziele nicht erreicht. Die in dem 2016 angekündigten Aktionsplan für Transparenz und Korruptionsbekämpfung vorgesehenen Maßnahmen wurden noch nicht umgesetzt. Es gibt keine umfassende Politik zur Verhinderung von Korruption im privaten Sektor. Dem Land fehlt nach wie vor eine spezialisierte Staatsanwaltschaft, die Antikorruptionsuntersuchungen leitet. Es gibt auch wenige spezialisierte Gerichte. Der derzeitige Rechtsrahmen verhindert, dass Beamte, die als Gerichtspolizei tätig sind, wirksame Ermittlungen durchführen können, ohne dass die Exekutive einen unzulässigen Einfluss ausüben kann (EC 17.4.2018).
Die Regierung hat Strafverfolgungsbeamte, Richter und Staatsanwälte verfolgt, die korruptionsbezogene Ermittlungen oder Verfahren gegen Regierungsbeamte eingeleitet hatten, und behauptete, die Angeklagten hätten dies auf Geheiß der Gülen-Bewegung getan. Auch Journalisten, die der Veröffentlichung der Korruptionsvorwürfe beschuldigt werden, wurden strafrechtlich belangt. Kein hoher Regierungsbeamter sah sich einer Untersuchung wegen angeblicher Korruption gegenüber (USDOS 20.4.2018).
Korruption - einschließlich Geldwäsche, Bestechung und Absprachen bei der Vergabe von Regierungsaufträgen - bleibt ein großes Problem. Die seit dem Putschversuch 2016 durchgeführten Säuberungen haben die Möglichkeiten der Korruption angesichts der massiven Enteignung von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stark erhöht. Milliarden von Dollar an beschlagnahmten Vermögenswerten werden von staatlich bestellten Treuhändern verwaltet, was die engen Beziehungen zwischen der Regierung und befreundeten Unternehmen weiter verstärkt (FH 1.2018).
Transparency International reihte die Türkei im Korruptionswahrnehmungsindex 2017 auf Rang 81 von 180 untersuchten Ländern und Territorien (2016: Platz 75 von 176) (21.2.2018).
7. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen im Mittelpunkt des Demokratisierungsprozesses in der Türkei. Seit März 2018 gibt es rund 112.668 Vereine und 5.083 neue Stiftungen sowie zahlreiche informelle Organisationen wie Plattformen, Initiativen und Gruppen. Ihre Arbeitsbereiche konzentrieren sich vor allem auf gesellschaftliche Solidarität, soziale Dienste, Bildung, Gesundheit und verschiedene Rechtsthemen. In den letzten Jahren hat der gemeinnützige Sektor in der Türkei sowohl an Größe als auch an Beteiligung zugenommen und einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Landes geleistet. Schon vor dem Putschversuch und den späteren Folgen des Ausnahmezustands im Jahr 2016 war der "schrumpfende zivilgesellschaftliche Raum" ein Thema. Trotz verbesserter Rechtsvorschriften für Vereine und Stiftungen, die während des Beitrittsprozesses zur Europäischen Union entstanden, bestehen weiterhin Herausforderungen und Zwänge, insbesondere hinsichtlich des Sekundärrechts und seiner Umsetzung. Seit den großen Reformpaketen von 2004 und 2008 wurden keine umfassenden Reformen durchgeführt. Ab 2018 ist das rechtlich-politische Umfeld für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Türkei nicht förderlich. Einschränkungen beschränken weiterhin die Vereinigungs-, Versammlungs- und Redefreiheit. Es gibt noch keine konkrete Definition der Zivilgesellschaft und der zivil-gesellschaftlichen Organisationen in den entsprechenden Rechtsvorschriften und politischen Dokumenten, und es fehlt ein eigener, übergreifender und verbindlicher Rechtsrahmen für die Beziehungen zwischen NGOs und öffentlichen Institutionen (ICNL 22.6.2018).
Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch wie alle Vereine nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet (AA 3.8.2018).
Schon immer haben sich türkische Interessenvertretungen auch sozialen und gesellschaftlichen Problemen und Projekten gewidmet, dies jedoch meist auf konkrete Vorhaben oder Bedürfnisse bezogen. In diesem Bereich fällt auch das ausgeprägte Stiftungswesen in der Türkei, das religiös oder sozial motiviert, die Teilhabe von Benachteiligten an Bildung, Kultur und Versorgung ermöglicht. Zivilgesellschaftliches Engagement im Sinne der politischen Einflussnahme auf Staat, Gesellschaft und Wirtschaft ist in der Türkei eine neuere Erscheinung und seit den 1990er Jahren spürbar (GIZ 12.2016).
Der anhaltende Ausnahmezustand hat den Druck auf die Opposition erhöht und zu immer mehr Einschränkungen der Grundrechte und -freiheiten geführt. Bis zum 15. Juni 2018 hatte die Regierung 31 Notstandsdekrete herausgegeben, von denen fünf einen direkten Einfluss auf NGOs hatten. Im Rahmen des Ausnahmezustands hat die Regierung von Juli 2016 bis März 2018 1.604 Stiftungen und Vereine per Dekret geschlossen, von denen nur 187 wiedereröffnet wurden. Darüber hinaus wird die Meinungsfreiheit nach wie vor durch willkürliche und restriktive Auslegung von Gesetzen sowie durch Schikanen, Entlassungen und häufige Gerichtsverfahren gegen Aktivisten, Journalisten, Akademiker und Nutzer von sozialen Medien untergraben (ICNL 22.6.2018).
Die Regierung ist seit dem Putschversuch gegen NGOs vorgegangen und hat Stiftungen und Vereine geschlossen und deren Vermögen beschlagnahmt. Die NGOs arbeiten zu Themen wie Folter, häusliche Gewalt und Hilfe für Flüchtlinge und Binnenvertriebene (FH 1.2018).
Die Vereine sind nach wie vor des Öfteren (Ermittlungs-) Verfahren mit zum Teil fragwürdiger rechtlicher Grundlage ausgesetzt. Nur wenige der Verfahren gegen Menschenrechtsverteidiger enden mit Freisprüchen. Weit häufiger ziehen sich die Verfahren über mehr als ein Jahr hin, und oft bleiben die Beschuldigten zumindest bis zum ersten Verhandlungstag in Untersuchungshaft. Die mittlerweile weit verbreitete strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern bedeutet zwar nicht, dass sich die Mehrzahl der Menschenrechtsverteidiger in Haft befindet. Auffällig ist aber, dass sich gerade besonders prominente Vertreter menschenrechtlich engagierter zivilgesellschaftlicher Institutionen in Haft befinden (AA 3.8.2018).
Die 2012 gegründete Menschenrechts-Institution der Türkei (MRI, Insan Haklari Kurumu) wurde 2016 durch das Institut für Menschenrechte und Gleichstellung (IMRI, Insan Haklari ve Esitlik Kurumu) ersetzt. Die neue Institution geht aus einem Antidiskriminierungsgesetz hervor, das die Türkei am 6.4.2016 zur Erfüllung der Kriterien zur Visaliberalisierung erlassen hatte. Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Ministerrat (8) und Staatspräsidenten (3) bestimmt werden. Dem IMRI-Institut kommt die Rolle des "Nationalen Präventionsmechanismus" OPCAT zu. Menschenrechtsvereine beurteilen die Neueinrichtung sehr skeptisch, da schon die vorherige Institution keine praktische Relevanz hatte und nicht unabhängig gewesen sei. Nun sei aber klar, dass alle Mitglieder von der Exekutive ernannt werden (AA 3.8.2018, ENNHRI 19.12.2017).
In Bezug auf die Zivilgesellschaft gab es ernsthafte Rückschläge, da sie zunehmend unter Druck geriet, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten, einschließlich Menschenrechtsverteidigern, und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten und anderen Arten von Versammlungen, die zu einer raschen Schrumpfung des Raums für Grundrechte und -freiheiten führten. Viele Organisationen, die sich mit Rechtsfragen beschäftigten, blieben unter den Maßnahmen des Ausnahmezustands geschlossen. Ihnen wurde kein Rechtsmittel gegen die durchgeführten Beschlagnahmungen gewährt. Trotzdem blieb die Zivilgesellschaft soweit es ging aktiv und am öffentlichen Leben beteiligt. Das Spektrum der NGOs hat sich erheblich verändert, in welchem den regierungsfreundlichen Organisationen eine deutlichere Rolle zukommt. Der Verwaltungsaufwand, auch für internationale NGOs, behindert weiterhin die Aktivitäten der Zivilgesellschaft (EC 17.4.2018).
8. Ombudsmann und die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung
Seit 2012 verfügt die Türkei auch über das Amt eines Ombudsmannes mit etwa 200 Mitarbeitern. Beschwerden können auf Türkisch, Englisch, Arabisch und Kurdisch eingereicht werden (AA 3.8.2018). Die Institution arbeitet unter dem Parlament, aber als unabhängiger Beschwerdemechanismus für Bürger, um Untersuchungen zu Regierungspraktiken und -maßnahmen, insbesondere in Bezug auf Menschenrechtsprobleme und Personalfragen, zu beantragen, obwohl Entlassungen aufgrund von Notstandsdekreten nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen (USDOS 20.4.2018). Ferner verfügt das Parlament über einen ständigen Ausschuss für Menschenrechte sowie einen Petitionsausschuss, die sich allerdings kaum mit Fragen wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit befassen (AA 3.8.2018).
Im Jahr 2017 erhielt die Ombudsmannstelle 17.131 neue Anträge, fast dreimal so viele wie im Durchschnitt der letzten vier Jahre. Da der Ombudsmann jedoch nicht befugt ist, Ermittlungen einzuleiten und keine Rechtsmittel zur Intervention besitzt, schwieg er zu bestimmten Menschenrechtsbelangen, insbesondere zu Menschenrechtsverletzungen im Südosten des Landes. Die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (Türkiye Insan Haklari Kurumu, TIHK) fungiert auch als nationaler Präventionsmechanismus gegen Folter und hat den Auftrag, Misshandlung und Folter auf Antrag oder von Amts wegen zu untersuchen. Sie hat auch die Befugnis, von sich aus Untersuchungen zu möglichen Menschenrechtsverletzungen einzuleiten. Weder die TIHK noch die Ombudsmannstelle sind operativ, strukturell oder finanziell unabhängig. Ihre Mitglieder werden nicht in Übereinstimmung mit den Pariser Grundsätzen ernannt (EC 17.4.2018).
9. Wehrdienst
Die türkische Armee (TSK) ist zu 50% eine Berufsarmee, ergänzt um 200.000 Wehrpflichtige. Jedes Jahr werden etwa 300.000 türkische Männer über 18 Jahren für zwölf Monate einberufen. Nach offiziellen Angaben haben 1,9 Millionen junge Männer wegen ihres Studiums den Wehrdienst aufgeschoben. Weitere drei Millionen haben aus verschiedenen anderen Gründen einen Aufschub beantragt. Rund 650.000 entziehen sich gesetzwidrig der Wehrpflicht (AM 4.7.2018).
Jeder männliche türkische Staatsangehörige unterliegt ab dem 20. Lebensjahr der Wehrpflicht. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 41. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit. Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden (AA 3.8.2018).
Das Parlament hat am 26.7.2018 ein Gesetz ratifiziert, das es den Bürgern ermöglicht, die Dauer ihres Militärdienstes durch die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages zu verkürzen. Das Gesetz ermöglicht es den Bürgern, ihren Militärdienst in nur 21 Tagen statt in fünfeinhalb oder zwölf Monaten zu absolvieren, wenn sie Hochschulabsolventen sind und Geld via Bankkonten an die Regierung zahlen. Nach dem Gesetz sind Bürger, die am oder vor dem 1. Januar 1994 geboren wurden, verpflichtet 21 Tage Militärdienst zu leisten, wenn sie 15.000 TL (ca. 2.000 Euro) zahlen (DS 26.7.2018). Fast 450.000 Personen [Stand 2.9.2018] haben sich in der Türkei für den kaufbaren, verkürzten Militärdienst beworben. Die Antragstellung begann am 3.8. und endet am 3.11.2018 (Anadolu 2.9.2018).
Mit der ebenfalls am 26. Juli 2018 erfolgten Gesetzesänderung gilt für den "Freikauf" von auf Dauer im Ausland lebenden türkischen Wehrpflichtigen nun folgendes: Die Gesamtsumme, die für den "Freikauf" festgelegt ist, beträgt 2.000 (Connection e.V. 27.07.2018, vgl. DS 26.7.2018). Er ist bis zur Vollendung des 38. Lebensalters zu zahlen, kann aber auch noch später gezahlt werden. Es besteht die Verpflichtung, eine vom türkischen Verteidigungsministerium angebotene Fernausbildung abzuleisten. Wie dies genau aussehen soll, ist bislang unklar (Connection e.V. 27.07.2018).
Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle konnten unter der Bezeichnung "psycho-sexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Im Gesundheitsgesetz der türkischen Streitkräfte vom 12.11.2015 wird Homosexualität wie folgt beschrieben: "Sexuelle Verhaltensweisen und Einstellungen, die im militärischen Umfeld die Harmonie und Funktionalität beeinträchtigen könnten." Homosexualität führte daher im Grundsatz zur Wehrdienstuntauglichkeit, die jedoch bis zum gescheiterten Putschversuch vom 15.7.2016 durch ärztliches Gutachten in Militärkrankenhäusern festgestellt werden musste. In Folge des gescheiterten Putschversuchs wurden alle militärischen Krankenhäuser geschlossen; das Personal wurde entweder verhaftet, entlassen oder in zivile Einrichtungen überführt (AA 3.8.2018).
Medienberichten zufolge erlitten einige Wehrpflichtige schwere Schikanen, körperliche Misshandlungen und Folterungen, die manchmal zu Selbstmord führten (USDOS 20.4.2018).
9.1. Kurdisch-stämmige Rekruten in der Armee
Laut der kurdischen Nachrichtenplattform "Ekurd Daily" werden kurdische Rekruten in den Konfliktzonen der Südost-Türkei eingesetzt, wo sie Gefahr laufen auf kurdische Deserteure zu stoßen, die sich der PKK angeschlossen haben. Überdies stehen kurdische Rekruten unter einem hohen Risiko, Opfer von Menschenrechtsverletzungen - dazu gehören Erniedrigungen, Schläge und Folter - zu werden, mitunter sogar getötet zu werden. 90% der Selbstmorde in den Streitkräften fielen auf ethnische Kurden. Todesfälle wurden vom Militär als vermeintliche Selbstmorde oder Unfälle dargestellt werden, wobei angemessene Untersuchungen der Vorfälle ausblieben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer wurden generell als mit der PKK sympathisierend betrachtet, weil sie willentlich den Wehrdienst verabsäumen (ED 1.3.2016).
In den 1990er Jahren wurden während der Kämpfe zwischen der Armee und der PKK kurdische Rekruten selten in die Kriegsgebiete des Südostens entsandt. Diese Politik hat sich durch die AKP schrittweise geändert, als diese aufgrund ihrer Kurdenpolitik auch für Kurden wählbar wurde, und es zudem zu Verhandlungen mit der PKK kam. Angesichts des erneuten Konflikts glauben allerdings viele in den kurdischen Gebieten, dass die Regierung absichtlich kurdisch-stämmige Soldaten in den Kampf gegen die PKK entsendet, um den Ruf der PKK als kurdische Widerstandsbewegung zu diskreditieren (Rudaw 4.2.2016).
Die türkischen Streitkräfte berufen ihre Wehrpflichtigen generell in andere Landesteile ein, damit diese die Türkei kennenlernen. Es kann also durchaus sein, dass ein kurdisch-stämmiger junger Mann aus Ankara nach Diyarbakir einberufen wird und vice versa. Bei den Anschlägen der PKK werden auch immer wieder kurdisch-stämmige Wehrpflichtige und Berufssoldaten getötet. Viele junge Männer im Südosten der Türkei verschwinden aber vor ihrer Einberufung in die Wälder zur PKK. Ein weiterer Grund für die Einberufung in andere Landesteile soll auch sein, dass die Bevölkerung im Osten oder Südosten des Landes grundsätzlich weniger gebildet ist und traditionell eine andere Lebenseinstellung hat. Die Erfahrungen im Westen sollen mit nach Hause genommen werden und - so hofft man jedenfalls - das künftige Leben zumindest ein wenig beeinflussen (VB 10.11.2016).
Aus Sicht der Österreichischen Botschaft besteht keine Systematik in der Diskriminierung von Minderheiten im Militär, weder betreffend die kurdische- als auch die alevitische Minderheit. Es existieren aber Einzelfälle (ÖB 10.2017).
9.2. Wehrersatzdienst / Wehrdienstverweigerung / Desertion
Die Türkei ist das einzige Mitglied des Europarates, das das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen nicht anerkennt (EC 17.4.2018).
Wehrdienstverweigerung ist strafbar und Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist bis dato noch nicht möglich. Derzeit besteht für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen nur die Möglichkeit, eine Haftstrafe abzusitzen; danach erfolgt normalerweise die "Befreiung". Im März 2012 wurde erstmals ein Urteil des Militärgerichts von dem Recht auf Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen vom EGMR beeinflusst. Der angeklagte Wehrdienstleistende war nach fünf Monaten im Militärdienst geflohen und teilte seine Dienstverweigerung aus Gewissensgründen (aus religiösen Gründen) mit. Der Wehrdienstleistende wurde aufgrund seiner Flucht und seiner Dienstverweigerung vom Militärgericht angeklagt, wurde aber nicht wegen der Militärdienstverweigerung, sondern wegen seiner Flucht zu zehn Monaten Haft verurteilt. Das Militärgericht hat in seinem Urteil, das erste Mal auf die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs Bezug genommen, dass die Rechte von Wehrdienstverweigerern aus Gewissensgründen schützt (Art. 9 EMRK). Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Verweigerung der Anerkennung von Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen verurteilt. Im Fall Savda gegen die Türkei hatte der EGMR festgehalten, dass ein System, das keinen Ersatzdienst und kein entsprechendes Verfahren vorsieht, keinen gerechten Ausgleich zwischen dem allgemeinen Interesse der Gesellschaft und jenem von Wehrdienstverweigerern treffe und hatte eine Verletzung von Art. 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) bejaht (ÖB 10.2017).
Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen (AA 3.8.2018).
Denjenigen, die nicht zum Wehrdienst erscheinen oder verspätet erscheinen, drohen je nach Dauer des Fernbleibens unterschiedliche Gefängnisstrafen. Die Bestrafung folgt zusammen mit Geldstrafen, deren Umfang sich gestaffelt an den Jahren des Fernbleibens orientiert (VB 15.2.2017).
Das türkische Gesetz zu Desertion definiert in Artikel 66 die Strafe für Desertion. Militärpersonal wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen einem und drei Jahren belegt: wenn die betreffende Person sich von ihrer Einheit oder ihrem Einsatzort ohne Urlaub für mehr als sechs Tage entfernt hat; oder wenn die betreffende Person nach einem absolvierten Urlaub nicht innerhalb von sechs Tagen zum Dienst zurückkehrt und keine Entschuldigung dafür hat. Die Strafe beläuft sich auf mindestens zwei Jahre Gefängnis, wenn die Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn die Person während des Dienstes desertiert; wenn die Person die Übertretung wiederholt. Artikel 67 definiert, dass Militärpersonal, das ins Ausland geflohen ist, mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann, und zwar nach einer Absenz von drei Tagen, falls die betreffende Person das Land ohne Erlaubnis verlässt. Die Strafe soll mindestens fünf Jahre betragen soll und auf bis zu zehn Jahre erhöht werden: wenn die ins Ausland geflohene Person Waffen, Munition oder weitere der Armee gehörende Gegenstände, Ausrüstung, Tiere oder Transportmittel entwendet; wenn sie während des Dienstes desertiert; wenn sie die Übertretung wiederholt; oder wenn sie während einer Mobilisierung (für Krieg) desertiert. Schließlich können desertierte Militärangehörige für Befehlsverweigerung angeklagt und bestraft werden. Für andauernden Ungehorsam in der Öffentlichkeit drohen bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe. Wer andere Soldaten zum Ungehorsam anstiftet, kann mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden. Das im Rahmen des Ausnahmezustands erlassene Dekret 691 vom 2.6.2017 hält unter anderem fest, dass Soldaten, die sich mehr als drei Tage ohne offizielle Erlaubnis im Ausland aufhalten, als Deserteure betrachtet und entsprechend bestraft werden. Ein ins Ausland geflohener Deserteur muss mit einer Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von mindestens fünf Jahren rechnen. Eine Strafe von zehn Jahren ist jedoch auch möglich (SFH 22.3.2018).
10. Allgemeine Menschenrechtslage
Vor dem Hintergrund des andauernden Ausnahmezustands kam es zu Menschenrechtsverletzungen. Abweichende Meinungen wurden rigoros unterdrückt, davon waren u. a. Journalisten, politische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger betroffen. Es wurden weiterhin Fälle von Folter bekannt, doch in geringerer Zahl als in den Wochen nach dem Putschversuch vom Juli 2016. Die weitverbreitete Straflosigkeit verhindert die wirksame Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen, die von Angehörigen der Behörden verübt wurden. Es kam auch 2017 zu Menschenrechtsverstößen durch bewaffnete Gruppen; im Januar wurden zwei Anschläge verübt. Doch Bombenanschläge gegen die Bevölkerung, die in den Vorjahren regelmäßig stattfanden, gab es im Jahr 2017 nicht. Für die Lage der im Südosten des Landes vertriebenen Menschen wurde keine Lösung gefunden (AI 22.2.2018).
Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen (OHCHR) erhielt weiterhin Informationen über zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Missbräuche, die im Berichtszeitraum in der Südosttürkei im Rahmen der Sicherheitsoperationen seitens türkischer Organe begangen wurden. Die NGO "Human Rights Association" veröffentlichte Statistiken über solche Verletzungen, die angeblich im ersten Quartal 2017 in der ost- und südöstlichen Region Anatoliens stattgefunden haben. Demnach belief sich die Gesamtzahl der Verstöße auf 7.907, darunter 263 Vorfälle von Folterungen in Haft, und über 100 Vorfälle von Kriminalisierung von Personen für die Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung (OHCHR 3.2018).
Die Notverordnungen haben insbesondere bestimmte bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Verfahrensrechte eingeschränkt. Die Zivilgesellschaft ist zunehmend unter Druck geraten, insbesondere angesichts einer großen Zahl von Verhaftungen von Aktivisten und der wiederholten Anwendung von Demonstrationsverboten. Auch in den Bereichen Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Verfahrens- und Eigentumsrechte gab es gravierende Rückschläge. Die Situation in Bezug auf die Verhütung von Folter und Misshandlung gibt weiterhin Anlass zu ernster Besorgnis. Seit September 2016 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in 163 (von 168) Fällen festgestellt, die sich hauptsächlich auf das Recht auf ein faires Verfahren, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Freiheit und Sicherheit bezogen (EC 17.4.2018).
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) stimmte mit großer Mehrheit im April 2018 dafür, ein Verfahren gegen die Türkei zu eröffnen und das Land unter Beobachtung zu stellen. Die Wiederaufnahme des sogenannten Monitorings bedeutet, dass zwei Berichterstatter regelmäßig in die Türkei fahren, um die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu überprüfen (Zeit 25.4.2017). Die Versammlung beschloss das Monitoring solange durchzuführen, bis der ernsthaften Sorge um die Einhaltung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in einer zufriedenstellenden Art und Weise Rechnung getragen wird. Zudem warnte die PACE vor der Wiedereinführung der Todesstrafe, die mit der Mitgliedschaft der Türkei im Europarat unvereinbar ist (PACE 25.4.2017). Das türkische Außenministerium bezeichnete die Entscheidung als Schande, hinter der böswillige Kreise innerhalb der PACE stünden, beeinflusst von Islamo- und Xenophobie (DS 25.4.2017).
In einer Resolution Anfang Februar 2018 zur Menschenrechtslage erkennt das Europäische Parlament (EP) das Recht und die Pflicht der türkischen Regierung an, die Täter des Putschversuches vom 16.7.2016 vor Gericht zu stellen. Es hebt jedoch hervor, dass die gescheiterte Machtübernahme durch das Militär als Vorwand dafür herangezogen wird, die legitime und gewaltfreie Opposition noch stärker zu unterdrücken und die Medien und die Zivilgesellschaft durch unverhältnismäßige und unrechtmäßige Handlungen und Maßnahmen daran zu hindern, dass sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Die Lage in den Bereichen Grundrechte und Grundfreiheiten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei verschlechtert sich stetig und es mangelt der Justiz an Unabhängigkeit. Justiz und Verwaltung machen Gebrauch von willkürlichen Verhaftungen und Schikanen, um Zehntausende zu verfolgen. Deshalb fordert das EP die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, all diejenigen umgehend und bedingungslos freizulassen, die nur inhaftiert wurden, weil sie ihrer rechtmäßigen Tätigkeit nachgegangen sind und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ausgeübt haben, und die in Gewahrsam gehalten werden, obwohl keine eindeutigen Beweise für Straftaten vorliegen (EP 8.2.2018).
Die routinemäßige Verlängerung des Ausnahmezustands [am 18.7.2018 aufgehoben] hat zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen Hunderttausende von Menschen geführt - von willkürlichem Entzug des Rechts auf Arbeit und Bewegungsfreiheit, über Folter und andere Misshandlungen bis hin zu willkürlichen Verhaftungen und Verletzungen des Rechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit (OHCHR 20.3.2018, vgl. ZO 20.3.2018).
11. Meinungs- und Pressefreiheit / Internet
Der Geltungsbereich der im Rahmen der Notverordnungen erlassenen restriktiven Maßnahmen hat sich im Laufe der Zeit entgegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf viele oppositionelle Stimmen in den Medien und in der Wissenschaft ausgedehnt. Die Meinungsfreiheit ist ernsthaft unter Druck geraten. Gesetzgebung und Praxis entsprechen nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Strafverfahren gegen Journalisten, Menschenrechtsanwälte, Schriftsteller oder Nutzer sozialer Medien, die Schließung zahlreicher Medien oder die Ernennung von Treuhändern durch die Regierung zu deren Verwaltung sind besorgniserregend. Diese beruhen meist auf einer selektiven und willkürlichen Anwendung des Gesetzes. Insbesondere die übermäßige Anwendung des Konzepts der terroristischen Propaganda bzw. der Unterstützung einer terroristischen Organisation, einschließlich von Aussagen, die eindeutig nicht zu Gewaltanwendung führen, und die Kombination mit einer übermäßigen Interpretation des Begriffes der Verleumdung haben die Türkei auf einen gefährlichen Weg gebracht. 150 Journalisten sind nach wie vor inhaftiert. Das Internetgesetz und die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es der Exekutive weiterhin, Online-Inhalte ohne Gerichtsbeschluss aus unangemessen vielen Gründen zu sperren (EC 17.4.2018; CoE-CommDH 15.2.2017).
Das fortdauernde Muster von Verletzungen der Meinungsfreiheit aufgrund der geltenden Rechtsvorschriften und ihrer Auslegung durch die Gerichte erfüllen nicht die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Normen. Die Türkei ist Gegenstand der höchsten Zahl von Urteilen des Gerichtshofs zu Artikel 10 der Konvention. Die Mehrzahl der Strafverfahren gegen Journalisten wurde auf der Grundlage unbegründeter Vorwürfe und ohne sachliche Beweise außer ihrer rein journalistischen Tätigkeit eingeleitet. Es besteht eine mangelnde Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung bei der Beurteilung durch das Gericht und überdies eine offensichtlich unplausible Einschätzung, wonach die Angeklagten zugleich sowohl Propaganda für die Gülen-Bewegung als auch für die Kurdische Arbeiterpartie (PKK) betrieben hätten, zwei Organisationen, die in Gegnerschaft zueinander stehen. Zudem fehlen sachliche Beweise, die irgendeinen Zusammenhang zwischen den Verdächtigen und diesen Organisationen herstellen, abgesehen von kritischen Zeitungsartikeln zu Fragen, die von öffentlichem Interesse sind. Maßnahmen, die mit Freiheitsentzug gegen Journalisten verbunden sind nicht nur ungerechtfertigt und unverhältnismäßig, sondern tragen auch zu einem Klima der Selbstzensur bei. Journalisten werden in den meisten Fällen auf der Grundlage fadenscheiniger Anschuldigungen und mit sehr wenig oder gar keinem Prima-Facie-Beweis festgenommen (CoE-CommDH 10.10.2017).
Viele türkische Bürgerinnen und Bürger äußern ihre Meinung weiterhin offen unter Freunden und Verwandten, inzwischen sind sie jedoch vorsichtiger gegenüber dem, was sie online veröffentlichen oder öffentlich sagen. Nicht jede regierungskritische Äußerung wird bestraft, aber die Willkür der Strafverfolgung, die oft zu Untersuchungshaft führt und das Risiko langer Haftstrafen birgt, schafft zunehmend eine Atmosphäre der Selbstzensur (FH 1.2018). In vielen Fällen können Einzelpersonen den Staat oder die Regierung nicht öffentlich kritisieren, ohne das Risiko von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren oder Ermittlungen einzugehen. Die Regierung beschränk auch Äußerungen von Einzelpersonen, die mit gewissen religiösen, politischen oder kulturellen Standpunkten sympathisieren. Viele, die zu sensiblen Themen schreiben oder sich äußern oder die Regierung kritisieren, riskieren behördliche Untersuchungen (USDOS 20.4.2018).
Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Websites weiterhin funktionieren, sind sie einem enormen politischen Druck ausgesetzt und werden regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Die Versuche der Regierung, Nachrichtenseiten und andere Online-Informationsquellen zu blockieren, wurden 2017 fortgesetzt (HRW 18.1.2018; RSF 2018). Die Mainstream-Medien, insbesondere das Fernsehen, spiegeln Regierungspositionen wider und bringen routinemäßig identische Schlagzeilen (FH 1.2018). Den meisten Zeitungen und Fernsehsendern fehlt es an Unabhängigkeit und sie fördern die politische Linie der Regierung (HRW 18.1.2018).
Die überwiegende Mehrheit der inhaftierten Journalisten werden Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Zahlreiche Journalisten kehrten aus Angst vor Verhaftungen nicht in die Türkei zurück. Hunderte weitere blieben ohne Arbeit, nachdem die Regierung Medien geschlossen hatte (USDOS 20.4.2018).
Im Jahr 2017 begannen mehrere große, politisch motivierte Prozesse gegen Journalisten wegen terroristischer Anschuldigungen. Die Beweise bestanden aus schriftlichen Beiträgen und der Berichterstattung der Journalisten selbst, die nicht für Gewalt eintraten, sowie aus unbewiesenen Behauptungen über Verbindungen zu terroristischen Organisationen oder die Beteiligung am Putschversuch vom Juli 2016. Diese Verfahren wurden trotz des Fehlens glaubwürdiger Beweise fortgesetzt (HRW 18.1.2018). Journalisten sitzen mitunter mehr als ein Jahr bis zum Prozessbeginn im Gefängnis, und lange Gefängnisstrafen werden zur neuen Norm - in einigen Fällen werden Journalisten zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit einer Begnadigung verurteilt. Inhaftierten Journalisten und geschlossenen Medien wird jeder wirksame Rechtsweg verwehrt. Selbst Verfassungsgerichtsurteile werden nicht mehr automatisch umgesetzt. Die Türkei rutschte im World Press Freedom Index 2018 um zwei Plätze [1.Rang = bester Wert] nach unten und belegt Rang 157 von 180 Ländern (RSF 2018).
Die missbräuchliche Anwendung des Art. 299 hinsichtlich der Beleidigung des Staatspräsidenten führte zu einer unangemessenen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Der türkische Außenminister rief Staatsbürger im Ausland dazu auf, entsprechende Fälle dem Präsidenten zu melden, damit im Ausland Klagen erhoben werden können (PACE 22.6.2016).
Dutzende türkische Social-Media-Nutzer, darunter auch Journalisten, wurden festgenommen, weil sie die Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG in Syrien kritisiert haben. Die türkische Internetbehörde überwacht Nutzer, die Inhalte teilen, welche die türkischen Truppen an der Front demoralisieren oder die einheimische Öffentlichkeit beeinflussen könnten. Das Büro des Premierministers erließ Zugangsverbote für solche Inhalte, und gegen Nutzer, die solche Beiträge teilten, wurden Untersuchungen eingeleitet (Ahval 26.1.2018, vgl. Standard 23.1.2018). Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte bereits am 21.1.2018 verkündet, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze (DS 21.1.2018). Diesbezüglich Verdächtige würden wegen "Beleidigung von Amtsträgern", "Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit in der Öffentlichkeit", "Beleidigung des Präsidenten" oder "Propaganda für terroristische Vereinigungen" angeklagt (Anadolu 27.1.2018). Allein in den ersten zehn Tagen der am 20.1.2018 gestarteten "Operation Olivenzweig" wurden 311 Personen, darunter Journalisten, Politiker und Aktivisten, verhaftet, weil sie auf irgendeine Weise etwas Kritisches über den Militärschlag gesagt oder geschrieben hatten. Im Sprachgebrauch des Innenministeriums waren sie alle Terrorpropagandisten. 170 Autoren, Schauspieler, Hochschullehrer, Journalisten und ehemalige Politiker richteten gleich zu Beginn der Offensive einen offenen Brief an das Parlament, in dem sie zum Frieden aufriefen. Das machte sie zu Zielscheiben der Regierung. Die Zahl der Festgenommenen stieg nach amtlichen Angaben auf 786 (Die Welt 19.2.2018).
Angesichts des Währungsverfalls im August 2018 sprach Staatspräsident Erdogan von "Wirtschaftsterroristen", die der Türkei durch die Verbreitung falscher Berichte Schaden zufügen. Diese würden die volle Kraft des Gesetzes spüren. Laut Innenministerium wurden 346 Social-Media-Konten identifiziert [Stand 13.8.2018], die durch ihre Kommentare eine negative Wahrnehmung der türkischen Wirtschaft erzeugten. Das Ministerium kündigte nicht weiter definierte rechtliche Maßnahmen an. Die Staatsanwaltschaften von Istanbul und Ankara haben zudem Ermittlungen gegen Personen eingeleitet, die im Verdacht stehen, an Aktionen beteiligt zu sein, die die wirtschaftliche Sicherheit der Türkei bedrohen (Reuters 13.8.2018, vgl. WZ 13.8.2018).
12. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (AA 3.8.2018). Der Rechtsrahmen im Bereich der Versammlungsfreiheit entsprach bis zum Putschversuch 2016 im Großen und Ganzen den europäischen Standards (ÖB 10.2017). Bereits seit den regierungsfeindlichen Demonstrationen im Sommer 2013 wurde die Versammlungsfreiheit allmählich eingeschränkt. Nach dem Putschversuch ist sie noch weiter eingeschränkt worden (BTI 2018). Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind (AA 3.8.2018; vgl. FH 1.2018).
Während Pro-Regierungskundgebungen durchgeführt werden dürfen, werden z.B. die Feierlichkeiten zum 1. Mai von linken und Arbeitergruppen, Veranstaltungen sexueller Minderheiten, Proteste von Opfern der staatlichen Säuberungen und Versammlungen der Oppositionsparteien eingeschränkt. In der Praxis werden bei pro-kurdischen oder politischen Versammlungen des linken Spektrums regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder. Die Behörden in Ankara verhängten Ende September 2017 ein pauschales Demonstrationsverbot, das später verlängert wurde und bis zum Jahresende 2017 in Kraft blieb (FH 1.2018; vgl. EC 17.4.2018). Auf Grundlage von während des Ausnahmezustandes eingeräumten Befugnissen (Ausweitung der Befugnisse von Gouverneuren, Sicherheitsbeamten, Staatsanwälten etc.) wurden Demonstrationen in einigen Provinzen und Bezirken völlig verboten (ÖB 10.2017; vgl. EC 17.4.2018). Im Dezember 2017 hob der Verfassungsgerichtshof auf Antrag einer Oppositionspartei mehrere Beschränkungen für Zusammenkünfte und Märsche auf (EC 17.4.2018).
Die Organisation von Demonstrationen ist fast unmöglich geworden, da die Sicherheitskräfte regelmäßig massive Gewalt anwenden, um "illegale" Versammlungen zu verhindern (BTI 2018). Es gab eine erhöhte Anzahl von Strafen für Teilnehmer an nicht genehmigten Veranstaltungen, die ebenfalls abschreckend wirkten. Die unbefugte Abhaltung solcher Demonstrationen führte mitunter zu einer gewaltsamen Auflösung durch die Polizeikräfte (EC 17.4.2018). Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilicher Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst (AA 3.8.2018). Sicherheitsbeamte haben willkürliche und unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten angewendet, inklusive des Einsatzes von Wasserwerfern, Plastikkugeln und scharfer Munition (ÖB 10.2017).
Das Sicherheitsgesetz vom 23.5.2015 klassifiziert Steinschleudern, Stahlkugeln und Feuerwerkskörper als Waffen und sieht eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren vor, so deren Besitz im Rahmen einer Demonstration nachgewiesen wird oder Demonstranten ihr Gesicht teilweise oder zur Gänze vermummen. Bis zu drei Jahre Haft drohen Demonstrationsteilnehmern für die Zurschaustellung von Emblemen, Abzeichen oder Uniformen illegaler Organisationen (HDN 27.3.2015). Teilweise oder gänzlich vermummte Teilnehmer von Demonstrationen, die in einen "Propagandamarsch" für terroristische Organisationen münden, können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden (Anadolu 27.3.2015).
Mit Beendigung des Ausnahmezustandes im Juli 2018 trat ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft. Demnach können Gouverneure die Bewegungsfreiheit von Personen für einen Zeitraum von 15 Tagen einschränken, die im Verdacht stehen, die öffentliche Ordnung an bestimmten Orten zu stören. Die Gouverneure können das Zusammentreffen von Personen an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten einzuschränken sowie Einzelpersonen verbieten, ihre auch lizenzierten Waffen oder Munition zu tragen oder zu transportieren. Sie werden befugt, außergewöhnliche Sicherheitsmaßnahmen zu verkünden. Im neuen Gesetz wird in einem vorläufigen Artikel, der dem türkischen Anti-Terror-Gesetz hinzugefügt wurde, die Haftdauer bei terroristischen Verbrechen auf 48 Stunden festgelegt, obwohl sie bei kollektiver Begehung auf vier Tage verlängert werden kann. Dieser Artikel hat eine Gültigkeit von drei Jahren ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens. Die Haftdauer kann bei Bedarf zweimal verlängert werden (TM 25.7.2018).
Eine UN-Expertengruppe hielten den türkischen Behörden im Juli 2017 vor, ständig Sicherheitsüberlegungen ins Treffen zu führen, um Dissens und Kritik ins Visier zu nehmen. Dies hat zur Folge, dass das Recht der Menschen auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt wird (OHCHR 14.7.2018).
Während das Gesetz die Vereinigungsfreiheit vorsieht, gibt es hier zunehmend Einschränkungen. Laut Gesetz müssen die Behörden zwar nicht über die Gründung einer Vereinigung informiert werden, doch müssen die Behörden im Voraus in Kenntnis gesetzt werden, wenn es zu einem Interagieren mit internationalen Organisationen kommt. Bei finanzieller Unterstützung aus dem Ausland muss den Behörden eine umfangreiche Dokumentation vorgelegt werden, was laut Verbänden und Vereinen eine Last für deren Wirken darstellt (USDOS 20.4.2018). Nach dem gescheiterten Militärputsch wurden mehrere Dekrete erlassen, die u. a. auch die Schließung von Vereinen vorsahen. Per Dekret wurden von den insgesamt 110.000 Vereinen in der Türkei 1.495 geschlossen (ÖB 10.2017; vgl. USDOS 20.4.2018).
12.1. Opposition
Die meisten politisch Oppositionellen können sich nicht mehr frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Die links-kurdische Partei HDP steht im Zuge von Anklagen gegen 57 ihrer 59 Abgeordneten nach Aufhebung ihrer Immunitäten im Juni 2016 (auch Abgeordnete anderer Parteien sind von der Immunitätsaufhebung betroffen) politisch unter Druck. Zahlreiche HDP-Abgeordnete der vorangegangenen Legislaturperiode befinden sich in Untersuchungshaft, darunter der ehemalige Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtas. Das Parlament hat neun Abgeordneten der HDP nach rechtskräftiger Verurteilung ihr Mandat entzogen. Den HDP-Abgeordneten wird zu großen Teilen Terrorismus-Unterstützung (PKK) vorgeworfen. Damit drohen ihnen im Falle von Verurteilungen lange Haftstrafen sowie ein fünfjähriges Politikverbot und damit der Verlust ihrer Mandate (AA 3.8.2018; vgl. EC 17.4.2018). Neun HDP-Parlamentarier befanden sich Ende 2017 im Gefängnis. 278 Verfahren wurden gegen 41 HDP-Abgeordnete eingeleitet (SCF 1.2018). Selahattin Demirtas wurde Anfang September 2018 wegen seiner Äußerungen während der kurdischen Neujahrsfeiern im März 2013 zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Ein Gericht befand ihn der Terrorpropaganda schuldig. Im Hauptverfahren drohen ihm bis zu 142 Jahre Haft. Zusammen mit ihm wurde der frühere HDP-Abgeordnete Sirri Sürreya Önder zu drei Jahren und sechs Monaten verurteilt (DW 7.9.2018).
Nebst der Verhaftung von hochrangigen Politikern, wurden auch mindestens 5.000 Mitglieder der HDP - darunter 80 Bürgermeister - inhaftiert (TM 1.5.2018). Zwischen November 2014 und November 2017 wurden 93 Bürgermeister und Vizebürgermeister ihrer Ämter enthoben und verhaftet, von denen 22 nach einem Verfahren wieder freigelassen wurden und 71 noch im Gefängnis sind. Elf lokale Verwalter wurden wegen terroristischer Anschuldigungen zu insgesamt 89 Jahren und drei Monaten Haft verurteilt (EC 17.4.2018). Das harte Vorgehen der letzten Jahre hat die HDP gelähmt, zumal sich die restriktiven Maßnahmen auf lokale HDP-Niederlassungen, kommunale Behörden, die von ihrer Schwester-Partei, der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), bestellt werden, und Medien sowie NGOs, die mit ihnen sympathisieren, ausgeweitet haben (ICG 13.6.2018). Die Regierung versucht, den Einfluss der HDP bzw. ihrer regionalen Schwesterpartei DBP zu verringern. Die DBP stellt 97 Bürgermeister im Südosten der Türkei und ist dort die vorherrschende politische Kraft. Genauso wie vielen der HDP-Abgeordneten wird zahlreichen DBP-Mitgliedern die Unterstützung der PKK vorgeworfen. Im Zuge der Notstandsdekrete sind insgesamt 51 gewählte Kommunalverwaltungen, überwiegend im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, mit der Begründung einer Nähe zu terroristischen Organisationen (PKK, Gülen-Bewegung) abgesetzt und durch sog. staatliche Treuhänder ersetzt worden (AA 3.8.2018). Während des Wahlkampfes 2018 haben die türkischen Behörden einige der Wahlhelfer der HDP verhaftet oder einer Sicherheitskontrolle unterzogen. Darüber hinaus hat die Partei physische Angriffe von Unbekannten während einiger ihrer Kampagnen erlitten (ICG 13.6.2018).
Der permanente Druck auf die HDP beschränkt sich nicht auf Strafverfolgung und Inhaftierung. Die Partei, ihre Funktionäre und Mitglieder sind einer systematischen Kampagne der Verleumdung und des Hasses ausgesetzt. Sie werden als Terroristen, Verräter und Spielfiguren ausländischer Regierungen dargestellt (SCF 1.2018).
Das Europäische Parlament verurteilt im Februar 2018 den Beschluss des türkischen Parlaments aufs Schärfste, die Immunität zahlreicher Abgeordneter auf verfassungswidrige Weise aufzuheben (HDN 9.2.2018).
Der Parlamentsabgeordnete und Vize-Parteichef der sekularen, kemalistischen CHP, Enis Berberoglu, erhielt im Juni 2017 vor einem Gericht in Istanbul wegen angeblicher Spionage eine Freiheitsstrafe von 25 Jahren. Er soll der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zugearbeitet haben (SO 14.6.2017). Das Berufungsgericht ordnete zwar im Oktober 2017 einen neuen Prozess an, lehnte jedoch die Freilassung Berberoglus ab (DS 10.10.2017). Am 20.9.2018 bestätigte das Kassationsgericht in seinem Urteil die im Februar 2018 auf fünf Jahre und zehn Monate reduzierte Haftstrafe, verfügte jedoch gleichzeitig seine Freilassung bis zum Ende der parlamentarischen Legislaturperiode, denn Berberoglu konnte bei den Parlamentswahlen im Juni 2018 sein Abgeordnetenmandat wiedererlangen (HDN 20.9.2018). Im Juni 2018 ist Eren Erdem, ein früherer CHP-Abgeordneter, auf Anordnung der Staatsanwaltschaft in Istanbul wegen "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" festgenommen worden. Erdem drohen bis zu 22 Jahre Haft (ZO 29.6.2018, vgl. BBC 29.6.2018). Im Juli hat Staatspräsident Erdogan eine Strafanzeige gegen den Vorsitzenden der CHP, Kemal Kiliçdaroglu, und 72 weitere CHP-Parlamentarier wegen Beleidigung durch die Verbreitung eines Cartoons auf Twitter eingereicht (HDN 18.7.2018).
Während des polarisierenden Wahlkampfes zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 bezeichnete der amtierende Staatspräsident Erdogan immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei, alles Oppositionsparteien (OSCE/ODIHR 25.6.2018).
13. Haftbedingungen
Die materielle Ausstattung der Haftanstalten wurde in den letzten Jahren deutlich verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt. Dennoch gibt es - trotz Bemühungen der türkischen Behörden - Kritik an den Haftbedingungen: v.a. Hochsicherheitsgefängnisse (Typ F) weisen Mängel auf (ÖB 10.2017). In der Türkei gibt es zurzeit 386 Gefängnisse, darunter 17 sogenannte F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terrorismus oder organisiertem Verbrechen verurteilt wurden. In den vergangenen elf Jahren wurden insgesamt 207 Haftanstalten geschlossen. Bis 2018 wurden insgesamt 151 neue Gefängnisse eröffnet (AA 3.8.2018).
Überbelegung und die Verschlechterung der Haftbedingungen sind besorgniserregend. Die Zahl der Gefangenen ist auf 290 pro 100.000 Einwohner angewachsen, und die Zahl der Gefangenen liegt jetzt bei 234.673 (EC 17.4.2018). Im Juni 2017 gab es in der Türkei rund 225.000 Gefangene, die Kapazität der Haftanstalten lag bei rund 203.000. Mit Stand August 2017 befanden sich 2.767 Minderjährige zwischen zwölf und 18 Jahren in Haft (USDOS 20.4.2018). Nach Angaben des Justizministeriums waren im Sommer 2017 noch 668 Kinder mit ihren Müttern in türkischen Gefängnissen festgehalten (PPJ 18.10.2018). Der Anteil der Untersuchungshäftlinge betrug zu Jahresende 2017 43,1%. Von diesen hatten 79% noch kein laufendes Gerichtsverfahren (ICPS 2018).
In den Gefängnissen der Türkei gibt es zahlreiche Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen, darunter willkürliche Einschränkungen der Rechte von Gefangenen und die Anwendung von Folter, Misshandlung und Einzelhaft als Disziplinarmaßnahmen. Es wird behauptet, dass kranken Insassen regelmäßig der Zugang zu medizinischer Versorgung verwehrt wird. Die für die Überwachung der Haftbedingungen zuständigen staatlichen Kommissionen wurden nach dem Putschversuch 2016 aufgelöst oder bleiben weitgehend wirkungslos. Das Ergebnis ist, dass Gefängniswärter und -verwaltungen weitgehend unbeaufsichtigt arbeiten. Des Weiteren wirkt sich der Mangel an Psychologen, Sozialarbeitern und Soziologen negativ auf die Rehabilitation von Häftlingen aus (EC 17.4.2018). Allerdings werden Gefängnisse auch von UN-Einrichtungen und dem "Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter" besucht (ÖB 10.2017). So berichtet etwa der UN-Sonderberichterstatter für Folter im Dezember 2016 zwar von Überbelegung, aber auch davon, dass die Haftbedingungen in den Gefängnissen in Ankara, Diyarbakir, Sanliurfa und Istanbul generell befriedigend sind (DW 2.12.2016).
Mindestens 22.000 Verhaftete oder Verurteilte müssen in den Haftanstalten auf dem Boden oder in Schichten schlafen. Laut Regierung werden Minderjährige, so vorhanden, in getrennten Gefängnissen untergebracht, andernfalls werden diese in gesonderten Abschnitten von Gefängnissen untergebracht. Untersuchungshäftlinge werden in denselben Einrichtungen wie verurteilte Häftlinge festgehalten (USDOS 20.4.2018).
Fallweise untersuchen die Behörden glaubwürdige Vorwürfe von Missbrauch und unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen in den Haftanstalten, veröffentlichen die Ergebnisse solcher Untersuchungen jedoch in der Regel nicht und ergriffen keine Maßnahmen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Menschenrechtskommission des Parlaments und die Institution der Ombudsperson haben die Genehmigung, Gefängnisse, einschließlich Militärgefängnisse, ohne vorherige Genehmigung zu besuchen und zu inspizieren (USDOS 20.4.2018).
Am 14.10.2016 erklärte der Generaldirektor der Gefängnisse und Haftanstalten vor dem Untersuchungsausschuss des türkischen Parlaments: Häftlinge werden nackt durchsucht; Foltervorwürfe werden als diskrete Fälle behandelt; die Treffen zwischen Häftling und Anwalt werden aufgezeichnet; Häftlinge dürfen sich keine Kleidung von außen besorgen, sondern sind gezwungen, sie aus dem Laden im Gefängnis zu kaufen; Selbstmorde sind unvermeidbar (PPJ 18.10.2018).
14. Todesstrafe
Die Türkei ist Vertragspartei des Protokolls Nr. 13 der EMRK zur Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen. Die problematischste Situation besteht nach wie vor im Südosten des Landes angesichts der mangelnden Untersuchungen der gemeldeten Tötungen durch Sicherheitsorgane im Kontext von Sicherheitsoperationen und PKK-Angriffen. Erklärungen zur Möglichkeit der Wiedereinführung der Todesstrafe wurden von Beamten - einschließlich des Präsidenten - Anfang 2017 gemacht (EC 17.4.2018).
Anlässlich einer Konferenz zum 12. Welttag gegen die Todesstrafe (2014) unterzeichnete auch der türkische Außenminister den Appell zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe (WCADP 9.10.2014).
15. Religionsfreiheit
In der Türkei sind laut Regierungsangaben 99% der Bevölkerung muslimischen Glaubens, 77,5% davon sind schätzungsweise Sunniten der hanafitischen Rechtsschule. Es gibt einen beträchtlichen Anteil an Aleviten. Die Aleviten-Stiftung geht von 25 bis 31% der Bevölkerung aus. Die schiitische Dschafari-Gemeinde schätzt ihre Anhängerschaft auf 4% der Einwohner. Die nicht-muslimischen Gruppen konzentrieren sich überwiegend in Istanbul und anderen großen Städten sowie im Südosten des Landes. Präzise Zahlen bestehen nicht. Laut Eigenangaben sind ungefähr 90.000 Mitglieder der Armenisch-Apostolischen Kirche, 25.000 römische Katholiken und 16.000 Juden. Darüber hinaus sind 25.000 syrisch-orthodoxe Christen, 15.000 russisch-orthodoxe Christen (zumeist russische Einwanderer) und ca. 10.000 Baha'is. Die Jesiden machen weniger als 1.000 Anhänger aus. 5.000 sind Zeugen Jehovas, ca. 7.000 Protestanten verschiedener Richtungen, ca. 3.000 irakisch-chaldäische Christen und bis zu 2.000 sind griechisch-orthodoxe Christen. Eine Umfrage legt nahe, dass ca. 2% der Bevölkerung Atheisten sind (USDOS 29.5.2018).
Laut Verfassung ist die Türkei ein sekulärer Staat (USDOS 29.5.2018). Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z. B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor (AA 3.8.2018). Übergriffe auf Aleviten oder nicht-muslimische Vertreter finden vereinzelt statt und werden mit unterschiedlicher Intensität verfolgt und geahndet. Es wird berichtet, dass die Zahl an tätlichen oder gar tödlichen Übergriffen aus religiösen Motiven rückläufig ist; auch in der öffentlichen Meinung werden solche Vorkommnisse breit verurteilt. Die Regierung ist bemüht, den Religionsdialog zu fördern; zu einer Änderung der Gesetzeslage hat dies jedoch nicht geführt (ÖB 10.2017).
Das türkische Zivilrecht kennt keine explizite Anerkennung von Minderheiten. Begrenzte (Schutz-, nicht Freiheits-) Rechte religiöser Minderheiten gehen auf die "Stiftungen" (Vakif) nicht-muslimischer Minderheiten im Osmanischen Reich zurück; ein System, welches durch den Vertrag von Lausanne (1923) und die Einführung des Stiftungsgesetzes (Deklaration aus 1936) gestützt wurde. Derzeit gibt es insgesamt 161 solcher Stiftungen, das sind 75 griechische, 52 armenische, 18 jüdische, zehn syrisch-orthodoxe, drei chaldäische, zwei bulgarische, eine georgische und eine türkisch-orthodoxe (ÖB 10.2017). Die Türkei erkennt (nicht-muslimische) Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags an, der türkischen Staatsangehörigen, die nicht-muslimischen Minderheiten angehören, die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen garantiert. Weiterhin sichert er den nicht-muslimischen Minderheiten das Recht zur Gründung, Verwaltung und Kontrolle karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung zu. Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der Schutz allerdings auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe, die armenisch-apostolische Kirche und die jüdische Gemeinschaft. Am 18.6.2013 entschied erstmals ein türkisches Gericht, dass auch aramäische (syrisch-orthodoxe) Türken und ihre Zusammenschlüsse von den Rechten des Lausanner Vertrages profitieren können (AA 3.8.2018).
Die Regierung bildet weiterhin sunnitische Geistliche aus, während sie andere religiöse Gruppen daran hindert, Geistliche innerhalb des Landes auszubilden. Das Gesetz verbietet Sufi- und andere religiös-soziale Orden (Tarikats) und Logen (Cemaats), obwohl die Regierung diese Einschränkungen im Allgemeinen nicht anwendet (USDOS 29.5.2018).
Religiöse Fragen werden vom Direktorat für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) koordiniert und bestimmt. Das Mandat von Diyanet ist, den Glauben, die Ausübung und die moralischen Grundsätze des Islams zu fördern, mit dem primären Fokus auf den sunnitischen Islam (USDOS 29.5.2018). Kritiker behaupten, dass die regierende AKP eine religiöse Agenda hat, die sunnitische Muslime begünstigt. Der Beleg sei u. a. die Vergrößerung der Direktion für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) und die angebliche Nutzung dieser Institution für politische Klientelarbeit und für regierungsfreundliche Predigten in Moscheen (FH 1.2018).
Nicht-muslimische Minderheiten, auch die offiziell anerkannten, sehen sich mit erheblichen Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit konfrontiert. Eines der wichtigsten Probleme in diesem Zusammenhang besteht darin, dass aufgrund eines Mangels an theologischen Schulen kein Klerus ausgebildet werden kann (EC/DGJC 2016). Positiv ist allerdings die zunehmende Renovierung bzw. Neueröffnung von Kirchen (ÖB 10.2017).
15.1. Aleviten
Die Türkei hat weltweit den größten Anteil an Aleviten. Man geht von 15 bis 25 Millionen Aleviten aus. Vor allem die Provinzen Tunceli, Elazig, XXXX , Sivas, Erzincan, Malatya, Kaysereri, Adana und Tokat sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Die alevitische Religion weist viele unterschiedliche Einflüsse aus anderen Religionen - auch aus vor-islamischer Zeit - auf. Außerdem ist das Alevitentum in seinen Vorstellungen recht heterogen. Ob Aleviten zum Islam gehören oder nicht, ist sowohl innerhalb der Aleviten als auch außerhalb der Glaubensgemeinschaft ein Streitthema (ÖIF Monographien 2013; vgl. MRG 6.2018). Politisch stehen die kurdischen Aleviten vor dem Dilemma, ob sie ihrer ethnischen oder religiösen Gemeinschaft gegenüber loyal sein sollten. Einige kümmern sich mehr um die religiöse Solidarität mit den türkischen Aleviten als um die ethnische Solidarität mit den Kurden, zumal viele sunnitische Kurden sie missbilligen. Dies könnte zu neuen ethno-religiösen Konflikten führen (MRGI 6.2018).
Die offizielle Türkei erkennt das Alevitentum als kulturelles Phänomen, nicht aber als religiöses Bekenntnis, an (ÖB 10.2017). Ein wichtiger Meilenstein für die alevitische Gemeinschaft war im Dezember 2015 die Ankündigung einer Reihe von erweiterten Rechten für Aleviten, einschließlich der rechtlichen Anerkennung von Cemevis, ihren Gotteshäusern - einem seit langem bestehenden Bereich der Diskriminierung (MRGI 6.2018).
Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin Probleme. Immer wieder werden alevitische Häuser mit abfälligen oder türkisch-nationalistischen Parolen beschmiert. Im November 2017 brachten die alevitischen Gemeindeleiter ihre Besorgnis zum Ausdruck, als 13 Häuser in der östlichen Provinz Malatya mit roten Kreuzen beschmiert wurden. Und im selben Monat griff ein Mob ein Cem-Haus in Istanbul an und versuchte es in Brand zu setzen (MRGI 6.2018).
Die Aleviten bleiben im Land politisch marginalisiert, mit einer begrenzten Vertretung in offiziellen Machtpositionen. Nach dem Putschversuch im Jahr 2016 und den anschließenden Aktionen der Regierung gegen ihre vermeintlichen Gegner wurden zahlreiche Journalisten inhaftiert und die Medien geschlossen, darunter die meisten, die über die alevitische Kultur berichteten (MRGI 6.2018). Außerdem wurden nach dem Putschversuch tausende Aleviten festgenommen oder verloren ihre Arbeit. Sie wurden von Staatspräsident Erdogan und der regierenden AK-Partei pauschal verdächtigt, mit dem Militär und mit den Putschisten sympathisiert zu haben. Die massive Verfolgung der Aleviten ist bis heute vor allem in der Provinz Dersim (türkisch: Tunceli), im alevitischen Kernland spürbar (Telepolis 10.8.2016; vgl. GI 18.1.2018). Auch alevitische Journalisten sind betroffen. TV10, der Fernsehsender "die Stimme der Aleviten", wurde im September 2016 geschlossen, angeblich wegen Bedrohung der nationalen Sicherheit und Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation (GI 18.1.2018). Im Jänner 2018 wurden die Leiter des stillgelegten alevitischen Fernsehsenders TV10 wegen "Terrorismus" verhaftet (Ahval 19.1.2018). Ende Dezember 2016 wurde nach einer Entscheidung des türkischen Obersten Radio- und Fernsehrates (RTÜK) die Ausstrahlung des alevitischen Senders "Yol TV" wegen angeblicher Beleidigung des Präsidenten und der Huldigung terroristischer Organisationen eingestellt (TM 29.12.2016). Ende März 2018 ließen türkische Gerichte 16 Mitglieder des alevitischen "Pir Sultan Abdal" Kulturverbandes (PSAKD) verhaften. Die Mitglieder wurden beschuldigt, eine terroristische Organisation zu unterstützen (SCF 24.3.2018).
Die türkische Regierung betrachtet den Alevismus weiterhin als heterodoxe muslimische Sekte. Obwohl die alevitischen Gruppen in der Lage waren, neue Cemevis zu bauen, lehnte die Regierung weiterhin ab, ihren Bau finanziell zu unterstützen. Repräsentanten der Aleviten berichteten, dass die Zahl der 2.500 bis 3.000 Cemevis im Land nicht ausreicht, um die Nachfrage zu befriedigen Die Regierung erklärte hingegen, dass die von der Diyanet finanzierten Moscheen den Aleviten und allen Muslimen unabhängig von ihrer Religionsschule zur Verfügung stünden (USDOS 29.5.2018).
16. Ethnische Minderheiten
Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei nicht-muslimischen, nämlich der Armenisch-Orthodoxen Christen, der Juden und der Griechisch-Orthodoxen Christen. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Assyrer, Dschafari [zumeist schiitische Azeris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 20.4.2018).
Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 6 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner) (AA 3.8.2018). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (wengier als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und 3.000 im Südosten (MRGI 6.2018).
Das Gesetz erlaubt den Bürgern private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihre Kampagnen zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. In der Praxis war dieses Recht jedoch nicht geschützt (USDOS 20.4.2018).
Was die kulturellen Rechte betrifft, so ist die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch im öffentlichen Dienst nicht gestattet (EC 17.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Zum Beispiel hat der von der Regierung ernannte Treuhänder [nach Ablöse des gewählten Bürgermeisters] des Edremit-Distrikts in der Provinz Van die Verwendung des Armenischen und Kurdischen abgeschafft. Die Behörden haben auch die Entfernung arabischer Aufschriften in bestimmten Gebieten angeordnet. Im April 2017 ordnete die Stadtverwaltung in Adana die Entfernung arabischsprachiger Schilder von Geschäftslokalen an, um "die türkische Sprache zu schützen". Obwohl Kurdisch offiziell in der privaten Bildung und im öffentlichen Diskurs erlaubt ist, hat die Regierung die Erlaubnis zum kurdischen Sprachunterricht nicht auf die öffentliche Bildung ausgeweitet (USDOS 20.4.2018).
Die gesetzlichen Einschränkungen für den muttersprachlichen Unterricht in der Primar- und Sekundarstufe blieben bestehen. Optionale Kurse in Kurdisch wurden in öffentlichen staatlichen Schulen und Universitäten in Kurdisch, Arabisch, Syrisch und Zazaki weiterhin angeboten. Einige Universitätsdozenten der kurdischen Sprache und Literatur wurden im Januar 2017 durch eine Notverordnung entlassen, was den Mangel an qualifizierten Dozenten auf Kurdisch noch verstärkte. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden zahlreiche Theater, Bibliotheken, Kultur- und Kunstzentren aufgrund dieses Dekrets geschlossen (EC 17.4.2018). Andere nationale oder ethnische Minderheiten, darunter Assyrer, Caferis, Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen, durften ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (ARC 21.11.2017). Weiterhin werden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen (AA 3.8.2018).
Das gesamte Bildungssystem basiert auf dem Türkentum. Auf nicht-türkische Gruppen wird entweder kein Bezug genommen oder sie werden auf eine negative Weise dargestellt (MRGI 27.10.2015). Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff "Minderheit" (im Türkischen "azinlik") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als "Spalter" und "Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe "Kurdistan", "kurdische Gebiete" und "Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018). Zwar werden Gespräche zwischen der Regierung und Vertretern von Minderheiten fortgesetzt. Trotzdem bleiben Hassreden und Drohungen gegen Minderheiten ein ernstes Problem. Eine zivilgesellschaftliche Umfrage zu Hassreden in den Medien ergab, dass Artikel/Nachrichten, die sich gegen nationale, ethnische und religiöse Gruppen richten, im Berichtszeitraum zugenommen haben. Antisemitische Rhetorik in den Medien und von Beamten besteht weiterhin (EC 17.4.2018).
Die türkische Regierung hat mehrere Male gegenüber dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung wiederholt, dass sie keine quantitativen oder qualitativen Daten in Bezug auf den ethnischen Hintergrund ihrer Bürger sammelt, speichert oder verwendet. Allerdings sammeln die Behörden in der Tat Daten zur ethnischen Herkunft der Bürger, zwar nicht für Rechtsverfahren oder zu Studienzwecken, aber zwecks Profilerstellung und Überwachung, insbesondere von Kurden und Roma (EC/DGJC 2016).
Die nationale Strategie (2016-2021) und der Aktionsplan (2016-2018) für Roma-Bürger werden umgesetzt, aber der zuständige Ausschuss zur Überwachung und Bewertung der Strategie trat nur einmal zusammen. Es bedarf insbesondere der Zuteilung budgetärer Mittel zur Unterstützung des Aktionsplanes. Laut einer umfassenden Umfrage steigt das Bildungsniveau unter jungen Roma. Davon abgesehen, ist das allgemeine Bildungsniveau unter den Roma niedrig. Extreme Armut und ein Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs sind in den Haushalten der Roma nach wie vor weit verbreitet. Die Gesamtbeschäftigungsquote ist mit 31% niedrig. Die Roma leben im Allgemeinen in sehr schlechten Wohnverhältnissen, oft ohne Grundversorgung und mit Segregation konfrontiert. Das Stadterneuerungsprojekt führte häufig dazu, dass Roma-Siedlungen abgerissen und Familien vertrieben wurden. Der Zugang zu öffentlichen Diensten ist für Roma, die keinen ständigen Wohnsitz haben, eine große Herausforderung (EC 17.4.2018).
16.1. Kurden
Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten (Istanbul, Izmir, XXXX , Adana, Mersin, Gaziantep) (ÖB 10.2017). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte (USDOS 20.4.2018). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 3.8.2018). Einige Universitäten bieten Kurdisch-Kurse an, und zwei Universitäten haben Abteilungen für die Kurdische Sprache (USDOS 20.4.2018).
Die kurdischen Gemeinden waren überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt. Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien berichteten von zunehmenden Problemen bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 20.4.2018). Hunderte von kurdischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 20.4.2018; vgl. EC 17.4.2018). Durch eine sehr weite Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus wurden die Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der Kurdenfrage auseinandersetzen, zunehmend eingeschränkt (EC 17.4.2018). Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender. Am 16.08.16 wurde z. B. die Tageszeitung "Özgür Gündem" per Gerichtsbeschluss geschlossen. Der Zeitung wird vorgeworfen, "Sprachrohr der PKK" zu sein (AA 3.8.2018; vgl. EFJ 30.10.2016). Im Jahr 2017 wurden kurdische Journalisten wegen Verbindungen zur bewaffneten kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wegen ihrer Berichterstattung verfolgt und inhaftiert. Dutzende von Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich an einer Solidaritätskampagne mit der inzwischen geschlossenen pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem beteiligten, wurden wegen terroristischer Propaganda verfolgt (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Jahr 2015 setzte sich fort und betraf im Jahr 2017 die städtischen Gebiete in geringerem Maße. Stattdessen waren ländliche Gebiete zusehends betroffen. Es gab keine Entwicklungen in Richtung der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses, der für eine friedliche und nachhaltige Lösung notwendig ist. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Im Osten und Südosten gab es zahlreiche neue Festnahmen und Verhaftungen von gewählten Vertretern und Gemeindevertretern auf der Basis von Vorwürfen, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. An deren Stelle wurden Regierungstreuhänder ernannt (EC 17.4.2018; vgl. AM 12.3.2018, USDOS 20.4.2018).
Mehr als 90 Bürgermeister wurden durch von der Regierung ernannte Treuhänder ersetzt. 70 von ihnen befinden sich in Haft. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Funktionäre und Mitglieder der pro-kurdischen HDP verhaftet (AM 12.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). [siehe auch Kapitel 13.1. Opposition]
Die pro-kurdische HDP schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP schikaniert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen, Erdogan den HDP-Kandidaten Demirtas bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018). Bereits im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 bezeichnete auch der damalige Regierungschef Yildirim die HDP als Terrorunterstützerin (HDN 7.2.2017).
Am 8.9.2016 suspendierte das Bildungsministerium mittels Dekret 11.285 kurdische Lehrer unter dem Vorwurf Unterstützer der PKK zu sein. Alle waren Mitglieder der linksorientierten Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige, Egitim Sen (AM 12.9.2016). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 3.8.2018).
[für weiterführende Informationen siehe Kapitel 3 "Sicherheitslage"]
17. Relevante Bevölkerungsgruppen
17.1. Frauen
Frauen und Männer sind nach den umfassenden Reformen im Zivil-, Arbeits-, Straf- und Verfassungsrecht der letzten Jahre in der Türkei gesetzlich weitgehend gleichgestellt (AA 11 .2017a; vgl. EC 17.4.2018). Die gesellschaftliche Wirklichkeit bleibt in weiten Teilen des Landes jedoch hinter den gesetzlichen Fortschritten zurück. Gehobenen Positionen von Frauen an Hochschulen, als Anwältinnen und Ärztinnen oder in der Wirtschaft in den Städten stehen traditionell-konservative Gesellschaftsstrukturen in ländlich-konservativen Gebieten (einschließlich der von Binnenmigranten bewohnten städtischen Räume) gegenüber (AA 11 .2017a). 2015 waren laut Regierungsangaben nur 27,5% der Frauen erwerbstätig (USDOS 20.4.2018). 2017 nahm die Türkei Platz 131 von 144 untersuchten Ländern im Global Gender Gap Index ein (WEF 2017).
Die Diskriminierung von Frauen und geschlechtsspezifische Gewalt wurden jedoch aufgrund der schwachen Umsetzung der Rechtsvorschriften und der geringen Qualität der verfügbaren Unterstützungsdienste nicht ausreichend bekämpft. Es fehlt ein starkes politisches Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter (EC 17.4.2018). Eine Reihe von Faktoren untergraben die bestehenden Bemühungen der Behörden zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Dies ist zum einen das Fehlen einer systematischen und gründlichen Bewertung der allgemeinen Politik im Hinblick auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Gewalt gegen Frauen. Zum anderen ergibt sich aus der Tendenz, die traditionellen Rollen von Frauen als Mütter und Betreuerinnen zu betonen, die wenig dazu beitragen, diskriminierende Stereotypen über die Rolle und Verantwortung von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft infrage zu stellen (GREVIO 15.10.2018). Laut einem Statement von Staatspräsident Erdogan aus dem Jahr 2016, ist eine Frau, die die Mutterschaft ablehnt und den Haushalt aufgibt, nur eine halbe Person. Die Politik der türkischen Regierung entspricht weitgehend dieser Auffassung. In den letzten zehn Jahren wurden Frauen für die Betreuung ihrer Kinder bezahlt oder ihnen wurde ein längerer unbezahlter Urlaub gewährt. Diese Politik hat jedoch wenig dazu beigetragen, Frauen von unbezahlten Arbeiten zu befreien, die sie davon abhalten, Geld zur Unterstützung ihrer Familien zu verdienen. Die Behörden weigerten sich auch, Gesetze durchzusetzen, die von Unternehmen verlangen, dass sie Kinderbetreuung vor Ort anbieten, damit mehr Frauen nach der Geburt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. In der Türkei werden 89,6% der Kinder laut Statistikamt von ihren Müttern betreut. Nur 2,4% der Kinder befinden sich in Kinderbetreuungseinrichtungen. Infolgedessen nimmt nur jede dritte Frau am Erwerbsleben teil - die niedrigste Quote unter den 35 OECD-Ländern (PRI 4.5.2017).
Das Gesetz sieht die Bestrafung sexueller Übergriffe, inklusive Vergewaltigung in der Ehe, vor. Bei versuchtem sexuellen Missbrauch ist eine Gefängnisstrafe von zwei bis zehn Jahren vorgesehen und bei Vergewaltigung oder tatsächlichem sexuellen Missbrauch nicht weniger als zwölf Jahre Haft. In einigen Fällen hat die Regierung die entsprechenden Gesetze effektiv bzw. zur Gänze zum Schutz der Opfer umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen bestehen aber weiter große Defizite. Mit einem im März 2012 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienangehörigen vor häuslicher Gewalt haben nun auch unverheiratete Frauen Anspruch auf staatlichen Schutz. Insgesamt bleibt jedoch die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelungen lückenhaft (AA 3.8.2018). 2016 zeigte sich das UN-Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) besorgt hinsichtlich des Fortbestehens systematischer und weit verbreiteter geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen im privaten Bereich, einschließlich sexueller und psychologischer Gewalt und dem Entzug des Zugangs zu lebenswichtigen Gütern. Besorgnis herrschte zudem wegen der hohen Zahl von Frauen, die von ihren (ehemaligen) Partnern oder Ehemännern oder Familienmitgliedern ermordet wurden, und Anordnungen zum Schutz der Frauen selten umgesetzt und mangelhaft überwacht wurden (UN-CEDAW 25.7.2016). Häusliche Gewalt führte 2017 zum Tod von 282 Frauen. Es gibt nur sehr begrenzte Folgemaßnahmen zu Fällen von häuslicher Gewalt ohne die Verweisung an die Sozialdienste. Es gibt keine umfassenden Daten über geschlechtsspezifische Gewalt, und die Zahl der gemeldeten Fälle blieb gering, was Zweifel am berichteten Ausmaß aufkommen lässt (EC 17.4.2018). Anzeigen wegen Gewaltakten sind merkbar gering, was der Stigmatisierung und der Furcht vor Repressionen sowie der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Täter geschuldet ist, aber auch der Rechtsunkundigkeit, Sprachbarrieren und dem mangelnden Vertrauen in die Rechtsvollzugsorgane. Täter sexueller Gewalt, einschließlich derjenigen, die der Vergewaltigung von Mädchen für schuldig befunden werden, erwarten nicht nur milde Urteile, sondern sie werden wegen des "guten Benehmens" während des Prozesses mit reduzierten Strafen belegt (UN-CEDAW 25.7.2016).
Es kommt immer noch zu sogenannten "Ehrenmorden", d. h. insbesondere zu der Ermordung von Frauen oder Mädchen, die eines sog. "schamlosen Verhaltens" aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines "Verbrechens in der Ehe" verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein (AA 3.8.2018). Vor allem im Osten und Südosten des Landes ereignen sich weiterhin Verbrechen im Namen der Ehre. Frauen werden oft von der Familie in den Selbstmord getrieben. Im Jahr 2016 wurden insgesamt 397 Frauen durch ihre (Ehe-)Partner getötet. Laut Daten des Familien- und Sozialministeriums stieg die Zahl von gemeldeten verletzten Frauen von 24.920 im Jahr 2010 auf 70.112 im Jahr 2013 an. 2016 stieg diese Zahl weiter an auf 130.634 (ÖB 10.2017).
Auch Männer werden - vor allem im Rahmen von Familienfehden (Blutrache) - Opfer von sog. "Ehrenmorden", zum Teil, weil sie "schamlose Beziehungen" zu Frauen eingehen bzw. sich weigern, die Ehre der Familie wiederherzustellen. Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ihre Jungfräulichkeit verloren haben, sind oft unmittelbar bedroht (AA 3.8.2018). Nach dem tStGB sind "Jungfräulichkeitstests" gegen den Willen der Betroffenen nur noch auf richterliche Anordnung zulässig (AA 3.8.2018; vgl. UN-CEDAW 25.7.2016). Dies stellt eine Verletzung sowohl des Rechts auf Privatsphäre als auch jenes der physischen wie mentalen Integrität der Person dar (UN-CEDAW 25.7.2016).
Frühe und Zwangsheirat waren weiterhin ein Problem (EC 17.4.2018). [siehe Abschnitt 18.2]
Es gibt 137 Frauenhäuser bzw. Unterkünfte für Opfer häuslicher Gewalt (EC 17.4.2018; vgl. ÖB 10.2017), die Kapazität betrug nach Angabe des türkischen Familien- und Sozialministeriums im Dezember 2016 3.433 Personen (ÖB 10.2017). Allerdings wurden im Südosten des Landes einige dieser Einrichtungen geschlossen. Elf unabhängige Frauen-NGOs wurden unter dem Ausnahmezustand geschlossen. In 68 Provinzen sind seit Januar 2018 Zentren für Gewaltprävention und -überwachung in Betrieb. (EC 17.4.2018). Die Zufluchtsmöglichkeiten für und die Versorgung von Gewalt betroffenen Frauen - etwa in staatlichen Frauenhäusern - sind ungenügend (AA 3.8.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Alleinstehende Frauen finden grundsätzlich keine spezielle Unterstützung außerhalb des Familienverbandes. Das Familien- und Sozialministerium hat einen Hilfsfonds für verwitwete Frauen eingerichtet, der Betroffenen derzeit ca. 70 EUR pro Monat zugesteht. NGOs, die finanzielle Hilfe für alleinstehende Frauen/Witwen anbieten, gibt es keine (ÖB 10.2017).
Laut einer Studie der Kadir Has Universität vom März 2016 war für 77,8% der Befragten das größte Problem von Frauen in der Türkei die Gewalt. Unter den 1.200 Studienteilnehmerinnen waren auch "Ungleichheit" (41,8%), "mangelnde Bildung" (34,8%), "Gruppenzwang" (30,7%) und "Familiendruck" (26,5%) brennende Themen. Die Studie ergab, dass 64,8% der Befragten arbeitslos waren und 70,2% nie einen Arbeitsplatz hatten. In einem der auffälligsten Befunde antworteten 72,2% der Frauen negativ auf die Frage: "Würden Sie gerne arbeiten?" Nebst dem Bildungsfaktor und der Sicherheit am Arbeitsplatz nannten mit 47,9% an erster Stelle die Zustimmung des Vaters, Ehemannes und der Familie als Kriterium überhaupt eine Arbeit aufnehmen zu wollen (AM 8.3.2016).
17.2. Kinder
Die Umsetzung der 2013 verfassten Kinderrechte-Strategie und der Aktionsplan sind unzureichend. Es besteht keine nationale Strategie zur Vermeidung von Gewalt gegen Kinder oder ein effektives System zum Monitoring von Rehabilitationszentren und vorhandenen Institutionen. Es gibt nicht in allen Provinzen Jugendgerichte, und mehr als die Hälfte der jugendlichen Straftäter werden weiterhin von nicht spezialisierten Gerichten verurteilt. Die Zahl der Kinder in Untersuchungshaft stieg auf 1.746. 130 Jugendliche wurden festgenommen oder wegen Terror oder organisierter Kriminalität verurteilt. Die Qualität der Rechtshilfe für Jugendliche und der Rehabilitationsmaßnahmen in den Gefängnissen ist besorgniserregend. Mehrere zivil-gesellschaftliche Organisationen, die sich mit Jugendrechten befassen, wurden von den Behörden geschlossen (EC 17.4.2018).
Es gibt etliche Verletzungen der Kinderrechte. Schwangere und Mütter von Neugeborenen werden illegal inhaftiert, 700 Kinder unter sechs Jahren sind momentan im Gefängnis. Andere unter achtzehn Jahren sind mit langer Untersuchungshaft und Folter konfrontiert. Syrische Flüchtlingskinder sind sexuellem Missbrauch, Kinderarbeit und anderen Rechtsverletzungen ausgesetzt (PPJ 13.4.2018).
Kinderheirat ist ein großes Problem, das zu weiteren Problemen wie häuslicher Gewalt, Gesundheitsproblemen und Hindernissen für Bildung und Beschäftigung führt (PPJ 13.4.2018). Mit dem vollendeten 17. Lebensjahr ist es gesetzlich erlaubt zu heiraten. Obwohl das Gesetz Ehen von Minderjährigen (unter 17 Jahren), mit gerichtlichen Ausnahmen, untersagt, stellen die sog. "Kinderehen" weiterhin ein großes Problem, insbesondere in den ländlichen Gebieten und den (süd-)östlichen Provinzen, dar (ÖB 10.2017; vgl. GREVIO 15.10.2018). Zu diesem Zweck wurden verschiedene Präventivmaßnahmen ergriffen, wie z. B. die Sensibilisierung von Gemeinden und Familien sowie die Stärkung - im Sinne von Empowerment - von Mädchen. Dennoch sind minderjährige und Zwangsverheiratungen nach wie vor weit verbreitet. Den neuesten Prävalenzstudien zufolge waren mehr als 25% der Frauen in der Türkei vor dem 18. Lebensjahr verheiratet, ein Prozentsatz, der in ländlichen Gebieten auf 32 % ansteigt. Fast 20% dieser Frauen geben an, ohne ihre Zustimmung, durch eine Familienentscheidung verehelicht geworden zu sein. Ebenso lag die Lebensprävalenz von körperlicher Gewalt mit 48% bei Frauen, die vor dem Alter von 18 Jahren verheiratet waren, deutlich höher als bei Frauen, die im Erwachsenenalter geheiratet haben. Hier lag der Wert bei 31% (GREVIO 15.10.2018).
In außerordentlichen Fällen obliegt es dem Richter, 16-jährigen die Erlaubnis zur Verehelichung zu erteilen. Unter "außerordentliche Fälle" sind meistens Mädchen betroffen, die schwanger wurden und aus "kulturell-moralischen Gründen" den Freund heiraten müssen, sofern die Eltern zustimmen. Verehelichung von Kindern unter 16 Jahren ist unter keinen Umständen rechtlich erlaubt. Eheschließungen in der Türkei können nur durch das Standesamt vollzogen werden. Das Parlament verabschiedete am 18.10.2017 das Gesetz, das den Muftis die Kompetenz für die Verehelichung in den Standesämtern überträgt. Laut türkischem Statistikamt gibt es einen Rückwärtstrend bei den Kinderehen v.a. bei Mädchen (ÖB 10.2017).
Die Türkei hat die höchste Kinderheiratsquote in Europa. Laut UNICEF waren 15% der Frauen vor dem 18. Lebensjahr verheiratet (PPJ 13.4.2018). Das türkische Statistikamt nannte 2016 einen Prozentsatz von 17,9% der Ehen, die vor dem 18. Lebensjahr geschlossen wurden (TSI 18.1.2017). Der tatsächliche Prozentsatz ist wahrscheinlich viel höher ist, da viele Kinderehen nicht registriert werden und durch inoffizielle religiöse Zeremonien erfolgen (USDOS 20.4.2018; vgl. PPJ 13.4.2018). Eine landesweite Umfrage des Hacettepe Universitätsinstituts ergab 2014, dass 30% der Frauen in der Türkei vor dem Alter von achtzehn Jahren geheiratet haben (PPJ 13.4.2018).
Kindesmisshandlung ist ein Problem. Das Gesetz ermächtigt Polizeibeamte und Beamte der Lokalverwaltung, Opfern von Gewalt oder von Gewalt gefährdeten Personen verschiedene Schutz- und Unterstützungsleistungen zu gewähren. Das Gesetz verpflichtet die Regierung, den Opfern Dienstleistungen wie Unterkünfte und vorübergehende finanzielle Unterstützung zu gewähren, und ermächtigt die Familiengerichte, Sanktionen gegen die Täter zu verhängen. Die Strafen für sexuellen Kindesmissbrauch liegen zwischen acht und 15 Jahren Gefängnis. Bei Vergewaltigung beträgt das Mindeststrafmaß 16 Jahre Haft. Wenn das Kind unter zwölf Jahre alt ist, erhöhen sich die Mindeststrafen für die jeweiligen Delikte um zwei Jahre (USDOS 20.4.2018).
2016 machte die Türkei moderate Fortschritte in den Bemühungen die schlimmsten Formen von Kinderarbeit zu eliminieren. Kinder in der Türkei verrichten gefährliche Aufgaben in der saisonalen Wanderarbeit in der Landwirtschaft und in der Straßenarbeit. Allerdings wurde eine Verordnung zur Verbesserung des Bildungsangebots und anderer Dienstleistungen für Kinder von saisonalen Wanderarbeitern in der Landwirtschaft verabschiedet. Darüber hinaus haben die Sicherheitskräfte 33 neue Einheiten eingerichtet und ausgebildet, die sich auf Verbrechen gegen Frauen und Kinder, einschließlich Kinderhandel, konzentrieren werden (USDOL 2016).
18. Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit im Land, Reisen ins Ausland, Auswanderung und Repatriierung werden gesetzlich garantiert, die Regierung schränkt diese Rechte allerdings ein. Die Verfassung besagt, dass die Reisefreiheit innerhalb des Landes nur durch einen Richter in Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Untersuchung oder Verfolgung eingeschränkt werden kann. Die Regierung beschränkte Auslandsreisen für Zehntausende von Bürgern, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen wird. Die Bewegungsfreiheit ist auch im Osten und Südosten des Landes angesichts des Konfliktes zwischen Sicherheitskräften und der PKK sowie deren Unterstützer ein Problem. Beide Konfliktparteien errichten Kontrollpunkte und Straßensperren. Die Regierung schuf spezielle Sicherheitszonen und rief Ausgangssperren in mehreren Provinzen als Reaktion auf die PKK-Angriffe aus. Flüchtlinge, die den Status des bedingten Asyls haben sowie Syrer, denen sog. temporärer Schutz gewährt wurde, erfahren ebenfalls Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Flüchtlinge mit bedingtem Schutzstatus bedürfen einer Erlaubnis der örtlichen Behörden, um in andere als die ihnen zugewiesenen Städte reisen zu können. Syrern ist das Verlassen der auf ihrer Registrierungskarte vermerkten Provinz ohne Genehmigung verboten (USDOS 20.4.2018).
Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom 15.7.2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen. Seit dem Putschversuch verhängen türkische Behörden vermehrt Ausreiseverbote. Diese werden an allen Land-, See- und Luftgrenzübergängen überprüft. Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar (AA 3.8.2018).
Am 12.12.2017 verkündete der türkische Innenminister, Süleyman Soylu, dass seit dem Putschversuch 234.419 Pässe als Teil der Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung annulliert worden sind (TM 12.12.2017). Die Annullierung erfolgte mit dem Notverordnungsgesetz Nr.667 mit der Begründung, dass die entlassenen Angestellten des öffentlichen Sektors und andere Mitarbeiter eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen und sie eine Mitgliedschaft, Zugehörigkeit oder Verbindung zu terroristischen Organisationen haben. Per Dekret Nr.673 wurden die Pässe der Ehegatten der Betroffenen ebenfalls annulliert. Tausende Pässe wurden auch jenseits des Rechtsrahmens für ungültig erklärt, wo keinerlei vermeintliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen und somit eine Gefährdung der nationalen Sicherheit vorlagen (PPJ 10.3.2018). Nach dem Ende des zweijährigen Ausnahmezustands widerrief das türkische Innenministerium am 25.7.2018 die Annullierung von 155.350 Pässen, die in erster Linie Ehepartnern sowie Verwandten von Personen entzogen worden waren, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung standen (HDN 25.7.2018; vgl. TM 25.7.2018).
Die türkische Regierung hat Anfang Jänner 2017 ein Dekret erlassen, dank dem sie im Ausland lebende Türken unter bestimmten Bedingungen die Staatsbürgerschaft entziehen kann. Die entsprechenden Notstandsdekrete gelten für Personen, die schwerer Straftaten (etwa Putschversuche, Gründung einer bewaffneten Organisation) beschuldigt werden und trotz Aufforderung nicht innerhalb von drei Monaten in ihre Heimat zurückkehren (ZO 7.1.2017).
19. Flüchtlinge
Ende 2017 umfasste die Zahl der Flüchtlinge etwa 3,5 Millionen Syrer und 365.000 Menschen anderer Nationalitäten. Rund 228.000 Syrer lebten in 21 Lagern, die von der Agentur für Katastrophen- und Notfallmanagement (AFAD) entlang der türkisch-syrischen Grenze verwaltet werden. Erhebliche Anstrengungen wurden unternommen, um einen breiteren Zugang zur Schulbildung und Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Von den 1,5 Millionen Syrern im Schulalter haben etwa 605.000 Zugang zur Grund- und Sekundarschulbildung. Bis Ende 2017 wurden 15.700 Arbeitserlaubnisse für Syrer erteilt (EC 17.4.2018). Der ganz überwiegende Teil der Flüchtlinge und Migranten lebt außerhalb der Lager, vor allem in den großen Städten, insbesondere in Istanbul, sowie in den Provinzen an der türkisch-syrischen Grenze (Gaziantep, Sanliurfa und Hatay) (AA 3.8.2018).
In der Türkei bestehen mehrere gesetzliche Bestimmungen, die den Flüchtlingsstatus regeln. Das 2013 verabschiedete Ausländer- und internationale Schutzgesetz definiert drei Kategorien von Flüchtlingen: Jene Flüchtlinge, die unter die Genfer Konvention von 1951 fallen. Hierzu zählen ausschließlich Staatsbürger von Staaten, die Mitglieder des Europarates sind. Ihnen steht nebst den Rechten auf der Basis der Genfer Konvention auch die Aussicht auf eine dauerhafte legale Integration in der Türkei zu. Außereuropäischen Flüchtlingen kann der Status eines sog. "bedingten Flüchtlings" gewährt werden. Ihnen wird eine kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung zuteil. Allerdings ist der Wohnort nicht frei wählbar, ein Familiennachzug nicht möglich und eine dauerhafte Integration nicht vorgesehen. Die dritte Kategorie sind subsidiär Schutzsuchende. Sie erhalten weniger Vergünstigungen. Eine dauerhafte Integration ist ebenfalls ausgeschlossen. Allerdings ist ein Familiennachzug möglich. Die Bestimmungen für subsidiär Schutzsuchende entsprechen den EU-Regulativen (ECRE 3.2018). Am 22.10.2014 wurde eine gesonderte Flüchtlingskategorie, nämlich jene der "temporär Schutzbedürftigen" eingeführte. Der Status wird auf Ausländer angewendet, die gezwungen waren, ihr Land zu verlassen; nicht in das Land zurückkehren können, das sie verlassen haben; massenhaft oder einzeln an der türkischen Grenze angekommen sind oder diese überschritten haben; und deren internationales Schutzbedürfnis nicht im Rahmen eines individuellen Verfahrens entschieden wird. Der "temporäre Schutz" betrifft syrische Staatsangehörige sowie Flüchtlinge und Staatenlose aus Syrien. Sie erhalten einen vorübergehenden Schutzstatus. So umfasst die "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" nicht nur syrische Staatsangehörige, sondern auch Flüchtlinge, darunter Palästinenser. Die am 7.4.2016 eingeführte Änderung der "Verordnung über den vorübergehenden Schutz" sieht zudem vor, dass auch syrische Staatsangehörige, die unrechtmäßig auf die Ägäischen Inseln eingereist sind und anschließend wieder in der Türkei aufgenommen wurden, einen vorübergehenden Schutzstatus erhalten können (RRT 3.2017).
Registrierte Flüchtlinge (Syrer und Nicht-Syrer) erhalten in der Türkei Ausweispapiere und am registrierten Aufenthaltsort kostenlosen Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung in staatlichen Krankenhäusern. Rechtlich steht ihnen auch der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt offen, wobei in der Praxis vielfach noch Umsetzungsschwierigkeiten bestehen (AA 3.8.2018). Flüchtlingen, die unter "vorübergehendem Schutz" stehen, ist der Erwerb der türkischen Staatsbürgerschaft weitgehend untersagt. Vor dem Hintergrund einer Änderung des Gesetzes über die türkische Staatsbürgerschaft, das im November 2017 in Kraft trat, haben die türkischen Behörden jedoch das spezielle Einbürgerungsverfahren für über 36.000 syrische Staatsangehörige im Jahr 2017 abgeschlossen. Rund 50.000 Syrer wurden für die Einbürgerung identifiziert (EC 17.4.2018).
Seit Jänner 2016 erhalten Ausländer, die unter den temporären Schutz fallen, eine Arbeitserlaubnis. Dies erlaubt z. B. Syrern, unter bestimmten Bedingungen legal zu arbeiten. Überdies führte die Türkei im April 2016 auch die Arbeitserlaubnis für Menschen ein, die um internationalen Schutz ansuchen (EC 9.11.2016; vgl. TLL 30.6.2016). Flüchtlinge gemäß Genfer Konvention sowie subsidiär Schutzberechtigte, in beiden Fällen auch Staatenlose, dürfen nach Verleihung des Status ohne spezielle Arbeitserlaubnis selbstständig oder unselbstständig tätig sein (TLL 6.5.2016).
Nebst den (vier) angeführten Flüchtlingskategorien besteht noch eine Form des humanitären Bleiberechts, die sog. "humanitarian residence permits", die vor allem Irakern zugestanden wurden. Dabei handelt es sich nicht um einen Schutzstatus, sondern um eine von sechs Kategorien der Aufenthaltserlaubnis für Ausländer. Die Kategorie gewährt das Aufenthaltsrecht in der Türkei. Allerdings ist der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen beschränkt. Zwar ist die Gesundheitsversorgung gratis, aber nicht die Kosten für Medikamente. Im Unterschied zu Personen, die unter internationalen Schutz fallen, dürfen jene mit einem humanitären Aufenthaltsrecht frei ihren Wohnort wählen. Insbesondere erhielten in der Vergangenheit Iraker systematisch das humanitäre Bleiberecht anstatt des internationalen Schutzes. Neuerdings können sie in ihrem Ansuchen zwischen den Optionen wählen (CoE-CommDH 10.8.2016).
Wenn festgestellt wird (Art.73), dass ein Asylwerber aus einem Land kommt, in dem er zuvor als Flüchtling anerkannt war und immer noch die Möglichkeit hat, diesen Schutz zu genießen oder wo er immer noch einen tatsächlichen Schutz, einschließlich des non-refoulement, genießen kann, wird der Antrag als unzulässig bewertet und das Verfahren zur Rückführung in den ersten Zufluchtsstaat eingeleitet. Wenn festgestellt wird (Art.74), dass der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat kommt, in dem er möglicherweise einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der dem Schutz nach dem Abkommen [Genfer Konvention] entspricht, oder in dem er die Möglichkeit hat, solch einen Antrag zu stellen, wird der Antrag als unzulässig bewertet und die Verfahren zur Rückführung in den sicheren Drittstaat eingeleitet (ZAR 5.2013).
Wenn Asylsuchende unrechtmäßig aus der Türkei ausgereist sind, kann grundsätzlich die Möglichkeit einer Rückkehr in die Türkei dadurch ausgeschlossen sein. In diesem Fall werden diese Personen durch die türkischen Behörden mit einem fünfjährigen Einreiseverbot belegt und ihr Asylantrag gilt als zurückgezogen (UNHCR 13.3.2018).
Trotz neuer Initiativen zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge haben viele nur unzureichenden Zugang zu einer Lebensgrundlage, zu Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Schulbildung für ihre Kinder. Mit Ausnahme der Menschen aus Syrien haben die Flüchtlinge keinen Zugang zu fairen und wirksamen Verfahren zur Feststellung ihres Status. Es gibt weiterhin Berichte über Abschiebungen von geflüchteten Menschen und Asylsuchenden, auch nach Syrien. In der Flüchtlingsarbeit tätige internationale humanitäre NGOs stellten fest, dass ihre Arbeit in der Türkei zunehmend behindert bzw. eingeschränkt wurde, oder die türkischen Behörden entzogen die Erlaubnis zur Gänze, im Land tätig zu sein. Aus dem Abschiebezentrum in Van im Osten der Türkei fanden Berichten zufolge Ende Mai und Anfang Juni 2017 Sammelabschiebungen syrischer und irakischer Flüchtlinge und Asylsuchender in ihre jeweiligen Herkunftsländer statt. Demnach sind rund 200 irakische und rund 300 syrische Staatsangehörige abgeschoben worden, nachdem Angehörige der Behörden einzelne Menschen dazu gezwungen hatten, ein Formular zu unterschreiben, mit dem sie einer "freiwilligen Rückkehr" zustimmten (AI 22.2.2018).
Die Vorfälle gesellschaftlicher Gewalt gegen Flüchtlinge nahmen im Laufe des Jahres 2017 zu. Viele Flüchtlinge werden am Arbeitsplatz ausgebeutet. Frühe Heirat und Kinderarbeit bleiben auch unter den Flüchtlingen ein großes Problem. Laut Menschenrechtsgruppen schränken die Bedingungen in Haft- und Abschiebezentren die Rechte von Migranten auf Kommunikation mit, und Zugang zu Familienmitgliedern, Dolmetschern und Anwälten ein (USDOS 20.4.2018).
19.1. Binnenflüchtlinge (IDPs)
Zwischen 355.000 und 500.000 Menschen wurden seit Dezember 2015 aufgrund von Spannungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften vertrieben. Der humanitäre Zugang ist sehr begrenzt. Wiederkehrende Ausgangssperren und zerstörte Gebäude verhindern eine Rückkehr in die betroffenen Gebiete im Südosten (ACAPS 8.6.2018). Die Gesamtzahlen blieben zum Jahresende 2017 unklar (USDOS 20.4.2018). Das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) zählte mit Ende 2017 unter Berufung auf diverse Quellen und unter Einbeziehung der bis dato nicht berücksichtigten Ortschaften Idil, Sirnak and Yüsekova sogar 1,113.000 Binnenflüchtlinge unter der Anmerkung, dass die Regierung 2017 humanitären Organisationen keinen vollständigen Zugang gewährte, um unabhängige und unparteiische Bewertungen der humanitären Lage bzw. der Schutzbedürfnisse der Binnenflüchtlinge vorzunehmen (IDMC 2018).
Einige Stadtteile des Bezirks Sur in Diyarbakir waren weiterhin für die Öffentlichkeit gesperrt. Nur einem geringen Prozentsatz der Binnenvertriebenen wurden neue Unterkünfte und eine umfassende Unterstützung angeboten, einschließlich Kompensationszahlungen. Die Enteignungen im Bezirk Sur durch die Regierung im Jahr 2016 bleibt eine offene rechtliche Frage. Eingebrachte Klagen gegen die Enteignung sind von den Verwaltungsgerichten zurückgewiesen worden (EC 17.4.2018). In Sur verloren die bereits während der Ausgangssperren vertriebenen Bewohner ein zweites Mal ihr Zuhause, als sie im Zuge des Sanierungsvorhabens des gesamten Stadtteils zwangsgeräumt wurden. Im Mai 2017 wurden Hunderte Bewohner von der Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten, offenbar in dem Versuch, sie zum Auszug zu bewegen (AI 22.2.2018; vgl. SCF 25.8.2017).
Ein Abklingen der Zusammenstöße in den Städten und der Wiederaufbau der Regierung im Laufe des Jahres 2017 ermöglichten es einigen Binnenvertriebenen, in ihre Heimat zurückzukehren (USDOS 20.4.2018).
Die Situation der Binnenvertriebenen hat sich infolge der Gewalt im Südosten nur unwesentlich verbessert. Der Investitionsplan der Regierung für den Wiederaufbau geschädigter Gebiete im Südosten hat zum Bau von Tausenden von Wohnungen geführt, aber bisher haben nur wenige Binnenvertriebene eine Entschädigung erhalten (EC 17.4.2018). Das Gesetz erlaubt es Personen, die durch terroristische Handlungen, einschließlich derer der PKK oder der Sicherheitskräfte als Reaktion auf terroristische Handlungen, materielle Verluste erlitten haben, sich an die Schadensfeststellungskommissionen der Regierung zu wenden. Im Oktober 2017 berichtete die Regierung, dass sie 222,4 Millionen Lira (zum damaligen Zeitpunkt 60 Mio. US-Dollar) an mehr als 10.000 Opfer verteilt hatte (USDOS 20.4.2018). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen aus der Südosttürkei hat die Regierung die finanzielle Entschädigung für zerstörte Wohnungen von der Unterzeichnung einer Erklärung der Eigentümer abhängig gemacht, wonach ihr Eigentum durch "terroristische Aktivitäten" [und nicht durch die Sicherheitskräfte] zerstört wurde. Familien, die Berichten zufolge gezwungen wurden, solche Erklärungen zu unterzeichnen, betrachteten dies als Versuch den Verlauf der Ereignisse von 2015 bis 2016 zu verfälschen, was zukünftige Bemühungen zur Feststellung der Verantwortlichen behindern könnte (OHCHR 2.2017).
20. Grundversorgung/ Wirtschaft
Für die Türkei werden Marktturbulenzen, starke Währungsabwertungen und erhöhte Unsicherheiten erwartet, die Investitionen und die Konsumnachfrage belasten und eine deutliche negative Korrektur der Wachstumsaussichten rechtfertigen. In der Türkei führten die Besorgnis über die zugrundeliegenden Fundamentaldaten und die politischen Spannungen mit den Vereinigten Staaten zu einer starken Abwertung der Währung (27% zwischen Februar und Mitte September 2018) und sinkenden Vermögenswerten. Das Wachstum in der Türkei war 2017 und Anfang 2018 sehr stark, dürfte sich aber deutlich abschwächen. Das reale BIP-Wachstum wird für 2018 mit 3,5% prognostiziert, soll aber entgegen den positiven ursprünglichen Prognosen 2019 auf 0,4% sinken. Die türkische Wirtschaft ist nach wie vor sehr anfällig für plötzliche Veränderungen der Kapitalströme und geopolitischen Risiken (IMF 8.10.2018).
Die Arbeitslosigkeit bleibt ein gravierendes Problem und verharrt trotz leichter Erholung bei knapp 11% (September 2017). Aus der jungen Bevölkerung drängen jährlich mehr als eine halbe Million Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt, können dort aber nicht vollständig absorbiert werden. Die bereits hohe Jugendarbeitslosigkeit stieg 2017 gegenüber dem Vorjahr weiterhin an. Hinzu kommt das starke wirtschaftliche Gefälle zwischen strukturschwachen ländlichen Gebieten (etwa im Osten und Südosten) und den wirtschaftlich prosperierenden Metropolen. Auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen wandert die ländliche Bevölkerung daher weiterhin in die Städte und industriellen Zentren ab. Herausforderungen für den Arbeitsmarkt bleiben der weiterhin hohe Anteil der Schwarzarbeit und die niedrige Erwerbsquote von Frauen. Dabei bezieht der überwiegende Teil der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen Arbeiter und Arbeiterinnen weiterhin den offiziellen Mindestlohn. Er wurde für das Jahr 2017 auf 1.777,50 Lira brutto festgesetzt. Die Entwicklung der Realeinkommen hält mit der Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt, so dass insbesondere die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten empfindlich am Rande des Existenzminimums leben (AA 10 .2017c).
Das türkische Arbeitsrecht muss noch an die EU-Standards angepasst werden. Obwohl die nicht registrierte Beschäftigung auf 27,8% zurückgegangen ist, bestehen weiterhin große Unterschiede in Bezug auf Sektor, Beschäftigungsstatus und Geschlecht (BS 2018).
20.1. Sozialbeihilfen/-versicherung
Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (AA 3.8.2018).
Nach dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 über Ausländer und internationalen Schutz haben auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 3.8.2018).
Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.), Kindergeld (10-20 EUR pro Kind/pro Monat, nach Alter und Geschlecht gestaffelt, Mädchen bekommen etwas mehr), finanzielle Unterstützung für Schwangere (ca. 50 EUR pro Schwangerschaft), Wohnprogramme, Einkommen für Behinderte und Altersschwache (50-130 EUR/Monat nach Alter und Grad der Behinderung gestaffelt). Des Weiteren beziehen Witwen die sogenannte "Witwenunterstützung", die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (ca. 70% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch Max. 250 EUR/Monat) (ÖB 10.2017).
Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden (SGK 2016b).
20.2. Arbeitslosenunterstützung
Alle Arbeitnehmer, einschließlich derer, die in der Landwirtschaft, im Forstwesen und im Bereich Dienstleistung tätig sind, sind unterstützungsberechtigt, wenn sie zuvor ein geregeltes Einkommen im Rahmen einer Vollzeitbeschäftigung erhalten haben. Selbständige sind nicht anspruchsberechtigt. Die durchschnittliche Arbeitslosenhilfe ist auf den Betrag des Mindestlohnes begrenzt. Benötigte Dokumente sind: ein entsprechender Antrag an das Direktorat des Türkischen Beschäftigungsbüros (ISKUR) innerhalb von 30 Tagen nach Verlust des Arbeitsplatzes, einschließlich schriftlicher Bestätigung vom Arbeitnehmer und der Personalausweis (IOM 12.2015). Der Arbeitnehmer muss die letzten 120 Tage vor dem Leistungsbezug ununterbrochen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben. Für die Dauer des Leistungsbezugs übernimmt die Arbeitslosenversicherung die Beiträge zur Kranken- und Mutterschutzversicherung (ÖB 10.2017).
Unterstützungsleistungen: 600 Tage Beitragszahlung ergeben 180 Tage Arbeitslosenhilfe; 900 Tage Beitragszahlung ergeben 240 Tage Arbeitslosenhilfe; 1.080 Tage Beitragszahlung ergeben 300 Tage Arbeitslosenhilfe (IOM 2017; vgl. ÖB 10.2017). Das zentrale Arbeitsamt nimmt Bewerbungen entgegen und bietet türkischen Staatsbürgern Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche an. Die Behörde verfügt über Filialen im ganzen Land. Weitere Informationen stehen hier zur Verfügung: www.iskur.gov.tr (IOM 2017).
20.3. Pension
Renten gibt es für den öffentlichen und den privaten Sektor. Kosten: Eigenbeteiligungen werden an das SGK entrichtet, weitere Kosten entstehen nicht. Sofern regelmäßige Einzahlungen getätigt wurden, wird die entsprechende Pension monatlich ausgezahlt.
Berechtigung:
* Staatsbürger über 18 Jahre
* Exilanten, die ihre Arbeit im Ausland nachweisen können (bis zu einem Jahr Arbeitslosigkeit möglich)
* Im Ausland gezahlte Beiträge können in die Türkei transferiert und in Türkische Lira nach dem derzeitigen Kurs ausgezahlt werden
* Ehegattinnen können von der Rente profitieren, sofern sie ihre ausländischen Beiträge an die SSK, Bag-kur oder Emekli Sandigi überwiesen haben
Voraussetzungen:
* Anmelden bei der Sozialversicherung SGK
* Hausfrauen müssen sich bei Bag-kur anmelden
* Antrag an die Sozialversicherung, an welche sie ihre Beiträge gezahlt haben, innerhalb von zwei Jahren nach der Rückkehr
Personen älter als 65 Jahre, Behinderte über 18 und Personen, mit Vormundschaft über Behinderte unter 18, erhalten eine monatliche Zahlung. Unmittelbare Familienangehörige des Versicherten, der verstorben ist oder mindestens zehn Jahre gearbeitet hat, haben Zugang zu Witwen- bzw. Waisenhilfe. Hat der Verstorbene mindestens fünf Jahre gedient, erhalten seine Kinder unter 18, sowie Kinder in der Sekundarschule unter 20 und Kinder in höherer Bildung unter 25, Waisenhilfe (IOM 2017).
21. Medizinische Versorgung
Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, aufgrund der staatlichen sanitären Zustände in den Spitälern und der Hygienestandards, die nicht dem westlichen Standard entsprechen. Dies gilt v.a. in staatlichen Spitälern in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2017). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2016 1.510 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 217.771 Betten, davon ca. 58% in staatlicher Hand (AA 3.8.2018). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist, und dies von der Welt Bank als eine der größten Erfolgsgeschichten bezeichnet wird. Allerdings warnt die Welt Bank vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen (aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient) (ÖB 10.2017).
Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 3.8.2018).
Auch durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Saglik Ocagi) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 3.8.2018).
Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es nach wie vor üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden (AA 3.8.2018). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2017).
Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Sobald man bei der SGK versichert ist, erhält man folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig (zwischen 65,88 TRY und 395,28 TRY) (IOM 2017). Die SGK refundiert auch die Kosten in privaten Hospitälern, sofern mit diesen ein Vertrag besteht. Die Kosten in privaten Krankenhäusern unterliegen, je nach Qualitätsstandards, gewissen, von der SGK vorgegebenen Grenzen. Die Kosten dürfen maximal 90% über denen von der SGK verrechneten liegen. Notfalldienste, Intensivmedizin, Verbrennungen, Krebstherapie, Neugeborenenversorgung, alle Transplantationen, Operationen bei angeborenen Anomalien, Hämodialyse und kardiovaskuläre Chirurgie sind von diesen zusätzlichen Zahlungen im privaten Sektor ausgenommen. Für die stationäre Versorgung kann das Privatkrankenhaus dem Patienten einen Zuschlag für Unterbringungsleistungen in Rechnung stellen (IBZ 10.7.2015).
Die meisten Rückkehrer, die über keine Krankenversicherung verfügen und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und bereits mindestens ein Jahr in der Türkei leben, müssen monatlich in den Fond einzahlen. Dazu müssen sie im System registriert sein und mindestens 180 Tage Beitragszahlungen leisten. Rückkehrer werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Kinder gelten automatisch als versichert, sobald die Eltern bei der SGK registriert sind (IOM 2017).
Der Mindestbetrag für die Grundversorgung - sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht - beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 15 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2017).
Die Einrichtungen sind auf Personen mit besonderen Bedürfnissen abgestimmt (Familien, Kinder, Senioren und erkrankte Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen) sowie auf ökonomisch benachteiligte Menschen. Der Patient kann sich direkt an eine Apotheke (ECZANE) wenden, ohne vorher einen Anmeldevorgang durchlaufen zu müssen. Apotheken sind überall verfügbar. Für einige Medikamente benötigt man ein grünes bzw. ein rotes Rezept. Andere Medikamente können ohne Rezept gekauft werden (IOM 2017).
Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2016 zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern (AA 3.8.2018). Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), XXXX , Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2) (AA 3.8.2018).
Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben (AA 3.8.2018).
Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Landesteilen staatliche mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Etwa 15% der Bevölkerung profitiert von diesen Angeboten (AA 3.8.2018).
Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 3.8.2018).
22. Behandlung nach Rückkehr
Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen (AA 3.8.2018). Personen die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida) (ÖB 10.2017). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als von der als terroristisch eingestuften PKK geschaffene Organisationen, welche mit der PKK hinsichtlich der Führungskader, der Organisationsstrukturen sowie der Strategie und Taktik verbunden sind (MFA o.D.).
Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung sind, als Terroristen gesehen. Auf die sog. Mitglieder der "FETÖ" (Fetullah-Gülenistische Terrororganisation), die im Ausland leben, werden von der Türkei Einreiseverbote verhängt. Hierbei handelt es sich meistens um nicht-türkische Staatsbürger mit türkischem Ursprung (ÖB 10.2017). Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. "Gülen-Netzwerkes" gebeten. Es ist wahrscheinlich, dass türkische Stellen Regierungsgegner und Gülen-Anhänger im Ausland ausspähen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 3.8.2018).
Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, indem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 3.8.2018).
Rückkehrprobleme im Falle einer Asylantragstellung im Ausland sind keine bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraph 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2017).
Türkischen Staatsangehörigen im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden ihre Pässe für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, aber auch Kurden und Journalisten (UKHO 2.2018).
Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:
Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çigdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com
Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/
TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2017).
Zur Lage der Aleviten in der Türkei werden zusätzlich folgende Feststellungen getroffen:
Alevitentum wird vom türkischen Staat eher als eine unorthodoxe muslimische Sekte angesehen als eine eigene Religion und wird nicht offiziell anerkannt. Aleviten dürfen nichtsdestoweniger ihrer religiösen Betätigung ungehindert nachgehen. Die religiösen Stätten sind in der Vergangenheit nicht offiziell anerkannt worden, aber die türkische Regierung hat erkennen lassen, dass diese einen Rechtsstatus erhalten und das ist in Teilen des Landes auch umgesetzt worden. Aleviten erfahren Berichten nach zufolge auch Diskriminierungen im Bereich der Bildung. Im Allgemeinen aber gipfelt diese Behandlung seitens des Staates nicht in Verfolgung oder schwerwiegenden Schäden.
Es gibt eine kleine Anzahl von Berichten über das Auftreten von Hasspredigten, soziale Diskriminierung und Gewalt gegen Aleviten, im Allgemeinen aber gibt es eine friedliche Koexistenz der Aleviten mit anderen Gruppen.
In unmittelbarer Folge des gescheiterten Putschversuches im Juli 2016 gab es Hinweise auf Bedrohungen, soziale Unruhen und Proteste in alevitischen Bezirken auf die die Polizei Berichten zufolge effektiven Schutz gewährte. Die Behörden haben den Aleviten auf ähnliche Weise effektiven Schutz gewährt gegen Bedrohungen von nicht staatlichen bewaffneten Gruppierungen, wie etwa Daesh (IS).
Wo es Furcht vor Verfolgung oder schwerwiegenden Schäden von nicht staatlichen Akteuren - oder Akteuren von verbrecherischen Systemen - gibt, ist der Staat im Allgemeinen gewillt und fähig effektiven Schutz zu gewähren.
Im Allgemeinen gibt es interne Migrationsmöglichkeiten, um sozialen Diskriminierungen bzw. Misshandlungen zu entkommen, ein interner Umzug wird aber nicht zumutbar sein, wenn die Benachteiligung der staatlichen Seite zurechenbar ist.
Wo eine Klage zurückgewiesen bzw. abgewiesen wird, ist anzunehmen, dass diese unbegründet ist.
Quelle:
"Policy Summary" des Home Office des Vereinigten Königreiches (August 2017): "Country Policy an Information Note: Alevis", Version 2.0; Bericht im Original und zur Gänze abrufbar unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/635585/Turkey_-_Alevis_-_CPIN_-_v2.0__August_2017_.pdf
2. Beweiswürdigung
II.2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakten unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF1 und der BF2 sowie des Inhaltes der gegen die angefochtenen Bescheide erhobenen Beschwerden, das Vorbringens in den Stellungnahmen vom 14.6.2019, 9.7.2019 und 30.7.2019 einschließlich der im Verfahren vorgelegten Identitätsdokumente und Urkunden; durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der BF (länderkundliche Informationen zur Lage in der Türkei vom 18.10.2018 [Stand 14.3.2018], Berichte des British Home Office zur Türkei betreffend Aleviten: "Country Policy and Information Note, Turkey: Alevis" [Stand August 2017]), welche den BF zu Gehör gebracht wurden, sowie durch Einsichtnahme in ihre diesbezüglichen Stellungnahmen.
II.2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verfahrensakte der belangten Behörde, die ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.
II.2.3. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.4. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der BF ergeben sich aus ihren in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen vor der bB und den seitens der BF vorgelegten Bescheinigungsmitteln in Form nationaler Identitätsdokumente.
Die Feststellungen zu den Lebensumständen und dem verwandtschaftlichen Netzwerk in der Türkei gründen auf den Aussagen der BF vor der bB.
Dass BF1 und BF2 sowohl Kurdisch als auch Türkisch sprechen, ist ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben vor der bB zu entnehmen. Da BF3 und BF4 im schulpflichtigen Alter, mit etwa zwölf bzw. dreizehneinhalb Jahren, aus der Türkei ausreisten, ist ebenfalls davon auszugehen, dass sie Türkisch sprechen, da dies die Unterrichtssprache in der Türkei ist. Dass BF3 und BF4 den kurdischen Dialekt ihrer Eltern sprechen war deshalb festzustellen, zumal BF1 angab, schlecht Türkisch zu sprechen, er nur über grundlegende Deutschkenntnisse verfügt und daraus gefolgert werden kann, dass im Familienverband zumindest teilweise im Herkunftsdialekt gesprochen wird. Zudem kann auch angenommen werden, dass die minderjährigen BF im Herkunftsland über einen Freundeskreis verfügten, in welchem auch im kurdischen Dialekt kommuniziert wurde.
Die Feststellungen zur Ausreise aus der Türkei, der Einreise in Österreich, den hier vorherrschenden Lebensumständen und den in Österreich ansässigen Verwandten ergeben sich aus den vor der bB sowie im Rechtsmittelverfahren getätigten Äußerungen.
Die Feststellungen zur Integration basieren auf dem diesbezüglichen Vorbringen der BF vor der bB und der Stellungahme vom 9.7.2019 sowie den im Verfahren vorgelegten Unterlagen, beispielsweise ein Empfehlungsschreiben einer Familie XXXX .
Dass die BF an der selben Adresse wie ihr Schwager wohnen, hat eine Einsicht in das Zentrale Melderegister ergeben. Dass die BF von ihren Bekannten im Bundesgebiet finanziell unterstützt werden, war ihrer Stellungnahme vom 9.7.2019 zu entnehmen. Dass die BF dem Staat finanziell nicht zur Last fielen, wie in dieser Stellungnahme mitgeteilt, kann jedoch nicht gänzlich nachvollzogen werden, als die BF seit 25.7.2017 - nach einem "Privatverzug" im Inland - von der Grundversorgungsstelle in XXXX betreut werden, wie eine Einsicht in einen Speicherauszug des Betreuungsinformationssystems über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) ergab.
II.2.5 Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche das Bundesverwaltungsgericht zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat heranzieht, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen - sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges - handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.
Den BF wurden diese Quellen auch zu Gehör gebracht und traten sie diesen und deren Kernaussagen auch nicht konkret und substantiiert entgegen. Auf die von den BF ergänzend dazu vorgelegten Berichte wird im Rahmen der Beweiswürdigung später noch eingegangen werden.
Sofern die Feststellungen Kurzinformationen aus Juni 2019 enthalten, die den BF nicht zu Gehör gebracht wurden, erfolgte die Aufnahme lediglich der Vollständigkeit halber. Eine direkte Betroffenheit der BF von diesen Geschehnissen ist nicht erkennbar.
II.2.6. In Bezug auf den weiteren festgestellten Sachverhalt ist anzuführen, dass die von der belangten Behörde vorgenommene freie Beweiswürdigung (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305) im hier dargestellten Rahmen im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze im Wesentlichen von ihrem objektiven Aussagekern her in sich schlüssig und stimmig ist. Durch die ergänzenden Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichtes wird das von den BF im Verfahren vor der bB vermittelte Bild über ihre Ausreisegründe und Rückkehrbefürchtungen, ihre familiären und privaten Interessen im Bundesgebiet sowie ihre Integration bestätigt bzw. verstärkt, weshalb sich das Gericht den Ausführungen der bB anschließt. Die nachfolgenden diesbezüglichen Erwägungen des Gerichts stellen lediglich Konkretisierungen und Abrundungen hierzu dar. Auf die behauptete Gefährdung der BF durch ihre exilpolitischen Tätigkeiten wird im Rahmen der Beweiswürdigung unter II.2.7.2. noch einzugehen sein.
II.2.7. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und den geäußerten Rückkehrbefürchtungen:
BF1 erachtet sich ausweislich seines Vorbringens vor der bB wegen seiner politischen Überzeugung und seiner Mitgliedschaft zur Partei "HDP" verfolgt. Die BF bringen auch vor, dass ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe und ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung mit ihrem politischen Engagement Verfolgung drohe. Die BF erachten sich im Rückkehrfall ferner der Gefahr einer Inhaftierung wegen ihrer Ausreise aus der Türkei ausgesetzt. Im Rechtsmittelverfahren wurde zudem vorgebracht, dass BF1 und BF2 aufgrund ihres exilpolitischen Engagements in Österreich Verfolgung seitens der türkischen Regierung drohe.
II.2.7.1. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, Zl. 92/03/0011; 1.10.1997, Zl. 96/09/0007).
Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).
Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es den BF nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft und in sich schlüssig darzulegen; im Einzelnen:
II.2.7.2. Zum Vorbringen in Bezug auf die Ausreise und die darauf bezogenen Rückkehrbefürchtungen:
Zum Vorbringen des BF1 und der BF2:
Die bB hat dem Vorbringen der BF in Bezug auf eine Verfolgung wegen des politischen Engagements die Glaubhaftigkeit abgesprochen, zumal BF die behauptete Mitgliedschaft nicht belegen konnte und führt weiter aus, dass auch im Falle der Wahrunterstellung nichts für den BF zu gewinnen sei, da eine pauschale Verfolgung aller HDP Mitglieder bzw. - Sympathisanten sich nicht mit dem Amtswissen über die Vorkommnisse in der Türkei decke. Dem ist nicht entgegenzutreten. BF1 wurde im Beschwerdeverfahren die Gelegenheit eingeräumt, Belege für sein Vorbringen in Bezug auf seine politische Betätigung, etwa durch die Kontaktaufnahme mit der genannten Partei (diese betreibt auch eine Seite im Internet), zu beschaffen.
Mit Schreiben vom 30.7.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Ablichtung eines Antrages auf Mitgliedschaft bei der HDP, datiert mit 15.7.2014, ein. Dazu ist zunächst anzumerken, dass es sich bei dem vorgelegten Dokument offenbar um eine Fotographie handelt, die in elektronischer Form übermittelt wurde. Die Echtheit des Dokumentes, insbesondere des darauf applizierten Stempels der Partei ist damit nicht überprüfbar. Die Vorlage des Originals wurde weder angekündigt, noch ist diese bis dato erfolgt.
In diesem Zusammenhang ist auch die Aussage der BF2 vor der bB zu beachten, als diese einerseits angab, ihr Mann habe die HDP unterstützt, andererseits aber ausführte: " ... Mein Mann wollte immer Mitglied bei der Partei sein, er wurde es aber nie, weil wenn man legal Parteimitglied ist, kommt man sowieso sofort drauf. ..."
Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen lässt sich letztlich nicht mit Sicherheit feststellen, ob BF1 tatsächlich Parteimitglied wurde. Ob bzw. welche Aktivitäten BF1 für oder im Namen der Partei ausübte, lässt sich weder dem Schreiben entnehmen noch erstattet BF1 diesbezüglich ein Vorbringen. Wie die bB richtigerweise argumentiert, ist allein aufgrund einer Mitgliedschaft zur besagten Partei aber auch noch nicht von der Gefahr einer Verfolgung auszugehen.
Der bB ist auch beizutreten, wenn sie ausführt, dass ein ernsthaftes Interesse der türkischen Behörden an der Person des BF1 auch deshalb nicht anzunehmen ist, da sich dessen politisches Engagement seinen eigenen Angaben zufolge als äußerst bescheiden darstellten; eine exponierte Stellung innerhalb der türkischen bzw. kurdischen Gesellschaft könne ihm aufgrund seiner Schilderungen jedenfalls nicht zugeschrieben werden.
In diesem Zusammenhang ist vor allem auf folgende Aussage des BF1 zur Frage der bB, ob er als Aktivist für die Rechte der Kurden bekannt gewesen sei, hinzuweisen: "Ich war nicht Aktivist, ich hätte es sein wollen, aber das lässt man bei uns nicht zu. Kaum will man etwas für die Kurden machen, wird man gestoppt."
In Bezug auf seinen politischen Werdegang tätigte BF1 folgende Angaben: "Ich habe eine, wie man sagt, herzliche Verbindung zur kurdischen Partei, weil ich selbst auch Kurde bin und wir hatten eine kurdische Partei, die die Kurden vertritt. Deshalb unterstütze ich diese Partei. Und so viel von meiner Politisierung."
Aufgrund der Angaben des BF1 im Verfahren kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass BF1 eine politische Tätigkeit für die besagte Partei oder auch außerhalb der Partei ausübte, die ihm ein besonderes politisches Profil verleihen würde. Überdies wäre diesfalls auch davon auszugehen, dass in der Türkei noch Personen leben, die eine persönliche Erinnerung an BF1 haben (BF1 ist ausweislich seiner Angaben im Jahr 2017 dort ausgereist) und über seine Aktivitäten zumindest schriftlich Auskunft gegeben hätten, selbst wenn man BF1 glauben möchte, dass das Hauptgebäude der Partei im Jahr 2015 samt seinen Archiven vernichtet wurde.
Ferner hielt es BF1 für notwendig, sein Vorbringen zu steigern, als etwa in der Beschwerdeschrift ausgeführt wird, dass ihm von der türkischen Regierung eine von ihnen abweichende politische Gesinnung unterstellt werde, weshalb er inhaftiert worden sei. Dies steht jedoch in krassem Widerspruch zu den bisherigen Angaben, die BF1 vor der bB tätigte, als er dort lediglich von kurzen Anhaltungen sprach: So gab er an, er sei bei Demonstrationen beobachtet worden, man habe ihm den Ausweis weggenommen und "kurz einvernommen" und sei er, nachdem sie etwas Negatives gefunden hätten (gemeint war wohl: nachdem nichts Negatives gefunden worden sei) wieder freigelassen worden; er sei zwei Mal einvernommen worden, wobei die Einvernahmen jeweils circa fünfzehn Minuten gedauert hätten (AS 44f).
Insofern ist auf die obige Judikatur zu verweisen, wonach ein Vorbringen eines Asylwerbers insbesondere dann glaubhaft ist, wenn es konkrete, detaillierte Schilderungen der behaupteten Geschehnisse enthält und frei von Widersprüchen ist. Umgekehrt jedoch indizieren unwahre Angaben in zentralen Punkten oder das Verschweigen wesentlicher Sachverhaltsumstände die Unglaubwürdigkeit, ebenso gesteigertes Vorbringen, das heißt das Vorbringen gravierender Eingriffe nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit berichtet wird, sondern - inhaltlich vom Erstvorbringen abweichend - erst in einem (späteren) Verfahrensstadium, in welchem sich die asylrechtliche Irrelevanz des Erstvorbringens bereits gezeigt hat.
Eine weitere Steigerung ist in dem Vorbringen zu sehen, welchem zufolge die Wohnung der BF regelmäßig durchsucht worden sei und nach der Flucht des BF1 Sicherheitskräfte in das Haus der Familie gekommen wären, dabei explizit nach BF1 gefragt und BF2 misshandelt hätten. Von Hausdurchsuchungen hat BF2 erst anlässlich ihrer Einvernahme vor der bB gesprochen - bei ihrer Ersteinvernahme durch die Landespolizeidirektion hatte BF1 lediglich davon gesprochen, dass sie keine Perspektiven in der Türkei habe und ihr Onkel und ihre Schwester wegen der türkischen Polizei verstorben wären. BF1 hat von den von BF2 erwähnten Hausdurchsuchungen nichts berichtet. Sofern in der der Beschwerdeschrift von einer "Misshandlung" der BF anlässlich der Hausdurchsuchungen gesprochen wird, ist darauf hinzuweisen, dass sie vor der bB Folgendes angegeben hat: "Sie haben mich auf die Seite geschubst, ich bin runtergefallen, meine Kinder haben das gesehen und Angst bekommen, (AS 33)".
Aufgrund der Widersprüchlichkeit der Aussagen und den darin enthaltenen Steigerungen können diese als nicht glaubhaft erachtet werden.
Im Übrigen hat BF1 weder anlässlich seiner Ersteinvernahme durch die Landespolizeidirektion noch vor der bB von einem konkreten fluchtauslösenden Ereignis berichtet und erscheint es aus der Logik der von BF1 dargebotenen Geschichte auch nicht nachvollziehbar, dass die Behörde nach seiner Ausreise plötzlich Hausdurchsuchungen vorgenommen und nach ihm gesucht hätte.
Zudem weist auch der Umstand, dass BF1 alleine ausreiste und die übrigen Familienmitglieder etwa einen Monat danach ausreisten darauf hin, dass BF1 sein Land nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verließ. Hätte BF1 sein Land tatsächlich aus Furcht vor Verfolgung verlassen, so wäre doch anzunehmen gewesen, dass er seine Familie mitgenommen hätte und sie nicht in einer den BF feindlich gesinnten Gesellschaft, wie dies vor der bB geschildert wurde, zurückgelassen hätte. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen erweist es sich als die insgesamt plausiblere Annahme, dass BF1 lediglich zu dem Zweck vor seiner Familie ausreiste, um deren Ankunft im Zielland vorzubereiten.
Sofern BF1 angibt, er sei als Kurde immer wieder beschimpft und erniedrigt worden und die Polizei habe ihm gegenüber die Aussage getätigt: "Warum seid ihr nicht in XXXX geblieben, sondern in unsere Stadt gekommen, wir werden Euch vernichten.", sodass er nun Angst vor Polizisten habe, ist der bB beizupflichten, dass aus diesem Vorbringen die für einen asylrelevanten Übergriff erforderliche Intensität nicht ableitbar ist. Zwar ist es nachvollziehbar, dass Erniedrigungen und Diskriminierungen durch Mitbürger und Behörden ein subjektives Unwohlsein oder auch Angst erzeugen können, jedoch handelte es sich bei den vom BF geschilderten Verbalinjurien offenkundig um Unmutsäußerungen gegen die Kurden im Allgemeinen, die objektiv nicht geeignet erscheinen, Furcht vor Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes auszulösen.
Sowohl BF1 als auch BF2 schilderten zudem mehrere Begebenheiten aus der Vergangenheit, anlässlich welcher sie von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften sowie türkischen Mitbürgern schikaniert bzw. erschreckt worden seien und bringen sie auch vor, dass die Familie arm gewesen sei und Hunger habe leiden müssen - die BF seien in ihrer Schulzeit ausgegrenzt worden, die Schwester der BF2 im Jahr 2007 aus Schreck bei einer Kontrolle durch die türkischen Behörden gestorben, auch der Onkel sei verstorben und die Eltern seien vor ihren Augen geschlagen worden; von ähnlichen Geschehnissen wusste auch BF1 zu berichten, als er beispielsweise bei einem verspäteten Einrücken zum Militär schikaniert worden oder im Straßenverkehr wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe beschimpft und mit einer Waffe auf ihn gezielt worden sei.
Wiewohl es verständlich ist, dass derartige Erlebnisse in einem Menschen nachwirken, so mangelt es diesen doch - wie rechtlich noch näher auszuführen sein wird - an der im Sinne der Judikatur notwendigen Aktualität und/oder Intensität.
In Bezug auf die Befürchtungen der BF, im Falle einer Rückkehr wegen ihres politischen Engagements in Österreich einer Gefährdung ausgesetzt zu sein, ist Folgendes auszuführen:
Die BF brachten mit Schreiben vom 31.10.2017 vor, dem " XXXX " anzugehören und an Demonstrationen für politische Gefangene sowie die Freiheit des kurdischen Freiheitskämpfers Abdullah Öcalan in Österreich teilzunehmen. Diesem Schreiben wurden Fotos von BF2 vor einem Getränkestand, in dessen Hintergrund beispielsweise ein Bild von Abdullah ÖCALAN ersichtlich ist, und Fotos von BF1, auf welchen er bei einer Demonstration mit einer "Freedom for Öcalan" - Flagge zu sehen ist, beigelegt und dazu ausgeführt, dass diese Demonstration am 7.10.2017 in Wien stattgefunden habe. Ferner wurde ein "Antrag auf Mitgliedschaft /Beitrittserklärung" für " XXXX " vom 29.9.2017 vorgelegt.
Im gegenständlichen Fall wurde zwar über das Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens hinausgehend im Rechtsmittelverfahren behauptet, dass eine Verfolgung aufgrund der exilpolitischen Tätigkeit der BF1 und BF2 vorliege, jedoch haben die BF dies im Rechtsmittelverfahren nicht substantiiert und haben sie auch sonst an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt: So wurden die BF zunächst mit einem Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.5.2019 aufgefordert, Angaben zu ihrer exilpolitischen Tätigkeit zu machen, insbesondere anzugeben, seit wann dieses besteht. Ferner wurden sie aufgefordert, nähere Angaben zu dem Verein, zu welchem ein Antrag auf Mitgliedschaft gestellt wurde und die darin ausgeübte Tätigkeit bzw. Funktion zu machen sowie eine Erklärung darüber abzugeben, weshalb sich die BF aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeiten der Gefahr einer Verfolgung durch die türkische Regierung ausgesetzt sehen, wie in ihrer Eingabe vom 31.10.2017 behauptet.
Zu ihrer exilpolitischen Tätigkeit tätigen die BF selbst keinerlei Angaben (in ihrer Stellungnahme vom 14.6.2019 verwiesen sie - unter Anführung verschiedener Berichte zur HDP und der allgemeinen politischen Situation in der Türkei - lediglich auf die Mitgliedschaft des BF1 bei der HDP in der Türkei und die dortige Teilnahme an Demonstrationen), vorgelegt wurde allerdings ein Schreiben des XXXX vom 12.6.2019, wonach BF1 seit etwa zwei Jahren bei den Vereinen der Dachorganisation aktiv sei und er bei vielen Vereinsaktivitäten ein aktiver Teilnehmer sei. Näheres ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen.
Deutet man die Bestätigung vom 14.6.2019, wonach BF2 seit etwa zwei Jahren an Vereinsaktivitäten teilnehme, so, dass die politische Tätigkeit bereits vor Abschluss des Verfahrens der bB - die Zustellverfügung wurde am 25.7.2019 unterzeichnet - begonnen hat, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb die BF diesen Umstand nicht der bB vor Abschluss ihres Verfahrens hätten mitteilen können. Will man den BF zugestehen, dass die exilpolitische Tätigkeit der BF erstmals mit der Teilnahme an einer Demonstration im Oktober 2017, also erst im Rechtsmittelverfahren, begann und damit nicht vom Neuerungsverbot im Sinne des § 20 BFA-VG umfasst wäre, so wirft dies die Frage auf, weshalb die BF gerade zu dieser Zeit politisch aktiv wurden, als die bB ihre Anträge auf internationalen Schutz kurz zuvor wegen mangelnder Asylrelevanz abgewiesen hat (die belegte Teilnahme an einer Demonstration erfolgte am 7.10.2017, der Bescheid der bB wurde am 31.7.2017 hinterlegt) und erweckten die BF damit sehr stark den Eindruck, dass die Mitgliedschaft in einem Kurdischen Verein und die Teilnahme an einer Demonstration in Wien lediglich aus verfahrenstaktischen Gründen eingegangen wurde bzw. erfolgte.
Ferner sei auch auf folgende Darstellung der Vereinsaktivitäten in der vorgelegten Bestätigung des XXXX hingewiesen: dieser zufolge sei die Tätigkeit des Verbandes unter anderem die breite Präsentation kurdischen Kulturschaffens in Malerei, Theater, Musik, Literatur, Tanz und Film gemeinsam mit dem österreichischen Kulturleben. Der Verband veranstalte im weiteren Seminare und Diskussionsreihen mit internationalen Expertinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Politikerinnen, die zur soziokulturellen Entwicklung und zu neuen Perspektiven der in Österreich lebenden Kurdinnen beitragen würden. XXXX fördere die Zusammenarbeit von Österreicherinnen und Kurdinnen in den Bereichen Kultur, Integration, Gesellschaftspolitik, Arbeitsmarkt, Frauen, Wissenschaft, Menschenrechte, Globalisierung und internationale Kooperationen.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.6.2019 wurden die BF damit konfrontiert, dass mit der Bestätigung des XXXX die behauptete Gefahr einer Verfolgung nicht belegt werden kann. Den BF wurde Gelegenheit gegeben, dazu Stellung zu nehmen und wurde ihnen neuerlich die Möglichkeit eingeräumt, Bescheinigungsmittel für ihr Vorbringen beizubringen.
Mit Stellungnahme vom 9.7.2019 wurde in Bezug auf das Fluchtvorbringen und die Rückkehrbefürchtungen der BF lediglich dargelegt, dass BF1 Kontakt zur HDP aufgenommen habe. In Bezug auf die exilpolitische Betätigung der BF wurde kein Vorbringen erstattet.
Aufgrund der äußerst vagen Angaben der BF über ihre Antragstellung bzw. Beitrittserklärung für " XXXX " aus dem Jahr 2017 in Zusammenschau mit der Tatsache, dass sich der XXXX in seinem Bestätigungsschreiben als Kultur und Bildungsverein präsentiert und daraus auch nicht hervorgeht, dass BF1 in einem der Vereine der Dachorganisation eine Funktion mit maßgeblichem Einfluss oder sonst eine Aufgabe innehätte, die ihm ein herausragendes politisches Profil verleihen würden, sowie aufgrund des Umstandes, dass die BF ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung in Bezug auf ihre exilpolitische Tätigkeit nicht nachkamen, war insgesamt zu erkennen, dass ein nennenswertes politisches Engagement und damit einhergehend ein besonderes Profil der BF aufgrund ihrer Aktivitäten in Österreich nicht vorliegt.
Hinsichtlich des bloßen Umstands einer Mitgliedschaft in einem kurdischen Verein oder der Teilnahme an Demonstrationen ist auch anzumerken, dass sich aus den herangezogenen Länderberichten und aktuellen Medienberichten keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte ableiten lassen, nach welchen gegenwärtig jede Person kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, die sich in einem kurdischen Verein engagiert, einer maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen würde. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an dem von den BF genannten Verein oder der Dachorganisation haben sollten, kamen im Verfahren nicht hervor. Ebenso lässt sich der Quellenlage nicht entnehmen, dass jede Person kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit Verfolgung bzw. Inhaftierung in der Türkei wegen der Teilnahme an Demonstrationen zu erwarten hätte. Auch ist aufgrund des Profiles der BF nicht ersichtlich, weshalb gerade an ihnen ein nachhaltiges Interesse der türkischen Behörden bestehen sollte. In diesem Zusammenhang ist neuerlich darauf zu verweisen, dass die BF auch keinen Sachverhalt bescheinigen konnten, aufgrund dessen von einem nennenswerten politischen Engagement in der Türkei auszugehen wäre.
Insgesamt ist es den BF daher nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie aufgrund ihrer nunmehrigen Mitgliedschaft bzw. ihres Engagements bei dem genannten Verein oder der Teilnahme an Demonstrationen bzw. einer ihnen deshalb unterstellten (oppositionellen) politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung oder Inhaftierung in der Türkei entgegensehen müssten.
Sofern die BF befürchten, im Falle ihrer Rückkehr wegen ihrer Ausreise eingesperrt zu werden, ist unter Hinweis auf die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Berichte anzumerken, dass sich daraus nicht ableiten lässt, dass Rückkehrer aus dem Ausland allgemein einer asylrelevanten Behandlung durch Sicherheitskräfte nach der Wiedereinreise unterzogen würden, sonstigen besonderen Repressalien unterliegen würden und allein aufgrund ihrer Ausreise eine Inhaftierung zu erwarten hätten. Den Länderfeststellungen sind die BF auch nicht substantiiert entgegengetreten.
Zum Vorbringen des BF3 und BF4:
BF1 und BF2 gaben vor der bB an, dass ihre Kinder keine eigenen Asylgründe haben, wiewohl sie auch diskriminiert worden seien, als sie etwa in der Schule ihre Sprache nicht hätten sprechen dürfen.
Wie soeben ausgeführt, erachtet das Bundesverwaltungsgericht das gesamte Vorbringen des BF1 und der BF2 in Bezug auf ihre Ausreise als nicht glaubhaft beziehungsweise - was im Zuge der rechtlichen Beurteilung nachfolgend dargelegt wird - als nicht asylrelevant, weshalb auch für BF3 und BF4 aus diesem Vorbringen nichts zu gewinnen war.
Das Bundesverwaltungsgericht kann aus diesen Erwägungen daher keine individuelle Gefährdung der minderjährigen Kinder erkennen.
Auf ihr Vorbringen bezüglich der Benachteiligung wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe wird im Folgenden eingegangen.
II.7.3. Aus Nachteilen wegen der Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie der alevitischen Religionsgemeinschaft ist angesichts der fehlenden Eingriffsintensität derselben kein als Verfolgung zu qualifizierendes Szenario zu gewinnen. Diesbezüglich ist grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (VwGH 07.10.1995, Zl. 95/20/0080; 23.05.1995, Zl. 94/20/0808), sind hinzunehmen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die schwierige allgemeine Lage einer ethnischen Minderheit oder der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft im Heimatland eines Asylwerbers für sich allein nicht geeignet, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten drohenden Verfolgungshandlung darzutun (VwGH 31.01.2002, Zl. 2000/20/0358). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Erkenntnis vom 23.06.1998, Zl. 96/20/0144, ausgesprochen, dass die bloße Zugehörigkeit türkischer Staatsangehöriger zur Volksgruppe der Kurden und das alevitische Religionsbekenntnis samt der damit einhergehenden Diskriminierung keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung bilden.
Hinsichtlich des Umstands der kurdischen Abstammung der BF ist weiter auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichten die Situation für Kurden und Aleviten nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig sämtliche Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer eine maßgeblichen Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden.
Hinsichtlich des Umstands der Zugehörigkeit der BF zur alevitischen Glaubensgemeinschaft ist ebenfalls auf die herangezogenen Länderberichte zu verweisen, in welchen keine von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass gegenwärtig Personen alevitischer Glaubenszugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden.
Die getroffenen Feststellungen unter Punkt II.1.5. zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen (aktuelles Länderinformationsblatt zur Türkei sowie Berichte des British Home Office zu Aleviten, wie unter II.2.1. zitiert), welche den BF zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Auch kann aufgrund der großen Anzahl von Kurden und Aleviten in der Türkei eine pauschale Verfolgung sämtlicher Kurden und Aleviten in der Türkei durch die Behörden nicht angenommen werden. In gegenständlichem Fall ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass Verwandte der BF nach wie vor in der Türkei und dort in XXXX oder an verschiedenen anderen Orten leben, weshalb das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen kann, weshalb den BF allein aufgrund ihrer kurdischen Abstammung und ihrer alevitischen Religionszugehörigkeit ein weiterer Aufenthalt in ihrem Herkunftsstaat unzumutbar sein soll.
Das Bundesverwaltungsgericht tritt der Ansicht der bB bei, wonach exponierte Vertreter pro-kurdischer Parteien oftmals - meist unter Unterstellung, der PKK anzugehören oder diese zu unterstützen - mit Repressionen seitens des türkischen Staates konfrontiert seien. Eine derart exponierte Stellung kann den BF aus den unter II.2.7.2. dargelegten Gründen jedoch nicht zugeschrieben werden.
Wie die bB, so verkennt auch das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass Aleviten den Berichten nach zufolge Diskriminierungen, etwa bei ihrer Religionsausübung oder auch im Bereich der Bildung, erfahren. Im Allgemeinen aber gipfelt diese Behandlung, wie etwa dem Bericht des British Home Office über Aleviten (siehe II.1.5.) zu entnehmen ist, nicht in Verfolgung oder schwerwiegende Schäden.
Sofern die BF unter Vorlage eines Artikels auf www.vienna.at veröffentlichten Artikels vom 7.2.2018 und einer Presseaussendung - aus dem Artikel geht hervor, dass ein Aleviten-Vertreter aus Wien nicht in die Türkei einreisen habe dürfen; einem in diesem Artikel zitierten österreichischen Parlamentarier zufolge sei dieser Vertrter verhaftet worden und auch in der vorgelegten Presseaussendung eines Parlamentsclubs wird von einer Verhaftung gesprochen - darauf hinweisen, dass ihnen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung mit ihrem politischen Engagement für die HDP Verfolgung droht, so ist, zunächst anzumerken, dass sich die türkischen Behörden dem Artikel zufolge nicht über den Grund für das Einreiseverbot geäußert haben und lässt sich auch nicht nachvollziehen, aus welchem Grund von verschiedenen Politikern bzw. einem Parlamentsclub von einer Verhaftung der betroffenen Person gesprochen wird. Wiewohl über das in dem Artikel berichtete Einreiseverbot bzw. einer Verhaftung offenbar lediglich Mutmaßungen angestellt wurden, so ist den darin enthaltenen Aussagen auch zu entnehmen, dass dem betroffenen Vertreter der Aleviten ein außergewöhnliches politisches Engagement und damit einhergehend ein herausragendes Profil zugeschrieben werden kann (der Aussage eines österreichischen Parlamentariers sei die "Verhaftung" deshalb erfolgt, da der Betroffene eine Woche vor dem Geschehnis in Straßburg bei einer Veranstaltung gegen den türkischen Kriegseinsatz vor dem Europäischen Parlament gesprochen habe), was auf die BF gerade nicht zutrifft.
In diesem Zusammenhang sei noch einmal angemerkt, dass das Bundesverwaltungsgericht die Einschätzung der bB teilt, wonach es sich bei BF1 - abgesehen von der Frage, ob er nun Mitglieder der türkischen HDP war oder nicht - um einen Kurden bzw. Aleviten handle, dessen politisches Engagement den eigenen Angaben nach als äußerst bescheiden zu qualifizieren sind und ihm eine exponierte Stellung innerhalb der türkischen bzw. kurdischen Gesellschaft daher nicht zugeschrieben werden kann. Auch konnten die BF im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens nicht darstellen, inwiefern sie durch ihre exilpolitische Tätigkeit, etwa der Mitgliedschaft in einem kurdischen Verein oder der Teilnahme an politischen Demonstrationen, ein besonderes Profil erworben hätten und daher einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sein sollten.
II.7.4. Zu den Ausführungen der BF im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat in ihrer Beschwerde sowie den abgegebenen Stellungnahmen ist noch Folgendes zu bemerken:
Insoweit unter auszugsweiser Zitierung verschiedener Berichte zusätzlich zu den von der Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Berichten die Situation der Aleviten in der Türkei thematisiert wird (etwa Turkey Country Report - Update vom 25.1.2017, Berichte von domradio.de vom 9.6.2017 und Telepolis vom 10.8.2016), ist darauf hinzuweisen, dass diese von den Beschwerdeführern beigebrachten Beweismittel nicht in Widerspruch zum Inhalt der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichte stehen. So geht aus diesen Berichten ebenfalls hervor, dass die umfassende rechtliche oder politische Anerkennung der Aleviten, der größten religiösen Minderheit, durch die türkische Regierung verweigert wird. In diesem Zusammenhang sei jedoch auch angemerkt, dass den vom Gericht eingesehenen Berichten jedoch auch zu entnehmen ist, dass Aleviten nichtsdestoweniger ihrer religiösen Betätigung ungehindert nachgehen dürfen. Den von den BF vorgelegten Berichten ist auch nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
Der Berichtslage ist auch zu entnehmen, dass es in unmittelbarer Folge des gescheiterten Putschversuches im Juli 2016 Hinweise auf Bedrohungen, soziale Unruhen und Proteste in alevitischen Bezirken gab und zeigte sich ferner, dass alevitisch-kurdische Vereine in Anbetracht der Ereignisse in der Türkei rund um den versuchten Militärputsch und damit zusammenhängende Reaktionen der Regierung von Schließungen betroffen waren, wobei aber die Bedrohung von Kurden und (kurdischen) Aleviten nicht von Seiten türkischer Behörden, sondern von türkischen, gewaltbereiten Nationalisten im Zuge des gescheiterten Putschversuches ausging bzw. ausgeht. Den Berichten zufolge wurden Aleviten von den Behörden jedoch effektiver Schutz gewährt.
Hinzu kommt noch die wachsende Bedrohung durch Daesh oder den sogenannten Islamischen Staat, dessen (versuchte) Anschläge sich auch gegen nicht-sunnitische Minderheiten, wie die Aleviten, richten, wobei den Berichten zufolge auch Aleviten gegen Bedrohungen von nicht staatlichen bewaffneten Gruppierungen effektiver Schutz gewährt wird.
Übereinstimmend mit den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten ergibt sich aus diesen vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigungsmitteln zudem, dass stigmatisierende Äußerungen über die Aleviten durch hohe Vertreter des Staates, Staatspräsident Erdogan eingeschlossen, laut Analysten und Aleviten-Vertretern zur Stimmungslage beigetragen haben, die zu verbalen bzw. physischen Übergriffen auf Aleviten führten. Insoweit lässt sich im Ergebnis auch aus diesen Bescheinigungsmitteln keine anders gelagerte Sachlage ableiten.
Vor dem Hintergrund dieser länderkundlichen Informationen war aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Lebensverlauf des BF1 und der BF2 vor der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu gewinnen, dass diese selbst auch angesichts eines allgemein intoleranten gesellschaftlichen Klimas und gewaltsamer Angriffe auf Personen in Einzelfällen, die etwa der alevitischen Glaubensgemeinschaft angehören, bis zur Ausreise keiner maßgeblichen Einschränkung in ihrem Alltagsleben aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit unterlagen, dies unter Außerachtlassung des behaupteten, jedoch nicht glaubhaften Bedrohungsszenarios durch die Hausdurchsuchungen und Fahndung nach BF1.
Aus den obenstehenden Erwägungen lässt sich ableiten, dass die bloße Zugehörigkeit der BF zur (kurdisch) alevitischen Glaubensgemeinschaft als solche nicht zu einer nachhaltigen individuellen Bedrohung durch Dritte oder staatliche Organe führte bzw. pro futuro nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit führt. Aus den länderkundlichen Informationen selbst ist zwar zu gewinnen, dass es in manchen Fällen zu gewaltsamen Angriffen auf Personen, die der (kurdisch) alevitischen Glaubensgemeinschaft angehören, gekommen ist, diese jedoch - bei einem Anteil von 15 bis 25 Millionen Aleviten an der türkischen Gesamtbevölkerung - zahlenmäßig relativ gering sind, wobei den länderkundlichen Informationen auch entnommen werden kann, dass es zwar zu Diskriminierungen und Assimilationsversuchen bezüglich der Aleviten kommt, von offizieller Seite aber auch Bemühungen unternommen werden, Spannungen abzubauen, insbesondere angesichts der kollektiven Bedrohung durch die Aktionen des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei. Die türkische Polizei vereitelte beispielsweise Anschläge des Islamischen Staates gegen Aleviten.
In ihrer Beschwerdeschrift und der Stellungnahme vom 1.7.2019 zitieren die BF auch Berichte über den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 sowie den daran anschließenden und bis zum Entscheidungszeitraum fortdauernden Ausnahmezustand. Insbesondere werden nochmals auf das sich seither verschärfte politische und religiöse Klima und die große Anzahl an Verdächtigen, die wegen der Teilnahme am Putschversuch und der Nähe zur Gülen-Bewegung angeklagt worden seien, hingewiesen. Die von den Beschwerdeführern zitierten Quellen zeichnen diesbezüglich ein nachvollziehbares und insgesamt stimmiges Bild. Das Bundesverwaltungsgericht verweist diesbezüglich jedoch zunächst auf die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Türkei, welche die wesentlichen Ereignisse seit dem versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 abbilden. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die BF nicht vorbringen, individuell von diesen Geschehnissen betroffen zu sein und wurde auch im bisherigen Verfahren nicht davon berichtet, dass die BF der Gülen-Bewegung angehört oder am Militärputsch direkt oder indirekt teilgenommen hätten. Die Die BF gehören auch keiner gefährdeten Berufsgruppe an. Ausweislich der vorstehenden beweiswürdigenden Erwägungen besteht demnach kein Anlass, eine Inhaftierung oder anderweitige Repressionen befürchten zu müssen.
Was die Ausführungen beziehungsweise den Verweis auf die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationen in der Stellungnahme vom 22.05.2017 bezüglich des Verfassungsreferendums vom 16.04.2017, der Massenverhaftungen und Entlassungen von Polizisten und Richtern wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung, der Einschränkungen der Aktivitäten der Medien durch den türkischen Staat, der Verletzungen des Versammlungsrechts und des Rechts auf freie Meinungsäußerung sowie der Fälle exzessiven Gebrauchs von Polizeigewalt und der Misshandlungen in Gefängnissen betrifft, so bleibt zunächst festzuhalten, dass hiermit ebenso wenig ein abweichendes Vorbringen erstattet wird. Entscheidend ist, dass diese Schilderungen keinerlei erkennbaren Bezug zum Vorbringen der BF erkennen lassen.
II.7.5. Soweit sich die BF in ihrer Beschwerde und ihren Stellungnahmen auf die Konflikte an der Grenze und im Landesinneren der Türkei, im Besonderen Terroranschläge und Kampfhandlungen, so geht auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Sicherheitslage in der Türkei als angespannt zu bezeichnen ist und die Türkei nach wie vor mit einer gewissen terroristischen Bedrohung durch Gruppierungen wie den Islamischen Staat oder der PKK konfrontiert ist. Die BF haben diesbezüglich jedoch nicht dargetan, dass sie von der prekären Sicherheitslage in einer besonderen Weise betroffen wäre. Von einer allgemeinen, das Leben eines jeden Bürgers betreffenden, Gefährdungssituation im Sinne des Art. 3 EMRK in der Türkei ist jedenfalls nicht auszugehen. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die türkischen Behörden ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat grundsätzlich fähig und auch willens sind, Schutz vor strafrechtswidrigen Übergriffen zu gewähren. Die Sicherheitslage hat sich zwar seit Juli 2015 verschlechtert, kurz nachdem die PKK verkündete, das Ende des Waffenstillstandes zu erwägen, welcher im März 2013 besiegelt wurde. Seither ist landesweit mit politischen Spannungen, gewaltsamen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen zu rechnen. In den Kurdengebieten der Südost-Türkei wurden nach dem Beginn der Dezember-Offensive im Jahr 2015 gegen die PKK in den drei Städten Cizre, Silopi und Diyarbakir zahlreiche PKK-Anhänger und Zivilsten getötet. Insbesondere zwischen Januar und Mai 2016 fanden massive Sicherheitsoperationen in urbanen Gebieten im Südosten statt. Mitte August 2015 wurden in 19 Distrikten von sieben Städten, vorwiegend in Diyarbakir, Sirnak, XXXX und Hakkâri, Ausgangssperren verhängt.
Festzuhalten ist jedoch, dass die BF nicht vorbrachten, vor ihrer Ausreise von Kampfhandlungen betroffen gewesen zu sein, noch, dass sie durch Ausgangssperren beeinträchtigt waren. Eine individuelle, aktuelle Betroffenheit der BF von Kampfhandlungen oder Ausgangssperren ist demnach - schon in Anbetracht ihres Wohnortes in XXXX nicht anzunehmen.
Aus den zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat getroffenen Feststellungen geht ferner eindeutig hervor, dass die Dezember-Offensive im Jahr 2016 abgeschlossen wurde und die Zahl ziviler Opfer daraufhin im Jahr 2017 stark abgesunken ist. Die verhängten Ausgangssperren wurden ebenfalls aufgehoben und in den Jahren 2017 und 2018 wurden keine großflächigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei mehr verhängt. Aus den Feststellungen lässt sich auch nicht ableiten, dass ein Wiederaufflammen der Kämpfe zu besorgen wäre. In Würdigung dieser Umstände ist festzuhalten, dass keine maßgebliche Gefahr erkennt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Rückkehrfall, etwa nach XXXX , wo sie vor ihrer Ausreise lebten, von willkürlicher Gewaltanwendung durch staatliche Organe aufgrund innerer Unruhen, von Luftangriffen oder von anderweitigen Kampfhandlungen im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes betroffen wären.
II.7.6. Da die BF keine staatliche Strafverfolgung in der Türkei aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt haben und die Todesstrafe in der Türkei darüber hinaus abgeschafft ist, war dem folgend zur Feststellung zu gelangen, dass sie im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würden. Ebenso kann aus ihrem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine polizeilichen Maßnahmen wider die BF glaubhaft gemacht wurden.
II.7.7. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist es den BF aus den vorstehend im Detail erörterten Aspekten nicht gelungen, eine sie betreffende Bedrohungs- oder Verfolgungssituation in der Türkei vor ihrer Ausreise oder im Rückkehrfall glaubhaft darzulegen. Das Bundesverwaltungsgericht tritt in einer Gesamtwürdigung des Vorbringens der BF der Ansicht der bB bei, welche davon ausging, dass die BF ihren Herkunftsstaat vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen verließen.
II.7.8. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF ergibt sich aus ihrer Aussage in der Stellungnahme vom 9.7.2019.
II.7.9. Die Feststellung, dass die BF im Rückkehrfall über eine Existenzgrundlage verfügen werden, ergibt sich vornehmlich daraus, dass es sich bei BF1 und BF2 um gesunde, arbeitsfähige Menschen handelt - dass sie gesund sind haben sie in ihrer Stellungnahme vom 9.7.2019 angegeben und wurde von auch nicht von sonstigen Beeinträchtigung berichtet, welche die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen würden. BF1 brachte vor der bB auch vor, dass er in der Türkei immer wieder als Hilfsarbeiter gearbeitet hat und ist kein Grund ersichtlich, weshalb er nicht wieder derartige Arbeiten ausüben sollte. BF1 zeigte im Übrigen auch Interesse daran, in Österreich eine Arbeit zu finden und konnte er auch eine Zusage für eine Einstellung als Koch in Vorlage bringen, weshalb davon auszugehen ist, dass er eine ähnliche Tätigkeit auch in der Türkei wird ausüben können, um damit die Existenz für seine Familie zu sichern.
Ferner brachten die BF im Verfahren vor der bB vor, dass sie über viele Familienmitglieder bzw. Verwandte im Herkunftsland - etwa in Gestalt von Geschwistern der BF2 oder der Geschwister des BF1, von denen viele ebenfalls in XXXX leben, oder vieler Verwandter zweiten Grades des BF1 - leben und ist daher davon auszugehen, dass die BF zumindest noch Teile ihres familiären - bzw. verwandtschaftlichen Netzwerkes vorfinden werden, durch welches sie wieder Aufnahme und Unterstützung finden werden.
Überdies stehen den BF noch die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit, darunter Sozialleistungen für Bedürftige durch die Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität als Anspruchsberechtigte offen, da sie über die türkische Staatsbürgerschaft verfügen. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (AA 3.8.2018).
Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.), Kindergeld (10-20 EUR pro Kind/pro Monat, nach Alter und Geschlecht gestaffelt, Mädchen bekommen etwas mehr), finanzielle Unterstützung für Schwangere (ca. 50 EUR pro Schwangerschaft), Wohnprogramme, Einkommen für Behinderte und Altersschwache (50-130 EUR/Monat nach Alter und Grad der Behinderung gestaffelt). Des Weiteren beziehen Witwen die sogenannte "Witwenunterstützung", die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (ca. 70% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch Max. 250 EUR/Monat) (ÖB 10.2017).
Zudem ist auch für die gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger gesorgt: Um vom türkischen Gesundheits -und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Der Mindestbetrag für die Grundversorgung - sofern keine Versicherung durch einen Arbeitgeber bereits besteht - beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 15 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2017).
Die BF beklagten sich im Verfahren vor der bB zwar über die tristen Lebensbedingungen und bemerkte BF2, dass ihr Mann so schwer habe arbeiten müssen, ein substantiiertes Vorbringen, aus welchem sich ableiten ließe, dass die BF im Falle einer Rückkehr einer mangelnden Lebensgrundlage entgegensehen würden, wurde jedoch nicht erstattet.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangte in einer Gesamtschau damit - wie bereits das belangte Bundesamt - zur Ansicht, dass es den BF in kurzer Zeit gelingen wird, sich erneut eine gesicherte Existenz in der Türkei aufzubauen und ist in Ansehung der Länderberichte, insbesondere zur Medizinischen Versorgung und den Sozialleistungen für Bedürftige, auch nicht zu befürchten, dass die BF in eine ausweglose Lage geraten würden.
II.7.10. Zu den Einwänden in der Beschwerde, wonach die bB gehalten gewesen wäre, im Hinblick auf die Parteimitgliedschaft des BF selbst Ermittlungen anzustellen - BF1 brachte im Wesentlichen vor, er könne keinen Mitgliedsausweis vorlegen, auch sonstige Hinweise seien wegen eines Brandes des Parteigebäudes nicht erhältlich, ist zunächst neuerlich darauf hinzuweisen, dass - wie bereits die bB zutreffend ausführte - im gegenständlichen Verfahren vor allem der Frage einer exponierten politischen Stellung Relevanz zukommt, was durch den Umstand der Mitgliedschaft zur HDP alleine nicht belegt werden kann. Aus den unter II.2.7.2 näher dargelegten Gründen konnte BF1 oder den BF eine derart exponierte Stellung nicht zugeschrieben werden. Wie bereits ausgeführt, ist wohl anzunehmen, dass es dem BF - würde er tatsächlich über ein herausragendes Profil verfügen - gelungen wäre, Belege, etwa in Form von Aussagen (früherer) Parteimitglieder über die frühere Tätigkeit des BF bei der Partei zu erhalten, zumal BF1 erst im Jahr 2017 aus der Türkei ausreiste und frühere Parteigefährten und Aktivisten über die Parteizentrale leicht ausfindig gemacht werden könnten. Dem BF ist dies trotz Einladung des Bundesverwaltungsgerichtes, mit der Partei in Kontakt zu treten und Belege zu beschaffen, die sein Vorbringen über seine politische Aktivität stützen können, nicht gelungen.
Ferner sei darauf hingewiesen, dass eine über §§ 37 und 39 Absatz 2 AVG hinausgehende Ermittlungspflicht § 18 Asylgesetz nicht normiert (vgl. schon die Judikatur zu § 28 AsylG 1997, VwGH 14.12.2000, Zahl 2000/20/0494) und im Asylverfahren das Vorbringen des Antragstellers als zentrales Entscheidungskriterium heranzuziehen ist. Ungeachtet der gesetzlichen Verpflichtung der Asylbehörde bzw. des Asylgerichtshofes, im Einklang mit den im Verwaltungsverfahren geltenden Prinzipien der materiellen Wahrheit und des Grundsatzes der Offizialmaxime, den maßgeblichen Sachverhalt amtswegig (§ 39 Abs 2 AVG, § 18 AsylG 2005) festzustellen, obliegt es in erster Linie dem Asylwerber auf Nachfrage alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen (vgl VwGH 16. 12 1987, 87/01/0299; 13. 4. 1988, 87/01/0332; 19. 9. 1990, 90/01/0133; 7. 11. 1990, 90/01/0171; 24. 1. 1990, 89/01/0446; 30. 1. 1991, 90/01/0196; 30. 1. 1991, 90/01/0197; vgl zB auch VwGH 16. 12. 1987, 87/01/0299; 2. 3. 1988, 86/01/0187; 13. 4. 1988, 87/01/0332; 17. 2. 1994, 94/19/0774) und glaubhaft zu machen (VwGH 23.2.1994, 92/01/0888; 19.3.1997, 95/01/0525). Es ist in erster Linie Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).
Spiegelbildlich zum Einwand der BF ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass mit der amtswegigen Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung die Pflicht der Parteien, an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Die Offizialmaxime befreit die Parteien nicht davon, durch substanziiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhaltes beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedarf; eine solche Mitwirkungspflicht ist dann anzunehmen, wenn der behördlichen Ermittlung faktische Grenzen gesetzt sind und die Behörde von sich aus nicht in der Lage ist, ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden (siehe die Nachweise bei Hengstschläger-Leeb, AVG § 39 Rz. 9 f; Erk. d. VwGH vom 24.4.2007, 2004/05/0285). Nach der Rechtsprechung des VwGH hat die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes dort ihre Grenze, wo es der Mitwirkung der Partei bedarf und diese eine solche unterlässt (Erk. d. VwGH vom 12.9.2006, 2003/03/2006).
Gerade im antragsbedürftigen Asylverfahren auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist Bedacht zu nehmen (§ 15 AsylG 2005) und im Rahmen der Beweiswürdigung - und damit auch bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung - zu berücksichtigen (Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, S 385 mwN auf die Judikatur des VwGH). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279). Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).
Das Gericht geht davon aus, dass seitens der bB im Rahmen der korrespondierenden Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts und der Verpflichtung der BF an der Mitwirkung im Verfahren den Sachverhalt so weit ermittelte, dass sich das ho. Gericht ein ausreichendes Bild machen konnte. Zudem wurde den BF auch im Rechtsmittelverfahren die Gelegenheit gegeben, Belege für ihr Vorbringen zu erstatten und wurden sie diesbezüglich auch angeleitet. Eine amtswegige Ermittlung in Bezug auf die entscheidungsrelevante Frage, ob BF1 in der Türkei politisch aktiv war bzw. ob sich BF1 mit seiner Aktivität auch einen gewissen Bekanntheitsgrad oder ein politisches Profil erworben hat war sowohl der Behörde als auch dem Bundesverwaltungsgericht ohne Mitwirkung des BF nicht möglich.
Das Gericht geht davon aus, dass weitere Ermittlungen letztlich in einem nicht zulässigen Erkundungsbeweis geendet hätten und wurde von diesbezüglichen weiteren Ermittlungen daher Abstand genommen.
Im Übrigen konnte dies auch deshalb unterbleiben, da schon die Schilderungen des BF1 über seinen politischen Werdegang, wie unter II.2.7.2. näher ausgeführt, recht deutlich darauf hinweisen, dass sich BF1 kein nennenswertes politisches Profil, ob nun innerhalb der Partei oder davon unabhängig, erwarb.
Die Ausführungen in Bezug auf die Mitwirkung gelten auch für die Behauptungen in Bezug auf die Verfolgung der BF wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeiten, bezüglich derer trotz mehrerer Gelegenheiten im Verfahren keine Initiative zur Mitwirkung gezeigt wurde. Da weder ein Vorbringen erstattet wurde noch Beweismittelanträge gestellt wurden, aus welchen das Gericht hätte erkennen können, dass weitere Ermittlungsschritte zu einer Klärung des Sachverhaltes führen würden, wurde auch diesbezüglich von weiteren amtswegigen Ermittlungen abgesehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
II.3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
II.3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
II.3.1.2. Im gegenständlichen Fall ist ausweislich der Feststellungen und der diesbezüglichen Beweiswürdigung nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine die BF betreffende aktuelle, unmittelbare und konkrete Verfolgungsgefahr in der Türkei aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund gegeben. Mangels Glaubhaftmachung konnten die behaupteten Flucht- beziehungsweise Ausreisegründe, insbesondere im Hinblick auf die behauptete Verfolgung des BF1 wegen seiner politischen Tätigkeit und die im Zuge einer Hausdurchsuchung behauptete Misshandlung der BF2, in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
Auch konnte im Rahmen einer Prognoseentscheidung nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer nach einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren aktuellen Gefahr von Übergriffen zu rechnen hätten (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194). Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).
Sofern sich die BF in ihrem Vorbringen auf Geschehnisse in ihrer Kindheit oder in ihrer Militärzeit berufen, ist auch darauf hinzuweisen, dass es diesen Geschehnissen an der nach der Judikatur geforderten Aktualität mangelt.
Darüber hinaus ist zum Ausreisevorbringen der BF festzuhalten, dass - sofern sie sich auf Erniedrigungen und Beschimpfungen oder Anhaltungen beziehen, die sie als Kurden bzw. Aleviten über sich ergehen lassen mussten - die behaupteten Eingriffe in die Rechtssphäre der BF selbst bei Wahrunterstellung nicht die für die Annahme einer Verfolgung erforderliche erhebliche Intensität aufweisen. Diese liegt nur dann vor, wenn ein Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Nach Artikel 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie des Europäischen Parlaments und Rates gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention Handlungen, die a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.
So werden etwa nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch kurzfristige Inhaftierungen und Hausdurchsuchungen, die folgenlos bleiben, mangels Intensität nicht als asylrechtlich relevante Verfolgung angesehen (Feßl/Holzschuster: AsylG 2005, Kommentar, E.63 zu § 3 unter Hinweis auf VwGH 14.10.1998, 98/01/0262; 12.05.1999, 98/01/0365 und E.71 zu § 3 AsylG unter Hinweis VwGH 21.04.1993, 92/01/1059 mwN; 21.02.1995, 94/20/0720, 19.12.1995, 95/20/0104; 10.10.1996, 95/20/0487).
Auch Beschimpfungen, Bewerfen eines Hauses mit Steinen und verbale Drohungen begründen keine Verfolgung von asylrelevanter Intensität (EGMR U 16.06.2005, Berisha und Haljiti gegen Mazedonien, Nr. 18670/03).
Die BF bezogen sich in ihrem Vorbringen auf mehrere Fälle, in welchen sie - mitunter aggressiv - beschimpft worden seien, etwa im Straßenverkehr oder auf einer Polizeistation. Ferner berichtete BF1, dass er zwei Mal auf eine Polizeistation mitgenommen wurde und dort für jeweils etwa fünfzehn Minuten festgehalten wurde (dass BF1 darüberhinausgehend inhaftiert worden wäre war, wie beweiswürdigend dargelegt, nicht glaubwürdig) und war aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens auch davon auszugehen, dass die BF keine physischen Übergriffe zu gewärtigen hatten (der Aussage der BF2 vor der bB, sie sei anlässlich einer Hausdurchsuchung nach der Ausreise ihres Mannes misshandelt worden, konnte, wie beweiswürdigend dargelegt, ebenfalls nicht gefolgt werden).
Geschehnisse dieser Art sind nicht als asylrelevant zu qualifizieren und war dem Vorbringen auch kein stichhaltiger Hinweis dahingehend zu entnehmen, dass allfällige gravierendere Bedrohungen oder Eingriffe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren.
II.3.1.3. Auch aus behaupteten Nachteilen wegen der Zugehörigkeit zur kurdischen Ethnie oder alevitischen Glaubensgemeinschaft war angesichts der fehlenden Eingriffsintensität derselben kein als Verfolgung zu qualifizierendes Szenario zu gewinnen. Diesbezüglich ist grundsätzlich festzuhalten, dass allgemeine Diskriminierungen, etwa soziale Ächtung, für sich genommen nicht die hinreichende Intensität für eine Asylgewährung aufweisen können. Bestimmte Benachteiligungen (wie etwa allgemeine Geringschätzung durch die Bevölkerung, Schikanen, gewisse Behinderungen in der Öffentlichkeit) bis zur Erreichung einer Intensität, dass deshalb ein Aufenthalt der Beschwerdeführer im Heimatland als unerträglich anzusehen wäre (vgl VwGH 07.10.1995, Zl. 95/20/0080; 23.05.1995, Zl. 94/20/0808), sind hinzunehmen.
Hinsichtlich des bloßen Umstands der kurdischen Abstammung der BF oder ihrer Zugehörgikeit zur alevitischen Glaubensgemeinschaft ist weiter auszuführen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichte die Situation für (alevitische) Kurden - abgesehen von den Berichten betreffend das Vorgehen des türkischen Staates gegen Anhänger und Mitglieder der als Terrororganisation eingestuften PKK und deren Nebenorganisationen, wobei eine solche Anhängerschaft hinsichtlich der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden konnte - nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass gegenwärtig Personen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit oder alevitischer Glaubenszugehörigkeit in der Türkei generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden. Gründe, warum die türkischen Behörden ein nachhaltiges Interesse gerade an der jeweiligen Person der BF haben sollten, wurden nicht glaubhaft vorgebracht.
II.3.1.4. In Bezug auf ihre Befürchtung, im Falle einer Rückkehr wegen ihrer Ausreise oder ihrer exilpolitischen Tätigkeit inhaftiert oder einer sonstigen Gefahr ausgesetzt zu werden, ist auf Folgendes hinzuweisen:
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Den BF ist es, wie in II.2.7.2. näher ausgeführt, nicht gelungen, ein mögliches Interesse der türkischen Behörden an ihrer Person wegen Mitgliedschaften an Vereinen einer kurdischen Dachorganisation oder der Teilnahme an Vereinsaktivitäten bzw. an Demonstrationen in Österreich glaubhaft zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass es den BF, wie ebenfalls unter II.2.7.2. dargestellt, im gesamten Verfahren auch nicht gelungen ist, ein Interesse der türkischen Behörden an BF1 wegen seiner politischen Aktivitäten in der Türkei zu bescheinigen, sodass auch nicht angenommen werden konnte, die Auslandsaktivitäten des BF1 wären schon aufgrund seiner politischen Vergangenheit in der Türkei von besonderem Interesse für die türkischen Behörden. Dass jede Person, die sich im Ausland in kurdischen Organisationen engagiert und/oder an Demonstrationen teilnimmt der Gefahr einer Inhaftierung im Rückkehrfall ausgesetzt ist, war aus den eingesehenen Berichten und der aktuellen Medienberichterstattung nicht abzuleiten.
Dass Rückkehrer generell der Gefahr eine Inhaftierung durch die türkischen Behörden unterliegen, konnte aus den eingesehenen Berichten ebenso nicht abgeleitet werden.
II.3.1.5. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind. Darüber hinaus erlaubt sich das Bundesverwaltungsgericht darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstigen Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (vgl. auch Erkenntnis des VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798). Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329 mwN).
II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei
II.3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung der Beschwerdeführerin in die Türkei Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.
Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).
Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).
Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdungen bzw. Bedrohungen. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).
Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (EGMR U 15.02.2000, S.C.C. gegen Sweden, Nr. 46553/99).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände vorliegen (EGMR U 02.05.1997, D. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 30240/96; U 06.02.2001, Bensaid gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 44599/98; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).
Unter außergewöhnlichen Umständen können auch lebensbedrohende Ereignisse (etwa das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung dieser Frage unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Außergewöhnlicher Umstände liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VwGH 11.11.2015, Ra 2015/20/0196, mwN).
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07 ). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen: ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07)
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).
Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).
Dessen ungeachtet sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005).
II.3.2.1. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:
Dass die BF im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.
Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen zur Lage in der Türkei - insbesondere hinsichtlich der dort bestehenden Systeme der sozialen Sicherheit -nicht vor.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Die Heimatprovinz der Beschwerdeführer liegt ferner deutlich von jenen Provinzen entfernt, in welchen regelmäßig Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Kämpfern der PKK stattfinden.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Sicherheitslage in der Türkei teilweise angespannt ist, die Anschlagskriminalität in den letzten Monaten zugenommen hat und sich im Juli 2016 ein versuchter Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee ereignete. Dennoch ist festzuhalten, dass sich die Türkei mittlerweile wiederum unbestritten unter der Kontrolle der türkischen Sicherheitskräfte befindet und nur eine geringe laufende, vom Islamischen Staat oder der PKK ausgehende Anschlagskriminalität zu verzeichnen ist. Die von der PKK ausgehende Anschlagskriminalität ist zudem vorrangig gegen türkische Sicherheitskräfte gerichtet. Im Hinblick auf den versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer weder in diesen verwickelt sind, noch einer seither besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe angehören.
Zum anderen haben weder die BF selbst ein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattet, noch kann aus den Feststellungen zur Lage in der Türkei abgeleitet werden, dass die BF alleine schon aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit in XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wären.
Es kann auch nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in die Türkei die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), haben doch die Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihnen im Falle einer Rückführung in die Türkei jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.
BF1 und BF2 sind gesunde, arbeitsfähige und anpassungsfähige Menschen, die auch bisher ihr Leben in der Türkei meistern und für ihre Kinder sorgen konnten. BF1 hat auch Erfahrung im Berufsleben; er hat als Hilfsarbeiter gearbeitet. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben konnte in Ansehung der BF und unter Beachtung der eingesehenen Länderberichte vorausgesetzt werden, wobei davon auszugehen ist, dass BF2 sich der Obsorge der im Jahr 2018 geborenen Tochter widmen wird. In diesem Zusammenhang sei auch festgehalten, dass den minderjährigen BF eine Rückkehr in den Herkunftsstaat ohnehin nur gemeinsam mit ihren Eltern möglich ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls BF1 in der Türkei nicht in der Lage sein wird, sich und seiner Familie mit bislang ausgeübten Tätigkeiten oder gegebenenfalls mit anderen, unselbständig ausgeübten Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts zu erwirtschaften. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass BF1 auch in Österreich eine Tätigkeit, nämlich als Koch, in Aussicht hat und ist daher davon auszugehen, dass es ihm auch im Herkunftsstaat möglich sein wird, eine ähnliche Stelle zu finden. Nur nebenbei sei bemerkt, dass dem 5.6.2019 vorgelegten Empfehlungsschreiben einer Familie XXXX zu entnehmen ist, dass BF1 im Heimatland eine Kochausbildung durchlaufen hätte.
Schon aufgrund der vorstehenden Erwägungen vermochte das Gericht die Gefahr einer die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, nicht zu erkennen.
Darüber hinaus ergab das Beweisverfahren, dass den BF die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit, darunter Sozialleistungen für Bedürftige durch die Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität als Anspruchsberechtigter offenstehen, da sie über die türkische Staatsbürgerschaft verfügen. Ausweislich der Feststellungen zu Sozialbeihilfen in der Türkei sind nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 bedürftige Staatsangehörige anspruchsberechtigt, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können.
Dazu tritt, dass die BF auch noch über familiäre bzw. verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte im Herkunftsland verfügen und daher davon auszugehen war, dass zumindest für die Phase einer Orientierung des BF1 am Arbeitsmarkt zusätzlich noch mit Unterstützung des vorhandenen verwandtschaftlichen Netzwerkes gerechnet werden kann.
Nur der Vollständigkeit halber sei auch noch darauf hingewiesen, dass BF3 nunmehr fast sechzehn Jahre alt und BF4 etwas mehr als vierzehn Jahre alt ist und somit beide - zumindest in absehbarer Zeit - am Erwerbsleben werden teilnehmen können. Hinweise darauf, dass ihnen dies nicht möglich oder zumutbar wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverwaltungsgericht auch auf das Erkenntnis des VwGH vom 06.11.2009, 2008/19/0174, in dem die Schwelle einer Verletzung von Art 3 EMRK in einem Fall einer alleinstehenden Mutter eines Kleinkindes (ohne Berufserfahrung) trotz Erwartung einer tristen finanziellen Situation ohne familiäre Unterstützung im Heimatland mangels realer Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse verneint und die Behandlung der Beschwerde abgelehnt wurde. In casu stellt sich die Rückkehrsituation der BF aufgrund der oben aufgezeigten Möglichkeiten als weit besser dar, als in dem zuvor genannten Judikat.
Die BF gaben mit ihrer Stellungnahme vom 9.7.2019 an, gesund zu sein, sodass auch ihre gesundheitliche Verfassung einer Rückkehr nicht entgegensteht (zur Judikatur hinsichtlich der Abschiebung kranker Fremder vgl. VfSlg. 18.407/2008). Dass ihnen im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden dringend benötigte ärztliche Versorgung oder Medikamente im Herkunftsstaat nicht zugänglich wären, brachten die BF nicht vor und sei auch in diesem Zusammenhang erwähnt, dass den BF in der Türkei ein Zugang zum Gesundheitssystem offensteht. Für mittellose türkische Staatsbürger werden die Kosten vom Staat getragen.
Bei der Beurteilung, ob im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Verletzung von durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten droht, ist nach der Judikatur des VwGH eine eventuelle besondere Vulnerabilität der Betroffenen im Speziellen zu berücksichtigen, wobei der VwGH auch auf die Definition schutzbedürftiger Personen in Art. 21. Der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) verweist (vgl. zuletzt VwGH vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/18/0336 sowie vom 30.08.2017, Zl. Ra 2017/18/0089 zum Irak sowie VwGH vom 06.09.2018, Ra 2018/18/0315 und diverse andere zu Afghanistan). Art. 21 der Aufnahmerichtlinie zählt als besonders schutzbedürftige Personen unter anderem Minderjährige auf.
Die Judikatur fordert - zuletzt etwa in einer Entscheidung hinsichtlich des sicheren Herkunftsstaates Armenien (VwGH vom 07.03.2019, Ra 2018/21/0216 bis 0217-13) - eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation eine Familie mit minderjährigen Kindern im Herkunftsstaat tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479) sowie der Unterkunftsmöglichkeit (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0315).
Im vorliegenden Fall ist daher insbesondere zu berücksichtigen, dass unter den BF minderjährige Kinder - somit Angehörige einer besonders vulnerablen und besonders schutzbedürftigen Personengruppe - sind. Daher ist eine konkrete Auseinandersetzung mit der Rückkehrsituation, die die minderjährigen BF bzw. die Familie mit minderjährigen Kindern im Heimatstaat tatsächlich vorfinden würden, erforderlich.
Im gegenständlichen Fall sind die Eltern und die Kinder türkische Staatsbürger und sind alle im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen und teilen die Kinder somit das sozioökonomische Schicksal der Eltern.
Wie oben näher dargestellt, war nicht davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in eine Notlage geraten würden, zumal es BF1 möglich und zumutbar ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, um das Auskommen seiner Familie zu sichern, die BF die in der Türkei vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit nutzen können und auch mit einer Unterstützung des in der Türkei vorhandenen verwandtschaftlichen Netzwerkes zu rechnen ist. Außerdem ist auch zu beachten, dass es sich bei BF3 und BF4 um Minderjährige handelt, die bereits erwerbsfähig sind bzw. in absehbarer Zeit in dieses Alter kommen und für die Obsorge der BF5 gesorgt sein wird, zumal sie mit beiden Eltern ausreist und anzunehmen ist, dass sich zumindest ein Elternteil ihrer Pflege und Erziehung widmen wird. Eine Verletzung des Kindeswohles ist daher nicht ersichtlich.
Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in ihren Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.
Weder droht ihnen im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten jeweils abzuweisen ist.
Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren vor. Nachdem jedoch keinem der BF Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist, sondern deren Beschwerden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag bezüglich Spruchpunkt I und II abgewiesen wurden, können die jeweiligen Beschwerdeführer auch über diesen Weg keinen Schutz erlangen.
II.3.3. Zu den Spruchpunkten III und IV der angefochtenen Bescheide (Aufenthaltstitel, Rückkehrentscheidung, Abschiebung und Frist für die freiwillige Ausreise)
II.3.3.1. Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz:
Wird ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist gemäß § 58 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen. Über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung ist gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
§ 10 Abs. 1 AsylG 2005 sieht ferner vor, dass eine Entscheidung nach dem Asylgesetz dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist, wenn- wie im Gegenstand - der Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird (Z. 3 leg. cit.) und von Amts wegen kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Die Rückkehrentscheidung setzt daher eine vorangehende Klärung der Frage voraus, ob ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird.
Im Ermittlungsverfahren sind keine Umstände zu Tage getreten, welche auf eine Verwirklichung der in § 57 Abs. 1 AsylG 2005 alternativ genannten Tatbestände hindeuten würden, insbesondere wurde von den BF selbst nichts dahingehend dargetan und auch in der Beschwerde kein diesbezügliches Vorbringen erstattet.
Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet war ausweislich der Feststellungen nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden schließlich nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.
Den BF ist daher kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen.
II.3.3.2.Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:
II.3.3.2.1. Die Einreise der BF in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich ist nicht rechtmäßig erfolgt. Bisher stützte sich der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet alleine auf die Bestimmungen des AsylG 2005 für die Dauer des nunmehr abgeschlossenen Verfahrens. Ein sonstiger Aufenthaltstitel ist nicht ersichtlich und wurde auch kein auf andere Bundesgesetze gestütztes Aufenthaltsrecht behauptet. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt der BF im Bundesgebiet mehr vor und es unterliegen diese auch nicht dem Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG betreffend Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung.
Die Entscheidung ist damit gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung nach dem 8. Hauptstück des FPG 2005 zu verbinden.
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden nach Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Rechts der BF auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (VfSlg. 16.928/2003).
Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 09. Juni 2006, B 1277/04, unter Hinweis auf die Judikatur des EGMR; des Weiteren auch das Erkenntnis des VwGH vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423 und die darauf aufbauende Folgejudikatur, etwa die Erkenntnisse vom 08.06.2006, Zl. 2003/01/0600, vom 22.08.2006, Zl. 2004/01/0220 und vom 29.03.2007, Zl. 2005/20/0040, vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Die Beziehung bereits volljähriger Kinder zu den Eltern ist vor allem dann als Familienleben zu qualifizieren, wenn jene auch nach Eintritt der Volljährigkeit im Haushalt der Eltern weiterleben, ohne dass sich ihr Naheverhältnis zu den Eltern wesentlich ändert (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860 unter Hinweis auf Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art. 8 EMRK Rz 76). Alle anderen verwandtschaftlichen Beziehungen (zB zwischen Enkel und Großeltern, erwachsenen Geschwistern [vgl. VwGH 22.08.2006, Zl. 2004/01/0220, mwN; 25.4.2008, Zl. 2007/20/0720 bis 0723-8], Cousinen [VwGH 15.01.1999, Zl. 97/21/0778; 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479], Onkeln bzw. Tanten und Neffen bzw. Nichten) sind nur dann als Familienleben geschützt, wenn eine "hinreichend starke Nahebeziehung" besteht. Nach Ansicht der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist für diese Wertung insbesondere die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung (vgl. VfSlg 17.457/2005). Dabei werden vor allem das Zusammenleben und die gegenseitige Unterhaltsgewährung zur Annahme eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK führen, soweit nicht besondere Abhängigkeitsverhältnisse, wie die Pflege eines behinderten oder kranken Verwandten, vorliegen.
In Bezug auf die BF untereinander ist festzuhalten, dass diese gleichermaßen von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, insoweit liegt deshalb kein Eingriff in das schützenswerte Familienleben vor (VwGH 19.12.2012, Zl. 2012/22/0221 mwN).
Mit Stellungnahme vom 8.7.2019 wurde zu den familiären Interessen der BF lediglich vorgebracht, dass ein Schwager mit seiner Frau und drei Kindern, zwei Brüder und ein Onkel in Österreich leben würden. Die BF würden von ihren "Bekannten" finanziert und würden dem österreichischen Staat daher nicht zur Last fallen. Darüber hinaus wurde weder behauptet, dass damit ein schützenswertes Familienleben vorliegt noch wurde dies belegt.
Eine Einsicht in das Zentrale Melderegister ergab, dass die BF an derselben Adresse wie die Familie des Schwagers gemeldet sind. Das zur Verfügung stellen einer Wohnmöglichkeit alleine recht jedoch nicht aus, um von einem Abhängigkeitsverhältnis im obigen Sinne ausgehen zu können. Auch in Bezug auf die Finanzquellen der BF wurde lapidar auf ihre "Bekannten" verwiesen und wurde vorgebracht, dass die BF dem Staat damit nicht zur Last fielen. Zudem wurde darauf verwiesen, dass BF1 eine Stellung im Restaurant seines Schwagers in Aussicht hätte. Eine finanzielle Abhängigkeit vom Schwager und seiner Familie oder anderen ihnen nahestehenden Personen wurde damit nicht dargetan und war von einer Abhängigkeit auch deshalb nicht auszugehen, da, wie unter II.2.4. näher dargelegt, die BF sehr wohl Mittel aus der Grundversorgung beziehen.
Auch sonst wurde kein spezielles Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis der BF zu ihren in Österreich aufhältigen Verwandten vorgebracht, welches eine - im Lichte der Rechtsprechung des EGMR - ausreichende Beziehungsintensität begründen würde und im konkreten Einzelfall auch höher zu bewerten wäre, als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen. Auch in der Beschwerde finden sich in diesem Zusammenhang keinerlei Ausführungen, die daran Zweifel aufkommen lassen könnten.
Die Rückkehrentscheidung betreffend die BF stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, jedoch einen solchen in das Recht auf Privatleben.
II.3.3.2.2. Der Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den Interessen eines Fremden an einem Verbleib in Österreich in dem Sinne, ob dieser Eingriff im Sinn des Art 8 Abs. 2 EMRK notwendig und verhältnismäßig ist, ist voranzustellen, dass die Rückkehrentscheidung jedenfalls der innerstaatlichen Rechtslage nach einen gesetzlich zulässigen Eingriff darstellt.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Moustaquim ist eine Maßnahme dann in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, wenn sie einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht und zum verfolgten legitimen Ziel verhältnismäßig ist. Das bedeutet, dass die Interessen des Staates, insbesondere unter Berücksichtigung der Souveränität hinsichtlich der Einwanderungs- und Niederlassungspolitik, gegen jene des Berufungswerbers abzuwägen sind (EGMR U 18.02.1991, Moustaquim gegen Belgien, Nr. 12313/86).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Konvention kein Recht auf Aufenthalt in einem bestimmten Staat garantiert. Die Konventionsstaaten sind nach völkerrechtlichen Bestimmungen berechtigt, Einreise, Ausweisung und Aufenthalt von Fremden ihrer Kontrolle zu unterwerfen, soweit ihre vertraglichen Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen (EGRM U 30.10.1991, Vilvarajah u.a. gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 13163/87).
Hinsichtlich der Abwägung der öffentlichen Interessen mit jenen des Berufungswerbers ist der Verfassungsgerichtshof der Auffassung, dass Asylwerber und sonstige Fremde nicht schlechthin gleichzusetzen sind. Asylwerber hätten regelmäßig ohne Geltendmachung von Asylgründen keine rechtliche Möglichkeit, legal nach Österreich einzureisen. Soweit die Einreise nicht ohnehin unter Umgehung der Grenzkontrolle oder mit einem Touristenvisum stattgefunden hat, ist Asylwerbern der Aufenthalt bloß erlaubt, weil sie einen Asylantrag gestellt und Asylgründe geltend gemacht haben. Sie dürfen zwar bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung weder zurückgewiesen, zurückgeschoben noch abgeschoben werden, ein über diesen faktischen Abschiebeschutz hinausgehendes Aufenthaltsrecht erlangen Asylwerber jedoch lediglich bei Zulassung ihres Asylverfahrens sowie bis zum rechtskräftigen Abschluss oder bis zur Einstellung des Verfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt durch die zwingend vorgesehene Ausweisung von Asylwerbern eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung im Inland von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund dieser Besonderheit Asylwerber und andere Fremde unterschiedlich behandelt (VfSlg. 17.516/2005).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien vgl. VfSlg. 18.223/2007).
Er hat etwa die Aufenthaltsdauer, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine fixen zeitlichen Vorgaben knüpft (EGMR U 31.1.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99; U 16.9.2004, M. C. G. gegen Deutschland, Nr. 11.103/03), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR GK 28.05.1985, Abdulaziz, Cabales und Balkandali gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 9214/80, 9473/81, 9474/81; U 20.6.2002, Al-Nashif gegen Bulgarien, Nr. 50.963/99) und dessen Intensität (EGMR U 02.08.2001, Boultif gegen Schweiz, Nr. 54.273/00), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR U 04.10.2001, Adam gegen Deutschland, Nr. 43.359/98; GK 09.10.2003, Slivenko gegen Lettland, Nr. 48321/99; vgl. VwGH 5.7.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124), die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR U 11.04.2006, Useinov gegen Niederlande Nr. 61292/00) für maßgeblich erachtet.
Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren - was bei einem bloß vorläufigen Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens jedenfalls als gegeben angenommen werden kann - ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (EGMR U 24.11.1998, Mitchell gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 40.447/98; U 05.09.2000, Solomon gegen die Niederlande, Nr. 44.328/98; 31.1.2006, U 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande, Nr. 50435/99).
Bereits vor Inkrafttreten des nunmehrigen § 9 Abs. 2 BFA-VG entwickelten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in den Erkenntnissen VfSlg. 18.224/2007 und VwGH 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216 unter ausdrücklichen Bezug auf die Judikatur des EGMR nachstehende Leitlinien, welche im Rahmen der Interessensabwägung gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen sind. Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (VwGH 28.04.2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 13.06.2016, Ra 2015/01/0255). Ferner sind nach der eingangs zitieren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie dies Verfassungsgerichtshofs die strafgerichtliche Unbescholtenheit aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht sowie Erfordernisse der öffentlichen Ordnung und schließlich die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis VfSlg. 19.203/2010 eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Umständen davon ausgegangen werden kann, dass das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthalts bewusst waren. Der Verfassungsgerichtshof stellt dazu fest, dass das Gewicht der Integration nicht allein deshalb als gemindert erachtet werden darf, weil ein stets unsicherer Aufenthalt des Betroffenen zugrunde liege, so dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Ausweisung ausgeschlossen sei. Vielmehr müsse die handelnde Behörde sich dessen bewusst sein, dass es in der Verantwortung des Staates liegt, Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren effizient führen zu können und damit einhergehend prüfen, ob keine schuldhafte Verzögerungen eingetreten sind, die in der Sphäre des Betroffenen liegen (vgl. auch VfSlg. 19.357/2011).
Das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration ist weiter dann gemindert, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist (VwGH 26.6.2007, Zl. 2007/01/0479 mwN). Beruht der bisherige Aufenthalt auf rechtsmissbräuchlichem Verhalten wie insbesondere bei Vortäuschung eines Asylgrundes, relativiert dies die ableitbaren Interessen des Asylwerbers wesentlich (VwGH 2.10.1996, Zl. 95/21/0169; 28.06.2007, Zl. 2006/21/0114; VwGH 20.12.2007, 2006/21/0168).
Bei der Abwägung der Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Beschwerdeführer bei der asylrechtlichen Ausweisung nicht verwehrt ist, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen wieder in das Bundesgebiet zurückzukehren. Es wird dadurch nur jener Zustand hergestellt, der bestünde, wenn er sich rechtmäßig (hinsichtlich der Zuwanderung) verhalten hätte und wird dadurch lediglich anderen Fremden gleichgestellt, welche ebenfalls gemäß dem Grundsatz der Auslandsantragsstellung ihren Antrag nach den fremdenpolizeilichen bzw. niederlassungsrechtlichen Bestimmungen vom Ausland aus stellen müssen und die Entscheidung der zuständigen österreichischen Behörde dort abzuwarten haben.
Die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt werden, ist auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung nach Art 8 Abs. 2 EMRK daher ein hoher Stellenwert zu (VfSlg. 18.223/2007; VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251).
Die öffentliche Ordnung, hier im Besonderen das Interesse an einer geordneten Zuwanderung, erfordert es daher, dass Fremde, die nach Österreich einwandern wollen, die dabei zu beachtenden Vorschriften einhalten. Die öffentliche Ordnung wird etwa beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Ausweisung kann in solchen Fällen trotz eines vielleicht damit verbundenen Eingriffs in das Privatleben und Familienleben erforderlich sein, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte (VwGH 21.2.1996, Zl. 95/21/1256). Dies insbesondere auch deshalb, weil als allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz gilt, dass aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen. (VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007). Der VwGH hat weiters festgestellt, dass beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen würde, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lässt (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190).
Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist auch für das wirtschaftliche Wohl des Landes von besonderer Bedeutung, da diese sowohl für den sensiblen Arbeitsmarkt als auch für das Sozialsystem gravierende Auswirkung hat. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass insbesondere nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde, welche daher auch über keine arbeitsrechtliche Berechtigung verfügen, die reale Gefahr besteht, dass sie zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes auf den inoffiziellen Arbeitsmarkt drängen, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den offiziellen Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und damit auf das wirtschaftliche Wohl des Landes hat.
II.3.3.2.3. In Abwägung der gemäß Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände in Ansehung der Beschwerdeführer ergibt sich für den gegenständlichen Fall Folgendes:
BF1 stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 7.2.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, BF2 bis BF4 stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 15.3.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz und für BF5 wurde nach ihrer Geburt in Österreich am 20.4.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die BF sind seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des etwa zweieinhalbjährigen faktischen Aufenthalts der BF in Österreich ist schon dadurch abgeschwächt, dass die BF ihren Aufenthalt durch jeweils unberechtigte Anträge auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchten, sie jedoch alleine durch die Stellung ihres Antrags jedoch nicht begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung ihres Aufenthalts ausgehen konnten.
Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt ohne dem Dazutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Zl. Ra 2016/19/0031 mwN). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht in diesem Zusammenhang in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, Zl. 2007/10/0479, davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte.
Die BF haben hierorts keine belegten Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen. Die BF sind auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung angewiesen, wobei BF1 allerdings eine Stellung als Koch in Aussicht hat. Der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit ist damit jedoch keineswegs gewiss, zumal die Zusage nicht als (vorvertragliche) Bindung des präsumtiven Arbeitsgebers anzusehen ist; die vorgelegten Einstellungszusagen stellen lediglich einseitige, sichtlich nicht einklagbare Willenserklärungen dar. Auch ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass aus der Zusage nicht hervorgeht, zu welchem Entgelt BF1 arbeiten würde. Auch in Bezug auf die in der Stellungnahme erwähnten Geldquellen der BF durch nicht näher genannte "Bekannte" ist festzuhalten, dass aufgrund der vagen Angaben dazu ebenfalls nicht von der finanziellen Unabhängigkeit der BF auszugehen war.
BF3 und BF4 gehen in die Neue Mittelschule und haben das Unterrichtsfach Deutsch jeweils mit der Note "Genügend" abgeschlossen, weshalb daher davon auszugehen war, dass diese sich im Alltag gut und verständlich ausdrücken können.
BF1 und BF2 haben gewisse Kenntnisse der deutschen Sprache durch den Besuch von sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen erworben, sie besuchen einen Kurs für das Sprachniveau A1, konnten jedoch keine Prüfungszeugnisse vorlegen.
Der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, stellen zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich dar. Die gesamte Stufe "A" (A1 und A2) bezieht sich nach dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichts allerdings auf den Standard der elementaren Sprachverwendung und reichen die derartigen Ausbaustufen aber bis zum Stand "C2", welcher einer nahezu muttersprachlichen Verwendung der jeweiligen Sprache - hier Deutsch - gleichkommt. Ausgehend davon wird - selbst wenn man davon ausgeht, dass BF1 und BF2 eine Prüfung für den Erhalt eines Zertifikates auch bestehen werden - mit dem Nachweis über Sprachkenntnisse auf dem Niveau A1 kein hervorhebenswertes Engagement beim Spracherwerb dargetan.
Die BF verfügen über die üblichen sozialen Kontakte, wie dem vorgelegten Empfehlungsschreiben zu entnehmen war, jedoch ist in diesem Zusammenhang auch anzumerken, dass sie lediglich ein Empfehlungsschreiben in Vorlage bringen konnten.
Nicht übersehen wird, dass die BF im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten blieben.
BF1 engagiert sich in Vereinen des XXXX . Ein darüberhinausgehendes soziales oder gesellschaftliches Engagement war nicht feststellbar. Die BF leisteten auch keine gemeinnützige Arbeit.
Demgegenüber verbrachten BF1 und BF2 den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat und wurden dort sozialisiert. BF1 und BF2 sprechen Kurdisch und Türkisch (in Bezug auf Situation der Minderjährigen wird unten näher eingegangen) Ebenso war festzustellen, dass die BF dort über ein verwandtschaftliches Netzwerk verfügen. Es deutete daher nichts darauf hin, dass es den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Aufgrund der Präsenz von Angehörigen im Herkunftsstaat ist auch gegenwärtig davon auszugehen, dass die BF wieder in ein soziales Netzwerk eingegliedert werden, wobei eine Existenzgrundlage der BF bereits vorstehend bejaht wurde (VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296, zur Maßgeblichkeit der Bindungen zum Herkunftsstaat vgl. auch VwGH 22.02.2011, Zl. 2010/18/0323).
Die BF verfügen, wie bereits ausgeführt, über privaten Bindungen im Bundesgebiet in Gestalt eines Schwagers mit seiner Frau und drei Kindern, zwei Brüder und ein Onkel. Ferner war auch davon auszugehen, dass sie sich einen Freundeskreis im Bundesgebiet aufgebaut haben.
Zu den privaten Bindungen in Österreich ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese zwar durch eine Rückkehr in die Türkei gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass die BF hierdurch gezwungen werden, den Kontakt zu jenen Personen, die ihnen in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Auch hier steht es ihnen frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte in einem Drittstaat etc.) aufrecht zu erhalten.
Im gegenständlichen Verfahren ist insgesamt keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer festzustellen, die den zuständigen Behörden zur Last zu legen wäre (vgl. hiezu auch VwGH 24.05.2016, Ro 2016/01/0001).
Der sohin relativ schwachen Rechtsposition der BF im Hinblick auf einen weiteren Verbleib in Österreich stehen die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes und des öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Begehung strafbarer Handlungen gegenüber. Auch wenn die BF über ein Privatleben in Österreich, BF1 über eine Einstellungszusage seines Schwagers verfügt und sie (erste) Deutschkenntnisse erworben haben, stehen dem die insgesamt vertretbare Verfahrensdauer, die unberechtigte Antragstellung, die unrechtmäßige Einreise und der erst kurze Aufenthalt im Bundesgebiet, währenddessen sich die BF - insbesondere nach Erhalt des angefochtenen Bescheides - der Ungewissheit ihres weiteren Verbleibes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein mussten, sowie die Vertretbarkeit des Eingriffs in die im Bundesgebiet vorhandenen Bindungen gegenüber. Umstände, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dem weniger als fünf Jahre dauernden Aufenthalt eine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung verleihen würden (VwGH 15.03.2016, Zl. Ra 2016/19/0031 mwN) liegen im gegenständlichen Fall nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht vor.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie BF1 und BF2 erfolgreich auf sein bzw. ihr Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes würde es ferner einen Wertungswiderspruch und eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von Fremden, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, darstellen, zumal diese letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen VwGH 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde).
Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (EGMR U 18.10.2006, Üner gegen Niederlande, Nr. 46.410/99; GK 6.7.2010, Neulinger und Shuruk gegen Schweiz, Nr. 1615/07). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter (EGMR U 31.7.2008, Darren Omoregie ua. gegen Norwegen, Nr. 265/07; U 17.2.2009, Onur gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 27.319/07; siehe dazu auch VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205; 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072) befinden.
Bei BF3 und BF4 ist zu beachten, dass diese im Herkunftsstaat geboren wurden und diese den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens ebenfalls im Herkunftsstaat verbrachten - sie reisten mit etwa zwölf bzw. dreizehneinhalb Jahren aus der Türkei aus und in das österreichische Bundesgebiet ein, gingen dort zur Schule und wurden dort sozialisiert. BF3 und BF4 sprechen Kurdisch und Türkisch und ist auch davon auszugehen, dass noch Anknüpfungspunkte in Form eines gewissen Freundeskreises dort besteht.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet eine Wiedereingliederung der BF3 und des BF4 in Anbetracht dessen als zumutbar.
BF5 wurde im Inland geboren. Ein Naheverhältnis zu Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie wurde im Verfahren nicht dargetan.
Zur Sozialisation und Anpassungsfähigkeit der BF5 ist festzuhalten, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Sozialisation eines in Österreich geborenen eineinhalb-jährigen Kindes in diesem Alter noch nicht einmal begonnen hat. Es ist nicht zu erkennen, weswegen die Sozialisation in diesem Alter nicht auch im Herkunftsstaat erfolgen kann, zumal das Kind im Heimatland weiter in Obsorge der Eltern sein wird und ihm deren Begleitung die Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtern wird (zur Sozialisation von Kindern etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres vgl. VwSlg. 14972 A/1998 und VwGH 19.01.2006, 2005/21/0297).
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes deutet zusammenfassend nichts darauf hin, dass es BF3 bis BF5 gemeinsam und in Begleitung ihrer Eltern im Falle einer Rückkehr in die Türkei nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft zu integrieren. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass BF2 und BF4 den überwiegenden Teil im Herkunftsstaat verbrachten und dort sozialisiert wurden und BF5 sich in einem Alter befindet, das Anpassungsfähigkeit indiziert. Zudem bleiben die engsten Bezugspersonen der minderjährigen BF - nämlich die Eltern und die Geschwister - erhalten. Dass BF3 und BF4 nicht weiter die Schule im Bundesgebiet besuchen können, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vertretbar. Ihnen ist ein weiterer Schulbesuch in der Herkunftsregion möglich.
Die Rückkehr in die Türkei im Familienverbund mit den Eltern ist sohin auch den minderjährigen BF zumutbar. Die gebotene Berücksichtigung des Kindeswohles führt daher nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Rückkehrentscheidung.
Im Übrigen ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schlägt - wenngleich Kindern das fremdenrechtliche Fehlverhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden kann - dieses auch auf die Kinder von Fremden durch und ist daher insbesondere das Bewusstsein der Eltern um die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus auch in Bezug auf die minderjährigen Beschwerdeführer von entscheidungswesentlicher Bedeutung (VwGH 22.02.2017, Ra 2017/19/0001; 20.03.2012, Zl. 2010/21/0471 mwN).
Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten anhand des Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie nach Maßgabe der im Sinne des § 9 BFA-VG angeführten Kriterien gelangt das Bundesverwaltungsgericht - wie bereits das belangte Bundesamt - zum Ergebnis, dass die individuellen Interessen der BF1 bis BF5 im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt sind, dass sie das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG wider die beschwerdeführenden Parteien keine gesetzlich normierten Hindernisse entgegenstehen.
II.3.3.3.Zulässigkeit der Abschiebung:
Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 von Amts wegen gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG2005 (VwGH 15.9.2016, Ra 2016/21/0234).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG 2005 - diese Bestimmungen stellen auf dieselben Gründe ab, wie sie in §§ 3 und 8 AsylG 2005 enthalten sind - glaubhaft zu machen. Es ist die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen; für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße im Sinn des § 50 Abs. 1 FPG 2005 durch den betroffenen Staat bekannt geworden sind (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
Der Prüfungsmaßstab im Hinblick auf den subsidiären Schutz entspricht somit jenem des Refoulementverbots im FPG 2005. Erkennbar eben deshalb ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers aber auch ein gesonderter Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Grunde des § 50 FPG 2005 nicht möglich; einem Fremden ist es verwehrt, eine derartige Feststellung zu begehren, weil über das Thema dieser Feststellung ohnehin im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz abzusprechen ist. Ein inhaltliches Auseinanderfallen der genannten Entscheidungen (insbesondere nach § 8 AsylG 2005) einerseits und der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG 2005 andererseits ist ausgeschlossen (VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).
Bezüglich § 50 Abs. 1 FPG 2005 bleibt festzuhalten, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens betreffend den von den BF gestellten Anträgen auf internationalen Schutz nicht festgestellt werden konnte, dass die BF im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die BF somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht ihnen im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt ausweislich der getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht vor.
Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
Ebenso sind keine von Amts wegen aufzugreifenden stichhaltige Gründe für die Annahme erkennbar, dass im Herkunftsstaat der BF deren Leben oder ihre Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten im Sinn des § 50 Abs. 2 FPG 2005 bedroht wäre und wird insoweit auf die Erwägungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung betreffend den von den BF gestellten Antrag auf internationalen Schutz verwiesen.
Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 3 FPG 2005 schließlich unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine solche Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme besteht hinsichtlich des Staates Türkei nicht.
II.3.3.3. Frist für die freiwillige Ausreise:
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG 2005 ist mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen.
§ 55 Abs. 2 FPG 2005 zufolge beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Die BF haben keine besonderen Umstände im Sinn des § 55 Abs. 2 FPG 2005 aufgezeigt, die zu einer Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise zu führen haben.
II.3.4. Ergebnis:
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich ob der vorstehenden Ausführungen als im Ergebnis rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene gemeinsame Beschwerde als unbegründet abzuweisen ist.
II.4. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung
§ 24 VwGVG lautet:
"(1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
----------
1.-der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2.-die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn
- der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint
oder
- sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH sind für das Absehen einer mündlichen Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen geklärten Sachverhalts allgemein folgende Kriterien beachtlich vgl. Erk. d. VwGH vom 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, Beschluss des VwGH vom 25.4.2017, Ra 2016/18/0261-10):
- Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde von der bB vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und weist dieser bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das ho. Gericht noch immer die gebotene Aktualität und Vollständigkeiten auf.
- Die bP musste die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das ho. Gericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen-
- In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des Behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der bB festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, welches gegen das Neuerungsverbot gem. § 20 BFA-VG verstößt.
- Auf verfahrensrechtliche Besonderheiten ist Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall wurde zwar in der Beschwerdeschrift die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und über das Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens hinaus im Zuge des Rechtsmittelverfahrens behauptet, dass eine Verfolgung aufgrund der exilpolitischen Tätigkeit der BF1 und BF2 vorliege, jedoch haben die BF dies im Rechtsmittelverfahren in keiner Weise substantiiert und haben auch keine Angaben darüber getätigt, seit wann die exilpolitische Tätigkeit in Österreich besteht.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Ausführungen zu den verfahrensrechtlichen Besonderheiten des vorliegenden Falles unter II.2.7.2. verwiesen.
An dieser Stelle sei hervorgehoben, dass die BF zu ihrer exilpolitischen Tätigkeit trotz Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes selbst keinerlei Angaben tätigten (in ihrer Stellungnahme vom 14.6.2019 verwiesen sie - unter Anführung verschiedener Berichte zur HDP und der allgemeinen politischen Situation in der Türkei - lediglich auf die Mitgliedschaft des BF1 bei der HDP in der Türkei und die dortige Teilnahme an Demonstrationen).
In einem Schreiben des XXXX vom 12.6.2019, wurden deren Aktivitäten beschrieben und bestätigt, dass BF1 seit etwa zwei Jahren bei Vereinen der Dachorganisation aktiv und er bei vielen Vereinsaktivitäten ein aktiver Teilnehmer sei. Näheres war diesem Schreiben nicht zu entnehmen.
Durch die mangelnde Mitwirkung der BF in Bezug auf ihre exilpolitische Tätigkeit konnte insbesondere nicht festgestellt werden, ob diese bereits während des Verfahrens der bB bestand und damit auch die Möglichkeit bestanden hätte, der bB davon zu berichten oder ob diese erst im Rechtsmittelverfahren begonnen hat und damit nicht vom Neuerungsverbot im Sinne des § 20 BFA-VG umfasst wäre.
Abgesehen davon gelangte das Bundesverwaltungsgericht, wie ebenfalls unter II.2.7.2. dargestellt, aufgrund der äußerst vagen Angaben der BF über ihre Antragstellung bzw. Beitrittserklärung für " XXXX " aus dem Jahr 2017 in Zusammenschau mit der Tatsache, dass sich der XXXX in seinem Bestätigungsschreiben als Kultur und Bildungsverein präsentiert und daraus auch nicht hervorgeht, dass BF1 in einem der Vereine der Dachorganisation eine Funktion mit maßgeblichem Einfluss oder sonst eine Aufgabe innehätte, die ihm ein herausragendes politisches Profil verleihen würden, sowie aufgrund des Umstandes, dass die BF ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung in Bezug auf ihre exilpolitische Tätigkeit nicht nachkamen, zur Kenntnis, dass ein nennenswertes politisches Engagement und damit einhergehend ein besonderes Profil der BF aufgrund ihrer Aktivitäten in Österreich nicht vorliegt. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass - geht man davon aus, dass die BF tatsächlich erst im Oktober 2017 politisch in Erscheinung getreten sind, als sie ihre Teilnahme an einer Demonstration vermeldeten - diese damit sehr stark den Eindruck erweckten, dass die Mitgliedschaft in einem Kurdischen Verein und die Teilnahme an einer Demonstration in Wien lediglich aus verfahrenstaktischen Gründen eingegangen wurde bzw. erfolgte (die belegte Teilnahme an einer Demonstration erfolgte am 7.10.2017, der Bescheid der bB wurde am 31.7.2017 hinterlegt).
Zwar wurde in der Beschwerdeschrift die persönliche Einvernahme der BF beantragt, jedoch war wie zuvor dargestellt, festzustellen, dass die BF zur Frage der exilpolitischen Tätigkeit und der behaupteten Verfolgung trotz mehrerer Gelegenheiten im Verfahren keine Initiative zur Mitwirkung und Aufklärung des Sachverhaltes zeigten. Im Übrigen wurde in den im Rechtsmittelverfahren erstatteten Stellungnahmen auch nicht dargelegt, dass eine persönliche Einvernahme der BF zur Erhebung in Bezug auf die exilpolitische Tätigkeit als erforderlich erachtet würde noch wurden sonst Ausführungen getätigt oder Beweisanträge gestellt, aus welchen das Gericht hätte erkennen können, was bei einer persönlichen Anhörung konkret an entscheidungsrelevantem und zu berücksichtigendem Sachverhalt noch hervorkommen hätte können.
Aufgrund der geschilderten Umstände im konkret vorliegenden Einzelfall wurde trotz der Behauptung im Rechtsmittelverfahren, die BF würden im Rückkehrfall der Gefahr einer Inhaftierung wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit entgegenzusehen haben, von einer mündlichen Erörterung dieser Frage abgesehen.
Zum übrigen Vorbringen der BF ist festzuhalten, dass der Sachverhalt von der bB vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde.
Eine Verletzung von Art. 6 EMRK stellt die unterlassene Verhandlung nicht dar, zumal gem. ständiger Judikatur VwGHs (vgl. Erk. vom 5.9.2002, Zl 98/21/0124 mwN) und des VfGHs (vgl. etwa Erk. v. 15.10.2004, GZ G237/63 ua) Art. 6 EMRK im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren nicht zur Anwendung kommt (vgl. auch EGMR 5.10.2000, Fall Maaouia, Appl. 39.652/98).
Ebenso ergibt sich auch aus dem auf Asylverfahren anwendbaren Art 47 der Grundre-chtecharta der Europäischen Union im gegenständlichen Fall keine Verhandlungspflicht (Erk. d. VfGH U 466/11-18, U 1836/11-13). In diesem Zusammenhang wird auch auf das Erk. des VwGH vom 27.9.2013, Zl. 2012/05/0213 verwiesen ("...Im Übrigen lassen die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die vorgelegten Verwaltungsakten erkennen, dass die Erörterung in einer Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal das Verfahren rechtliche ... Fragen betrifft, zu deren Beantwortung auch im Sinne der Judikatur des EGMR (Hinweis E vom 28. Mai 2013, 2012/05/0120 bis 0122, mwH auf die Rechtsprechung des EGMR; ferner etwa das Urteil des EGMR vom 18. Juli 2013, Nr. 56422/09, Schädler-Eberle gegen Liechtenstein) eine öffentliche, mündliche Verhandlung nicht geboten erscheint."), wo das genannte Höchstgericht zum Schluss kam, dass keine Verhandlung durchzuführen ist (zumal sich § 24 Abs. 4 VwGVG mit § 39 Abs. 2 Z 6 WvGG inhaltlich deckt, erscheinen die dort angeführten Überlegungen im gegenständlichen Fall sinngemäß anwendbar).
Aufgrund der oa. Ausführungen konnte die Durchführung einer Verhandlung unterbleiben.
Zu B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, zum Refoulementschutz und zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.
Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.
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