VwGH 2005/21/0297

VwGH2005/21/029719.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der M und deren Kinder A und U, sämtliche wohnhaft in Kapfenberg, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in 8600 Bruck/Mur, Koloman Wallisch-Platz 22, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 4. März 2005, Zl. Fr 815/4-2004, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §45;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §33 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführer, Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, gemäß den §§ 31, 33 Abs. 1 und 37 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I 75, aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie darauf, dass "Sie (die Erstbeschwerdeführerin) und Ihre minderjährigen Kinder" am 11. Juni 1999 in einem Lkw versteckt illegal in das Bundesgebiet eingereist seien. Der Asylantrag (der Erstbeschwerdeführerin) sei rechtskräftig mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Dezember 1999 abgewiesen und es sei gemäß § 8 AsylG rechtskräftig festgestellt worden, dass ihre Abschiebung nach Serbien und Montenegro zulässig sei. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer (Kinder der Erstbeschwerdeführerin) seien im Inland geboren worden. Sämtliche Beschwerdeführer hielten sich unberechtigt im Bundesgebiet auf, weil sie über keine Bewilligung nach dem Asyl- oder Fremdengesetz verfügten. Der Anwendung des § 33 Abs. 1 FrG stehe kein rechtliches Hindernis entgegen.

Der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Das maßgebliche öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei noch zusätzlich in der Form verletzt worden, dass sich die Erstbeschwerdeführerin bei der Einreise der Hilfe eines Schleppers bedient habe. Die öffentliche Ordnung werde schwer beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die Beschwerdeführer lebten bei einem "Bekannten" in Kapfenberg, der auch für ihren Lebensunterhalt sorge. Die Erstbeschwerdeführerin habe (von den Kindern abgesehen) keine Familienangehörigen im Bundesgebiet und gehe hier auch keiner (erlaubten) Beschäftigung nach.

Auch wenn mit der Ausweisung ein Eingriff nach § 37 Abs. 1 FrG verbunden sei, sei die Ausweisung unter Berücksichtigung der persönlichen Interessenlage der Beschwerdeführer zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und zulässig. Das private Interesse der Beschwerdeführer weise nicht ein derartiges Gewicht auf, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Ausweisung in den Hintergrund treten würde.

Es könne auch nicht das der Behörde bei der Erlassung einer Ausweisung eingeräumte Ermessen zu Gunsten der Beschwerdeführer ausgeübt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 33 Abs. 1 FrG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der belangten Behörde ist zuzugestehen, dass sich die Beschwerdeführer wegen des Fehlens einer Aufenthaltsberechtigung für Österreich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Der Behörde ist jedoch - abweichend von der Rechtslage nach dem Fremdengesetz 1992 - insofern Ermessen eingeräumt, als sie durch § 33 Abs. 1 FrG ermächtigt wird, bei Vorliegen bestimmter Umstände von einer Ausweisung abzusehen. Für die Ausübung dieses Ermessens ist - ebenso wie bei der Frage der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - nicht bloß das Gewicht der privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden von entscheidender Bedeutung. Die Behörde hat vielmehr bei ihrer Ermessensentscheidung in Erwägung zu ziehen, ob und wenn ja welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung für und gegen die Ausweisung sprechen und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des Fremdengesetzes 1997 leiten zu lassen. Sie hat dabei den für ihre Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt unter entsprechender Wahrung des Parteiengehörs (§ 45 AVG) festzustellen und in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, Zl. 2001/21/0141 bis 0144).

Zu den Umständen ihres inländischen Aufenthaltes verweisen die Beschwerdeführer darauf, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer seit ihrer Geburt in Österreich aufhielten und deren Vater den Unterhalt aller Beschwerdeführer sichere, wobei die Erstbeschwerdeführerin dessen Namen aus persönlichen Gründen nicht bekanntgegeben habe; die Wohnversorgung sei durch einen weiteren Bekannten sicher gestellt. In der Berufung ist vorgebracht worden, dass nach dem Ausbruch des Krieges in der Heimat der Erstbeschwerdeführerin alle ihre Familienmitglieder und Verwandten Serbien und Montenegro verlassen und "sich in die verschiedensten Gegenden zerstreut" hätten. Es existierten keine familiären Anknüpfungspunkte in der Heimat der Beschwerdeführer. Dieses Vorbringen wird im angefochtenen Bescheid nicht in Abrede gestellt. Weiters liegt klar auf der Hand, dass die seit ihrer Geburt in Österreich befindlichen Kinder der Erstbeschwerdeführerin über keinerlei Integration im Heimatstaat der Erstbeschwerdeführerin verfügen, sondern die etwa mit Vollendung des dritten Lebensjahres beginnende Sozialisation (vgl. dazu etwa den hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0150, Slg. 14.972/A) in Österreich stattfindet.

Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, dass die Erstbeschwerdeführerin am 11. April 2001 bei der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur vorgesprochen und bekanntgegeben hat, dass sie gegen den eingangs genannten Asylbescheid eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht habe (Zl. 2000/01/0140). Der Verwaltungsakt wurde in der Folge mehrfach kalendiert. Erst mit Datum vom 25. Oktober 2004 ist vermerkt, dass die Behandlung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde am 7. Dezember 2000 abgelehnt worden sei (richtig: mit Beschluss vom 15. November 2000, abgefertigt am 7. Dezember 2000). Am 25. Oktober 2004 erließ die Behörde erster Instanz einen Ladungsbescheid gegenüber der Erstbeschwerdeführerin "zur Erledigung einer fremdenrechtlichen bzw. aufenthaltsrechtlichen Angelegenheit".

Die belangte Behörde hat somit nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages der Erstbeschwerdeführerin und auch noch nach Ablehnung der Behandlung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde fast vier Jahre mit der Durchführung des Ausweisungsverfahrens zugewartet, ohne - aktenmäßig nachvollziehbar - der Beschwerdeführerin nach ihrer Vorsprache die Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes vor Augen zu führen und sie zum Verlassen des Bundesgebietes aufzufordern. Dieses Zuwarten hatte - wie bereits erwähnt - zur Folge, dass die (bisherige) Sozialisation der hier geborenen Kinder im Inland stattfinden konnte. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles kann es nicht als rechtmäßig gesehen werden, dass die belangte Behörde nach Ablauf der genannten Zeit von ihrer Ermächtigung zur Erlassung einer Ausweisung Gebrauch gemacht hat.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, wobei ein Additionsfehler im Kostenverzeichnis zu berichtigen war. Das Gebührenmehrbegehren war abzuweisen, weil für die eingebrachte Beschwerde eine Eingabengebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG iVm § 7 GebG von lediglich EUR 180,-- fällig geworden ist.

Wien, am 19. Jänner 2006

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