VwGH 96/18/0150

VwGH96/18/015017.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, in der Beschwerdesache des D K, vertreten durch Dr. Alfred Feitsch, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Hetzgasse 45, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Februar 1996, Zl. SD 1487/95, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, den Beschluß gefaßt:

Normen

FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
VwRallg;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. Februar 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Jugoslawischen Föderation, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren erlassen.

Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer, der sich seit 1984 in Österreich aufhalte, zuerst am 25. Jänner 1995 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls in drei Fällen durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat, bedingt auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden sei, und - kurz darauf - neuerlich vom Jugendgerichtshof Wien, und zwar am 27. April 1995, wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs.1 Z. 4, 129 Z. 1, 130 (vierter Fall) StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt worden sei. Wie auch das Schöffengericht des Jugendgerichtshofs Wien in seiner Urteilsbegründung festgestellt habe, sei der Beschwerdeführer bereits zwei Tage nach dem Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 25. Jänner 1995 massiv rückfällig geworden und habe innerhalb von nur einem Monat 29 Einbruchsdiebstähle mit verschiedenen Mittätern begangen, wobei regelmäßig in der gleichen Art und Weise vorgegangen worden sei. Die Diebsbeute sei beim Beschwerdeführer im Keller verwahrt und dann an einen Hehler verkauft worden. Der Beschwerdeführer und einer der Mittäter hätten die Taten in der Absicht begangen, sich dadurch ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen.

2.1. Mit dem - am 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen - Fremdengesetz 1997 - FrG , BGBl. I Nr. 75, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unterschiedlich zu jenen des FrG aus 1992 geregelt. Die Abs. 4 und 7 des § 114 FrG lauten:

"(4) Aufenthaltsverbote, die beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof angefochten sind, treten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes außer Kraft, sofern der angefochtene Bescheid nicht offensichtlich auch in den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes eine Grundlage fände.

(7) In den Fällen der Abs. 4 und 5 ist die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers einzustellen; mit dem Beschluß über die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde tritt in diesen Fällen auch der Bescheid erster Instanz außer Kraft. Solchen Aufenthaltsverboten oder Ausweisungen darf für Entscheidungen, die nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getroffen werden sollen, keine nachteilige Wirkung zukommen."

2.2. Die Voraussetzungen für die Erklärung der Beschwerde als gegenstandslos und die Einstellung des Verfahrens im Sinn der genannten Bestimmungen sind im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen erfüllt:

Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, wobei Fremde gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen sind, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und zuletzt seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind.

In den Gesetzesmaterialien wird zum Verständnis des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG ausgeführt, daß solche Fremde als "von klein auf im Inland aufgewachsen" gelten sollen, "deren Aufenthaltsrecht noch im Kleinkindalter (2. bis 3. Lebensjahr oder früher) begründet wurde", und mit dieser Bestimmung auch dem Umstand Rechnung getragen werden soll, "daß viele Fremde der zweiten Generation entweder bereits in Österreich geboren wurden, oder mit ihren Eltern als Kind nach Österreich gekommen sind" (RV 685 BlgNR 20. GP, S 76 f). Im Rahmen eines in den Gesetzesmaterialien gegebenen Beispieles einer Person, die als dreijähriges Kind gemeinsam mit ihren Eltern nach Österreich einreist, dann in Österreich (rechtmäßig) ihre gesamte Kindheit und Jugend verbringt, nach (erfolgreichem) Abschluß der Schule beruflich tätig ist, jedoch nie die österreichische Staatsbürgerschaft erwirbt, wird darauf hingewiesen, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber einer solchen Person bedeuten würde, daß diese - so sie nicht freiwillig ausreist - in ihre (lediglich) "durch den Reisepaß definierte 'Heimat' abgeschoben" würde, die sie "kaum kennt", deren Sprache ihr in der Regel weniger geläufig ist als die Deutsche und deren soziales Gefüge ihr fremd ist. Den solcherart umschriebenen Umständen läßt sich entnehmen, daß es für die Bestimmung, welches Lebensalter der Wendung "von klein auf" zu subsumieren ist, maßgeblich auf die Integration in das in Österreich gegebene soziale Gefüge sowie auch auf die Kenntnis der deutschen Sprache ankommt. Die Einübung in soziale Verhältnisse außerhalb des engen Familienkreises - wie sie für die vom Schutzzweck des § 38 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. geforderte Vertrautheit mit dem sozialen Gefüge maßgeblich ist - beginnt aber aus dem Blickwinkel der Sozialisation des Kindes "etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres", wobei jedoch die Abgrenzung zum vorangehenden Lebensabschnitt "fließend" ist (vgl. den Artikel "Sozialisation" in der Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden,

19. Auflage, 20. Band, Mannheim 1993, S 534). Die genannte altersmäßige Abgrenzung ist auch aus entwicklungspsychologischer Sicht von Bedeutung, wird doch die "Phase der ersten Verselbständigung" - das ist das Stadium, in dem Kinder auch familienfremde Erzieher akzeptieren, mit anderen Kindern Freundschaften anbahnen, Spiele spielen, sich ins Gruppenleben integrieren und somit ihren Lebensbereich über ihre unmittelbare familiäre Spähre hinaus ausdehnen können - mit etwa drei Jahren erreicht (vgl. Schenk-Danzinger, Entwicklungspsychologie, 24. Auflage, Wien 1996, S 219 f).

Vor diesem Hintergrund ist die besagte Wendung so zu deuten, daß sie jedenfalls für eine Person, die erst im Alter von vier Jahren oder später nach Österreich eingereist ist, nicht zum Tragen kommen kann. Aber auch eine Person, die zwar vor Vollendung ihres vierten Lebensjahres nach Österreich einreiste, sich aber (kurz) danach wieder für längere Zeit ins Ausland begeben hat und somit nicht schon im Kleinkindalter sozial in Österreich integriert wurde, wird man von dieser Regelung - weil eine solche Person nicht in Österreich "aufgewachsen" ist - nicht als erfaßt ansehen können.

2.3. Der am 8. Juni 1979 geborene Beschwerdeführer hält sich nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid erst seit dem Jahr 1984 - somit jedenfalls nach Vollendung seines vierten Lebensjahres - in Österreich auf.

Schon in seiner Berufung in der Erstbeschwerde hat der Beschwerdeführer aber vorgebracht, daß er von 1980 bis 1982 in Österreich gelebt habe. (In seiner Beschwerde führt der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang aus, daß er von seinen 17 Lebensjahren 15 in Österreich verbracht habe.) Seiner Darstellung nach hat sich der Beschwerdeführer somit in Österreich von klein auf - allerdings mit einer (um das Jahr 1983 gelegenen) Unterbrechung - in Österreich aufgehalten. Der angefochtene Bescheid setzt sich mit dieser Frage - ebenso wie mit jener, ob der Aufenthalt des Beschwerdeführers langjährig rechtmäßig im Sinne des § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG gewesen ist - nicht auseinander (und mußte sich nach der zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides geltenden Rechtslage auch nicht damit auseinandersetzen).

Schon von daher kann nicht gesagt werden, daß der angefochtene Bescheid gemäß § 114 Abs. 4 FrG "offensichtlich auch in den Bestimmungen des Bundesgesetzes eine Grundlage fände", weshalb er nach dieser Bestimmung mit 1. Jänner 1998 außer Kraft getreten ist.

3. Nach dem Gesagten war die Beschwerde - in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 FrG ohne Zuspruch von Aufwandersatz als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Wien, am 17. September 1998

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