BVwG W187 2159920-1

BVwGW187 2159920-19.2.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W187.2159920.1.00

 

Spruch:

W187 2159920-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz vom 4.5.2017, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2017 zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 2.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen seiner Erstbefragung am 3.11.2015 gab der Beschwerdeführer an, von den Taliban bedroht worden zu sein, da er gegenüber den staatlichen Behörden Angaben über die Taliban gemacht habe. Er sei geflüchtet, da ihn die Taliban haben umbringen wollen.

 

2. Am 24.4.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, am XXXX im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Ghazni, geboren worden zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab er zunächst an, wenn er als Kind geweint habe, hätten seine Eltern zu ihm gesagt, dass er nicht weinen solle, da ihn sonst die Paschtunen holen würden. Weiter führte er aus, dass die Taliban jedes Jahr im Frühling zu kämpfen beginnen würden und die Regierung die Dorfbewohner als Unterstützung gegen die Taliban brauche. Im Dorf des Beschwerdeführers hätten täglich drei Personen die Grenze mit Kameras kontrollieren müssen. Im Jahr 2014 sei der Beschwerdeführer an der Reihe gewesen. An diesem Tag sei Krieg gewesen. Dabei seien ein Polizist und drei Taliban gestorben. Ein Freund des Beschwerdeführers sei als Geisel genommen und von den Taliban entführt worden, habe allerdings wieder flüchten können. Am 5.1.2014 sei vor der Haustür des Beschwerdeführers ein Drohbrief der Taliban hinterlegt worden. Der Beschwerdeführer habe sich bei der Justiz erkundigt und ihm sei geraten worden, seinen Heimatort sofort zu verlassen.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

 

4. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 4.5.2017 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig die XXXX als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

 

5. Mit weiterer Verfahrensanordnung des BFA vom 4.5.2017 wurde der Beschwerdeführer über seine Verpflichtung, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen, informiert.

 

6. Mit Eingabe vom 22.5.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seinen Rechtsberater, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

 

7. Mit Eingabe vom 1.6.2017 wurden dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens zur Entscheidung vorgelegt.

 

8. Mit Schreiben vom 29.11.2017 wurden dem Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsberater, gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Wahrung des Parteiengehörs die in das Verfahren eingebrachten aktuellen Länderinformationen zur Lage in Afghanistan mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht.

 

9. Am 18.12.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

 

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

 

"[ ]

 

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

 

Beschwerdeführer: Ja.

 

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

 

Beschwerdeführer: Ja.

 

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

 

Beschwerdeführer: Nein.

 

Richter: Geben Sie Ihre Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

 

Beschwerdeführer: Ich bin in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX geboren, ich bin am XXXX nach Ihrer Zeitrechnung geboren. XXXX nach dem afghanischen Kalender.

 

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

 

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari und ein wenig Deutsch, ein wenig Urdu verstehe ich auch. Ich kann auf Dari lesen und schreiben und auf Deutsch natürlich auch.

 

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

 

Beschwerdeführer: Ich bin ledig und gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bin Schiite.

 

Richter: Haben Sie Kinder?

 

Beschwerdeführer: Nein.

 

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

 

Beschwerdeführer: Wir sind ursprünglich aus XXXX . Geboren bin ich im Distrikt XXXX . Nach meiner Geburt sind wir nach XXXX übersiedelt. Ich habe in der Provinz Ghazni bis zu meiner Ausreise gelebt. Ich habe in Bamyan etwa ein Monat alleine gelebt. Ich habe auch 6 Monate in Kabul gelebt. Danach habe ich die Heimat verlassen.

 

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

 

Beschwerdeführer: Das Haus hat uns gehört.

 

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas anderes?

 

Beschwerdeführer: Ich habe als Mechaniker gearbeitet. Bevor ich angefangen habe, als Mechaniker zu arbeiten, habe ich auch eine Schule besucht. Ich habe 9 Schulstufen besucht. Die 10. Schulstufe habe ich nicht abgeschlossen.

 

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

 

Beschwerdeführer: Mein Vater ist seit 1377 (1998/99) verschollen. Meine Mutter hat dann wieder geheiratet, nachdem mein Vater verschollen war. Meine Mutter hat 3 weitere Kinder. Meine Halbschwester heißt XXXX , danach kommt mein Halbbruder namens XXXX , mein jüngster Halbbruder heißt XXXX . Sonst habe ich niemanden. Ich habe noch eine Tante väterlicherseits, die ich nicht kennengelernt habe. Ich weiß, dass sie in den Iran geflüchtet ist. Andere Angehörige habe ich nicht.

 

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

 

Beschwerdeführer: Gelegentlich rufe ich meine Mutter an.

 

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

 

Beschwerdeführer: Das weiß ich nicht, ob das möglich ist. Sie hat jetzt eine eigene Familie.

 

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

 

Beschwerdeführer: Hier in Österreich arbeite ich gelegentlich in der Gemeinde, ich besuche auch einen Deutschkurs, ich helfe auch hier und da aus. Damit beschäftige ich mich.

 

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

 

Beschwerdeführer: Ja. Sie sind Österreicher.

 

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

 

Beschwerdeführer: Nein. Ich helfe bei der XXXX aus.

 

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

 

Beschwerdeführer: Nein.

 

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

 

Beschwerdeführer: Ich gebe Ihnen das Jahr laut meiner Zeitrechnung an, 1393 (2014/15, 21.3.2014 – 20.3.2015). Es ist so, dass in den Sommermonaten 3 Familien unsere Gegend überwachen. Wir haben damals überwacht. Wir hatten die Zuständigkeit. Polizisten waren in unserer Gegend und haben uns darum gebeten, ihnen unsere Gegend zu zeigen. Wir hatten Fernrohre, von Hügeln aus haben wir unsere Gegend beobachtet. Diese Gegend wird von den Taliban kontrolliert. Die nächste Gegend, die relativ sicher ist, ist ungefähr 2 Stunden von uns entfernt. An jenem Tag, wo wir den Polizisten die Gegend gezeigt haben, wurden wir von den Taliban überfallen. Wir haben uns auf einem Hügel aufgehalten. Wir hatten unsere Fern-rohre dabei. Meine 2 Freunde waren bei mir, als die Taliban geschossen haben, haben sie einen Freund verletzt, getroffen. Der andere Freund von mir wurde von den Taliban gefangen genommen. Ich konnte flüchten. Bei dieser Auseinandersetzung wurden 3 Taliban und ein Polizist getötet. Ich habe die Flucht ergreifen können. Ich bin in unsere Gegend zurückgegangen. Etwa 2 Wochen nach diesem Vorfall habe ich einen Drohbrief erhalten. Der Freund, der von den Taliban verschleppt wurde, so habe ich erfahren, dass eine Hand abgetrennt wurde. Damit meine ich, dass ein Daumen abgetrennt wurde.

 

Übersetzung des Drohbriefs: "Der Staat Emirate Afghanistan verurteilt Sie zu Tode. Im Falle dessen, wenn du erwischt wirst, werden wir dich töten. XXXX ist das Schreiben verfasst."

 

Beschwerdeführer: Das Drohschreiben lag vor unserer Haustüre. Meine Brüder haben diesen Brief gefunden und meiner Mutter gegeben, meine Mutter hat mich dann angerufen. Meine Mutter hat nicht verstanden, was in dem Schreiben genau drinnen steht. Sie meinte, ich hätte ein Schreiben aus dem Distrikt bekommen. Ich bin dann nach Hause gekommen. Ein Freund namens XXXX , dieser Mann hat bei der Distriktverwaltung im Bereich der Justiz gearbeitet. Ich habe ihm das Drohschreiben gezeigt. Ich wollte mich beraten, ob ich eine An-zeige bei der Distriktverwaltung machen soll oder nicht. Er hat mir dann erklärt, dass die Gegner ihre Leute in der Distriktverwaltung eingeschleust haben, wenn ich eine Anzeige mache, wird man mich sofort töten. Die Polizisten sind mit diesen Leuten vernetzt. Wenn man dich tötet, wir sich niemand darum kümmern. Ich habe dann meiner Mutter gesagt, dass ich nach XXXX gehen werde. Etwa eine Woche habe ich noch Zuhause verbracht, ich meine, nachdem ich das Drohschreiben bekommen habe. Ich war am Nachhauseweg, als ich von einem Auto angefahren wurde. Ich war auf einem Motorrad unterwegs, ich wurde von hinten angefahren, ich bin seitlich in eine Grube gefallen, ich hatte Verletzungen im Gesicht. Das Fahrzeug ist nicht stehen geblieben sondern einfach weiter gefahren. Ich war dann im Krankenhaus und wurde dort versorgt. Etwa 7 oder 8 Tage nach diesem Vorfall habe ich meine Reise nach XXXX angetreten. In XXXX habe ich 15 Tage verbracht. Ich war dann in XXXX in einem Bazar, dort gab es einen Hamam. Als ich dann zurückgekommen bin zu meinem Schlafplatz, war es bereits dunkel. Ich war am Weg als 7 oder 8 Personen, die maskiert waren, mich festgehalten haben und mich angegriffen haben. Sie haben mich getreten und geschlagen. Mein Gewand war zerrissen und ich hatte 2 Platzwunden am Kopf. Es hat sich eine Menschenmenge um mich versammelt und diese Leute haben mich ins Krankenhaus gebracht. Etwa 12 oder 14 Tage nach diesem Vorfall habe ich entschieden, nach Kabul zu reisen. In Kabul habe ich Miete bezahlt für einen Schlafplatz. In Kabul habe ich ein Ansuchen gestellt um einen Reisepass zu erhalten und habe einen bekommen. Etwa ein Monat und einige Tage später habe ich einen Reisepass erhalten. Ich war bei einigen Botschaften und wollte ein Visum beantragen. Ich wurde abgelehnt wegen meines Alters. Ich habe dann ein elektronisches Visum für Aserbaidschan erhalten. Ich habe für das Visum 2500 Euro bezahlen müssen, damit ich dorthin kann. Aserbaidschan hat keine Botschaft in Afghanistan. Ich konnte nicht nach Aserbaidschan fliegen. Ich habe ein Visum für Indien erhalten. Ich wollte von Indien weiter nach Aserbeidschan über den Transitweg. In Indien wurde mir erklärt, dass sie keine direkten Flüge dorthin anfliegen. Sie habe mich gefragt ob ich ein Visum für Qatar besitze, ich habe es verneint. Man hat mir erklärt, dass ich in Indien bleiben darf, nach Aserbaidschan darf ich nicht weiterfliegen. Ich habe nur einen einzigen Tag in Indien verbracht. Am nächsten Tag bin ich nach Afghanistan zurückgeflogen. Die Person, die mir das Visum für Aserbaidschan besorgt hat, habe ich kontaktiert. Er hat mir angeraten, in den Iran zu kommen. Er meinte, im Iran kümmert er sich darum, damit ich weiter kann. Ein Visum für den Iran habe ich nicht erhalten. Ich stand auf der sogenannten schwarzen Liste da ich noch minderjährig bin, mit dieser Begründung. Ich bin dann illegal in den Iran gekommen. Im Iran wurde ich von überfallen. Sie haben alle Wertgegenstände gestohlen. Die Grundstücke, die von meinem Vater vererbt worden sind, habe ich verkaufen müssen. Einen anderen Ausweg hatte ich nicht. Ich habe dann entschieden, nach Europa weiter zu reisen.

 

Richter: Sie haben gesagt, dass eine Anzeige bei der Polizei nicht möglich war, weil "sie" mit der Polizei vernetzt waren. Sie haben doch selbst für die Polizei gearbeitet. Wie passt das zusammen?

 

Beschwerdeführer: Wir sind verpflichtet dazu gewesen, die Polizei zu unterstützen. Wie gesagt, gab es ein Rad, jeder war dazu verpflichtet, damit die Gegend sicherer wird.

 

Richter: In dem Akt sind eine Reservierungsbestätigung und eine Visitenkarte von einem Hotel aus XXXX . Sind Sie in diesem Hotel tatsächlich abgestiegen?

 

Beschwerdeführer: Die Voraussetzung, dass ich das Visum bekommen, war damit verknüpft, dass mir auch ein Hotel reserviert wird.

 

Richter: Im Iran haben Sie gesagt, hat man Ihnen die Einreise verwehrt, weil Sie minderjährig sind. Sie müssen zu diesem Zeitpunkt etwa 20 Jahre alt gewesen sein. Gilt das als minderjährig?

 

Beschwerdeführer: Sie haben mir diese Begründung genannt. Der Beamte vor Ort hat gesagt, wenn ich 400 Dollar bezahle, streicht er mich von der schwarzen Liste.

 

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

 

Beschwerdeführer: Ich bin von den Taliban bedroht. Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass mein Vater eine Feindschaft hatte. Mit anderen Bewohnern aus dem Distrikt XXXX , das waren Paschtunen. Das ist eine Feindschaft die über Generationen geht, weil dieser Feind glaubt irrtümlich, dass mein Vater seinen Vater getötet hat. Ich habe persönlich mit niemandem eine Feindschaft, nur die Taliban stellen ein Problem für mich dar.

 

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

 

Beschwerdeführer: Ich bin aus dem Iran in die Türkei gekommen. Ich habe ca. 12 Tage gebraucht, um in der Türkei anzukommen, eine Woche habe ich dort verbracht. Von dort aus bin ich weiter nach Griechenland gekommen. Die Namen der Länder, über die ich gereist bin bis nach Österreich, habe ich vergessen. Als ich meine Reise aus dem Iran angetreten habe, bin ich hauptsächlich nachtsüber gereist. Ich habe an Schlafstörungen und Kopfschmerzen gelitten.

 

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

 

Beschwerdeführer: Ich habe die Grundstücke, die ich von meinem Vater geerbt habe, verkauft.

 

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

 

Beschwerdeführer: Ich kann nicht in Afghanistan leben. Mein Antrag wurde abgelehnt.

 

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

 

Beschwerdeführer: Ich habe dort nichts und niemanden, keine Lebensgrundlage.

 

Richter: Wären Sie in Afghanistan einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt?

 

Beschwerdeführer: Ja. Mir droht eine Gefahr seitens der Taliban. Nachdem ich diesen Droh-brief erhalten hatte, wurde ich 2 Mal angegriffen. Ich habe in Kabul mich nicht getraut, an einem Ort zu bleiben. Ich habe ständig meinen Schlafplatz/Wohnort gewechselt. Die paar Monate, die ich in Kabul verbracht habe, habe ich nicht an einem Ort verbracht."

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

 

1. Feststellungen (Sachverhalt)

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

 

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, nach eigenen Angaben geboren am XXXX und somit volljährig, und stellte am 2.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Dari und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Er ist ledig und kinderlos. Er wurde in der Provinz Ghazni geboren lebte bis zu seiner Ausreise nach Bamyan in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX . Der Beschwerdeführer lebte in seinem Heimatdistrikt gemeinsam mit seiner Familie – das sind jedenfalls seine Mutter und seine drei Halbgeschwister – in einem eigenen Haus und besuchte dort die Schule bis zur neunten Schulstufe. Seit seinem 13. Lebensjahr arbeitete der Beschwerdeführer in XXXX als Mechaniker und finanzierte sich durch diese berufliche Tätigkeit seinen Lebensunterhalt. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 verließ der Beschwerdeführer seine Heimatprovinz Ghazni und hielt sich zunächst für eine kurz Zeit in Bamyan auf, bevor er weiter nach Kaul reiste, wo er mindestens sechs Monate lebte. Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfügt außerhalb seiner Heimatprovinz über keine sozialen Anknüpfungspunkte.

 

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

 

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan im September 2015 verlassen und reiste nach Europa.

 

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

 

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als schiitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

 

Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

 

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

 

Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

 

Der Beschwerdeführer nahm bis Dezember 2017 an einem sprachfördernden Deutschunterricht teil und legte ein Zertifikat über die Absolvierung der Deutschprüfung A2 vor. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Arbeitserlaubnis und lebt von der Grundversorgung. Er hat einige österreichische Freunde und hilft in seiner Freizeit bei der " XXXX " aus.

 

In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

 

Der Beschwerdeführer ist gesund, nimmt keine Medikamente und befindet sich nicht in medizinischer Behandlung.

 

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

 

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

 

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

 

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 25.9.2017):

 

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage – Q3.2017

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab – auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

 

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

 

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle

 

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs – improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen – nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

 

Zivilist/innen

 

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

 

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer – speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

 

High-profile Angriffe

 

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

 

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

 

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

 

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

 

"Green Zone" in Kabul

 

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

 

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound – auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

 

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul – dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

 

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll – in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

 

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army – ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police – ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

 

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

 

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Taliban

 

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban – im Gegensatz zum Jahr 2016 – keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt – nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

 

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

 

Politische Entwicklungen

 

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten – dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

 

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

 

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage – Q2.2017

 

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert – eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten – gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

 

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

 

ANDSF – afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF – Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

 

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA – Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP – Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

 

High-profile Angriffe

 

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

 

Hauptstadt Kabul

 

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

 

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

 

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

 

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

 

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten– den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten – kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

 

Herat

 

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani – stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes – verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

 

Mazar-e Sharif

 

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

 

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

 

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

 

Taliban

 

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

 

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

 

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal’ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha’ al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

 

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Der IS-Zweig in Afghanistan – teilweise bekannt als IS Khorasan – ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

 

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

 

1.4.3 Politische Lage

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9 .2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) – nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017).

 

Parlament und Parlamentswahlen

 

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9 .2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9 .2016).

 

Parteien

 

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange – werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016).

 

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

 

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9 .2016).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess

 

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9 .2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

 

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahrenaus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

 

1.4.4 Sicherheitslage

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie zB Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie zB in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

 

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

 

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10 % der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2 % der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2 % gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32 % gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt – ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter – der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl auch:

 

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

 

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban – dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

 

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig – speziell in der Stadt Kabul –,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus – wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

 

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

 

Al-Qaida

 

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100 bis 300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300 bis 500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

 

Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh – Islamischer Staat

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan – in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl auch: MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016). Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie zB die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hArt in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

 

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

 

Einkünfte aus dem Drogenschmuggel versorgen auch weiterhin den Aufstand und kriminelle Netzwerke (USDOD 12.2016). Laut einem Bericht des afghanischen Drogenbekämpfungsministeriums vergrößerte sich die Anbaufläche für Opium um 10 % im Jahr 2016 auf etwa 201.000 Hektar. Speziell in Nordafghanistan und in der Provinz Badghis verstärkte sich der Anbau: Blaumohn wächst in 21 der 34 Provinzen im Vergleich zum Jahr 2015, wo nur 20 Provinzen betroffen waren. Seit dem Jahr 2008 wurde zum ersten Mal von Opiumanbau in der Provinz Jawzjan berichtet. Helmand bleibt mit 80.273 Hektar (40 %) auch weiterhin Hauptanbauprovinz, gefolgt von Badghis, Kandahar und der Provinz Uruzgan. Die potenzielle Opiumproduktion im Jahr 2016 macht insgesamt 4.800 Tonnen aus – eine Steigerung von 43 % (3.300 Tonnen) im Gegensatz zum Jahr 2015. Die hohe Produktionsrate kann einer Steigerung des Opiumertrags pro Hektar und eingeschränkten Beseitigungsbemühungen aufgrund von finanziellen und sicherheitsrelevanten Ressourcen zugeschrieben werden. Hauptsächlich erhöhten sich die Erträge aufgrund von vorteilhaften Bedingungen, wie zB des Wetters und nicht vorhandener Pflanzenkrankheiten (UN GASC 17.12.2016).

 

Zivile Opfer

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1.2016 und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 2 % bei Getöteten und eine Erhöhung um 6 % bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation war weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED) und gezielten und willkürlichen Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) – eine Erhöhung von 24 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) – eine Erhöhung von 17 % gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) – eine Erhöhung von 34 % gegenüber dem Vorjahreswert aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

 

Laut UNAMA waren 61 % aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24 % regierungsfreundlichen Kräften (20 % den afghanischen Sicherheitskräften, 2 % bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2 % internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10 % zivile Opfer, während 5 % der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017). Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte: Die Taliban greifen weiterhin Mitarbeiter/innen lokaler Hilfsorganisationen und internationaler Organisationen an – nichtsdestotrotz sind der Ruf der Organisationen innerhalb der Gemeinschaft und deren politischer Einfluss ausschlaggebend, ob ihre Mitarbeiter/innen Problemen ausgesetzt sein werden. Dieser Quelle zufolge sind Mitarbeiter/innen von NGOs Einschüchterungen der Taliban ausgesetzt. Einer anderen Quelle zufolge kam es im Jahr 2015 nur selten zu Vorfällen, in denen NGOs direkt angegriffen wurden (IRBC 22.2.2016). Angriffe auf Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen wurden in den letzten Jahren registriert; unter anderem wurden im Februar 2017 sechs Mitarbeiter/innen des Internationalen Roten Kreuzes in der Provinz Jawzjan von Aufständischen angegriffen und getötet (BBC News 9.2.2017); im April 2015 wurden fünf Mitarbeiter/innen von "Save the Children" in der Provinz Uruzgan entführt und getötet (The Guardian 11.4.2015). Die norwegische COI-Einheit Landinfo berichtet im September 2015, dass zuverlässige Berichte über konfliktbezogene Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen vorliegen. Andererseits konnte nur eine eingeschränkte Berichtslage bezüglich konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokaler Angestellter ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014). Grundsätzlich sind Anfeindungen gegen afghanische Angestellte der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürger/innen verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis bei den internationalen Truppen zurückzuführen. Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Beruf für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

1.4.4.1 Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

Distrikt Kabul

 

Gewalt gegen Einzelpersonen-21

 

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe-18

 

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen-50

 

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften-31

 

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt-28

 

Andere Vorfälle-3

 

Insgesamt-151

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Provinz Kabul

 

Gewalt gegen Einzelpersonen-5

 

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe-89

 

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen-30

 

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften-36

 

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt-1

 

Andere Vorfälle-0

 

Insgesamt-161

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie zB Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl auch:

UNAMA 6.2.2017).

 

1.4.4.2 Bamyan/Bamian

 

Bamyan liegt im Süden des Hindu Kush und im Norden der Baba-Berge. Die Provinz hat folgende administrative Einheiten, zu denen auch die Provinzhauptstadt Bamyan City zählt: Yakawlang, Waras, Shaibar, Sayghan, Kahmard und Panjab (Pajhwok o.D.ad).

 

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 454.633 geschätzt (CSO 2016). Der Großteil der Bevölkerung sind Hazara 70%, Tadschiken machen 20% und Pashtunen 5% aus (Pajhwok o.D.ad; vgl. auch: auch:

Xinhua 12.12.2016). Eta 90% der Bevölkerung fühlen sich dem schiitischen Islam zugehörig (Pajhwok o.D.ad).

 

Gewalt gegen Einzelpersonen-4

 

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe-12

 

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen-1

 

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften-9

 

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt-4

 

Andere Vorfälle-3

 

Insgesamt-33

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Bamyan 33 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die zentral gelegene Provinz Bamyan – mit ihrer friedlichen Umgebung, historischen Denkmälern und wunderschönen Landschaft – wird als eine der friedlichsten und sichersten Orte in Afghanistan geschätzt. Im Gegensatz zu anderen Teilen des Landes, wird selten von sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bamyan berichtet (Xinhua 12.12.2016; DW 4.8.2016). Nur in einer Handvoll der 34 Provinzen Afghanistans (wie Balkh, Bamyan, Ghor, Daikundi, Jawzjan und Samangan) stellen die Taliban keine große Bedrohung dar. Die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklärt die relative Stabilität dieser Provinzen (Lobe Log Foreign Policy 14.9.2016). Die Provinz Bamyan wird hauptsächlich mit Kartoffeln in Verbindung gebracht. Im Jahr 2015 produzierte die Provinz fast 350.000 Tonnen Kartoffeln – etwa 60% des gesamten Verbrauchs Afghanistans (NYT 31.8.2016).

 

1.4.4.3 Ghazni

 

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan liegen im Norden, während die Provinzen Paktia, Paktika und Logar im Osten liegen; Zabul grenzt gemeinsam mit Uruzgan an den Westen der Provinz. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist sie die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.249.376 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 2016).

 

Ghazni ist in folgende Distrikte unterteilt: Jaghuri, Malistan, Nawur, Ajiristan, Andar, Qarabagh, Giro, Muqur, Waghaz, Gelan, Ab Band, Nawa, Dih Yak, Rashidan, Zana Khan, Khugiani, Khwaja Omari, Jaghatu und Ghazni City (Vertrauliche Quelle 15.9.2015). Ghazni wird aufgrund ihrer strategischen Position, als Schlüsselprovinz gewertet – die Provinz verbindet durch die Autobahn, die Hauptstadt Kabul mit den bevölkerungsreichen südlichen und westlichen Provinzen (HoA 15.3.2016).

 

Gewalt gegen Einzelpersonen-39

 

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe-952

 

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen-140

 

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften-155

 

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt -4

 

Andere Vorfälle-2

 

Insgesamt-1.292

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Ghazni 1.292 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in Ghazni festgehalten; gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Im Dezember 2016 verlautbarte der CEO Afghanistans den baldigen Beginn militärischer Spezialoperationen in den Provinzen Ghazni und Zabul, um Sympathisanten des Islamischen Staates und Talibanaufständische zu vertreiben (Khaama Press 23.1.2017).

 

Ghazni zählt zu den volatilen Provinzen in Südostafghanistan, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Operationen durchführen (Khaama Press 15.10.2016; Khaama Press 8.7.2016; vgl. auch: Truthdig 23.1.2017). Die Bevölkerung der Provinz kooperiere bereits mit den Sicherheitskräften. Ein Mitglied des Provinzrates verlautbarte, dass sich die Sicherheitslage verbessern könnte, wenn die Polizei mit notwendiger Ausrüstung versorgt werden würde (Pajhwok 8.1.2017). Im Gegensatz zum Jahr 2015 registrierte die UNAMA 2016 keine Entführungsfälle der Hazara-Bevölkerung in Ghazni. In vormals betroffenen Gegenden wurden Checkpoints der afghanischen Sicherheitskräfte errichtet; dies wird als Abschreckung gewertet (UNMA 6.2.2017).

 

In der Provinz werden regelmäßig Militäroperationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 15.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 8.1.2017; Tolonews 26.12.2016; Pajhwok 21.11.2016; Afghanistan Times 25.8.2016; Afghanistan Times 21.8.2016), auch in Form von Luftangriffen (Pajhwok 18.6.2017; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 8.6.2016). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (Sputnik News 30.11.2016). Unter anderem wurden Taliban Kommandanten getötet (Khaama Press 9.1.2017; Sputnik News 26.12.2016; Khaama Press 17.10.2016; Afghanistan Spirit 18.7.2016; Pajhwok 18.6.2016; Afghanistan Times 3.8.2016; Khaama Press 7.6.2016).

 

Im Februar 2017 bestätigte der afghanische Geheimdienst (NDS) den Tod eines hochrangigen al-Qaida Führers: Qari Saifullah Akhtar, war vom NDS in einer Razzia im Jänner 2017 getötet worden. Berichten zufolge, war Qari Saifullah Akhtar jahrzehntelang am Aufstand beteiligt; ihm werden direkte Verbindung zu Osama bin Laden und dem pakistanischen Geheimdienst nachgesagt (LWJ 19.2.2017; vgl. auch:

ATN News 19.2.2017).

 

1.4.5 Rechtsschutz/Justizwesen

 

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst – üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und –verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten – wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben – schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

 

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

 

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

 

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9 .2016).

 

1.4.6 Sicherheitsbehörden

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben – wenn auch unbeständig – Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über großeBallungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD12.2016).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior – MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense – MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% – eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten – indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

 

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force – AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

 

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

 

Resolute Support Mission

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

 

1.4.7 Religionsfreiheit

 

Etwa 99.7 % der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7 % Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10–19 % der Bevölkerung Schiiten (AA 9 .2016; vgl auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie zB Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der af-ghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9 .2016; vgl auch: Max Planck Insti-tut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl auch:

CSR 8.11.2016).

 

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte – dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

 

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist je-doch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemein-schaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Ex-press 16.5.2012).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

 

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bür-ger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9 .2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

 

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Un-vermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

 

Blasphemie – welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, so-fern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

 

1.4.7.1 Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19 % geschätzt (AA 9 .2016; vgl auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern – manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee – einer schiitischen Moschee in Kabul – am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein – dennoch verlautbarten Schiiten – dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

 

1.4.8 Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den ver-schiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40 % Pashtunen, rund 30 % Tadschiken, ca 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Auch exis-tieren noch andere ethnische Minderheiten, wie zB die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völ-kerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane’ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

 

1.4.8.1 Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10 % der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (az?raj?t) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; den-noch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditi-onelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9 .2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9 .2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

 

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9 .2016; vgl auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9 .2016; vgl auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

 

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

 

1.4.9 Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im ‘Human Development Index’ (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und [schwachen] Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016). Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011 stagnierte die Armutsrate bei 36 %. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenz von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringen Ausbildungsstandes der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90 %) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016). Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5 % geschätzt. Als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, die Privatinvestitionen schwächte, verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Milliarden USD laut Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55 %, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6 %. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels – Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig – sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 – 2 % gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung – Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen sowie Gewalt sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung: Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens’ Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel, 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie die Zufriedenheit zu steigern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

1.4.10 Rückkehr

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind laut Internationalem Währungsfonds (IMF) hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling, in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60 %) entschlossen sich – laut UNHCR –, sich in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlingen, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind – davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt (Khaama Press 17.1.2017).

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen vor Ort

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme – WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsende Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

 

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt, um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkinder aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es, 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen – insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

Staatliches Pensionssystem

 

Es ist nur ein öffentliches Rentensystem etabliert. Das übliche Rentenalter liegt zwischen 63 und 65 Jahren, hängt jedoch vom Einzelfall ab. Personen, die in Afghanistan gearbeitet haben, haben Zugang zu Rentenzahlungen. Es gibt keine Einschränkungen, die einzige Voraussetzung ist, dass die Person mehr als 32 Jahre gearbeitet hat und zwischen 63 und 65 Jahren alt ist. Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen werden als vulnerabel/schutzbedürftig eingestuft. Sie können Sozialhilfe beziehen und zumindest körperlich benachteiligte Menschen werden in der Gesellschaft respektvoll behandelt. Schwierig ist es allerdings mit mental erkrankten Menschen, diese können beim Roten Halbmond und in entsprechenden Krankenhäusern (Ali Abad Mental Hospital, siehe Kontakte) behandelt werden (IOM 2016).

 

Es gibt keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Arbeitsministerium und der NGO ACBAR (www.acbar.org ) angeboten (IOM 2016).

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150 bis 250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

Wohnungssituation in Sar-e Pul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Sar e Pol für zwei Personen belaufen sich auf ca. 180-200 USD pro Monat. Die monatlichen Mietkosten für ein durchschnittliches Haus betragen ca. 70-90 USD und 150-200 USD pro Monat für ein Luxusapartment (IOM 4.8.2016).

 

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

 

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

 

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank – India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

 

Memorandum of Understanding (MoU)

 

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU – Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u. a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 2. Oktober 2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9 .2016).

 

1.5 Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.7.2016 betreffend Drohbriefe der Taliban:

 

"[...]

 

Zusammenfassung:

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen, dass gefälschte Drohbriefe für etwa US$ 1.000 gekauft werden können. Den Quellen kann auch entnommen werden, dass die Taliban es größtenteils aufgegeben haben, mit Drohbriefen vorzugehen.

 

Einzelquellen:

 

Daily Caller, eine US amerikanische Onlinezeitung, berichtet, dass Afghanen in der Hoffnung sich nach Europa als Flüchtlinge einschleichen zu können, gefälschte Todesdrohbriefe – angeblich von den Taliban gesendet – kaufen.

 

Todesdrohungen – übermittelt durch handgeschriebene Briefe – haben eine lange Tradition in der Region und wurden normalerweise jenen übermittelt, die mit den internationalen Kräften kollaborierten. Obwohl die Taliban diese Methoden größtenteils aufgegeben haben, haben Fälscher diese übernommen und verkaufen Briefe auf dem Briefpapier des islamischen Emirates für US$ 1.000 pro Stück.

 

Ein Fälscher, XXXX , gab an, dass aktuell nur 1 Prozent der Briefe ernsthafte Bedrohungen sind. XXXX entnimmt einfach ein Talibanlogo aus dem Internet, setzt es ins Dokument ein und behauptet dann, dass der Briefkäufer für die US arbeitet und ernsthaften Strafen ausgesetzt sein wird.

 

[...]

 

Die Associated Press – eine multinationale, profitfreie Nachrichtenagentur mit Sitz in New York City – berichtet, dass die handgeschriebenen Nachrichten auf dem Briefpapier des sogenannten islamischen Emirates traditionellerweise an jene gesendet wurden, die angeblich für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die US – geführten Truppen gearbeitet haben; es wurden deren "Verbrechen" aufgelistet und sie wurden gewarnt, dass die "militärische Kommission" über ihre Strafen entscheidet.

 

Dieser Tage sagen die Taliban, dass sie diese Praxis aufgegeben haben, während jene, die die gefälschten Briefe verkaufen, ein riskantes Geschäft mit zehntausenden Afghanen betreiben, die nach Europa fliehen und darauf hoffen, um Asyl anzusuchen. Fälscher geben an, dass ein überzeugender Drohbrief bis zu US$ 1.000 kosten kann.

 

"Bis heute habe ich nur einen einzigen Typen gekannt, der einen ernsthaften Drohbrief von den Taliban erhalten hat. Der Rest ist gefälscht."

 

Selbst die Taliban, die in den letzten Monaten ihren 14-jährigen Aufstand verstärkt haben und in neue Gebiete eingedrungen sind, sagen, dass die meisten Drohbriefe gefälscht sind.

 

Der Taliban-Sprecher XXXX , sagt, dass, wenn ein Kämpfer vermutet, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften arbeitet, dessen Familie kontaktiert und gefordert wird, diese Tätigkeit einzustellen. "Wir senden keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil. Nur sehr selten verwenden wir das Telefon, wenn wir auf ernsthafte Probleme stoßen."

 

"All diese Talibandrohbriefe sind gefälscht." Weiters wird eine Liste von Personen angeführt, die fälschlicherweise behauptet hätten Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben. "Wir versuchen unserer Jugend eine gute Umgebung zu schaffen, um in ihrem Land bleiben zu können."

 

Ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, National Directorate of Security, wies die Behauptung der Existenz diese Briefe ebenfalls zurück und sagte, dass es ganz klar war, dass viele Menschen diese kauften, um ihren Asylgrund zu stärken. Niemand wurde in Zusammenhang mit Fälschung verhaftet.

 

[...]

 

Auf der Website der deutschen Bildzeitung – einem Nachrichten- und Entertainment Portal – wird folgendes geschrieben:

 

In Afghanistan hat sich ein schwunghafter Handel mit gefälschten Drohbriefen der Taliban entwickelt. Manche Asylsuchende versuchen, so die Chance auf Anerkennung ihres Antrags in Europa zu erhöhen. Doch die Praxis hat sich auch bei hiesigen Behörden herumgesprochen.

 

Kabul – Einst waren Drohbriefe der Taliban für den Empfänger gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Heute werden gefälschte Drohbriefe an Afghanen verkauft, die sich in Europa ein neues Leben aufbauen wollen.

 

Die handgeschriebenen Botschaften auf dem Briefpapier des sogenannten Islamischen Emirats von Afghanistan wurden in der Vergangenheit an jene geschickt, die für die afghanischen Sicherheitskräfte oder die internationalen Truppen im Land gearbeitet haben sollen. Darin wurden ihre "Verbrechen" aufgeführt, und es wurde angekündigt, dass eine "Militärkommission" über ihre Bestrafung entscheiden werde. Die Schreiben schlossen mit der Warnung, dass die Aufständischen keine Verantwortung für das übernähmen, was passieren werde. Inzwischen haben die Taliban diese Praxis nach eigenen Angaben weitgehend eingestellt. Doch diejenigen, die gefälschte Drohbriefe verkaufen, betreiben ein florierendes Geschäft: Denn Zehntausende Afghanen fliehen nach Europa, in der Hoffnung, dort Asyl zu erhalten. Fälscher sagen, ein überzeugender Drohbrief bringe umgerechnet an die 1000 Euro ein.

 

"Ich würde sagen, von den Drohbriefen, die Afghanen jetzt europäischen Behörden vorlegen, sind nur ein Prozent echt und 99 Prozent gefälscht", sagt der 35-jährige XXXX , der 20 solcher Briefe hergestellt und verkauft hat. Er geht nach einem einfachen Schema vor:

 

Er beschuldigt den Käufer, für afghanische oder US-Truppen gearbeitet zu haben und fügt ein Taliban-Logo ein, das er von deren Webseite kopiert hat. "Bis heute kenne ich nur einen einzigen Typen, der wirklich einen Drohbrief von den Taliban bekommen hat. Alle anderen sind Fälschungen", sagt XXXX .

 

An Kunden besteht kein Mangel. Die Arbeitslosenrate liegt bei 24 Prozent, und in weiten Teilen des Landes sind Taliban aktiv. Die Regierung in Kabul schätzt, dass bis Ende des Jahres 160 000 Afghanen ihr Land verlassen haben werden, vier Mal so viele wie 2013.

 

[ ]

 

Sogar die Taliban selbst, die ihren Aufstand in den vergangenen Monaten intensiviert und auf weitere Gebiete ausgedehnt haben, sagen, die meisten Drohbriefe seien gefälscht.

 

Wenn Kämpfer den Verdacht hätten, dass jemand mit der Regierung oder den Sicherheitskräften zusammenarbeite, würden dessen Angehörige kontaktiert, sagt Taliban-Sprecher XXXX . "Wir schicken keine Drohbriefe, das ist nicht unser Stil", sagt er und zählt eine ganze Liste von Personen auf, die fälschlicherweise behauptet hätten, Drohbriefe von den Taliban erhalten zu haben.

 

Auch ein Beamter des afghanischen Geheimdienstes, des Nationalen Sicherheitsdirektorats, erklärt, viele Menschen kauften solche Briefe, um ihren Anspruch auf Asyl zu untermauern. Zu Festnahmen sei es bislang nicht gekommen. Die Regierung halte es für nicht der Mühe wert, die Fälscher oder die Käufer zu verfolgen. "Wir konzentrieren uns auf die Menschen, die echte Drohungen erhalten", sagt der Beamte, der anonym bleiben möchte.

 

[...]."

 

2. Beweiswürdigung

 

2.1 Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglich konsistenten und unbedenklichen Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln.

 

Der im Spruch angeführte Name sowie das im Spruch angeführte Geburtsdatum des Beschwerdeführers dienen mangels Vorlage eines Identitätsdokuments lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei.

 

Die Feststellungen zu Leben des Beschwerdeführers in Österreich und zu seinem aktuellen Gesundheitszustand stützen sich ebenfalls auf die diesbezüglich in den wesentlichen Punkten durchgehend gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und der eingeholten Strafregisterauskunft.

 

2.2 Die Negativfeststellung betreffend eine konkrete, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungssituation in seinem Herkunftsstaat ergibt sich aus dem nicht glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren:

 

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer nach seiner Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA die Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht umfassend darzulegen. Der erkennende Richter konnte im Zuge der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer gewinnen.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.3.1999, 98/20/0559). Dabei bedarf es zunächst einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers war unter den oben dargelegten Gesichtspunkten zu würdigen und ist hierzu Folgendes auszuführen:

 

Zwar gab der Beschwerdeführer sowohl bei seiner Erstbefragung als auch bei seiner Einvernahme vor dem BFA und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Fluchtgrund gleichlautend an, dass er aufgrund seiner Hilfstätigkeit für die Polizei von den Taliban mittels eines Drohbriefes bedroht werde. Eine persönliche Bedrohung durch die Taliban verneinte der Beschwerdeführer jedoch stets. Zudem finden sich in den Angaben des Beschwerdeführers gehäuft Widersprüchlichkeiten und stimmen diese auch in zeitlicher Hinsicht nicht überein: So gab der Beschwerdeführer vor dem BFA zunächst an, dass die Taliban jedes Jahr im Frühling zu kämpfen beginnen würden und er im Jahr 2014 an der Reihe gewesen sei, die Grenze zu kontrollieren. Zugleich führte er aber vor dem BFA aus, dass der Drohbrief der Taliban am 5.1.2014 vor seiner Haustür hinterlegt worden sei. Soll sich der vor dem BFA geschilderte Vorfall also im Frühling 2014 ereignet haben, ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer den Drohbrief bereits im Jänner 2014 erhalten haben will. Zusätzlich zu den zeitlichen Diskrepanzen innerhalb dieser Aussage des Beschwerdeführers vor dem BFA ergaben sich auch in der mündlichen Verhandlung weitere zeitliche Unstimmigkeiten. So gab der Beschwerdeführer hier zunächst als Jahr, in dem sich der Vorfall ereignet habe, 1393 (= 21.3.2014 – 20.3.2015) an und führte weiter aus, dass seine Gegend in den Sommermonaten von drei Familien überwacht werde. Der Beschwerdeführer habe in dem gegenständlichen Jahr überwacht und sei an jenem Tag, an dem sie den Polizisten die Gegend gezeigt hätten, von den Taliban überfallen worden. Den Drohbrief habe der Beschwerdeführer laut seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung bereits zwei Wochen nach diesem Vorfall bekommen. Entgegen dem vor dem BFA mit 5.1.2014 angegebenen Datum liegt der in der mündlichen Verhandlung genannte Zeitpunkt des Erhalts des Drohbriefs somit im Sommer 2014. Auch schilderte der Beschwerdeführer den angeblichen Vorfall bei der Grenzüberwachung im Laufe des Verfahrens mit zunehmender Dramatik: So meinte der Beschwerdeführer vor dem BFA zunächst, dass ein Freund von ihm bei dem gegenständlichen Vorfall als Geisel genommen worden sei, welcher allerdings wieder flüchten habe können. In der mündlichen Verhandlung erwähnte der Beschwerdeführer erstmals, dass er sich an diesem Tag gemeinsam mit zwei Freunden auf einem Hügel zur Grenzbewachung aufgehalten habe, wobei ein Freund von den Taliban angeschossen worden sei und dem anderen Freund, welcher von den Taliban entführt worden sei, die Hand – bzw korrigiert – ein Daumen abgetrennt worden sei. Dass der Beschwerdeführer derart einprägsame Ereignisse wie die behauptete Schussverletzung und Verstümmelung seiner Freunde vor dem BFA nicht erwähnte, erweckt die Vermutung, dass diese Sachverhaltselemente frei hinzugefügt wurden. Der Beschwerdeführer steigerte somit sein Vorbringen im Verlauf des Verfahrens, sodass dieses als unglaubwürdig zu werten war. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 7.6.2000, 2000/01/0250). Vor diesem Hintergrund vermochte auch das vom Beschwerdeführer ebenfalls erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Lichtbild, welches eine männliche Person mit fehlendem Daumenglied zeigt, nichts an der mangelnden Glaubwürdigkeit dieses Fluchtvorbringens zu ändern.

 

Auch der vom Beschwerdeführer zum Beweis seines Fluchtvorbringens vorgelegte Drohbrief vermochte die Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens nicht zu untermauern: Wie der dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid zur Kenntnis gebrachten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu entnehmen ist, haben es die Taliban mittlerweile größtenteils aufgegeben, mit Drohbriefen vorzugehen und können gefälschte Drohbriefe jeglicher Art und Weise in Afghanistan käuflich erworben werden. Zudem ergab auch die Darstellung der Begleitumstände durch den Beschwerdeführer kein stimmiges Bild. So gab dieser vor dem BFA einerseits an, dass die Taliban den Brief vor seiner Haustür abgegeben hätten. In eklatantem Widerspruch dazu steht jedoch die Aussage des Beschwerdeführers vor dem BFA, wonach die Taliban nicht in sein Heimatdorf hineinkommen würden, da diese nicht in das Dorf dürften. Auch konnte der Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Begründung dafür angeben, weshalb ihm der Drohbrief nicht persönlich übermittelt worden sei. Auf die diesbezügliche Frage des BFA antwortete der Beschwerdeführer lebensfremd, die Taliban hätten den Brief hinterlegt, weil der Beschwerdeführer ansonsten mit dem Brief sofort zur Polizei gegangen wäre. Zu dieser Angabe im Widerspruch steht wiederum die Aussage des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, dass eine Anzeige bei der Polizei nicht möglich gewesen wäre, da die Polizisten mit "diesen" Leuten vernetzt seien. Über Vorhalt des erkennenden Richters, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben doch selbst bei der Polizei gearbeitet habe, vermeinte dieser lediglich, dass sie verpflichtet gewesen wären, die Polizei zu unterstützen. Eine schlüssige Erklärung dafür, weshalb eine Anzeige des angeblichen Drohbriefs bei der Polizei nicht möglich gewesen sei, obwohl der Beschwerdeführer selbst für diese gearbeitet haben will, vermochte er damit nicht zu geben. Der vorgelegte Drohbrief war daher insgesamt nicht geeignet, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers zu stützen.

 

Die Abweichungen innerhalb der Angaben des Beschwerdeführers setzten sich auch in seiner weiteren Schilderung fort: So habe sich der Beschwerdeführer gemäß seinen Ausführungen vor dem BFA nach seiner Ausreise aus Ghazni einen Monat lang problemlos in Bamyan aufgehalten und sei – nachdem er in Bamyan eines Tages von sechs oder sieben unbekannten Männern in die Hoden geschlagen worden sei – nach Kabul gegangen, wo er sich ungefähr acht Monate aufgehalten habe. In der mündlichen Verhandlung gab er anderslautend zu Protokoll, dass er in Bamyan fünfzehn Tage verbracht habe und – anders als vor dem BFA angeben – von sieben oder acht Personen angegriffen worden sei, wodurch er zwei Platzwunden am Kopf erlitten habe. Auch diese Kopfverletzungen erwähnte er vor dem BFA mit keinem Wort und tauschte sein Vorbringen somit im Laufe des Verfahrens ohne Erklärung aus.

 

Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung gänzlich neu erstatteten Vorbringens, wonach er vergessen habe zu erwähnen, dass sein Vater eine Feindschaft mit Paschtunen aus dem Distrikt XXXX gehabt habe, weil dieser Feind irrtümlich geglaubt habe, dass der Vater des Beschwerdeführers den Vater des Feines getötet habe, ist zudem festzuhalten, dass diese vom Beschwerdeführer (ohnedies nur äußerst oberflächlich) geschilderte Bedrohungssituation als gesteigertes Fluchtvorbringen zu werten war. Der Beschwerdeführer erwähnte diesen Grund weder in seiner Erstbefragung noch im Zuge seiner Einvernahme vor dem BFA, weshalb auch in diesem Punkt von einer konstruierten Steigerung des Vorbringens auszugehen ist.

 

Der Beschwerdeführer erweckte vor dem Hintergrund der aufgezeigten Widersprüche und Unstimmigkeiten insgesamt nicht den Eindruck, das Geschilderte auch tatsächlich selbst erlebt zu haben. Vielmehr fehlt einem Gutteil seiner Ausführungen die eigene Erlebniswahrnehmung.

 

Die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens wurde zudem dadurch geschmälert, dass der Beschwerdeführer auf die Frage des BFA, warum er sein Heimatland letztlich verlassen habe, antwortete, dass er dort nicht habe arbeiten können. Auch über Nachfrage der Behörde, weshalb der Beschwerdeführer nicht in Kabul geblieben sei, wiederholte er, dass er dort nicht arbeiten und auch nicht habe leben könne. Auch in der mündlichen Verhandlung antwortete der Beschwerdeführer auf die Frage des erkennenden Richters, was passieren würde, wenn der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren müsste, dass er dort nichts und niemanden und auch keine Lebensgrundlage habe. Zudem ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer seinen Heimatdistrikt aus Angst vor den Taliban – und nicht doch viel eher aus anderen Gründen – hätte verlassen sollen, wenn er doch selbst vor dem BFA angab, dass ihm in seinem Heimatdorf keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung wiederfahren sei, da es in seinem Distrikt XXXX sicher sei und ihm dort nichts habe passieren können. Selbst über Nachfrage der belangten Behörde, weshalb der Beschwerdeführer von den Taliban nicht persönlich bedroht oder verfolgt worden sei, gab dieser an, dass die Taliban nicht in sein Dorf kommen würden, weil sie das nicht dürften. Dass der Beschwerdeführer sein Heimatdorf aufgrund der Bedrohung durch die Taliban verlassen habe will, stellt sich vor dem Hintergrund dieser Angaben des Beschwerdeführers somit als nicht schlüssig dar. Auch besteht vor dem Hintergrund, dass sich der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben vor dem BFA nach dem ersten Kontakt mit den Taliban insgesamt noch ein Jahr in aufgehalten habe, kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ausreise des Beschwerdeführers und dem von ihm angeführten Fluchtgrund.

 

Aus all diesen Gründen konnten das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht als glaubwürdig gewertet und dem gegenständlichen Verfahren nicht als festgestellt zugrunde gelegt werden.

 

Eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohungssituation legte der Beschwerdeführer somit im gesamten Verfahren nicht glaubwürdig dar. Keiner seiner Aussagen konnte ein glaubwürdiges Vorbringen entnommen werden, welches eine Verfolgung im Sinne der GFK darstellen würde.

 

Dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde, ergibt sich zudem aus dessen eigener Angabe vor dem BFA, wo er diese Frage dezidiert verneinte und hinzufügte, auch keine Furcht erlitten zu haben.

 

2.3 Die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, darunter insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 25.9.2017, wurden dem Beschwerdeführer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.7.2016 betreffend Drohbriefe der Taliban wurde dem Beschwerdeführer bereits im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis gebracht.

 

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat und zur Situation im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan ergeben sich aus den in den Feststellungen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan. Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden ebenso herangezogen, wie von internationalen Organisationen sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen.

 

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Das erkennende Gericht erachtete es aufgrund der herangezogenen aussagekräftigen Berichtslage nicht für erforderlich, sich bei seiner Entscheidungsfindung auf das Gutachten von Mag. Mahringer vom 5.3.2017 samt Aktualisierung vom 15.5.2017 zu stützen. Aus diesem Grund erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit dem vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kommentar von Thomas Ruttig zum Gutachten von Mag. Mahringer.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

3.1 Anzuwendendes Recht

 

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005 in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG 2005 verweist, anzuwenden.

 

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl I 10/2013 idgF, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl I 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Gemäß § 15 AsylG 2005 hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

Gemäß § 18 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

3.2 Rechtlich folgt daraus

 

3.2.1 Zur Beschwerde

 

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 22.5.2017 beim BFA eingebracht. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

 

Das BVwG stellt weiters fest, dass das Verwaltungsverfahren in den wesentlichen Punkten rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Das Vorbringen in der Beschwerde war nicht geeignet, das Begehren des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu unterstützen. Bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz war der Beschwerde ebenfalls kein Erfolg beschieden.

 

3.2.2 Zu Spruchpunkt A)

 

3.2.2.1 Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.2.1.1 Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974 (in der Folge GFK) droht (vgl auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Statusrichtlinie [Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; Neufassung] verweist).

 

Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011; 28.5.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet.

 

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl VwGH 1.6.1994, 94/18/0263; 1.2.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 9.3.1999, 98/01/0370; 22.10.2002, 2000/01/0322).

 

3.2.2.1.2 Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen wurde vom Beschwerdeführer nicht glaubwürdig vorgebracht (vgl Punkt 2.2). In Ermangelung einer vom Beschwerdeführer dargelegten individuell drohende Verfolgungshandlung ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes somit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland auf Grund von generalisierenden Merkmalen – wie die von ihm vorgebrachte Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara – unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkrieges hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Für das Vorliegen einer solchen Gruppenverfolgung ist es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (vgl VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048), allerdings ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt zu sein und dies aus folgenden Gründen:

 

Zwar gehört der Beschwerdeführer als Hazara einer ethnischen Minderheit an und ist den zitierten Länderberichten ua zu entnehmen, dass Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, (weiterhin) von Diskriminierung in Form von illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen sind. Festzuhalten ist aber auch, dass sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara – wie aus den zugrunde gelegten Länderfeststellungen ersichtlich – die Situation in der Zwischenzeit deutlich verbessert hat, wenngleich die gesellschaftlichen Spannungen fortbestehen und in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder aufleben. Allerdings ergibt sich aus einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials, dass diese Gefährdung insgesamt nicht jenes Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan als gegeben zu erachten. Somit ist nicht anzunehmen, dass die Zugehörigkeit einer Person zur ethnischen Minderheit der Hazara für sich alleine ausreicht, um davon ausgehen zu müssen, dass diese Person der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse bzw. einer bestimmten Glaubensgemeinschaft ausgesetzt wäre.

 

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 5.7.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat nunmehr ausdrücklich das Vorhandensein einer Gruppenverfolgung von Hazara in Afghanistan verneint (VwGH 15.12.2016, Ra 201/18/0329).

 

Da eine Gruppenverfolgung – in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit – von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich auch aus diesem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten.

 

3.2.2.1.3 Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, eine glaubwürdige, individuelle, konkrete und nachvollziehbare Verfolgungsgefahr seiner Person in seinem Herkunftsland darzulegen. Es ist daher im vorliegenden Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aus in der GFK genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) Eingriffen von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre (vgl auch BVwG 21.12.2015, W159 2001900-1/11E).

 

Zudem ist im Hinblick auf die vorgebrachte schlechte Sicherheitslage zu konstatieren, dass die allgemeine Lage in Afghanistan nicht dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (vgl etwa AsylGH 7.6.2011, C1 411.358-1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss VfGH 19.9.2011, U 1500/11-6 uva).

 

Auch der EGMR hat ausgesprochen, dass die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 MRK verstoßen würde (EGMR 9.4.2013, H. und B. gg Vereinigtes Königreich, Nr 70073/10 und 44539/11). Der EGMR hat diese Rechtsprechung in jüngst ergangenen Urteilen im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan ausdrücklich bestätigt (vgl EGMR jeweils vom 12.1.2016, S.D.M. gg Niederlande, Nr 8161/07; A.G.R. gg Niederlande, Nr 13442/08; A.W.Q. und D.H. gg Niederlande, Nr 25077/06; S.S. gg Niederlande, Nr 39575/06; M.R.A. ua gg Niederlande, Nr 46856/07).

 

Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

3.2.2.2 Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.2.2.1 Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG 2005) offen steht.

 

3.2.2.2.2 Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Art 2 EMRK (Recht auf Leben), Art 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Der VwGH hat in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0016).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.2.2004, Zahl 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; 25.1.2001, 2000/20/0438; 30.5.2001, 97/21/0560). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl VwGH 31.3.2005, 2002/20/0582; 31.5.2005, 2005/20/0095).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat nur dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur des VwGH sowie die Rechtsprechung des EGMR und EuGH).

 

Für die zur Prüfung der Notwendigkeit subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist nach der Judikatur des VfGH (VfGH 12.3.2013, U 370/2012) bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (VfGH 12.3.2013, U 1674/12; 12.6.2013, U 2087/2012).

 

Nach der gefestigten Rechtsprechung des VwGH bedarf es einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 8.9.2016, Ra 2016/20/006; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; jüngst VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur sowie die Judikatur des EGMR).

 

Der Verwaltungsgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf die ständige Judikatur des EGMR, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos darzulegen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 5.9.2013, I gegen Schweden, 61 204/09).

 

In seinen jüngst ergangenen Erkenntnissen (VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095; 10.8.2017, Ra 2016/20/0369) hat der VwGH zur spezifischen Situation von Afghanistan erneut auf seine Vorjudikatur und die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde.

 

Ebenso sprach der VwGH im zitierten Erkenntnis (19.6.2017, Ra 2017/19/0095) aus, dass nicht verkannt werde, dass die Lage in Afghanistan sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in einzelnen Landesteilen als auch der wirtschaftlichen Situation angespannt sei. Davon zu unterscheiden ist nach der Judikatur des VwGH aber das Prüfungskalkül des Art 3 EMRK, das für die Annahme einer solchen Menschenrechtsverletzung das Vorhandensein einer die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz bedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen fordert (VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095). Eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen und/oder fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum,-oder Arbeitsplatzsuche, reicht nach der Judikatur des VwGH explizit nicht aus, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs 1 AsylG 2005 stellt eine rechtliche Beurteilung dar, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat.

 

Gemäß den getroffenen Feststellungen zur Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Ghazni) ist die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni im Entscheidungszeitpunkt als unsicher einzustufen – Ghazni zählt zu den volatilen Provinzen in Südostafghanistan, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Operationen durchführen –, weshalb dem Beschwerdeführer ein Verbleib dort allenfalls erschwert oder sogar verunmöglicht wäre.

 

3.2.2.2.3 Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden – im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums – zumutbar sein; für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG, K15). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 8 Abs 3 iVm § 11 Abs 1 AsylG 2005. Dem Beschwerdeführer steht jedoch – sollte eine Rückkehr in seine Heimatprovinz nicht möglich sein – die Stadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

Dies aus folgenden Erwägungen:

 

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, alleinstehender, junger Mann im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten, bei dem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er ist in Afghanistan im Familienverband aufgewachsen und verbrachte dort sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise im jungen Erwachsenenalter. Es ist also davon auszugehen, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut ist und über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten verfügt. Der Beschwerdeführer spricht eine der Landessprachen (Dari) und kann diese sowohl lesen als auch schreiben. Er erfuhr in seiner Herkunftsprovinz eine neunjährige Schulbildung und arbeitet dort zudem seit seinem 13. Lebensjahr als Mechaniker. Mit seiner beruflichen Tätigkeit finanzierte sich der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben sogar seinen Lebensunterhalt. Vor diesem Hintergrund ist vernünftiger Weise davon auszugehen, dass er auch künftig im Stande ist, selbstständig für ein ausreichendes Auskommen zu sorgen. Auch ist im konkreten Einzelfall des Beschwerdeführers maßgeblich zu berücksichtigen, dass dieser vor seiner Ausreise aus Afghanistan jedenfalls bereits sechs Monate in Kabul lebte und somit zumindest über grundlegende Ortskenntnisse in Kabul verfügt. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit, in Kabul an seine frühere Erwerbstätigkeit als Mechaniker anzuschließen oder in einem verwandten Berufsfeld tätig zu sein. Letztlich ist der Beschwerdeführer auch in der Lage, sich allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern.

 

In Kabul sowie im Umland stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Da Rückkehrer darüber hinaus bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden können, ist eine erste Versorgung des Beschwerdeführers in Kabul jedenfalls gewährleistet.

 

Es erscheint somit insgesamt möglich, dass der Beschwerdeführer – selbst nach allfälligen Anfangsschwierigkeiten – in Kabul mittelfristig Fuß fasst. Aufgrund der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses der Rückverbringung des Beschwerdeführers in die Hauptstadt Kabul. Auch eine drohende Verletzung seiner Rechte unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Überlegungen, etwa in dem Sinn, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Zurückführung nach Kabul in eine ausweglose Situation geriete, kann vor dem Hintergrund des Beschwerdesachverhalts nicht bejaht werden.

 

Abschließend ist darauf hinzuweise, dass eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum, -oder Arbeitsplatzsuche, nach der Judikatur des VwGH explizit nicht ausreicht, um die Voraussetzungen zur Erlangung von subsidiärem Schutz glaubhaft zu machen (VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; 19.6.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Betreffend die allgemeine Sicherheitslage in Kabul wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die oben angeführten Länderfeststellungen zwar keineswegs verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul und größere Transitrouten hat. Auch ist Kabul eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens gut erreichbare Stadt. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Jedoch begründet allein der Umstand, dass an diesen Orten ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, bei der derzeitigen Gefahrenlage für den Beschwerdeführer noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (VwGH 25.4.2017, 2017/01/0016, mwN). Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Kabul nicht insgesamt als ausreichend sicher bewertet werden könnte.

 

Es kann daher im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer selbst im Falle fehlenden sozialen oder familiären Rückhalts und allfälliger (anfänglicher) wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine Niederlassung in der Hauptstadt Kabul im Sinne einer innerstaatlichen Fluchtalternative zweifelsfrei zugemutet werden kann (vgl jüngst VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; 10.8.2017, Ra 2016/20/0369).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof verneint in seiner jüngsten Rechtsprechung – hinsichtlich eines im Iran geborenen und aufgewachsenen, der Volksgruppe der Hazara angehörenden, Staatsangehörigen von Afghanistan – eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (VfGH 12.12.2017, E2068/2017).

 

3.2.2.2.4 Der Beschwerdeführer konnte insgesamt keine individuellen Umstände glaubhaft machen, die im Falle einer Rückkehr nach Kabul die reale Gefahr einer Verletzung aus Art 3 EMRK entspringenden Rechte (oder der anderen im Lichte von § 8 AsylG 2005 relevanten Grundrechte) für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, und hat daher einen geeigneten Nachweis nicht erbracht (vgl hierzu auch VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036).

 

Der Beschwerdeführer hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Art 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.6.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Die Beschwerde war daher im Umfang der Anfechtung des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides ebenfalls abzuweisen.

 

3.2.3 Zu den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.3.1 Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird vorliegt.

 

3.2.3.2 Gemäß § 57 Abs 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines solchen Grundes behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.2.3.3 Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iSd Art 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I 189/1955) erreicht wird. Wenn gemäß Abs 2 leg cit nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

 

§ 55 AsylG 2005, idF BGBl I. 68/2017, ist seit 1.10.2017 in Kraft. Gemäß der Übergangsbestimmung des § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

 

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lauten:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei der Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat-und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl VfGH 29.9.2007, B 1150/07; 12.6.2007, B 2126/06; VwGH 26.6.2007, 2007/01/479; 26.1.2006, 2002/20/0423;

17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194;

Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl-und Fremdenrecht K15 ff zu § 9 BFA-VG).

 

3.2.3.4 Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Der Begriff des "Familienlebens" in Art 8 EMRK umfasst jedoch nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten iSd § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, sondern zB. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl etwa VwGH 26.1.2006, 2002/20/0423; 8.6.2006, 2003/01/0600; 26.1.2006, 2002/20/0235).

 

Es sind weder Hinweise für das Bestehen eines Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich noch für eine sonstige ausreichend intensive Beziehung des Beschwerdeführers zu einer ihm in Österreich besonders nahestehender Personen hervorgekommen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich nach eigenen Angaben weder Verwandte noch irgendwelche sonstigen privaten Bindungen. Ein schützenswertes Familienleben liegt in Österreich somit nicht vor.

 

3.2.3.5 Es ist weiters zu prüfen, ob mit einer Rückkehrentscheidung in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und bejahendenfalls, ob dieser Eingriff eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art 8 Abs 2 EMRK).

 

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 4.10.2001, Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9.10.2003, Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.6.2005, Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg 17.516 und VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).

 

Der Beschwerdeführer gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet. Er verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Die Dauer dieses Asylverfahrens übersteigt nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl VfSlg 18.499/2008; 19.752/2013).

 

Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner Arbeit nach und befindet sich in der Grundversorgung. Eine intensive Bindung zu Freunden und eine umfassende Teilnahme am sozialen Leben in Österreich sind im Verfahren ebenfalls nicht hervorgekommen. Es kann daher auch in diesen Punkten nicht von einer entscheidungswesentlichen Integration des Beschwerdeführers gesprochen werden.

 

Der Beschwerdeführer legte zwar Kursbesuchsbestätigungen sowie ein Deutsch-Zertifikat für das Niveau A2 vor. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass er über bereits sehr gute Deutschkenntnisse verfügen würde. Es wird in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer, im Hinblick auf seine Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, Integrationsschritte gesetzt hat, wodurch jedoch keine relevante außergewöhnliche Integration herauszulesen ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die – hier bei weitem nicht vorhandenen – Umstände, dass ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720 sowie 25.2.2010, 2010/18/0029).

 

Das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet ist zudem dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten eines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste. Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, welcher zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Artikel 8 Abs 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

 

Im Übrigen bewirkt der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.7.2002, 2002/18/0112).

 

Hingegen kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung – und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK genannten Interesses – ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 12.12.2012, 2012/18/0178; 22.1.2013, 2011/18/0012).

 

Im Hinblick auf die Zeitspanne, seit der sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhält (Mitte 2015), kann selbst unter Miteinbeziehung integrativer Merkmale eine von Art 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" noch nicht angenommen werden (vgl VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten; vgl auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch VwGH 25.2.2010, 2010/18/0026; 30.4.2009, 2009/21/0086; 8.7.2009, 2008/21/0533; 8.3.2005, 2004/18/0354). Somit kann nicht festgestellt werden, dass dem subjektiven Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Inland Vorzug gegenüber dem maßgeblichen öffentlichen an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt (vgl VwGH 22.1.2013, 2011/18/0036; 10.5.2011, 2011/18/0100; 22.3.2011, 2007/18/0628; 26.11.2009, 2007/18/0305), zu geben ist.

 

Der Beschwerdeführer verfügt nicht zuletzt über starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat. Er hat den überwiegenden Teil seines Lebens bis zur Ausreise im Jahr 2015 in Afghanistan verbracht. Er beherrscht eine der Landessprachen, erfuhr in Afghanistan seine Sozialisierung, besuchte dort neun Jahre die Schule und arbeitete in Afghanistan sechs Jahre als Mechaniker. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich nach knapp zwei Jahren Abwesenheit vom Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können wird.

 

Der Beschwerdeführer hat kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan. Die geltend gemachten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet reichen nicht aus, dass unter dem Gesichtspunkt des Artikels 8 EMRK von einer Ausweisung hätte Abstand genommen werden müssen.

 

In Gesamtbetrachtung überwiegen nach vorgenommener Interessensabwägung aufgrund der vorliegenden Umstände somit die öffentlichen Interessen die privaten Interessen des Beschwerdeführers. Dass im gegenständlichen Fall durch eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in das Privatleben des Beschwerdeführers iSv Art 8 Abs 2 EMRK eingegriffen würde, kann nicht erkannt werden.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

3.2.3.6 Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat ist gegeben, da den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz zugrunde liegenden Feststellungen zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

 

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.2.3.7 Zur Anregung des Beschwerdeführers hinsichtlich der Bestimmung des § 16 BFA-VG ein Normprüfungsverfahren einzuleiten, ist letztlich anzumerken, dass die vorliegende Beschwerde ohnedies innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 16 Abs 1 BFA-VG eingebracht wurde, und daher nicht erkennbar ist, inwieweit der Beschwerdeführer in seinen verfassungsrechtlich geschützten Rechten überhaupt verletzt sein sollte.

 

Davon abgesehen ist der Vollständigkeit halber auszuführen, dass der Verfassungsgerichtshof bereits ein Normprüfungsverfahren bezüglich der Bestimmung des § 16 BFA-VG durchgeführt hat und in weiterer Folge die Wortfolge "2, 4 und" sowie den Satz "Dies gilt auch in den Fällen des § 3 Abs 2 Z 1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist." der in Rede stehende Bestimmung mit Erkenntnis vom 9.10.2017, G 134/2017, aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken mit sofortiger Wirkung aufgehoben hat.

 

3.3 Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision

 

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die Judikatur unter Punkt 3.2); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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