VwGH Ra 2016/20/0369

VwGHRa 2016/20/036910.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Rechtssache der Revision des D in W, vertreten durch Mag. Wolf Anderluh, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stadiongasse 6-8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 2016, Zl. W233 2101540- 1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §8 Abs1;
MRK Art3;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 21. Jänner 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, Diebe hätten die Kennzeichentafeln von einem Fahrzeug seines Vaters gestohlen und würden den Revisionswerber aufgrund einer daraufhin erstatteten Anzeige bedrohen. Ein Bruder sei bereits von Mitgliedern der Bande entführt und sein Vater hierauf wegen Lösegeldes für die Freilassung erpresst worden. Dieser habe jedoch nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, weswegen der älteste Bruder des Revisionswerbers seither verschollen sei. Der Vater des Revisionswerbers habe diesen deswegen aus Afghanistan weggeschickt.

2 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. Dezember 2015 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. Zuerkennung von subsidiärem Schutz abgewiesen; es wurde weiter ausgesprochen, dass kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zuerkannt werde. Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 3. November 2016 wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Revision für unzulässig erklärt.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei unglaubwürdig und es würde sich dabei - selbst bei Wahrunterstellung - um eine auf kriminellen Motiven beruhende (Privat)Verfolgung handeln, welche nicht in einem ausreichenden Zusammenhang mit einem Konventionsgrund stehe. Es sei aufgrund des Vorbringens nicht davon auszugehen, dass die afghanischen Sicherheitsbehörden dem Revisionswerber ihren Schutz aus in der GFK genannten Gründen verwehren würden.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

6 Diese bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG weiche von der Rechtsprechung zur sozialen Gruppe der Familie ab, weil der Revisionswerber aufgrund der familiären Zugehörigkeit zu seinem Vater verfolgt werde. Auch sei das BVwG von der Rechtsprechung abgewichen, indem es die Minderjährigkeit des Revisionswerbers im Zeitpunkt der Flucht nicht ausreichend einbezogen habe. Das BVwG weiche von der Rechtsprechung zur Ermittlungspflicht ab, indem es hinsichtlich der vorgelegten Beweismittel (Polizeibericht und Tazkira) keine Ermittlungen angestellt habe sowie weiters die Tazkira auf widersprüchliche Weise und den Polizeibericht im Erkenntnis überhaupt nicht herangezogen habe. Überdies fehle Rechtsprechung zur Frage, ob die Unterlassung von Ermittlungen im Herkunftsstaat die Ermittlungspflicht nach § 18 AsylG 2005 verletze. Ferner sei der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung unvertreten gewesen: Im Lichte von Art. 47 GRC und im Rahmen der Manuduktionspflicht hätte das BVwG klären müssen, ob dem Revisionswerber sein Recht auf Vertretung durch in einen Rechtsberater in der mündlichen Verhandlung bekannt war. Die dem Erkenntnis zugrundegelegten Länderberichte seien veraltet und das BVwG habe sich kein umfassendes Bild, insbesondere zur Situation von Rückkehrern, der Versorgungslage und der Sicherheitslage in Afghanistan gemacht sowie speziell die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers nicht ausreichend ermittelt. Schließlich sei das Erkenntnis des BVwG derart mangelhaft begründet, dass eine wirksame Rechtsverfolgung durch den Revisionswerber und eine Überprüfung der Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht möglich seien.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Das BVwG hat dem Vorbringen des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Soweit der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts entgegengetreten wird, ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. VwGH vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0237, und vom 24. September 2014, Ra 2014/03/0012), nicht berufen ist. Die Ausführungen in der Revision zeigen nicht auf, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes einer derartigen Schlüssigkeitskontrolle nicht standhalten würde.

11 Wenn sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung wendet, indem er ausführt, seine Minderjährigkeit im Fluchtzeitpunkt sei nicht berücksichtigt worden, ist festzuhalten, dass der Revisionswerber laut eigenen Angaben sechs Monate vor seiner Ankunft in Österreich aus Afghanistan geflüchtet ist. Laut Altersdiagnose, gegen die er sich im Verfahren nicht gewendet hat, war er im Antragszeitpunkt mindestens 18,82 Jahre alt. Damit erscheint es aber nicht nachvollziehbar, wenn der Revisionswerber nun behauptet, im Fluchtzeitpunkt minderjährig gewesen zu sein. Die Revision zeigt auch nicht auf, inwieweit sich das Alter des Revisionswerbers auf dessen Fluchtvorbringen ausgewirkt haben soll.

12 Nach dem oben Gesagten kann die Frage nach einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie dahinstehen, weil schon die Beurteilung des Fluchtvorbringens als unglaubwürdig das Erkenntnis zu tragen vermag.

13 Soweit der Revisionswerber die mangelnde Würdigung des Polizeiberichtes zum Diebstahl der Kennzeichentafel beanstandet, ist festzuhalten, dass es sich bei der Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Beweisaufnahme notwendig ist, um eine einzelfallbezogene Rechtsfrage handelt, die nur dann revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG wäre, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. den hg. Beschluss vom 24. November 2016, Ra 2016/08/0163, mwN). Fallbezogen ist nicht ersichtlich, welche Relevanz dem oa Polizeibericht zukommt: Dieser gibt lediglich die Anzeige des Vaters des Revisionswerbers wieder, wonach die Kennzeichentafeln von seinem Auto gestohlen worden seien, die Diebe ihm in der Folge gedroht hätten und sein Sohn Khalid verschwunden sei. In diesem Bericht ist weiters eine Bestätigung der lokalen Polizei enthalten, wonach die Kennzeichentafeln tatsächlich gestohlen worden, die Diebe verhaftet und die Tafeln anschließend wieder an den Vater des Revisionswerbers retourniert worden seien. Zur angeblichen Entführung des Bruders des Revisionswerbers und der Erpressung des Vaters findet sich in dieser Bestätigung nichts. Selbst bei Unterstellung von Echtheit und Richtigkeit des Polizeiberichts, lässt sich für die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers somit nichts gewinnen.

14 Ungeachtet der Frage, ob der Revisionswerber von seinem Recht auf Rechtsvertretung in der mündlichen Verhandlung tatsächlich nichts wusste, wird nicht konkret dargelegt, inwiefern das Einschreiten eines Rechtsvertreters Einfluss auf das Ergebnis hinsichtlich der (Nicht)Zuerkennung von Asyl oder subsidiärem Schutz von Relevanz für den Ausgang des Verfahrens gewesen wäre.

15 Auch im Hinblick auf die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte gelingt es der Revision nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Es ist nicht erkennbar, dass das BVwG in Bezug auf die Nichtzuerkennung von Asyl aufgrund aktuellerer Länderberichte zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Berichtslage zu Kabul ist nach Ansicht des EGMR und auch des Verwaltungsgerichtshofes nicht derart gelagert, dass schon allein die Rückkehr dorthin ausreicht, um von einer ernsthaften Bedrohung der in Art. 3 EMRK geschützten Rechte auszugehen (vgl. EGMR vom 12. Jänner 2016, A.G.R. gegen Niederlande, Nr. 13442/08, und etwa den hg. Beschluss vom 23. Februar 2016, Ra 2015/01/0134, das hg. Erkenntnis vom 8. September 2016, Ra 2016/20/0063, und den hg. Beschluss vom 10. März 2017, Ra 2017/18/0064). Besondere, in der Person des Revisionswerbers gelegene Gefährdungsmomente sind fallbezogen nicht ersichtlich: Der Revisionswerber ist ein gesunder, arbeitsfähiger junger Mann mit Familienangehörigen in Kabul und achtjähriger Schulbildung. Entgegen dem Vorbringen in der Revision befasste sich das BVwG nicht nur mit den familiären Verhältnissen des Revisionswerbers, sondern führte auch aus, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und über alle Distriktzentren halte. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien im Allgemeinen fähig, die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen. Im Übrigen verkennt das BVwG die "als instabil zu bezeichnende allgemeine Sicherheitslage" nicht, sondern führt unter Hinweis auf aktuelle Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass dem Revisionswerber die Rückkehr nach Kabul dennoch zumutbar ist.

16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 4 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 10. August 2017

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