BVwG L504 2208737-1

BVwGL504 2208737-116.1.2023

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L504.2208737.1.00

 

Spruch:

 

L504 2208737-1/62E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX auch XXXX , StA. Irak, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2018, Zl. 1091412400-151571661, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt II., V. und IX. lauten:

II. Gemäß §§ 8 Abs 3a, 9 Abs 2 Z2 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Irak abgewiesen.

V. Es wird gem. §§ 52 Abs 9, 46 FPG, §§ 8 Abs 3a AsylG festgestellt, dass Ihre Abschiebung in den Irak unzulässig ist.

IX. Gemäß § 53 Abs 1 u. Abs 3 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

 

 

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

Die beschwerdeführende Partei [kurz: bP] stellte am 17.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, der seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus Mosul stammt.

 

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.10.2015 durchgeführten Erstbefragung gab die bP zu ihrer Ausreisemotivation aus dem Herkunftsstaat Folgendes an (Auszug aus der Niederschrift):

„(…)

Meine ganze Familie ist von der IS verschleppt worden. Ich weiß nicht, ob sie noch leben. Auch ich war ein Jahr in der Gefangenschaft der IS. Ich konnte flüchten, habe jetzt aber Angst um mein Leben und daher musste ich das Land verlassen.

(…)“

Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte sie eine neuerliche Verschleppung durch den IS und die Tötung.

Gefragt, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihr bei der Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde und ob sie bei einer Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, verneinte sie dies.

 

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen, die sie im Falle der Rückkehr erwarte, am 13.02.2018 im Wesentlichen Folgendes vor (Auszug aus der Niederschrift):

„(…)

Warum stellen sie einen Asylantrag? Nennen sie alle Ihre Fluchtgründe? Schildern Sie bitte detailliert und lebensnah!

Ich wurde von der Terrormiliz IS am 9. Oktober 2014 inhaftiert. Am 13. September 2015 wurde ich aus der Haft entlassen. Ich wurde wegen meines Berufes als Nachtwache in der Stadtverwaltung in Mosul verhaftet. Zwei meiner Kollegen wurden erschossen. Ich und ein weiterer Kollege wurden verhaftet. Nach meiner Entlassung habe ich mich entschieden das Land sofort zu verlassen. Ich habe einen Schlepper gesucht und ihm € 1000 bezahlt. Er brachte mich dann in die Türkei.

Der zweite Grund ist, dass ich bei der Mosul Stadtverwaltung beschäftigt war. Nach dem Fall Mosuls hat mein Chef eine militante Miliz aus der Stadtverwaltung gegründet, mit dem Ziel gegen den IS zu kämpfen. Er schrieb meinen Namen auf die Liste der Abwesenden und übergab diese den irakischen Streitkräften, er vermutete, dass ich auf der Seite des IS kämpfen würde. Diese militanten Milizen wurden in Erbil gegründet. Ich war zu dieser Zeit in Gefangenschaft beim IS und konnte mich deshalb den Milizen nicht anschließen.

Der dritte Grund ist mein Schwager. Er arbeitet als XXXX in der irakischen Armee. Wir verstehen uns nicht gut. Ich habe Probleme mit ihm. Seit 2009 habe ich immer wieder Probleme mit ihm. Sein Vater wurde von IS ermordet. Seitdem verbreitete er auf seinem Facebook Profil Lügengeschichten über mich, weil er mich hasst.

 

Sind das alle Ihre Fluchtgründe?

Ja

 

Hat sie ihr Schwager jemals persönlich bedroht?

Ja

 

Wann hat er sie bedroht?

Im Jahr 2010. Befragt gebe ich an, dass er mich seitdem nie wieder bedroht hat.

 

Woher wissen sie, dass Ihr ehemaliger Chef von der Mosul Stadtverwaltung ihren Namen auf irgendeine Liste gesetzt und diese Liste den irakischen Streitkräften übergeben hat?

Ich habe das in den Nachrichten erfahren.

 

Wann konkret haben sie das erfahren?

Das habe ich nach meiner Einreise nach Österreich erfahren. Ich habe immer die Nachrichten verfolgt.

 

In welchen Nachrichten haben sie das erfahren? Ich habe das von der Livesendung AlMosul-TV im Internet erfahren. Ich werde auch von den irakischen Polizisten gesucht.

 

Wie genau wurden sie in diesen Nachrichten erwähnt?

Jede Person welche nicht gegen den IS gekämpft hat muss vor Gericht gestellt werden.

 

Wie kann eine unbeteiligte Person, die sie nicht kennt, wissen, dass diese Aussage auf sie zutrifft?

Mein Bruder XXXX , der in der irakischen Polizei beschäftigt ist, wurde wegen mir einvernommen. Sie wollten wissen wo ich mich aufhalten.

 

Was hat ihr Bruder dazu gesagt?

Er sagte, dass ich vom IS verhaftet wurde. Sie haben ihm nicht geglaubt. Sie teilten ihm mit, mir mitzuteilen, dass ich nach Erbil fahren und mich den Milizen anschließen soll.

 

Wann genau wurde ihr Bruder von den irakischen Streitkräften einvernommen?

Das genaue Datum fällt mir jetzt nicht ein. Es war entweder im Jänner oder Februar 2017.

 

Sie behaupten keinen Kontakt zu ihrer Familie im Irak zu haben. Woher wissen sie das alles so genau?

 

Mein Bruder hat mir ein Video geschickt von Erbil aus. Er hat mir alles erzählt. Er war alleine in Erbil. Wann war das? Wann hatte ihnen dieses Video geschickt?

Das war vor ca. acht Monaten

 

Haben sie dieses Video noch?

Ja, ich habe es in meinem Telefon.

Anmerkung: Zeigt Fotos vom Flüchtlingslager wo seine Familie untergebracht ist.

 

Haben sie dieses Video in dem ihnen ihr Bruder erzählte was alles passiert ist, wie er einvernommen wurde und wie nach ihnen gesucht wird?

Nein. Er hat mir das nicht per Video mitgeteilt, sondern am Telefon. Er hat mich angerufen.

 

Wo hat er ihre Telefonnummer her?

Ich weiß es nicht.

(…)“

 

Am 25.04.2018 erfolgte beim Bundesamt eine ergänzende Einvernahme. Auszug aus der Niederschrift zum Fluchtvorbringen:

„(…)

Warum stellen sie einen Asylantrag? Nennen sie alle Ihre Fluchtgründe? Schildern sie bitte detailliert und lebensnah!

ich wurde vom IS am 9. Oktober 2014 entführt. Bis 13. September 2015 wurde ich gefangen gehalten an diesen Tag haben sie mich wieder gehen lassen. Sie haben mich entführt, wie ich als Security gearbeitet habe. Sie haben zwei andere Security umgebracht. Ich bin mit einem anderen Arbeitskollegen inhaftiert gewesen. Mein Arbeitgeber hat eine Miliz gegründet, damit sie gegen den IS kämpfen. Danach hat er eine Liste mit allen Vermissten Mitarbeiter gemacht und diese Liste der Polizei gegeben, weil er geglaubt hat, dass wir mit dem IS mitgekämpft haben.

 

Mein Schwager ist ein Arzthelfer beim Militär im Irak. Seit 2009 haben wir Probleme miteinander. Er hat mich 2009 entführt, weil er geglaubt hat, dass sich beim IS mitmache. Deswegen bin ich auch im Gefängnis gewesen. Ab 2010 hatte mich in Ruhe gelassen und hat keine Probleme mehr gemacht 2014 wurde sein Vater vom IS getötet. Er glaubte, dass ich seinen Vater getötet habe. Als mich mein Bruder vor zwei Wochen angerufen hat, hat er mir mitgeteilt, dass der Schwager und das Militär auf der Suche nach mir wären. Mein Bruder Mohamed bekommt sehr viele Probleme, weil ich nicht mehr dort bin. Sie wollten ihn auch entführen. Mein anderer Bruder daher wurde auch verhaftet und ca. eine Woche lang festgehalten und dabei befragt wo ich bin. Im Jänner oder Februar 2017 haben die Polizisten Mohamed wieder befragt und sie haben ihn einen Zettel unterschreiben lassen, dass, falls sich zurückkommen sollte, ich mich bei den Milizen melden soll.

 

Sind das alle Ihre Fluchtgründe?

Ja

 

Gibt es keine weiteren Fluchtgründe?

Nein

(…)“

 

Am 19.09.2018 wurde die bP ein weiteres Mal beim Bundesamt einvernommen (Auszug aus der NS):

„(…)

Wie haben Sie den Irak verlassen? Schildern Sie ab dem Zeitpunkt als Sie vom IS weggingen.

Ich werde wegen der Freilassung verfolgt. Man versteht nicht, warum zwei umgebracht wurden und ich nicht. Daher heißt es, ich sei Daesh Anhänger. Ich habe jetzt mehr Probleme. Sie wollen das ich für sie arbeitete. Wir würden auch Lohn bekommen. Die irakische Regierung würde uns sowieso verfolgen.

 

Bitte antworten Sie auf die Frage

Mehrere wurden entlassen. Auch mein Freund. Alle zehn Tage kam ein Richter von denen. Er sprach mit uns über Religion über Islam, dass wir dazu gehören. Er sagte uns er sei aus Mosul. Man müsse entweder kämpfen oder sterben.

 

Schildern sie bitte die Freilassung

ich und 200 andere Personen erfuhren, dass wir entlassen werden. Man fragte uns, was wir machen würden. Uns wurde erklärt, dass wir rasch umgebracht werden würden, weil wir im Mosul verblieben waren. Jeder der im Mosul bleibt wird als Tisch bezeichnet. Daher dachten wir nach, nach Syrien zu flüchten, dann Türkei. Der Bruder meines Freundes ist der Schlepper gewesen. Meine Brüder haben mich noch schnell hergerichtet, Bad rasiert etc.

(…)“

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (I.).

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (II.).

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (III.).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (V.).

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (V.).

Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gem. § 18 Abs 1 Z2 u. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (VI.).

Gem. § 55 Abs 1a FPG bestand keine Frist für die freiwillige Ausreise (VII.).

Gem. § 13 Abs 2 Z 3 AsylG hat die bP ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 03.09.2018 verloren (VIII.).

Gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG wurde ein für die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (IX.).

 

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, in Verbindung mit ihrer persönlichen Situation, keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Relevante Abschiebungshindernisse würden demnach nicht vorliegen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht gegeben sein und werde eine Rückkehrentscheidung ohne Frist für die freiwillige Ausreise verfügt. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wurde aberkannt, weil die bP insbes. eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Diesfalls bestehe ex lege keine Frist für die freiwillige Ausreise. Sie habe das Aufenthaltsrecht in Österreich verloren, weil über sie die Untersuchungshaft verhängt worden sei. Ihr bisheriges Verhalten stelle eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar und begründe dies die Erforderlichkeit eines Einreiseverbotes.

 

Mit Erkenntnis vom 19.03.2019 hat das BVwG erstmal die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluss vom 28. Mai 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof die dagegen erhobene ao Revision zurückgewiesen. Anher hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. September 2019 das Erkenntnis aufgehoben.

 

Am 21.12.2022 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihrer bevollmächtigten Vertretung eine Verhandlung durch. Die bP wurde dazu durch Organe der Justizanstalt vorgeführt. Das Bundesamt blieb entschuldigt fern.

Die Verhandlung gestaltete sich zur Frage der aktuellen Gefährdungslage im Wesentlichen wie folgt (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

„(…)

 

Zum Zeitpunkt der Verhandlung von der beschwerdeführenden Partei persönlich erwartete Rückkehrprobleme im Herkunftsstaat

 

Erwarten Sie aktuell bei einer Rückkehr in Ihre Herkunftsregion im Herkunftsstaat noch Probleme? Wenn ja, geben Sie bitte detailliert und vollständig alle Probleme an, die Sie persönlich für sich derzeit bei einer Rückkehr erwarten würden.

Der erste Punkt ist wegen der Miliz Al-Hashad Al-Shaabi, da ich verweigert habe mit ihnen zu kämpfen, obwohl sie mich aufgefordert haben.

Punkt Nummer 2 ist wegen meinem Schwager, weil durch ihn wurde ich verhaftet, das war im Jahr 2009. Ich habe auch ein Dokument, wo bestätigt wurde, dass ich in Haft war.

(Ende der freien Rede)

 

Vorhalte / Fragen:

 

Sie haben beim Bundesamt angegeben, dass Sie vor der Ausreise in Gefangenschaft des IS waren. Zu welchem Zeitpunkt wurden Sie von der Miliz Al-Hashad Al-Shaabi aufgefordert mit ihnen zu kämpfen?

Genau kann ich mich nicht mehr erinnern aber es war ca. 20 Tage oder ein Monat vor der Gefangenschaft beim IS. Nachgefragt: Telefonisch wurde ich von der Miliz kontaktiert, von meinem Chef, ich habe damals als Security gearbeitet, er hat aber alle meine Arbeitskollegen kontaktiert und er hat gesagt, ich soll nach Erbil kommen, da wir eine Gruppe machen werden, damit wir gegen den IS kämpfen und Mosul befreien. Da ich nicht gegangen bin, ich konnte nicht gehen, weil ich gefangen war und ich konnte Mosul nicht verlassen. Dadurch habe ich auch Probleme bekommen, weil ich nicht erschienen bin.

 

Woher wollen Sie wissen, dass Sie deshalb im Falle der Rückkehr noch Probleme bekommen sollten?

Mein Freund und zugleich Arbeitskollege, mit dem ich immer in Kontakt war vor meiner Haft hier in Österreich, habe ich erfahren, dass er in Mosul ist und dann habe ich erfahren, dass er inhaftiert wurde. Das Urteil war 20 Jahre Haft. Nachgefragt: Erfahren habe ich es durch seinen Bruder. Warum und weshalb weiß ich nicht, ich weiß nur, damals ist er auch nicht hingegangen um mit zu arbeiten bei der Miliz.

 

Wurden Sie damals aus der Gefangenschaft des IS einfach freigelassen oder konnten Sie aus der Gefangenschaft flüchten?

Nein, ich bin nicht weggelaufen, sondern ich wurde entlassen.

 

Warum wurden Sie damals nach Ihrer fast einjährigen Gefangenschaft vom IS wieder freigelassen?

Wegen den Beweisen. Sie haben nicht genug Beweise gegen mich gehabt. Die Vorwürfe gegen mich haben nicht gestimmt. Ich war ein normaler Nachtdienst Security. Nur weil ich ein privates Problem mit meinen Nachbarn gehabt habe, der eine ganz hohe Position gehabt hatte, war das, vermute ich, dass er es mir vorgeworfen hat.

 

Was haben die Angehörigen des IS bei Ihrer Freilassung zu Ihnen gesagt?

Als sie mich entlassen haben, bin ich direkt zu unserem Familienhaus gegangen, zu dieser Zeit war meine Mutter noch am Leben, sie sagte mir, ich soll Mosul so schnell wie möglich verlassen, weil sie werden mich nicht in Ruhe lassen.

 

Beim medizinischen Gutachter haben Sie 2021 noch angegeben, dass Sie der IS noch immer suchen würde. Heute haben Sie nichts mehr dergleichen erwähnt. Warum das?

Zu der Zeit gab es keinen Dolmetscher. Ich habe keinen Namen erwähnt. Ich habe gesagt eine Miliz. Ich habe selbst auf Deutsch geredet.(…)“

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

 

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Als Name und Geburtsdatum stehen lt. Bundesamt mit XXXX fest. Bei der Erstbefragung gab sie XXXX als Namen an.

Die bP ist der Volksgruppe der Araber und dem sunnitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak. Sie ist in Ninewa bzw. Mosul aufgewachsen und dort registriert. Sie verfügt über heimatstaatliche, ihre Identität und Herkunft nachweisende Dokumente.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist in XXXX im Irak geboren und absolvierte in Mosul ihre Schulbildung. Sie ist ledig und hat keine Kinder.

Sie wohnte vor ihrer Ausreise in Mosul im Haus der Eltern.

Sie war im Irak in Mosul erwerbstätig und wurde dort sozialisiert.

1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Eltern sind nach der Ausreise der bP verstorben. 4 Brüder und zwei Schwestern leben in Mosul. Ein Bruder pendelt zwischen der Türkei und Dohuk. Sie hatte bis zur Inhaftierung laufend tel. Kontakt mit Geschwistern die in Mosul leben. Seit der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kann sie sich die Telefonate nicht mehr leisten.

1.4. Ausreisemodalitäten:

Sie verließ im September 2015 den Irak und kam am 17.10.2015 in Österreich an.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihr dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.

1.5. Aktueller Gesundheitszustand:

Die bP befindet sich derzeit in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Diagnostiziert wurden zuletzt Paranoide Schizophrenie F20.0, Posttraumatische Belastungsstörung F43.1, schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (Alkohol, Cannabis, Kokain, derzeit abstinent in beschützender Umgebung F19.1.

Die bP wurde auf neuroleptische Medikation eingestellt. Auf Grund des hochstrukturierten Settings – in Zusammenhang mit der Medikation – in der JA Asten besteht aktuell ein Zustandsbild ohne vordergründigem Hinweis auf Selbst- bzw. Fremdgefährdung. Aus fachärztlicher Sicht (in der JA) sind jedoch weiterhin klare Symptome der psychotischen Grunderkrankung feststellbar. Derzeit befindet sich die bP in umfangreicher Rehabilitation (Psychiatrische, psychologische und soziotherapeutischer Behandlung in Form von Einzel- und Gruppensitzungen in der JA).

Im Strafverfahren stellte der med. Sachverständige fest, dass bei der bP aufgrund des Schuldwahnes eine suizidale Einengung besteht, wobei konkrete Suizidabsichten der Selbstverbrennung vorliegen. Sie ist aufgrund ihrer kognitiven Situation nicht in der Lage die zwangsläufig mit dieser Form des Selbstmordes verbundenen Gefährdungen anderer einzuschätzen. Weiters liegt auch eine Persönlichkeitsstörung vor, die die Fähigkeit ihre Impulse zu kontrollieren deutlich herabsetzen. Im Rahmen dieser Persönlichkeitsstörung finden sich auch frühere Verhaltensauffälligkeiten, das überwiegen unreife Abwehrmechanismen, die nur rudimentär ausgebildet und Copingstrategien, zudem fehlt auch völlig ein sozialer Empfangsraum. Es ist daher ein Überwiegen der prognostischen negativen Faktoren feststellbar es muss mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass der Beschuldigte weitere Straftaten mit schweren Folgen im Sinne einer Brandstiftung begehen wird. Zum Tatzeitpunkt lagen bei der beschwerdeführenden Partei aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen des § elf StGB vor. Die bP wird aus sachverständiger Einschätzung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit weitere Brandstiftungen begehen.

Seitens des zuständigen Strafgerichtes wurde bis dato keine Aufhebung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

 

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich:

 

Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes

Die bP begab sich ohne Vorhandensein eines gültigen Einreise- bzw. Aufenthaltstitels in das Bundesgebiet.

Mit der erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

 

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich

Die bP hat in Österreich keine als Familienleben zu wertenden Umstände dargelegt.

 

Grad der Integration

Die bP hat während ihres Aufenthaltes in Österreich in der Praxis alltagstaugliche Deutschkenntnisse erlangt und kann sich verbal gut verständigen. Sie war kurzfristig ehrenamtlich beim Samariterbund tätig. Sie hat als Asylwerber delinquentes Verhalten gezeigt.

 

 

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an auch für Asylwerber real möglicher und gesetzlich erlaubter Erwerbstätigkeit (ds. mit Beschäftigungsbewilligung, Werkvertrag, Arbeiten im Rahmen des Grundversorgungsgesetzes, Dienstleistungen über Dienstleistungsscheck)(Quelle: https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wie-koennen-asylwerber-innen-beschaeftigt-werden ) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen

Die bP ist seit Einreise wirtschaftlich von staatlichen Versorgungsleistungen abhängig.

 

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienlebens; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Die bP hat diese Anknüpfungspunkte während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.

 

Bindungen zum Herkunftsstaat

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat – im Gegensatz zu Österreich – problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie wurde somit im Herkunftsstaat sozialisiert und kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens einschließlich der gegebenen sozialen Unterstützungsnetzwerke. Es leben dort auch noch insbes. Familienangehörige.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.

 

Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen

1. Die beschwerdeführende Partei wurde vom Landesgericht am 18. Oktober 2018 für schuldig befunden, dass sie gemeinsam mit einer anderen Person am 2. September 2018 in Wien vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut, beinhaltend die Wirkstoffe THC A und Delta-9-THC in Straßenqualität auf einer öffentlichen Verkehrsfläche und an einem allgemein zugänglichen Ort einer anderen Person ein Portionssäckchen mit insgesamt 1 g brutto und 0,7 g netto loses Marihuana gegen ein Entgelt von insgesamt € 20, wobei die Tat von zumindest zehn Personen wahrgenommen werden konnte und somit öffentlich begangen wurde, zu überlassen versucht und zwar die beschwerdeführende Partei zwei Portionssäckchen mit insgesamt 1,9 g brutto Cannabiskraut. Es wurde dadurch begangen das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 2 a zweiter Fall SMG, das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 15 StGB, § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall SMG. Die beschwerdeführende Partei wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die erlittene Vorhaft vom 2. September 2018 bis 18. Oktober 2018 wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel und das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet. Erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Vergehen.

 

2. mit Urteil des Landesgerichtes vom 11. November 2021 wurde über den gestellten Antrag auf Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB zu Recht erkannt, dass die beschwerdeführende Partei am 5. August 2021 in Wien unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, die auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, versucht an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst zu verursachen, indem sie in ihrem Schlafzimmer im Wohnheim in Wien Benzin aus brachte und dieses mit einem Feuerzeug entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Bauweise des Gebäudes eine weitere Ausbreitung verhinderte und das Brandgeschehen von der Feuerwehr rechtzeitig bekämpft werden konnte. Die bP hat hierdurch eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 15, § 169 Abs. 1 StGB zuzurechnen wäre.

Da nach Person und Zustand sowie nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass sie sonst unter den Einfluss ihrer geistigen und seelischen Abartigkeit in Zukunft eine weitere mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wurde sie in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Demnach hat die IP am 5. August 2021 in ihrem Zustand beschlossen, ihrem Leben endgültig ein Ende zu setzen und besorgte sich bei der Tankstelle 2 l Benzin. Von ihrem ursprünglichen Vorhaben, sich nahe der Tankstelle mittels des gekauften Benzins anzuzünden, nahm sie Abstand, da sie dort zwei Polizeiautos wahrnahm. Stattdessen begab sie sich in ihr Zimmer im Caritaswohnheim, wobei sie das Zubettgehen ihrer Mitbewohner abwartete. In weiterer Folge brachte sie ca. 1 l des zuvor gekauften Benzins an mehreren Stellen in ihrem Schlafzimmer aus, legte sich einen zu einer Schlinge gebundenen Gürtel um den Hals und entzündete das Benzin mit einem Feuerzeug. Dadurch entstand sofort eine Stichflamme und das Feuer breitete sich im Schlafzimmer, aufgrund dessen geriet der Betroffene und verließ im Panik das Gebäude. Infolge der intensiven Rauchentwicklung mussten aus den oberen Stockwerken zahlreiche Heimbewohner von Polizeikräften aus dem Haus evakuiert werden. Durch das Einschreiten der Feuerwehr konnte letztlich eine Ausbreitung des Feuers auf andere Räume oder Zimmer des Wohnhauses verhindert werden. Dies lag im Wesentlichen jedoch einzig und allein daran, dass die rasch eintreffende Feuerwehr den Brand mit massiven Löschmitteln bekämpfen konnte und die Bauweise der Wände des Schlafzimmers Schlimmeres verhinderten. Ohne diese Umstände wäre es zu einer nicht mehr oder nur mehr äußerst schwer einzuräumenden Brand Ausbreitung gekommen.

Aufgrund der im Zuge der vorläufigen Anhaltung erfolgten Therapie konnte beim Betroffenen eine Krankheit-und Behandlung Einsicht erreicht und eine Depotmedikation etabliert werden. Die schwerwiegende Geisteskrankheit macht auch zukünftig eine enge psychiatrische und psychotherapeutische Therapie beim Betroffenen notwendig. Um die Gefährlichkeit hintanzuhalten, bedarf es trotz Compliance bezüglich der psychopharmakologische Therapie eines entsprechenden sozialen empfangen Raumes im Sinne einer eines betreuten Wohnplatzes samt Tagesstruktur in einer geeigneten Betreuungseinrichtung. Ohne einen solchen Wohnplatz ist zum Urteilszeitpunkt trotz allfälliger weiterer Weisungen (zur regelmäßigen psychiatrischen Behandlung, Fortführung der psychopharmakologischen Therapie, Gewährleistung der Drogen und alkoholabstinenzsamt regelmäßigen Kontrollen, Bewährungshilfe), aufgrund der bestehenden Erkrankung im Zusammenhang halt mit der Person des Betroffenen, seinem Zustand und der Art der Anlasstat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er unter dem Einfluss dieser Erkrankung weitere strafbare Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere Brandstiftungen begehen wird.

Die Gefährlichkeitsprognose ist ungünstig, d. h. dass mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchtet werden muss, dass die beschwerdeführende Partei unter dessen Einfluss geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades in Zukunft weitere Delikte mit schwerer schweren Folgen begehen wird. Die Voraussetzungen für eine bedingte Einweisung im Sinne des §§ 45 Abs. 1 StGB sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Betroffene zwar Krankheits-und Deliktseinsicht aufweist, zur Hintanhaltung seiner Gefährlichkeit jedoch ein Wohnplatz in einer betreuten Wohneinrichtung zwingend geboten ist, welche aktuell nicht zur Verfügung steht, weshalb die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unbedingt auszusprechen war.

Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Sie hat ihre Mitwirkungsverpflichtung im Hinblick auf die Verpflichtung nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen in zentralen Punkten verletzt und versuchte dadurch die entscheidenden staatlichen Instanzen zur Erlangung von internationalen Schutz zu täuschen.

Verfahrensdauer

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 17.10.2015 gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 02.10.2018. Mit Erkenntnis vom 19.03.2019 hat das BVwG erstmal die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Mit Beschluss vom 28. Mai 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof die dagegen erhobene Revision zurückgewiesen. In weiterer Folge hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. September 2019 das Erkenntnis aufgehoben. Nach eingebrachter Beschwerde erging nach durchgeführter Verhandlung mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.

 

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet:

 

a) Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:

Die im Verfahren vorgebrachte aktuelle Verfolgungsgefahr durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure (siehe insb. Verfahrensgang) wurde nicht glaubhaft gemacht.

 

Aus der derzeitigen Lage ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der bP als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht.

 

b) Betreffend ihrer Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse im Herkunftsstaat:

Auf Grund ihres aktuellen Gesundheitszustandes und dem Fehlen einer für den konkreten Fall der bP hinreichenden und notwendigen med. Versorgung im Herkunftsstaat ergibt sich im Falle der Rückkehr derzeit die reale Gefahr, dass sie in eine aussichtslose Lage geraten würde.

 

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat

Aus nachfolgend genannten Quellen (einschließlich darin zitierter Berichte) ergeben sich nachfolgende Feststellungen über die relevante Lage: Länderinformation der

Staatendokumentation, Irak aus dem COI-CMS,

 

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage im Irak hat sich seit dem Ende der groß angelegten Kämpfe gegen den Islamischen Staat (IS) erheblich verbessert (FH 3.3.2021). Derzeit ist es jedoch staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für den Zentralirak außerhalb der Hauptstadt (AA 25.10.2021, S.9). Der IS ist zwar offiziell besiegt, stellt aber weiterhin eine Bedrohung dar, und es besteht die ernsthafte Sorge, dass die Gruppe wieder an Stärke gewinnt (DIIS 23.6.2021). Zusätzlich agieren insbesondere schiitische

Milizen (Volksmobilisierungskräfte, PMF), aber auch sunnitische Stammesmilizen eigenmächtig

(AA 25.10.2021, S.9). Die ursprünglich für den Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar (AA 25.10.2021, S.15). Die PMF haben erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche, politische und sicherheitspolitische

Lage im Irak und nutzen ihre Stellung zum Teil, um unter anderem ungestraft gegen Kritiker vorzugehen. Immer wieder werden Aktivisten ermordet, welche die vom Iran unterstützten PMF öffentlich kritisiert haben (DIIS 23.6.2021). Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 25.10.2021, S.15). [Siehe hierzu Kapitel: Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi]

Die Überreste des IS zählen zu den primären terroristischen Bedrohungen im Irak. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Terrorgruppe mit Sitz in den Bergen des Nordiraks, verübte ebenfalls mehrere Anschläge in der Kurdistan Region Irak (KRI), bei denen auch mehrere Angehörige der kurdischen Sicherheitskräfte getötet wurden. Auch gewisse mit dem Iran verbündete Milizen stellen eine terroristische Bedrohung dar (USDOS 16.12.2021).

Im Jahr 2020 blieb die Sicherheitslage in vielen Gebieten des Irak instabil (USDOS 30.3.2021).

Die Gründe dafür liegen in sporadischen Angriffen durch den IS (UNSC 30.3.2021; vgl. USDOS 30.3.2021), in Kämpfen zwischen den irakischen Sicherheitskräften (ISF) und dem IS in dessen Hochburgen in abgelegenen Gebieten des Irak, in der Präsenz von Milizen, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen, einschließlich bestimmter PMF sowie in ethno-konfessioneller und finanziell motivierter Gewalt (USDOS 30.3.2021).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA, die am 3.1.2020 in der gezielten Tötung von Qasem Soleimani, Kommandant des Korps der Islamischen Revolutionsgarden und der Quds Force, und Abu Mahdi al-Muhandis, Gründer der Kataib Hisbollah und de facto Anführer der Volksmobilisierungskräfte, bei einem Militärschlag am Internationalen Flughafen von Bagdad gipfelten, haben einen destabilisierenden Einfluss auf den Irak (DIIS 23.6.2021). Schiitische Milizenführer drohen regelmäßig damit, die von den USA unterstützten Streitkräfte im Irak anzugreifen. Anschläge mit Sprengfallen (IEDs) gegen militärische Versorgungskonvois der USA sind im Irak an der Tagesordnung. Es wird häufig über Anschläge in der südlichen Region des Landes berichtet, darunter in den Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Qadisiyyah und Muthanna. Aber auch aus den zentralen Gouvernements Bagdad, Anbar und Salah ad-Din wurden Anschläge gemeldet. Konvois werden oft auf Autobahnen angegriffen, wobei diese Vorfälle selten Opfer oder größere Schäden zur Folge haben (Garda 15.7.2021). Die Zahl der Angriffe pro-iranischer Milizen hat ihren bisherigen monatlichen Höhepunkt mit 26 im April 2021 erreicht und ist seitdem zurückgegangen. Diese Gruppen versuchen, die US-Präsenz im Irak einzuschränken, was ihr auch gelungen ist, da sich die Amerikaner nun auf den Schutz ihrer Truppen konzentrieren, anstatt mit den irakischen Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten (Wing 2.8.2021).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 25.10.2021, S.16).

Im Nordirak führt die Türkei zum Teil massive militärische Interventionen durch, die laut Ankara gegen die PKK gerichtet sind. Außerdem unterhält die Türkei dort temporäre Militärstützpunkte (GIZ 1.2021a), über 40 davon in der KRI sowie eine Militärbabsis in Bashiqa bei Mossul (BS 23.2.2022). Die Errichtung weiterer Militärstützpunkte ist geplant (Reuters 18.6.2020). Die Türkei hat im Rahmen ihrer gemeinsamen Operationen Claw-Eagle und Claw-Tiger gegen die PKK im Qandil-Gebirge, in Sinjar und Makhmur (beide in Ninewa) irakischen Boden bombardiert. Auch der Iran hat das Qandil-Gebirge bombardiert, ein Angriff, der vermutlich mit der Türkei koordiniert wurde (BS 23.2.2022).

Die Regierungen in Bagdad und Erbil haben im Mai 2021 eine Vereinbarung über den gemeinsamen Einsatz ihrer Sicherheitskräfte (ISF und der Peshmerga) in den Sicherheitslücken zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten getroffen (Rudaw 14.5.2021; vgl. Rudaw 21.6.2021). Seitdem wurden mehrere „Gemeinsame Koordinationszentren“ eingerichtet (Rudaw 21.6.2021). In vier neuen Gemeinsamen Koordinationszentren, in Makhmour, in Diyala, in Kirkuks K1 Militärbasis und in Ninewa, werden kurdische und irakische Kräfte zusammenarbeiten und Informationen austauschen, um den IS in diesen Gebieten zu bekämpfen (Rudaw 25.5.2021). Jene Sicherheitslücken werden vom IS erfolgreich ausgenutzt. In einigen Gebieten ist die Sicherheitslücke bis zu 40 Kilometer breit. Der IS gewinnt dort an Stärke und führt tödliche Angriffe auf kurdische und irakische Kräfte und Zivilisten durch (Rudaw 14.5.2021).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file /local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq , Zugriff 25.8.2021FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/docu ment/2046520.html, Zugriff 3.3.2021Garda World (15.7.2021): Iraq: Improvised explosive device targets convoy carrying military supplies in Dhi Qar Governorate July 15, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/502161/iraq-impro vised-explosive-device-targets-convoy-carrying-military-supplies-in-dhi-qar-governorate-july-15, Zugriff 25.8.2021GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Geschichte & Staat,http s://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]Reuters (18.6.2020): Turkey plans more military bases in north Iraq after offensive: official,https: //www.reuters.com/article/us-turkey-security-iraq/turkey-plans-more-military-bases-in-north-ira q-after-offensive-official-idUSKBN23P12U, Zugriff 16.3.2021Rudaw (21.6.2021): Coalition ‘very happy’ with Peshmerga reform, Kurdish-Iraqi coordination: colonel, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/210620212 , Zugriff 21.6.2021Rudaw (25.5.2021): In Makhmour, Iraqi and Kurdish forces collaborate against common enemy ISIS, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/25052021 , Zugriff 21.6.2021Rudaw (14.5.2021): Erbil, Baghdad agree on joint deployment to combat ISIS threat: Peshmerga ministry, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/14052021 , Zugriff 21.6.2021UNSC - United Nations Security Council (30.3.2021): Conflict-related sexual violence; Report of the

Secretary-General [S/2021/312], https://www.ecoi.net/en/file/local/2049397/S_2021_312_E.pdf , Zugriff 1.4.2021USDOS - US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2065356.html , Zugriff 22.2.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musi ngsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html , Zugriff 25.8.2021

Islamischer Staat (IS)

 

Im Dezember 2017 erklärte der Irak offiziell den Sieg über den Islamischen Staat (IS), nachdem im Monat zuvor mit Rawa im westlichen Anbar, das letzte urbane Zentrum des IS im Irak zurückerobert worden war (Al Monitor 11.7.2021). Der IS stellt nach wie vor eine Bedrohung dar (DIIS

23.6.2021; vgl. MEE 4.2.2021, Garda 15.4.2021, USDOS 16.12.2021). Er ist als klandestine Terrorgruppe aktiv, deren Fähigkeit zu operieren dadurch verringert ist, dass er weder Territorium noch Zivilbevölkerung beherrscht (FH 3.3.2021). Der IS versucht jedoch vor allem in jenen Gebieten Fuß zu fassen, deren Kontrolle zwischen der kurdischen Regionalregierung und der föderalen Regierung umstritten ist (USDOS 16.12.2021).Laut irakischen Kommandanten ist der IS nicht mehr in der Lage Territorien zu halten (MEE 4.2.2021).

Nur eine Minderheit der IS-Kräfte ist aktiv in Kämpfe verwickelt, besonders in einigen Gebieten im

Nord- und Zentralirak. In Gebieten mit sunnitischer Bevölkerungsmehrheit konzentriert sich der IS auf die Doppelstrategie der Einschüchterung und Versöhnung mit den lokalen Gemeinschaften, während er auf ein erneutes Chaos oder den Abzug der internationalen Anti-Terrortruppen

wartet (NI 19.5.2020). Der IS unterhält im gesamten West- und Nordirak Zellen, die gut ausgerüstet und äußerst mobil sind. Es wird angenommen, dass sie die Unterstützung aus den marginalisierten sunnitischen Gemeinschaften in der Region erhalten (Garda 15.4.2021). Schätzungen über die Stärke des IS gehen von 2.000 bis zu 10.000 IS-Kämpfer im Irak, dürften aber zu hoch gegriffen sein und sich zur Hälfte aus Unterstützern und Schläfern zusammensetzen (NI 18.5.2021). Auch die Vereinten Nationen schätzen die Stärke des IS im Irak und in Syrien auf etwa 10.000 Kämpfer, wobei es sich dabei um eine Schätzung handelt und die Zahl tatsächlich geringer ausfällt (Wilson Center 10.12.2021).

Eine grundlegende geografische Verteilung der IS-Kämpfer lässt sich aus deren Operationen ableiten, die sie gegen die Sicherheitskräfte und die PMF durchführen. Diese betreffen hauptsächlich Anbar, Bagdad, Babil, Kirkuk, Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (NI 18.5.2021). Nach der territorialen Niederlage im Jahr 2017 haben sich Zellen des IS weitgehend im Gebietsdreieck zwischen den Gouvernements Salah ad-Din, Diyala und Kirkuk, einschließlich des Hamrin-Gebirges, im Nordirak neu gruppiert. Das Gebiet liegt zwischen den Zuständigkeiten der irakischen Sicherheitskräfte und denen der Kurdischen Regionalregierung (KRG), den Peshmerga (MEE

4.2.2021). Um die 2.000 der Kämpfer sollen sich in diversen Dreiecksgebieten konzentrieren: Das Gebiet zwischen Nord, West und Süd Bagdad, das Gebiet zwischen den nördlichen Hamreenbergen, Südkirkuk und dem Osten von Salah-ad-Din, das Gebiet zwischen Makhmour, Shirqat und den Khanoukenbergen im nördlichen Salah ad-Din, das Gebiet zwischen Baaj in

Ninewa, Rawa im nördlichen Anbar und dem Tharthar See, das Gebiet zwischen Wadi Hauran,

Wadi al-Qathf und Wadi al-Abyad in Anbar (NI 19.5.2020). Auch Informationen irakischer Sicherheitsbeamter deuten darauf hin, dass der IS auf abgelegene Stützpunkte tief in der Wüste in Anbar, Ninewa, in Gebirgszügen, Tälern und Obstplantagen in Bagdad, Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala zurückgreift, um seine Kämpfer unterzubringen und Überwachungs- und Kontrollpunkte zur Sicherung der Nachschubwege einzurichten. Er nutzt diese Stützpunkte auch, um Kommandozentren und kleine Ausbildungslager einzurichten. In urbanen Gebieten hat der IS seine Kämpfer in kleinen mobilen Untergruppen reorganisiert und seine Aktivitäten in Gebieten in denen er noch Einfluss hat verstärkt, indem er die internen Probleme des Iraks ausnutzt und sich vertrautes geografisches Gebiet zunutze macht (NI 18.5.2021). Im Jänner 2022 erklärte der Leiter der irakischen Sicherheitsmedienzelle, Generalmajor Sa’ad Ma’an, dass der IS weiterhin in den Qarachokh-Bergen, in der Gegend südlich von Makhmur und in Teilen der Gouvernements Kirkuk, Diyala und Salah ad-Din präsent sei (NRT 4.2.2022).

Der verstärkte Einsatz von mobilen IS-Gruppen, die in verschiedenen Gebieten operieren, oft weit entfernt von ihren Stützpunkten oder von Unterkünften wie den Madafat (Anm.: Grundausbildungslager), die sich in unwegsamem Gelände, Felsenhöhlen oder unterirdischen Tunneln befinden, bedeutet, dass die tatsächliche Präsenz der Gruppe nicht anhand ihrer territorialen

Ansprüche oder von Ankündigungen irakischer Behörden beurteilt werden kann (NI 18.5.2021). Der IS verlässt sich bei der Planung und Ausführung seiner Aktivitäten auf geografisches Terrain.

Obwohl die Gruppe nicht mehr als Staat agiert, wie es in den Jahren des Kalifats von 2014 bis 2018 der Fall war, beziehen sich ihre Kommuniqués, in denen sie sich zu Anschlägen bekennt, immer noch auf das Wilayat als Teil ihrer PR-Strategie (NI 18.5.2021).

Der IS wählt seine Einsatzgebiete nach strategischen Faktoren aus: Ein Faktor ist die Generierung von Finanzmitteln, an den Handelsrouten zum Iran, zu Syrien und zwischen den irakischen Gouvernements, durch Steuern bzw. Schutzgelder, die Transportunternehmen auferlegt werden, sowie aus dem Schmuggel von Medikamenten, Waffen, Zigaretten, Öl, illegalen Substanzen und Lebensmitteln. Ein anderer Faktor ist die Schaffung strategischer Tiefe und sicherer Häfen. So konzentriert sich der IS auf die Ansiedlung in verlassenen Dörfern im Nord- und Zentralirak, wo natürliche geographische Barrieren und Gelände, wie Täler, Berge, Wüsten und ländliche Gebiete, konventionelle Militäroperationen zu einer Herausforderung machen. Hier nutzt der IS Höhlen, Tunnel und Lager zu Ausbildungszwecken, auch um sich Überwachung, Spionage und feindlichen Operationen zu entziehen. Ein weiterer Faktor ist die direkte Nähe zum Ziel. Der IS konzentriert sich beispielsweise auf Randgebiete um Städte und große Dörfer, die eine große Präsenz von einerseits Stammesmilizen oder lokalen Streitkräften und andererseits von nicht-lokalen loyalistischen PMF-Milizen aufweisen, sowie auf niederrangige Beamte, die mit der Regierung für die Vertreibung des IS zusammengearbeitet haben. Solche Gebiete sind häufig instabil aufgrund von Friktionen zwischen den verschiedenen Kräften. Einheimische, vor allem solche, die durch die anwesenden Kräfte geschädigt wurden, können dem IS gegenüber aufgeschlossener sein (CPG 5.5.2020).

Der IS hat die jüngsten Entwicklungen im Irak, wie die weitreichenden öffentlichen Proteste, den Rücktritt der Regierung und die daraus resultierende politische Stagnation, die Machtkämpfe um die Ermordung des Führers der PMF, Abu Mahdi al-Muhandis, durch die USA und den Abzug von US-Streitkräften aus dem Irak, operativ genutzt und in eher kleinen Gruppen von neun bis elf Männern Anschläge in Diyala, Salah ad-Din, Ninewa, Kirkuk und im Norden Bagdads verübt (CPG 5.5.2020).

Der IS begeht zumeist Angriffe mit Kleinwaffen, Hinterhalte und Bombenanschläge am Straßenrand (IEDs) (Wilson Center 10.12.2021; vgl. USDOS 16.12.2021). Er greift jedoch auch auf Selbstmordattentate, Attentate, Entführungen und Sabotageakte zurück. Dabei sind Angriffe im kleinen Ausmaß heute am weitesten verbreitet. Die Ziele sind je nach Gebiet unterschiedlich, aber im Allgemeinen handelt es sich um die Sicherheitskräfte der verschiedenen Gebiete, ihre vermeintlichen Unterstützer/Kollaborateure und die breitere Bevölkerung schiitischer und anderer nicht-sunnitischer Muslime, die alle als Ungläubige und Abtrünnige gelten (Wilson Center 10.12.2021).

Seit Sommer 2021 häufen sich Angriffe auf das irakische Stromnetz. Diese Angriffe werden von den Behörden terroristischen Kräften oder dem IS zugeschrieben (AN 14.8.2021). Der IS hat sich zu Dutzenden solcher Anschläge bekannt und bedroht auch andere lebenswichtige Infrastruktur. Es wird angenommen, dass der IS versucht, Panik zu verbreiten, indem er das Elektrizitätsnetz angreift (Rudaw 8.8.2021).

Nach der Tötung des „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi wurde Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi 2019 der neue Anführer des IS. Dieser wurde als Ameer Muhammed Sa’id al-Salbi al-Mawla identifiziert, ein langjähriger Anführer des IS aus Tal’afar im Nordirak (NI 19.5.2020; vgl. CISAC 2021). Am 4.2.2022 kam al-Qurashi bei einer Militäroperation der USA in Nordsyrien ums Leben (Al Jazeera 4.2.2022; vgl. Reuters 9.2.2022, GS 11.3.2022). Im März 2022 wurde verkündet, dass Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi die Nachfolge angetreten hat. Hinter diesem nom de guerre verbirgt sich laut irakischen und westlichen Geheimdienstquellen Juma Awad al-Badri, ein Bruder des ersten „Kalifen“ (GS 11.3.2022).

Dem „Kalifen“ sind zwei fünfköpfige Ausschüsse unterstellt: ein Shura (Beratungs-) Rat und ein

Delegiertenausschuss. Jedes Mitglied des Letzteren ist für ein Ressort zuständig (Sicherheit, sichere Unterkünfte, religiöse Angelegenheiten, Medien und Finanzierung). Die verschiedenen Sektoren des IS arbeiten auf lokaler Ebene dezentralisiert, halbautonom und sind finanziell autark (NI 19.5.2020).

Quellen:Al Jazeera (4.2.2022): Profile: Who was Abu Ibrahim al-Qurayshi?, https://www.aljazeera.com/ne ws/2022/2/4/abu-ibrahim-al-qurayshi-who-was-isil-killed-in-us-raid, Zugriff 18.2.2022Al Monitor (11.7.2021): Islamic State uses hit-and-run tactics in Iraq, https://www.al-monitor.com/o riginals/2021/07/islamic-state-uses-hit-and-run-tactics-iraq, Zugriff 25.8.2021AN - Arab News (14.8.2021): West Baghdad without water after ‘attack’ on power grid, https: //www.arabnews.com/node/1911056/middle-east, Zugriff 25.8.2021CISAC - Center for International Security and Cooperation (2021): The Islamic State, https://cisac. fsi.stanford.edu/mappingmilitants/profiles/islamic-state#highlight_text_12400 , Zugriff 25.8.2021CPG - Center for Global Policy (5.5.2020): ISIS in Iraq: From Abandoned Villages to the Cities, https://cgpolicy.org/articles/isis-in-iraq-from-abandoned-villages-to-the-cities/ , Zugriff 4.6.2020DIIS - Danish Institute for international Studies (23.6.2021): Security provision and external actors in Iraq, https://www.diis.dk/en/research/security-provision-and-external-actors-in-iraq , Zugriff 25.8.2021FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/docu ment/2046520.html, Zugriff 3.3.2021Garda World (15.4.2021): Iraq: At least five people killed, 21 injured in car bomb explosion in Baghdad April 15 /update 1, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/467636/iraq-at-lea st-five-people-killed-21-injured-in-car-bomb-explosion-in-baghdad-april-15-update-1, Zugriff 25.8.2021GS - Global Security (11.3.2022): Abu al-Hassan al-Hashimi al-Qurayshi, https://www.globalsecuri ty.org/military/world/para/abu-al-hassan-al-hashimi.htm, Zugriff 6.7.2022MEE - Middle East Eye (4.2.2021): Islamic State regrouping in northern Iraq and relying on women operatives, https://www.middleeasteye.net/news/iraq-islamic-state-regrouping-northern-women-o peratives, Zugriff 10.4.2021NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/ iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021NI - Newlines Institute (19.5.2020): ISIS 2020: New Structures and Leaders in Iraq Revealed, https://newlinesinstitute.org/isis/isis-2020-new-structures-and-leaders-in-iraq-revealed/ , Zugriff 4.6.2021NRT - Nalia Media Corporation (4.2.2022): Three Peshmerga wounded in ISIS attack in Qarachokh Mountains, http://nrttv.com/En/detail6/2461 , Zugriff 9.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (16.12.2021): Country Report on Terrorism 2020 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2065356.html , Zugriff 22.2.2022)Reuters (9.2.2022): Islamic State likely to pick battle-hardened Iraqi as next leader - officials, analysts, https://www.reuters.com/world/middle-east/islamic-state-likely-pick-battle-hardened-ira qi-next-leader-officials-analysts-2022-02-09/, Zugriff 18.2.2022Rudaw (8.8.2021): More than 18 attacks on electricity towers thwarted in Iraq in two weeks: military spox, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/080820212 , Zugriff 25.8.2021Wilson Center (10.12.2021): Explainer: The Islamic State in 2021, https://www.wilsoncenter.org/a rticle/explainer-islamic-state-2021, Zugriff 18.2.2021

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den gesamten Irak im Lauf des Monats Jänner 2021 77 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 92 Toten (46 Zivilisten) und 176 Verwundeten (125 Zivilisten) verzeichnet. 64 dieser Vorfälle werden dem Islamischen Staat (IS) zugeschrieben und 13 proiranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 145, gefolgt von 36 in Diyala, 28 in Ninewa und 26 in Salah ad-Din (Wing 4.2.2021). Im Februar 2021 waren es 63 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (elf Zivilisten) und 77 Verwundeten (elf Zivilisten). 47 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 16 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Diyala mit 38, gefolgt von 26 in Kirkuk und 21 in Anbar (Wing 8.3.2021). Im März 2021 waren es 79 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 39 Toten (16 Zivilisten) und 44 Verwundeten (14 Zivilisten). 59 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 20 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 22, gefolgt von 19 in Diyala und 18 in Kirkuk (Wing 5.4.2021). Im April 2021 waren es 107 Vorfälle mit 54 Toten (19 Zivilisten) und 132 Verwundeten (52 Zivilisten). 80 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 27 pro-iranischen Milizen. Diyala hatte mit 62 die meisten Opfer zu beklagen, gefolgt von 39 in Kirkuk, 30 in Bagdad, 24 in Salah ad-Din und 22 in Ninewa (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 waren es 113 Vorfälle mit 59 Toten (elf Zivilisten) und 100

Verwundeten (24 Zivilisten). 89 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 24 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Kirkuk mit 53, gefolgt von 31 in Salah ad-Din, 26 in Diyala und 19 in Anbar (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden 83 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Dabei wurden 36 Menschen (16 Zivilisten) getötet und 87 verwundet (50 Zivilisten). 62 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Vier weitere Vorfälle konnten nicht zugewiesen werden. Die meisten Opfer gab es in Bagdad mit 47, gefolgt von 31 in Diyala und 23 in Kirkuk (Wing 6.7.2021). Im Juli 2021 waren es 107 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 106 Toten (76 Zivilisten) und 164 (114 Zivilisten) Verwundeten. 90 dieser Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 17 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Bagdad, wo ein Bombenanschlag 101 Opfer forderte, gefolgt von 65 in Salah ad-Din, 33 in Anbar, 25 in Diyala, 21 in Kirkuk und 20 in Ninewa (Wing 2.8.2021). Im August 2021 wurden schließlich 103 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 54 Toten (15 Zivilisten) und 82 Verwundeten (34 Zivilisten) verzeichnet. 73 der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, 30 pro-iranischen Milizen. Die meisten Opfer gab es in Salah ad-Din mit 48, gefolgt von 23 in Kirkuk, 19 in Bagdad und 18 in Diyala (Wing 6.9.2021).

Im Januar 2022 wurden im Irak insgesamt 84 sicherheitsrelevante Vorfälle gemeldet. Dies ist ein Anstieg gegenüber 78 im Dezember 2021 und 67 im November 2021. Dieser Anstieg ist auf Aktivitäten von mit dem Iran verbundenen Volksmobilisierungskräfte (PMF) zurückzuführen. So gab es im Jänner 2022 31 erfolgreicheAngriffe pro-iranischer Gruppen und neun weitere Vorfälle. Dies ist ein Anstieg gegenüber 21 im Dezember 2021 und die höchste PMF zugeschriebene Vorfallszahl seit Beginn ihrer jüngsten Operationen. Wie üblich konzentrieren sie sich auf IEDAngriffe gegen Versorgungskonvois, die für die USA tätig sind (Wing 7.2.2022).

Es kam auch zu politischer Gewalt durch diese Gruppierungen, um Moqtada as-Sadr und dessen

Verbündete unter Druck zu setzen, damit diese den sog. „Koordinationsrahmen“ - ein Bündnis aller wichtigen pro-iranischen schiitischen Parteien - in die neue Regierung aufnehmen. Es kam

z.B. auch zu Bombenanschlägen auf die Büros der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) in Bagdad und auf das Büro des stellvertretenden Sprechers in Kirkuk, zu Raketenangriffen auf das Haus des Sprechers Mohammed al-Halbousi in Anbar, zu einem Anschlag mit einem Molotow-Cocktail, der auf ein Sadr-Gebäude in Bagdad geworfen wurde, zu einem Mordanschlag auf einen KDP-Funktionär in der Hauptstadt sowie zu Granaten-Anschlägen auf Gebäude der sunnitischen Bündnisse Taqadum und Azm in Bagdad. Auch zwei kurdische Banken in Bagdad

wurden bombardiert (Wing 7.2.2022).

Die Zahl der vom IS verübten Anschläge ist in den letzten fünf Monaten zurückgegangen. Im

Januar 2022 waren es 46 gegenüber je 55 im Dezember und November 2021, 65 im Oktober

2021 und 70 im September 2021. Es war die niedrigste Zahl von Anschlägen im Irak seit 2003 (Wing 7.2.2022).

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 bis Juli 2022 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 8.2022).

 

Quelle: IBC 8.2022

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Jahr 2021 669 zivile Todesopfer. Im Jahr 2022 wurden bis Juli bisher 371 zivile Todesopfer verzeichnet (IBC

8.2022).

 

Quelle: IBC 8.2022

Auch laut den vom IS in seinem wöchentlichen Newsletter al Naba veröffentlichten Zahlen ist die

Zahl der Anschläge im Irak gesunken. Im Jahr 2020 beanspruchte der IS im Irak durchschnittlich 110 Anschläge und 207 Tote pro Monat. Im Jahr 2021 waren es (Mit Stand Dezember 2021) durchschnittlich 87 Anschläge und 149 Tote pro Monat (Wilson Center 10.12.2021).

Laut ACLED wurden im Jahr 2021 im gesamten Irak 1.187 Vorfälle mit mindestens einem Opfer

(tot oder verletzt) verzeichnet. Im Jahr 2022 waren es bis Juni 712 derartige Vorfälle (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. underreporting kommen kann; die Zahl der Opfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt. Des weiteren weist ACLED auch einige Unschärfen auf, da auch Morde ohne terroristischen Hintergrund inkludiert sind) (ACLED 2022).

Quellen:ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (2022): 2021-01-01-2022-06-30-Middle_East-Iraq, Zugriff 6.7.2022IBC - Iraq Bodycount (8.2022): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www. iraqbodycount.org/database/, Zugriff 3.8.2022Wilson Center (10.12.2021): Explainer: The Islamic State in 2021, https://www.wilsoncenter.org/a rticle/explainer-islamic-state-2021, Zugriff 18.2.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (7.2.2022): IS Attacks On 5 Month Decline In Iraq, http://musingsonira

q.blogspot.com/2022/02/is-attacks-on-5-month-decline-in-iraq.html, Zugriff 9.2.2022Wing, Joel, Musings on Iraq (6.9.2021): Islamic State’s Summer Offensive In Iraq Ends In August, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/09/islamic-states-summer-offensive-in-iraq.html , Zugriff 7.9.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (2.8.2021): Violence Picks Up Again In Iraq In July 2021, http://musi ngsoniraq.blogspot.com/2021/08/violence-picks-up-again-in-iraq-in-july.html , Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (6.7.2021): Security In Iraq June 2021, http://musingsoniraq.blogspot .com/2021/07/security-in-iraq-june-2021.html, Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (7.6.2021): Islamic State’s Offensive Appears Over While Pro-Iran Groups Maintain Campaign In May 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/06/islamic-sta tes-offensive-appears-over.html, Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (3.5.2021): Islamic State Ramadan Offensive Begins, Pro-Iran Groups Increase Attacks In April 2021, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/05/islamic-state-ramadan -offensive-begins.html,Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (5.4.2021): Violence In Iraq, March 2021, http://musingsoniraq.blogsp ot.com/2021/04/violence-in-iraq-march-2021.html,Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (8.3.2021): IS Winter Break Continues In Feb While Pro-Iran Groups Picking Up Attacks, http://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/is-winter-break-continues-in-feb -while.html, Zugriff 25.8.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (4.2.2021): Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html ,Zugriff

25.8.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Rechtsschutz / Justizwesen in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) gibt es Defizite der rechtsstaatlichen Praxis, wenngleich das Justizsystem grundsätzlich funktional ist (AA 25.10.2021, S.12). Der Kurdische Justizrat ist rechtlich, finanziell und administrativ unabhängig vom Justizministerium der Kurdischen Regionalregierung (KRG), die Exekutive beeinflusst jedoch politisch sensible Fälle. Ebenso nehmen die regional stärksten Parteien Einfluss auf Ernennungen von Richtern und auf Urteile (USDOS 12.4.2022).

Beamte der KRI berichten, dass Staatsanwälte und Verteidiger bei der Durchführung ihrer Arbeit häufig auf Hindernisse stoßen, und dass Prozesse aus administrativen Gründen unnötig verzögert werden (USDOS 12.4.2022). COVID-19-Präventivmaßnahmen und Schließungen stellten im Jahr 2020 zusätzliche Hindernisse für die Abwicklung von Gerichtsverfahren dar (USDOS 30.3.2021). Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRI (IHRCKR) bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnung ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der KRI (USDOS 12.4.2022).

Es gibt Berichte darüber, dass Männern und Buben, insbesondere solchen, denen vorgeworfen wurde mit dem Islamischen Staat (IS) in Verbindung zu stehen, ihr Recht auf eine angemessene Verteidigung verweigert wurde. Personen, die des Kurdischen nicht mächtig sind, wurde kein

Dolmetscherdienst zur Verfügung gestellt, bereitgestellte Anwälte sprachen erst am Tag der Verhandlung mit ihren Mandanten, und Gerichtsverhandlungen wurden in Schnellverfahren geführt, wobei keine Untersuchungen über Behauptungen von Folter und anderen Misshandlungen eingeleitet wurden (AI 11.2020).

In der KRI können Kinder ab dem Alter von elf Jahren strafrechtlich verfolgt werden, was gegen internationale Standards verstößt (HRW 13.1.2022).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021AI - Amnesty International (11.2020): Marked for Life - Displaced Iraqis in Cycle of Abuse and Stigmatization [MDE 14/3318/2020], https://www.ecoi.net/en/file/local/2041230/MDE1433182020 ENGLISH.pdf,Zugriff 2.2.2021HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2066472.html, Zugriff 21.1.2022USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Sicherheitskräfte und Milizen

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-

Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Statt des Bisherigen warein politisch neutrales Militär vorgesehen. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische (Fanack 8.7.2020).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte

Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS).

Militäreinheiten verschiedener Zweige der irakischen Sicherheitskräfte und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich Stammeseinheiten, aus mehreren Provinzen, nehmen gemeinsam an Sicherheitsoperationen gegen den sog IS teil, unterstützt durch Luftstreitkräfte der irakischen Armee und der internationalen Koalition (NI 18.5.2021). Seit Anfang 2021 gibt es ein Koordinationsabkommen zwischen den ISF und den Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung (KRG). Die Zusammenarbeit soll sich auf die Koordinierung und das Sammeln von Informationen zur Bekämpfung des IS in den sogenannten „umstrittenen Gebieten“ beschränken und die Lücken zwischen den Sicherheitskräften schließen, die bisher vom IS ausgenutzt werden konnten. Es gibt auch Stimmen, die für die Bildung einer gemeinsamen Truppe einstehen (Rudaw 23.5.2021).

Neben den staatlichen Sicherheitskräften gibt es das Volksmobilisierungskomitee, eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, der etwa 60 Milizen angehören, die als Volksmobilisierungskräfte (PMF) bekannt sind. PMF operieren im ganzen Land. Obwohl sie Teil der irakischen Sicherheitskräfte sind und Mittel aus dem Verteidigungshaushalt der Regierung erhalten, operieren sie oft außerhalb der Kontrolle der Regierung und in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 12.4.2022; vgl. BS 23.2.2022), insbesondere über bestimmte, mit dem Iran verbündete Einheiten der Volksmobilisierungskräfte (PMF) und das Popular Mobilization Committee (USDOS 12.4.2022). Außerdem wird die staatliche Kontrolle über das gesamte irakische Territorium durch die Dominanz der PMF, durch verbliebene IS-Kämpfer, durch dieArbeiterpartei Kurdistans (PKK), eine Reihe von Stämmen, Clans und andere Milizen und schließlich durch die militärischen Interventionen regionaler Mächte, insbesondere des Iran, Israels und der Türkei, beeinträchtigt (BS 23.2.2022).

Quellen:BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file /local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022Fanack (8.7.2020): Governance & Politics of Iraq,https://fanack.com/iraq/governance-and-politic s-of-iraq/, Zugriff 28.1.2021NI - Newlines Institute (18.5.2021): ISIS in Iraq: Weakened but Agile, https://newlinesinstitute.org/ iraq/isis-in-iraq-weakened-but-agile/?ref=nl, Zugriff 20.5.2021Rudaw (23.5.2021): Peshmerga-Iraq cooperation will ‘close that gap,’ cut off ISIS: Coalition, https: //www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/230520212, Zugriff 3.6.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (arab: al-Hashd ash-Sha‘bi, engl.: Popular Mobilization Forces - PMF oder auch Popular Mobilization Units - PMU) bezeichnet eine Dachorganisation, ein loses Bündnis von etwa 40 bis 70 Milizen (USDOS 12.4.2022; vgl. FPRI 19.8.2019, Clingendael 6.2018, S.1f, Wilson Center 27.4.2018), die, je nach Quelle, zwischen 45.000 und 142.000 Kämpfer umfassen (ICG 30.7.2018). Die PMF formierten sich 2014 infolge eines Rechtsgutachtens, einer sogenannten Fatwa, durch Ayatollah Ali as-Sistani, welcher darin zum Kampf gegen den vorrückenden Islamischen Staat (IS) aufrief (SWP 8.2016, S.2-4; vgl. TCF 5.3.20218, S.2, EPIC 5.2020). Die irakische Regierung bemühte sich hernach, die Kontrolle über diese zu bewahren, indem sie am 15.6.2014 eine Kommission (auch Komitee genannt) der Volksmobilisierung bildete, das formal dem Ministerpräsidenten untersteht (SWP 8.2016, S.4). Alle PMF sind offiziell dem Vorsitzenden des Ausschusses für Volksmobilisierung und somit letztlich dem Premierminister unterstellt. In der Praxis unterstehen mehrere Einheiten auch dem Iran und seinem Korps der Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 12.4.2022).

Die PMF sind keine einheitliche Organisation, sondern bestehen aus einer Reihe von Netzwerken, die sich in ihrer Struktur und ihren Verbindungen zueinander und zu anderen Akteuren im Staat unterscheiden (CH 2.2021, S.9). Sie haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael 6.2018, S.3f). Die PMF weisen ein breites Spektrum auf, sowohl organisatorisch und ideologisch als auch in Bezug auf die religiöse Zusammensetzung der einzelnen Formationen. Die PMF bestehen aus Einheiten mit unterschiedlicher Geschichte, Zugehörigkeit und Loyalität (TCF 5.3.2018, S.3). Die PMF haben nach dem erfolgreichen Kampf gegen den IS, der israelisch-iranischen Eskalation und dem Rückzug der USA aus dem Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan (JCPOA, „Atomabkommen“) mit dem Iran im Jahr 2018 enorm an Einfluss gewonnen (BS 23.2.2022, S. 7).

Die PMF werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Erstens die pro-iranischen schiitischen Milizen und zweitens die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen. Letztere nehmen eine positivere Haltung gegenüber der irakischen Regierung ein und sprechen sich für die Auflösung der PMF und die Eingliederung ihrer Mitglieder in die irakische Armee bzw. Polizei aus. Und drittens gibt es die heterogene Gruppe der nicht-schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu Letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Sinjar Widerstandseinheiten“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018, S.3f). Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist somit schiitisch, was auch die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind im Allgemeinen in oder in der Nähe ihrer Heimatregionen tätig (USDOS 12.4.2022).

Die PMF wurden im Dezember 2016 (erstmals) formell in die irakischen Streitkräfte integriert (AA 22.1.2021, S.16; vgl. FPRI 19.8.2019). Allerdings hat die gewählte offizielle Formulierung, welche die PMF als Teil der Sicherheitskräfte des Landes bezeichnet und sie gleichzeitig als „unabhängig“ definiert, viel Raum für Interpretationen gelassen (ICSR 1.11.2018, S.5). Seit 2017 unterstehen die PMF formell dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 25.10.2021, S.15; vgl. FPRI 19.8.2019). Am 8.3.2018 brachte der damalige irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi eine Proklamation ein, mit der die Mitglieder der PMF in die irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert wurden, wobei sie dasselbe Gehalt wie die Angehörigen des Militärs erhalten, denselben Gesetzen unterworfen werden und Zugang zu Militärschulen und Militärinstituten erhalten sollten (EPIC 5.2020). Am 1.7.2018 folgte ein dementsprechendes Dekret, wonach der Regierungschef als Oberkommandierender der PMF deren Vorsitzenden ernennt. Bewaffneten Gruppen, die offen oder verdeckt außerhalb der Bestimmungen des Dekrets arbeiten, gelten demnach als illegal und werden entsprechend verfolgt (1000 IT 11.7.2019). Trotz dieser und weiterer Versuche der Regierung, die PMF zu regulieren und zu kontrollieren, operieren viele der mächtigsten Gruppierungen der PMF weiterhin außerhalb der formalen Befehlskette und führen illegale, politische, wirtschaftliche und sicherheitsrelevante Aktivitäten durch (EPIC 5.2020). Verschiedene PMF-Einheiten haben sogar Militärindustrien im Irak aufgebaut, von simpler Ausrüstung und Munition bis mutmaßlich zur Produktion von Artilleriegranaten (WI 23.3.2020, S.70f). Die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Premierministers haben es den PMF erlaubt,

Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen (AA 25.10.2021, S.16).

Die PMF-Netzwerke stehen in einer symbiotischen Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, den politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern gehören nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Kabinettsminister, lokale Gouverneure, Mitglieder von

Provinzräten, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hohe Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. Politische Entscheidungsträger, die die PMF reformieren oder einschränken wollen, haben sich auf eine Reihe von Optionen verlassen: die einzelnen Gruppen gegeneinander ausspielen, alternative Sicherheitsinstitutionen aufbauen, Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen oder mit militärischer Gewalt vorgehen. Diese Optionen haben jedoch weder zu einer Reform der PMF-Netzwerke noch zu einer Reform des irakischen Staates geführt (CH 2.2021, S.2).

Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen (FPRI 19.8.2019). In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Badr-Organisation eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von der Badr-Organisation dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann (Süß 21.8.2017). Die Kontrolle der Badr-Organisation über das Innenministerium verstärkte deren Einfluss auf die Zuteilung der staatlichen Mittel und deren Weitergabe an die einzelnen PMF-Milizen (Clingendael 6.2018, S.6).

Insbesondere mit dem Iran verbündete Einheiten operieren im ganzen Land oft außerhalb der Kontrolle der Regierung oder gar in Opposition zur Regierungspolitik (USDOS 12.4.2022). Selbiges gilt auch für die (offizielle) PMF-Kommission (USDOS 12.4.2022), welche wiederum tendenziell pro-iranische Gruppen bevorzugt hat (ICG 30.7.2018). In der Praxis sind etliche Einheiten auch dem Iran und dessen Korps der Islamischen Revolutionsgarden unterstellt (USDOS 12.4.2022). Überdies haben einige bewaffnete Gruppen, wie die der pro-iranischen Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah und Harakat Hezbollah an-Nujaba sowohl Kämpfer innerhalb als auch außerhalb der PMF. Diejenigen, die sich außerhalb der Truppe befinden, beteiligen sich an Aktivitäten, wie zum Beispiel Kämpfen in Syrien, die nicht zum Auftrag der Volksmobilisierungskräfte gehören (WoR 11.11.2019), denn das Wirken der PMF ist laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teile der PMF sind (USDOS 13.3.2019). Die Präsenz pro-iranischer PMF-Milizen, namentlich der Kata’ib Hezbollah und der Kata’ib Sayyid ash-Shuhada, in Syrien nahe oder an der Grenze zum Irak belegen Berichte über Angriffe auf Einrichtungen der US-Armee und Vergeltungsmaßnahmen seitens der US-Streitkräfte im Verlaufe des Jahres 2021 (RFE/RL 27.6.2021; vlg. BBC 28.6.2021).

Die PMF sind vor allem Sicherheitsakteure. Ihr Beitrag im Kampf gegen den IS und beim Halten von Gebieten nach der Vertreibung des IS sind wichtige Faktoren für ihren aktuellen, mächtigen Status. Als staatlich anerkannte Sicherheitskräfte kontrollieren ihre Mitglieder ein bedeutendes Territorium und strategische Gebiete im Irak, größtenteils in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Manchmal nützen die PMF jedoch ihre Position bei der Kontrolle lokaler Gebiete aus, um ihre eigenen Interessen, auch in finanzieller Hinsicht, durchzusetzen. Sie agieren als Lückenbüßer, wenn sich die staatlichen Stellen als unzureichend in ihrem Handeln im Bereich der Sicherheit erweisen. In einigen Gebieten sind die PMF der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden, wenn sie Schutz oder einen Fürsprecher bei Streitigkeiten oder bei der Strafverfolgung benötigen (CH 2.2021, S. 18f).

Die wirtschaftliche/finanzielle Macht der einzelnen PMF-Gruppen setzt sich zusammen aus: ihrem Anteil an staatlich zugewiesenen Mitteln, autonomen einkommengenerierenden Aktivitäten und externer Finanzierung (vor allem durch den Iran). Autonome einkommenschaffende Aktivitäten erfolgen in der Regel in Form von religiösen Steuern, Einnahmen aus Heiligtümern und Unterstützung durch religiöse Wohltätigkeitsorganisationen. Diese Mittel sind jedoch relativ bescheiden (Clingendael 6.2018, S.7f). Den Löwenanteil machen die offiziellen Zuwendungen aus. 2020 betrugen die Budgetmittel der PMF-Kommission 2,6 Mrd. US-Dollar (CH 2.2021, S.19). - Darüberhinaus aquirieren PMF-Milizen Einnahmen aus halb-legalen Quellen und in krimineller Weise (FPRI 19.8.2019). Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sind und waren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind (Posch 8.2017). Neben diesen illegalen Methoden erwerben die PMF beispielsweise im ganzen Land Grundstücke, was ihnen ermöglicht, Unternehmen anzusiedeln und von diesen dann Abgaben zu lukrieren. Einnahmen werden, auch in Kooperation mit anderen Sicherheitskräften, an Grenzübergängen und Checkpoints an wichtigen Verkehrsverbindungen generiert (CH 2.2021, S.29-31). Außer durch die Finanzierung durch den irakischen sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf – mithilfe der Organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem so hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der Organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen – oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat (Posch 8.2017).

Trotz des Schutzes, den die PMF bieten, sind sie aufgrund ihrer strategischen Kontrolle und ihrer sich wandelnden Rolle weiterhin eine Quelle lokaler Auseinandersetzungen und Polarisierungen. Es wurden in den letzten Jahren mehrere Berichte vonAnwohnern, Menschenrechtsbeobachtern und internationalen Organisationen über das Fehlverhalten der PMF laut (Clingendael 5.2021, S.17). So klagten nach der Rückkehr der Zentralregierung nach Kirkuk Ende 2017 mehrere Gemeinschaften ethnischer und religiöser Minderheiten über Diskriminierung, Vertreibung und gelegentliche Gewalt durch PMF-Gruppen (DFAT 17.8.2020, S.20). Einige PMF gehen auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 12.4.2022). Die Medien meldeten zahlreiche Vorfälle, bei denen schiitische PMF in die Häuser ethnischer und religiöser Minderheiten im gesamten Gouvernement Kirkuk eindrangen, sie plünderten und niederbrannten

(DFAT 17.8.2020, S.20, 26, 32). In Ninewa, beispielsweise, nahmen mit dem Iran verbündete PMF willkürlich bzw. unrechtmäßig Kurden, Turkmenen, Christen und Angehörige anderer Minderheiten fest. Es gab zahlreiche Berichte über die Beteiligung der 30. und 50. PMF-Brigaden an Erpressungen, illegalen Verhaftungen, Entführungen und Festnahmen von Personen ohne Haftbefehl. Glaubwürdige Informationen der Strafverfolgungsbehörden wiesen darauf hin, dass die 30. PMF-Brigade an mehreren Orten in der Provinz Ninewa geheime Gefängnisse unterhielt, in denen 1.000 Gefangene untergebracht waren, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus konfessionellen Gründen festgenommen wurden. Die Anführer der 30. PMF-Brigade sollen die Familien der Inhaftierten gezwungen haben, im Gegenzug für die Freilassung ihrer Angehörigen hohe Geldbeträge zu zahlen (USDOS 12.4.2022). Jesiden und Christen sowie lokale und internationale NGOs berichteten von anhaltenden verbalen und körperlichen Übergriffen durch Mitglieder der PMF, welche auch für etliche Angriffe auf, und Vertreibungen von Sunniten, angeblich aus Rache für Verbrechen seitens des IS an Schiiten, verantwortlich gemacht werden (USDOS 2.6.2022).

Einige PMF-Einheiten in den südlichen Gouvernements Najaf und al-Qadisiya sollen Kinder rekrutiert und militärische Ausbildungslager für Schüler unter 18 Jahren gesponsert haben. Einige mit dem Iran verbündete PMF-Gruppen, insbesondere Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH) und

Harakat Hizbollah an-Nujaba (HHN), rekrutierten weiterhin Burschen unter 18 Jahren für den Kampf in Syrien und im Jemen (DFAT 17.8.2020, S.47).

Mehrere Quellen geben an, dass zu den PMF gehörende Kräfte, oft von Iran unterstützte Milizen, 2019 für viele der tödlichen Angriffe auf Demonstranten, auch durch Scharfschützen, verantwortlich waren (EASO 10.2020, S.31; vgl. WI 23.3.2020, S.91), namentlich die pro-iranischenSaraya

Talia al-Khorasani, Kata’ib Sayyid ash-Shuhada, Asa’ib Ahl al-Haqq und die Badr-Organisation. Die PMF wurden international auch für illegale Massenverhaftungen und Folter, Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten und Journalisten, Attentate, Bombenanschläge und Plünderungen von Fernsehsendern kritisiert. Nach Angaben des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte wurden über 500 Menschen getötet und über 23.500 verwundet (Stand März 2020). Im Januar 2020 waren auch Kämpfer von Saraya as-Salam an Angriffen auf Demonstranten und an der Erstürmung von Proteststätten durch die Badr-Milizen beteiligt, die die Zeltlager der Demonstranten niederbrannten (WI 23.3.2020, S.91). Im Laufe des Jahres 2020 haben Mitglieder der PMF Aktivisten ermordet oder entführt und mindestens 30 Menschen in Bagdad, Nasriyah und Basra getötet. Auf mehr als 30 weitere wurden Mordanschläge verübt, sie kamen mit Verletzungen davon. Bis zum Ende des Jahres wurden 56 Aktivisten gewaltsam zum Verschwinden gebracht. Diejenigen, die während der Proteste 2019 gewaltsam verschwunden sind, werden weiterhin vermisst (AI 7.4.2021). Anfang Jänner 2021 belegten die USA den Vorsitzenden der PMF-Kommission, Faleh al-Fayyadh, mit Sanktionen, da dieser für die Anordnung und Ausführung der Ermordung friedlicher Demonstranten und der Durchführung einer gewaltsamen Aktion gegen die irakische Demokratie verantwortlich sei (Al Monitor 8.1.2021).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdistan Region Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor (DIS/Landinfo 5.11.2018, S.23). Anlässlich der sozialen Proteste zeigten die PMF ihre Fähigkeit, Kritiker zu verfolgen. Beispielsweise können kritische Kommentare in sozialen Medien zur Verfolgung seitens Asa‘ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hezbollah oder der Saraya as-Salam führen, welche im Stande sind, die Personen ausfindig zu machen und sie anschließend zu bedrohen und zu attackieren. Namentlich Kata’ib Hizbollah kann jeden ins Visier nehmen und kennt etwa die Namen aller, die über den internationalen Flughafen einreisen (AQ1 27.5.2021).

Präsident der PMF-Kommission ist - auf dem Papier - Faleh al-Fayyadh. Er hat jedoch keinen großen Mitarbeiterstab und unterliegt häufig den Anweisungen der Mittelsmänner im weiteren Netzwerk der PMF (CH 2.2021, S.7). Inoffizieller Spiritus Rector und strategische Kopf der Volksmobilisierung war Jamal Ebrahimi alias Abu Mahdi al-Muhandis, Vize-Kommandeur der PMF (Zenith 3.1.2020) und zugleich Begründer sowie Anführer der pro-iranischen Kata’ib Hizbollah, welche von den USA als Terrororganisation eingestuft ist (Guardian 3.1.2020; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Abu Mahdi Al-Muhandis galt als rechte Hand des iranischen Generalmajors der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani. Beide wurden am 3.1.2020 bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahestehen (MEE 16.2.2020). Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 21.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi, Kommandeur der Kata’ib Hizbollah, zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 21.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Die Ernennung erfolgte einseitig durch die Vertreter des inneren Zirkels innerhalb der Hashd ash-Sha’bi, deren fünf (pro-iranische) Milizen dem sogenannten „Muhandis-Kern“ zugeordnet werden (Warsaw Institute 9.7.2020). Die vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahestehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 21.2.2020).

Formal wurde der Loslösungsprozess der vier Atabat- bzw. Schrein-Milizen mit einer Entscheidung des scheidenden Regierungschefs Mahdi am 22.4.2020 eingeleitet, wonach diese Einheiten vom PMF-Kommando getrennt werden und von nun an direkt dem Premierminister verantwortlich sind (Warsaw Institute 9.7.2020; vgl. AAA 23.4.2020, Al Monitor 29.4.2020). Laut Aussagen aus dem Kreis der Schrein-Milizen auf einer Koordinierungskonferenz im Dezember 2020 wollten diese die irakische Regierung unterstützen, sich von Fraktionen und politische Parteien zu trennen, welche die Interessen eines anderen Staates, gemeint ist der Iran, verfolgen (Al Monitor 4.12.2020; vgl. Diyaruna 22.2.2021). Erklärtes Ziel der vier Schrein-Milizen sei auch die Eingrenzung und Isolation der pro-iranischen PMF (Diyaruna 22.2.2021).

Diese fortschreitende Zersplitterung der PMU lässt sich auf viele Faktoren zurückführen. Einer der Hauptgründe ist das Fehlen eines einheitlichen Ziels, das zuvor der Sieg über den IS darstellte. Ein weiterer Katalysator war der Tod von Abu Mahdi al Muhandis, der in der Lage war, die unterschiedlichen Fraktionen zu einen (AIIA 12.1.2021). Und obwohl der Nachfolger Muhandis, Abu Fadak Al-Mohammedawi, enge Beziehungen zu Iran unterhält, gibt es eine breite Opposition gegen seine Führung in seiner eigenen Miliz, Kata’ib Hizbollah, die ihn als den unrechtmäßigen Chef der PMF betrachtet (Manara 10.3.2021). Die neueste Erscheinung, welche als Zeichen einer weiteren Aufsplitterung der PMF gewertet wird, ist das Auftreten mehrerer kleinerer Splittergruppen im Verlaufe des Jahres 2020, die mit größeren, vom Iran unterstützten Gruppierungen verbunden sind, die sich sowohl durch Gewalt gegen Zivilisten als auch gegen Einrichtungen der US-geführten Militärallianz hervortun (AIIA 12.1.2021).

Innerhalb der schiitischen PMF gibt es Formationen, die mit den religiösen Lehrstätten im Irak bzw. den schiitischen religiösen Autoritäten (Marji’iya) verbunden sind (TCF 5.3.2018, S.4), und deshalb auch gelegentlich als Hashd al-Marji’i bezeichnet werden (TCF 5.3.2018, S.4; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Geläufiger sind die Termini „Schrein“-Milizen bzw. Saraya al-’Atabat

(kurz: Atabat) (WI 5.2.2021; vgl. ICSR 1.11.2018, S.24). Prominenter und umstrittener sind die mit dem Iran verbündeten Formationen, die oft als Hashd al-Wala’i bezeichnet werden -

wala’ ist das arabische Wort für Loyalität - eine Anspielung auf die Loyalität dieser Formationen gegenüber dem iranischen Obersten Führer Ali Khamenei. Die erstgenannten Gruppen sind in der Regel kleiner und wurden nach dem Fall von Mossul im Jahr 2014 als direkte Reaktion auf Sistanis Aufruf zur Massenmobilisierung gegen die Bedrohung durch den IS gebildet. Bei den letztgenannten, stärker auf Iran ausgerichteten Formationen handelt es sich eher um erfahrenere Gruppen mit einer längeren Geschichte paramilitärischer Aktivitäten im Irak und in einigen Fällen auch in Syrien (TCF 5.3.2018, S.3f).

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Folter und unmenschliche Behandlung in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der Kurdistan Region Irak (KRI), der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Parastin der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und der Zanyari der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) stattfinden (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der kurdischen Geheimpolizei (Asayish) in der KRI zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige (AA 25.10.2021, S.21).

Es gibt Berichte, dass Sicherheitskräfte der KRI verschiedene Formen der Misshandlung, einschließlich Schläge, anwenden. Auch gegen Jugendliche und Frauen mit vermeintlichen IS-Verbindungen (USDOS 11.3.2020).

Die Kurdische Regionalregierung (KRG) verfolgt Vorwürfe von Misshandlungen durch Beamte des Innenministeriums oder durch Asayish nicht einheitlich. Die Hilfsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) berichtete imAugust und Dezember 2021, dass in einigen Gefängnissen der KRG grundlegende Standards und Verfahrensgarantien nicht eingehalten wurden und dass die bestehenden Mechanismen zur Entgegennahme von Folterbeschwerden nicht wirksam sind (USDOS 12.4.2022).

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Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Menschenrechtsaktivisten in der Kurdistan

Region Irak (KRI)

In der Kurdistan Region Irak (KRI) müssen sich Nichtregierungsorganisationen (NGOs) registrieren. Diese Registrierungen sind jährlich zu erneuern (FH 28.2.2022).

Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs lockert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigt, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schafft (ICNL 26.6.2019). In Bagdad registrierte NGOs können in der KRI tätig werden, aber NGOs, die nur in der KRI registriert sind, können nicht im Rest des Landes tätig werden (USDOS 12.4.2022).

Die KRI verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 30.3.2021).

Im Oktober und Dezember 2020 wurden in der KRI Aktivisten verhaftet, weil sie zu Protesten gegen die Regierungsparteien aufgerufen und sich an ihnen beteiligt hatten (FH 3.3.2021).

Quellen:FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 – Iraq, https://www.ecoi.net/en/docu ment/2046520.html, Zugriff 3.3.2021ICNL - The International Center for Not-for-Profit Law (9.4.2021): Civic Freedom Monitor: Iraq, https://www.icnl.org/resources/civic-freedom-monitor/iraq , Zugriff 21.4.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

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Allgemeine Menschenrechtslage in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Es gibt eine unabhängige kurdische Menschenrechtskommission, die sich aber auf die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Sie kann selten eine volle Aufklärung oder gar Ahndung von Menschenrechtsverletzungen gewährleisten (AA 25.10.2021, S.21).

Sicherheitskräfte der Kurdischen Regionalregierung (KRG) wie Peshmerga und Asayish verstoßen bisweilen gegen die Gesetze (USDOS 12.4.2022).

Kurdischen Sicherheitskräften werden Gewalt, Drohungen und willkürliche Inhaftierung von Journalisten und Medienvertretern vorgeworfen (USDOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Es gibt auch Vorwürfe von willkürlichen Verhaftungen, sowie von Missbrauch und Folter von Gefangenen und Häftlingen (USDOS 12.4.2022). Es liegen keine zuverlässigen Statistiken über die Anzahl solcher Vorfälle vor (USDOS 30.3.2021). Peshmerga und Asayish wird vorgeworfen, Vorschriften selektiv umzusetzen, auch aus ethno-konfessionellen Gründen. Die Vorwürfe umfassen auch Erpressung und die Verweigerung einer Rückkehr von Zivilisten in ihre Heimat, insbesondere sunnitischer Araber sowie Angehöriger ethno-konfessioneller Minderheiten (USDOS 12.4.2022).

Es besteht quasi Straffreiheit für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich bestimmter Einheiten der kurdischen Sicherheitsdienste, wie der Asayish (USDOS 12.4.2022).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen entsprechen nicht dem internationalen Mindeststandard, wobei die Situation in den Haftanstalten erheblich variiert (AA 25.10.2021, S. 22). In einigen Gefängnissen und Haftanstalten sind die Bedingungen aufgrund von Überbelegung oft hart (FH 28.2.2022; vgl. USDOS 12.4.2022). Aufgrund von Misshandlung und unzureichendem Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung, werden die Bedingungen bisweilen auch als

„lebensbedrohlich“ bezeichnet. Die Überbelegung der staatlichen Gefängnisse stellt ein systemisches Problem dar, das durch die Zunahme der Zahl der festgenommenen mutmaßlichen IS-Mitglieder noch verschärft wird. Auch die Gefahr von COVID-19 und anderen übertragbaren Krankheiten wirkt sich negativ auf die Haftbedingungen aus (USDOS 12.4.2022). Im April 2020 gab das Justizministerium bekannt, dass 950 erwachsene Häftlinge und 57 Jugendliche begnadigt wurden, um die Ausbreitung von COVID-19 in den Gefängnissen einzudämmen (USDOS 30.3.2021). Anderen Quellen zufolge wurde die Freilassung von 20.000 Häftlingen verkündet

(MEMO 24.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Mitte 2020 haben das Justizministerium und das Irakische Hochkommissariat für Menschenrechte (IHCHR) vor einer COVID-19 bedingten Gesundheitskrise wegen der Überbelegung in den Haftanstalten gewarnt. Um dieser Überbelegung weiter entgegenzuwirken, wurde im August 2020 die Eröffnung eines neuen Gefängnisses in Bagdad angekündigt (USDOS 30.3.2021). Im August 2021 wurden 1.300 Häftlinge, darunter 86 Jugendliche, begnadigt und im Oktober 2021 68 Jugendliche im Rahmen einer Sonderamnestie freigelassen, um die Überbelegung weiter zu verringern (USDOS 12.4.2022).

Berichten von Inhaftierten zufolge wurden innerhalb der Haftanstalten keine oder kaum ausreichende Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 ergriffen. Die Hürden für Haftbesuche

wurden jedoch deutlich erhöht (AA25.10.2021, S.23). Im Juni 2021 gab das irakische Justizministerium bekannt, dass es eine COVID-19-Impfkampagne für alle Gefängnisinsassen durchgeführt hat. Ein Ministeriumssprecher bestätigte, dass das Gefängnispersonal geimpft wurde und dass seit Mai 2021 keine positiven Fälle mehr aufgetreten sind (USDOS 12.4.2022).

Es mangelt an Jugendstrafanstalten. Dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zufolge werden jugendliche Häftlinge mittlerweile meist getrennt von erwachsenen Straftätern inhaftiert, ihnen wird aber oft der regelmäßige Kontakt zu ihren Familien verwehrt (AA25.10.2021, S.13).

Bürokratische Hürden erschweren das Mandat der UN-Mission für den Irak (UNAMI) zum Besuch irakischer Haftanstalten. Das IKRK hat hingegen regelmäßigen und flächendeckenden Zugang (AA 25.10.2021, S.23).

Der nationale Sicherheitsdienst (National Security Service, NSS), ein dem Premierminister unterstellter Geheimdienst, hat im Juli 2018 erstmals eingestanden Personen über einen längeren Zeitraum festzuhalten, beispielsweise in ash-Shurta, im Osten Mossuls. Dies geschieht laut NSS mit der Zustimmung des Hohen Justizrates in Ninewa (HRW 22.7.2018; vgl. DFAT 17.8.2020). Berichten zufolge betreibt auch die 30. Brigade der Volksmobilisierungskräfte (PMF) mehrere geheime Gefängnisse in Ninewa. Eine unbekannte Anzahl von Personen soll unter falschen Tatsachen und aus ethno-konfessionellen Gründen verhaftet worden sein. Familien solcher Gefangener müssen hohe Lösegeldsummen für die Freilassung ihrer Angehörigen zahlen (USDOS 12.4.2022). Es gibt Berichte über gewaltsames Verschwindenlassen von Häftlingen, besonders von mutmaßlichen IS-Kämpfern (FH 28.2.2022).

Auch in Frauengefängnissen gibt es Überbelegung, und es fehlen oft ausreichende Kinderbetreuungseinrichtungen für die Kinder der Gefangenen, die nach dem Gesetz bis zum Alter von vier Jahren bei ihren Müttern bleiben dürfen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt keine psychosoziale Unterstützung für Gefangene mit geistigen Behinderungen (USDOS

12.4.2022).

Die Regierung berichtet, dass sie Maßnahmen ergriffen hat, um den Vorwürfen von Misshandlung in staatlich verwalteten Haftanstalten und Gefängnissen entgegenzuwirken, aber das Ausmaß dieser Maßnahmen ist nicht bekannt (USDOS 12.4.2022).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (17.8.2020): DFAT Country Information Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036511/country-informa tion-report-iraq.pdf , Zugriff 3.3.2021FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2043505.html, Zugriff 10.2.2021HRW - Human Rights Watch (22.7.2018): Iraq: Intelligence Agency Admits Holding Hundreds Despite Previous Denials, https://www.hrw.org/news/2018/07/22/iraq-intelligence-agency-admit s-holding-hundreds-despite-previous-denials, Zugriff 3.3.2021MEMO - Middle East Monitor (24.4.2020): Iraq releases 20,000 prisoners amid fears of spread of coronavirus, https://www.middleeastmonitor.com/20200424-iraq-releases-20000-prisoners-ami d-fears-of-spread-of-coronavirus/,Zugriff 1.4.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 1.4.2021

Haftbedingungen in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Die Haftbedingungen in Gefängnissen der kurdischen Geheimpolizei (Asayish) sind insgesamt sehr schlecht (AA 25.10.2021, S. 21), vor allem in vielen kleineren Haftanstalten des Innenministeriums der Kurdistan Region Irak (KRI) (USDOS 30.3.2021). Es herrschen aber etwas bessere Haftbedingungen als in den Haftanstalten unter der Zentralregierung, insbesondere in der neugebauten Modellanstalt Dohuk (AA 25.10.2021, S.23). Die neueren Gefängnisse in den größeren Städten werden gut gewartet (USDOS 30.3.2021). Die Unabhängige Menschenrechtskommission der Kurdischen Region (IHRCKR) berichtet, dass die Justizvollzugsanstalten der KRI unter Überbelegung, unzureichenden Wasser-, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen, Ge-

waltanwendung bei vorläufiger Inhaftierung und einer veralteten Infrastruktur in Frauen- und Jugendstrafanstalten leiden. Die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hat sich auch negativ auf die Gesundheit der Gefangenen ausgewirkt, und mehrere Personen starben in der Haft. Das begrenzt vorhandene medizinische Personal ist nicht in der Lage, alle Gefangenen angemessen medizinisch zu versorgen (USDOS 12.4.2022).

In einigen Haftanstalten der kurdischen Geheimpolizei Asayish und der Polizei halten KRI-Behörden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene fest. Einem Bericht der Unabhängigen Menschenrechtskommission der Kurdischen Region (IHRCKR) zufolge waren im September 2020 über 50 Minderjährige gemeinsam mit ihren verurteilten Müttern in der Erziehungsanstalt für Frauen und Kinder in Erbil untergebracht. UNICEF hat einen separaten Anbau an das Gefängnis für diese Minderjährigen finanziert. Diese haben jedoch weiterhin keinen Zugang zu Bildung (USDOS 30.3.2021).

In der gesamten KRI gibt es sechs Justizvollzugsanstalten: drei für männliche Gefangene und drei für weibliche und jugendliche Untersuchungshäftlinge und Gefangene. In den für Frauen und Jugendliche bestimmten Zentren wurden sowohl Untersuchungshäftlinge als auch Strafgefangene untergebracht, während die männlichen Untersuchungshäftlinge in den Haftabteilungen von Polizeistationen untergebracht waren. Die Gesamtzahl der inhaftierten Personen übersteigt die vorgesehene Kapazität der einzelnen Einrichtungen. Die Unabhängige Menschenrechtskommission der Kurdistan Region (Independent Human Rights Commission Kurdistan Region, IHRCKR) berichtete im September 2021, dass beispielsweise im Erbil Correctional Center, das für 900 Gefangene gebaut wurde, 1.875 Insassen inhaftiert waren. In einigen Haftanstalten und in von der Polizei betriebenen Gefängnissen werden gelegentlich Jugendliche in denselben Zellen wie Erwachsene festgehalten (USDOS 12.4.2022).

In Gefängnissen der Asayish werden Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige angewendet. Das

Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat Zugang zu den Gefängnissen in der KRI (AA 25.10.2021, S.21).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2048100.html , Zugriff 1.4.2021

Ethnische und religiöse Minderheiten

Die genaue ethno-konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung des Iraks ist unklar, da die letzten Volkszählungen manipulativ waren und beispielsweise nur die Angaben „Araber“ und „Kurde“ zuließen. Andere Bevölkerungsgruppen wurden so statistisch marginalisiert. Laut Schätzungen teilen sich die Einwohner Iraks folgendermaßen auf: in etwa 75-80 % Araber, 15-

20 % Kurden und etwa 5 %, Tendenz fallend, Minderheiten, zu denen unter anderem Assyrer, Armenier, Mandäer/Sabäer und Turkmenen zählen (GIZ 1.2021c).

Die wichtigsten ethno-konfessionellen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60-65 % der

Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische)

Sunniten (17-22 %) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15-20 %) (AA 25.10.2021).

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Religiöse Minderheiten können im Alltag jedoch gesellschaftliche Diskriminierung erfahren. Übergriffe werden selten strafrechtlich geahndet. Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Kurdistan Region Irak (KRI), oft benachteiligt. Trotz der verfassungsrechtlichen

Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten im Zentralirak faktisch unter weitreichender Diskriminierung. Der irakische Staat, unter der Verwaltung von Bagdad, kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 25.10.2021). Mitglieder bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen erleiden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit darstellen, häufig Diskriminierung oder Verfolgung, was viele dazu veranlasst, Sicherheit in anderen Stadtteilen oder Gouvernements zu suchen (FH 28.2.2022). Es gibt Berichte über rechtswidrige Verhaftungen, Erpressung und Entführung von Angehörigen von Minderheiten, wie Kurden, Turkmenen, Christen und anderen, durch Volksmobilisierungskräfte (PMF), in den umstrittenen Gebieten, insbesondere im westlichen Ninewa und in der Ninewa-Ebene (USDOS 12.4.2022).

Die Hauptsiedlungsgebiete der meisten religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des Islamischen Staates (IS) standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäer/Sabäern, Kaka‘i, Shabak und Christen. Aus dieser Zeit liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit unterschiedlicher Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 25.10.2021).

In der KRI sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele

Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 25.10.2021). Es gibt jedoch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch KRI-Behörden in den sogenannten „umstrittenen Gebieten“ (USDOS 2.6.2022). Darüber hinaus empfinden dort Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte, der Peschmerga und vor allem der schiitischen Milizen und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) (AA 25.10.2021).

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden besonders in den zwischen der Zentralregierung und der KRI „umstrittenen Gebieten“ (Gouvernement Kirkuk, sowie Teile von Ninewa, Salah Ad-Din und Diyala) Tendenzen zur gewaltsamen ethnisch-konfessionellen Homogenisierung festgestellt. Die Mission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) und Amnesty International haben dokumentiert, wie angestammte Bevölkerungsgruppen vertrieben bzw. Binnenvertriebene an der Rückkehr gehindert wurden. Dabei handelte es sich oft um die sunnitische Bevölkerung, die häufig unter dem Generalverdacht einer Zusammenarbeit mit dem IS steht, aber auch um Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen. Beschuldigt werden sowohl kurdische Peshmerga als auch PMF-Milizen und in geringerem Ausmaß auch Armee und Polizei (AA 25.10.2021).

 

Die religiös-konfessionelle sowie ethnisch-linguistische Zusammensetzung der irakischen Bevölkerung ist höchst heterogen. Die hier dargebotenen Karten zeigen nur die ungefähre Verteilung der Hauptsiedlungsgebiete religiös-konfessioneller bzw. ethnisch-linguistischer Gruppen und Minderheiten. Insbesondere in Städten kann die Verteilung deutlich von der ländlichen Umgebung abweichen (BMI 2016). Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend die Minderheit, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017).

Die territoriale Niederlage des sog. IS im Jahr 2017 beendete dessen Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes. Dennoch können rund eine Million Iraker, die vom IS vertrieben wurden, nicht in ihre Häuser zurückkehren, sowohl aus Sicherheits- als auch aus wirtschaftlichen Gründen (FH 28.2.2022). Angehörige der PMF verlangen an Kontrollpunkten von IDPs, insbesondere von Angehörigen von religiösen Minderheiten überhöhte Geldbeträge für die Überquerung der Grenze.Alternativ riskieren die Betroffenen in die Lager zurückgeschickt zu werden (USCIRF 4.2021).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021BMI - Bundesministerium für Inneres; BMLVS - Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (2016): Atlas: Middle East & North Africa, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1487770786_2 017-02-bfa-mena-atlas.pdf , Zugriff 15.5.2021FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021c): Irak - Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar.

Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]Lattimer EASO - Lattimer, Mark in EASO - European Asylum Support Office (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels, https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-i raq-meeting-report.pdf , Zugriff 25.8.2021USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 2.2.2021USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt (AA 25.10.2021).

Oft werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Auch unbeteiligte Familienangehörige tatsächlicher oder vermeintlicher IS-Anhänger sind davon betroffen (AA 25.10.2021). Berichten zufolge halten die Behörden Ehepartner und andere Familienangehörige von flüchtigen Personen, zumeist sunnitische Araber, die wegen Terrorismusvorwürfen gesucht werden, fest, damit diese sich stellen (USDOS 12.4.2022). Unter Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes können Personen ohne ordnungsgemäßes Verfahren inhaftiert werden. Die Behörden berufen sich auf dieses Gesetz,

wenn sie junge sunnitische Männer festnehmen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zum IS zu haben (USDOS 2.6.2022). Wie in den Vorjahren gibt es auch weiterhin glaubwürdige Berichte darüber, dass Regierungskräfte, einschließlich der Bundespolizei, des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) und der Volksmobilisierungskräfte (PMF), Personen, insbesondere sunnitische

Araber, während der Festnahme, in der Untersuchungshaft und nach der Verurteilung misshandeln und foltern (USDOS 12.4.2022). Einige schiitische Milizen, darunter auch solche, die unter dem Dach der PMF operieren, sind für Angriffe auf sunnitische Zivilisten verantwortlich, mutmaßlich als Vergeltung für IS-Verbrechen an Schiiten (USDOS 2.6.2022).

Im Zuge von Anti-Terror-Operationen, aber auch an Kontrollpunkten, wurden seit 2014 junge, vorwiegend sunnitische Männer festgenommen. Den Sicherheitskräften werden dabei zahlreiche Fälle von Verschwindenlassen zur Last gelegt (AA 25.10.2021). Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, den NSS, PMF, Peshmerga und Asayish (USDOS 12.4.2022).

Über eine Million sunnitische Araber sind vertrieben. Viele von ihnen werden verdächtigt den

IS zu unterstützen und fürchten Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie in ihre Häuser in den früher vom IS-kontrollierten Gebieten zurückkehren (USCIRF 4.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und dort die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW

13.1.2021).

Die PMF setzen ihre Unterdrückungspraktiken in sunnitischen Gebieten fort (BS 23.2.2022). Im

August 2020 berichtet ein sunnitischer ehemalige Parlamentsabgeordneter aus Bagdad, dass regierungsnahe PMF sunnitische Bewohner des Bezirks al-Madain am Stadtrand von Bagdad gewaltsam vertreiben und versuchen würden, die Demografie des Bezirks zu verändern. Im September 2020 erklärte ein sunnitischer Parlamentarier aus dem Gouvernement Diyala, dass regierungsnahe schiitische Milizen weiterhin Sunniten in seinem Gouvernement gewaltsam vertreiben würden, was zu einem weitreichenden demografischen Wandel entlang der irakischiranischen Grenze führt (USDOS 12.5.2021). Auch 2021 gab es Warnungen über demografische Veränderungen durch die Vertreibung von Sunniten und Christen durch PMF-Kräfte aus den Gouvernements Salah ad-Din, Ninewa und Diyala (USDOS 2.6.2022). In Mossul, Ninewa werden sunnitische Zivilisten von Milizionären der „PMF Babylon“ und „Shabak Hashd“ wahllos schikaniert, eingeschüchtert und verhaftet. Einige PMF-Fraktionen werden auch für die Massaker von Farhatiyah und Khailaniyah im Jahr 2020 in Salah al-Din bzw. Diyala verantwortlich gemacht (BS 23.2.2022).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Iraq, https://www.ecoi.net/en/file /local/2069660/country_report_2022_IRQ.pdf, Zugriff 17.6.2022HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2043505.html,Zugriff 28.1.2021USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2021): United States Commission on International Religious Freedom 2021 Annual Report; USCIRF – Recommended for Special Watchlist: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052974/Iraq+Chapter+AR2021.pdf , Zugriff 2.2.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2051589.html , Zugriff 15.5.2021USDOS - US Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073956.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022

Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, als Reaktion auf Sicherheitsbedrohungen und Angriffe, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 12.4.2022).

In vielen Teilen des Landes, die von der Kontrolle durch den Islamischen Staat (IS) befreit wurden, kam es zu Bewegungseinschränkungen für Zivilisten, darunter sunnitische Araber sowie ethnische und religiöse Minderheiten, aufgrund von Kontrollpunkten von Sicherheitskräften (ISF, PMF, Peshmerga) (USDOS 12.4.2022). Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019). Kämpfer des IS haben ihre Entführungsaktivitäten in den zwischen der kurdischen und irakischen Regierung umstrittenen Gebieten verstärkt (Rudaw 1.2.2020). So wurden beispielsweise Anfang 2020 bei zwei Vorfällen in den umstrittenen Gebieten von Diyala und Salah ad-Din, in der Garmiyan Region, mehrere Zivilisten an IS-Checkpoints entführt (Rudaw 1.2.2020; vgl. K24 31.1.2020, K24 2.2.2020). Die Garmiyan-Verwaltung ist eine inoffizielle Provinz der Kurdistan Region Irak (KRI), die die drei

Distrikte Kalar, Kifri und Chamchamal umfasst. Regionale kurdische Peshmerga- und AsayishKräfte sind für die Sicherheit in Garmiyan zuständig, während nationale irakische Kräfte die Region im Süden und Westen kontrollieren (K24 2.2.2020).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, welche Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 12.4.2022).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS zwischen 2014 und 2017 führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert, noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.1.2021). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom sog. IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 28.2.2022).

Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 führten die Behörden auf nationaler und regionaler Ebene eine Reihe von Beschränkungen ein, darunter auch für die interne Bewegungsfreiheit (UNHCR 11.1.2021. So war etwa die Bewegungsfreiheit in den großen Städten und zwischen den einzelnen Gouvernements zum Teil stark eingeschränkt (GIZ 1.2021a). Die Vorgehensweise der lokalen Behörden bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen war in den einzelnen Gouvernements unterschiedlich. Die meisten Beschränkungen wurden ab August 2020 wieder aufgehoben (UNHCR 11.1.2021).

Die Regierung verlangt von Bürgern unter 18 Jahren, die das Land verlassen wollen, eine

Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht konsequent durchgesetzt (USDOS

12.4.2022). Eine Einreise in den Irak ist mit einem gültigen und von der irakischen Regierung anerkannten irakischen nationalen Reisepass möglich. Die irakische Botschaft stellt zudem Passersatzpapiere an irakische Staatsangehörige zur einmaligen Einreise in den Irak aus. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren (AA 25.10.2021).

Der Irak hat fünf internationale Flughäfen: Bagdad, Najaf, Basra, Erbil und Sulaymaniyah (Anadolu 23.7.2020). Der internationale Flughafen von Mossul ist seit 2014 geschlossen, nachdem der IS die Stadt im Juni 2014 eingenommen hatte. Der Flughafen ist beschädigt und muss noch renoviert werden (Kirkuk Now 4.2.2020).

Der Irak verfügt über ein Straßennetz von etwa 45.000 km Länge. Etwa 80 % der Straßen sind asphaltiert. Allerdings ist es schwierig, den Zustand der Straßen zu ermitteln. Explosionen und der Verkehr großer Mengen gepanzerter Fahrzeuge kann diese in Mitleidenschaft gezogen haben (Driver Abroad o.D.).

Die wichtigste Straße im Irak ist die Autobahn (Freeway) 1, die von Basra über Nasiriyah, Al Diwaniyah, Al Hillah, Bagdad, Fallujah, Habbaniyah, Ramadi nach Ar Rutba in Anbar und weiter nach Syrien und Jordanien führt. Andere wichtige Straßen sind:

Fernstraße 1: von Bagdad über Taji, Samarra, Tikrit und Mossul nach Syrien

Fernstraße 2: von Bagdad über Baqubah, Al Khalis, Kirkuk, Erbil, Mossul, Dohuk und Zakhu in die Türkei

Fernstraße 3: von Bagdad über Baqubah und Erbil in den Iran

Fernstraße 4: von Kirkuk über Sulaymaniyah, Darbinadikhan und Jalaulah nach As Sa’Diyah

Fernstraße 5: von Baqubah über Muqdadiyah, As Sa’Diyah und Khanaqin in den Iran

Fernstraße 6: von Bagdad über Al Kut und Al Amarah nach Basra

Fernstraße 7: von Al Kut über Ash Shatrah nach Nasiriyah.

Fernstraße 8: von Bagdad über Al Hillah, Al-Qadisiyyah, As Samawah, Nasiriyah und Basra nach Kuwait.

Fernstraße 9: von Karbala über Al-Najaf nach Al-Qadisiyyah.

Fernstraße 10: von Ar Rutbah nach Jordanien.

Fernstraße 11: von Bagdad über Al Fallujah, Al Ramadi und Ar Rutbah nach Syrien.

Fernstraße 12: von Al Ramadi über Hit, Haditha und Al-Karābilah nach Syrien (Driver Abroad

o.D.) Die Sicherheitslage auf allen Strecken ist unvorhersehbar und kann sich schnell ändern. In den von den Sicherheitskräften kontrollierten Gebieten gibt es zahlreiche Kontrollpunkte. Die Fahrt auf vielen Straßen zwischen den Städten erfordert eine strenge Sicherheitsüberprüfung. In den umstrittenen Gebieten, in denen die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dürfen nur Fahrzeuge aus dem jeweiligen Gouvernorat die Straßen befahren. Autos mit Nummernschildern aus einem anderen Gouvernement benötigen eine Sicherheitsgenehmigung (Driver Abroad o.D.).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) ist die Situation im Allgemeinen besser als im Rest des

Landes. Im Norden der KRI gab es jedoch auch terroristische Zwischenfälle und Luftangriffe

(Driver Abroad o.D.). Die meisten Straßen in der KRI wurden nicht nach modernen Betriebs- und Sicherheitsstandards gebaut und befinden sich aufgrund unzureichender Sicherheitsmaßnahmen häufig in einem schlechten Zustand. Seit Anfang 2014 hat sich die Wirtschaftskrise in der Region auch negativ auf die Straßen ausgewirkt. Die kurdische Regionalregierung (KRG) stoppte fast alle Straßenbau- und Instandhaltungsprojekte. Infolgedessen ist die Zahl der Unfälle gestiegen (Mohammed, Jaff, Schrock 9.2019).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019 ENGLISH.pdf, Zugriff 16.3.2021Anadolu Agency (23.7.2020): Iraq resumes international flights after 4 months, https://www.aa.com

.tr/en/latest-on-coronavirus-outbreak/iraq-resumes-international-flights-after-4-months/1920149, Zugriff 24.1.2022Driver Abroad (o.D.): Iraq; Iraq Car Rental and Driving in Iraq (and Kurdistan), https://driverabroad.com/countries/driving-in-the-middle-east/iraq/ , Zugriff 2.2.2022FH - Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068634.html, Zugriff 7.6.2022FIS - Finnish Migrations Service [Finnland] (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuu ssa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+as iakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+h elmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisi sta+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021a): Irak - Geschichte & Staat,https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]Mohammed, Hemin, Jaff, Dilshad, Schrock, Steven (9.2019): Transportation Research Interdisciplinary Perspectives, Volume 2; The challenges impeding traffic safety improvements in the Kurdistan

Region of Iraq, https://reader.elsevier.com/reader/sd/pii/S2590198219300296?token=8B9F8F 6D10BAF3B527B05D08378207F80CD3513ED73540326BD7AFC36FF9CCBAE6810B1B2FA6 E9EA8A6113D610064780&originRegion=eu-west-1&originCreation=20220209104814, Zugriff 2.2.2022Kirkuk Now (4.2.2020): Mosul International Airport closed for six years, https://kirkuknow.com/en/n ews/61385, Zugriff 24.1.2022K24 - Kurdistan 24 (31.1.2020): ISIS kidnaps 7 civilians at fake checkpoint in Kurdistan’s Garmiyan region, https://www.kurdistan24.net/en/story/21800-ISIS-kidnaps-7-civilians-at-fake-checkpoint-i n-Kurdistan%E2%80%99s-Garmiyan-region, Zugriff 16.3.2021K24 - Kurdistan 24 (2.2.2020): ISIS abducts two brothers at fake checkpoint in Garmiyan, https:// www.kurdistan24.net/en/story/21816-ISIS-abducts-two-brothers-at-fake-checkpoint-in-Garmiyan , Zugriff 16.3.2021NYT - New York Times, The (2.4.2018): In Iraq, I Found Checkpoints as Endless as the Whims of

Armed Men, https://www.nytimes.com/2018/04/02/magazine/iraq-sinjar-checkpoints-militias.html , Zugriff 13.3.2020Rudaw (1.2.2020): ISIS kidnaps 9 civilians in two nights in disputed areas of Diyala, Saladin provinces, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/010220201 , Zugriff 16.3.2021UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation,https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf , Zugriff 1.3.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022Zeidel, Ronan/ al-Hashimis, Hisham in: Terrorism Research Initiative (6.2019): A Phoenix Rising from the Ashes? Daesh after its Territorial Losses in Iraq and Syria, https://www.jstor.org/stable/2 6681907, Zugriff 3.3.2021

Einreise und Einwanderung in die Kurdistan Region Irak (KRI)

Die Kurdistan Region Irak (KRI) schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten für Nicht-Einheimische ein (USDOS 12.4.2022). Es wird für die Einreise in die Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah, zwecks Aufenthalt von bis zu 30 Tagen, kein Bürge benötigt (UNHCR 11.1.2021). Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die KRI einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehören - auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehen lassen. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen (USDOS 12.4.2022). Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen (USDOS 30.3.2021).

Inner-irakische Migration aus dem föderalen Irak in die KRI ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug (Niederlassung) jedoch kontrolliert (AA 25.10.2021). Wer sich dauerhaft niederlassen möchte, muss sich bei der kurdischen Geheimpolizei (Asayish-Behörde) des jeweiligen Distrikts anmelden (AA 25.10.2021; vgl. UNHRC 11.1.2021). Eine Sicherheitsfreigabe durch die Asayish ist dabei in allen Regionen der KRI notwendig. Eine zusätzliche Anforderung für alleinstehende arabische und turkmenische Männer ist, dass sie eine feste Anstellung und ein Unterstützungsschreiben ihres Arbeitgebers vorweisen müssen. Nur in Dohuk muss eine Person in Begleitung des Bürgen, der die Einreise ermöglicht, vorstellig

werden, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Für eine Niederlassung in Erbil oder Sulaymaniyah wird keine Bürgschaft verlangt (UNHCR 11.1.2021). Die Aufenthaltsgenehmigung ist, in der Regel, einjährig erneuerbar, abgesehen von Dohuk, wo die Aufenthaltsgenehmigung nur bis zu sechs Monate gültig ist (UNHCR 11.1.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Personen ohne feste Anstellung erhalten jedoch nur eine einmonatige, erneuerbare Genehmigung. Auch alleinstehende arabische und turkmenische Männer erhalten generell nur eine monatlich erneuerbare Aufenthaltsgenehmigung. Unter Vorlage des Nachweises einer regulären Beschäftigung und eines Unterstützungsschreibens ihres Arbeitgebers können sie auch eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen (UNHCR 11.1.2021). Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 25.10.2021).

Die kurdischen Behörden wenden Beschränkungen regional unterschiedlich streng an. Die

Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt (USDOS 30.3.2021). Die kurdischen Behörden haben Tausende von Arabern daran gehindert, in ihre Dörfer im Unterbezirk Rabia und im Bezirk Hamdaniya im Gouvernement Ninewa zurückzukehren, Gebiete, aus denen kurdische Einheiten 2014 den IS vertrieben und die territoriale Kontrolle übernommen hatten. Gleichzeitig jedoch erlaubte die KRG kurdischen Dorfbewohnern, in diese Gebiete zurückzukehren (HRW

13.1.2022).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2066472.html, Zugriff 7.6.2022UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (11.1.2021): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Iraq; Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043432/5ffc243b4.pdf , Zugriff 1.3.2021USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071125.html , Zugriff 7.6.2022USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048100.html , Zugriff 1.4.2021USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html , Zugriff 2.2.2021

 

Grundversorgung und Wirtschaft in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Wirtschaftslage

Wie im gesamten Land ist auch in der Kurdistan Region Irak (KRI) das Erdöl die Haupteinnahmequelle und trägt fast 80% zum BIP der Region bei. Die Landwirtschaft macht etwa 10% des BIP aus, der Tourismus 4% und Dienstleistungen und sonstige Industrie 6%. Öl macht auch bis zu 90% der Exporte aus der Region aus (IRIS 5.2021). Die Kurdische Regionalregierung (KRG) kann für ihren aufgeblähten öffentlichen Sektor und die Ölindustrie nicht zahlen. Die KRG hat Gehaltszahlungen mehrfach verzögert und im Mai 2021 eine Gehaltskürzung von 21% angekündigt. Darüber hinaus hat sie mehrfach die Zahlungen verpasst. Eine Studie der Vereinten Nationen hat ergeben, dass diese Probleme zu einem Rückgang des monatlichen Familieneinkommens in Kurdistan von 31% führten, höher als im Rest des Landes (Wing 9.6.2021).

Die Arbeitslosenrate in der KRI wird für das Jahr 2018 auf 9% geschätzt. Dabei lag im Jahr 2017 die Arbeitslosigkeit bei Männern bei 8,1% im Vergleich zu 20,1% bei Frauen (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung wird in der KRI auf etwa 40% geschätzt (ILO 2021).

Nahrungsmittelversorgung

Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar. Das Lebensmittelrationierungsprogramm (PDS) des irakischen Handelsministeriums ist noch nicht abgeschlossen (IOM 18.6.2021). Ungünstige Niederschlagsmengen haben 2021 die Getreideproduktion im Nordirak und auch in der KRI beeinträchtigt. Die Ernte soll rund 50% unter jener im Jahr 2020 liegen (FAO 11.6.2021).

Wasserversorgung

In der KRI herrscht wegen einer Dürre, im Zusammenspiel mit Staudämmen im Iran, Wasserknappheit. Die KRG hat deswegen zusätzliche 1,7 Millionen Dollar (2,5 Mrd IQD) für Trinkwasser bereitgestellt (Rudaw 5.8.2021; vgl. Rudaw 4.7.2021). Grundsätzlich ist Trinkwasser in allen Gouvernements verfügbar (IOM 18.6.2021).

Stromversorgung

Die Stromversorgung erfolgt durch Betrieb eigener Kraftwerke (AA14.10.2020). Der Großteil des Stroms wird durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt. Etwa 9% des Stroms werden aus Wasserkraft gewonnen (Rudaw 18.9.2021).

Die Stromversorgung unterliegt erheblichen Schwankungen (AA 14.10.2020). Sie ist nur für bis zu 20 Stunden pro Tag gegeben (AA 14.10.2020; vgl. K24 15.5.2021). Im Sommer 2021 konnten die drei kurdischen Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah nur etwa zwölf Stunden lang Strom am Tag liefern. Darüber hinaus werden Generatoren verwendet, die jedoch nicht den gesamten Bedarf abdecken können (Anadolu 8.7.2021). Insbesondere im Sommer und im Winter ist der Strombedarf wegen Klimatisierung bzw. Heizung höher (AA 14.10.2020). Nach

Angaben des KRG-Ministeriums für Elektrizität beträgt der Strombedarf im Sommer mindestens

4.500 MW (Rudaw 3.7.2021). Es werden jedoch nur bis zu 3.500 MW Strom produziert (K24

15.5.2021). Die Kraftwerke laufen jedoch vor allem wegen Brennstoffmangel nicht mit voller Kapazität (Rudaw 3.7.2021). Die KRG plant die Steigerung der Stromversorgung durch die Implementierung mehrerer Energieprojekte (K24 15.5.2021).

Erbil

Einer Umfrage zufolge gehen 29% der befragten Personen in Erbil einer formellen Beschäftigung nach, 28% einer informellen und 42% gingen keiner Beschäftigung nach. Als Gründe für Arbeitslosigkeit werden ein Mangel an Startkapital, der Lockdown aufgrund von COVID-19 (22%) und ein Mangel an verfügbaren Jobs genannt (DRC 4.2020). Die Arbeitslosenrate wird für das Jahr 2017 auf 9,2% geschätzt (KRSO 2021). Die Arbeitsmarktbeteiligung lag 2018 bei 65,9% bei den Männern und 14,8% bei den Frauen (IOM 7.2018; vgl. EASO 9.2020). Laut einer Umfrage von Februar 2021 im Distrikt Khabat liegt das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte bei 244 USD (~ 356.590 IQD). Der Lohn für ungelernte Arbeiter reicht von 34 bis 500 USD

(~ 49.690 bis 730.710 IQD), wobei der Durchschnitt bei 168 USD liegt (~ 245.520 IQD). Etwa 10% der Frauen sind berufstätig (IOM 9.2021w). Im Distrikt Makhmur mussten viele Arbeitgeber aufgrund der COVID-19-Pandemie vorübergehend schließen. Nach der Wiedereröffnung fiel die Nachfrage geringer aus und Arbeitgeber haben etwa 73% der Beschäftigten gehalten. Das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte ist im Vergleich zu vor COVID-19 um etwa 20 USD gesunken von 335 USD (~ 489.570 IQD) auf 315 (~ 460.350 IQD). Bei ungelernten Arbeitskräften ist der Durchschnittslohn jedoch gestiegen, von 159 USD (~ 232.360 IQD) auf 171 USD (~ 249.900 IQD) (IOM 9.2021x).

Im Jahr 2018 waren etwa 5,32% der Bevölkerung des Gouvernements Erbil armutsgefährdet

(OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 6,7% (KRSO 2021). Etwa 2,63% der Bevölkerung Erbils (rund 128.700 Personen) sind unzureichend ernährt. Für rund 3,3% (rund 77.200 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Erbil im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Das Gouvernement Erbil und insbesondere die Stadt Erbil sind wegen der Dürre des Sommers 2021 besonders hart von Wasserknappheit betroffen (Rudaw 4.7.2021). Der Zab-Fluss und das Brunnenwasser der Stadt Erbil sind durch die Dürre beeinträchtigt, weswegen Trinkwasser seit Juli 2021 knapp ist. Die Bewohner sind gezwungen, abgefülltes Wasser zu kaufen. Eine Tankfüllung kostet über 50 Dollar (~ 72.970 IQD) und reicht für höchstens eine Woche. Das durchschnittliche Monatseinkommen eines Haushalts in der KRI liegt nach Angaben von NRT bei weniger als 250 Dollar (~ 364.870 IQD) pro Monat (Al Monitor 12.8.2021). Wasserknappheit tritt jedes Jahr erneut auf (Al Monitor 29.7.2021).

In Erbil herrscht Stromknappheit (Rudaw 4.7.2021). Stromausfälle beeinträchtigen auch die Wasserversorgung in Erbil (Al-Monitor 29.7.2021).

Dohuk

Die Arbeitslosenrate in Dohuk wird für das Jahr 2017 auf 13,8% geschätzt (KRSO 2021). Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Zakho zufolge ist die Beschäftigungsquote aufgrund der COVID-19-Pandemie zurückgegangen, welche auch Auswirkungen auf das Durchschnittsgehalt hat. So ist das Durchschnittsgehalt für Fachkräfte von 418 USD (~ 610.870 IQD) auf 356 USD (~ 520.260 IQD) gefallen. Ungelernte Arbeitnehmer verdienten hingegen unverändert durchschnittlich 254 USD (~ 371.200 IQD).

Im Jahr 2018 waren etwa 0,98% der Bevölkerung des Gouvernements Dohuk von akuter Armut betroffen und 2,95% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 8,6% (KRSO 2021). Etwa 5,49% der Bevölkerung Dohuks (rund 330.900 Personen) hat unzureichende Nahrungsaufnahme. Für rund 34,33% (rund

615.700 Personen) ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Dohuk im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD 9.2020).

Die Wasserversorgung im Gouvernement Dohuk ist stabilisiert und Flüchtlinge, Binnenvertriebene und die Bevölkerung in den Aufnahmegemeinden haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (GIZ 2021)

Aufgrund von Stromversorgungsproblemen hat die Regierung des Gouvernements eine Vereinbarung mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) unterzeichnet, um einen Solarenergiepark zu errichten (Al Monitor 20.2.2020). Bewohner des Deralok Sub-Distrikt berichten, dass sie nur etwa zehn bis zwölf Stunden Energie aus dem nationalen Stromnetz erhalten (Rudaw 3.7.2021)..

Sulaymaniyah

Schlechte Infrastruktur und Korruption behindern die wirtschaftliche Entwicklung des Gouvernements Sulaymaniyah (IOM 9.2021). Die Arbeitslosenrate in Sulaymaniyah wird für das Jahr 2017 auf 9,4% geschätzt (KRSO 2021). Im Jahr 2018 waren etwa 0,28% der Bevölkerung von akuter Armut betroffen und 2,69% waren armutsgefährdet (OPHI 10.9.2020). Einer anderen Quelle zufolge betrug die Armutsrate im Jahr 2018 4,46% (KRSO 2021).

Einer Umfrage vom Februar 2021 im Distrikt Halabja zufolge liegen die Durchschnittsgehälter für Facharbeiter bei 273 USD (~ 398.440 IQD) und reichen von 82 USD bis über 600 USD (~ 119.680 bis 875.690 IQD). Die Durchschnittslöhne für ungelernteArbeitskräfte waren vor COVID19 mit 290 USD (~ 423.250 IQD) höher und liegen nach den letzten Schätzungen derArbeitgeber derzeit bei etwa 221 USD (~ 322.550 IQD). Allerdings gab nur die Hälfte der Arbeitgeber an, ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen (IOM 9.2021). Im Distrikt Kalar verdienen Fachkräfte durchschnittlich 396 USD (~ 539.260 IQD) und reichen von etwa 100 USD bis 1000 USD (~

146.140 bis 1.461.410 IQD). Mehr als zwei Drittel der Arbeitgeber gaben an, auch ungelernte Arbeitskräfte zu beschäftigen, die im Durchschnitt 241 USD (~ 352.200 IQD) erhielten, wobei die Löhne zwischen 100 und 600 USD (~ 146.140 bis 876.850 IQD) lagen (IOM 9.2021A).

Für je etwa 15,2% der Bevölkerung (rund 30.000 Personen) ist die Nahrungsaufnahme unzureichend, bzw. ist die Deckung des Nahrungsmittelbedarfs kritisch (WFP 9.2021). Bei der Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Waren hat Sulaymaniyah im Zuge einer Untersuchung vom Juli 2020 zehn von zehn möglichen Punkten erhalten (WB, WFP, FAO, IFAD

9.2020).

Der Fluss Chami Rokhana im Süden der Sulaymaniyahs ist aufgrund der Dürre und wegen iranischer Dammbauten ausgedrocknet (Rudaw 5.8.2021). Vertreter der Gesundheitsbehörden warnen davor, dass durch die Wasserknappheit Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser verursacht werden, zunehmen könnten (K24 10.6.2021).

Im Jahr 2020 wurde laut der Generaldirektion für Elektrizitätsversorgung in Sulaymaniyah täglich Strom für 20 Stunden geliefert. Auch für 2021 wurde diese Menge anvisiert, jedoch sorgte rückgängiger Wasserstand dafür, dass die Kraftwerke am Dukan-Damm und in Darbandikhan nicht wie bisher Energie produzieren konnten (Shafaq 20.5.2021).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.10.2020): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file /local/2040689/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebun gsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_14.10.2020.p df, Zugriff 3.3.2021Al Monitor (12.8.2021): Water protests erupt in Kurdistan Region of Iraq, https://www.al-monitor.c om/originals/2021/08/water-protests-erupt-kurdistan-region-iraq, Zugriff 19.8.2021Al Monitor (29.7.2021): Iraqi Kurdistan water crisis blamed on climate and Iran, https://www.al-monitor.com/originals/2021/07/iraqi-kurdistan-water-crisis-blamed-climate-and-ira n, Zugriff 29.9.2021Al Monitor (20.2.2020): New solar park to ease Iraqi governorate’s power shortage, https://www.al

-monitor.com/originals/2020/02/solar-energy-park-shines-light-on-duhoks-electricity-woes.html, Zugriff 29.9.2021Anadolu Agency (8.7.2021): Oil-rich Iraq grapples with power outages for 30 years, https://www. aa.com.tr/en/middle-east/oil-rich-iraq-grapples-with-power-outages-for-30-years/2297835, Zugriff

29.9.2021EASO – European Asylum Support Office (9.2020): Iraq; Key socio-economic indicators; For Baghdad, Basra and Erbil, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037976/2020_09_EASO_COI_Report_Ira q_Key_socio_economic_indicators_Baghdad_Basra_Erbil.pdf, Zugriff 25.8.2021FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (11.6.2021): GIEWS Country Brief, The Republic of Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IRQ_13.pdf , Zugriff 15.8.2021GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2021): Control over water and wastewater, https://www.giz.de/en/worldwide/52838.html , Zugriff 29.9.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]IOM - International Organization for Migration Iraq (9.2021z): Labour Market Assessment, Halabja District, Sulaymaniyah Gouvernorate, https://iraq.iom.int/files/Halabja%20District ,%20Sulaymani yah%20Governorate_0.pdf, Zugriff 1.10.2021IOM - International Organization for Migration Iraq (9.2021a): Labour Market Assessment, Kalar District, Sulaymaniyah Governorate, https://iraq.iom.int/files/Kalar%20District ,%20Sulaymaniya h%20Governorate.pdf, Zugriff 1.10.2021IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021IOM - International Organization for Migration (7.2018): Demographic Survey, Kurdistan Region of Iraq, https://iraq.iom.int/files/KRSO_IOM_UNFPA_Demographic_Survey_Kurdistan_Region_of_I raq.pdf , Zugriff 25.8.2011ILO - International Labour Organization (2021): Promoting decent work in Iraq, https://www.ilo.org/ beirut/countries/iraq/WCMS_433682/lang--en/index.htm, Zugriff 1.9.2021K24 - Kurdistan 24 (10.6.2021): Sulaimani warns of surge in waterborne illness as region feels drought effects, https://www.kurdistan24.net/en/story/24717-Sulaimani-warns-of-surge-in-water borne-illness-as-region-feels-drought-effects, Zugriff 29.9.2021K24 - Kurdistan 24 (15.5.2021): KRG launching energy projects to increase electricity supply, https://www.kurdistan24.net/en/story/24511-KRG-launching-energy-projects-to-increase-electrici ty-supply, Zugriff 29.9.2021KRSO - Kurdistan Region Statistics Office, Ministry of Planning, Kurdistan Regional Governement (2021): Indicators, http://www.krso.net/default.aspx?page=article&id=899&l=1 , Zugriff 25.8.2021Rudaw (18.9.2021): Solar pilot project powers Erbil’s Mergasor village, https://www.rudaw.net/en glish/kurdistan/18092021, Zugriff 29.9.2021Rudaw (5.8.2021): A Sulaimani river is drying up, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/050820 21, Zugriff 29.9.2021Rudaw (4.7.2021): Erbil province hit hardest by water crisis: governor, https://www.rudaw.net/engl ish/kurdistan/04072021, Zugriff 29.8.2021Rudaw (3.7.2021): Deralok hydropower plant to be online by end of the year, https://www.rudaw. net/english/kurdistan/03072021, Zugriff 29.9.2021Shafaq News (20.5.2021): Electric power decline in the Region due to the decrease in two major water dams, https://shafaq.com/en/Kurdistan/Electric-power-decline-in-the-Region-due-to-the-d ecrease-in-two-major-water-dams, Zugriff 29.9.2021WB, WFP, FAO, IFAD - World Bank (WB), World Food Programme (WFP), Food and Agriculture

Organization of the United Nations (FAO), International Fund for Agricultural Development (IFAD) (9.2020): Food Security in Iraq - Impact of COVID-19, with a Special Feature on Digital Innovation, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Iraq%20Food%20Security%20Report%20Au gust%202020%20-%20Arabic.pdf, Zugriff 1.10.2021WB - World Bank (5.4.2021): Republic of Iraq, https://pubdocs.worldbank.org/en/5270015548255 17687/mpo-irq.pdf, Zugriff 10.4.2021WFP - World Food Programme (9.2021): Hunger Map Live, Iraq https://hungermap.wfp.org/ , Zugriff

27.9.2021Wing, Joel, Musings on Iraq (9.6.2021): Iraq’s Kurdistan Can’t Pay Its Bills, https://musingsoniraq. blogspot.com/2021/06/iraqs-kurdistan-cant-pay-its-bills.html, Zugriff 10.6.2021

Medizinische Versorgung in der Kurdistan Region Irak (KRI)

Das öffentliche Gesundheitssystem in der Kurdistan Region Irak (KRI) wird durch das Gesundheitsministerium (MoH) in Erbil verwaltet. Es gibt fünf Gesundheitsdirektionen (DoH) des MoH, eine in Dohuk, eine in Erbil und drei in Sulaymaniyah: das Slemani DoH, das Germian DoH und das Rania DoH. Unter jeder der Direktionen gibt es Gesundheitssektoren auf Distriktebene. Finanziert wird das öffentliche Gesundheitssystem durch eine Haushaltszuweisung der Kurdischen Regionalregierung (KRG), aus der die Gehälter der im öffentlichen Sektor tätigen medizinischen Fachkräfte, sowie Medikamente, Verbrauchsmaterialien und Investitionen in die Infrastruktur des Gesundheitswesens, wie Gebäude und Geräte bezahlt werden. Dabei ist die KRG von Zahlungen der irakischen Zentralregierung in Bagdad abhängig, die 17 % ihres Budgets ausmachten (MedCOI 8.2020).

Gesundheitsdienste werden hauptsächlich durch den öffentlichen Sektor angeboten, wobei auch der private Sektor und Nichtregierungsorganisationen nach und nach ihre Gesundheitseinrichtungen aufbauen (MedCOI 8.2020).

Die Gesundheitsversorgung in der KRI ist dreigeteilt. Primäre Gesundheitsversorgung wird durch Hauptzentren der primären Gesundheitsversorgung (PHC) sowie PHC-Unterzentren bereitgestellt. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 548 PHCs. Diese sind mit mindestens einem Allgemeinmediziner besetzt und bieten eine medizinische Grundversorgung. Die meisten der PHCs versorgen mehr als 10.000 Personen. PHC-Unterzentren verfügen hingegen nicht über einen Arzt und ihre Leistungen sind in der Regel eingeschränkter. Sie stellen grundlegende Medikamente zur Verfügung und versorgen in der Regel etwa 2.000 Personen. Krankenhäuser bieten sekundäre und tertiäre Versorgung. Im Jahr 2017 gab es in der KRI 19 öffentliche und sieben private Krankenhäuser im Gouvernement Dohuk, 24 öffentliche und 19 private Krankenhäuser im Gouvernement Erbil sowie 33 öffentliche und 16 private Krankenhäuser im Gouvernement Sulaymaniyah (MedCOI 8.2020).

Die meisten Menschen leben in einem Umkreis von 30 Minuten um ein Zentrum der PHC, und die Gesamtzahl und Art der Gesundheitseinrichtungen (d.h. Krankenhäuser und PHCs) sind im weltweiten Vergleich ausreichend, jedoch ist die geografische Verteilung der angebotenen Leistungen, des Personals und der Ausstattung ungleichmäßig. In mehreren PHCs waren Labor- oder andere Geräte zwar vorhanden, aber nicht funktionsfähig, oder das PHC hatte keinen geschulten Nutzer für diese. Die KRG ist dabei Gesundheitsinformationssysteme (HIS) und Evidenz für die Entscheidungsfindung zu verbessern, um damit auch die Behandlung zu verbessern und den Fortschritt hin zu einer universellen Gesundheitsversorgung zu beschleunigen (MedCOI 8.2020).

Die staatliche medizinische Versorgung in der KRI ist kostenlos bzw. sehr kostengünstig, allerdings qualitativ schlecht und mit langen Wartezeiten verbunden (AA 25.10.2021; vgl. IOM 18.6.2021). Private Krankenhäuser, auch auf hohem medizinischem Niveau, sind kostspielig und sind nur für die obere Mittelschicht leistbar (AA 25.10.2021). Es gibt keine privaten Krankenversicherungen, sodass Zahlungen in privaten Einrichtungen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen (MedCOI 8.2020).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian

Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021MedCOI - Medical Country of Origin Information (8.2020): Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Iraq-Kurdistan, Zugriff 3.3.2021

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im

Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 25.10.2021).

Einer Studie von 2021 zufolge sind soziale Netzwerke wichtige Erleichterer oder Hemmer einer

Wiedereingliederung. Die meisten Studienteilnehmer waren sich darin einig, dass ein starkes soziales Netz ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Wiedereingliederung ist und berichteten von einem positiven Einfluss der Netzwerke nach ihrer Rückkehr, es gab jedoch auch Berichte von eher negativen Empfängen (FIS, ERRIN 2021).

Rückkehrer berichten über psychosoziale Bedürfnisse vor, während und nach einer Rückkehr. Dabei stehen psychosoziale Dienste weitgehend nicht oder kaum zur Verfügung. Ein Faktor ist Angst vor einer Stigmatisierung durch die Familie, nicht jedoch die Stigmatisierung selbst. 90 % der Studienteilnehmer berichteten, dass sie von ihrer Familie und ihren Freunden freudig empfangen wurden (FIS, ERRIN 2021).

Während die Forschungsteilnehmer nur wenige Probleme beim formalen Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge meldeten, beeinträchtigen Anpassungsschwierigkeiten und Qualitätsbarrieren ihre Fähigkeit, diese Dienste in Anspruch zu nehmen (FIS, ERRIN 2021).

Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnischkonfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).

Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20 % ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38 % gestiegen ist (im Vergleich zu 7 % im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021). Einer Studie von 2021 zufolge, sehen sich Rückkehrer nach ihrer Rückkehr mit Barrieren für den Lebensunterhalt konfrontiert, die zwar nicht unbedingt ein Hindernis für die Wiedereingliederung darstellen, aber eine Ursache für eine erneute Abwanderung sind (FIS, ERRIN 2021).

Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12 % der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdistan Region Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71 % der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56 %. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56 % seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).

Im Jahr 2020 hatten 59 % der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~ 267,90 EUR) (im Vergleich zu 55 % im Jahr 2019 und 71 % im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79 %. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenenund Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92 % und 93 % der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).

Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).

Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).

In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 25.10.2021).

Quellen:AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.10.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Oktober 2021), https://www.ecoi.net/en/ file/local/2063378/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieb ungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28Stand_Oktober_2021%29%2C_25.10.2021.pdf , Zugriff 1.12.2021FIS - Finnish Immigration Service; ERRIN – European Return and Reintegration Network (2021): Sustainable Reintegration in Iraq, https://returnnetwork.eu/wp-content/uploads/2021/08/ERRIN-S ustainable-Reintegration-in-Iraq_shortened.pdf, Zugriff 18.2.2022GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Irak - Alltag, https: //www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021IOM - International Organization for Migration (2021): Home Again? Categorising Obstacles to

Returnee Reintegration in Iraq, https://iraq.iom.int/files/IOM%20Iraq%20Home%20Again%2C%

20Categorising%20Obstacles%20to%20Returnee%20Reintegration%20in%20Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2021UNSC - UN Security Council (3.8.2021): Implementation of resolution 2576 (2021); Report of the

Secretary-General [S/2021/700], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058500/S_2021_700_E.pdf , Zugriff 15.5.2021

 

2. Beweiswürdigung

 

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Die bP trat den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht an.

 

Nach der Judikatur des VwGH sind grds. weder die Behörde noch das VwG verpflichtet, einer asylwerbenden Person im Wege eines Vorhaltes zur Kenntnis zu bringen, dass Widersprüche vorhanden sind, die im Rahmen der gemäß § 45 Abs. 2 AVG vorzunehmenden Beweiswürdigung zu ihrem Nachteil von Bedeutung sein könnten, und ihr aus diesem Grund eine Stellungnahme hiezu zu ermöglichen (vgl. VwGH 29.01.2021, Ra 2021/14/0011; 28.06.2018, Ra 2017/19/0447, mwN).

 

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Das Bundesamt stellte die Identität auf Grund ihres Ermittlungsverfahrens fest. Da dem BVwG selbst kein herkunftsstaatliches, mit einem Lichtbild versehenes Identitätsdokument im Original (zB Reisepass, Personalausweis) vorlag, konnte durch das Gericht selbst eine Feststellung der Identität nicht erfolgen.

Die Herkunft ergibt sich plausibel aus den in diesen Punkten gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen und ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen.

 

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen.

 

Ad 1.1.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, persönlichen Angaben in der Verhandlung. Soweit die bP im strafgerichtlichen Verfahren, insbesondere vor dem Gutachter, vorbrachte, beide Elternteile seien vom IS ermordet worden, so steht dies im Widerspruch zu ihren Angaben in der Verhandlung, wonach die Mutter 2019 eines natürlichen Todes verstarb. Mangels Nachweis und bedenklicher widersprüchlicher Angaben kann somit nicht festgestellt werden, welche Ursache für den Tod der Eltern ausschlaggebend war.

 

Ad 1.1.4. Ausreisemodalitäten:

Dies ergibt sich plausibel aus den in diesem Punkten lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen.

 

Ad 1.1.5. Aktueller Gesundheitszustand:

Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akteninhalt des Bundesamtes, den vorgelegten med. Gerichtsgutachten zur Brandstiftung, dem einschlägigen Gerichtsurteil über die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher sowie der im Beschwerdeverfahren vorgelegten med. Unterlagen aus der Justizanstalt über die laufende Behandlung in der JA.

 

Ad 1.1.6. Aktuelles Privatleben / Familienleben in Österreich

Dies ergibt sich plausibel aus ihren persönlichen Angaben, den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie den zitierten amtswegigen Ermittlungsergebnissen des Bundesamtes / Bundesverwaltungsgerichtes.

 

Ad 1.1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen / nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von der bP vorgebrachten Problemen, die sie persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwartet

 

Hinsichtlich der Beurteilung der gesetzlichen Mitwirkungs- bzw. Darlegungsverpflichtung der Partei ergeben sich aus der Judikatur insbes. folgende, beachtliche Leitlinien:

Beweislast:

Der EGMR hat in seinem Urteil der Großen Kammer vom 23. August 2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, (u.a.) ausgeführt, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege, gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei.

Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (vgl. die Ausführungen in VwGH Rn. 23 des zu Ra 2016/18/0137 ergangenen Erkenntnisses; 03.09.2020, Ra 2020/19/0221).

Nach der Judikatur des EGMR ist es Sache der beschwerdeführenden Partei über Nachfrage „Beweise“ vorzubringen, die zeigen können, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, sie würden im Fall der Vollstreckung der angefochtenen Maßnahme einem realen Risiko ausgesetzt,, die einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden, wobei dem ein gewisser Grad an Spekulation innewohnen kann und keine „eindeutigen Beweise“ für die Behauptung einer verbotenen Behandlung zu erbringen sind (vgl. zB uva EGMR Paposhvili gg. Belgien, 13.12.2016, Bsw. 41738/10).

 

Erhöhte Mitwirkungsverpflichtung der Partei:

Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Dies entspricht auch der sich insbes. aus § 15 AsylG ergebenden Mitwirkungsverpflichtung sowie aus der Verfahrensförderungspflicht des § 39 Abs 2a AVG, wonach jede Partei ihr Vorbringen so rechtzeitig und vollständig zu erstatten hat, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann.

 

Glaubhaftmachung:

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist - abgesehen vom Fall einer Wahrunterstellung (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0032, Rn. 13) - die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Asylwerbers zu prüfen. Diese Prüfung erfolgt unter Berücksichtigung der vom EuGH judizierten unionsrechtlichen Anforderungen (vgl. EuGH 25.1.2018, C-473/16 und EuGH 4.10.2018, C-56/17, Fathi). Erst danach erfolgt die Prognoseentscheidung gemäß §§3, 8 AsylG 2005, ob mit dem als glaubhaft erachteten Vorbringen eine wohl begründete Furcht vor Verfolgung oder reale Gefahr der Verletzung maßgeblicher Rechtsgüter des Asylwerbers glaubhaft gemacht wird (vgl. zur Prognoseentscheidung VwGH 8.9.2016, Ra 2015/20/0217, mwN; vgl. zu der dabei vorzunehmenden einzelfallbezogenen Beurteilung VwGH 2.9.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007).

 

Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff).

Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach – uU auch durch Suggestion Dritter (vgl. zB „Die 12 ‚Verbote‘ in der Vernehmung“, https://www.sgipt.org/forpsy/aussage0.htm#Die 12 'Verbote', mwN) beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwartet, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. „Folgenberücksichtigung“, siehe oben zitierte Quelle; vgl auch UNHCR Handbuch, Dez. 2011, B/2/f Auswanderer aus wirtschaftlichen Motiven im Unterschied zu Flüchtlingen).

 

Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich somit insbes.:

 dass die Ermittlungspflicht der Behörde / des BVwG grds. durch die (auf Nachfrage) vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067);

 ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN);

 nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Beurteilung eines „gar nicht erstatteten Vorbringens“ mitunter sogar auch zu einer vom VwGH wahrzunehmenden Rechtsverletzung führen (vgl. zB VwGH 9.9.2010, 2007/20/0558 bis 0560; 10.08.2018, Ra 2018/20/0314);

 die allgemeine Behauptung von Verfolgungs- bzw. Gefährdungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

 

Zur im Asylverfahren nicht bemängelten Wahrnehmungs- und Aussagefähigkeit der bP:

Aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes, den vorliegenden Unterlagen aus dem gerichtlichen Verfahren samt med. Sachverständigengutachten, den vorgelegten med. Bescheinigungsmitteln im Gutachten und auch aus dem Inhalt der Beschwerde ergeben sich keine konkreten Hinweise, dass die bP im Asylverfahren zu den Terminen der niederschriftlichen Befragung bzw. Einvernahmen und dem hsg. Verhandlungstermin nicht in der Lage gewesen wäre, bei entsprechendem Willen über Erlebnisse in der Vergangenheit wahrheitsgemäß zu sprechen. In der Verhandlung wirkte die bP zudem auch ruhig und konzentriert. Sie antwortete auf die Fragen relativ spontan und ergaben sich nach Ansicht des BVwG keine Hinweise auf mangelnde Einvernahmefähigkeit. Dies wurde auch durch die Vertretung nicht vorgebracht.

 

Ad a) Betreffend ihrer persönlichen Sicherheit / Verfolgung im Herkunftsstaat:

 

Aus maßgeblicher aktueller Sicht äußerte die bP im Falle der Rückkehr in der Verhandlung (VHS S 7) persönlich diesbezüglich foglende Problembereiche:

1. eine Gefährdung durch die Miliz Al-Hashad Al-Shaabi, da sie sich geweigert habe mit diesen gegen den IS zu kämpfen, obwohl sie dazu aufgefordert worden sei,

2. eine nach wie vor gegebene Gefährdung durch ihren Schwager, da sie durch diesen im Jahr 2009 verhaftet worden sei.

 

Ad1) Zur behaupteten Gefährdung durch die Miliz Al-Hashad Al-Shaabi, da sie sich geweigert habe mit diesen gegen den IS zu kämpfen, obwohl sie dazu aufgefordert worden sei:

 

Aus nachfolgender Beweiswürdigung ergibt sich für das BVwG, dass eine Gefangenschaft beim IS sowie eine damit in kausalem Zusammenhang stehende Verfolgung durch den Staat bzw. der genannten schiitischen Miliz nicht glaubhaft ist.

 

Die bP behauptete, sie sei ca. „20 Tage vor“ der Gefangenschaft beim IS zur Zusammenarbeit mit der Miliz Al-Hashad Al-Shaabi aufgefordert worden. Sie habe bereits „vier Monate vor der Ausreise erfahren“, dass die irakischen Milizen ihr vorwerfen würden mit dem IS zusammengearbeitet zu haben und sie sei „deshalb ausgereist bzw. befürchte deshalb verfolgt zu werden“ (AS 97, EV v. 25.04.2018).

Die bP hat in der Erstbefragung jedoch lediglich eine neuerliche Verschleppung durch den IS und die Tötung durch diesen dargelegt. Eine ihr behauptetermaßen schon zum Ausreisezeitpunkt bekannte Verfolgung durch schiitische Milizen wegen unterstellter Zusammenarbeit mit dem IS erwähnte sie nicht ansatzweise. Sie verneinte sogar die Frage, ob sie im Falle der Rückkehr mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe (AS 6-7). Es kamen keine Hinderungsgründe hervor, dass sie dies nicht schon bei der Erstbefragung erwähnen hätte können.

Auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind [Hinweis VwGH v 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, und E vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0061, sowie das E des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U 1919/2013 ua.] (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189, VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168-3). Nach Ansicht des VfGH bezweckt diese Regelung den Schutz der Asylwerber davor, sich im direkten Anschluss an die Flucht aus ihrem Herkunftsstaat vor uniformierten Staatsorganen über traumatische Ereignisse verbreitern zu müssen, weil sie unter Umständen erst vor kurzem vor solchen geflohen sind. Daraus ergibt sich auch, dass an die dennoch bei der Erstbefragung erstatteten, in der Regel kurzen Angaben zu den Fluchtgründen im Rahmen der Beweiswürdigung keine hohen Ansprüche in Bezug auf Stringenz und Vollständigkeit zu stellen sind (VfGH 20.02.2014, U 1919/2013-15).

Ergänzend wird seitens des BVwG angeführt, dass auch in diesem Antragsverfahren die antragstellende Partei schon von Anbeginn verpflichtet ist ihren Antrag (wahrheitsgemäß) zu begründen (vgl etwa auch die Mitwirkungspflicht nach § 15 AsylG u. die Verfahrensförderungspflicht gem. § 39 Abs 2a AVG) und wird sie schon bei der Erstbefragung im Rahmen einer offenen Fragestellung nach ihrer Fluchtmotivation und Rückkehrbefürchtung befragt, bei der sie ihre Problemlage angeben bzw. eingrenzen soll. Zwar spricht § 19 Abs 1 AsylG davon, dass sich die Erstbefragung nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen hat, jedoch ist damit nicht gemeint – und wird durch die Fragestellung im Formular auch keinesfalls suggeriert -, dass der Fremde dazu nichts, nur nach seinem Belieben ausgewählte Teile seiner Fluchtmotivation darstellen braucht oder es überhaupt egal sei, was dazu bei der Erstbefragung angegeben wird.

Die Fragestellung ist jedenfalls eindeutig und auch iSe ordnungsgemäßen, offenen Fragestellung formuliert, damit die Partei hier nicht schon durch die Art der Fragestellung der Gefahr einer, bei einer Befragung zu einem erst zu erhebenden Sachverhalt, in der Einvernahmetechnik verpönten Suggestion ausgesetzt ist.

 

Aussagehemmende Faktoren die sie daran gehindert hätten, schon bei der Erstbefragung dies zumindest im Ansatz bekannt zu geben wurden seitens der bP nicht konkret dargelegt. Insbesondere ist aus der Niederschrift die Behauptung in der Beschwerde nicht nachvollziehbar, wonach sie nicht die „Gelegenheit“ hatte, ihr „gesamtes Fluchtvorbringen“ darzutun. Die darin vorgebrachten Fluchtgründe korrespondieren zudem mit der geäußerten Rückkehrbefürchtung.

Jedenfalls wird in der Beschwerde mit diesem Argument aber bestätigt, dass die bP – folgt man ihren weiteren Angaben – bereits zum Zeitpunkt der Erstbefragung von der Verfolgung durch die Miliz Al-Hashad Al-Shaabi gewusst haben müsste. Das BVwG schließt aus diesem anfänglichen Verschweigen, so wie schon das Bundesamt, dass es sich um ein aus asyltaktischen Gründen nachgeschobenes bzw. gesteigertes und damit nicht glaubhaftes Vorbringen handelt, dem kein persönliches Realereignis zugrunde liegt.

Anzumerken ist, dass es auch nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. VwGH 20.7.2020, Ra 2020/01/0210, mwN).

 

Sie behauptete, dass sie vor der Ausreise ca. 1 Jahr in Gefangenschaft des IS gewesen sei. Ohne zu verkennen, dass eine Gefangennahme durch den IS zu dieser Zeit durchaus real sein konnte, vermochte die bP jedoch nicht glaubhaft machen, dass sie persönlich tatsächlich davon betroffen war.

Zur Beendigung der behaupteten einjährigen Gefangenschaft machte sie etwa grob widersprüchliche Angaben. Lt. Erstbefragung konnte sie aus der Gefangenschaft des IS „flüchten“ (AS 5). Später gab sie in Einvernahmen und auch in der Verhandlung an, dass sie aus der Gefangenschaft „freigelassen“ worden sei.

 

Die Motivation der Freilassung durch den IS konnte sie ebenso nicht plausibel darlegen bzw. antwortete ausweichend (AS42, Einvernahme beim Bundesamt):

„Warum wurden Sie dann freigelassen?

Ich und meine Kameraden wurden am gleichen Tag freigelassen.

 

Wiederholung der Frage. Warum wurden Sie dann freigelassen?

Wir waren eine Gruppe von ca. 200 Gefangenen. Wir wurden vom IS entlassen. Sie sagten, wir sollen nicht in unsere Häuser zurückkehren und unsere alten Posten nicht wieder besetzen. Uns wurde angeboten beim IS in Mosul zu arbeiten.“

 

Ebensowenig schlüssig und abweichend von der Aussage beim Bundesamt war die Antwort darauf in der Verhandlung:

„Warum wurden Sie damals nach Ihrer fast einjährigen Gefangenschaft vom IS wieder freigelassen?

Wegen den Beweisen. Sie haben nicht genug Beweise gegen mich gehabt. Die Vorwürfe gegen mich haben nicht gestimmt. Ich war ein normaler Nachtdienst-Security. Nur weil ich ein privates Problem mit meinen Nachbarn gehabt habe, der eine ganz hohe Position gehabt hatte, war das, vermute ich, dass er es mir vorgeworfen hat.

 

Was haben die Angehörigen des IS bei Ihrer Freilassung zu Ihnen gesagt?

Als sie mich entlassen haben, bin ich direkt zu unserem Familienhaus gegangen, zu dieser Zeit war meine Mutter noch am Leben, sie sagte mir, ich soll Mosul so schnell wie möglich verlassen, weil sie werden mich nicht in Ruhe lassen.“

 

Nicht schlüssig und damit nicht glaubhaft ist die Gefangenschaft und die Freilassung auch dadurch, dass sie behauptete, es sei in der Gefangenschaft beim IS alle 10 Tage ein Richter gekommen, der ihr bzw. ihnen vermittelt habe, dass sie „entweder kämpfen oder sterben“ würden (AS 182).

Folgt man dem Vorbringen der bP, so hat sie nicht für den IS gekämpft, blieb aber trotz dieser Weigerung zu kämpfen am Leben und wurde sogar vom IS aus der Gefangenschaft entlassen. Dies obwohl der IS nicht gerade für seine Toleranz gegenüber Personen, die nicht seiner Ideologie folgten und damit als Gegner wahrgenommen wurden, bekannt war.

 

Widersprüchlich waren ihren Angaben auch für die Zeit nach der Entlassung bis zum Verlassen des Landes, was ebenso auf ein gedankliches Konstrukt hinweist.

Sie behauptete zuerst, „am Tag der Entlassung“ aus der Gefangenschaft habe sie den Irak verlassen (AS 42). Sie sei nach der Entlassung aus der Gefangenschaft nur ca. eine Stunde zu Hause bei der Familie gewesen (AS 101). Nicht stimmig dazu ist die Aussage in der Verhandlung, dass sie die „letzte Nacht vor der Ausreise bei ihrer Familie in Mosul geschlafen“ habe (VHS S 4).

 

Ein weiterer Hinweis, dass es sich bei der Gefangenschaft um kein persönliches Realereignis handelt ist auch die sehr oberflächliche Beschreibung des Alltages während der einjährigen Gefangenschaft beim Bundesamt (zB AS 41):

„Wie hat der Alltag in dieser Gefangenschaft ausgesehen?

Die Hallen waren getrennt. Die Jugendlichen waren in einer Halle. Ca. 60 ältere Menschen sind während dieser Haft gestorben.

 

Wiederholung der Frage! Wie hat der Alltag in dieser Gefangenschaft ausgesehen?

Sie kamen in der Früh und haben mit ihren Maschinengewehren in die Wände bzw. in die Luft geschossen. Dann sind wir in den Hallen geblieben. Ich selber wurde nicht vor ein IS Gericht gestellt.“

 

Im Gegensatz zur Verhandlung behauptete die bP noch im gerichtspsychiatrischen Gutachten bzw. der Befundaufnahme im Jahr 2021, dass sie nach wie vor Verfolgung durch den IS befürchte. Ihre Rechtfertigung in der Verhandlung auf den Vorhalt bzw. die Frage, warum sie dies nunmehr nicht angebe, war, dass sie nur Miliz aber nicht IS gesagt habe, auf Verständigungsprobleme mit dem Sachverständigen zurückzuführen sei, ist nicht überzeugend, zumal davon auszugehen ist, dass der gerichtlich zertifizierte med. Sachverständige die dafür notwendige Sorgfalt aufgewendet hat. Zudem ist wenig plausibel, dass es bei tatsächlichen gravierenden sprachlichen Verständigungsproblemen nur in diesem Punkt zu einer falschen Protokollierung durch den Sachverständigen gekommen wäre.

Zudem hat die bP dies auch schon im Verfahren vor dem Bundesamt so angegeben.

 

In der Erstbefragung behauptete die bP ihre ganze Familie sei vom IS verschleppt worden, sie wisse nicht ob sie noch leben würden. Aus den weiteren Einvernahmen ergeben sich jedoch diesbezüglich keine konkreten Hinweise. Vielmehr ergab sich, dass sie nach Beschädgiung ihres Hauses völlig frei in Mosul bzw. einem Camp in der Nähe von Mosul gelebt haben (zB AS 91, 101). In der Verhandlung ergaben sich ebenso keine Hinweise darauf, dass diese verschleppt wurden bzw. verschollen wären. Ihre Familie habe in Mosul, abgsehen von XXXX , immer zusammengelebt. Es sei nie jemand entfernt oder auf Reisen gewesen und auch sonst nichts (AS178). In der Beschwerde wurde den Ausführungen der Behörde auch nicht widersprochen, dass die bP hier offensichtlich hinsichtlich der behaupteten Verschleppung der Familie durch den IS wahrheitswidrige Angaben machte.

Es ergaben sich auch keine konkreten und glaubhaften Hinweise, dass im Irak verbliebene Familienangehörige wegen tatsächlicher oder unterstellter Mitwirkung beim IS von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren belangt worden wären oder aktuell werden. Vielmehr ergab sich in der Verhandlung, dass diese überwiegend nach wie vor in Mosul leben, was ein Indiz für aktuell lebenswerte Umstände hinweist.

 

Die bP behauptete – zumindest in Ansätzen – beim Bundesamt, dass sie während der einjährigen Gefangenschaft auch misshandelt worden sei. Aus dem gerichtspsychiatrischen Gutachten v. 15.08.2021 geht hervor, dass eine Schulterverletzung nach Folter im Irak operativ versorgt wurde. Weiters brachte sie beim Gutachter eine Unterkieferfraktur und Jochbeinfraktur nach Folterung im Gefängnis im Irak vor.

Der Aktenlage nach gab es keine Hinweise, dass die bP zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 17.10.2015 irgendwelche Verletzungen aus jüngerer Zeit hatte. Auch die Frage in der Erstbefragung, ob sie Beschwerden oder Krankheiten habe, die sie an dieser Einvernahme hindern würden oder das Asylverfahren in Folge beeinträchtigen könnten verneinte sie.

Das BVwG geht davon aus, dass die bP diese doch gravierenden Verletzungen nicht in der behaupteten Gefangenschaft beim IS bzw. in diesem Zeitraum erlitten hat. Einerseits scheint es wenig lebensnah zu sein, dass die Terrormiliz sie einerseits derart foltert und misshandelt, andererseits dann aber die zugefügten Verletzungen operativ versorgen lässt, sie weiterhin in Gefangenschaft belässt, um sie dann nach dessen Weigerung für den IS zu kämpfen aber freizulassen.

Weiters wäre der allg. Lebenserfahrung nach davon auszugehen, dass solche, behauptetermaßen der Ausreise bzw. Asylantragstellung zeitnahe Verletzungen, dann doch bei der Einreise augenscheinlich oder doch zumindest von der bP vorgebracht worden wären.

Aus der Formulierung im Gutachten „nach Folterung im Gefängnis“ schließt das BVwG vielmehr, dass dies schon früher, eventuell während ihres auch vorgebrachten Gefängnisaufenthaltes im Jahr 2009 passiert ist. Faktum ist jedoch, dass die bP dies dann nicht (zeitnahe) zur Ausreise veranlasst hat.

 

In der Verhandlung konnte die bP auch die Frage, woher sie wisse, dass sie wegen der behaupteten Nichtmitwirkung bei der Miliz Al Hashad al Shaabi und damit unterstellter Mitwirkung beim IS aktuell gesucht werde, keine schlüssige Antwort geben und blieb diese rein spekulativ und letztlich auch unbescheinigt:

„Von meinem Freund und zugleich Arbeitskollegen mit dem ich immer in Kontakt war vor meiner Haft hier in Österreich, dass er in Mosul ist und dann habe ich erfahren, dass er inhaftiert wurde. Das Urteil war 20 Jahre Haft. Nachgefragt: Erfahren habe ich es durch seinen Bruder. Warum und weshalb weiß ich nicht, ich weiß nur, damals ist er auch nicht hingegangen um mitzuarbeiten bei der Miliz.“

 

Resümierend zu diesem Punkt ergibt sich, wie auch schon für das Bundesamt, für das BVwG die Erkenntnis, dass die bP die einjährige Gefangenschaft beim IS vor der Ausreise und die damit auch im Zusammenhang stehende Verfolgung durch die schiitische Miliz bzw. staatliche Akteure nicht glaubhaft ist.

 

Keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartende bzw. reale Gefährdung wg. (unterstellter) Verbindung zum IS:

Position des UNHCR:

UNHCR vertritt in seinen Erwägungen vom Mai 2019 zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen ua. folgende Ansicht:

UNHCR ist der Ansicht, dass Zivilisten der folgenden Kategorien – abhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Falls – aufgrund der ihnen unterstellten politischen Einstellung, ihrer religiösen oder ethnischen Identität und/oder aus anderen maßgeblichen Gründen wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen.

a) Arabisch-sunnitische und turkmenisch-sunnitische Männer und Jungen im kampffähigen Alter, die in einem von ISIS kontrollierten Gebiet und/oder einem Gebiet mit aktueller ISIS-Präsenz wohnhaft waren.

b) Frauen und Kinder, die aufgrund ihrer Verwandtschafts- oder Stammesbeziehungen mit

tatsächlichen oder vermeintlichen ISIS-Mitgliedern in Verbindung gebracht werden.

Position von EUAA:

EUAA, Common Analysis and Guidance Note, Irak, June 2022, führt in seiner Risikoanalyse zu Personen, mit tatsächlicher oder unterstellter IS (ISIL) Zugehörigkeit Folgendes aus (Google Übersetzung):

„Das primäre Profil, auf das alle im Irak anwesenden Sicherheitsakteure (einschließlich KRI) abzielen, sind Personen, die eine gewisse Zugehörigkeit zum ISIL haben oder als solche wahrgenommen werden. Berichten zufolge wurden Personen an Kontrollpunkten festgenommen, weil sie keine Ausweispapiere bei sich trugen. Es wurde berichtet, dass das Militär und die Sicherheitskräfte davon ausgehen würden, dass Männer und Jungen, die ISIL-kontrollierte Gebiete ohne Dokumente verlassen, ISIL-Mitgliedern sein müssten und deshalb versuchten, ihre Identität zu verschleiern. Berichten zufolge verschwanden Tausende von Männern nach ihrer Festnahme.

(a) (a) Personen mit (angenommener) ISIL-Zugehörigkeit

Berichten zufolge wurden Personen an Kontrollpunkten festgenommen, weil sie keine Ausweispapiere bei sich trugen. Es wurde berichtet, dass das Militär und die Sicherheitskräfte davon ausgehen würden, dass Männer und Jungen, die ISIL-kontrollierte Gebiete ohne Dokumente verlassen, ISIL-Mitgliedern sein müssten und deshalb versuchten, ihre Identität zu verschleiern. Berichten zufolge verschwanden Tausende von Männern nach ihrer Festnahme.

Im Irak gibt es keine nationale Gesetzgebung zur Verfolgung internationaler Verbrechen. Der Irak erhebt Anklage und Gerichtsverfahren gegen ISIL-Verdächtige gemäß dem irakischen Anti-Terrorismus-Gesetz Nr. 13 von 2005, das von den Vereinten Nationen als „zweideutig“ und zu weit gefasst in seiner Definition von Terrorismus kritisiert wurde. Das Gesetz kann zu willkürlichen Prozessen wegen Terrorismusvorwürfen und Todesurteilen führen, auch wegen gewaltfreier Straftaten, die ohne die Absicht begangen werden, die Bevölkerung zu terrorisieren. Die KRG beschuldigt ISIL-Verdächtige nach dem KRI-Gesetz zur Terrorismusbekämpfung und stellt sie vor Gericht.

Die irakischen Streitkräfte haben ISIL-Verdächtige weiterhin willkürlich und regelmäßig festgenommen und festgehalten, oft über Monate und manchmal über Jahre hinweg, ohne Gerichtsbeschluss oder Haftbefehl. Das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren von ISIL-Verdächtigen, wie z. B. der Besuch eines Richters innerhalb von 24 Stunden, Zugang zu einem Anwalt und die Benachrichtigung der Familie, wird systematisch verletzt. Die Terrorismusprozesse wurden von der UNO als „unfair“ kritisiert und beruhten auf erzwungenen Geständnissen, die angeblich durch Folter erlangt wurden, was zu Verurteilungen wegen terroristischer Verbrechen führte, die mit der Todesstrafe geahndet werden können. Im Januar 2021 waren 22 380 Personen in irakischen Gefängnissen inhaftiert, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden waren, darunter 950 Frauen. Im November 2020 befanden sich 4 000 Gefangene im Todestrakt, von denen die meisten verurteilt wurden Terrorismusvorwürfe. Berichten zufolge hat der Irak im Oktober 2020 21 zum Tode verurteilte Gefangene hingerichtet, weitere 21 im November 2020 und 8 Personen im Januar und Februar 2021 Es wurde auch berichtet, dass Anwälte, die Einzelpersonen und Familien mit vermeintlicher ISIL-Zugehörigkeit juristische Dienstleistungen erbracht haben, wegen der Erbringung ihrer Dienstleistungen bedroht wurden.

Die irakischen Behörden können mutmaßliche Kinder im Alter von 9 Jahren mit angeblicher Zugehörigkeit zum ISIL in den von Bagdad kontrollierten Gebieten und 11 in der KRI strafrechtlich verfolgen. Sicherheitskräfte nehmen Kinder oft auf der Grundlage von „Fahndungslisten“ mit Namen fest, die von Dorfbewohnern oder anderen Verdächtigen durch Verhöre und Folter gesammelt wurden. Berichten zufolge wurden Kinder häufig durch Folter gezwungen, angebliche Zugehörigkeiten zum ISIL zu gestehen.

Es wurden Fälle von Kindern gemeldet, die von irakischen und kurdischen Behörden wegen ihrer mutmaßlichen Zugehörigkeit zum ISIL ohne Beweise für ein begangenes Verbrechen festgenommen wurden. Sie werden oft zusammen mit Erwachsenen inhaftiert, haben keinen Zugang zu Bildung und ihnen wird der Kontakt zu ihren Familien verweigert. Die allgemeinen Lebensbedingungen in den meisten Einrichtungen sind nach wie vor desolat. Kinder waren einem erhöhten Risiko von sexueller Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Vernachlässigung ausgesetzt. Foltervorwürfe in Haft- oder Untersuchungshaftanstalten wurden nur selten untersucht. Der Kontakt zu Familienangehörigen von inhaftierten Kindern ist oft „wenig“, und wenn sie aus der Haft entlassen werden, werden sie oft als ISIL-Mitglieder wahrgenommen.

Im Januar 2021 befanden sich schätzungsweise 2 294 Kinder aufgrund ihrer (angenommenen) ISIL-Zugehörigkeit in Bagdad weiterhin in Haft, mit Haftstrafen von durchschnittlich 5 bis 15 Jahren. Berichten zufolge ist das irakische Jugendstrafrechtssystem überlastet und überfüllt. In KRI verließen die meisten Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung stehen, die Gefängnisse, aber die Wiedereingliederungsdienste für Kinder sind nach wie vor begrenzt, und zurückkehrende Kinder standen bei der Wiedereingliederung in ihre Gemeinschaften vor vielen Herausforderungen.

Diejenigen, die ihre Haftstrafen in der KRI verbüßt hatten, einschließlich minderjähriger Verdächtiger, waren Berichten zufolge Gefahr, bei ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete in anderen Teilen des Irak festgenommen und zweimal wegen desselben terroristischen Verbrechens vor Gericht gestellt zu werden, da die beiden Systeme parallel existieren und fehlt die Koordination.

Dutzende von sunnitischen arabischen Männern in der KRI waren Beispiele für diejenigen, denen erneute Festnahmen und Vergeltungsmaßnahmen drohten, wenn sie versuchen, sich mit ihren Familien in den von Bagdad kontrollierten Gebieten wieder zu vereinen. Darüber hinaus liefen sie Berichten zufolge Gefahr, von bewaffneten Gruppen aufgrund ihrer mutmaßlichen Zugehörigkeit zum ISIL „beinahe straffrei“ willkürlich festgenommen oder getötet zu werden.

Es gibt auch mehrere gemeldete Fälle, in denen die PMF und die Sicherheitskräfte Familienmitgliedern von ISIL-Mitgliedern oder Verdächtigen drohten, nach Hause zurückzukehren und Informationen bereitzustellen oder Vergeltungsmaßnahmen zu erwarten. Ehemalige ISIL-Verdächtige hatten Berichten zufolge auch Probleme, Zivildokumente zu erhalten.

(b) (b) Familienmitglieder von Personen mit (angenommener) ISIL-Zugehörigkeit

Der Begriff für ISIL-assoziierte Familienmitglieder (awa'il Dawa'ish) wird von Quellen so erklärt, dass er weit gefasst verstanden wird:

Der Begriff „ISIL-Familien“ wird recht allgemein verwendet, um Familien zu beschreiben, in denen ein Mitglied, normalerweise ein Sohn oder Ehemann, dem ISIL beigetreten ist oder mit ihm zusammengearbeitet hat. Der Grad der Zugehörigkeit variiert von der Mitgliedschaft im ISIL-Sicherheitsapparat als Kämpfer bis hin zur Beschäftigung als Köche oder Reinigungskräfte.

Berichten zufolge verwendet die UNO den Begriff „Familien mit vermeintlichen Zugehörigkeiten“, um sich auf „eine Gruppe zu beziehen, die keine Personen umfasst, die des Extremismus oder der Begehung einer terroristischen Straftat beschuldigt oder verdächtigt werden, die aber dennoch aufgrund einer Stammes- oder Familienverbindung zu einem Da stigmatisiert werden“. Esh-Unterstützer'. In der irakischen Kultur könnte dies jeden von einem Verwandten ersten bis sechsten Grades umfassen.

Familienmitglieder tatsächlicher oder vermeintlicher ISIL-Mitglieder bleiben oft jahrelang in Lagern im ganzen Irak vertrieben. Sie waren schweren Menschenrechtsverletzungen und Kollektivstrafen wie willkürlichen Verhaftungen, Belästigungen, sexueller Gewalt, Ausbeutung und Zwangsvertreibungen durch bewaffnete Akteure, darunter PMF, ISF, Milizen und Lagerbehörden, ausgesetzt. Sobald sie als „ISIL-Familie“ bezeichnet werden, verlieren sie die Unterstützung ihrer Großfamilien, ihres Dorfes oder Stammes.

Der Irak hat offizielle Anstrengungen unternommen, um die Lager in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 zu schließen. Viele Binnenvertriebene konnten aufgrund von Hindernissen wie Zerstörung von Wohnungen, Sicherheitsbedenken oder Gewaltrisiken, fehlendem Zugang zu Zivildokumenten, Umsiedlung, usw. Da Stämme eine bedeutende Rolle bei der Verwaltung der Stammesjustiz für ISIL-Familienmitglieder und -Unterstützer übernehmen, sind Binnenvertriebene und Rückkehrer, die ISIL-Verbindungen verdächtigt werden, dem Risiko von Vergeltungsmaßnahmen und falschen Anschuldigungen durch Stämme ausgesetzt, die manchmal ihre Rückkehr blockieren. Bis Januar 2021 hatte der Irak 26 Lager geschlossen, von denen viele von weiblichen Binnenvertriebenen geleitet wurden und deren Familien als mit dem ISIL verbunden bezeichnet wurden. Es wurde berichtet, dass sie Ende 2020 im Zusammenhang mit den Bemühungen der irakischen Behörden, alle Lager für Binnenvertriebene zu schließen, viel mehr Menschen Sicherheitsüberprüfungen gewährt und ausgestellt haben neue Zivildokumentation. Es wurde auch berichtet, dass im Jahr 2021 mehr Menschen an ihre Herkunftsorte zurückkehren durften, selbst wenn sie (angeblich) mit ISIL in Verbindung standen, aber einige Gemeinden im Süden von Ninawa sich weigerten, Familien zurückzunehmen. In mehreren Fällen sollen die PMF und die Sicherheitskräfte Familienmitgliedern von ISIL-Mitgliedern oder Verdächtigen gedroht haben, nach Hause zurückzukehren und Informationen zu liefern oder Vergeltungsmaßnahmen zu erwarten.

Es gab Berichte, dass Einzelpersonen oder Familien mit vermeintlicher ISIL-Zugehörigkeit an der Rückkehr in ihre Heimatgebiete gehindert wurden oder auf Hindernisse stießen, weil lokale Erlasse und andere Präventivmaßnahmen ihre Rückkehr verhinderten, wie z Rückkehr, Androhung der Räumung und Unfähigkeit, Zivildokumente und Sicherheitsüberprüfungen zu erhalten usw.

Wenn bei einer Person ein Familienmitglied gefunden wurde, das der ISIL-Zugehörigkeit verdächtigt wurde, wurde die Sicherheitsüberprüfung verweigert. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist nicht standardisiert und es gibt unterschiedliche Regeln, Berufungen und Verfahren, die Einzelpersonen der Ausbeutung aussetzen, während diejenigen, die an Personen ausgegeben werden, die Lager für Binnenvertriebene verlassen, nicht immer von anderen Sicherheitsakteuren anerkannt werden, was bedeutet, dass Rückkehrer oder Umsiedler betroffen sind zusätzliche Kontrollen auch als Sicherheitsfreigabeinhaber. Es gab auch Berichte, dass Familien von Zivilbehörden, Sicherheitskräften/bewaffneten Akteuren von Gemeinde-/Stammesgruppen gezwungen wurden, sich diesen Verfahren zu unterziehen beinhalten die Meldung von ISIL-angehörigen Verwandten an die Behörden (ikhbar) oder die Ablehnung dieser Verwandten durch den Stammesmechanismus namens Tabrea'a , um eine Sicherheitsüberprüfung zu erhalten. Die Praxis von tabrea'a (Verleugnung) und ikhbar (Denunzierung) ermöglichte es einigen Frauen, schließlich eine Zivildokumentation zu beantragen. Es wurde jedoch berichtet, dass weibliche Binnenvertriebene und Haushaltsvorstände aufgrund von Belästigung und sexueller Ausbeutung durch Beamte „zusätzlichen Bedrohungen ausgesetzt sein können“, wenn sie versuchen, Zugang zu Zivildokumenten zu erhalten, oder wenn sie sich einer Ikhbar unterziehen. In ähnlicher Weise wurde berichtet, dass der Hauptweg dieser Frauen, um rechtliche Autonomie zu erlangen, tabrea'a (Leugnung) ist, aber dieses Verfahren ist mit zusätzlichen Belastungen und Gefahren befrachtet, einschließlich der Gefährdung ihres inhaftierten oder vermissten Ehemanns durch die Aussage, dass er mit dem ISIL verbunden ist. Darüber hinaus ist der Prozess administrativ schwierig, kostspielig und von Korruption umgeben.

Familien mit fehlenden Ausweisdokumenten wurden ausgegrenzt und ihnen wurde der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, dem staatlichen Justizsystem, Sozialhilfe usw. verweigert. Darüber hinaus lässt der Mangel an Personenausweisen und Sicherheitsüberprüfungen die Angst vor Verhaftung oder Inhaftierung an Kontrollpunkten aufkommen.

Von Frauen geführte Haushalte mit vermeintlicher ISIL-Zugehörigkeit stoßen auf besondere Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Beschaffung von Dokumenten für sich selbst oder ihre Kinder im Falle des Todes oder Verschwindens des Vaters.

Auch Frauen, deren Ehemänner vermisst werden oder verstorben sind, stehen vor zusätzlichen Hindernissen, um humanitäre und staatliche Hilfe zu erhalten. Darüber hinaus sind diese Frauen Berichten zufolge nur eingeschränkt in der Lage, an Stammesmechanismen teilzunehmen, um die Rückkehr zu erleichtern, Sicherheitsüberprüfungen zu erhalten oder einer bezahlten Arbeit nachzugehen, und können von ihren Gemeinschaften abgelehnt werden.

Vielen Kindern aus Familien, denen eine Zugehörigkeit zum ISIL zugeschrieben wird, mangelt es an zivilen Papieren.

Berichten zufolge sind undokumentierte Kinder von Staatenlosigkeit bedroht und haben Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, einschließlich Bildung und Gesundheitsversorgung. Siehe auch den Abschnitt über geborene Kinder unter ISIL, denen Zivildokumente unter dem Profil Kinder fehlen.

Risikoanalyse

Die Verfolgung krimineller Handlungen von Aufständischen an sich stellt keine Verfolgung dar.

Die Handlungen, denen Personen unter diesen Unterprofilen ausgesetzt sein könnten, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkämen (z. B. willkürliche Verhaftung, Todesstrafe, Folter, Misshandlung, Verschwindenlassen, sexuelle Gewalt). Wenn es sich bei den fraglichen Handlungen um (ausschließlich) diskriminierende Maßnahmen handelt, sollte bei der individuellen Beurteilung, ob eine Diskriminierung einer Verfolgung gleichkommen könnte, die Schwere und/oder Wiederholungshäufigkeit der Handlungen berücksichtigt werden oder ob sie als Anhäufung verschiedener Maßnahmen auftreten.

Bei Personen mit (vermeintlicher) ISIL-Zugehörigkeit wäre im Allgemeinen eine begründete Angst vor Verfolgung begründet, da Personen, die mit ISIL in Verbindung gebracht werden, ein vorrangiges Ziel aller Sicherheitsakteure sind.

Bei Familienmitgliedern mit (angenommener) Zugehörigkeit zum ISIL sollte bei der individuellen Beurteilung, ob für den Antragsteller ein hinreichendes Maß an Wahrscheinlichkeit besteht, dass ihm Verfolgung droht, risikobeeinflussende Umstände berücksichtigt werden wie: Familienstand (z. B. alleinstehende oder verwitwete Frau, weibliches Oberhaupt Haushalte, Kind mit alleinerziehender oder verwitweter Mutter und/oder ausländischem, verstorbenem oder vermisstem Vater), Stammeszugehörigkeit, Herkunftsgebiet.

 

Auf Grund der oa. Beweiswürdigung ergibt sich für das BVwG, dass sie die behauptete Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft machen konnte. Alleine, dass sie ein in Mosul aufgewachsener, dort registrierter und sozialisierter arabischer Sunnite ist, der auch über nationale Dokumente verfügt, dessen Familienangehörige auch noch dort unbehelligt leben, ist eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung nicht zu erkennen. Ebenso kam im Verfahren nicht bzw. nicht glaubhaft hervor, dass Familienangehörige Verbindungen zum IS hatten bzw. haben oder ihnen solche glaubhaft unterstellt wurden oder werden.

Im Falle der Rückkehr wäre die bP durch die österreichischen Unterlagen aus dem Asylverfahren im Falle einer hypothetisch möglichen Befragung bei der Einreise auch in der Lage nachzuweisen wo sie sich in welchem Zeitraum für welche Zwecke aufhielt und könnte sich die irakische Polizei als Mitglied von Interpol (https://www.interpol.int/Who-we-are/Member-countries/Asia-South-Pacific/IRAQ ) im Bedarfsfall im Rahmen der internationalen polizeilichen Kooperation bei den österreichischen Sicherheitsbehörden vergewissern, dass die bP auch in Europa nicht im Verdacht stand mit dem IS im Zusammenhang zu stehen.

 

In diesem Konnex fällt die bP, unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände, nach Ansicht des BVwG auch nicht unter ein Gefährdungsprofil wie es UNHCR bzw. EUAA anführen. Eine daraus resultierende Verfolgung ist somit im Falle der Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

 

Ad2) Behauptete, nach wie vor gegebene Gefährdung durch ihren Schwager, da sie durch diesen im Jahr 2009 verhaftet worden sei:

 

Das BVwG geht – wie schon das Bundesamt – hinsichtlich dieser als aktuell bezeichneten Verfolgung von einem gesteigerten und daher nicht den Tatsachen entsprechenden Vorbringen aus. Die bP erwähnte trotz Möglichkeit und Belehrung über ihre Mitwirkungsverpflichtung in der Erstbefragung eine Problemlage mit dem Schwager nicht ansatzweise. Weder, dass dies für sie ausreisekausal gewesen wäre, noch, dass sie diesbezüglich etwas bei einer Rückkehr befürchten würde. Sie sei einzig aus Angst vor dem IS geflüchtet und befürchte im Falle der Rückkehr nur eine neuerliche Verschleppung durch den IS und eine Tötung durch denselben. Es besteht unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände gegenständlich kein vernünftiger bzw. nachvollziehbarer Grund für eine Person in der Lage der bP, diesen Fluchtgrund bzw. diese Rückkehrbefürchtung zumindest ansatzweise schon bei der Erstbefragung vorzubringen, wenn es sich um reale Ausreisegründe bzw. Rückkehrbefürchtungen handelt. Zur Zulässigkeit der Verwertung dieses Faktums wird auf die Ausführungen zu Ad1 verwiesen.

 

Zu Ad1 u. Ad2)

Abseits der nationalen Rechtsprechung sind zur Beurteilung der Glaubhaftmachung auch die europarechtlichen Vorgaben von Bedeutung. So normiert die – nicht direkt anwendbare - Statusrichtlinie 2011/957EU des Rates vom 13.12.2011 als Ausfluss der Staatenpraxis in deren Artikel 4 Absatz 1 und 5 Folgendes:

„Wenden die Mitgliedstaaten den in Absatz 1 Satz 1 genannten Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.“

 

Wendet man im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung diese sekundärrechtliche Norm auf das gegenständliche Verfahren an, so führt auch dies hier dazu, dass gegenständlich das Gefährdungsvorbringen bzw. eine aktuelle Verfolgungsgefahr (vgl. Ad1 u. Ad2) ohne Vorlage von unbedenklichen Bescheinigungsmitteln als nicht glaubhaft erachtet werden kann, zumal insbesondere wesentliche Aussagen der bP nicht kohärent und plausibel sind, die bP den Antrag auf internationalen Schutz nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, sondern zuerst mehrere als sicher geltende Staaten durchreiste ohne dort schon Schutz zu suchen und keine guten Gründe dafür vorgebracht wurden, dass dies nicht möglich war. Weiters konnte angesichts des dargestellten Aussageverhaltens der bP auch nicht ihre generelle Glaubwürdigkeit festgestellt werden.

 

Dass es hier zur „Glaubhaftmachung“ (der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein) quasi wegen der Offenkundigkeit einer Verfolgungsgefahr somit überhaupt keiner Bescheinigungsmittel bedurft hätte, bietet der gegenständliche Fall – auch unter Berücksichtigung der unter www.ecoi.net verfügbaren Berichtslage keinen konkreten Anhaltspunkt (vgl zB. auch VwGH 25.06.2003, Zahl 2000/04/0092).

 

Keine entscheidungsrelevante Gefährdung aus der allgemeinen Sicherheitslage

Mossul (oder Mosul, arabisch الموصل, DMG al-Mauṣil; kurdisch مووسڵ Mûsil; syrisch-aramäisch: ܢܝܢܒ݂ܐ Nîněwâ) ist eine Stadt im Norden des Irak am rechten (westlichen) Ufer des Tigris, circa 350 Kilometer nördlich von Bagdad. Sie ist mit rund 2,9 Millionen Einwohnern (Berechnung 2010) nach Bagdad die zweitgrößte Stadt des Landes. Mossul ist die Hauptstadt der Provinz Ninawa, die zu den umstrittenen Gebieten zwischen der Autonomen Region Kurdistan und der Zentralregierung des Irak gehört. Nach der Einnahme Mossuls durch den Islamischen Staat im Juni 2014 war sie die größte Stadt in dessen Hand. Nach der Androhung eines Massenmords durch den IS verließen die meisten christlichen Einwohner die Stadt. In der Schlacht um Mossul vom 17. Oktober 2016 bis zum 9. Juli 2017 wurde die Stadt von der Peschmerga und den Koalitionsstreitkräften vollständig zurückerobert und im Rahmen der Gefechte schwer beschädigt.

 

Aus der nachfolgend dargestellten aktuellen Berichtslage aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ergibt sich für die Herkunftsregion Ninewa und insbesondere Mosul (Anm: ca. 2,9 Mio Einwohner) nach Einschätzung des BVwG ein rel. geringes Risiko bzw. keine reale Gefahr, dass Zivilpersonen mit dem Profil der bP Opfer von sicherheitsrelevanten Vorfällen werden:

 

Gouvernement Ninewa

Ninewa ist eine der Regionen, die dem IS als logistische Drehscheibe dienen (Wing 6.7.2021). Sie wird genutzt, um Personal und Material zwischen Syrien und dem Irak zu bewegen (Wing 7.6.2021). Die Region ist daher üblicherweise relativ ruhig. Die Zunahme an sicherheitsrelevanten Vorfällen im August 2021 wird als Zeichen einer Kampagne des IS gesehen. Die Mehrheit der Vorfälle betraf Sabotage an Strommasten und den Einsatz von Sprengsätzen (IEDs) (Wing 6.9.2021). Die KRG und die Zentralregierung in Bagdad haben im Oktober 2020 ein Sicherheitsabkommen für Sinjar geschlossen. Um die PKK-Kämpfer zu vertreiben, will die Zentralregierung eine neue bewaffnete Truppe aufbauen, die sich aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert (BS 23.2.2022).

 

Im Februar 2021 wurden vier sicherheitsrelevante Vorfälle mit drei Toten verzeichnet. Es handelt sich bei den drei Toten um Zivilisten (Wing 8.3.2021). Im März 2021 wurden fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und vier Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und bei den vier Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 5.4.2021). Im April 2021 wurden acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und 18 Verletzten verzeichnet. Bei einem der Toten und 13 der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 3.5.2021). Im Mai 2021 wurden neun sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und neun Verletzten verzeichnet. Bei fünf der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 7.6.2021). Im Juni 2021 wurden sechs sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Verletzten verzeichnet. Vier davon waren Zivilisten (Wing 6.7.2021). Unter anderem wurden zwei Strommasten im Südosten Mossuls gesprengt (Wing 6.7.2021; vgl. NINA 13.6.2021). Im Juli 2021 wurden 13 sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei zivilen Toten und 18 Verletzten, davon drei ISF- und acht PMF-Angehörige, verzeichnet (Wing 2.8.2021). Außerdem wurden im Süden Mossuls Strommasten gesprengt (Wing 2.8.2021; vgl. NINA 1.7.2021). Im August 2021 wurden 14 sicherheitsrelevante Vorfälle mit vier Toten und sieben Verletzten verzeichnet. Bei drei der Toten und sieben der Verletzten handelt es sich um Zivilisten (Wing 6.9.2021). Im September 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet mit vier Toten und acht Verletzten. Ein Drohnenangriff auf eine türkische Basis wird PMF zugeschrieben und als Warnung an die türkische Präsenz im Nordirak gesehen (Wing 4.10.2021). Im Oktober 2021 wurden zehn Vorfälle mit acht Toten und neun Verletzten verzeichnet, von denen sechs, bzw. fünf Zivilisten waren (Wing 4.11.2021). Fünf Demonstrationen, die im Oktober verzeichnet wurden, verliefen friedlich (ACLED 2022). Im November 2021 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Drei der Vorfälle werden pro-iranischen Milizen zugeordnet. Dabei handelt es sich um einen vereitelten IED-Angriff und Raketenbeschüsse von zwei türkischen Militärbasen (Wing 6.12.2021). Es wurde ein friedlicher Protest verzeichnet (ACLED 2022). Im Dezember 2021 wurden sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet. Alle Opfer waren Zivilisten. Einer der Angriffe, ein neuerlicher Raketenbeschuss einer türkischen Basis, wird PMF zugeschrieben (Wing 4.1.2022). Im Dezember 2021 wurden drei Proteste verzeichnet, von denen zwei friedlich verliefen, einer jedoch gewaltätig wurde. Am 12.12.2021 protestierten Demonstranten im Distrikt Sinuni gegen türkische Luftangriffe im Irak. Während der Demonstration eröffneten die Demonstranten das Feuer auf irakische Soldaten und setzten mit Molotow-Cocktails ein Militärfahrzeug in Brand. Die Sicherheitskräfte lösten daraufhin die Demonstration auf. Ein Soldat wurde verletzt (ACLED 2022).

Im Jänner 2022 wurden in Ninewa sieben sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Todesopfer verzeichnet. Drei der Vorfälle, Raketenbeschüsse von türkischen Basen, werden pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 7.2.2022). Im Jänner 2022 wurde lediglich eine friedliche Demonstration verzeichnet (ACLED 2022). Im Februar 2022 wurden in Ninewa acht sicherheitsrelevante Vorfälle mit sieben Verletzten verzeichnet. Sieben der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, der achte pro-iranischen Milizen (Wing 3.3.2022). Dabei handelt es sich um Raketenbeschuss der türkischen Zlikan Militärbasis (Bas News 3.2.2022; vgl. Wing 3.3.2022) als Vergeltung für türkische Luftangriffe in den Distrikten Makhmour und Sinjar (Bas News 3.2.2022). Im März 2022 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und sieben Verletzten gezählt. Zehn der Vorfälle werden dem IS, einer pro-iranischen Milizen zugeschrieben (Wing 6.4.2022). Bei letzterem handelte es sich neuerlich um Raketenbeschuss der türkischen Zlikan Militärbasis (NRT 30.3.2022; vgl. Wing 6.4.2022). Der April 2022 sah elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und sechs Verletzten. Sieben der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, vier pro-iranischen Milizen (Wing 11.5.2022). Im Schutz eines Sandsturms haben IS-Kämpfer in den Außenbezirken Mossuls einen Angriff auf Kämpfer der 44. PMF-Brigade (Ansar al-Marja'iya) durchgeführt (Shafaq News 6.4.2022; vgl. Wing 11.5.2022). Im Mai 2022 wurden elf sicherheitsrelevante Vorfälle mit zwei Toten und zwölf Verletzten registriert. Acht der Vorfälle werden dem IS zugeschrieben, drei pro-iranischen Milizen (Wing 6.6.2022). Juni 2022 sah zehn Vorfälle mit fünf Verletzten, wobei vier dem IS und sechs pro-iranischen Milizen zugeschrieben werden (Wing 6.7.2022).

Der Datenbank von ACLED zufolge gab es im Gouvernement Ninewa im Jahr 2021 376 Vorfälle, in der ersten Hälfte des Jahres 2022 waren es 203.

Im Distrikt al-Ba'adj wurden im Jahr 2021 neun Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen betroffen. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung, vier IED-Angriffe und ein Luft-/Drohnenangriff der Türkei verzeichnet, bei dem Zivilisten betroffen waren. Im Jahr 2022 wurden bis Juni vier Vorfälle vermerkt. Zivilisten waren in zwei Fällen von Gewalt betroffen. Es wurden je eine bewaffnete Auseinandersetzung, ein IED-Angriff und ein Fall von Artillerie- und Raketenbeschuss verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Hamdaniyah wurden im Jahr 2021 26 Vorfälle verzeichnet, darunter zwei friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in zehn Fällen betroffen. Es wurden unter anderem drei bewaffnete Auseinandersetzungen, drei IED-Angriffe, sieben Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie drei Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni sieben Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen von Gewalt betroffen. Es wurden eine bewaffnete Auseinandersetzung und ein Fall von Artillerie- und Raketenbeschuss verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt al-Hatra wurden im Jahr 2021 13 Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in zwei Fällen betroffen. Es wurden unter anderem acht bewaffnete Auseinandersetzungen, zwei IED-Angriffe, zwei Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie ein Luft-/Drohnenangriff registriert. Im Jahr 2022 wurden bis Juni zwölf Vorfälle verzeichnet. Zivilisten waren in drei Fällen von Gewalt betroffen. Des Weiteren wurden fünf bewaffnete Auseinandersetzungen, ein IED-Angriff und drei Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen des IS gezählt (ACLED 2022).

Im Distrikt Mossul wurden im Jahr 2021 157 Vorfälle verzeichnet, darunter fünf friedliche Demonstrationen und eine gewalttätige. Zivilisten waren in 50 Fällen betroffen, vor allem durch direkte Angriffe und IEDs. Es wurden unter anderem elf bewaffnete Auseinandersetzungen, 54 IED-Angriffe, 15 Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss sowie drei Luft-/Drohnenangriffe registriert. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 66 Vorfälle gezählt, darunter eine friedliche Demonstration. Zivilisten waren in 15 Fällen betroffen. Darüber hinaus wurden acht bewaffnete Auseinandersetzungen, sieben IED-Angriffe, 14 Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss und sieben Luft-/Drohnenangriffe vermerkt, einer davon mutmaßlich durch die türkische Armee gegen ein PMF-Hauptquartier in Jarbuaa (ACLED 2022).

Im Distrikt Sinjar wurden im Jahr 2021 67 Vorfälle gezählt, darunter 27 friedliche und zwei gewalttätige Demonstrationen. in einem weiteren Fall wurde exzessive Gewalt gegen Demonstranten angewandt. Zivilisten waren in 15 Fällen betroffen, darunter drei Entführungen. Es wurden unter anderem sechs bewaffnete Auseinandersetzungen und vier IED-Angriffe verzeichnet. Das Türkische Militär hat acht Luft-/Drohnenangriffe gegen Stellungen der PKK und der Widerstandseinheiten Shingal (YBS) ausgeführt. Dabei wurde in einem Fall ein Krankenhaus getroffen und wurden mehrer Personen verletzt. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 68 Vorfälle gezählt, darunter 13 friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in zwölf Fällen betroffen, darunter zwei Entführungen. Es wurden außerdem 18 bewaffnete Auseinandersetzungen, je drei IED-Angriffe und Fälle von Artillerie- und Raketenbeschuss, sowie acht Luft-/Drohnenangriffe verzeichnet. Letztere ausgeführt durch die türkische Armee gegen Stellungen der PKK und YBS (ACLED 2022).

Im Distrikt Tala’far wurden im Jahr 2021 33 Vorfälle vermerkt, darunter zwei friedliche Demonstrationen. Zivilisten waren in neun Fällen betroffen, vor allem durch IEDs. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung und elf IED-Angriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni 20 Vorfälle gezählt. Zivilisten waren in neun Fällen betroffen. Es wurden unter anderem zwei bewaffnete Auseinandersetzungen und fünf IED-Angriffe verzeichnet (ACLED 2022).

Im Distrikt Tilkaif wurden im Jahr 2021 acht Vorfälle aufgeführt. Zivilisten waren in fünf Fällen betroffen. Es wurden unter anderem eine bewaffnete Auseinandersetzung und drei IED-Angriffe verzeichnet. Im Jahr 2022 wurden bis Juni ebenso acht Vorfälle verzeichnet. In drei Fällen waren Zivilisten betroffen. Die Registrierten Vorfälle umfassen vier bewaffnete Auseinandersetzungen, zwei IED-Angriffe und Raketenbeschuss (ACLED 2022).

Im Gouvernement Ninewa, unterteilt in die Distrikte Akre, al-Ba'adj, al-Hamdaniyah, al-Hatra, Mossul, Shikhan, Sinjar, Tala’far und Tilkaif wurden 2021 24 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten angegriffen wurden (Kategorie "violence against civilians") verzeichnet. 2022 waren es bis Juni 22 Vorfälle (Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann).

Zivilisten als Ziele oder Opfer von Gewalt (davon Entführungen):

ACLED 2022

 

 

 

 

Ad b) Betreffend ihrer Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse im Herkunftsstaat:

 

Auf Grund ihres aktuellen Gesundheitszustandes (siehe Feststellungen, insbes. das gerichtspsychiatrische Gutachten) mit dem Erfordernis einer engmaschigen umfassenden med. Betreuung (dzt. in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher), ohne die erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung bestünde, ergibt sich auf Basis der Berichtslage die reale Gefahr, dass die bP bei einer Rückkehr in den Irak, auf Grund der nicht gegebenen hinreichenden med. Versorgungslage, in eine aussichtslose Lage gerät. Staatliche medizinische Versorgung in der KRI ist kostenlos bzw. kostengünstig, allerdings qualitativ schlecht, verbunden mit langen Wartezeiten. Private Krankenhäuser sind kostspielig und nur für die obere Mittelschicht leistbar. Es gibt keine privaten Krankenversicherungen, sodass Zahlungen in privaten Einrichtungen aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

 

 

 

Ad 1.1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Das BVwG hat durch die zitierten Quellen der Staatendokumentation Beweis erhoben. Zur Beurteilung der aktuellen und entscheidungsrelevanten Situation kommt jeweils den jüngsten Erkenntnisquellen besondere Bedeutung zu und ältere dienen im Wesentlichen der Übersicht über die Lageentwicklung. Die Verfahrensparteien sind dem im Rahmen des Parteiengehörs nicht konkret entgegen getreten. Aus den von der bP vorgelegten Berichten im Rahmen des Parteiengehörs ergibt sich keine andere Beurteilung der maßgeblichen Situation, da sie im Wesentlichen nicht von der herangezogenen Berichtslage des BVwG abweichen.

 

3. Rechtliche Beurteilung

Ad A)

Nichtzuerkennung des Status als asylberechtigte Person

§ 3 AsylG

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.

(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern, ob eine vernunftbegabte Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen aus Konventionsgründen wohlbegründete Furcht erleiden würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380). Dies trifft auch nur dann zu, wenn die Verfolgung von der Staatsgewalt im gesamten Staatsgebiet ausgeht oder wenn die Verfolgung zwar nur von einem Teil der Bevölkerung ausgeübt, aber durch die Behörden und Regierung gebilligt wird, oder wenn die Behörde oder Regierung außerstande ist, die Verfolgten zu schützen (VwGH 4.11.1992, 92/01/0555 ua.).

Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 ist eine Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie. Demnach sind darunter jene Handlungen zu verstehen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Recht auf Leben, Verbot der Folter, Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft, Keine Strafe ohne Gesetz) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon – wie in ähnlicher beschriebenen Weise – betroffen ist.

Nach der auch hier anzuwendenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Verfolgung weiters ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Verfolgung kann nur von einem Verfolger ausgehen. Verfolger können gemäß Art 6 Statusrichtlinie der Staat, den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschende Parteien oder Organisationen oder andere Akteure sein, wenn der Staat oder die das Staatsgebiet beherrschenden Parteien oder Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu gewähren.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl zB vom 8. 11. 1989, 89/01/0287 bis 0291 und vom 19. 9 1990, 90/01/0113). Der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Bericht genügt dafür ebenso wenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage, zB. einer Volksgruppe, in seinem Herkunftsstaat (vgl VwGH 29. 11. 1989, 89/01/0362; 5. 12. 1990, 90/01/0202; 5. 6. 1991, 90/01/0198; 19. 9 1990, 90/01/0113).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Der Antrag war nicht bereits gemäß §§4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen.

Nach Ansicht des BVwG sind die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als Asylberechtigter, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

Wie sich aus den Erwägungen ergibt, ist es der bP nicht gelungen eine solche aus ihrer dargelegten Ausreisemotivation und vorgebrachten Rückkehrbefürchtung glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Nichtglaubhaftmachung wird hier ausdrücklich auf die Ausführungen in der Beweiswürdigung verwiesen.

Auch die allgemeine Lage ist im Herkunftsstaat nicht dergestalt, dass sich konkret für die beschwerdeführende Partei mit ihrem sich aus den Feststellungen ergebenen Persönlichkeitsprofil eine begründete Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden asylrelevanten Verfolgung ergeben würde.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Nichtzuerkennung des Status als subsidiär schutzberechtigte Person

 

§ 8 AsylG

(1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

(5) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass die zu erteilende Aufenthaltsberechtigung gleichzeitig mit der des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, endet.

(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.

(7) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten erlischt, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird.

 

Art. 2 EMRK lautet:

„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. (2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt: a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen; b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern; c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.

 

Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwGH 26.06.2019, Ra 2019/20/0050) ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. Der EuGH hat dazu festgehalten, dass das "Vorliegen einer solchen Bedrohung ... ausnahmsweise als gegeben angesehen werden" kann, "wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt (...) ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region ‚allein durch ihre Anwesenheit‘ im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein" (vgl. EuGH 17.2.2009, C-465/07, Elgafaji, Rn. 35). Auch wenn der EuGH in dieser Rechtsprechung davon spricht, dass es sich hiebei um "eine Schadensgefahr allgemeinerer Art" handelt (Rn. 33), so betont er den "Ausnahmecharakter einer solchen Situation" (Rn. 38), "die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre" (Rn. 37). Diesen Ausnahmecharakter betonte der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung, Urteil vom 30. Jänner 2014, C-285/12, Diakite, Rn.

30.

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. zum Ganzen VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2017/20/0038 bis 0040; 6.11.2018, Ra 2018/01/0106, jeweils mwN).

 

Dass der Eintritt künftiger ungewisser Ereignisse bloß nicht ausgeschlossen werden kann, wird der Annahme einer realen Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung nicht gerecht (VwGH am 19.01.2022, Ra 2021/20/0209).

 

§ 9 AsylG

(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Die psychisch kranke bP befindet sich in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und bedarf insbesondere engmaschiger medizinischer Behandlung ohne die Selbst- und Fremdgefährdung vorliegt. Auf Grund der Berichtslage und der persönlichen Umstände ist davon auszugehen, dass aktuell eine solche für die bP im Irak nicht möglich bzw. nicht zugänglich wäre, weshalb die reale Gefahr besteht, dass die bP in eine aussichtslose und damit Art 3 EMRK relevante Lage geraten würde. Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat würde daher eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten und würden die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs 1 Z1 AsylG vorliegen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist mangels Zumutbarkeit nicht gegeben.

Gem. § 8 Abs 3a AsylG hat die Abweisung des Antrages auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gem. § 9 Abs 2 AsylG vorliegt.

Im Konkreten kommt hier grds. als Tatbestand der § 9 Abs 2 Z 2 AsylG in Betracht.

Bei der im Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung, ob eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 gegeben ist, ist zu prüfen, ob sich nach Art und Schwere der Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden ziehen lässt. Da es insoweit nach der Rechtsprechung um die Vornahme einer Gefährdungsprognose geht, wie sie auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften grundgelegt ist, steht der Bejahung einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung nicht entgegen, dass er sein Verhalten nicht schuldhaft zu vertreten hat. (VwGH 06.05.2022, Ra 2021/01/0377).

Mit Urteil des Landesgerichtes vom 11. November 2021 wurde über den gestellten Antrag auf Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB zu Recht erkannt, dass die beschwerdeführende Partei am 5. August 2021 in Wien unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, die auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, versucht an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst zu verursachen, indem sie in ihrem Schlafzimmer im Wohnheim in Wien Benzin aus brachte und dieses mit einem Feuerzeug entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Bauweise des Gebäudes eine weitere Ausbreitung verhinderte und das Brandgeschehen von der Feuerwehr rechtzeitig bekämpft werden konnte. Die bP hat hierdurch eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 15, § 169 Abs. 1 StGB zuzurechnen wäre.

Da nach Person und Zustand sowie nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass sie sonst unter den Einfluss ihrer geistigen und seelischen Abartigkeit in Zukunft eine weitere mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wurde sie in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Demnach hat die IP am 5. August 2021 in ihrem Zustand beschlossen, ihrem Leben endgültig ein Ende zu setzen und besorgte sich bei der Tankstelle 2 l Benzin. Von ihrem ursprünglichen Vorhaben, sich nahe der Tankstelle mittels des gekauften Benzins anzuzünden, nahm sie Abstand, da sie dort zwei Polizeiautos wahrnahm. Stattdessen begab sie sich in ihr Zimmer im Caritaswohnheim, wobei sie das Zubettgehen ihrer Mitbewohner abwartete. In weiterer Folge brachte sie ca. 1 l des zuvor gekauften Benzins an mehreren Stellen in ihrem Schlafzimmer aus, legte sich einen zu einer Schlinge gebundenen Gürtel um den Hals und entzündete das Benzin mit einem Feuerzeug. Dadurch entstand sofort eine Stichflamme und das Feuer breitete sich im Schlafzimmer, aufgrund dessen geriet der Betroffene und verließ im Panik das Gebäude. Infolge der intensiven Rauchentwicklung mussten aus den oberen Stockwerken zahlreiche Heimbewohner von Polizeikräften aus dem Haus evakuiert werden. Durch das Einschreiten der Feuerwehr konnte letztlich eine Ausbreitung des Feuers auf andere Räume oder Zimmer des Wohnhauses verhindert werden. Dies lag im Wesentlichen jedoch einzig und allein daran, dass die rasch eintreffende Feuerwehr den Brand mit massiven Löschmitteln bekämpfen konnte und die Bauweise der Wände des Schlafzimmers Schlimmeres verhinderten. Ohne diese Umstände wäre es zu einer nicht mehr oder nur mehr äußerst schwer einzuräumenden Brand Ausbreitung gekommen.

Aufgrund der im Zuge der vorläufigen Anhaltung erfolgten Therapie konnte beim Betroffenen eine Krankheit-und Behandlung Einsicht erreicht und eine Depotmedikation etabliert werden. Die schwerwiegende Geisteskrankheit macht auch zukünftig eine enge psychiatrische und psychotherapeutische Therapie beim Betroffenen notwendig. Um die Gefährlichkeit hintanzuhalten, bedarf es trotz Compliance bezüglich der psychopharmakologische Therapie eines entsprechenden sozialen empfangen Raumes im Sinne einer eines betreuten Wohnplatzes samt Tagesstruktur in einer geeigneten Betreuungseinrichtung. Ohne einen solchen Wohnplatz ist zum Urteilszeitpunkt trotz allfälliger weiterer Weisungen (zur regelmäßigen psychiatrischen Behandlung, Fortführung der psychopharmakologischen Therapie, Gewährleistung der Drogen und alkoholabstinenzsamt regelmäßigen Kontrollen, Bewährungshilfe), aufgrund der bestehenden Erkrankung im Zusammenhang halt mit der Person des Betroffenen, seinem Zustand und der Art der Anlasstat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er unter dem Einfluss dieser Erkrankung weitere strafbare Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere Brandstiftungen begehen wird.

Die Gefährlichkeitsprognose ist ungünstig, d. h. dass mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchtet werden muss, dass die beschwerdeführende Partei unter dessen Einfluss geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades in Zukunft weitere Delikte mit schwerer schweren Folgen begehen wird. Die Voraussetzungen für eine bedingte Einweisung im Sinne des §§ 45 Abs. 1 StGB sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Betroffene zwar Krankheits-und Deliktseinsicht aufweist, zur Hintanhaltung seiner Gefährlichkeit jedoch ein Wohnplatz in einer betreuten Wohneinrichtung zwingend geboten ist, welche aktuell nicht zur Verfügung steht, weshalb die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unbedingt auszusprechen war.

 

Zum Entscheidungszeitpunkt befindet sich die bP im Maßnahmenvollzug und liegt eine Gefährlichkeitsprognose durch das Strafgericht vor. Das gerichtsmedizinische Gutachten zeigt auf, dass die bP zum Tatzeitpunkt auf Grund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig war und weiterhin eine erhebliche Gefahr für sich selbst und für die Allgemeinheit darstellt. Auch wenn die bP auf Grund der engmaschigen Behandlung in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aktuell sich etwas stabilsiert hat, so führt dies nicht dazu, dass hier schon davon gesprochen werden könnte, dass sie (in Freiheit) keine Gefahr mehr darstellen würde. Für das zuständige Strafgericht liegen auf Basis des med. Gutachtens auch nach wie vor die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vor, was auch durch dieses Gericht eine positive Gefährlichkeitsprognose kontraindiziert.

Gem. § 9 Abs 2 Z2 AsylG liegt daher ein Aberkennungsgrund vor, weil die bP eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Gem. § 8 Abs 3a AsylG ist in einem solchen Fall der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen.

 

Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen / Rückkehrentscheidung

 

§ 10 AsylG Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

(1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

 

Gegenständlich wurde der Antrag auf internationalen Schutz gem. § 10 Abs 1 Z 3 AsylG sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch in Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.

Zu prüfen ist nunmehr gem. Abs 2 leg cit von Amts wegen, ob der bP ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG zukommt

 

§ 57 AsylG Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.

 

Ein Sachverhalt, wonach der bP gem. § 57 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen wäre, kam nicht hervor. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

 

Rückkehrentscheidung

 

Da sich die bP nach Abschluss des Verfahrens nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG [Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung] fällt und ihr auch amtswegig kein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG zu erteilen war, ist diese Entscheidung gem. § 10 Abs 2 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung gem. dem 8. Hauptstück des FPG [Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde] zu verbinden.

 

Dem zur Folge hat das Bundesamt gemäß § 52 Abs 1 FPG [Rückkehrentscheidung] gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z2).

Gemäß Abs. 2 leg cit hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z2) und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Das Bundesamt hat gegenständlich entschieden, dass zur Erreichung von in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Interessen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung dringend geboten sei.

 

Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens in Österreich käme:

§ 9 BFA-VG

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

 

Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

 

Für die Beurteilung, ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt, wird auf die im Erkenntnis des BVwG v. 16.01.2019, L504 1314867-3, dargestellte höchstgerichtliche Judikatur verwiesen.

 

Ob eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes sowie des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Dabei obliegt es dem Fremden integrationsbegründende Umstände, denen maßgebliche Bedeutung zukommen könnte, geltend zu machen (vgl. etwa VwGH 22.1.2014, 2012/22/0245).

Nicht näher substantiierte – bloße – Behauptungen können keine maßgebliche Verstärkung der Interessen des Fremden dartun (vgl. etwa VwGH 24.9.2009, 2009/18/0294).

 

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ergibt sich das Vorhandensein eines relevanten Privatlebens iSd Art 8 EMRK, weshalb es diesbezüglich einer Abwägung der persönlichen Interessen an einem Verbleib mit den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendung, somit, ob eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist

 

Im vorliegenden Fall ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen und verfolgt gem. Art 8 Abs 2 EMRK legitime Ziele, nämlich

 die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, worunter auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist;

 das wirtschaftliche Wohl des Landes;

 die Verteidigung der Ordnung und Verhinderung von strafbaren Handlungen;

 

Unter Zugrundelegung der Abwägungskriterien und der Ermittlungsergebnisse (einschließlich der Beschwerdeangaben) ergibt sich Folgendes:

Für die bP spricht im Wesentlichen, dass sie seit Oktober 2015 als Asylwerber in Österreich lebt. Sie hat während ihres Aufenthaltes in Österreich in der Praxis alltagstaugliche Deutschkenntnisse erlangt und kann sich gut verständigen, was sich insbesondere in der Verhandlung zeigte. Sie war kurzfristig ehrenamtlich beim Samariterbund tätig.

 

Gegen die bP spricht im Wesentlichen, dass sie am 18.10.2018 eines Suchtmitteldeliktes für schuldig befunden wurde. Weiters wurde mit Urteil des Landesgerichtes vom 11. November 2021 über den gestellten Antrag auf Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB zu Recht erkannt, dass die beschwerdeführende Partei am 5. August 2021 in Wien unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, die auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, versucht an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst zu verursachen, indem sie in ihrem Schlafzimmer im Wohnheim in Wien Benzin aus brachte und dieses mit einem Feuerzeug entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Bauweise des Gebäudes eine weitere Ausbreitung verhinderte und das Brandgeschehen von der Feuerwehr rechtzeitig bekämpft werden konnte. Die bP hat hierdurch eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 15, § 169 Abs. 1 StGB zuzurechnen wäre.

Sie befindet sich nach wie vor in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Sie stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

 

Aus dem Betreuungsinformationssystem ergibt sich, dass die bP seit Antragstellung Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht. Durch Inanspruchnahme dieser Leistungen bekundet sie finanzielle Hilfsbedürftigkeit. Daraus resultiert folglich, dass die bP selbst in Österreich über keine Vermögenswerte verfügt, um daraus ihren Unterhalt zu bestreiten. Es kam im Verfahren nicht hervor, dass die bP schon während des laufenden Verfahrens Gelegenheiten wahrnahm, sich durch eigene Erwerbstätigkeit wirtschaftlich selbst zu erhalten. Dass dies auch für Asylwerber, bei entsprechender Qualifikation und Motivation, rechtlich und faktisch schon während des Asylverfahrens möglich ist, entspricht der geltenden Rechtslage (vgl. zB. https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern ).

Auf Grund dieser Umstände ist davon auszugehen, dass ein weiterer Aufenthalt die reale Gefahr in sich trägt, dass durch weiterhin erforderliche staatliche Versorgungsleistungen auch das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährdet wäre.

Die Mittellosigkeit des Fremden ist im Hinblick auf die daraus resultierende Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt auch eine ausreichende Grundlage für das Gerechtfertigtsein der Annahme, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet (vgl. zB VwGH 14.04.1994, 94/18/0133). Dafür, dass die umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist nicht erforderlich, dass der Fremde tatsächlich bereits strafbare Handlungen begangen hat; bereits die Gefahr der finanziellen Belastung der öffentlichen Hand rechtfertigt die besagte Annahme (zB VwGH 13.10.2000, 2000/18/0147; 17.12.2001, 99/18/0182; 13.09.2006, 2006/18/0215).

 

Im Rahmen der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es im Sinne des § 9 Abs 2 Z 8 BFA-VG grds. maßgeblich relativierend ist, wenn – wie auch hier - integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich (spätestens nach Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz durch das Bundesamt) die bP ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175). Daran kann auch eine allenfalls lange Dauer eines Rechtsmittelverfahrens, mag den Fremden daran auch kein Verschulden treffen, nichts ändern (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034).

 

Die bP befindet sich im Verhältnis zu ihrem Alter erst sehr kurze Zeit im Bundesgebiet. Sie wurde im irak sozialisiert und hat dort bei weitem ihr überwiegendes Leben verbracht. Sie verfügt dort – im Gegensatz zu Österreich – auch über enge Familienangehörige. Von einer Entwurzelung kann daher nicht gesprochen werden.

 

Ein behördliches Verschulden, welche die zeitliche Komponente dermaßen in den Vordergrund treten lassen würde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sei, kann aus der Aktenlage nicht entnommen werden und wurde von der bP auch nicht konkret vorgebracht (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

 

Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30. Juli 2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058).

 

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände und unter Einbeziehung der oa. Judikatur der Höchstgerichte ist gegenständlich ein überwiegen der genannten öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung der beschwerdeführenden Partei festzustellen, die ihre Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiegen. Die Rückkehrentscheidung ist daher als notwendig und nicht unverhältnismäßig zu erachten.

Die persönlichen Bindungen in Österreich lassen keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK erkennen, die es der beschwerdeführenden Partei schlichtweg unzumutbar machen würde, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Aufenthalts- bzw. Niederlassungsverfahrens in ihr Heimatland zurückzukehren (vgl. zB. VwGH 25.02.2010, 2008/18/0332; 25.02.2010, 2008/18/0411; 25.02.2010, 2010/18/0016; 21.01.2010, 2009/18/0258; 21.01.2010, 2009/18/0503; 13.04.2010, 2010/18/0087; 30.04.2010, 2010/18/0111; 30.08.2011, 2009/21/0015), wobei bei der Rückkehrentscheidung mangels gesetzlicher Anordnung hier nicht auf das mögliche Ergebnis eines nach einem anderen Gesetz durchzuführenden (Einreise- bzw. Aufenthalts)Verfahrens Bedacht zu nehmen ist (vgl. VwGH 18.9.1995, 94/18/0376).

 

Es erfolgte daher zu Recht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung. Die Unzulässigkeit einer Abschiebung steht der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen (vgl. zB VwGH 27.11.2020, Ra 2020/01/0407).

Der Eintritt der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung ist gem. § 59 Abs 4 FPG für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben.

 

Unzulässigkeit der Abschiebung

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

§ 50 FPG Verbot der Abschiebung

(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

§ 8 Abs 3a AsylG

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war wegen Vorliegens eines Aberkennungsgrundes gem. § 9 Abs 2 Z 2 AsylG abzuweisen und wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Rückkehrentscheidung) erlassen.

Diesfalls ist hier Abweisung hier mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der bP in den Irak wegen der realen Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK unzulässig ist. Insoweit war der gegenständliche Spruchpunkt abzuändern.

 

Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde

§ 18 BFA-VG

1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,

(…)

(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

(7) Die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs. 1 bis 6 nicht anwendbar.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das Bundesamt hat die aufschiebende Wirkung aberkannt, weil auf Grund des Verhaltens der bP in Österreich schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, dass die bP eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt (Z2) und die bP weiters über ihre Identität zu täuschen versucht (Z3).

Diesbezüglich ist der Behörde nach Ansicht des BVwG zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung, insbesondere wegen der Suchtmitteldelinquenz kein Beurteilungsfehler unterlaufen.

 

Das BVwG hat sich in weiterer Folge der Rechtsansicht des VfGH angeschlossen und der Beschwerde gem. § 18 Abs 5 BFA-VG mit Beschluss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Keine Frist für freiwillige Ausreise

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

§ 55 FPG Frist für die freiwillige Ausreise

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das Bundesamt hat die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gem. § 18 BFA-VG aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise zugebilligt.

Gem. § 55 Abs 1a FPG besteht im Falle der Aberkennung der aW ex lege keine Frist für die freiwillige Ausreise. Es war somit die Beschwerde abzuweisen.

 

Verlust des Aufenthaltsrechts

 

§ 13 AsylG Aufenthaltsrecht

(1) Ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Verlust des Aufenthaltsrechtes (Abs. 2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt.

(2) Ein Asylwerber verliert sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wenn1. dieser straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3),2. gegen den Asylwerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist,3. gegen den Asylwerber Untersuchungshaft verhängt wurde (§§ 173 ff StPO, BGBl. Nr. 631/1975) oder4. der Asylwerber bei der Begehung eines Verbrechens (§ 17 StGB) auf frischer Tat betreten worden ist.

Der Verlust des Aufenthaltsrechtes ist dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Wird ein Asylwerber in den Fällen der Z 2 bis 4 freigesprochen, tritt die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat zurück (§§ 198 ff StPO) oder wird das Strafverfahren eingestellt, lebt sein Aufenthaltsrecht rückwirkend mit dem Tage des Verlustes wieder auf.

(3) Hat ein Asylwerber sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Abs. 2 verloren, kommt ihm faktischer Abschiebeschutz (§ 12) zu.

(4) Das Bundesamt hat im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechtes eines Asylwerbers abzusprechen.

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Wie sich aus der Begründung ergibt, hat das Bundesamt gem. § 13 Abs 2 Z3 AsylG mit 03.09.2018, dem Tag der Verhängung der Untersuchungshaft, den Verlust des Aufenthaltsrechts ausgesprochen. Dies ist auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes nachvollziehbar und wurde dem im Beschwerdeverfahren auch nicht konkret entgegen getreten.

Es war somit die Beschwerde abzuweisen.

 

Einreiseverbot

 

§ 53 Einreiseverbot

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 15.12.2011, Zahl 2011/21/0237 zur Rechtslage vor dem FPG idgF (in Kraft seit 01.01.2014) erwogen, dass bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbotes nach dem FrÄG 2011 eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl ErläutRV, 1078 BlgNR 24. GP 29 ff und Art 11 Abs 2 Rückführungs-RL) sei. Dabei hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen, ob (bzw. inwieweit über die im unrechtmäßigen Aufenthalt als solchen zu erblickende Störung der öffentlichen Ordnung hinaus) der (weitere) Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Eine derartige Gefährdung ist nach der Gesetzessystematik insbesondere in den Fällen der Z 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 anzunehmen.

In den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ist das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert, was dann die Verhängung eines Einreiseverbotes in der Dauer von bis zu zehn Jahren und, liegt eine bestimmte Tatsache im Sinne der Z 5 bis 8 vor, von unbefristeter Dauer ermöglicht.

Zudem ist festzuhalten, dass - wie schon nach bisheriger Rechtslage (vgl. VwGH 20.11.2008, 2008/21/0603) - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern immer auf das zugrunde liegende Verhalten (arg.: Einzelfallprüfung) abzustellen ist. Maßgeblich sind Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild; darauf kommt es bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots an.

§ 53 Abs. 3 FPG idgF hat im Vergleich zur Rechtslage vor dem 01.01.2014 keine inhaltliche Änderung erfahren. Daraus ist zu schließen, dass auch in Bezug auf die vom VwGH statuierten (obgenannten) Kriterien, die bei der Verhängung des Einreiseverbots und seiner Dauer zur Anwendung gelangen sollen, kein Wandel stattgefunden hat. Aus diesem Grund erachtet das Bundesverwaltungsgericht diese auch nach wie vor als anwendbar.

 

Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist (VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230)

 

Die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs. 2 u. Abs 3 FrPolG 2005 angeführten Tatbestände stellen nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: "insbesondere") jener Umstände dar, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmungen indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, zutreffen, was dann gegebenenfalls - nach Vornahme einer Beurteilung im Einzelfall - die Erlassung eines Einreiseverbotes rechtfertigen kann (vgl. VwGH 24.5.2018, Ra 2017/19/0311; 16.5.2019, Ra 2019/21/0104).

 

Im Zusammenhang mit der für die Verhängung eines Aufenthalts- oder Einreiseverbotes nach dem FPG durchzuführenden Gefährdungsprognose entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dafür auch ein Verhalten des Fremden herangezogen werden kann, das (noch) nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Bestrafung geführt hat. Ein solches Vorgehen verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung, erfordert jedoch entsprechende, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffene Feststellungen zum Fehlverhalten selbst und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (vgl. VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0237; 23.3.2017, Ra 2016/21/0349; 24.1.2012, 2010/1/0264, jeweils mwN; 18.11.2020, Ra 2020/14/0113-8 18).

 

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das Bundesamt hat von seinem gem. § 53 Abs 1 eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und mit der Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot für die Dauer von 4 Jahren erlassen, das die Behörde auf Abs 2 leg cit stützte. Zum Zeitpunkt der Genehmigung der Entscheidung der Behörde (02.10.2018) lag noch keine rk. Verurteilung nach dem SMG vor und konnte die Behörde dabei auch noch nicht jenen Sachverhalt in die Gefährlichkeitsprognose miteinbeziehen, der 2021 zur Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher führte. Das Bundesamt wertete jedoch jenen Sachverhalt für die Gefährlichkeitsprognose der dazu führte, dass sich die bP zu diesem Zeitpunkt wegen der Drogendelikte in Untersuchungshaft befand und letztlich nach der Erlassung des Bescheides auch zur rk. Verurteilung führte. Sie ging richtigerweise davon aus, dass hier keine der in Abs 2 genannten Ziffern erfüllt sei, jedoch wäre es nur eine demonstrative Aufzählung und das Verhalten der bP stelle eine gleichwertige Verhaltensweise dar, das ein Einreiseverbot gebiete. Mit der Dauer von 4 Jahren hat sich die Behörde an den oberen Bereich von maximal 5 Jahren gehalten.

 

Das BVwG hat hier die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Aus Nachfolgendem ergeben sich bestimmte Tatsachen iSd § 53 Abs 3 FPG, die die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt der bP eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt:

 

Während des laufenden Asylverfahrens und unsicheren Aufenthaltes wurde die bP am 18.10.2018 rk. wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 2 a zweiter Fall SMG, das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 15 StGB, § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall SMG verurteilt. Eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten wurde verhängt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Die erlittene Vorhaft vom 2. September 2018 bis 18. Oktober 2018 wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Mildernd wurde der bisher ordentliche Lebenswandel und das reumütige Geständnis sowie die Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet. Erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Vergehen.

Dieser Sachverhalt kann unter den Tatbestand des § 53 Abs 3 Z 1 FPG subsumiert werden.

 

Mit Urteil des Landesgerichtes vom 11. November 2021 wurde über den gestellten Antrag auf Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB zu Recht erkannt, dass die beschwerdeführende Partei am 5. August 2021 in Wien unter dem Einfluss einer die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteskrankheit, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, die auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, versucht an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst zu verursachen, indem sie in ihrem Schlafzimmer im Wohnheim in Wien Benzin aus brachte und dieses mit einem Feuerzeug entzündete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil die Bauweise des Gebäudes eine weitere Ausbreitung verhinderte und das Brandgeschehen von der Feuerwehr rechtzeitig bekämpft werden konnte. Die bP hat hierdurch eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen der Brandstiftung nach § 15, § 169 Abs. 1 StGB zuzurechnen wäre.

Da nach Person und Zustand sowie nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass sie sonst unter den Einfluss ihrer geistigen und seelischen Abartigkeit in Zukunft eine weitere mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, wurde sie in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Demnach hat die IP am 5. August 2021 in ihrem Zustand beschlossen, ihrem Leben endgültig ein Ende zu setzen und besorgte sich bei der Tankstelle 2 l Benzin. Von ihrem ursprünglichen Vorhaben, sich nahe der Tankstelle mittels des gekauften Benzins anzuzünden, nahm sie Abstand, da sie dort zwei Polizeiautos wahrnahm. Stattdessen begab sie sich in ihr Zimmer im Caritaswohnheim, wobei sie das Zubettgehen ihrer Mitbewohner abwartete. In weiterer Folge brachte sie ca. 1 l des zuvor gekauften Benzins an mehreren Stellen in ihrem Schlafzimmer aus, legte sich einen zu einer Schlinge gebundenen Gürtel um den Hals und entzündete das Benzin mit einem Feuerzeug. Dadurch entstand sofort eine Stichflamme und das Feuer breitete sich im Schlafzimmer, aufgrund dessen geriet der Betroffene und verließ im Panik das Gebäude. Infolge der intensiven Rauchentwicklung mussten aus den oberen Stockwerken zahlreiche Heimbewohner von Polizeikräften aus dem Haus evakuiert werden. Durch das Einschreiten der Feuerwehr konnte letztlich eine Ausbreitung des Feuers auf andere Räume oder Zimmer des Wohnhauses verhindert werden. Dies lag im Wesentlichen jedoch einzig und allein daran, dass die rasch eintreffende Feuerwehr den Brand mit massiven Löschmitteln bekämpfen konnte und die Bauweise der Wände des Schlafzimmers Schlimmeres verhinderten. Ohne diese Umstände wäre es zu einer nicht mehr oder nur mehr äußerst schwer einzuräumenden Brand Ausbreitung gekommen.

Aufgrund der im Zuge der vorläufigen Anhaltung erfolgten Therapie konnte beim Betroffenen eine Krankheit-und Behandlung Einsicht erreicht und eine Depotmedikation etabliert werden. Die schwerwiegende Geisteskrankheit macht auch zukünftig eine enge psychiatrische und psychotherapeutische Therapie beim Betroffenen notwendig. Um die Gefährlichkeit hintanzuhalten, bedarf es trotz Compliance bezüglich der psychopharmakologische Therapie eines entsprechenden sozialen empfangen Raumes im Sinne einer eines betreuten Wohnplatzes samt Tagesstruktur in einer geeigneten Betreuungseinrichtung. Ohne einen solchen Wohnplatz ist zum Urteilszeitpunkt trotz allfälliger weiterer Weisungen (zur regelmäßigen psychiatrischen Behandlung, Fortführung der psychopharmakologischen Therapie, Gewährleistung der Drogen und alkoholabstinenzsamt regelmäßigen Kontrollen, Bewährungshilfe), aufgrund der bestehenden Erkrankung im Zusammenhang halt mit der Person des Betroffenen, seinem Zustand und der Art der Anlasstat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass er unter dem Einfluss dieser Erkrankung weitere strafbare Handlungen mit schweren Folgen, insbesondere Brandstiftungen begehen wird.

Die Gefährlichkeitsprognose ist ungünstig, d. h. dass mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchtet werden muss, dass die beschwerdeführende Partei unter dessen Einfluss geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades in Zukunft weitere Delikte mit schwerer schweren Folgen begehen wird. Die Voraussetzungen für eine bedingte Einweisung im Sinne des §§ 45 Abs. 1 StGB sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Betroffene zwar Krankheits-und Deliktseinsicht aufweist, zur Hintanhaltung seiner Gefährlichkeit jedoch ein Wohnplatz in einer betreuten Wohneinrichtung zwingend geboten ist, welche aktuell nicht zur Verfügung steht, weshalb die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unbedingt auszusprechen war.

Beim Tatbestand der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB handelt es sich um einen Verbrechenstatbestand iSd § 17 StGB. Bei der Anordnung einer Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gem. § 21 StGB handelt es sich – mangels Schuldfähgigkeit zum Tatzeitpunkt – um keine rk. „Verurteilung“ wie sie insbesondere die Ziffern 1-4 leg cit im Blickfeld haben, jedoch liegt dieser Anordnung eine Verhaltensweise zugrunde die jedenfalls mit jenen einem Vergleich standhält, die von den Ziffern 1-4 des Abs 3 leg cit umfasst sind. Sie gilt somit, ebenso wie die rk. Verurteilung nach dem SMG als „bestimmte Tatsache“, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes heranzuziehen ist.

 

Bei der Beurteilung einer vom Fremden ausgehenden Gefahr muss dem Fremden kein Verschulden an der von ihm ausgehenden Gefährdung angelastet werden. Es steht daher der Prognose einer vom Fremden ausgehenden Gefahr nicht entgegen, dass die Gefährlichkeit wie im gegenständlichen Fall auf eine (Geistes)Krankheit zurückzuführen ist (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/21/0081; weiters VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205; 20.12.2018, Ra 2018/21/0112; 29.9.2020, Ra 2020/21/0297).

 

Beide Verhaltensweisen und das sich daraus abzeichnende Persönlichkeitsprofil führen dazu, dass nach Ansicht des BVwG die bP eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gem. § 53 Abs 3 Z 1 FPG darstellt, die ein Einreiseverbot von höchstens 10 Jahren rechtfertigt.

 

Gerade Suchtmitteldelikte weisen der allg. Lebenserfahrung nach eine besondere Wiederholungsgeneigtheit auf. Das Inverkehrbringen von verbotenen Suchtmitteln fördert die Sucht anderer und gefährdet Leben und Gesundheit von Menschen. Derartige verbotene Suchtmittel stellen eine Geißel der Menschheit mit hohem Gefährdungspotential dar und gebieten derartige Eingriffe zum Schutz von Leben und Gesundheit anderer. Die Zeit seit der Verurteilung ist noch zu gering um von einem hinreichenden Gesinnungswandel sprechen zu können. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer allfälligen Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat und dass demnach für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich ist. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (siehe etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/21/0035, Rn. 11, mit dem Hinweis auf VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN; 09.11.2020, Ra 2020/21/0417-6). Das gilt auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie (VwGH 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

 

Die bP befindet sich wegen dem Sachverhalt der versuchten Brandstiftung auf gerichtliche Anordnung unverändert in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Dass aktuell die im Urteil bzw. im gerichtspsychiatrischen Gutachten prognostizierte Gefährlichkeit, insbesondere auch für die Allgemeinheit, nicht mehr gegeben wäre, kam nicht hervor bzw. wurde vom zuständigen Strafgericht die Beendigung des Maßnahmenvollzuges nicht verfügt. Wenngleich die Behandlung erste kleine Erfolge zeigt, besteht die – für die Tatausführung zumindest mitursächliche - Geisteskrankheit nach wie vor und ist eine engmaschige medizinische Behandlung unter gleichzeitigem Freiheitsentzung bzw. Aufsicht in der Anstalt erforderlich. Ein prognostizierbares Ende der Unterbringung bzw. der Allgemeingefährlichkeit ist der strafgerichtlichen Anordnung und den vorliegenden medzinischen Unterlagen nicht zu entnehmen.

 

Das BVwG kommt unter Berücksichtigung aller bekannten Fakten zum Ergebnis, dass hier bestimmte Tatsachen iSd § 53 Abs 3 Z1 FPG bzw. hinsichtlich des Sachverhaltes, der zum Maßnahmenvollzug führte, eine Verhaltensweise die im Bereich der Ziffern 1-4 leg cit einzuordnen ist, vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die bP eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie insbesondere eine Gefährdung von Leben und Gesundheit anderer darstellt. Daraus resultierend kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens 10 Jahren verhängt werden, wobei anzumerken ist, dass es sich bei einem Einreiseverbot um keine Bestrafung handelt.

 

Unter Berücksichtigung des nunmehr – im Vergleich zur Entscheidung des Bundesamtes – geänderten Sachverhaltes gelangt das BVwg zur Ansicht, dass hier ein Einreiseverbot für die Dauer von 8 Jahren angemessen ist. Das Gericht bleibt dabei auch – so wie auch das Bundesamt – jedenfalls unterhalb der gesetzlich möglichen Höchstdauer.

 

Ad B)

 

Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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