Normen
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §18
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §46
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190221.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe gegen seinen Willen für die Arbaki-Milizen arbeiten müssen, weshalb ihn die Taliban bedroht hätten. Im Fall einer Rückkehr fürchte er eine Verfolgung durch die Milizen und die Taliban.
2 Mit Bescheid vom 19. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei bei der Prüfung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative weder auf die vorgebrachte landesweite Bedrohung durch die Arbaki-Milizen noch auf die schlechte Sicherheitslage in den Provinzen Balkh und Herat eingegangen. Indem das BVwG das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bloß theoretisch geprüft habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Zudem habe es seine Ermittlungspflicht verletzt, indem es keine Ermittlungen zur Covid‑19‑Pandemie und ihren Auswirkungen auf die Sicherheitslage angestellt und dadurch tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt habe.
8 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungs‑ und Begründungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten. Die bloße Rechtsbehauptung, es hätte sich das Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative herausgestellt, genügt dem nicht (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0454, mwN). Eine derartige Relevanzdarstellung ist der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision nicht zu entnehmen.
9 Mit dem Vorwurf, das BVwG habe sich nicht mit dem Vorbringen, wonach die Arbaki‑Milizen den Revisionswerber auch in den als innerstaatliche Fluchtalternativen angenommenen Gebieten finden, respektive verfolgen würden, verkennt die Revision, dass das BVwG schon das Vorbringen zur Verfolgung durch diese Miliz sowie durch die Taliban als nicht glaubwürdig erachtete. Eine Unvertretbarkeit der diesbezüglichen Beweiswürdigung wird in der Revision nicht behauptet. Im Übrigen hielt das BVwG entgegen dem Revisionsvorbringen fest, dass es keine Hinweise auf eine landesweite Verfolgung des Revisionswerbers durch die Arbaki‑Miliz gebe, kein Netzwerk dieser Gruppierung in ganz Afghanistan dokumentiert sei und der Revisionswerber ein solches auch nicht bewiesen habe.
10 Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser, gleichzeitig seien aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide, im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden. Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 93 mit Hinweis auf EGMR 23.8.2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden).
11 Im vorliegenden Fall erstattete der Revisionswerber ‑ abgesehen von dem bereits als unglaubwürdig erachteten Vorbringen einer landesweiten Verfolgung durch die Arbaki‑Milizen und einem Hinweis auf die schlechte Sicherheitslage ‑ kein Vorbringen, warum seine nach Art. 3 EMRK geschützten Rechte in den als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebieten verletzt würden oder ihm die Inanspruchnahme einer solchen sonst unzumutbar wäre. Der allgemein gehaltene Hinweis auf die schlechte Sicherheitslage vermag die einzelfallbezogene Einschätzung des BVwG, wonach sowohl Herat als auch Mazar‑e Sharif als ausreichend sicher zu betrachten seien, nicht zu entkräften.
12 Auch mit dem Vorbringen zum Ausbruch der Covid‑19‑Pandemie gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Das BVwG hielt in diesem Zusammenhang insbesondere fest, dass der Revisionswerber vor dem Hintergrund seines Alters und des Fehlens physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe angehöre und keine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass er eine Covid‑19‑Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf erleiden oder einer intensivmedizinischen Behandlung bedürfen würde. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass diese Beurteilung unvertretbar gewesen wäre. Dass in den als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebieten Herat und Mazar‑e Sharif aufgrund Covid‑19 exzeptionelle Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellten, vermag die Revision ebenfalls nicht aufzuzeigen (vgl. zur Situation bezüglich Covid‑19 in Mazar‑e Sharif VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188).
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. September 2020
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